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Baden
Hermann Eris Busse

Vom Bodensee zum Main streckt sich das Badnerland, lang, schmal an das silberne Rheinband geschmiegt und dunkel gescheitelt durch den Zug des Schwarzwaldes und seiner Ausläufer. Alle landschaftlichen Stimmungen sind über die Oberfläche gebreitet, zwar in gartenhaft kleinräumiger Wirkung hier und da, doch in ihrer Gesamtheit so wechselvoll, so kühn zusammengestellt, daß man sie als Musterkarte der Schöpfung bezeichnen könnte. Schon in grauer Vorzeit muß das Gebiet zur Besiedlung gereizt haben, zur Ausbeutung seines Reichtums, denn heiße, landgierige Völkerkämpfe fanden statt um seinen Besitz. Nach den bergbaukundigen Kelten setzten sich die eroberungssüchtigen Römer im Schwarzwald und in der Rheinebene fest, unterjochten und verdrängten die starken keltischen Stämme und blieben 200 Jahre Herren dieses Gebietes. Römische Kultur machte sich mit Eifer das Land zunutze. Die Schätze der Berge, die Fruchtbarkeit der Ebene, der Wasserreichtum der Flußtäler und die Heilwirkung der heißen Quellen waren verlockend genug zur Seßhaftigkeit. Bequeme Villen, schöne Straßen, Festungen, Theater und Thermen entstanden. Der Römer war wohl im Einwurzeln begriffen, als die Völkerwanderung ihren merkwürdigen Zug nach Süden einschlug. Da überfluteten die Alemannen den Limes und brachen mit wilder Kraft unaufhaltsam ins Land. Sie scheuchten alles Römische über die Alpen zurück und nisteten sich ein so fest und wehrhaft, daß es den nachflutenden Franken nicht gelang, sie weiter als bis zur Oos ungefähr zurückzudrängen. Beide Stämme bewohnen seit dieser Zeit das Gebiet, das Grenzland Baden, das im Umriß die Form eines eleganten Reiterstiefels zeigt. Alemannen und Franken sind in ihrer Eigenart so verschieden, daß ihre Vereinigung unter eine Herrschaft ein Experiment schien, als Napoleons I. mächtige Herrschergebärde sie zu einem Staat endgültig zusammenschmolz. Die Geschichte, nothafte Zeit, begünstigte den Zusammenschluß der kleinen Staaten, sie fühlten sich stärker und in erster Linie als Deutsche. Vielleicht waren es auch gerade die Gegensätze des Temperaments, die die beiden Stämme zu einer Einheit ohne große Reibungen zusammenschweißte. Zugleich störten sie einander auch nicht in ihren täglichen Interessenkreisen, ja sie arbeiteten Hand in Hand, durch die landschaftlich bedingten Lebensverhältnisse dazu gezwungen.

Der Schwarzwald. Blick vom Hochkopf.
[257]      Der Schwarzwald. Blick vom Hochkopf.
Im Laufe der Zeit wirkte die Landschaft so tief auf ihre Bewohner ein, daß sich selbst innerhalb der Stämme besondere Charakterzüge herausbildeten. Die Schwarzwälder Alemannen, die als bäuerliches Volk einsam auf den dunklen Bergen leben und Ackerbau treiben und reiche Viehzucht auf den würzigen Bergweiden, haben ein ernstes, verschlossenes Wesen. Sie wohnen oft weit von der Bahnlinie weg in kleinen, [257] zusammengedrängten Gemeinden rund um eine Kirche herum. Die Großbauern sitzen meist stundenweit entfernt auf Einödshöfen, auf Zinken und in Talmulden. Das Land ringsum gehört ihnen, reiche Tannenwaldungen, wenig Ackerland und ausgedehntes, kurzgrasiges Weideland. Von Pfingsten bis zum ersten Schnee klingt das Geläut der Herdenglocken durch die Luft. An altem Brauch hält der Bauer fest, feiert gern, eher jedoch mit herber, zäher als mit übermütiger Freudigkeit. Er lebt karg und eintönig, spricht wenig, grübelt und sinniert viel in sich hinein, namentlich über Religionsdinge. Merkwürdig ist der kaufmännische Sinn des Schwarzwälders, er handelt, und sei es auch nur ein Tauschhandel, mit Vieh und Tauben. Die langen Winterabende verlockten ihn früh schon zu allerlei Basteleien. Er flocht Stroh zu Hüten, malte Trögle und Glasbilder, am liebsten schnitzte er Gegenstände für den täglichen Gebrauch. So entstand die Schwarzwälder Holzindustrie, die ganze Schneflergemeinden beschäftigte. Als ein echter Bastler eine im Ausland gesehene Uhr nacherfand, wurde der Grund zu einem Handel gelegt, der die ganze [258] Welt eroberte. Wohlstand kam dadurch in die wenigen Städte und Gemeinden des Waldes, nach Furtwangen, Triberg, Hornberg, Lenzkirch, Neustadt, St. Georgen u. a. m.

