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Süddeutschland - Eberhard Lutze

Die Saar

Das Saargebiet ist ein Land deutscher Arbeit. Seitdem seine Bewohner nach 15jährigem heldenhaften Ringen um ihre Zugehörigkeit zum Deutschen Reich in freier Abstimmung ihre Gesinnung bekannten, lebt es als solches im Bewußtsein der ganzen Welt. Früher hat es eine Einheit nie gebildet, sondern erlebte sein wechselvolles Grenzlandschicksal mit anderen oder im Rahmen anderer deutscher Landschaften der deutschen Westmark. Wer heute als Deutscher von Trier kommend die untere Saar entlangfährt oder die Pfalz nach Westen verläßt, begreift die Landschaft als Einheit, als die deutsche Saar, die als jüngster Gau zum Dritten Reich heimfand.

Es ist einer der schönsten Reiseeindrücke, der in dem Land an der Saar auf den Besucher wartet, daß es nicht wie der Industriebezirk an der Ruhr ausschließlich Industriegebiet - Kohlen- und Eisenland - ist, sondern neben einer bedeutsamen Glas- und Keramikindustrie noch ausgesprochene landwirtschaftliche und herrliche Waldgebiete trägt. Die Industrie hat das Land nicht aufgezehrt, sondern sie ist eingebettet in unberührte Natur. Neben den an langen Straßen um geschichtlich alte Kerne gebauten Industriesiedlungen, neben den Förderanlagen, Hochöfen und kahlen Schlackenhalden ragen mächtige Buchenwälder auf, deren Grün bis zum Ortseingang die sanft geneigten Hügel bedeckt. Die Gunst des Landes hat sich glücklich auf die Stammesart der Bewohner ausgewirkt. Sie sind bodenständig geblieben; in seiner Freizeit ist der Bergmann Bauer.

