[256]
Baden
Hermann Eris Busse
Vom Bodensee zum Main streckt sich das Badnerland, lang, schmal an das
silberne Rheinband geschmiegt und dunkel gescheitelt durch den Zug des
Schwarzwaldes und seiner Ausläufer. Alle landschaftlichen Stimmungen
sind über die Oberfläche gebreitet, zwar in gartenhaft
kleinräumiger Wirkung hier und da, doch in ihrer Gesamtheit so
wechselvoll, so kühn zusammengestellt, daß man sie als Musterkarte
der Schöpfung bezeichnen könnte. Schon in grauer Vorzeit
muß das Gebiet zur Besiedlung gereizt haben, zur Ausbeutung seines
Reichtums, denn heiße, landgierige Völkerkämpfe fanden statt
um seinen Besitz. Nach den bergbaukundigen Kelten setzten sich die
eroberungssüchtigen Römer im Schwarzwald und in der Rheinebene
fest, unterjochten und verdrängten die starken keltischen Stämme
und blieben 200 Jahre Herren dieses Gebietes. Römische Kultur machte
sich mit Eifer das Land zunutze. Die Schätze der Berge, die Fruchtbarkeit
der Ebene, der Wasserreichtum der Flußtäler und die Heilwirkung der
heißen Quellen waren verlockend genug zur Seßhaftigkeit. Bequeme
Villen, schöne Straßen, Festungen, Theater und Thermen entstanden.
Der Römer war wohl im Einwurzeln begriffen, als die
Völkerwanderung ihren merkwürdigen Zug nach Süden
einschlug. Da überfluteten die Alemannen den Limes und brachen mit
wilder Kraft unaufhaltsam ins Land. Sie scheuchten alles Römische
über die Alpen zurück und nisteten sich ein so fest und wehrhaft,
daß es den nachflutenden Franken nicht gelang, sie weiter als bis zur Oos
ungefähr zurückzudrängen. Beide Stämme bewohnen
seit dieser Zeit das Gebiet, das Grenzland Baden, das im Umriß die Form
eines eleganten Reiterstiefels zeigt. Alemannen und Franken sind in ihrer Eigenart
so verschieden, daß ihre Vereinigung unter eine Herrschaft ein Experiment
schien, als Napoleons I. mächtige Herrschergebärde sie zu
einem Staat endgültig zusammenschmolz. Die Geschichte, nothafte Zeit,
begünstigte den Zusammenschluß der kleinen Staaten, sie
fühlten sich stärker und in erster Linie als Deutsche. Vielleicht waren
es auch gerade die Gegensätze des Temperaments, die die beiden
Stämme zu einer Einheit ohne große Reibungen
zusammenschweißte. Zugleich störten sie einander auch nicht in
ihren täglichen Interessenkreisen, ja sie arbeiteten Hand in Hand, durch die
landschaftlich bedingten Lebensverhältnisse dazu gezwungen.
[257]
Der Schwarzwald. Blick vom Hochkopf.
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Im Laufe der Zeit wirkte die Landschaft so tief auf ihre Bewohner ein, daß
sich selbst innerhalb der Stämme besondere Charakterzüge
herausbildeten. Die Schwarzwälder Alemannen, die als
bäuerliches Volk einsam auf den dunklen Bergen leben und Ackerbau
treiben und reiche Viehzucht auf den würzigen Bergweiden, haben ein
ernstes, verschlossenes Wesen. Sie wohnen oft weit von der Bahnlinie weg in
kleinen, [257]
zusammengedrängten Gemeinden rund um eine Kirche herum. Die
Großbauern sitzen meist stundenweit entfernt auf Einödshöfen,
auf Zinken und in Talmulden. Das Land ringsum gehört ihnen, reiche
Tannenwaldungen, wenig Ackerland und ausgedehntes, kurzgrasiges Weideland.