Das Urbauerntum ist auf den Höhen bis heute noch kaum angetastet worden. Sie tragen noch ihre Tracht, wenigstens die Frauen, sie haben patriarchalische Familienverwaltungen, sie heiraten - oft schon in der Wiege versprochen - wie die Fürsten. Die Notzeit greift jedoch auch hier die sachliche wie die seelische Substanz an. Schwarzwaldhöfe sind ein Stück der Landschaft, mit Stroh- oder Schindeldächern wie mit ungeheuren Hauben bedeckt, an Berglehnen errichtet, wind- und schneegeschützt. Traumhaft liegt das Tal mit braungoldig sprudelndem Bach zu ihren Füßen, ernst und steil ragt der Wald hinter ihnen empor. Von seinem hohen Kamm aus sieht man ringsum das gewaltig zusammengeschobene Heer tiefdunkler Bergrücken, darüber wie Wächter ragen Feldberg, Belchen, Blauen, Herzogenhorn. An klaren Tagen gleißen im Süden die Gletscherzacken der Schweizer Alpenkette in den Horizont. In Mulden, feierlich von straffem Forst umstanden, liegen die Bergseen: Feldsee, Schluchsee, Titisee, Mummelsee, die unergründlich tief erscheinen, und um die der Volksmund dämonische Geschichten bewahrt und schwermütige Sagen. Im kärgsten Teil des südlichen Schwarzwaldes, gegen den Rhein zu, hausen die Hotzen oder Hauensteiner, ein starkes, starres Volk, das durch seine Salpeterkriege bekannt wurde. Durch Heimarbeit am Webstuhl verdient der Hotze seinen Unterhalt, denn der hohe Wald ist dort unwirtlich wild, gegen den Rhein

Fastnacht im Schwarzwald.
[259]      Fastnacht im Schwarzwald. In Villingen
wird der "Narro mit dem Holzschwert" gefeiert.
hin von den engen romantischen Schluchten der Alb, Wehra, Wutach, Steina und Schlücht durchrissen. Diese Landschaft erzog ihre Siedler zu windverharschten Wetterkiefern, die zäh und unbeugsam allem trotzen, was gegen sie ist. Der südliche Hochschwarzwald geht im Osthang gemach in die Hochebene der Baar über, die Landschaft mit den Städten Donaueschingen und Villingen, ein reiches Kornland in guten Jahren, im langen Winter aber allzu rauhen Ostwinden ausgesetzt, bitter kalt und im Sommer oft katastrophal wasserarm. Die Baar, die Wiege der Donau, hütet heimliche Schönheiten, wenn im Lenz, der rasch einzieht und rasch im Sommer aufgeht, die duftigen Stimmungen über der Wasserburg Pfohren, über wildentenreichem Bachnetz ruhen. Der Baaremer sagt selbst von seinem Land, es sei drei Vierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt. Aber er ist sonst kein mürrischer Kauz, sondern ein aufrechter, hochgewachsener Bauer, still und herb wie sein Land, an Festen von ausgelassener Fröhlichkeit. Fastnacht spielt im Volksleben eine große Rolle, besonders in Villingen. Da läßt der Baaremer seiner Lust an treffendem Spott die Zügel schießen.

