SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[191=Foto] [192]
Das Rheinland
Herbert Eulenberg

Als germanisches Urvolk, das am Ufer des Rheines saß, haben wir die Ubier anzusprechen, einen deutschen Stamm, den Cäsar, der vergötterte Julius, wie ihn Tacitus nennt, schon am Oberrhein in der Gegend der Lahn antraf. Und zwar antraf in einem ziemlich gerupften und heruntergekommenen Zustand, in den sie wohl durch die fortwährenden Angriffe geraten waren, die sie durch die ewig kriegerisch gesonnenen, zwischen Main und Donau hausenden Sueven zu erdulden hatten. Die Ubier selber waren schon ein Vorschub der riesigen vorwärtsdrängenden germanischen Völkerfamilie und hatten die Kelten, die vor ihnen am Oberrhein angesiedelt waren, bereits nach Gallien weggeschoben. Man hat aus der Bereitwilligkeit, mit der sich die Ubier, die sich seit längerem schon an die benachbarten Gallier und ihre Sitten angeschlossen hatten, nun auch mit den Römern rasch verständigten, allerhand irrige Schlüsse gezogen. Hat von einem wandelbaren, unruhigen und zur Abtrünnigkeit geneigten Wesen, einem Hang zur "Ubiquität" und von wer weiß was noch gefabelt, was die alten Ubier als Vorfahren besessen und ihren Nachfahren, den heutigen Rheinländern, vermacht hätten. Und hat schließlich schon eine Vorliebe der früheren Rheinländer für gallische und römische Art zurechtklügeln wollen, wie sie sich späterhin in dem berüchtigten Rheinbund, einer Vereinigung rheinischer Fürsten unter Napoleon dem Ersten, an der die rheinische Bevölkerung wohlbemerkt völlig schuldlos war, in unsern Zeiten wiederholt hätte. Nichts ist törichter als solche Behauptungen: Die Ubier stellten sich zwar, von ihren germanischen Nachbarstämmen andauernd bedrängt, endlich unter römischen Schutz und siedelten sich nach und nach jenseits des Rheins, auf der gallisch-keltischen Seiten, an. Sie blieben aber auch auf dem linken Ufer des Stromes ebenso gut deutsch gesinnt, wie sie es auf dem rechten Ufer gewesen waren. Tacitus, der mustergültige Beurteiler des alten Germaniens, stellt diese Eigenschaft der doch in den römischen Staat aufgenommenen Ubier, daß sie stolz auf ihre germanische Abstammung seien und sich ihres Deutschtums nicht schämten, mit einer gewissen Verwunderung in seiner Germania fest. Und diese ihre überzeugte Zuneigung zu Deutschland, ihr Deutschgefühl haben sich die neuen Rheinländer ebenso wie die alten bis auf den heutigen Tag bewahrt. "Halt faß am Rich', do Kölschen Boor, un fällt et söß, un fällt et soor", rühmt ein alter Kölner Spruch die Anhänglichkeit des Rheinlandes und seiner Hauptstadt an das Deutsche Reich: Jene selbstverständliche Treue zu Deutschland, die sich während der unseligen Separatistenunruhen nach dem Weltkrieg aufs neue glänzend bewährt hat. Diese dem Rheinländer selber durchaus nicht verwunderliche Liebe und Eingenommenheit für Deutsch- [193] land und deutsches Wesen hat bis in das vorige Jahrhundert hinein das Erstaunen mancher Beobachter und Beurteiler rheinischen Wesens gefunden: Der unglückliche Weltreisende Georg Forster, ein geborener Danziger, sonst ein feinsinniger Beschreiber der Rheinlande, erkannter zu spät, daß in den Köpfen der Rheinländer kein Raum für den Gedanken einer rheinischen Republik unter französischer Oberhoheit war. Und der Hamburger Buchhändler und Vaterlandsfreund Friedrich Perthes vermerkte auf einer Reise, die ihn an den Rhein getragen hatte, angenehm überrascht in sein Tagebuch von den Rheinländern: "An Sprache, Sitte und Art sind sie merkwürdiger Weise ungeachtet der zwanzigjährigen französischen Herrschaft durchaus deutsch geblieben."

