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Süddeutschland - Eberhard Lutze
Heidelberg und die Pfalz
Das Land Baden, dem Heidelberg heute zugehört, ist eine Schöpfung
des Lunéviller
Friedens von 1802. In den folgenden Jahren kamen noch
beträchtliche Ländereien an die zähringische Markgrafschaft,
so daß das Großherzogtum Baden zu einem ansehnlichen Mittelstaat
anwuchs. Der fremde Eroberer Napoleon einigte aus einer Unmenge von
weltlichen und geistlichen Gebieten, aus Reichsstädten,
Reichsständen und Reichsritterschaften, aus lebensunfähigen
Zwerggebilden des alten Reiches kommende nationale Kräfte, deren
Zusammenschluß vorderhand freilich mit der würdelosen
Gefolgschaft des jungen Staates im napoleonischen Rheinbund erkauft werden
mußte. Baden bedeutete eine neue überstammliche Gemeinschaft, die
im Norden die Franken - mit dem Ableger der
Pfälzer -, im Süden
Alemannen - mit ihrem schwäbischen
Ableger - umfaßt. Wesensmäßig auseinanderstrebende
Stämme sind durch das Geschick der zähringischen Dynastie zu
einem organisch sich entwickelnden Staate zusammengeschweißt worden.
Man konnte in der Geschichte des vorigen Jahrhunderts von einem badischen
Geist sprechen, der demokratische Zug des Staates hat
ihm - halb bewundernd, halb
ironisch - den Beinamen des "Musterländles" eingetragen.
Mit den staatlichen Umwälzungen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hat
sich auch der Begriff "Pfalz" im Sprachgebrauch gewandelt. Die heutige
linksrheinische Pfalz, die, aus verschiedenen Bestandteilen
zusammengestückt, 1816 an Bayern fiel, hat erst im Jahre 1838 von König
Ludwig I. ihren Namen erhalten. Diese
"Jung-Pfalz" führt die Tradition der alten Kurpfalz weiter, deren Ende der
Lunéviller Friede besiegelte. Heidelberg war die Hauptstadt dieses
Landes, das über den Rhein hinübergriff und auf dessen Geschichte
der heutige Pfälzer und der heutige Badener gleich stolz ist. Heidelberg
trägt den wehmütigen Ruhm, in seinem Schloß die
schönste Ruine Deutschlands zu besitzen, Heidelbergs Name ist von
deutscher Tragik und von deutscher Romantik umwittert.
"Du der Vaterlandsstädte
Ländlich schönste, so viel ich sah"
singt Friedrich Hölderlin.
"Alt-Heidelberg, du feine"
schwärmt Josef Viktor v. Scheffel. Die Neckarlage in der klassischen
Landschaft, die Alte Brücke, das Schloß, Molkenkur, Kaiserstuhl und
Philosophenweg, der Blick über die angrenzende Rheinebene, das
Studentenleben, das nahe Neckargemünd mit seiner berühmten
griechischen Weinstube und dem Blick auf die Bergfeste Dilsberg haben ebenso
an dem Ruhm Alt-Heidelbergs gebaut wie die Geschichte. Die
französischen Mordbrenner der Generäle Mélac und
de Lorge sprengten 1689 und 1693 die "gigantische schicksalskundige
Burg" zur Ruine. In der Stadt blieb nur das steinerne Renaissancehaus des
"Ritters" stehen.
[768] Die beiden Randberge,
Heiligen- und Gaisberg, trugen die ältesten Bauten, die uns in Heidelberg
bekannt sind. Auf dem Heiligenberg, wo sich eine bis in die jüngere
Steinzeit heraufführende Kultstätte findet, wo die Römer des
Neuenheimer Kastells ihren Göttern geopfert, die Germanen ihren Gott
Wotan in bergigem Hain verehrt, das Mittelalter die großen romanischen
Basiliken St. Michael und St. Stephan erbaut hatte, dort erhebt sich
heute eine der schönstgelegenen Thingstätten des Neuen
Reiches.
Residenzstadt wurde Heidelberg im Jahre 1225, als die
Wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein die Kurpfalz gründeten. 1386
errichtete Kurfürst Ruprecht I. Deutschlands erste Universität,
deren Bibliotheca Palatina als "Mutter aller deutschen Bibliotheken" ihren Ruf in
alle Welt trug. Die Reformationszeit brachte die Prunkbauten des Schlosses
hervor, insbesondere den nach dem humanistisch gebildeten Fürsten
benannten Ottheinrichsbau (1556 bis 1559), dessen klassische,
statuengeschmückte Ruinenschauseite den östlichen Abschluß
des zauberhaften Hofes bildet, in dem alljährlich die Reichsfestspiele einen
Höhepunkt deutschen Freilichttheaters darstellen. Durch die
Zerstörung hat sich eine romantische Einheit um den mächtigen
Schloßkomplex gesponnen und verwischt die architektonischen
Gegensätze, die einst zwischen den mittelalterlichen Grundrissen und den
später vorgeblendeten Fassaden bestanden haben müssen. Es sind
rauschende Feste in dieser Residenz gefeiert worden, deren Erinnerung bei den
Schloßbeleuchtungen und den märchenhaften Feuerwerken
über Neckar und Alter Brücke aufleuchtet. Die weinselige
Zechfestigkeit vergangener Zeiten mag dem Besucher vor dem
2200 Hektoliter fassenden Großen Faß deutlich werden und
dem Zwerg Perkeo "an Wuchse klein und winzig, an Durste riesengroß",
der als Hofnarr gewaltige Mengen, man sagt, den Inhalt dieses Riesenfasses
geleert haben soll. Der Bandhaussaal darüber ist neuerdings in
schöner Weise als Fest- und Theatersaal wiederhergestellt worden.
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Heidelberg. Der Schloßhof.
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Hatte die Bevölkerung Heidelbergs im 18. Jahrhundert den
großen Plänen des prachtliebenden Kurfürsten Johann
Wilhelm nicht zu folgen vermocht, so waren es die Romantiker, die die Stadt der
Romantik wiederentdeckten. Goethe prägte das Wort von der Heidelberger
Ideallandschaft; Brentano, Arnim, Görres trugen "Des Knaben
Wunderhorn" am Neckar zusammen; Maler wie Carl Rottmann, Ernst Fries, Carl
Fohr wirkten in Heidelberg; Wallis und Turner malten die Ansicht der
Neckarstadt in atmosphärischer Übersteigerung. Im Stift Neuburg
trafen sich nazarenische Maler.
Das für Heidelberg unwesentliche 18. Jahrhundert ist für
Mannheim, die jüngere Residenzstadt der Kurfürsten, von
um so größerer Bedeutung gewesen. Dorthin hatte Kurfürst
Karl Philipp 1720 seine Residenz verlegt. Unter ihm und seinem Nachfolger Karl
Theodor erstanden das prunkvolle Schloß und die Jesuitenkirche.
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Mannheim. Der Schloßpark.
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Die später durch das Nationaltheater kulturell hochbedeutsame Stadt, das in
einzelne Quadratgebilde zerlegte "gleiche und heitere" Mannheim Goethes, hat
infolge der zeitweisen Loslösung des linken Rheinufers von Deutschland
eine andere Entwicklung genommen, wie sie insbesondere Karl Theodor vor
seiner Übersiedlung nach München erhofft hatte. [769-784=Fotos] [785] Der
Aufschwung zum europäischen Binnenhafen setzte um 1830 bis 1840 ein,
das rechtsrheinische bayerische Ludwigshafen mit seiner bedeutsamen
chemischen Industrie wetteifert mit der älteren Schwesterstadt. Das in drei
Generationen geschaffene Mannheimer Hafensystem enthält heute
45 Kilometer Verladeufer, 200 Kilometer Eisenbahngleise und
58 Kilometer Straßen, an denen 300 Firmen ansässig
sind.