Je nördlicher der Schwarzwald zieht, um so lichter wird sein Charakter. Das Kniebis- und Hornisgrindegebiet und die Badnerhöhe zeigen nochmals kräftig geformte Gebirgsmassive, dann läuft er in das Hügelland hinein und zugleich in fränkisches Land.

Das Volk in der Ebene ist durchweg beweglicher, körperlich und geistig. Die Heiterkeit der fruchtbaren Landstriche längs des Rheins und an den Ufern des Bodensees wächst dem Bewohner ins Blut. Die weite Fläche des schwäbischen Meeres mit den lebhaften Farben über dem Wasser, den wechselnden Stimmungen von ruhigem, sonnbestrahltem Spiegel zu übermütig tänzelndem Wellenspiel, zu sehnsüchtig verschleierter Luft oder zu kräftig aufgewühlten Schaumkämmen zeigen dem Seehafen geschöntes Symbol des Lebens. Ein Segel schwimmt am Horizont, er träumt ihm nach. Eine Möwenschar [259=Foto] [260] kreischt wonnig über einem Schwarm Laugelegumper, er bewundert ihren Flug. Ein Dampfschiff bringt Fremde, er freut sich des Gewinns, der verhältnismäßig leicht in seine Tasche rollt. An den Hängen blüht der Wein und macht ihn übermütig. Der Bewohner des Bodensees hat in vielem Ähnlichkeit mit dem Italiener der Lombardei; er ist gemessen temperamentvoll, kaufmännisch klug und vor allem ein Freund des gleichmäßig heiteren Lebensgenusses. Ein Schuß schweizerischer Bürgerlichkeit gibt namentlich dem Konstanzer die gewisse ansehnliche Grandezza. Zugleich mißt der Seehase gern seine Spottlust an den Schwächen des lieben Nächsten, oft an ganzen Ortschaften. Was müssen allein die Sipplinger über sich ergehen lassen wegen ihres sauren Weines. Am besten geschliffen scheinen die Überlinger und Meersburger Zungen zu sein, kein Wunder, da doch der herbe Seewein sie würzt. Ist der Baaremer bei seiner Fastnacht schon aus seinem Alltagsrock geschlüpft, so fahren die Überlinger und die anderen Seebewohner aus der Haut vor Übermut. Sie tollen schier acht Tage lang, und am Aschermittwoch gehen sie zum Schneckenessen. In den Gäßchen wird es dann still, der Spuk ist verschwunden. Der bleiche Mond wirft silberne Bänder über den See, aschgrau ragt die Meersburg; auf vorspringender Zinne buckelt sich ein großer schwarzer Kater. Föhn bläst brodelnd die Seestraße entlang, und frischgeflickte Fischnetze zum Felchenfang wehen wie Gespenster über den Gartenzäunen.

Der Hegau grenzt an den See. Gleich hinter der alten Hafenstadt, dem stolzen Radolfzell stülpen sich aus leicht gewellter Erdoberfläche unvermittelt Berge auf wie Blasen aus kochendem Brei: Hohentwiel, Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohenhöwen und Mägdeberg. Sie sind vulkanischen Ursprungs. Ihre Basaltkegel tragen Ruinen von trutzigen Burgen, wehrhafte Ritter wohnten da und ritterliche Minnesänger. Der Hegauer liebt sein Land, am meisten seine sonderbar steilen Berge, die nur von einer Seite bestiegen werden können. Er liebt sie um so mehr, als er sich neuerdings kräftig um sie wehren muß, denn Steinbruchbetriebe tragen sie buchstäblich ab. Im Grunde gleicht der Hegauer dem Seehasen, nur ist er vielleicht ernster. Er nennt sein Land mit Stolz auch Scheffelland und verehrt den Dichter und Lobpreiser des Heimatgaues und des edlen Hohentwiel so wie der Markgräfler seinen Hebel, der Kinzigtäler seinen Hansjakob, der Pfälzer seinen Nadler.