Von Pfingsten bis zum ersten Schnee klingt das Geläut der Herdenglocken
durch die Luft. An altem Brauch hält der Bauer fest, feiert gern, eher jedoch
mit herber, zäher als mit übermütiger Freudigkeit. Er lebt karg
und eintönig, spricht wenig, grübelt und sinniert viel in sich hinein,
namentlich über Religionsdinge. Merkwürdig ist der
kaufmännische Sinn des Schwarzwälders, er handelt, und sei es auch
nur ein Tauschhandel, mit Vieh und Tauben. Die langen Winterabende verlockten
ihn früh schon zu allerlei Basteleien. Er flocht Stroh zu Hüten, malte
Trögle und Glasbilder, am liebsten schnitzte er Gegenstände
für den täglichen Gebrauch. So entstand die Schwarzwälder
Holzindustrie, die ganze Schneflergemeinden beschäftigte. Als ein echter
Bastler eine im Ausland gesehene Uhr nacherfand, wurde der Grund zu einem
Handel gelegt, der die ganze [258] Welt eroberte.
Wohlstand kam dadurch in die wenigen Städte und Gemeinden des Waldes,
nach Furtwangen, Triberg, Hornberg, Lenzkirch, Neustadt, St. Georgen
u. a. m.
Das Urbauerntum ist auf den Höhen bis heute noch kaum angetastet
worden. Sie tragen noch ihre Tracht, wenigstens die Frauen, sie haben
patriarchalische Familienverwaltungen, sie
heiraten - oft schon in der Wiege versprochen - wie die
Fürsten. Die Notzeit greift jedoch auch hier die sachliche wie die seelische
Substanz an. Schwarzwaldhöfe sind ein Stück der Landschaft, mit
Stroh- oder Schindeldächern wie mit ungeheuren Hauben bedeckt, an
Berglehnen errichtet, wind- und schneegeschützt. Traumhaft liegt das Tal
mit braungoldig sprudelndem Bach zu ihren Füßen, ernst und steil
ragt der Wald hinter ihnen empor. Von seinem hohen Kamm aus sieht man
ringsum das gewaltig zusammengeschobene Heer tiefdunkler Bergrücken,
darüber wie Wächter ragen Feldberg, Belchen, Blauen,
Herzogenhorn. An klaren Tagen gleißen im Süden die
Gletscherzacken der Schweizer Alpenkette in den Horizont. In Mulden, feierlich
von straffem Forst umstanden, liegen die Bergseen: Feldsee, Schluchsee, Titisee,
Mummelsee, die unergründlich tief erscheinen, und um die der Volksmund
dämonische Geschichten bewahrt und schwermütige Sagen. Im
kärgsten Teil des südlichen Schwarzwaldes, gegen den Rhein zu,
hausen die Hotzen oder Hauensteiner, ein starkes, starres Volk, das durch seine
Salpeterkriege bekannt wurde. Durch Heimarbeit am Webstuhl verdient der Hotze
seinen Unterhalt, denn der hohe Wald ist dort unwirtlich wild, gegen den Rhein
[259]
Fastnacht im Schwarzwald. In Villingen
wird der "Narro mit dem Holzschwert" gefeiert.
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hin von den engen romantischen Schluchten der Alb, Wehra, Wutach, Steina und
Schlücht durchrissen. Diese Landschaft erzog ihre Siedler zu
windverharschten Wetterkiefern, die zäh und unbeugsam allem trotzen, was
gegen sie ist. Der südliche Hochschwarzwald geht im Osthang gemach in
die Hochebene der Baar über, die Landschaft mit den Städten
Donaueschingen und Villingen, ein reiches Kornland in guten Jahren, im langen
Winter aber allzu rauhen Ostwinden ausgesetzt, bitter kalt und im Sommer oft
katastrophal wasserarm. Die Baar, die Wiege der Donau, hütet heimliche
Schönheiten, wenn im Lenz, der rasch einzieht und rasch im Sommer
aufgeht, die duftigen Stimmungen über der Wasserburg Pfohren,
über wildentenreichem Bachnetz ruhen. Der Baaremer sagt selbst von
seinem Land, es sei drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt. Aber er ist
sonst kein mürrischer Kauz, sondern ein aufrechter, hochgewachsener
Bauer, still und herb wie sein Land, an Festen von ausgelassener
Fröhlichkeit. Fastnacht spielt im Volksleben eine große Rolle,
besonders in Villingen. Da läßt der Baaremer seiner Lust an
treffendem Spott die Zügel schießen.