In der frühmittelalterlichen Zeit war es der Stamm der ripuarischen Franken, der sich am mittleren und untern Rheinstrom zu beiden Ufern ausdehnte. Reine Westgermanen machten die Ripuarier, ein kraftvolles Glied der großen fränkischen Völkergruppe, das von den Römern zu ihrer Kolonie erhobene Köln zur Metropole, und durch ständigen neuen Zuwachs der Bevölkerung aus Mitteldeutschland verlor der Strom immer mehr das Trennende, das er in der römischen Zeit und für die Römer noch gehabt hatte. Während der Herrschaft der Karolinger lag das Schwergewicht des Deutschen Reiches hier am [194] Rhein. Und Aachen ebenso wie Ingelheim waren die bekannten Lieblingssitze Kaiser Karls des Großen, unter dessen Szepter Frankreich und das von dem Kaiser bezwungene Germanien noch eine machtvolle Einheit bildeten, bis der unselige Vertrag von Verdun, der in der Kastorkirche zu Coblenz beraten wurde, das karolingische Reich zerspaltete.

Mainz, der Domturm
[199]      Mainz, der Domturm,
sich über den herandrängenden Häusern aufgipfelnd.
Erst unter dem mannhaften und entschlossenen Sachsenkönig Otto dem Ersten, der sich in Aachen zum Kaiser krönen ließ und seinen Bruder Bruno zum Erzbischof von Köln machte, gewann das Rheinland seine volle Bedeutung für das nunmehrige Deutsche Reich wieder. Mit Bruno dem Großen, wie man ihn auch genannt hat, begann der Einfluß der Kirche, den schon die Karolinger gestützt hatten, sich am Rhein immer stärker zu entfalten. Man irrt indessen sehr, wenn man glaubt, die Bevölkerung an der großen Pfaffengasse, dem Rhein, hätte sich gleich und stets willig unter den Krummstab ihrer geistlichen Herren, der Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, gebeugt. Unterwürfigkeit und knechtischer Sinn, diese Untugenden sind den Rheinländern von allen deutschen Stämmen am wenigsten zu eigen. Es hat stets ein freier Luftzug an diesem Strom geweht. Das haben die weltlichen wie die geistlichen Herrschaften, die hier regiert haben, des öfteren zu verspüren bekommen. Über ein Jahrhundert lang hat die Bürgerschaft Kölns gegen ihre Erzbischöfe um ihre Selbständigkeit gekämpft, bis diese in der blutigen Schlacht bei Worringen errungen worden ist. Seitdem war Köln eine freie Reichsstadt, die nur noch den deutschen Kasier als ihren Oberherrn anerkannte. Der Kölner Erzbischof, der fortan meist auf seinen Schlössern in Bonn oder Brühl Hof hielt, mußte, wenn er noch einmal seine Stadt betrat, eine feierliche Erklärung abgeben, daß er die Rechte und Freiheiten der Stadt unverbrüchlich halten wollte. Auch der Huldigungseid, den die Stadt ihrem geistlichen Herrn leisten mußte, war ein sehr eingeschränkter. Denn man versprach ihm nur Treue und Gefolgschaft, "als lang er uns hält in Rechte und Ehren, bei unser guter alter Gewonde, die wir und unsere Vorfahren hergebracht haben." Und die Stadt, die seit der Römerzeit den Wert einer ausreichenden Befestigung zu schätzen gelernt hatte, wußte sich so gut zu schützen, daß sie von allen deutschen Städten während des ganzen Dreißigjährigen Krieges am allerwenigsten zu leiden gehabt hat.

