Nordwestdeutschland - Georg Hoeltje
Köln und Bonn am
Rhein
Der Rhein ist unter den deutschen Flüssen der einzige, der das dreifache
Band der deutschen Landschaften von Süden nach Norden in seiner ganzen
Breite durchschneidet. Sein Wasser trägt Schiffe mit über 1000
Tonnen Last vom Schwarzwald bis nach den Niederlanden; die 120 Kilometer
von Bingen bis Bonn zwischen hohen Felswänden auf schmal gewordenem
Spiegel.
Ingenieure haben den Wasserstand des Stromes regulieren müssen, bevor
diese Leistung möglich geworden ist. An manchen Stellen, so im Binger
Loch, sind erst 1830 die Felsenrisse gesprengt worden, die mit ihren
Stromschnellen die Schiffahrt gefährdeten.
Wir sehen heute die sauber eingefaßte Wasserstraße. Es gab aber eine
Zeit, in der das gleiche strömende Element ungezähmt Stein und
Erde zernagte und sich seinen Weg selber zurechtbiß. Im gleichen
Maße, wie das Rheinische Schiefergebirge langsam sich hob, grub sich das
Bett des Stromes immer tiefer hinein in den Felsen. Das Tal also, durch das der
gealterte sorglich behütet seinen Weg zieht, hat sich der jugendliche Rhein
einmal selbst geschaffen.
Solche Durchbruchstäler sind meist nicht sehr wegsam. Daß die
Römer ihre große Straße von Trier nach Köln über
die Eifel geführt haben und nicht durch die Täler von Mosel und
Rhein, zeigt, wie unwegsam beide damals gewesen sein müssen. Im
Mittelalter verließ man das Rheintal, wenn man von Köln nach
Frankfurt wollte, bei Siegburg und vermied auf dem Wege zwischen
Siebengebirge und Westerwald die Engpässe des Stromtals.
Erst der moderne Verkehr, der für das wirtschaftlichste Streckenprofil, also
die Linienführung mit den geringsten notwendigen Steigungen, jedes Opfer
bringt, hat es verstanden, in das enge Tal zwei doppelgleisige
D-Zugstrecken und zwei Autostraßen einzupassen. So birgt heute das
Rheintal nicht nur die billige und leistungsfähige Wasserstraße
für den Gütertransport, sondern auch durch die
gleichmäßige, absolut verlustfreie Steigung die ökonomischste
und schnellste Straßen- und Bahnverbindung zwischen
Nord- und Süddeutschland.
Die Bedeutung des Rheins ist heute also größer als je. Aber dieser in
Geschwindigkeit und Frequenz auf äußerste gesteigerte Durchgang
von Gütern und Menschen befruchtet nicht mehr.
[34] Im Mittelalter wuchsen
am Ufer des langsam und mühselig talauf und talab ziehenden Verkehrs
Zollstätten, allein 25 zwischen Bonn und Bingen; also durchschnittlich alle
5 Kilometer eine. Heute rollt und strömt das Gut ohne Aufenthalt an Unkel,
Sinzig, Linz und Engers vorbei; und vom Weinbau allein leben keine
Städte.
[28]
Rheinlandschaft bei Remagen und Unkel.
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Die Burgen, die zum Schutz, teils auch zum eigenen Nutzen entstanden waren,
haben ihren Sinn und meist auch ihr Leben verloren. Als eigentümliche
Ergänzung gesellt sich zum geschäftigen Lärm der Schienen,
Reifen und Schaufelräder eine auch oft lärmende Rheinromantik.
Und während der Fremdenverkehr anwächst, nimmt die
Bevölkerung an manchen Stellen des engen Tals ab.
Starken zum Wachsen befähigten Städten hat stets in diesem Tal der
Raum gefehlt. Nur wo ein Quertal sich öffnet, finden wir etwas
kräftigere Gebilde; und der günstigste Platz ist natürlich dort,
wo ein Einbruch des alten Gebirges das Tal erweitert. Gleich zwei namhafte
Städte mit 10- und 20 000 Einwohnern sind außer Koblenz,
das mehr zur Mosel gehört, in dem etwa 20 Kilometer langen und etwas
über 10 Kilometer breiten Neuwieder Becken entstanden,
Andernach und Neuwied.