Mehr noch als im geschäftigen Mannheim spürt man im
Schloßpark zu Schwetzingen etwas von der höfischen
Lebensluft des kurpfälzischen Hofes. Eleganz, Luxus, Festesfreude klingen
in den Wasserspielen und Parkanlagen zu heiterem Akkord zusammen. Im
Bruchsaler Schloß, der Residenz der Fürstbischöfe
von Speyer, insbesondere dem herrlichen Treppenhause Balthasar Neumanns, den
Feichtmayrschen Stukkaturen und den Deckenbildern von Januarius Zick erlebt
man den gleichen Stil architektonisch, groß und zierlich zugleich.
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Schloß Schwetzingen (Baden).
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Das Kernland der alten Kurpfalz - zwischen Heidelberg und Mannheim - trug in
fränkischer Zeit die Bezeichnung Lobdengau. Die Macht des Wormser
Bischofs stieß hier mit den Ansprüchen der Benediktinerabtei
Lorsch zusammen. Dieses wichtige, seit 763 bestehende Kloster ist
neuerdings durch Grabungen genau festgestellt worden. Eine alte
Königshalle steht noch. Sie ist ein feingliedriges vormittelalterliches Werk,
das "verwandelt mittelmeerisches" Ornament mit neuen germanischen
Zweckbestimmungen vereinigt.
Wer heute durch Berg und Wald und Städte der linksrheinischen Pfalz
streift, begegnet auf Schritt und Tritt
Burg- und Klosterruinen in Tälern und auf Bergeshöhen. Allein 113
Klöster fielen den Verwüstungen der Franzoseneinfälle unter
Ludwig XIV. zum Opfer. Sie erledigten, was der
Dreißigjährige Krieg übriggelassen hatte. 297 Burgen und
Schlösser hat man in der Pfalz gezählt. Ein wehrhaftes und frommes
deutsches Land ist damals vernichtet worden. Die stolzesten Geschlechter der
deutschen Kaiserzeit, Salier und Staufer, liebten die Pfalz vor allen Gauen.
Dürkheim war die Stammburg der Salier, an deren Stelle Konrad II.
den nächst Speyer bedeutendsten Kirchenbau der Zeit, Limburg
an der Haardt, gründete; auch er ist, noch in Trümmern, Denkmal
einer gewaltigen Zeit, eine steinerne Anklage gegen französische
Zerstörungswut. Die Reichsfeste Trifels barg einst die
Reichskleinodien und den Schatz der Hohenstaufen. Englands Kreuzfahrer
Richard Löwenherz war in dem Staatsgefängnis auf dem Trifels der
Gefangene Heinrichs VI. Barbarossa hatte in Kaiserslautern eine
Pfalz errichtet. Heute ist das Gesicht dieser Stadt, inmitten des Pfälzer
Waldes gelegen, von der
Eisen- und Maschinen-, Textil- und Tabakindustrie beherrscht, die unter der
bayerischen Regierung zu hoher Blüte gelangte. Der Wald, in dem der
"Jäger von Kurpfalz" jagte, deckt noch heute zwei Fünftel des
Bodens. Bis zu 22 000 Waldarbeiter werden im Forstdienst
beschäftigt. Die Buntsandsteintafel dieses Waldgebirges ist teils kuppig und
in langgestreckte Höhenzüge zerlegt, teils durchbrochen,
gekrönt und gesäumt von malerischen Felsbildungen, deren
Umriß "die nüchternste Phantasie zum dichtenden Spiele zwingt". Im
Norden schließt das Nordpfalzer Bergland an, dessen höchste
Erhebung der Donnersberg (687 Meter) ist.
[786] Die Hinterpfalz ist
Ackerland, ihre Mittelpunkte sind Zweibrücken und die Schuhmetropole
Pirmasens.