Der Reichtum des Landes, der es mehrmals in der Geschichte zum Ziel französischer Eroberungsgelüste machte, liegt in dem Vorkommen von Kohle. Sie ist unter dichtem Mischwald, aus Buchen und Eichen bestehend, verborgen. Während die Hunsrückhänge, in deren Süden sich ein welliges Hügelland erstreckt, gänzlich unergiebig sind, konzentriert sich der Reichtum im sogenannten Kohlenwald, beiderseits der mittleren Saar bei Saarbrücken. Hier wird die Grundlage der Industrie gewonnen, hier drängt sich die Bevölkerung zusammen. Ein Blick auf die Bevölkerungskarte zeigt, daß sich die Massen der Berg- und Industriearbeiter den Bodenschätzen folgend angesiedelt haben. Saarbrücken bildet die Spitze eines überkanteten Dreiecks, dessen einer Schenkel - die "Industriegasse" - dem Lauf der Saar folgend die Linie Völklingen, Saarlautern, Dillingen bildet, dessen zweiter Schenkel - die "Bergbaugasse" - über Sulzbach, Dudweiler, St. Ingbert bis Neunkirchen greift. Homburg ist der östlichst gelegene Industrieort. Durch Bohrungen sind noch bedeutend mehr Kohlenlager erschlossen als die genannten Gebiete, allein der Abbau ist erst vorwiegend nordöstlich von Saarbrücken in Angriff genommen. Bei Dudweiler und Sulzbach traten die kohleführenden Schichten in den Talsenken des von Südwesten nach Nordosten streichenden "Steinkohlengebirges" zutage: hier begann man mit dem Kohlenabbau, da von hier aus nach allen Richtungen die Kohlenlager in bedeutenderen Tiefen liegen. Die mächtigen Kohlenflöze unter den Wäldern des Warndt dagegen, die die südwestliche [764] Grenze gegen Lothringen bilden, wurden als kostbare Reserven deutscherseits bisher unangetastet gelassen - bis während der Saarbesetzung französische Schächte vom lothringischen Gebiet aus unter der Grenzlinie hindurch Warndtkohle abzubauen begannen! Heute werden die gesamten Kohlenvorräte der Saar bis zu einer Tiefe von 1200 Metern auf 2 Milliarden Tonnen geschätzt. Gefördert wurden im Durchschnitt der letzten Jahre etwa 13 Millionen Tonnen. Es ist charakteristisch für die Saarwirtschaft, daß sie sich auf die beiden Pfeiler des Bergbaues und der Eisenindustrie stützt. Die Orte der "Bergbaugasse" erkennt man von der Bahn aus durch die an den Schachteingängen errichteten Fördertürme mit den großen Seilscheiben, über die die Körbe für Belegschaften und Fördergut laufen. Daneben rauchen die Schornsteine der Maschinenhallen und stehen die Turmhäuser für die Kohlenwäsche. Anders die Unternehmungen der "Industriegasse". Die fünf führenden saarländischen Hütten Völklingen, Dillingen, Neunkirchen und Burbach sind gemischte Werke, die Hochöfen, Stahl- und Walzwerkanlagen nebeneinander führen. Dazu kommen die Kokereien und andere Nebenbetriebe. Das älteste Werk ist Neunkirchen, das der Tätigkeit der Familie der Freiherren von Stumm-Halberg seine Leistungsfähigkeit verdankt. Vielgenannt wegen seiner für die deutsche Sache opferfreudigen und überaus erfolgreichen Wirtschaftspolitik während des Saarkampfes und nach der Rückgliederung mächtig aufstrebend ist die Röchlingsche Hütte in Völklingen, deren Eisen- und Stahlwerken ein hochwertiges Edelstahlwerk angegliedert ist. Deutsche Energie und rastloser Erfindergeist arbeiten hier an einer ständigen Leistungssteigerung der Hochöfen unter letzter Ausnützung der für uns so kostbaren Rohstoffe. Die Not des Saarkampfes hat zu dem glänzenden Ausweg teilweisen Ersatzes der Erze durch die bisher unausgewertet gebliebenen Abfallprodukte der Gichtstaube, zu einer erheblichen Herabminderung des Kohlen- und Koksverbrauches geführt. Umständliche chemische Anreicherungsverfahren werden in Zukunft die saarländische Schwerindustrie noch unabhängiger von ausländischer Erzeinfuhr machen und damit die von ihr hergestellten Edelstahle in den Mittelpunkt des deutschen Verbrauches stellen. Von hier wird der Hauptbedarf an Eisenbahnschienen und ‑schwellen, an mächtigen Brückenträgern gedeckt, aus der Völklinger Hütte bezieht die deutsche Automobilindustrie über die Hälfte ihrer Achsenfedern. An der Wirtschaftlichkeit der im Fließverfahren hergestellten Einzelteile hängt nicht zum geringsten die praktische Durchführung der in großem Maßstab in Angriff genommenen Verwirklichung eines deutschen Volksautomobils! In der fieberhaften Arbeit an diesen von der Regierung des Neuen Reiches gestellten Aufgaben lebt das in den Kampftagen von Hermann Röchling gegebene Versprechen kraftvoll weiter: "Wir halten die Saar!"

Saarburg.
[696]      Saarburg.

Nicht weniger als Bergbau und Eisenindustrie ist die Glasindustrie und Keramik in ihren Anfängen von den Schätzen saarländischen Bodens gespeist worden. Der gelbe Sand der Buntsandsteinformation diente zur Glasherstellung, die aus der Holzkohle der großen Wälder gewonnene Pottasche als Zuschlag, das Holz selbst als Brennmaterial. Schon im Mittelalter gab es Waldglashütten. Fürstliche Privilegien förderten im Zeitalter des Barocks [765] das Gewerbe. Noch heute beliefert das Saarland zum fünften bis vierten Teil die deutschen Tafelglaswerke mit Rohmaterial. In Wadgassen, Fenne und St. Ingbert stehen die bedeutendsten Glashütten. Noch ausschlaggebender ist der Anteil der saarländischen Tonwaren an der gesamtdeutschen Produktion. Die Mettlacher Platten der Fa. Villeroy & Boch, deren Stammhaus die alte Benediktinerabtei an der unteren Saar ist, hat der saarländischen Keramik Weltruf verschafft.