Köln am Rhein.
[193]      Köln am Rhein.

Köln.
[195]      Köln. Blick auf Gürzenich und Stadthaus.
Um jene Zeit, da Köln sich seine Selbständigkeit errungen hatte, genoß es im ganzen Deutschen Reich die höchste Achtung. Sowohl als Vorort und Mitglied der Hansa wie als Hauptumlageplatz für den Handel mit England, wo die Kölner Kaufmannsgilde eine besondere Niederlassung in London, die Gildehalle, hatte, aus der später der Stahlhof entstanden ist. Das rheinische Geld, der rheinische Thaler oder Gulden, eine Münze, auf die noch die unglückseligen Sonderbündler in den verworrenen Jahren nach dem Weltkrieg zurückgreifen wollten, erfreute sich damals überall einer großen Anerkennung. Und selbst in Brügge, das mit Köln in steter Handelsverbindung stand, galt er zeitweise als marktläufiges Zahlungsmittel. Ein gewisser Hang zu einer großen Lebensführung haftet seitdem noch dem Kölner gern an: Ein Hang, dem sich die reichen Altgeschlechter der Stadt, die Overstolz, Lyskirchen, von der Aducht und wie sie alle heißen mochten, in jenen Zeiten mit Vorliebe hingaben. Ja, bis auf den heutigen Tag ist dem Kölner eine oft zur Schau getragene Großspurigkeit geblieben und eine Freude an der Üppigkeit, die diese Stadt der Wohlgerüche und duftenden Wasser noch immer durchzieht.

[195] Bis auf den heutigen Tag hat Köln seine Vormachtstellung vor den Städten des Rheinlandes behaupten können. Selbst vor Düsseldorf, dem Mittelpunkt am Niederrhein, das sich jetzt noch gern in einem edlen Wettstreit, wie er einstmals zwischen Florenz und Rom entbrannt war, mit der alten Römerkolonie mißt, der die Kaiserin Agrippina ehedem ihren Namen lieh. Es ist ein großes, unschätzbares Verdienst des Kölner Oberbürgermeisters Doktor Adenauer gewesen, daß er es verstanden hat, auch die nächste, etwas nüchterne Umgebung seiner Stadt - ein Punkt, in dem Köln unbedingt seiner Nebenbuhlerin Düsseldorf unterlegen war - durch die Schaffung eines herrlichen, einzigartigen Grüngürtels zu verschönern. Und elektrische Bahnen und Kraftwagenverkehr haben dafür gesorgt, den Kölner Bürgern die Möglichkeit schneller Ausflüge in das liebliche Siebengebirge und die herbe, aber an köstlichen Ausblicken reiche Eifel zu verschaffen. Also, daß es heute keinem rheinischen Großstädter so leicht gemacht ist, sich über die Art seiner Landschaft und das Wesen der Menschen, die darin wohnen, Kenntnis und Urteil zu bilden wie dem Kölner.

Der freie, freiheitliche Sinn der Kölner Bürgerschaft, die übrigens ihre Stadt als "eyn croen boven allen steden schoen" erklärte, hat sich auch der übrigen rheinischen Bevölkerung mitgeteilt. Bis auf die Bewohner der Eifel, deren Kleinmut und mangelndes Selbstbewußtsein sich von der Kargheit und Rauheit ihrer Landschaft herleitet, sind die Rheinländer als ein trotziger Volksschlag anzusprechen. "Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei, als wär' es ein adlig Geschlecht", schildert der Rheinländer Karl Simrock seine Landsleute in seiner viel gesungenen Warnung vor dem Rhein. Bis hinauf [196] in das bergische Land, wo in den Tälern zwischen ihren ruhmreichen Bergen die Messerschleifer auf ihren Kotten saßen, ist der Rheinländer ein freiheitsliebendes Wesen, der unter jeder Bedrückung seiner Eigenheit bitter leidet. Darum war auch für ihn die Angliederung an Preußen, die der Wiener Kongreß von 1815 herbeiführte, nicht ganz leicht zu ertragen und nicht völlig reibungslos, zumal die preußische Regierung damals nicht immer sehr geschickt vorging und mehrfach zu wenig Rücksicht auf die Glaubensrichtung ihrer neuen Volksgenossen nahm. Und es beweist wiederum die Treue zum Deutschtum, das feste Gefühl der Rheinländer, "Teutsche zu sein", wie es der bedeutende rheinische Zeitschriftsteller Joseph Görres ausgedrückt hat, daß man am Rhein alsbald ebenso gut preußisch-deutsch gesinnt wurde wie an der Elbe, Havel oder Spree.

