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Schwaben
Wilhelm von Scholz

Der Begriff "Schwaben" fällt in bezug auf Volk und Land nicht ganz mit seinem politischen Träger "Württemberg" zusammen. Er umfaßt, wie er geschichtlich durch die Jahrhunderte geworden ist und gewaltet hat, mehr: Stücke Badens, Teile des westlichen Bayerns, die sogar den Namen "Schwaben" tragen; er reicht in die deutsche Schweiz hinein. Schwaben und Alemannen waren ursprünglich nicht getrennt. Andererseits hat der Anteil des Staates Württemberg an fränkischem Stammland, Heilbronner Gegend, nichts mit dem eigentlich Schwäbischen zu tun.

Gustav Schwabs Wanderungen durch Schwaben - in der zu unserer Großväter Zeit berühmten Bücherreihe des Malerischen und romantischen Deutschland - gehen überall bedenkenlos über die Grenzen des eigentlichen Württemberg hinaus; hier bis Heidelberg und Freiburg im Breisgau, dort bis Lindau im Bodensee; Baden-Baden, das Murgtal, Badenweiler umfassen sie mit, ebenso das badische Triberg und den badischen Hegau, dessen Hauptkuppe, der Hohentwiel, allerdings eine württembergische Einsprengung in Baden ist.

Sehr gut aber faßt Schwab, der überhaupt ein Landschaftsbild, ja das Bild eines Landes zu vermitteln vermag, das Wesentliche seiner Stammes- und Namensheimat hier in die Sätze: "Den Kern Schwabens bildet eine theils von Hügelmassen besetzte, theils wellenförmig erhabene Landschaft, welche im Westen und im Südosten von höheren Stufen wie von Rändern eingefaßt ist. Die westlichste dieser Stufen, welche landeinwärts allmählich, einem glatten Dache gleich, gegen die Ebene sich herabsenkt, ist der Schwarzwald; die südöstliche, welche plötzlich und steil, wie ein jähes Dach, gegen dieselbe abfällt, ist die Alb. Zwischen beiden, dem Schwarzwald und der Alb, welche im Südwesten bis auf eine Meile einander nahe kommen, und nur noch durch die Breite des oberen Neckarthales von einander getrennt sind, dann aber schnell von einander sich abwenden, erweitert sich die Landschaft immer mehr gegen Nordosten bis zur Jaxt und hinaus bis zum Mainstrom. Der Schwarzwald selbst bildet mit seinem badischen Theile, nebst einem schmalen Streifen flachen Landes, die westliche Gränze Schwabens; die Alb durchzieht das Königreich Württemberg von Südwest nach Nordost in die Quere. Jenseits derselben im Süden breitet sich eine zweite große Landschaft aus, welche zwar niedriger liegt als die Alb, aber höher als die erste, nördliche Ebene. Es ist dieß Oberschwabens Hochebene, welche von der Donau bis zum Bodensee an der südlichen Gränze Schwabens sich erstreckt."

Den Verfasser, der jetzt in einer neuen Schilderung ein Bild Schwabens zu geben versucht, macht eine tiefe Liebe zu diesem urdeutschen Lande befangen. Sie begann in seiner späteren [268] Schulzeit am Schwäbischen Meere, wanderte den Neckar hinab, trank von den Höhen der Alb mit Jubel die gebreitete Landweite in sich, rastete in den schattig-kühlen Tannentälern des Schwarzwaldes. Dann lernte sie all diese Reichsstädte und Fürstensitze, Kirchen und Schlösser mit Staunen und Bewunderung kennen, die Schwaben so überreich, so eng gedrängt schmücken wie keinen anderen deutschen Gau - so daß Schwaben allein soviele Reichsstädte hatte wie das ganze übrige Deutschland zusammen.