Der Markgräfler wohnt im Rheinknie. Er ist neben dem Hotzen der heute noch urigste Alemanne, und seine Mundart wurde durch Johann Peter Hebel klassisch und wird durch Hermann Burte neu geweckt. Rebland, Webland, Waldland umschließt die obere Markgrafschaft. Rebland an den geschützten, sonnigen Westhängen des Schwarzwaldes, Webland im Tal der Wiese, wo die hohen Schornsteine ragen, Waldland, wo die Trabanten des Feldbergs und des Blauen gehügelt ruhen. Der Markgräfler ist von Grund auf ein starker, großer Menschenschlag, geistig sehr rege. Selbstherrlich und selbstbewußt geht er durch die Geschichte. Er hat viel Brandschatzungen, Kriegsnöte mitmachen müssen, wie alle Völker längs des umstrittenen, uralten Kulturgebietes am Rhein. Reichtum und Fruchtbarkeit der Scholle boten dem Markgräfler immer wieder die Möglichkeit eines raschen Wiederaufblühens. Er hängt mit Seele und Sinnen an der schönen Heimat, er besingt sie gern in mundartlichen Reimen, und es gibt wohl überhaupt keine badische Landschaft, die so oft und selbst von einfachen Rebbauern in der "Muettersproch" gefeiert wird. [261] Sie sind zumeist Lyriker mit tiefem religiösem Einschlag, protestantisch im Gegensatz zum überwiegend katholischen Seehasen, dessen Konstanzer altes Bistum mit den großen Konzilien ehrwürdig geschichtlich noch den dortigen Geist beherrscht. Der Markgräfler, sonst heiteren, auch kampflustigen Gemüts, ist sehr überlieferungstreu, ein gut geprägter Stammestyp. Daher kommt auch wie beim Wäldler das Festhalten am alten Brauch, am "Fasnetfüür" und "Scheibenschlagen" zum Beispiel und an der Frauentracht, vorab der Hörnerkappe oder Flügelhaube, die weit langsamer schwindet als im Mittel- und Unterland. Die Nachbarschaft des noch weniger biegsamen Schweizer Alemannen hat wohl viel Einfluß auf die Reinhaltung des Volkstums von fremdem Wesen.

An die obere Markgrafschaft schließt sich der Breisgau, der "preißliche Gaue" an. Ihn beherrscht Freiburg, die Stadt mit dem gotischen Münster, der Herrlichkeit eines Erzbischofssitzes und der bedeutenden Wirksamkeit der Universität. Freiburg liegt am Eingang einer der merkwürdigen Einbuchtungen der Rheinebene in den Schwarzwald, die an ihrem Ausgang mit Emmendingen schließt. In solch einer sanft gehügelten Bucht liegt auch wie eine hohe Insel der Kaiserstuhl, das vulkanisch emporgeworfene Gebirge, dessen höchste Erhebung 557 Meter ü. M. liegt. Auf Lößterrassen gedeiht der Wein feurig und edel. Seltene Pflanzen und Tiere leben dort: schöne Knabenkräuter, riesige Smaragdeidechsen. Zur Zeit der Obstbaumblüte wogt über die Hänge ein einziges Meer schneeiger Kirsch- [262] blütenpracht. Breisach, ehemals "das Ruhekissen des heiligen deutschen Reiches", liegt auf steilem Fels, am südlichen Ende des Gebirges, und auf Felshöhen dem Rhein entlang ruhen die Burgruine des Lazarus Schwendi, über Burkheim, dem alten Städtchen, die steile Sponeckburg, heute in Künstlerbesitz, von der man in märchenhaft verträumte, schwermütige Rheinwasser und -wälder schaut, wo die Schnaken millionenweise geigen und Nachtigallenchöre hundertfach hallen, und dann die alte, sagenumwobene Ruine der Limburg, in deren Kemenate Rudolf von Habsburg geboren wurde. Am Kaiserstuhl finden sich Spuren ältester Besiedlung. Die Menschen haben ein seltsam heimlich glühendes Blut, man sagt, es käme vom Wein, der auf jäh erschöpftem Boden wächst, vulkanisch feurig. Daher sei der Kaiserstühler mitten im Fröhlichsein oder Stillsein aufspringend zornig und rasch.

Der Breisgau geht in die Ortenau über mit den Städten Lahr und Offenburg. Dieser Gau ist gleichfalls als Rheinland zwischen Strom und Schwarzwald geschichtlich bewegtes Gebiet, dessen Not im Dreißigjährigen Krieg uns Christof von Grimmelshausen im Simplizissimus schilderte, und dessen 48er Jahre Heinrich Hansjakob in seinen Erzählungen erstehen läßt, namentlich in der Geschichte des Bauernfürsten Andreas Harter, des "Vogtsburen" von Haslach. Vom Schwarzwald herab eilen viele Flüsse dem Rhein zu, wild und unbändig tollen sie über Gebirgsblöcke, zackiges Felsgestein, bilden Wasserfälle und Staubkaskaden, bis sie in die Rheinebene kommen. Dann fließen sie gemächlich, zuweilen wie zögernd in großen Windungen in den Strom. Auf größeren Flüssen trieben früher in mächtigen Flößen die Bauern und Holzherren kräftige Stämme in den Rhein und hinab zu den großen Schiffsbauwerften nach Holland. Von den Schwarzwälder Flößern, einem eigenartigen stolzen, wortkargen, kühnen Mannesstamme, gehen heute noch viele Geschichten im Volk um. Die Kinzig wurde besonders zum Floßverkehr ausgenützt. Die Flößerzunft war wohlhabend und geachtet, mehr noch die der Holzherren in den Städtchen Wolfach, Hausach, Haslach u. a., und die Bauern mit ihren riesigen Waldungen herrschten mit fürstlicher Selbstherrlichkeit auf ihren weltentlegenen Höfen. Der Stolz ehemaliger Geltung steckt noch heute in den Kinzigtälern. Dort ziehen selbst die Männer noch zuweilen ihre schöne Tracht an mit der roten Weste und dem langen Schoßrock.

In der Ebene werden Handelspflanzen angebaut, viel Tabak, vorab im Hanauerland, um die Brückenstadt Kehl. Die Leute haben kaufmännischen Geist; der durch den genialen Ingenieur Tulla in seiner Schiffbarkeit geregelte Rheinstrom lockert die Seßhaftigkeit des zähen Volkstums auf. Fremdes gewinnt Einfluß, immer mehr schleift sich Alemannisch-Urtümliches ab. Getreide- und Obstbau gehen Hand in Hand mit schwunghaftem Handel, die "Bühler Zwetschgen" eroberten sich gar die Welt.

Das Hanauerland am Rhein mit seinem lebensfreudigen, hochgewachsenen alemannischen Bauernstamm richtet sich nach dem mahnenden Zeigefinger des Straßburger Münsters, dem westlichen Wahrzeichen der deutschen Seele, wie überhaupt Straßburg selbst das A und O der Ortenauer war.

An der nördlichen Grenze der Ortenau beginnt schon der fränkische Einfluß, mehr aber eigentlich der Einfluß der großen Städte wirksam zu werden. Die Badeorte des Kniebis- [263] gebietes mit ihrem wechselnden Publikum, vor allem aber die Weltkurstadt Baden-Baden, ziehen so viel Fremdes in ihren Bereich, daß das wesentliche Volkstum von Generation zu Generation mehr schwindet.

Blick auf Baden-Baden.
[261]      Blick auf Baden-Baden.

Das schöne, wilde Murgtal im letzten Glied des badischen Schwarzwaldes trennt geographisch die Alemannen von den Franken. In den spärlichen Siedlungen um die Hornisgrinde herum wohnen noch echte Schwarzwälder Eigenbrötler, freilich mehr schwäbischen Einschlags. Aber in den Ortschaften der Ebene vor Baden-Baden beginnt die Eigenbrötlerei rasch abzunehmen. Große wohlhabende Dörfer, zahlreich besiedelt, die zum größten Teil aus echter Bauernschaft bestehen, reihen sich schmuck aneinander. Die saftige, satte Scholle nährt gut. Der Bauer handelt mit seinen Erträgnissen in den Städten Baden-Baden, Rastatt bis Karlsruhe und Mannheim hinunter. Die Felder sind sorgfältig bebaut. Fabriken unterbrechen die köstliche Stimmung über dem gesegneten Land am Rhein. Leichtlebiger ist der Menschenschlag als auf den Schwarzwaldhöhen. Das bringt die Landschaft mit sich. Das lebhafte Temperament des Franken bricht aber erst hinter Karlsruhe rein auf. Die ruhige, stete Entwicklung dieser Gegend, vor allem der Residenz, unter der Fürsorge und Pflege der Markgrafen und Großherzöge, das sichere Auskommen, erzog die Leute dort zu behäbigen und stolzen Bürgern. Eine gewisse Bedacht- [264] samkeit bei der Redseligkeit macht auch die Mundart breit und lässig. Sie paßt sich dem Wesen der Menschen an. Die Menschen sind ehrlich und offenherzig wie ihr Land, das keine verborgenen Schönheiten hat, sondern weit und klar ausgebreitet ist, das am östlichen Rande in liebliches Hügelland übergeht.

Alt-Heidelberg. Der Ottheinrichs-Bau.
[263]      Alt-Heidelberg. Der Ottheinrichs-Bau.

Je weiter man nach Norden kommt, um so lebendiger werden die Siedler. Die Heidelberger, die sogenannten "Neckarschleimer", die Pfälzer "Krischer" lassen einem raschen, witzigen, oft spitzzüngigen Temperament die Zügel schießen. Ihre Sprache singt in seltsamem Rhythmus weich und behend. Sie sind geistvoll in gesellschaftlichem Sinne, d. h. an der Oberfläche der Dinge, doch allzeit hilfsbereit. Ihr rasches, eindrucksbuntes Erleben läßt ihnen keine Zeit. Sie schwärmen gern, sind schnell begeistert, leicht sentimental. Derber gestaltet ist dann schon der Mannheimer. Er steckt nicht mehr inmitten prachtvoller Landschaft, die sich im Neckartal mit vielen Burgruinen über rauschenden Wäldern romantisch gebärdet, er ist in die betriebsame Welt des Handels gestellt. Klug muß er sein, ja gerissen und schnell entschlossen. Er darf den Mund voll nehmen, daß man ihn hört, er muß laut sein, überredend. Seine Art kennt keine Gemächlichkeit. Er versteht das nicht. Langsame Leute hält er gern für dumm. Zu großem Lobe muß dem Mannheimer indessen seine kulturüberlieferte Liebe zu den Künsten gereichen, vorab zu Theater und Musik. Die Lebenslust des Franken am Rhein, des Pfälzers, ist unausschöpflich. Sie treibt zur ausgeprägtesten Geselligkeit in unzähligen Vereinen. Es ist immer etwas los.

Walldürn im Odenwald.
[265]      Walldürn im Odenwald.
Im nördlichen Baden erhebt sich nochmals ein Gebirgszug, der Odenwald. Er zerfällt in zwei gänzlich verschiedene Gebiete, den fruchtbaren Teil des Urgesteinbodens mit wechselvoller Landschaft, der gesegneten Bergstraße mit den Weinorten Schriesheim, Weinheim, und in das Gebiet des Buntsandsteins mit öden, kaum zum Feldbau fähigen Flächen, das oft auch steilhangig und zerklüftet abfällt. Es ist im Gegensatz zum fruchtbaren Odenwald karg besiedelt von den als bitterarm und eigenbrötlerisch bekannten Odenwälder Franken, die in manchem Wesenszug natürliche Ähnlichkeit mit dem Hochschwarzwälder, namentlich mit dem Hotzen haben.