Der zweite Hauptzug im Wesen des Rheinländers, den man ihn im Reich zuzusprechen pflegt, ist der einer gewissen Leichtigkeit. Meist wird ihm diese Eigenschaft noch vor seinem Freiheitsdrang zuerkannt. Ja, sie wird ihm stellenweise als Untugend aufgemutzt, indem man von rheinischer Leichtsinnigkeit oder Oberflächlichkeit redet. Die Rheinländer zeichnen sich allerdings, sofern man überhaupt solche Urteile verallgemeinern darf, häufig durch ein schnelles Auffassungsvermögen aus. Schon der alte Arndt fand, als er sich dauernd als Universitätsprofessor in Bonn niedergelassen hatte, die Leute an dem von ihm geliebten Strom "erstaunlich aufgeweckt, wenn auch leichter vergeßlich" als seine behutsamen pommerschen Landsleute. "Die Erinnerung an die nun schon weit zurückliegenden Schwedeneinfälle haben sich hartnäckiger in den Köpfen der Bewohner von Lübeck und Stralsund erhalten als das Angedenken an die doch erst kürzlich geschehene Überflutung und Besetzung der Rheinlande in den Gemütern der hiesigen Bürgerschaft", schrieb er vom Rhein an einen Freund im Osten. Arndt, der in Rügen geborene Protestant, trat zunächst den meist katholischen Rheinländern so befremdet wie ein Ausländer entgegen. Noch heute begegnen wir bei vielen Norddeutschen diesem Gefühl des Unheimlichen, Unbehaglichen, das er gegen den Katholizismus am Rhein mit seinen Kirchenfesten und seinem bunten Gottesdienst hegt. Aber gerade Arndt, der dem Rheinstrom treu blieb, trotzdem dessen Wasser ihm seinen jungen Lieblingssohn verschlungen hatten, ist auch ein sprechender Beweis dafür, wie fest und tief auch der Nordländer hier einwurzeln kann. Arndts noch heute lesenswerte Schrift: Der Rhein Deutschlands Strom nicht Deutschlands Grenze, dringt kenntnisreich in die Vergangenheit und seherisch in die Zukunft, wenn er das Werk Bismarcks vorausahnt und Elsaß-Lothringen dem rheinischen Gebiet angliedert. Kraft der für ihn einzig gültigen Naturgrenze: der Sprache. Man darf die glückliche Veranlagung des Rheinländers, dies sein leichtes Geblüt, das ihn überstandene Leiden schneller verwinden läßt, als es etwa dem Niedersachsen oder dem Holsten möglich ist, nicht gleich als Seichtheit des Gemütes auslegen. Gerade die am Rhein geborenen Künstler - und sie sind ein Gradmesser für die Gefühlsstärke eines Volksschlages - Dichter wie Brentano und Heine, Tonschöpfer wie der einzigartige Beethoven - zeichnen sich durch eine ungemeine Wärme, ja eine Überfülle von Empfindung aus.

Die Kölner St. Martinskirche mit Stapelhaus.
[197]      Die Kölner St. Martinskirche mit Stapelhaus.

Ja, die Empfindsamkeit ist vielleicht in ganz Deutschland nirgendwo so zu Hause wie am Rhein. Aber sie pflegt sich hier auch mit Vorliebe auszugleichen und zu berichtigen durch [197] einen leichten Spott, den sie einem allzulaut geäußerten Gefühl anhängt. Hierfür sind die Dichtungen Heinrich Heines, der in diesem Punkt ein echter Rheinländer war, ebenso ein Beispiel wie der Kölner Karneval, dessen Ausgelassenheit mit einer gewissen wehmütigen Stimmung, die immer wieder durchbricht, untermischt ist. Grade für das Wehmutvolle und Weltschmerzliche haben die Anwohner des Rheins, an dessen Ufern der [198] deutsche Byron, eben Heinrich Heine, aufgewachsen ist, ein tiefes Verständnis, das der Beschuldigung der Leichtfertigkeit und Lässigkeit, den man gern gegen die Rheinländer erhebt, durchaus widerspricht. Das beweisen auch die Volkslieder, die hier im Schwange sind, Lieder, die oft noch aus der rührseligen Zeit des Wertherfiebers in Deutschland stammen, wie jenes noch jetzt oft gesungene von dem bis in den Tod getreuen Ritter Ewald:

    "In des Gartens dunkler Laube
    Saßen einstens Hand in Hand
    Ritter Ewald und die Minna
    Durch die Liebe festgebannt."

Oder jenes andere Volkslied, das bis auf den heutigen Tag beliebteste Fastnachtslied von dem "treuen Husar", das neuerdings auch im übrigen Deutschland recht bekannt geworden ist.

Neben dieser seiner stark entwickelten Gemütsseite zeichnet den Rheinländer aber auch eine innige Anteilnahme an der Geschichte und der Kunst seines Landstrichs und Gebietes aus, die ihn allein von der bösen Nachrede einer geistigen Untiefe freisprechen sollte. Kaum anderswo gibt es so viele Vereine zur Erhaltung der heimatlichen Eigenart, Mundart, Kunst- und Denkmalpflege wie am Rhein, dieser großen Gedenkstraße des Mittelalters, wie Richard Wagner sie gepriesen hat, dessen "Rheingold" den starken Eindruck widerstrahlt, den Deutschlands schönster Fluß auf ihn gemacht hat. Die leichtere Beweglichkeit, die das Volk an diesem Strom vor dem schwereren Mitteldeutschen voraus hat, darf nicht ein Grund sein, die Rheinländer des Mangels an Gründlichkeit und Nachdenklichkeit zu bezichtigen. Freilich läuft seine Vorstellungskraft meist hurtiger als bei den übrigen deutschen Stämmen, freilich ist er scherzbereiter und lebenslustiger als seine östlichen Landsleute, aber darum zeigt er doch nicht eine Abneigung gegen das rein Geistige, die man ihm oft andichten will. Und sein Witz, wie er besonders in Köln, dem Sammelpunkt der "Krätzjer" gepflegt wird, ist stets mit einer Liebenswürdigkeit gemischt, die dem Rheinländer vor allen andern Deutschen die Zuneigung des Auslandes erworben hat. Auch das Mundartliche am Rhein ist ja so beschaffen, daß ihm die tragischen Töne und die Eignung zur Wiedergabe trauriger Vorgänge auf der Bühne abgeht, wie sie etwa das Schlesische Gerhart Hauptmanns auszeichnet. Dafür trifft das rheinische Platt, insbesondere das Kölnische, besonders gut das Behagliche, das kleinbürgerlich Häusliche, für das die Leute vom Oberrhein bis zum Niederrhein gleiche Liebe und volles Verständnis aufbringen. Aus diesem Hang zur Gemütlichkeit, zum Willen, sich das Leben auf Erden und mit seinen Mitmenschen so erträglich wie möglich zu machen, entspringt auch die Neigung und Bereitwilligkeit zur Kameradschaft: Eine an sich lobenswerte Eigenschaft, die nur zuweilen schlecht ausarten kann. Wofür man in Köln das bezeichnende Wort "Klüngel" erfunden hat, das auch im übrigen Deutschland, wo der Begriff gleichfalls nicht ganz fremd sein dürfte, eingebürgert worden ist.