Je nördlicher der Schwarzwald zieht, um so lichter wird sein Charakter.
Das Kniebis- und Hornisgrindegebiet und die Badnerhöhe zeigen nochmals
kräftig geformte Gebirgsmassive, dann läuft er in das
Hügelland hinein und zugleich in fränkisches Land.
Das Volk in der Ebene ist durchweg beweglicher, körperlich und geistig.
Die Heiterkeit der fruchtbaren Landstriche längs des Rheins und an den
Ufern des Bodensees wächst dem Bewohner ins Blut. Die weite
Fläche des schwäbischen Meeres mit den lebhaften Farben
über dem Wasser, den wechselnden Stimmungen von ruhigem,
sonnbestrahltem Spiegel zu übermütig tänzelndem
Wellenspiel, zu sehnsüchtig verschleierter Luft oder zu kräftig
aufgewühlten Schaumkämmen zeigen dem Seehafen
geschöntes Symbol des Lebens. Ein Segel schwimmt am Horizont, er
träumt ihm nach. Eine Möwenschar [259=Foto] [260] kreischt
wonnig über einem Schwarm Laugelegumper, er bewundert ihren Flug. Ein
Dampfschiff bringt Fremde, er freut sich des Gewinns, der
verhältnismäßig leicht in seine Tasche rollt. An den
Hängen blüht der Wein und macht ihn übermütig. Der
Bewohner des Bodensees hat in vielem Ähnlichkeit mit dem Italiener der
Lombardei; er ist gemessen temperamentvoll, kaufmännisch klug und vor
allem ein Freund des gleichmäßig heiteren Lebensgenusses. Ein
Schuß schweizerischer Bürgerlichkeit gibt namentlich dem
Konstanzer die gewisse ansehnliche Grandezza. Zugleich mißt der Seehase
gern seine Spottlust an den Schwächen des lieben Nächsten, oft an
ganzen Ortschaften. Was müssen allein die Sipplinger über sich
ergehen lassen wegen ihres sauren Weines. Am besten geschliffen scheinen die
Überlinger und Meersburger Zungen zu sein, kein Wunder, da doch der
herbe Seewein sie würzt. Ist der Baaremer bei seiner Fastnacht schon aus
seinem Alltagsrock geschlüpft, so fahren die Überlinger und die
anderen Seebewohner aus der Haut vor Übermut. Sie tollen schier acht
Tage lang, und am Aschermittwoch gehen sie zum Schneckenessen. In den
Gäßchen wird es dann still, der Spuk ist verschwunden. Der bleiche
Mond wirft silberne Bänder über den See, aschgrau ragt die
Meersburg; auf vorspringender Zinne buckelt sich ein großer schwarzer
Kater. Föhn bläst brodelnd die Seestraße entlang, und
frischgeflickte Fischnetze zum Felchenfang wehen wie Gespenster über den
Gartenzäunen.
Der Hegau grenzt an den See. Gleich hinter der alten Hafenstadt, dem
stolzen Radolfzell stülpen sich aus leicht gewellter Erdoberfläche
unvermittelt Berge auf wie Blasen aus kochendem Brei: Hohentwiel,
Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohenhöwen und Mägdeberg.
Sie sind vulkanischen Ursprungs. Ihre Basaltkegel tragen Ruinen von trutzigen
Burgen, wehrhafte Ritter wohnten da und ritterliche Minnesänger. Der
Hegauer liebt sein Land, am meisten seine sonderbar steilen Berge, die nur von
einer Seite bestiegen werden können. Er liebt sie um so mehr, als er sich
neuerdings kräftig um sie wehren muß, denn Steinbruchbetriebe
tragen sie buchstäblich ab. Im Grunde gleicht der Hegauer dem Seehasen,
nur ist er vielleicht ernster. Er nennt sein Land mit Stolz auch Scheffelland und
verehrt den Dichter und Lobpreiser des Heimatgaues und des edlen Hohentwiel so
wie der Markgräfler seinen Hebel, der Kinzigtäler seinen Hansjakob,
der Pfälzer seinen Nadler.