[27]
Der Rhein bei Namedy.
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Tausend Meter breit ist hier der Strom, Wiesen und Obst- und Gemüsebau
an seinen Ufern. Industrie hat die Städte groß gemacht. Ganz
besonders Neuwied und das benachbarte Bendorf. Schwemmsteinindustrie,
Chamottefabrikation und schließlich sogar Eisenhüttenbetriebe, die
das Erz des nahen Westerwaldes verarbeitet haben.
Heute haben die Unternehmer des Ruhrgebietes hier ihre Hand im Spiel. Die auf
örtliche, stets geringe Erzvorkommen gestützten alten
Eisenhütten haben sich hier wie im Siegerland nicht als
konkurrenzfähig erwiesen mit den ausländisches Erz von ganz
anderer Qualität verarbeitenden modernen Betrieben, die an der Ruhr auf
der Kohlengrundlage aufgebaut worden sind.
Es ist das alte Lied: die Kleinindustrie, die im Innern der Gebirgstäler, auf
Wasserkraft und Holzkohle gestützt, wirtschaftlich hat produzieren
können, verliert ihre Existenzmöglichkeit in dem durch Steinkohle
und Dampf immer stärker beschleunigten Umlaufstempo des 19. Jahrhunderts.
Im Siegerland ist eine alte, harmonisch aufeinander eingespielte
Wirtschaft auf diese Weise zerschlagen worden. Die
Eichen-Niederwälder, die auf den steilen Hängen des
ungewöhnlich stark zertalten Landes wachsen, werden alle
16 - 18 Jahre geschält und geschlagen. Die Rinde liefert dem
Gerber die Eichenlohe, die Stämme werden zu Holzkohle gebrannt, der
Rasen zwischen den Eichenwurzeln gehackt und verbrannt und der Boden ein
Jahr zum Anbau von Roggen verwendet. Vier bis sechs Jahre lang liegt der
Hauberg dann mit den jung heranwachsenden Eichen wieder unbenutzt, und die
folgenden 10 - 12 Jahre treibt der Hirt seine Herden durch den
buschigen Wald. Dieser Kreislauf ist zerstört worden. Die Gerberei
verwendet seit 1870 schneller gerbende ausländische Rinden und ist an die
großen Straßen gezogen, nach Köln und an die Küste.
Die Industrie verbraucht Steinkohlen und Koks.
[35] Die Eisenerzlager des
Siegerlandes sind nur von sehr geringer Mächtigkeit, der Abbau schwierig
und teuer. Viele Zechen wurden aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt.
Die Rohstoffknappheit Deutschlands läßt den Wert dieser Erze
natürlich wieder steigen und begünstigt ihren Abbau. Aber bei voller
Ausnutzung der Förderfähigkeit der Gruben werden die
Vorräte in 34 Jahren erschöpft sein. Dann muß auf jeden Fall
die Bevölkerung dieser Landschaft, die ganz auf industrieller Grundlage
lebt, auf anderen Erwerb umgestellt werden.
Wer das "Hüttental" der Sieg einmal durchfahren oder durchwandert hat,
wo in Weidenau 10 900 und in Siegen 32 700 Menschen von der
Industrie und von den vor ihr abhängigen Gewerben leben oder leben
wollen, kann den Ernst der Situation abschätzen.
Die Bevölkerungsdichte ist hier, unmittelbar am Fuß des
Rothaargebirges, das kaum über 30 Menschen auf dem Quadratkilometer
ernährt, mit 207 Menschen auf der gleichen Fläche
außergewöhnlich hoch und nur auf industrieller Grundlage denkbar.
Wie ein dünner, immer schmaler werdender Streifen senkt sich dieser
Lebensraum den Fluß entlang zum Rhein hinunter.