Von allen schönen Künsten wird insbesondere die Musik am Rhein geschätzt und geehrt. Die großen rheinischen Musikfeste, die sich bis in unsere Gegenwart erhalten haben, legen [199] ein beredtes Zeugnis für die Beliebtheit ab, der sich die Kunst der Töne hier zu erfreuen hat. Und die Singefreudigkeit der Rheinländer offenbart sich in den vielen Männergesang- und Chorvereinen, die hier bis in die kleinsten Städte gedeihen. Neben der Musik ist es der Malerei nicht ganz so leicht gewesen, sich die Gunst der rheinischen Bevölkerung zu erringen. Zwar erinnern sich einige Kunstfreunde wie die mit Goethe befreundeten Brüder Boisserée zur Zeit der Romantik, daß es einmal eine berühmte Malerschule in Köln gegeben und daß Maler wie Meister Wilhelm, Stephan Lochner und der Meister des Marienlebens hier gewirkt hatten, aber deren Bilder hingen nur noch in Kirchen und Sammelhallen herum und bedeuteten der Gegenwart nicht mehr das, was sie der gläubigen Zeit, da sie entstanden, gewesen waren. Erst die neue Begründung der Düsseldorfer Kunstakademie, die der Stadt einen Ersatz für die prachtvolle ihr verlorengegangene Gemäldegalerie bieten sollte, und die Heranziehung von Peter Cornelius als Leiter dieser Akademie weckte neben den Malwerken, die nun hier in der Düsseldorfer Schule entstanden, wieder mehr die Teilnahme der Rheinlande an dem bildnerische Kunstschaffen der Zeit.

Noch schwerer hat es die Bühnendichtung am Rhein gehabt. Zwar gab es hier seit alters eine Bühnenvolkskunst in dem auch über Köln hinaus bekannten "Kölner Hänneschen", in dem in rheinischer Mundart Hanswurststücke und Possen aufgeführt wurden. Aber diese urwüchsige, einfache und harmlose Volksbelustigung entartete mit einer unnatürlich und anmaßend gewordenen Zeit immer mehr und ist heute leider so gut wie ausgestorben. Mühsam erst ließ sich die auf Heiterkeit und Scherze eingestellte rheinische Bevölkerung zu der ernsten klassischen Kunst bewegen. Und die frühesten Versuche, die ein Carl Immermann mit seiner Musterbühne in Düsseldorf hierzu gemacht hat, sind recht unglücklich [200] verlaufen. Erst die besinnlichere werktätige Volksschicht, die sich mit der Zunahme der Werkstätten, Gießereien, Hochöfen und Kohlengruben am Niederrhein ansiedelte, und eine ihr entsprechende Kaufmannschaft zeigte größere Neigung und tieferes Verständnis für die ernsthaften Darbietungen, die ihnen von der Schaubühne geboten wurden.