So macht ihn Fülle des Gefühls bei diesem Thema fast zaghaft und verwirrt. Möge es ihm der Leser zugute halten und darauf vertrauen, daß er sich doch noch besinnen und an der Stelle seiner Ausführungen, die etwa dem Schwabenalter entsprechen würde, gescheit werden und zur Sache kommen wird. Und diese Sache soll ja nicht nur das Land Schwaben sein, sondern vor allem das Volk; und nicht das Volk im allgemeinen, sondern das kulturschaffende Volk, das die geistigen Schöpfer hervorbringt. Aber da ist es wieder nicht anders als bei dem Lande: auch da möchte er vor allem von seiner Liebe reden - und weiß doch nicht, ob Liebe eine gute Erzählerin ist - von seiner Liebe schon zu den ältesten Schwaben, die geistig hervorragten, zu den alten Mönchen von Reichenau im Bodensee. Wenn nun auch diese frühen dichtenden und schreibenden, das Land rodenden und die Bevölkerung unterrichtenden Kleriker gewiß zum Teil Wahlschwaben, Wahlalemannen waren, wie es der Verfasser ist, so ist ihre Zuneigung zu ihrer schwäbisch-alemannischen Wahlheimat kaum minder groß und sicher bewußter gewesen als bei den Eingeborenen. Das fühlt man sofort, wenn man nur ein paar Strophen aus dem Heimwehgedicht des Walafrid Strabo vernimmt, der seine "Selige Insel" Reichenau, diese Perle im Schwäbischen Meere, so ansingt:

    "Meine Tränen fließen, denk' ich,
    wie mir einst so wohl gewesen,
    da die Reichenau den Knaben
    noch, die selige, Obdach gönnte.

    Heilig mir allzeit und teuer,
    Mutter du, geweiht den Heiligen,
    ehrenwürdig-hochgepriesen,
    frommer Brüder selige Insel.

    Heilig du zum andern Male,
    wo die hehre Gottesmutter
    wird vor allem Volk verehrt,
    nochmals tön' es: selige Insel!

    Rings von Wassern wild umbrandet
    stehst du fest, ein Fels der Liebe,
    streuest weit und breit der Lehre
    Samenkörner, selige Insel!"
                                        (Übersetzt von Paul von Winterfeld.)

Wir haben heute in unserem dicht besiedelten Deutschland kein Gefühl mehr dafür, was so ein ehrwürdiger alter Gottesmann in den Ausruf "Selige Insel" alles hineinpreßte! Diese selige Insel war ein Obdach, ein Haus, ein Herd inmitten von wenig befahrenem, [269=Foto] [270] an den Ufern versumpftem See, von unwegsamem Wald, schroffem Gebirge und brückenlosen Flüssen. Wildes Getier, Bären, Wölfe, Schlangen, und mehr als rauhe Ureinwohner drängten die Kulturmenschen in die spärlichen Ansiedelungen zusammen, Klöster oder befestigte Dörfer, und hielten sie an die wenigen alten Römerstraßen gebunden, die von Süden nach Norden das Land durchzogen.

Meersburg am Bodensee.
[274]      Meersburg am Bodensee.
Eine solche Straße führte von den einstigen Castellen an See und Rhein die Waldschluchten hinauf bis nach dem heutigen Rottweil, wohin die Römer viel Lebensbehaglichkeit, ja Luxus ihres lichteren Südens mit hinaufgebracht hatten. Leicht können wir uns zu dem schönen erhaltenen Mosaikfußboden mit dem Orpheus eines römischen Bades und den Werken künstlerischer Tonbrennkunst dort das übrige Bild des damaligen Lebens in dieser Römerniederlassung ergänzen - eines Lebens, das aus der Kultur Schwabens nicht wegzudenken ist.