Bei Siegburg betreten wir wieder das Rheintal. Aber nicht mehr das
enge Durchbruchstal, sondern eine weite Senke, in der das Norddeutsche
Flachland wie eine Bucht tief in die Zone des Schiefergebirges hineingreift.
Und wirklich hat in dieser "Bucht" einmal das Meer gestanden und hat in
Jahrtausenden der Tertiärzeit seine Sinkstoffe über das
eingebrochene Gebirge abgelagert. In das zurückweichende Meer hat der
Rhein seine Schottermassen abgeladen.
So ist zwischen den stehengebliebenen schieferigen Flanken des alten Gebirges
eine innen 16 Kilometer breite und nach außen auf
40 - 50 Kilometer sich öffnende Bucht entstanden,
angefüllt von jungen Lockermassen, überschüttet mit
fruchtbarem Löß in der Eiszeit und von den
Überschwemmungen des breit und unentschieden durch das flache Tal
pendelnden Flusses mit Sinkstoffen gesättigt. Im Waldland der
vor- und frühgeschichtlichen Zeit ein Ort, der zur Besiedlung wie
geschaffen erscheint.
Am Ausgang der Bucht, im Neandertal, in der Nähe von Düsseldorf
sind Reste eines menschlichen Wesens der älteren Steinzeit gefunden
worden. Daß die ackerbautreibenden Menschen der jüngeren
Steinzeit die fruchtbare Ebene dicht bevölkert haben, ist
selbstverständlich. Und aus der
Bronze- und Eisenzeit gibt der Boden der Kölner Bucht Funde in einer
Menge her, wie wir sie sonst nur im Neuwieder Becken, im Maifeld und der
Oberrheinischen Tiefebene finden.
Heute drängen sich 760 000 Menschen in der Stadt, die der Bucht den
Namen gegeben hat. Die siedlungsfreundliche Talbreite ist ein großer Garten
geworden, und in ihrer Mitte wie in einem Netz läuft ein Stern von neun
Fernverkehrsstraßen und ebensovielen mehrgleisigen Bahnstrecken
zusammen.
Die Kölner Domtürme bezeichnen den Punkt, der schon
vor 2000 Jahren zum Schwerpunkt dieser Landschaft bestimmt worden ist. Ein
römischer Feldherr siedelt hier die germanischen Ubier an, eine
römische Kaiserin wird in [36] diesem Lager geboren
und gibt später der Siedlung das italienische Stadtrecht und den Namen:
"Colonia..."
Jedes Volk, das den Raum dieser Landschaft bewohnt, spürt die zentrale
Stellung der römischen Stadt. Die Könige der ripuarischen Franken
residieren hier, die Kölner Bischöfe sind die vertrauten Berater der
merovingischen Könige, und der erste Bischof von Köln, Hildebold,
verdankt seine Stellung Karl dem Großen, dessen Kanzler er ist.
Zum Mittelpunkt christlicher Frömmigkeit wird die Stadt, als der
Reichskanzler Friedrich Barbarossas, der Erzbischof Rainald von Dassel, die
Reliquien der Heiligen Drei Könige nach Köln bringt. Über
ihrem Schrein erhebt sich der Dom, in dessen gotischer Architektur der
über die Grenzen Deutschlands greifende Geist des kirchlichen Köln
sich sein großartigstes Denkmal gesetzt hat. Als sein Bau beginnt, 1248,
sitzt in Köln zu Füßen Albertus Magnus der
größte katholische Kirchenlehrer des Mittelalters, Thomas von
Aquino, und als der Domchor vollendet wird, stirbt in Köln Meister
Eckehart.
Ein Jahrhundert später blüht in der Stadt der Kirchen die Kunst des
Meisters Wilhelm und des Stefan Lochner. Der goldene Schein ihrer Bilder ist
der letzte Glanz, mit dem die Kunst Kölns Namen verklärt; der
Dombau stockt, erzbischöfliche Residenz ist die Stadt schon seit 1273
nicht mehr, und sie muß nun als bürgerliches Gemeinwesen die
Jahrhunderte der Stagnation über sich ergehen lassen, die das erstarkende
Landesfürstentum über das deutsche Bürgertum
verhängt.
Die bürgerliche Vergangenheit Kölns ist wohl die älteste und
großartigste aller deutschen Städte. Vor der Ostgrenze der
römischen Siedlung, die vom Dom bis zur Kirche Maria im Kapitol
verläuft, entsteht schon im 10. Jahrhundert eine Kaufmannstadt, die auf
niedrigerem Schwemmland direkt ans Rheinufer stößt. Heumarkt und
Alter Markt mit einer Bebauung, die durch ihre Kleinteiligkeit von den
großen Straßenzügen der
Römerstadt - Hohestraße und
Schildergasse - absticht, das Rathaus und die gewaltige Silhouette von
Groß-St.-Martin am Wasser machen das Bild dieser Stadt aus.
In den folgenden beiden Jahrhunderten wächst das so entstandene
Stadtgebiet, ein Komplex von rund 120 Hektar, auf mehr als das Doppelte und
bekommt schon 1180, also rund 150 Jahre früher als fast alle deutschen
Städte seine endgültige mittelalterliche Befestigung.
Die Bürgerschaft, die diese Mauern verteidigt, verlangt Herr im eigenen
Haus zu sein. 1288 bei Worringen siegen die Städter über den
Erzbischof. Köln wird freie Reichsstadt.
Und es wird Deutschlands größte Stadt im Mittelalter. Keine andere
hat ein Tanzhaus wie den Gürzenich, den die Kölner sich 1441
erbauen und in dessen 1200 Quadratmeter großen Saal Kaiser bewirtet
werden und unter Maximilian Reichstag gehalten wird. Das ist der Abend des
bürgerlichen Mittelalters.
Aber als mit der Romantik eine neue bürgerliche Zeit anhebt, als man unter
der Begeisterung Deutschlands den Plan faßt, den Dom zu Ende zu
bauen, [37] da beginnen in diesem
Saal die niederrheinischen Musikfeste, und seit 1822 schlägt Prinz
Karneval alljährlich hier sein Quartier auf.
Die Stadt Köln tritt mit 50 000 Bewohnern in diese neue Epoche, nach zwei
Generationen hat sie das Dreifache, zehn Jahre später, 1890 fast das
Sechsfache, und im Jahre 1910 überschreitet sie die halbe Million.
Eingemeindungen sind natürlich diesem Wachstum zu Hilfe gekommen.
Neun Kilometer lang dehnt sich heute die Front der Stadt am Rhein. Hunderte von
Lampen leuchten abends am Ufer auf und weben glitzernde Perlenschnüre
ins Wasser.
Vom Strom empfängt Köln sein Leben wie viele andere Städte
oberhalb am Rhein. Aber der Punkt, den es besetzt hält, ist von
größerer Wichtigkeit als andere. Von hier aus können kleinere
Seeschiffe direkt übers Meer nach London und zu den Häfen der
Nord- und Ostsee fahren. Wie in alten Zeiten der Erdgeschichte leibhaftig, reicht
im Verkehr unserer Tage die See wieder tief in die Bucht.
In den vier Häfen der Stadt haben 1930 über 16 000 Schiffe
festgemacht. Und der Rauch der Schlepper, die ihre schweren Kähne
stromaufwärts ziehen, schlägt gegen die vier Kölner
Brücken. Vier sind es, seitdem 1929 die Mülheimer
Hängebrücke fertig geworden ist, die in geschmeidiger Kurve
flußabwärts der alten Hohenzollernbrücke die Ufer verbindet.
Und auf allen vier Brücken überquert das rollende Gut die
dichtbelebte Straße des Stromes. Im Kreuz beider Richtungen liegt
beherrschend die Stadt.
Sechshundert Meter breit ist die Stromaue bei Köln.
Flußabwärts nimmt sie an Breite zu. Eine Überquerung des
Rheins ist deshalb stets bei Köln am leichtesten gewesen. Noch weiter oben
kommt man zu tief ins Gebirge.
So legen schon die Römer ihre Brücke nach Köln, die einzige,
von der wir wissen, bis herauf nach Mainz. Sie sichern auch den
Brückenkopf am anderen Ufer. Deutz ist ein altes Römerlager.
Neben dem Bahnhof von Deutz dehnen sich heute die langgestreckten
Messehallen, in denen jedes Jahr im Frühling und im Herbst die
Kölner Messe stattfindet, außerdem Möbelmesse, Funkschau
und Gastwirtsmesse. 115 000 Menschen sind in Köln in den
Berufsgruppen Handel und Verkehr beschäftigt.
Aber 159 000 kommen hinzu, die in Industrie und Handwerk arbeiten.
Wie der Rand einer Schüssel legt sich in flachem Bogen westlich um
Köln das Vorgebirge. An seinen höchsten Punkten 120
Meter über dem Spiegel des Rheins, schneidet es aus der breiten
Talfläche der Bucht den eigentlichen Kölner Raum und
läßt im Westen einen schmaleren Streifen über, in dem die Erft
fließt. Erft und Vorgebirge wirken wie Graben und Wall und sind
gewiß einmal ein wichtiger Grund gewesen, Köln an seine heutige
Stelle zu legen.
Heute aber ist das Vorgebirge die Grundlage von Kölns Industrie. Denn seit
der zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts schaufeln Bagger aus seiner
östlichen Flanke immer größere Mengen von Braunkohle, die
schon im 16. Jahrhundert bekannt, aber erst im Zeitalter der Industrialisierung
lebenswichtig für die Stadt geworden ist.
[38] Eigentümlich, wie
sich heute auf diesem Berghang die verschiedenen Jahrhunderte begegnen: die
alte Römerstraße, die auf dem Wege nach Trier in der Richtung auf
Zülpich den Wall überschreitet, flankiert von alten Orten mit
römischen Namen: Fischenich = Pisciniacum und
Lechenich = Laconiacum. Auf ihren Spuren die moderne Chaussee. Auch
das Mittelalter hat den gleichen Paß benutzt: zwei Burgen des Erzbischofs
haben ihn in Lechenich und Brühl geschützt.
Auf der Höhe von Brühl, knapp zwei Kilometer vor dem
Schloßpark des 18. Jahrhunderts, beginnen die südlichsten
Braunkohlengruben. Und jenseits der großen Straße reckt das
Goldenberg-Werk seine Schornsteinreihen; mit 450 000 PS das
größte Kraftwerk Deutschlands; aufgebaut auf der Braunkohle, die es
als Rohkohle verbraucht.
Zwei Drittel der Braunkohlenförderung werden brikettiert. Von ihnen lebt
Kölns Industrie. Es ist im Gegensatz zum Ruhrgebiet in erster Linie
Fertigwarenindustrie: die Ford-Automobilfabrik, die Vereinigten Westdeutschen
Waggonfabriken und die Motorenfabrik Deutz. Kölns
Zucker- und Schokoladenindustrie verarbeitet die Rüben der Jülicher
und Zülpicher Börde jenseits des Vorgebirges. Die
Stollwerk-A.-G. beschäftigt allein 2700 Arbeitnehmer. Und ganz besonders
ruht auf der Braunkohle, auf ihrem
Teer- und Öl- und Bitumengehalt die Kölner chemische Industrie,
deren Hauptwerk, die I. G. Farbenfabrik in Leverkusen, allerdings noch
außerhalb der Stadtgrenze liegt.
Mit der Gewinnung der Braunkohle selbst haben in 36 Gruben über
16 000 Arbeiter zu tun. Ihre Wohnungen und die Gleise, Bagger und
Halden der mächtigen Tagebaubetriebe setzen ein Industrierevier
zusammen, das als jüngster und äußerster Ring im Westen sich
um die alte Stadt legt, von ihren mittelalterlichen Mauern mehr als 10 Kilometer
entfernt.