Das Großgewerbe, das eine Anzahl von Arbeitern und Angestellten an den Rhein lockte, hat auf der andern Seite viel zur Vermischung der einheimischen Bevölkerung mit Menschen, die aus andern deutschen Gebieten stammten, beigetragen. Kein anderer Bezirk unseres Vaterlandes hat in den letzten Jahren so viel Zuzug aus andern Landesteile erhalten wie die Rheinprovinz. Wie in der vorrömischen und römischen Zeit sich hier Kelten, römische Kolonisten, Ubier und andere Germanenstämme vereinigt haben, hat in unserm Jahrhundert am Rhein eine Vermengung und Verschmelzung von Deutschen aus allen Landstrichen stattgefunden. Nur in den kleineren rheinischen Städtchen und Dörfern mag hier und dort noch eine gewisse Inzucht herrschen. In den Großstädten und Fabriknestern am Rhein haben sich meist nicht zum Nachteil der eingesessenen Bevölkerung die aus den verschiedensten Teilen Deutschlands zusammenströmenden Menschen zu einer Einheit verbunden. Denn das ist wohl das Beste an dem Rhein und an dem Gebiet, das er durchströmt, daß er und daß es die Leute schnell umwandelt und einheimisch macht. Die Kinder neu hinzugezogener Familien werden, wenn sie hier aufwachsen, im Nu zu Rheinländern und leben sich viel leichter als anderswo in die Art des Landes hinein. Es ist die jeden Fremden flugs eingewöhnende Macht des Rheins, die schon der Dichter Schenkendorf, [200] der aus Tilsit nach Koblenz kam, bestaunt hat, die alles, was hier wohnt, noch eh' man es recht bedenken kann, unter einen Hut und eine Sinnesart bringt.

Am deutschen Rhein.
[191]      Am deutschen Rhein.

Der Deutsche, der fern vom Rhein wohnt, verbindet in seiner Vorstellung gleich und am liebsten den Wein als das schönste Naturerzeugnis, das hier wächst, mit dem Strom und seinen Bewohnern. "Die Erde wär' ein Jammertal voll Grillensang und Gicht, wüchs uns zur Linderung unserer Qual der edle Rheinwein nicht", sang schon Hölty anno 1775. Und Matthias Claudius verstieg sich in seinem Rheinweinlied, dem volkstümlichsten das wir haben, zu der Strophe:

    "Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben,
    Gesegnet sei der Rhein!
    Da wachsen sie am Ufer hin und geben
    Uns diesen Labewein."

Steg am Rhein.
[200]      Steg am Rhein.

Seit den Zeiten, da jene Dichter sich am Rheinwein berauschten, hat sich der Strom dort wo er sich in Deutschland seinem Ende zuwendet, von Köln bis Emmerich zum Schauplatz einer riesigen Arbeitswerkstätte entwickelt und gewandelt. Die Reben, die Claudius anschwärmte, wachsen zwar glücklicher Weise noch. Und im sogenannten Rheingau von Rüdesheim bis Eltville, in diesem weltberühmten Rebegarten, bringen sie noch immer den edelsten Wein hervor, den es wohl auf dieser Erde zu trinken gibt. Bis hinauf nach Worms im Wonnegau, wo weiland der Sitz des Burgunderkönigs Gunther war, der [202] nebst seiner Schwester Kriemhild in die Siegfried-Sage verwoben ist, und wo um die Liebfrauenkirche der süße Liebfraumilchwein gedeiht, den schon das Mittelalter als "wünne sam" preist. Aber der eitle reine Lebensgenuß, den Simrock seinem Sohn vorauskündet: "Da geht dir das Leben zu lieblich ein", ist auch hier in der Gegenwart mit ernster Arbeit und manchen Alltagssorgen verknüpft. "Die Leute leben hier, als ob alle Täg Sonntag wäre", meinte Vater Mozart noch, als er mit seinem Wundersöhnchen den Rhein bereiste. Ganz so unbekümmert und vergnügt ist es auch hier nicht geblieben. Aber der goldene Glanz, den der Strom wie der Wein, der an ihm blüht und reift, widerspiegeln, dieser Goldglanz ruht auch heute noch auf dem Rheinland wie auf den Gemütern der Menschen, die hier hausen und glücklich sind und am Abend beim Becherklang fröhlich anstimmen: "Nur am Rhein, da möcht' ich leben!"

Seite zurückInhaltsübersichtnächste
Seite


Das Buch der deutschen Heimat, besonders die Kapitel "Köln und Bonn am Rhein",
      "Neuß und der Niederrhein" und "Im Rheingau und am Mittelrhein".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.