Mit der Keramik übrigens brachten die Römer den alten Sueven nichts völlig Neues. Schon von der jungsteinzeitlichen Kultur, wie sie etwa die Pfahlbauleute am Bodensee darstellen, an, beginnt die Töpferkunst als bodenständiges Gewerbe eine so bedeutende Rolle in Schwaben zu spielen, daß die Töpfereien geradezu zum Erkennungsmerkmal der einander folgenden Zeitalter werden. Zunächst gehen unverzierte Schöpf- und Vorratsgefäße, die ohne Standfläche gehängt oder in Halter gestellt werden mußten, aus der Hand dieser urtümlichen Kunstgewerbler hervor. Die Stichkeramik - Tiefstichreihen mit schraffierten geometrischen Motiven - ist die Kunst eines jüngeren Geschlechts. Ihr folgt als Auswirkung südlichen, südöstlichen Einflusses, den wandernde Händler vom Mittelmeer und aus Asien heraufbringen, die verwandlungsreichere Spiralkeramik, der sich später die sogenannte Schnurkeramik anschließt. Dann kommen die römischen Kunsttöpfer, finden im Zusammenhange dieser alten landeingesessenen Handwerksüberlieferung gewandte und geschickte Gesellen, bringen die Fülle lebendiger, spielender pflanzlicher und figürlicher Formen. Die Schüler bleiben nicht hinter den Lehrern zurück; ja es sieht nach manchen schönen Stücken im Rottweiler Museum fast so aus, als hätte sich eine selbständige römisch-schwäbische Töpferschule entwickelt.

Der ‘'Blautopf'‘ bei Blaubeuren.
[275]      Der "Blautopf" bei Blaubeuren.
Das Motiv der "Historie von der schönen Lau"
von Eduard Mörike.
Solche in dem erdverbundenen Volke von Acker- und Weinbauern längst eingeheimateten ehemaligen Römercastelle mit ihrem weltlichen Nachleben der überwundenen Bringer fremder Kultur; Klöster wie Reichenau, Maulbronn, Blaubeuren, Beuron mit dem geistigen und geistlichen Dasein; die ritterlich-kriegerischen Sitze der Nachfahren altgermanischer Grafen oder Herzöge - das waren die Stätten im alten Schwaben, in denen lange nach der Pfahlbauzeit das erste höhere Kulturleben sich regte und langsam, in einer jahrhundertelangen Entwickelung, zu einem Gesamtwesen zusammenwuchs.

Diese alte aus so getrennten Wurzeln gemeinsam erblühende schwäbische Kultur ist nun aber nicht etwas von den oberdeutschen Nachbargebieten - dem Rheinland und Elsaß oder der deutschen Schweiz und Österreich - grundsätzlich sehr Verschiedenes. Die Art des Lebens, der Entwickelung strich breiter in Gleichförmigkeit hin, als daß sich in der Gesamtheit des alemannisch-schwäbischen Gebietes scharfe Trennungs- und Unterscheidungslinien ziehen ließen. Und wenn wir an die Zeit denken, in der zum erstenmal aus den verschiedenartigen Wurzeln eine durchaus einheitliche Kultur mit herrlichen uns [271] erhaltenen Denkmälern entstanden ist - die Zeit der Minnesinger, die romantische Bauzeit, die Zeit der Hohenstaufenkaiser - so dürfen wir keinen Augenblick übersehen, daß diese Epoche von Mitteldeutschland bis nach Italien und über den Wasgenwald hinüber nach Frankreich ein ausgesprochen Gemeinsames war. Aber wie die Kaiser dieser Epoche, eben die Hohenstaufen, Schwaben waren, so gehörte auch eine Reihe der vorzüglichsten Dichter demselben Stamme an - vielleicht die größte Zahl wirklicher Dichter, die damals überhaupt ein einzelner Volksstamm aufwies - und führt zum ersten Male zu der Erkenntnis, eine wie bedeutende und verbreitete dichterische Begabung unter den Sueven lebendig ist.