So wie sich an der Südgrenze Badens im Rheinknie das Alemannentum fast rein bewahrt, so stößt man auch im sogenannten badischen Hinterland auf urfränkische Stammesart im Tauber-, Jagst- und Maingrund. Der Ostfranke hatte unsäglich viel unter Kriegen zu leiden, da das Land fruchtbar war und gutes Kriegsgelände hatte. Das machte die Menschen scheu, vorsichtig, zurückhaltend, obgleich sie an sich heiterer, mitteilsamer Natur sind. Jahrhundertelange Plage formte jedoch die Seelen zu wägendem Ernste um. Ihr Sinn richtet sich vorwiegend auf die praktischen Lebensbedürfnisse, ihr ausgedehntes, ertragfähiges Ackerland erfordert fleißige Pflege. Es ist das Land des mäßig begüterten Bauern. Es gibt im Bauland, da es ein Bauernland ist, keine größeren Städte, aber gemütliche, biedermeierliche schmucke Amtsstädtchen. Mehr als sonst im Badischen, abgesehen vom Breisgau und den Bodenseegestaden, drang die christliche Kunst der Klöster und Fürstbischöfe ins Volk und seine Siedlungen. Das Frankenland ist ein Madonnenland. Das Zeitalter weltlicher und geistlicher Prunkliebe, das Barock, hat hier herrliche Beispiele überliefert. Neuerdings brachte dieses Land der idyllischen Kleinstädte - denken wir nur an Wertheim, Buchen, an Walldürn und Tauberbischofsheim - [265=Foto] [266] und der eigentlich jeglicher Kunst an sich fernstehenden Ackerbürger einige bedeutende Dichter hervor, von denen vor allem Wilhelm Weigand, Benno Rüttenauer und Adam Karillon genannt seien. Dieses badische Frankenland ist würzburgisch orientiert begreiflicherweise, es vermochte nur wenig an die westliche Kultur des Rheins anzuknüpfen. Es ist heute - unverdient - halbvergessenes Land fleißiger Bauern, bescheidener Handwerker, frommer Wallfahrer und doch so unendlich reich an landschaftlichen Schönheiten wie an Gütern der Kunst.

Die Wanderung in allerdings großen Schritten durch die badischen Landschaften und ihre Bewohner wäre geschlossen. Es gäbe noch viel Wichtiges, Stichhaltiges zu berichten, aber das Wesentliche der Wechselwirkung von Land und Volkstum spielt sich in diesem Rahmen ab. Die Gliederung der badischen Welt kann zwar nicht fein genug sein, es gibt innerhalb der Landschaftstypen noch ungemein fesselnde Eigenschaften, die zugleich formend auf den Siedler wirken, etwa in den größeren Gebieten des Enz-, Pfinz-, Kraichgauer Hügellandes mit der z. T. schwäbisch beeinflußten, arbeitsamen, meist in der Industrie arbeitenden Bevölkerung, wie es in der herrlich gelegenen, weltbekannten Goldstadt Pforzheim der Fall ist, deren Bewohner alemannisch-schwäbischen Geblütes sind. Im Enz-Pfinzgau fallen die großen Dörfer auf, um die sich wohlgepflegte Ackerflur breitet und deren reiche Geflügelhaltung die Ortschaft heiter, fast wie Märchenbilder belebt.

Baden wird mit Recht der Paradiesgarten Deutschlands genannt, wenngleich es diese Schönheit bitter büßen mußte als Einfallsgebiet und Futterkrippe vieler Kriegsheere. Aber der Boden gab in ungehemmter Güte guten Ackergrund zu Brot, Metall zu Münzen, Wein zum Trunk, holz- und wildreiche Wälder, fischgründiges Gewässer. Der Mensch brauchte nur in solche Landschaft stark und gesund hineinzuwachsen.

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Das Buch der deutschen Heimat, besonders die Kapitel
      "Heidelberg und die Pfalz", "Oberrheinebene und Schwarzwald", "Der Bodensee"
      und "Stuttgart und Karlsruhe".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.