An deren Stelle sind inzwischen längst die
"Ring"-Straßen getreten, breite Prachtstraßen, wie das 19. Jahrhundert
sie in allen deutschen Großstädten hat entstehen lassen. Und
vielleicht würden heute von den Rheinbrücken bis an die
Ränder der Stadt Asphalt und Pflaster die Erde bedecken, wenn nicht ein
einzelner Mann, ein Kölner von Geburt und Gesinnung,
großzügig und rücksichtslos das wilde Wachstum der modernen
Stadt beschnitten hätte.
Der Oberbürgermeister Konrad Adenauer hat die im Jahre 1919 in
Versailles angeordnete Zerstörung der Kölner Festungswerke dazu
benutzt, um mit Hilfe neuer Ermächtigungsgesetze das freiwerdende
Gelände zu zwei riesigen Grüngürteln umzuschaffen, von
denen der äußere durchschnittlich zwei Kilometer Breite und
über 40 Kilometer Länge besitzt.
Die Landschaft um Köln ist heiter und offen, die Menschen, die sie
bewohnen, rasch von Entschluß und beweglich. Die Stadt hat die
Eigenschaften des Landes und des Stammes glücklich bewahrt.
Und die leichte Empfänglichkeit des Kölners für fremde
Anregungen hat in zwei Jahrtausenden stets bereichernd gewirkt. Vier Jahrhundert
Universität (1388 - 1797) sind an diesen Menschen nicht
spurlos vorübergegangen, und 1919 hat man die alte Bildungsstätte
wieder ins Leben gerufen. Eins der schönsten [39] Museen
Westdeutschlands hat der Kanonikus Wallraf in Köln gegründet, die
schönste Privatsammlung mittelalterlicher Plastik ist die des Kölner
Domkapitulars Schnütgen gewesen.
Dem Amerikanismus der jüngsten Großstädte an der Ruhr
steht in Köln vom Witzwort der
Straße - Pitter und Tünnes - und der geprägten
Form des Dialektes, der "honkh" für "Hund" und "ring" für "Rhein"
sagt, bis zur klugen Bildung der Stadt und ihrer geistigen Äußerungen
eine alte Kultur gegenüber, die bis auf unsere Tage stets elastisch sich
fortgesetzt hat.
[49]
Wasserburg Gudenau bei Bonn.
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In einem Umkreis von 30 Kilometern Radius hat die Stadt keine ernste Rivalin
neben sich geduldet. Die Rolle Bonns ist stets eine untergeordnete
gewesen von den Jahren an, in denen die Römer die "castra
Bonnensia" als südliche Flankendeckung des Kölner
Vorgebirgswalles angelegt haben.
Hier ist der Eingang in die Kölner Bucht, aber nicht der Platz für eine
beherrschende Stadt. Militärisch hat Bonn und zumal die Umgebung von
Bonn im Mittelalter viel bedeutet. Da, wo die Ausläufer des Vorgebirges an
den Rhein herantreten, erhebt sich die erzbischöfliche Godesburg mit
zerbrochener Mauer und dem runden zinngekrönten Bergfried,
schräg gegenüber auf der anderen Seite des Rheins Drachenfels und
Wolkenburg, und schließlich im Rücken des Siebengebirges die
Siegburg, dort, wo der Eingang von der Sieg her ins Erzbistum führt.
[29]
Das Siebengebirge am Rhein.
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Wer von Kön her kommend auf Bonn zu fährt und über dem
Rhein zur Linken die phantastische Silhouette der vulkanischen Kuppen des
Siebengebirges aufragen sieht, spürt aus dem großen Geist des
Landschaftsbildes allein schon etwas von der alten Bedeutung der Stätte.
Aber seit dem 17. Jahrhundert spielen alle diese Burgen keine Rolle mehr. Was
nicht zerstört war, wurde damals geschleift. Das Seine tat später der
unbekümmerte Steinbruchbetrieb.