Der Markgräfler wohnt im Rheinknie. Er ist neben dem Hotzen
der heute noch urigste Alemanne, und seine Mundart wurde durch Johann Peter
Hebel klassisch und wird durch Hermann Burte neu geweckt. Rebland, Webland,
Waldland umschließt die obere Markgrafschaft. Rebland an den
geschützten, sonnigen Westhängen des Schwarzwaldes, Webland im
Tal der Wiese, wo die hohen Schornsteine ragen, Waldland, wo die Trabanten des
Feldbergs und des Blauen gehügelt ruhen. Der Markgräfler ist von
Grund auf ein starker, großer Menschenschlag, geistig sehr rege.
Selbstherrlich und selbstbewußt geht er durch die Geschichte. Er hat viel
Brandschatzungen, Kriegsnöte mitmachen müssen, wie alle
Völker längs des umstrittenen, uralten Kulturgebietes am Rhein.
Reichtum und Fruchtbarkeit der Scholle boten dem Markgräfler immer
wieder die Möglichkeit eines raschen Wiederaufblühens. Er
hängt mit Seele und Sinnen an der schönen Heimat, er besingt sie
gern in mundartlichen Reimen, und es gibt wohl überhaupt keine badische
Landschaft, die so oft und selbst von einfachen Rebbauern in der "Muettersproch"
gefeiert wird. [261] Sie sind zumeist
Lyriker mit tiefem religiösem Einschlag, protestantisch im Gegensatz zum
überwiegend katholischen Seehasen, dessen Konstanzer altes Bistum mit
den großen Konzilien ehrwürdig geschichtlich noch den dortigen
Geist beherrscht. Der Markgräfler, sonst heiteren, auch kampflustigen
Gemüts, ist sehr überlieferungstreu, ein gut geprägter
Stammestyp. Daher kommt auch wie beim Wäldler das Festhalten am alten
Brauch, am "Fasnetfüür" und "Scheibenschlagen" zum Beispiel und
an der Frauentracht, vorab der Hörnerkappe oder Flügelhaube, die
weit langsamer schwindet als im Mittel- und Unterland. Die Nachbarschaft des
noch weniger biegsamen Schweizer Alemannen hat wohl viel Einfluß auf
die Reinhaltung des Volkstums von fremdem Wesen.
An die obere Markgrafschaft schließt sich der Breisgau, der
"preißliche Gaue" an. Ihn beherrscht Freiburg, die Stadt mit dem
gotischen Münster, der Herrlichkeit eines Erzbischofssitzes und der
bedeutenden Wirksamkeit der Universität. Freiburg liegt am Eingang einer
der merkwürdigen Einbuchtungen der Rheinebene in den Schwarzwald, die
an ihrem Ausgang mit Emmendingen schließt. In solch einer sanft
gehügelten Bucht liegt auch wie eine hohe Insel der Kaiserstuhl, das
vulkanisch emporgeworfene Gebirge, dessen höchste Erhebung
557 Meter ü. M. liegt. Auf Lößterrassen gedeiht
der Wein feurig und edel. Seltene Pflanzen und Tiere leben dort: schöne
Knabenkräuter, riesige Smaragdeidechsen. Zur Zeit der
Obstbaumblüte wogt über die Hänge ein einziges Meer
schneeiger Kirsch- [262] blütenpracht.
Breisach, ehemals "das Ruhekissen des heiligen deutschen Reiches", liegt auf
steilem Fels, am südlichen Ende des Gebirges, und auf Felshöhen
dem Rhein entlang ruhen die Burgruine des Lazarus Schwendi, über
Burkheim, dem alten Städtchen, die steile Sponeckburg, heute in
Künstlerbesitz, von der man in märchenhaft verträumte,
schwermütige Rheinwasser und -wälder schaut, wo die Schnaken
millionenweise geigen und Nachtigallenchöre hundertfach hallen, und dann
die alte, sagenumwobene Ruine der Limburg, in deren Kemenate Rudolf von
Habsburg geboren wurde. Am Kaiserstuhl finden sich Spuren ältester
Besiedlung. Die Menschen haben ein seltsam heimlich glühendes Blut, man
sagt, es käme vom Wein, der auf jäh erschöpftem Boden
wächst, vulkanisch feurig. Daher sei der Kaiserstühler mitten im
Fröhlichsein oder Stillsein aufspringend zornig und rasch.
Der Breisgau geht in die Ortenau über mit den Städten Lahr
und Offenburg. Dieser Gau ist gleichfalls als Rheinland zwischen Strom und
Schwarzwald geschichtlich bewegtes Gebiet, dessen Not im
Dreißigjährigen Krieg uns Christof von Grimmelshausen im
Simplizissimus schilderte, und dessen 48er Jahre Heinrich Hansjakob in seinen
Erzählungen erstehen läßt, namentlich in der Geschichte des
Bauernfürsten Andreas Harter, des "Vogtsburen" von Haslach. Vom
Schwarzwald herab eilen viele Flüsse dem Rhein zu, wild und
unbändig tollen sie über Gebirgsblöcke, zackiges Felsgestein,
bilden Wasserfälle und Staubkaskaden, bis sie in die Rheinebene kommen.
Dann fließen sie gemächlich, zuweilen wie zögernd in
großen Windungen in den Strom. Auf größeren Flüssen
trieben früher in mächtigen Flößen die Bauern und
Holzherren kräftige Stämme in den Rhein und hinab zu den
großen Schiffsbauwerften nach Holland. Von den Schwarzwälder
Flößern, einem eigenartigen stolzen, wortkargen, kühnen
Mannesstamme, gehen heute noch viele Geschichten im Volk um. Die Kinzig
wurde besonders zum Floßverkehr ausgenützt. Die
Flößerzunft war wohlhabend und geachtet, mehr noch die der
Holzherren in den Städtchen Wolfach, Hausach, Haslach u. a., und
die Bauern mit ihren riesigen Waldungen herrschten mit fürstlicher
Selbstherrlichkeit auf ihren weltentlegenen Höfen. Der Stolz ehemaliger
Geltung steckt noch heute in den Kinzigtälern. Dort ziehen selbst die
Männer noch zuweilen ihre schöne Tracht an mit der roten Weste
und dem langen Schoßrock.
In der Ebene werden Handelspflanzen angebaut, viel Tabak, vorab im
Hanauerland, um die Brückenstadt Kehl. Die Leute haben
kaufmännischen Geist; der durch den genialen Ingenieur Tulla in seiner
Schiffbarkeit geregelte Rheinstrom lockert die Seßhaftigkeit des
zähen Volkstums auf. Fremdes gewinnt Einfluß, immer mehr schleift
sich Alemannisch-Urtümliches ab. Getreide- und Obstbau gehen Hand in
Hand mit schwunghaftem Handel, die "Bühler Zwetschgen" eroberten sich
gar die Welt.
Das Hanauerland am Rhein mit seinem lebensfreudigen, hochgewachsenen
alemannischen Bauernstamm richtet sich nach dem mahnenden Zeigefinger des
Straßburger
Münsters, dem westlichen Wahrzeichen der deutschen
Seele, wie überhaupt Straßburg selbst das A und O der Ortenauer
war.
An der nördlichen Grenze der Ortenau beginnt schon der fränkische
Einfluß, mehr aber eigentlich der Einfluß der großen
Städte wirksam zu werden. Die Badeorte des
Kniebis- [263] gebietes mit ihrem
wechselnden Publikum, vor allem aber die Weltkurstadt
Baden-Baden, ziehen so viel Fremdes in ihren Bereich, daß das wesentliche
Volkstum von Generation zu Generation mehr schwindet.
[261]
Blick auf Baden-Baden.
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Das schöne, wilde Murgtal im letzten Glied des badischen
Schwarzwaldes trennt geographisch die Alemannen von den Franken. In den
spärlichen Siedlungen um die Hornisgrinde herum wohnen noch echte
Schwarzwälder Eigenbrötler, freilich mehr schwäbischen
Einschlags. Aber in den Ortschaften der Ebene vor
Baden-Baden beginnt die Eigenbrötlerei rasch abzunehmen. Große
wohlhabende Dörfer, zahlreich besiedelt, die zum größten Teil
aus echter Bauernschaft bestehen, reihen sich schmuck aneinander. Die saftige,
satte Scholle nährt gut. Der Bauer handelt mit seinen Erträgnissen in
den Städten Baden-Baden, Rastatt bis Karlsruhe und Mannheim hinunter.
Die Felder sind sorgfältig bebaut. Fabriken unterbrechen die
köstliche Stimmung über dem gesegneten Land am Rhein.
Leichtlebiger ist der Menschenschlag als auf den Schwarzwaldhöhen. Das
bringt die Landschaft mit sich. Das lebhafte Temperament des Franken bricht aber
erst hinter Karlsruhe rein auf. Die ruhige, stete Entwicklung dieser Gegend, vor
allem der Residenz, unter der Fürsorge und Pflege der Markgrafen und
Großherzöge, das sichere Auskommen, erzog die Leute dort zu
behäbigen und stolzen Bürgern. Eine gewisse
Bedacht- [264] samkeit bei der
Redseligkeit macht auch die Mundart breit und lässig. Sie paßt sich
dem Wesen der Menschen an. Die Menschen sind ehrlich und offenherzig wie ihr
Land, das keine verborgenen Schönheiten hat, sondern weit und klar
ausgebreitet ist, das am östlichen Rande in liebliches Hügelland
übergeht.
[263]
Alt-Heidelberg. Der Ottheinrichs-Bau.
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Je weiter man nach Norden kommt, um so lebendiger werden die
Siedler. Die Heidelberger, die sogenannten "Neckarschleimer", die
Pfälzer "Krischer" lassen einem raschen, witzigen, oft spitzzüngigen
Temperament die Zügel schießen. Ihre Sprache singt in seltsamem
Rhythmus weich und behend. Sie sind geistvoll in gesellschaftlichem Sinne,
d. h. an der Oberfläche der Dinge, doch allzeit hilfsbereit. Ihr
rasches, eindrucksbuntes Erleben läßt ihnen keine Zeit. Sie
schwärmen gern, sind schnell begeistert, leicht sentimental. Derber gestaltet
ist dann schon der Mannheimer. Er steckt nicht mehr inmitten
prachtvoller Landschaft, die sich im Neckartal mit vielen Burgruinen über
rauschenden Wäldern romantisch gebärdet, er ist in die betriebsame
Welt des Handels gestellt. Klug muß er sein, ja gerissen und schnell
entschlossen. Er darf den Mund voll nehmen, daß man ihn hört, er
muß laut sein, überredend. Seine Art kennt keine
Gemächlichkeit. Er versteht das nicht. Langsame Leute hält er gern
für dumm. Zu großem Lobe muß dem Mannheimer indessen
seine kulturüberlieferte Liebe zu den Künsten gereichen, vorab zu
Theater und Musik. Die Lebenslust des Franken am Rhein, des Pfälzers, ist
unausschöpflich. Sie treibt zur ausgeprägtesten Geselligkeit in
unzähligen Vereinen. Es ist immer etwas los.
[265]
Walldürn im Odenwald.
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Im nördlichen Baden erhebt sich nochmals ein Gebirgszug, der
Odenwald. Er zerfällt in zwei gänzlich verschiedene
Gebiete, den fruchtbaren Teil des Urgesteinbodens mit wechselvoller Landschaft,
der gesegneten Bergstraße mit den Weinorten Schriesheim, Weinheim, und
in das Gebiet des Buntsandsteins mit öden, kaum zum Feldbau
fähigen Flächen, das oft auch steilhangig und zerklüftet
abfällt. Es ist im Gegensatz zum fruchtbaren Odenwald karg besiedelt von
den als bitterarm und eigenbrötlerisch bekannten Odenwälder
Franken, die in manchem Wesenszug natürliche Ähnlichkeit mit dem
Hochschwarzwälder, namentlich mit dem Hotzen haben.
So wie sich an der Südgrenze Badens im Rheinknie das Alemannentum fast
rein bewahrt, so stößt man auch im sogenannten badischen
Hinterland auf urfränkische Stammesart im
Tauber-, Jagst- und Maingrund. Der Ostfranke hatte unsäglich
viel unter Kriegen zu leiden, da das Land fruchtbar war und gutes
Kriegsgelände hatte. Das machte die Menschen scheu, vorsichtig,
zurückhaltend, obgleich sie an sich heiterer, mitteilsamer Natur sind.
Jahrhundertelange Plage formte jedoch die Seelen zu wägendem Ernste um.
Ihr Sinn richtet sich vorwiegend auf die praktischen Lebensbedürfnisse, ihr
ausgedehntes, ertragfähiges Ackerland erfordert fleißige Pflege. Es ist
das Land des mäßig begüterten Bauern. Es gibt im Bauland, da
es ein Bauernland ist, keine größeren Städte, aber
gemütliche, biedermeierliche schmucke Amtsstädtchen. Mehr als
sonst im Badischen, abgesehen vom Breisgau und den Bodenseegestaden, drang
die christliche Kunst der Klöster und Fürstbischöfe ins Volk
und seine Siedlungen. Das Frankenland ist ein Madonnenland. Das Zeitalter
weltlicher und geistlicher Prunkliebe, das Barock, hat hier herrliche Beispiele
überliefert. Neuerdings brachte dieses Land der idyllischen
Kleinstädte - denken wir nur an Wertheim, Buchen, an
Walldürn und Tauberbischofsheim - [265=Foto] [266] und der
eigentlich jeglicher Kunst an sich fernstehenden Ackerbürger einige
bedeutende Dichter hervor, von denen vor allem Wilhelm Weigand, Benno
Rüttenauer und Adam Karillon genannt seien. Dieses badische Frankenland
ist würzburgisch orientiert begreiflicherweise, es vermochte nur wenig an
die westliche Kultur des Rheins anzuknüpfen. Es ist
heute - unverdient - halbvergessenes Land fleißiger Bauern,
bescheidener Handwerker, frommer Wallfahrer und doch so unendlich reich an
landschaftlichen Schönheiten wie an Gütern der Kunst.
Die Wanderung in allerdings großen Schritten durch die badischen
Landschaften und ihre Bewohner wäre geschlossen. Es gäbe noch
viel Wichtiges, Stichhaltiges zu berichten, aber das Wesentliche der
Wechselwirkung von Land und Volkstum spielt sich in diesem Rahmen ab. Die
Gliederung der badischen Welt kann zwar nicht fein genug sein, es gibt innerhalb
der Landschaftstypen noch ungemein fesselnde Eigenschaften, die zugleich
formend auf den Siedler wirken, etwa in den größeren Gebieten des
Enz-, Pfinz-, Kraichgauer Hügellandes mit der z. T. schwäbisch
beeinflußten, arbeitsamen, meist in der Industrie arbeitenden
Bevölkerung, wie es in der herrlich gelegenen, weltbekannten Goldstadt
Pforzheim der Fall ist, deren Bewohner
alemannisch-schwäbischen Geblütes sind. Im
Enz-Pfinzgau fallen die großen Dörfer auf, um die sich wohlgepflegte
Ackerflur breitet und deren reiche Geflügelhaltung die Ortschaft heiter, fast
wie Märchenbilder belebt.
Baden wird mit Recht der Paradiesgarten Deutschlands genannt, wenngleich es
diese Schönheit bitter büßen mußte als Einfallsgebiet
und Futterkrippe vieler Kriegsheere. Aber der Boden gab in ungehemmter
Güte guten Ackergrund zu Brot, Metall zu Münzen, Wein zum
Trunk, holz- und wildreiche Wälder, fischgründiges Gewässer.
Der Mensch brauchte nur in solche Landschaft stark und gesund
hineinzuwachsen.
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