Der gesegnetste Landstrich der Pfalz ist die Haardt, dort, wo der
Ostabhang des Waldgebirges in den Rheingraben übergeht und edelster
Wein, Mandelbäume, Maronen und Feigen gedeihen. Hier im "lachenden
Weinlande" lebt laut und fröhlich, leichtlebig und rasch urteilend das echt
rheinfränkische Pfälzertum. An diese Vorderpfalz hat Liselotte von
der Pfalz voll Wehmut gedacht, als sie vom französischen Hofe aus
schrieb: "Die Pfalz ist ein gelobt landt gegen andere länder zu rechnen, den
alles ist ja gutt in unserm lieben vatterlandt, lufft, wasser, wein, brodt, fleisch und
fisch". Aus der Unerschöpflichkeit dieses Bodens strömt dem Volke
die Kraft zu, auch in düsterer Zeit den Humor und Witz zu behalten,
aufzuflammen für neue Gedanken und sich an Zukunftsträumen zu
begeistern! Das Hambacher Fest 1848, da zum ersten Male großdeutsche
Gedanken laut wurden, ist ein solches Beispiel aus der Geschichte.
Deutlich setzt sich die Eigenart des weinbauenden Rheinpfälzers von dem
stilleren Hinterpfälzer ab. Der Vorderpfälzer ist ausgesprochen
gesellig. Die stadtartigen Dörfer, die er bewohnt, die Weingüter sind
wohlhabend. Die Bevölkerungsdichte beträgt 159 bis 160 auf den
Quadratkilometer. Die Ergiebigkeit der pfälzischen Gartenlandschaft hat
dem Stamm einen sehr ausgeprägten wirtschaftlichen Sinn mitgegeben. Das
Interesse für geistige Dinge steht dagegen zurück. Der Wein ist ein
Hauptthema in den vielen behäbigen Weinstuben und
Straußwirtschaften, in denen es laut, mit "Pfälzer Gekrische"
zugeht.
Mit etwa 16 000 Hektar Rebenbestockung ist die Pfalz das größte
deutsche Weinbauland. Es erstreckt sich längs der Haardt von
Weißenburg bis Dürkheim; in der
Nord- und Westpfalz wird bei Zell, im
Alsenz-, Glau- und Lautertal Wein gebaut. Das warmtrockene Klima bewirkt auch
in ungünstigen Jahren die Reife edelsüßer Ausleseweine. Wie
im Weinmuseum Speyer übersichtlich gezeigt wird, haben die
Römer hier schon Wein gebaut, bereits zur Merowingerzeit wurde ein
Weinzehnt erhoben, hat der Weinbau zu allen Jahrhunderten geblüht, wenn
auch die Kultivierung von Qualitätswein erst wieder seit dem Ende des
18. Jahrhunderts begann. Einfacher Landwein und kostbarste
Hochgewächse gedeihen hier. Gegenüber dem kräftigen
Rheinwein eignet dem Pfälzer liebliche Weichheit, dessen Bukett
außerordentlich verschieden sein kann, je nachdem er als Sylvaner Rebe auf
dem schweren Lößboden des Oberlandes, als Riesling der mittleren
Lagen, als Auslesewein der besten Weingegend um Ruppertsberg,
Deidesheim, Forst und Wachenheim oder als würziger
Traminer gezogen wurde. Während der Weinbau in den Nachkriegsjahren
allerorts zurückging, haben die Pfälzer Kulturen sogar zugenommen.
Während früher viele Pfälzer Marken fälschlich als
Rheinwein in den Handel kamen oder verschnitten wurden, hat sich jetzt der
"Pfälzer" das Vertrauen des deutschen Marktes restlos erobert. Doppelt
gern wird ihn trinken, wer an klaren Herbsttagen das Pfälzer
Zecherparadies durchwandert und teilgenommen hat an dem Volksfest der
Weinlese.
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