Das Gesamtbild der romanischen Stilepoche ist, ich wiederhole es, im ganzen frühmittelalterlichen Europa so einheitlich, daß von der herrlichen romanischen Bauzeit in Schwaben - ich nenne nur Alpirsbach, Denkendorf, Faurndau, Johanneskirche in Gmünd, Comburg, Maulbronn, Murrhardt, Sindelfingen - nicht als von etwas Abgesondertem zu sprechen ist. Aber in der lyrischen ritterlichen Dichtung gaben die schwäbischen Ritter den Ton an. Ohne das, was Schwabendichter zu ihr beigesteuert haben, wäre die wundervolle Frühblüte des Minnesangs nicht zu der Fülle und Schönheit gekommen, mit der sie uns noch heute beglückt.

Meinloh von Sevelingen (bei Alm), Kaiser Heinrich (VI.), der junge Konradin, der Hardegger, Burkhard von Hohenfels, der Schenke Konrad von Landegge und vor allem der als Liederdichter wie als Epiker gleich große Hartmann von Aue, der Sänger des "Armen Heinrich", sind einige der wichtigsten dieser adligen Sänger. Mit welcher Liebe sie an ihrem heimatlichen Schwaben hingen, das klingt uns am innigsten und schönsten [272] aus dem Gedicht entgegen, in dem der Landegger, als Kämpfer im winterlichen Frankreich stehend, sich in die Heimat sehnt. Es klingt so gegenwärtig - nicht anders als etwa einer unserer deutschen Kämpfer sich in den langen Weltkriegswintern heimgesehnt haben mag:

    "Immer muß ich denken,
    wie's jetzt sei am Rhein
    um den Bodensee,
    ob da auch kein Sommer mehr.
    Hier in Frankreich senken
    Nebel sich ins Land mit trübem Schein,
    und der Frost tut weh
    bei der Seine, Aisne und dem Meer.
    Diese Not hat's lang schon hier,
    alle Freud' ist daran krank.
    Aber Wonne, Vogelsang
    ist in Schwaben, träumt es mir.
    Dorthin sehn' ich mich
    zu der Liebsten, die so minniglich.
    Lieb und Glück und Gut
    wünsch' ich der, die ich da meine.
    Grüße bring' ich dar
    tausend wohl und mehr.
    Ich hab' Herz und Mut
    ganz vereinet an die Eine.
    Wo ich auch im Lande fahr',
    lockt nicht Liebes mich. Mein Herz bleibt schwer.
    Die viel Süße, Reine, die ich liebe, sie
    zieret Schwabenland.
    Hennegau, Brabant,
    Flandern, Frankreich, Picardie
    hat so Schönes nicht,
    noch so lieblich Angesicht."
                                  (Neudeutsch von Wilhelm von Scholz.)

Es gehört zu einem Bilde des mittelalterlichen Schwabens, diese Liederdichter, die freilich viel in Fahrt und Kreuzzügen von Hause fort waren, auf ihren waldumrauschten Burgen zu sehen. Frühling und Minne sangen sie und fast noch mehr als die Minne den Frühling. Wenn wir an die kohlenarmen Winter der Kriegs- und Nachkriegszeit denken, in denen jeder warme Tag ein Geschenk war, begreifen wir, wie diese Männer aus den kleinfenstrigen, dunklen, schlecht erleuchteten und schlecht beheizten Mauerkellern der Burgen sich in den Lenz und die Sonne hinaussehnten, wo für sie das Leben mit dem Frühling wieder freundlichere Gestalt annahm: da lockte sie die Jagd in Täler und auf Höhen, der Reihentanz auf die Blumenwiesen und die Liebesverschwiegenheit des dichten Laubes in die weiten Wälder.

Seltsamerweise war einer dieser Minnesänger ein Mönch, Heinrich Suso, der Prior des [273] Konstanzer Inselklosters. Nicht als mystischer Offenbarer und Prediger gehört er in die Reihe dieser alten dichterisch begabten Schwaben, sondern als Sänger einer göttlichen Minne, der an Kraft der Innigkeit und des beschwingten Wortes seinen weltlichen Standesgenossen nichts nachgibt. Suso, der in Überlingen Geborene, ist eben Schwabe, und immer hat der schwäbische Volksstamm vor allem lyrische Dichter von Rang hervorgebracht, von den Minnesingern an bis zu Hölderlin und Mörike. Wie neben der Kunst auch das Volkslied in Schwaben eine uralte Heimat hat, das bedarf keines Hinweises. Uhlands große Sammlung deutscher Volkslieder ist des ein schöner Beweis.

Man ist versucht, wenn man in einem Volksstamm eine solche besondere Begabung entdeckt, nach ihrer Ursache zu forschen, zu fragen, ob die Geschichte, die der Stamm durchlebte, oder die Landschaft, in der er siedelt, etwa geeignet sind, sie hervorzurufen oder sie zu fördern. Zunächst ist ja gewiß, daß die schwäbische Landschaft mit ihrer großen Vielfältigkeit auf engem, engstem Raum eine Überfülle der verschiedensten Naturstimmungen bereitet und erweckt; und daß sie dabei doch überall - selbst auf einsamen hingelagerten, fast heideartig gedehnten Albhöhen und in tannendunklen sturzbachdurchrauschten Schwarzwaldtälern - genau so eine lyrische Stimmung auslöst wie am Bodensee, im romantischen Donau- oder im idyllischen Neckartal. Gewiß ist, daß die Vielfältigkeit dieser Landschaft in all ihrer Lieblichkeit dem Lyriker eine Fülle verschiedenster Bilder gibt. Wir erkennen es besonders bei Hölderlin, daß der Dichter alle Landschaften der deutschen Erde hier sehen und erleben kann, selbst die klassische Sehnsuchtslandschaft Griechenlands. In seinem schönen Gedicht "Die Teck" findet Hölderlin sogar das Heroisch-Große in der schwäbischen Natur und läßt es über das Liebliche emporwachsen.

Die Halbinsel Wasserburg am Bodensee.
[277]      Die Halbinsel Wasserburg am Bodensee.

Aber so sehr auch die schwäbische Landschaft die Lyrik fördert und unterstützt - zeugen kann landschaftliche Schönheit die Begabung in der Seele des Volkes doch wohl nicht. Und ich glaube, wir müssen es ohne Erklärung als ein Letztes nehmen, daß Schwaben nun einmal erfüllt ist von Lied und Lyrik; daß das besinnliche Wesen der Männer, die dem Sprichwort nach erst mit dem vierzigsten Jahre gescheit werden, ein langes, die Jugend durchdauerndes dichterisches Träumen ist, das eben Jahre braucht, um im irdisch-nüchternen Sinne zu praktischem Verstand zu kommen. Das macht die Schwaben empfindungs- und humorvoll, läßt sie zu phantasiereichen Erzählern werden und legt ihnen gute schlagende Sprichwörter in den Mund. Die schwäbischen Dichter haben immer mitten in ihrem Volkstum gestanden, das wieder als Ganzes ein sinnendes, betrachtendes, gemütstiefes Verhältnis zum Leben hat - wie der Dichter.

Schillers Geburtshaus in Marbach.
[273]      Schillers Geburtshaus in Marbach.

Blick auf das Münster von Ulm.
[276]      Blick auf das Münster von Ulm.
Mir will scheinen, als ob auch die schwäbische Schule in den bildenden Künsten - Zeit- [274] blom, Syrlin, der unbekannte Meister des Hochaltars zu Blaubeuren und die anderen - ein verwandtes irgendwie als lyrisch zu bezeichnendes Lebensgefühl in sich trage und dem Beschauer mitteile. Aber freilich sind solche gefühlsmäßigen Feststellungen unbestimmt, zweifelhaft und anfechtbar. Wir stehen da auf festerem Grunde bei den Poeten, von denen einer, Hölderlin, zu den großen lyrischen Menschheitsdichtern gehört, wenn er auch vielleicht durchaus unübersetzbar ist und im wesentlichen nur von Deutschen gelesen wird, von Deutschen gesprochen werden kann, unter denen Mörike wie ein seliges Nachleuchten Goethes erscheint, während in Schubart die große herrlich aufrührerische Flamme zu brennen begann, die bei seinem jüngeren Zeitgenossen Schiller feurig lodernd ins Drama schlug und gleichzeitig das mächtige helle Strahlen des deutschen Idealismus entfachte. Uhland, Kerner, Schwab, Hauff, Vischer, Kurz - es ist eine Namenreihe von Rang, die der ersten Blütezeit schwäbischer Dichtung, den Minnesingern, nicht nachsteht.

Nur einer der schwäbischen Dichter, der in seiner Lebenszeit zu den allerersten Männern der Literatur gehörte und von dem auch jetzt noch namentlich seine Prosa verdiente, gelesen zu werden, ist uns Heutigen weniger gegenwärtig, und vor allem nicht, wie jene anderen, gerade als Schwabe bewußt. Denn er hat als literarische Erscheinung kaum einen ausgesprochenen Zug seiner Heimat bewahrt, und trotzdem er mehrere Stilperioden durchlief, lebt er für uns ganz von Grazie und Rokokoanmut umgeben: es ist Wieland, der aus Biberach im schwäbischen Allgäu stammt, aber für unser Gefühl nur in das Goethesche Weimar gehört.

Vielleicht muß man, um Schwaben - das natürlich heute zu seiner alteingesessenen Kultur auch ein wichtiges Industrieland geworden ist - zu kennen, einmal in einem seiner alten Städtchen eingekehrt sein: in dem gelehrten Tübingen - das mit seinen Gassen voller Fachwerkhäuser, seinem Schlosse, seinem Uferhöhenzug, seinen Weinbergen sich nicht anders ausnimmt als die anderen ungelehrten Städte Schwabens auch und viel bescheidener dreinschaut als das stolze Ulm mit seinem Münster oder gar Stuttgart mit neuem und altem Schloß, den vielen staatlichen Gebäuden und dem reichen Villenkranz auf seinen Höhen - oder in Eßlingen, in Gmünd, Ravensburg, Schorndorf, Reutlingen oder wo sonst immer.

Tübingen.
[271]      Tübingen.


Die Weißenhof-Siedlung oberhalb Stuttgarts.
[278]      Die Weißenhof-Siedlung oberhalb Stuttgarts, ein Beispiel moderner Siedlungsarchitektur.


[275] Ein Neckarstädtchen soll uns zu kurzem Besuch locken! Nach strengem langem Winter, der aus kaltem Himmelsgrau immer wieder wirbelnde Flockenscharen über die längst frühlingsbereite Erde sandte, sind plötzlich und unvermittelt die ersten sonnigwarmen Tage gekommen und leuchten grell über einem kahlen, nackten Lande. Sie haben den brachen Boden so schnell erwärmt wie die dürre kurze Grasnarbe, wie selbst den alten leblosen Steinkern, der da und dort aus der Erdkrume hervorlugt.

Braune Hügel mit Terrassenstufen, Treppeneinschnitten und den geordneten Reihen der gebogenen Reben begleiten den gewundenen Fluß, der an ihrer Wand immer wieder umwendet, immer wieder ein Stück in seine Vergangenheit zurückzufließen scheint, ehe er sich auf seinen weiten Weg durchs Land zum Meer besinnt. Wo das sonnenglitzernde ziehende Wasser vom Fuße der Berge und der weißen Landstraße, die ihn begleitet, zurückweicht, macht er Platz für Riedland, das schon freudiger grünt. Da steht in Gruppen zerstreut auf viereckiger Grasfläche eine Schar durch das Abschneiden der Ruten grotesk verstümmelter, zu fast menschlichen Gestalten verwandelter Weiden, die der Weinbau braucht - der schmiegsamen jungen Zweige wegen, mit denen die Reben angepflöckt und gebunden werden.

Eine Mauer von Felsenzinnen steigt aus dem Steilabfall der Weinberge. Strecken rauher Ackererde schließen auf der Höhe der Böschung mit sanfter Steigung an. Ein Pfluggespann fährt vor dem mattblauen Himmel über die Kammscheide, Wiesen, mit Obstbäumen bestanden, ziehen sich weiter zum kahlen Wald, über dem neben einigen gedeckten Rücken ein lichtferner Bergkegel ragt.

Inmitten all dessen, im Tal, vom Fluß umwunden, der hier ein Nebenflüßchen aufnimmt, liegt die Stadt. Fast eine Insel, die nah und fern Wasserwerke und Brücken umgeben, lagert sie auf ihrem halbhohen Hügel, zu dem die Uferberge schützend hinabschauen: ein paar alte Türme und viele Giebel, ein ansteigendes Dächergewirr, aus dem da und dort eine einzelne hohe Hauswand frei aufsteht, um mit ihren Fensteraugen weit ins Land zu sehen.

[276] Einstmals war die Stadt in dieser Lage ein geschützter fester Platz. Von den zwei Flußläufen und auf den Landseiten durch Steilabfall geschützt, hatte sie nur eine gefährdete Seite, die man durch einen tiefen Graben sicherte. Noch läßt ein Straßenzug die ehemalige feste Stadtummauerung erkennen, die teilweise zum Fundament der Häuser benutzt wurde oder friedlich Gärten und Lauben trägt. Noch stehen ein paar graue Rundtürme und ein Wehrgangtor. Zwischen ihnen liegt das Netzgewirr der ansteigenden und fallenden, geraden und krummen, ausweichenden und sich verschlingenden Gassen und Gäßchen. Sehr alte Fachwerkhäuser, an denen Maiskolben hängen, stehen eng in die Straße hinein und drängen ihre vorgekragten oberen Stockwerke sogar noch über die Straße hinaus; wo eine Wegbiegung einem Hause die Ecke wegnahm, kommt im höheren Geschoß, das wie ein Erker überhängt, doch das alte Hauseck, das der rechteckige Grundriß vorsah, zu seinem Recht und stößt vor, wirft einen länglich-spitzen Schatten auf die abgeflachte Ecke und das Blumenfenster, das aus dem Mauerschatten heraussieht.

Der Marktplatz in Stuttgart.
[278]      Der Marktplatz in Stuttgart, ein Stück alter deutscher Stadtbaukunst.

Ein breit hingelagertes einstöckiges Schulhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert mit einer flachen, nach drei Seiten ausladenden Freitreppe schiebt sein wohnliches Mansarddach zwischen die malerischen alten Häuser und Winkel, schafft Platz um sich, auf dem Kinder spielen, und läßt einen Augenblick an eine andere Kulturzeit denken; man sieht einen schwäbischen Schulmeister oder Pfarrer des achtzehnten oder frühen neunzehnten Jahrhunderts vor sich, der von der Hohen Schule Bildung und Interessen in den ländlichen Frieden seines Berufes mitgebracht hat und nun unter den Bürgern und Bauern des kleinen abgelegenen Städtchens neben seiner Amtstätigkeit ein geistiges Leben führt, das nicht mehr ganz die Berührung mit den großen Bewegungen und Strömungen der Zeit verliert und sich in seiner Tiefe am Ewigen erbaut.