Der Stein von Drachenfels ist von jeher, zumal im Mittelalter sehr begehrt
gewesen; der Kölner Dom hat hier einen eigenen Bruch besessen. Der
Trachyt des Stenzelberges ist in die Zisterzienserkirche Heisterbach verbaut
worden, von der heute nur noch der Chor steht.
Man möchte allein aus dem herrlichen Steinmaterial die Architekten von
Köln bis Andernach verstehen, aus der vulkanischen Kraft dieses Stoffes
die monumentalen Formen ihrer Apsiden in Bonn und St. Aposteln in
Köln, aus seiner Festigkeit die zierliche Pracht der Zwerggalerien von
Schwarzrheindorf und Gereon in Köln. Es kommt die lange Gewohnheit
der Steinbearbeitung unter den Römern hinzu, und so
fließt - wie sollte es anders sein - das Wesen dieser
rheinischen Baukunst aus der Landschaft und ihren Menschen wie ein Quell aus
der Erde.
Die heroische Zeit der Burgen ist vorüber. Badeorte und
Touristenstädte: Königswinter und Honnef und Godesberg sind heute
die Brennpunkte dieser lieblichen Landschaft, durch die der Fluß, gleich
nach seinem Austritt durch die Pforte von Rolandseck die Inseln Nonnenwerth
und Grafenwerth umspülend, gemächlich seine Bahn zieht.
Auch Bonn ist stille Stadt geworden. Residenz der Kölner
Erzbischöfe ist [40] es vom 13. Jahrhundert
bis in die Zeit der Französischen Revolution gewesen. Das Schloß
mit dem Hofgarten, das Poppelsdorfer Schloß und das Schloß in
Brühl sind die Zeugen dieser Zeit, deren Blüte der Kurfürst
Clemens August heraufgeführt hat. Er hat die Architekten Cuvilliés
und Balthasar Neumann nach Brühl geholt und die betörende Pracht
süddeutschen Barocks über den Bau des Westfalen Schlaun
ausgeschüttet.
Heute ist das Bonner Schloß Universität und der Poppelsdorfer Park
Botanischer Garten. 1818, vier Jahre nachdem Köln und Bonn an
Preußen gekommen sind, gründet König Friedrich Wilhelm die
nach ihm benannte Universität. Ernst Moritz Arndt wird hierher berufen
und Dahlmann und Niebuhr. Die Romantik findet in dieser Stadt, in der im 14. Jahrhundert deutsche Kaiser gekrönt worden sind, ihre Stätte. Die
Brüder Boisserée und August Wilhelm von Schlegel liegen hier
begraben, und neben ihnen Robert und Klara Schumann.
Doch wenn von Musik die Rede ist, so muß jetzt endlich der Name des
größten Sohnes der alten Stadt genannt werden. Ludwig van
Beethoven ist in dieser geistig gebildeten Gemeinde, im Angesicht
dieser reichgegliederten Berge, im Schoße dieser fruchtbaren und
großartigen Ebene aufgewachsen. Das Haus, in dem er 1770 zur Welt
gekommen ist, steht noch, und das kleine Zimmer, in dem das Bett seiner Mutter
stand, ist leer und wie die hohle Form zu etwas Großem, dessen
Umriß wir ahnen.
Wir steigen hinauf auf die Berge im Süden der Stadt. Sie ist nicht
groß, keine Großstadt - die liegt vor uns im Norden. Am
Horizont ragen die Nadeln der Domtürme auf. Die hellen Wagen der
elektrischen Rheinuferbahn tragen uns in weniger als einer Stunde hin.
Dazwischen aber liegt die Ebene, rechts von dem waldigen Saum des bergischen
Landes begrenzt, links mit Gärten und Häusern und Schornsteinen
den flachen Hang des Vorgebirges hinansteigend, in der Mitte durchzogen vom
Silberband des Rheins und von Bonn bis Köln und weit darüber
hinaus bewohnt vom dunkelhaarigen, lebenslustigen und unternehmenden Stamm
der ripuarischen Franken.
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