Heute, da die Abhängigkeit vom bodenständigen Rohstoff durch den Verkehr aufgelockert scheint, hat die jüngste Vergangenheit den Blick für die Werte der örtlichen Verbindung von Rohstoff, Verarbeitung und Absatz wieder geschärft. Früh hat man für eine billige An- und Abfahrt Sorge getragen. Die Saar selbst und der Saarkohlenkanal wurden als Wasserstraßen benutzt. Neuerdings gewinnt das Projekt eines Saar-Pfalzkanals zwischen Saarbrücken und Mannheim für den Absatz nach Westdeutschland neue Bedeutung, nachdem die Wiederherstellung des von jeher nach dort gerichteten Handels der deutschen Saar neues Leben und neuen Auftrieb gebracht hat.

Siedlungsgeschichtlich ist das Industriegebiet der jüngste Teil des Landes. So kommt es, daß die meisten mittelalterlichen Bauten - mit Ausnahme Saarbrückens - außerhalb des Kohlenrevieres liegen. Es gibt eine Reihe trutziger, befestigter Orte und Burgen, wo Funde und Ausgrabungen ergeben haben, daß dort bereits urgeschichtliche Befestigungen standen oder die keltische Bevölkerung Fliehburgen bedeutenden Ausmaßes auf dem Grundriß späterer Siedlungen angelegt hat. Im Norden Montclair hoch über den dichten Waldufern der in scharfem Knick nach Nordwesten gerichteten Saarschleife bei Mettlach, wo der Fluß den Hunsrück durchbricht, um die Mosellandschaft zu erreichen. Trier war hier zu römischer Zeit der Hauptplatz. Im Süden Berus auf einer steil gegen das Saartal abfallenden Bergzunge des über 300 Meter hohen Gaues; in ähnlicher Lage Castell an der Saar bei Serrig. Auch die höchste Erhebung im Saargebiet, der Schaumberg bei Tholey (572 Meter), trug starke Ringwälle der Kelten; die Römer machten ihn zum beherrschenden Stützpunkt der großen Heerstraße, die an ihm vorüberführte. Heute trägt der Berg, von dessen Höhe einst die Herren von Schaumburg weit in die Lande sahen, eine Kriegergedächtniskapelle. Auch die Anfänge Tholeys führen bis in das 7. Jahrhundert (643) hinauf. Die Basilika der ehemaligen Abteikirche, eine charaktervolle Baugruppe, ist im 13. Jahrhundert gebaut worden. Der massige Turmsockel trägt eine malerische Laterne aus der Zeit um 1700. Einen ähnlichen Turmumriß zeigt die Wallfahrtskirche in dem wenig östlich gelegenen St. Wendel, nur daß der stattliche Hallenbau des Schiffes - zweifellos der schönste Innenraum des Saargebietes - erst 1450 fertig wurde.

Aus der Romanik sind zwei denkwürdige Bauten auf uns gekommen: der "Alte Turm" im Park von Mettlach und die Pfarrkirche zu Merzig. Die Ruine des ersten schließt sich dem Zentralbau des Aachener Münsters an und ist als Grabkapelle um 1000 begonnen worden. Trägt der in seiner malerischen Umgebung unvergeßliche Bau alle Zeichen suchender frühdeutscher Baukunst an sich, so ist die wuchtige Gruppe von Merzig ein reifes Beispiel jener rheinischen Bau- [766] werke, wie wir sie in den Kaiserdomen kennenlernten, die in ihrer ungotischen gedrungenen Kraft die deutsche Eigenart des stolzen staufischen Zeitalters verkörpern.