Kirnbacher Bauernpaar.
[269]      Kirnbacher Bauernpaar.
Und dieser Schulmeister, der auch heute leben kann, ist dennoch nicht von den Bewohnern der anderen Häuser sehr unterschieden, versteht sich aufs Beste mit ihnen, trinkt seinen Schoppen Rotwein am selben Tisch mit den bäuerlichen oder handwerklichen Nachbarn und hört aus ihren Reden und Sprüchen eben den Geist - wenn auch derber, ungehobelter gesagt - heraus, mit dem er sich über seiner Umgebung weit verbunden weiß: den einer halb humor-, halb weisheitsvollen, dem dichterischen Wesen verwandten Betrachtung des Lebens.

Je mehr man sich in die Aufgabe, Schwaben zu schildern, hineinbegibt, um so größer, umfänglicher wird sie; um so mehr wächst die Fülle dessen, was man noch nicht behandelt hat, und steht wartend, fast anklagend vor dem bedrängten Verfasser. Noch habe ich von [277] Monrepos, Solitude, Ludwigsburg, Freudenstadt und von so vielem anderem Schönen kein Wort gesagt. Noch habe ich die industrielle Entwicklung - die Uhren im Schwarzwald, die Metallwaren in Heilbronn, die Daimlermotoren in Untertürkheim, die Webereien in Vaihingen und die tausend anderen - kaum mit einem Wort gestreift. Aber ich muß vor dem immer wachsenden Thema die Waffen strecken und möchte mit meiner Schilderung nur noch einen kurzen Augenblick dorthin zurückkehren, von wo sie ausging, nach Rottweil. Ich führe den Leser noch einmal in das Museum, in dem das ganze Schwaben, das geschichtliche und das künstlerische und das volkstümliche - dies vor allem mit prachtvollen Fastnachtsmasken und -gewändern - beisammen ist.

Von den ältesten Gräberfunden über die Reste der Römerzeit und die holzgeschnitzten gotischen Heiligen mit ihrem starren Festhalten unmittelbarster Lebensmomente geht der Blick zu den Glasscheiben aus der Renaissance mit dem farbenschwebenden Raum in sich, zu Kaiserurkunden mit dem verschlungenen machtvollen Namenszug Karls V., die friedlich neben denen Wallensteins und anderer Heerführer aus dem Dreißigjährigen Kriege hängen. Vergangenheiten, die unser Auge aufschließen für die Gegenwart. Sie lastet auf uns allen; darum mag man in geschichtlichen Zeiten, die auch nicht immer hell waren, ein Verstehen und ein Überwinden für das Heute finden.

Unter einer alten Linde steht ein rotsandsteinerner Hofgerichtsstuhl aus dem Rokoko, auf dem der Abgesandte des Wiener Kaiserhofes saß und Gericht hielt. Vergangenheit auch er. Nicht minder Vergangenheit das württembergische Königswappen da und dort an den alten Amtsgebäuden.

[278] Man steht sinnend still und macht sich klar, daß in diesem Museum und hier draußen auf Markt und in Gassen der Blick über zwei Jahrtausende hingegangen ist, in denen immer wieder das eingeborene Leben des Landes schlimme Zeiten überwand und zu blühen begann. Das soll uns Hoffnung und Vertrauen geben! Der Druck, der jetzt noch auf der deutschen Seele liegt, hebt sich, vielleicht zaghaft erst, aber er hebt sich, wenn sie fragt: wo sind die Römer, die Hungersnöte, die Kaiserheere, die großen Seuchen, die Franzosen, die Schweden? Wohin all die äußeren Mächte, die jede sich einmal drückend hier auf das Leben des landverwachsenen schwäbischen Volkes legten? Wohin? Immer wieder mußten sie vor der sieghaften Kraft des Bodens und des Volkes weichen! "Die fremden Eroberer kommen und gehen." Aber die Schwaben sitzen heute wie ehemals auf ihrer Scholle.

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Das Buch der deutschen Heimat, besonders die Kapitel
      "Der Bodensee", "Stuttgart und Karlsruhe" und "Streifzug durch Schwaben".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.