Saarbrücken ist am Schnittpunkt der von Trier nach Straßburg und von Metz nach Worms führenden römischen Heerstraßen entstanden. Ein Kastell sicherte den Brückenkopf auf der rechten Saarseite, wo der Stadtteil St. Johann liegt. Auch Malstatt, Burbach und St. Arnual waren ursprünglich gesonderte Ortschaften. St. Johann lebte insbesondere durch den nachrömischen Nord-Südverkehr auf. Seit dem 16. Jahrhundert ist es durch die schöne "Alte Brücke" mit Saarbrücken verbunden. St. Arnual war das ganze Mittelalter hindurch kirchlicher Mittelpunkt der Grafschaft Saarbrücken. Die am Saarufer gelegene Stiftskirche bewahrt noch zwei meisterhafte Grabmäler der Spätgotik und eine stattliche Reihe barocker Grabdenkmäler der Grafen, die sich seit dem 15. Jahrhundert hier beisetzen ließen. Dem Programm eben dieser fürstlichen Bauherren verdankt das barocke Saarbrücken sein heutiges Gesicht, das sich in klaren Zügen von der gotischen Stadt und den rußgeschwärzten Industrie- und Hafenvierteln absetzt.

Saarbrücken.
[697]      Saarbrücken.

Die Stadterweiterung ist mit den Namen des Fürsten Wilhelm Heinrich und des Baumeisters Friedrich Joachim Stengel verknüpft. Dem Zerbster Stengel ist die gesamte Planung zu danken, deren vornehm-festlicher Höhepunkt die in der beherrschenden Platzlage an Dresdener Bauten erinnernde Ludwigskirche ist. Auch sonst hat die Barockbaukunst an der Saar Beziehungen zu Mitteldeutschland: das seine dreigegliederte Schauseite der Saar zukehrende, in prachtvoller Einheitlichkeit zur Ausführung gelangte Abteigebäude zu Mettlach ist ein Werk des Sachsen Christian Kretzschmar. Ludwigskirche und Abtei stehen in der ersten Reihe unseres reichen deutschen Barocks.

Während hier neue Kunstwerke von der deutschen Art des Landes zeugten, entstand in Saarlautern auf Geheiß Ludwigs XIV. eine französische Barockfestung, deren Spuren heute noch sichtbar sind. 1680 erhielt der Kriegsarchitekt Vauban den Befehl, auf dem widerrechtlich von Frankreich besetzten Grund ein Bollwerk für den Räuber gegen Deutschland zu errichten. 1815 für Preußen erobert, blieb Saarlautern Festung bis 1889. 135 Jahre französische Festungszeit haben an dem glühenden Deutschtum der Nachfahren jener zwangsweise von Ludwig XIV. angesiedelten Bürger nichts geändert. 1919 und 1924 hat die Stadt unerschrockene Treuegelöbnisse für Deutschland geleistet. 1936 erhielt sie ihren guten deutschen Namen an Stelle des auf ihren französischen Zwingherrn gemünzten Saarlouis. Die Bande des gemeinsamen deutschen Volkstums haben sich noch ebenso fest gezeigt wie 1815, als die Führer von Saarbrücken und St. Johann sich an Hardenberg mit einer flammenden Bittschrift wandten, die "Befreiung vom Franzosenjoche, Wiedervereinigung mit dem deutschen Vaterlande" forderte. Dieser Geist ist für die Geschichte des Saarlandes entscheidender geworden als die Befreiung, die 1870 die Erstürmung der Spicherer Höhen für die Saar bedeutete. Dieser Geist lebt ebenso in Friedrich Rückerts Lied von dem Vöglein an der Saar und dem Saarlied der Kampfjahre wie im Hindenburgturm bei Berus und dem gußeisernen Ehrenmal im Warndt, dessen deutsche Soldatenköpfe ernst und stolz über das weit sich breitende, reiche und schöne Land an der Saar blicken.

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Gebiets- und Bevölkerungsverluste des Deutschen Reiches und Deutsch-Österreichs
      nach dem Jahre 1918

Das Versailler Diktat. Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext,
      Gegenvorschläge der deutschen Regierung

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, besonders das Kapitel "Das Saarland".

Das Grenzlanddeutschtum, besonders das Kapitel "Das Saargebiet."

Zehn Jahre Versailles, besonders Bd. 3, das Kapitel "Gebietsbesetzung: Saargebiet."

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke