Nordwestdeutschland - Georg Hoeltje
Die Eifel
An die Tore Nordwestdeutschlands führt uns das Gedränge von drei
europäischen Staaten. Die Niederlande, Belgien und Luxemburg teilen sich
auf der kurzen Strecke zwischen Aachen und Trier in die deutsche Grenze. Der
linksrheinische Flügel des Schiefergebirges, der zwischen diesen beiden
Städten nach Westeuropa hinübergreift, scheint immer ein Magnet
für seine Umgebung gewesen zu sein.
Die Römer hängten die Stadt, von der aus die Provinz Germanien
verwaltet wurde und in der im 3. und 4. Jahrhundert sogar die römischen
Kaiser residierten, an seine südliche Ecke: Trier. Den Frankenkaiser Karl
den Großen zog der nördliche Punkt des Gebirges an. Von 799 bis zu
seinem Tode 814 war Aachen die Residenz des Kaisers und bis zum Jahre 1531
die Krönungsstätte der deutschen Kaiser und Könige.
[26]
Koblenz. Das deutsche Eck.
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An beiden Punkten berühren große Straßen tangential den
Gebirgsrand. Die Trierer Straße wurde durch die Richtung der Mosel
bestimmt, obwohl sie dem Moseltal selbst weder in römischer noch in
mittelalterlicher Zeit folgte. Sein eng eingeschnittener, weitläufig
gewundener Linienzug war stets nur Hindernis. Aber zwischen den Moselbergen
und dem eigentlichen Gebirge im Norden bietet die Wittlicher Senke parallel zum
Fluß ein gutes Vorwärtskommen. Von ihrem Ende aus erstiegen die
alten Straßen die Hochflächen des Gebirges und zogen auf ihnen
moselabwärts; die Eisenbahn unserer Tage aber gewinnt nach mancher
Untertunnelung der Berge bei Cochem endgültig das Moseltal und folgt
dem Fluß, wo er sanfter gewunden dahinzieht, direkt nach Koblenz.
Die nördliche Straße hat von Aachen nach Norden und Osten freies
Gelände vor sich. Dementsprechend gab es eine ganze Reihe solcher
Straßen, je nachdem ob man direkt nach Norden zum Niederrhein und zur
Mündung der Lippe, nordöstlich zur Mündung der Ruhr oder
Wupper in den Rhein und zu den diesen [6] Flüssen
entsprechenden Straßen ins Innere Deutschlands oder nach Köln oder
noch weiter südöstlich den Rhein hinauf nach Mainz und Frankfurt
reisen wollte.
Auch dieser letzte Weg, der Krönungsweg der deutschen Könige,
hält sich, obwohl er nicht direkt zum Rhein strebt, sondern weit nach
Südosten ausweicht und den Fluß erst an der Mündung der Ahr
erreicht, doch im wesentlichen im Flachland entlang dem Rand des Gebirges. Nur
kurz vor der Ahrmündung muß er einige dicht an den Rhein
herantretende Ausläufer der Ahrberge überschreiten.
[23]
Die Isenburg (bei Neuwied).
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Eine ungefähre Vorstellung von der räumlichen Lage der bisher
erwähnten Punkte mag folgendes Schema geben: die Mosellinie bildet die
etwa 100 Kilometer lange Grundlinie eines beinahe gleichseitigen Dreiecks mit
der Spitze Aachen. Die Seitenlängen
Aachen - Trier (in der Luftlinie etwas länger als
120 Kilometer) und Aachen - Koblenz (etwas kürzer als diese
Strecke) entsprechen sich.
Zwar schwingen die Konturen des Gebirges im Osten und die Grenze des
Deutschen Reiches im Westen über die Linien dieses schematischen
Dreiecks hinaus - besonders in seiner unteren
Hälfte - aber sie kehren auch wieder zu ihnen zurück, und im
großen ganzen entspricht das Dreieck
Aachen - Trier - Koblenz recht gut der Masse des Gebirges
innerhalb der deutschen Grenzen, besonders auch darin, daß sein
Schwerpunkt, der Schnittpunkt seiner drei Mittellinien, nicht weit von dem
Punkte entfernt ist, in dem sich die drei Regierungsbezirke Aachen, Trier und
Koblenz treffen, die sich in das Gebirge teilen, und ebenfalls nicht weit entfernt
von jenem anderen wichtigen Punkt, in dem die drei römischen Provinzen
Niedergermanien, Obergermanien und Belgien zusammenstießen, daß
er also zusammenfällt mit dem natürlichen Schwerpunkt der von
außen angreifenden geschichtlichen Kräfte und schließlich
zugleich ein Gebiet entscheidender Sprachgrenzen und Wasserscheiden
bezeichnet. Dazu trifft die gerade Linie, die wir von Trier aus über diesen
Schwerpunkt nach Nord-Nordosten verlängern, genau auf Köln; und
auch die Verbindung Triers mit Köln hat ihren Sinn im historischen Bilde
der Eifel.
Über der Sehne Köln - Trier steht ein mäßig gespannter
Bogen, flach nach Westen gewölbt. Ihm folgt die Bahnverbindung
zwischen beiden Städten, ihm folgt, die gewundenen Täler
vermeidend und deshalb gleich am Rand des Gebirges in ein paar kurzen
Serpentinen die Hochflächen ersteigend, die
Reichs-Fernverkehrsstraße 51, und ihm folgte in römischer
Zeit die Militärstraße, die das stets gefährdete nördliche
Vorland auf raschestem Wege mit der
Prokuratoren-Residenz und späteren Kaiserstadt an der Mosel verband.
Hier lernen wir die erste große Wegeführung kennen, die das Gebirge
durchkreuzt und nicht nur berührt. Sie ist nicht zu allen Zeiten gleich
wichtig gewesen. Im Mittelalter ist sie fast ganz in Vergessenheit geraten. Aber
immer wenn, wie in römischer Zeit, ein Bedürfnis entstand, den
Norden um Köln mit dem Süden um Trier direkt in Verbindung zu
bringen - im letzten Jahrhundert wirkte in diesem Sinne die Notwendigkeit,
das lothringische Eisenerz zu den [7] Hochöfen des
Ruhrgebiets zu schaffen -, dann war es die gleiche Linie, der in
wechselnder Gestalt die Wegeführung folgte.
Eine natürliche Einschnürung, die hier von Norden nach
Süden her das Gebirge einkerbt, hat solcher beharrlicher Wiederkehr die
Spur vorgezeichnet. Zwar dürfen wir nicht, wenn wir von Kölner und
Trierer Bucht reden, an Flachlandzipfel, die buchtartig ins Bergland eindringen,
denken. Das Wort "Bucht" ist hier von den Geologen gebraucht. Und wie das
Wasser in einer Meeresbuch steht ein breites Dreieck von Ablagerungen aus dem
Mittelalter unserer Erdgeschichte - Buntsandstein, Muschelkalk und
Keuper - im Norden und im Süden zwischen den Uferrändern
der einheitlichen Masse des viel älteren devonischen Gebirges.
Die Grauwackenböden des alten Gebirges, durch Besenginster und
purpurnen Fingerhut gekennzeichnet, sind nicht sehr fruchtbar; kalkliebende
Pflanzen fehlen auf ihnen. Die Quarzite und Schiefer der westlichen
Höhenzüge zerfallen und verwittern zu nährstoffarmen und
tonigen Böden; in ihrer Feuchtigkeit wuchern die Torfmoose und Heiden
der Hochmoore. Der kalkhaltige Boden in den jüngeren "Buchten" dagegen
ist "von alters her offene Ackerbauscholle". Schon in der Steinzeit werden wir uns
diese Gebiete besiedelt vorstellen dürfen. Und zwischen ihnen sind in das
alte Gebirge Reste mitteldevonischer Kalksteinbedeckung in Form von Mulden
eingesprengt, die bald hinterher weitere Ansiedler herangelockt haben
dürften.
So ging der römischen Straße vermutlich schon eine lockere
Verbindung dieser ins Waldland eingestreuten Inseln voraus. Um die
Bevorzugung aber zu erklären, die dieser erste Durchgangsweg durch das
Gebirge auch in später geschichtlicher Zeit immer wieder erfährt,
müssen wir noch eine zweite landschaftliche Voraussetzung
kennenlernen.
Von Rhein und Mosel aus öffnen sich viele Quertäler in
das Gebirge. Die Nebenflüsse dieser großen Ströme haben tiefe
Kerben in die Hochflächen eingeschnitten, zur Mosel hin Kyll, Lieser, Alf,
Üß, Endert und Eltz, zum Rhein hin die Nette, Brohlbach, Vinxtbach
und Ahr. Die Bedeutung dieser Täler ist aber mit dem Worte
"öffnen" schlecht bezeichnet. Ihre Wände sind steil und bewaldet;
die Hochebene bleibt über ihrem oberen Rand verborgen und schwer
zugänglich. Diese Täler schließen das Gebirge nicht auf, sie
zerschneiden nur seine Säume, und zwar bis weit hinein ins Innere.
Sie sind entstanden, als sich der Stumpf des alten Schiefergebirges im Beginn der
erdgeschichtlichen Neuzeit, im Tertiär, langsam aus der Ebene, bis zu der
er abgetragen worden war, zu erheben begann. Ganz allmählich
preßten die Kräfte des Erdinnern, dessen glutflüssige Massen
zugleich in vulkanischen Ausbrüchen sich Luft machten, den ungeheuren
Block über seine Umgebung empor. Und während seine
Oberfläche sich mit kegelförmigen Bergen bedeckte, schnitten die
Bäche und Flüsse, dem Rhein und der Mosel zustrebend, die mit
fortschreitender Hebung ihre Talsohle tiefer verlegten, immer rascher und
rücksichtsloser in die Hochflächen ein. Ruhepausen innerhalb der
Hebung zeichneten [8] sich als Terrassen in den
Talwänden ab, und von Terrasse zu Terrasse wird das Tal enger und
tiefer.
Oben auf den Hochflächen bleibt die alte Weiträumigkeit des
eingeebneten Gebirgsrumpfes erhalten. Am Klima spürt man es,
daß der Boden, auf dem man steht, etwa 400 Meter über das
nördlich angrenzende Flachland emporgehoben ist; die Obstbäume
kommen hier rund drei Wochen später zur Blüte als in Köln,
und der Hafer wird erst im September eingefahren. Und doch entdeckt man die
Höhe immer von neuem mit einer geheimen Bestürzung, wenn der
gleiche Blick, der eben noch die flachen Wellen der wolkenüberwanderten
Landschaft bis zu ihrem fernen Horizont verfolgte, hinunterspähend in ein
solches Engtal den Grund der waldbewachsenen Spalte nicht erreichen kann.
Die sperrende Wirkung dieser Talschluchten ist nicht zu
unterschätzen. Das Ahrtal z. B. erschwerte die Verbindung zwischen
Norden und Süden so sehr, daß sich die Römer entschlossen,
die Gebirgsteile südlich der Ahr, die von der Mosel und von Koblenz her
über die nicht so tief eingeschnittenen Täler der Nette und des
Brohlbachs hinweg relativ leicht zu erreichen waren, abzutrennen von dem Ahrtal
selbst, das mit dem Rhein und dem nördlichen Vortal des Gebirges in
bequemer Verbindung stand. Die Grenze legten sie an den Vinxtbach, keine
10 Kilometer südlich der Ahr.
Der Vinxtbach trägt von der Grenzbezeichnung "ad fines" heute
noch seinen Namen. In mittelalterlicher und nachmittelalterlicher Zeit ist es dann
wieder das Ahrtal, an dem entlang Grenzlinien zwischen den Mundarten sich
ausbilden: nördlich der Ahr sagt man "dorp", südlich kommt die
hochdeutsche Form "dorf" in Gebrauch; im Norden trinkt man den "wing" und im
Süden den "wein". Und den Vinxtbach entlang läuft bis ins
19. Jahrhundert die Grenze der Bistumssprengel von Trier und Köln.
Solche Grenzen werden respektiert. Kein Wunder also, daß auch die
Straße von Köln nach Trier von der geraden Linie, die das Ahrtal
schneiden würde, nach Westen abweicht und die Ahr nur gerade an der
Quelle in Blankenheim berührt. Die Eisenbahn und die
Römerstraße weichen noch weiter aus. Nach Überwindung der
Wasserscheide steigt die Eisenbahn dann hinab ins Tal der Kyll, die mit ihrem
Oberlauf bis auf 10 Kilometer an die obere Ahr heranreicht. Die heute
mögliche Abkürzung der Talschleifen durch Tunnelbauten hat es
nahegelegt diesen früher nicht benutzten Weg zu wählen. Die beiden
Straßen dagegen, die alte und die neue bleiben auf der Hochfläche
und vermeiden immer westlich neben dem Kylltal sich haltend weitere
Talkreuzungen.
Die Römerstraße ist durch zahlreiche Ortsnamen zu
belegen, die sich in veränderter Form bis heute erhalten haben. Von
Süden nach Norden: Beda = Bitburg, Egoricum =
Jünkerath, Marcomagnus = Marmagen. In der Nähe dieses
Ortes, etwas aufwärts im quellenreichen Tal der Urft, findet sich
übrigens auch der Anfang der römischen Wasserleitung, eines
77,6 Kilometer langen Kanals, der in geschickter Führung am Nordrand des
Gebirges entlang nach Osten und dann auf der Höhe des Vorgebirges nach
[23]
Kelberg (Eifel). Alte Dorfkirche.
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Norden ohne Gefälleverlust die in der Luftlinie 55 Kilometer entfernte
Stadt Köln mit Wasser
ver- [9] sorgt hat. Reste der
Anlage sind heute noch im Urfttal erhalten, und man wird an einem einzigen
solchen Bauwerk, dessen Kalksinterablagerungen übrigens im Mittelalter
als Steinbruch manchem Kirchenbau gedient haben, der Nachwirkungen inne, die
das Weltreich, dem dies Gebirge fünf Jahrhunderte angehörte, auf
seine Bewohner ausgeübt haben muß.
Am Ausgang der Römerstraße ins Flachland, dicht unterhalb der
200-Meterhöhenlinie, finden wir schließlich Tolbiacum =
Zülpich. In fränkischer Zeit Residenz, im späteren
Mittelalter eine Burg des Erzbischofs von Köln, bewahrt der
Römerort lange seine Schlüsselstellung für den Weg nach dem
Süden. Um 496 gebieten hier die Franken dem weiteren Vordringen der
Alemannen Einhalt, und um 925 muß der Sachse Heinrich I., als er
das Herzogtum Lothringen dem Reiche wieder eingliedern will, die lothringische
Burg Zülpich belagern.
Lothringen heißt damals das Land vom Niederrhein bis zu den
Quellen von Maas und Mosel. Es trägt seinen Namen, der heute nur noch
ein Bruchstück des ehemaligen Ganzen bezeichnet, nach Lothar, dem
Sohne Ludwigs des Frommen, dem es 843 im Vertrag von Verdun zugeteilt
wurde. In diesem Reiche, das den Raum zwischen Rhein und mittlerer Maas so
genau erfüllt, hat unser Gebirge naturgemäß eine wichtige
Rolle gespielt. Denn es füllt den gleichen Raum und
bestimmt - ein einziges Mal in der uns bekannten
Geschichte - auch die Grenze nach Westen. Mit den letzten
Ausläufern des Schiefergebirges, den Ardennen und dem Kohlenwald,
stößt das Reich Lothars bis nach Cambray vor. Die Grenze seines
Reiches ist die Grenze des Rheinischen Schiefergebirges gegen die
Beckenlandschaft der Ile de France gewesen.
Und diese Grenze - das vergißt man allzu leicht angesichts des
unaufhörlichen Abbröckelns deutscher Herrschaft an diesem Rande
des Reiches - ist, wenn auch schließlich nur noch nominell und mit
gewissen kleinen Veränderungen, die Grenze gegen Frankreich geblieben
bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Aber über die natürliche Einheit
des Gebirges legte sich von Anfang der deutschen Geschichte an eine andere
Grenze, die im Laufe der Völkerwanderung skizziert und im
Teilungsvertrag von Mersen 870 zum erstenmal energisch ausgezogen worden ist:
die germanisch-romanische Sprachgrenze.
Sie, die im Flachland entlang an den nördlichen Ausläufern des
Gebirges ursprünglich bis Boulogne und heute noch bis hinter
Dünkirchen reicht, hat im Gebirge den 6. Längengrad, der ein paar
Kilometer westlich von Aachen liegt, nur in wenigen kurzen Zipfeln und einem
größeren flachen Bogen in der Gegend des heutigen Luxemburg
überschritten. Durch seine Unwirtlichkeit und schwierige
Zugänglichkeit hat das Gebirge selbst die Scheidelinien erzeugt, auf der es
in Zukunft immer wieder in zwei Hälften zerschnitten werden soll. Sein
Schicksal, ein Rand- und Grenzgebiet zu sein, entscheidet sich, als das
Vordringen der Germanen nach Westen in seinem Walddickicht stecken
bleibt.
Seine große Zeit ist dementsprechend die gewesen, als es noch im Kern
eines unter germanischer Führung stehenden, Maas und Rhein umfassenden
Reiches lag. Klangvoller tönt kaum ein anderer Name in diesen Bergen als
der des [10] Klosters
Prüm, das, im Jahre 721 gegründet, 30 Jahre später
von dem Franken Pippin, als er König wurde, zur Reichsabtei erhoben und
mit der kostbarsten Reliquie, einer Sandale Christi, ausgestattet wurde und
schließlich einen Kaiser - Lothar - als Mönch aufnahm
und sterben sah. Derselbe Lothar erhob das alte Malmedy,
gegründet vom heiligen Remaclus um die Mitte des 7. Jahrhunderts, zur
reichsunmittelbaren Abtei, die bis zur Französischen Revolution existierte.
Aus dem Nachbarkloster Stablo stammt einer der bedeutendsten
Förderer der Architektur des beginnenden romanischen Stils, der Abt
Poppo, und das Kloster Echternach schließlich, gegründet
im Jahre 698 vom heiligen Willibrord, zu dessen Gebeinen alljährlich die
"Springprozession" führt, verbindet seinen Namen mit einem Evangeliar, das Dehio
das luxuriöseste Werk der ottonischen Epoche
nennt.
Die geistige Blüte dieser Klöster welkt nach dem Jahre 1000. In dem
Maße, in dem die Sprachgrenze politisch wirksam zu werden beginnt,
zerfällt die kulturelle Einheit des Gebirges. Die Schulen von Aachen und
Malmedy, Prüm und Echternach waren Knotenpunkte in einem breiten
geistigen Gewebe, mit dem das karolingische Königtum die von Maas und
Rhein gleich weit entfernten öden Räume, in denen sich der
Riß zwischen germanischem und romanischem Volkstum immer klaffender
auftat, elastisch zusammenhalten wollte. Die berühmten jüngeren
Klöster des Gebirges aber unterscheiden sich von der älteren Gruppe
schon durch ihre Lage. Sie liegen am Rande des Gebirges, in der Nähe der
großen Straßen.
[21]
Ordensburg Vogelsang in der Eifel.
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Von außen her, vom Pfalzgrafen Heinrich bei Rhein wird 1093
Maria-Laach gegründet. Und aus Clairvaux, über Toul und
Metz die Moselstraße herunter kommen die neun Mönche, die 1134
im untersten Kylltal ihre erste Niederlassung und fünf Jahre später
im Tal der Salm endgültig das Kloster Himmerod gründen.
Diese Klöster haben nur noch lokale Bedeutung. Die großen
Zusammenhänge sind dahin. Keine Reichsabtei ist mehr unter ihnen. Aber
sie sind die Pioniere in einem neuen für die weitere Geschichte des
Gebirges entscheidenden Kampf: sie unterstützen die allmähliche
konsequente Erschließung des Innern von den Randlandschaften her.
Fünf reiche und bekannte Gaue säumen im frühen Mittelalter
das Waldgebirge: der Mayengau in der Ecke zwischen Mosel und Rhein, der
Ahrgau, Zülpichgau, Jülichgau und Bitgau. In ihren Namen klingen
die Namen städtischer Siedlungen wieder: Mayen, Zülpich,
Jülich und Bitburg; der Ahrgau heißt auch Bonngau. In ihrer Mitte
aber liegt ein Gau, dem nicht zufällig ein "städtischer" Name fehlt:
der Eifelgau.
Auf die Fläche bezogen, auf der die wichtigsten Flüsse des Gebirges
entspringen, Kyll und Ahr, Erft und Urft, taucht der Name "Eifel" zum
erstenmal in der Karolingerzeit auf. Aber wie ihm ein festes städtisches
Zentrum fehlt, so fehlen ihm auch einigermaßen deutliche Grenzen.
Seine Bedeutung verändert und erweitert sich. Heute neigt der
Volksgebrauch dazu, das ganze Gebiet die Eifel zu nennen. Und wenn man die
Wasserscheide zwischen der Ahr und den nach Süden zur Mosel ziehenden
Flüssen als [11] Hohe Eifel von den sich
südlich anschließenden niedrigeren Flächen der Voreifel
unterscheidet, so wird damit schon eine neue Unterteilung des erweiterten
Eifelbegriffs geschaffen. Die trennende Kraft des Ahrtals macht sich andererseits
bemerkbar, indem sein nördlicher Rand als Ahrgebirge sich der
Unterordnung unter den Eifelnamen entzieht. Aber auch im Nordwesten jenseits
der einspringenden Zülpicher Bucht bewahrt der langgestreckte
Höhenrücken des Hohen Venn seinen eigenen Namen,
während im Südwesten, gleichenfalls jenseits der hier
einspringenden Trierer Bucht, der entsprechende Höhenrücken der
Schneifel oder Schnee-Eifel deutlich mit der Eifel zusammengesehen wird.
[25]
Die Mosel mit Burgruine Grevensburg.
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Selbst aus dem so erweiterten Begriff aber löst sich die älteste
Bedeutung noch heraus: das Gebiet der Wasserscheide zwischen Süd und
Nord. Und so erklärt sich auch der Mangel erkennbarer Grenzen. Eine
Wasserscheide hat keine Grenzen, sie ist selber Grenze. Und in dem Maße,
in dem das ganze Gebirge, statt überbrückt und Mittelpunkt einer
Staatenbildung zu werden, wie es der karolingischen Zeit wohl vorschwebte,
immer mehr seine natürliche Funktion als Hindernis und Bollwerk
entwickelte, übertrug sich der alte Name, der zuerst nur für den
Wasserscheidengau selbst gegolten hatte, auf das Ganze.
Was in den Lebensräumen der Kölner Bucht und der
Mosellandschaft um Trier sich zu Cäsars Zeit als Eburonen und Treverer
gegenübersteht, das trennt sich nach der Völkerwanderung wieder als
Ripuarier und Moselfranken voneinander. Der Triebwagen von Trier nach
Köln, der nicht nur von Süden nach Norden, sondern zugleich von
der Reichsgrenze ins Innere Deutschlands lenkt, überquert im Fluge eine
Grenzlinie, jenseits derer das Schwarzbrot an die Stelle des
Weißbrots tritt, und verbindet zugleich zwei Provinzen des Hausbaus
miteinander.
Im unteren Kylltal das lothringische Haus: da öffnet sich das breite Haustor
in der Längswand, die zur Straße gekehrt ist; die steinernen Mauern
sind rosa, gelblich und blau getönt; in harmonischer Farbigkeit heben sich
die kraftvoll einfachen Steineinfassungen der Fenster und Türen von der
Fläche ab; das flachgeneigte glänzende Schieferdach sitzt knapp,
[20]
Bauernhäuser in der Eifel.
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ohne schattenden Vorsprung auf den glatten Wänden. Von Süden
dringt bis hierher die naive Freude an klarer, plastischer,
würfelähnlicher Form. Und jenseits der Wasserscheide empfangen
uns Fachwerkbauten. Schwarz und weiß zerstückt der Körper
des Hauses, steiler die Dächer, die mit Ziegeln gedeckt sind. Alle Formen
unruhiger, leichter der persönlichen Besonderung zugänglich,
weniger selbstverständlich im Typischen.
Aber nicht nur Grenz- und Scheidelinien enthält der alte Eifelgau. Die
Wasserscheide kann zugleich die beherrschende Rolle im Gebirgsland spielen.
Zwar haben die Grafen von Blankenheim, die hier gesessen haben, ebensowenig
ein großes Eifelterritorium aufbauen können wie die anderen kleinen
Eifeldynasten. Die Natur der durch Steiltäler zerrissenen, dichtbewaldeten
und schwachbesiedelten Hochflächen kam solchen Plänen von sich
aus nicht entgegen. Daß aber ein moderner Staat nach diesem Punkte
greifen würde, wenn die [12] Gelegenheit sich bot,
war zu erwarten. Nach dem Kriege hat Belgien seine Grenze hierherauf
geschoben.
Zwischen Aachen und dem Lande Luxemburg springt ein dreieckiges Stück
neubelgischen Gebietes in die deutsche Eifel hinein, nähert sich
mit seiner östlichen Spitze bis auf zehn Kilometer der Strecke
Köln - Trier und bis auf zwei Kilometer der Kyllquelle, erhebt
sich mit dem Weißen Stein im Losheimer Wald auf die beherrschende
Höhe von 690 Metern und umfaßt natürlich auch den
ehemaligen deutschen Truppenübungsplatz Elsenborn, auf dem sich 1914
eine der deutschen Armeen zum Vormarsch ins Maastal sammelte.
Dieser strategischen Verbesserung der belgischen Grenze zuliebe wurde eine
"Abstimmung" in Szene gesetzt, die bei über 70 Prozent deutschsprachiger
Bevölkerung im Kreise Malmedy wenig Aussicht auf Erfolg hatte.
Für die Geschicklichkeit und Bedenkenlosigkeit der Veranstalter spricht es,
daß nicht nur der Kreis Malmedy, sondern auch der Kreis Eupen mit
99 Prozent deutscher Bevölkerung und noch dazu Teile des Kreises Monschau
abgetreten werden mußten. Da aber die Vennbahn, die neben den in
preußischer Zeit aufgeforsteten Waldungen des Gebietes von
größter Wichtigkeit für den neuen Besitzer war, durch diese
Abrundungen immer noch nicht in ihrer ganzen Länge belgisch wurde,
erklärte man den Bahnkörper zu belgischem Boden auch da, wo er
durch deutsches Land läuft.
"Nur in Oberschlesien und im Korridor ist die Grenze in ähnlich sinnloser
Willkür gezogen worden" (Schrepfer); denn von Natur ist alles hier
für eine enge wirtschaftliche Lebensgemeinschaft vorbereitet: das Hohe
Venn, in breiter Ausdehnung 500 - 600 Meter hoch, zwingt die
Meereswinde zum Niederschlag; 1367 Millimeter zeigen die
Meßgefäße im Jahr auf dem 692 Meter hohen Monte Rigi und
über 1000 Millimeter noch in Eupen auf der Vennfußfläche;
Heide und Schafherden auf den Bergeseinöden gehören zusammen
mit der wolleverarbeitenden Industrie in den Tälern an den reichlich
strömenden Bächen, deren kalkarmes Wasser sich zum Waschen und
Färben der Tuche besonders eignet. Eupen hatte schon in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts über 10 000 Einwohner, und
Monschauer Tuch war in der gleichen Zeit in Europa berühmt. Malmedys
Gerbereien und Lederfabriken wieder bauen auf der Viehzucht auf, die vom
üppigen Graswuchs des zum Ackerbau wenig geeigneten Landes lebt. Auch
hier ist das strömende Wasser die Hilfe des Gerbers, und der Wald der
Höhen hat die Eichenlohe geliefert, solange noch keine
ausländischen Gerbstoffe importiert wurden. Und schließlich trieb
das Wasser der Bäche die Hämmer und Blasebälge der kleinen
Hüttenwerke, die seit dem 14. Jahrhundert von den Hochflächen, wo
schon die Römer die bescheidenen Lager von Eisenerz und Galmei
auszubeuten begonnen hatten, herunterwanderten in die Täler.
Vier Jahrhunderte später beginnt ein neues Wandern. Das 18. Jahrhundert
sieht die Eisenindustrie ins Flachland hinausrücken. Die Holzkohle der
Gebirgsmeiler tritt allmählich zurück hinter der Steinkohle, die dort
draußen schon seit Jahrhunderten (spätestens dem 14.) gewonnen,
aber bis dahin nur zu Hausbrandzwecken benutzt worden ist (in Aachen werden
laut einer Nachricht aus [13] dem Jahre 1333 die
öffentlichen Gebäude mit Steinkohle geheizt). Auf diesen
Bodenschätzen baut sich nun eine moderne Industrie auf, besonders seit der
Anlage der Eisenbahnstrecke
Aachen - Köln. Vor das ältere Stolberg im engen
Talausgang der Vicht legt sich der jüngere Industriebezirk von Eschweiler,
westlich davon das Aachener Bergwerksrevier und im Osten die Industriestadt
Düren.
Dürens Stellung in diesem wirtschaftlichen Verband ist relativ
jung und eigenartig. Seine Papierindustrie wird erstmalig 1607 erwähnt.
Voraussetzung ist wieder das strömende Wasser, dessen Kraft die
Stampfmaschinen zum Zerkleinern der Lumpen treibt und dessen Sauberkeit der
Herstellung feinster Papiersorten günstig ist. Die zweite wichtige
Voraussetzung aber ist die Nachbarschaft der Jülicher Börde mit
ihrem damals blühenden Flachsanbau. Auf dem Wege alles Irdischen
werden aus den zu Leinen verarbeiteten Fasern dieser Gespinstpflanze wieder
Lumpen und wandern in die Papiermühlen Dürens.
Dürens Industrie steht also mit einem Bein im Flachland. Von Eschweiler,
Stolberg und Aachen aber wird man sagen müssen, daß sie
allmählich auch das zweite Bein aus dem Gebirge herausziehen. Denn an
die Stelle der immer mehr sich erschöpfenden Erze des Schiefergebirges
treten ausländische Rohstoffe. Die örtliche Grundlage der Industrie
bleibt also im späteren 19. Jahrhundert allein die Steinkohle. Und damit
verlieren alle diese Orte ihre alte Bindung an das Gebirge und werden
Bestandteile einer jungen Industriezone, die im Flachland von Dortmund bis nach
Belgien ihr typisches Kulturlandschaftsbild geschaffen hat.
Aus dem Gebirge selbst aber wandert schließlich auch noch die
Tuchindustrie ab, die im 19. Jahrhundert in steigendem Maße auf
importierte Rohstoffe angewiesen wird. In Monschau, das noch vor etwa
50 Jahren seinem alten Namen Ehre machte, ist heute keine Tuchfabrik
mehr in Betrieb. Hinzu kommt noch, daß die alte, vom wechselnden
Niederschlag abhängige unmittelbare Ausnutzung der Wasserkräfte
an Ort und Stelle durch Speicherung und Umwandlung in transportierbaren
elektrischen Strom ersetzt wird; die Urfttalsperre mit 45 Millionen Kubikmeter
Inhalt dient hier als gewaltiges Reservoir.
So verschärfen Wirtschaftlichkeit und Geschwindigkeit aller Bewegungen
außerhalb der Berge in unseren Tagen den alten Gegensatz zwischen
Gebirge und Flachland. Sie entwerten aber nicht nur die ursprünglichen
Standorte der Industrie in den Bergen, sondern veranlassen darüber hinaus
noch beim Mangel einer billigen Wasserstraßenverbindung mit dem Rhein
weitgehende Arbeitsteilungen zwischen Ruhrort und Eschweiler,
Werksgründungen in Dortmund von Düren aus, mit einem Wort:
eine weitmaschige, nicht mehr an die engere Heimat gebundene Verflechtung der
Interessen über das ganze
Steinkohlen-Industriegebiet.
Das Gesicht der alten Kaiserstadt Aachen zeigt die Spuren dieser
Veränderungen. Moderne Kurhausbauten und Brunnenanlagen in dem alten
römischen [14] Militärbad: das ist
die immer noch nachwirkende Natur der vulkanischen Eifel mit ihren
heißen Quellen. Aber 164 000 Einwohner: das ist eine
Großstadt des Flachlandes. 13 000 Arbeiter in der Textilbranche und
dazu noch ein Drittel aller in der Metallindustrie tätigen Arbeiter mit der
Herstellung von Nadeln beschäftigt: da wirkt sich die alte Nachbarschaft
des Flachlandes Jülich und des schafzuchttreibenden Vennberglandes aus;
zugleich aber auch die Lage am großen europäischen
Gebirgsrandweg, der im Mittelalter die Kaufmanns- und Tuchhandelsstädte
Flanderns mit dem deutschen Osten verband und heute in der Eisenbahnstrecke
Paris - Berlin seine verwandelte Auferstehung gefunden hat.
Aachen, von der deutschen Hauptstadt 500 Kilometer und von Paris 350 in der
Luftlinie entfernt, war einmal die Residenz des Kaisers, der beiden Nationen
zugleich gebot. Außer allen Annehmlichkeiten seiner natürlichen
Lage, seiner Heilquellen und des windgeschützten Bergkessels, in dem sie
entspringen, mag auch seine mittlere Lage zwischen Westen und Osten diese
Bevorzugung begründet haben.
Eigentümliche Gedanken erregt der schlichte steinerne Zentralbau des
Münsters, auf dessen Empore den leeren Thron des Kaisers die Strahlen der
Morgensonne treffen, gefärbt durch die gläsernen Wände des
Chores, mit dem das 14. Jahrhundert den ehrwürdigen Grabraum
erweiterte, als der kluge fränkische Politiker längst schon ein
Heiliger der abendländischen Kirche geworden war... Gedanken über
das, was hätte werden können, wenn die Eifel und Aachen wirklich
im Mittelpunkt eines germanischen Reiches liegen geblieben wären, wenn
Malmedy, wie Kaiser Lothar es bestimmt hatte, ewig beim Reiche geblieben
wäre, und ebenso Echternach, das heute luxemburgisch ist...
Aber auch ernsthaftere Gedanken über das, was geworden ist. In Karls
Palast, der später zum Rathaus der Reichsstadt wurde, hat vor
100 Jahren ein Künstler, der in Aachens nächster Umgebung
geboren ist, Alfred Rethel,
in einer Reihe von Fresken das Leben und Wirken des
Kaisers dargestellt. Solche historische Darstellung spiegelt gleichzeitig den Mann
selbst wieder, den Mann und seine Zeit, der diese Darstellung unternimmt. Wir
halb noch Gleichzeitigen können mit dieser Spiegelung zufrieden sein: hier
ist am Rande des Reiches, im Angesicht der romanischen Welt der
abendländisch weit gespannte Umriß römischen
Imperatorentums menschlich und deutsch gedeutet worden. Der Geist jenes
Kaisers, der die Lieder seines Volkes sammeln ließ und eine deutsche
Grammatik begann, ist verwandt dem Geist, der 1000 Jahre später
den malenden Romantiker beseelte: ein gründlicher und gläubiger,
ein leidenschaftlicher und gehorsamer Geist.
Der besondere Ernst, den das früheste Mittelalter aller gebauten Form
einflößt, ist in der alten Eifel oft zu spüren.
Münstereifel im Tal der Erft, nahe seinem Austritt aus dem
Gebirge, ist um eine Klostergründung aus der Zeit Ludwigs des Frommen
gewachsen. Der Westbau der Kirche, vermutlich kurz vor dem Jahre 1000
entstanden, ein festungsartiges von runden Treppentürmen [15] flankiertes Steinwerk,
läßt an den düster schönen Bau der Aachener
Palastkapelle denken. Draußen im Flachland aber liegt an der gleichen Erft
die Stadt Euskirchen, kaum jünger als die Klosterstadt. Die
exponierte Lage jedoch hat ihr Wachstum unverhältnismäßig
beschleunigt: 14 600 Einwohner leben heute dort von der Tuchindustrie,
während Münstereifel mitten im Walde im Kranz seiner 17
mittelalterlichen Türme mit 3000 Einwohnern die Größe einer
mittelalterlichen Kleinstadt nicht überschreitet.
Auch im alten Ahrgau ist das Gewichtsverhältnis zwischen dem Gebirge
und seiner Umgebung ungleich. Alles, was Namen hat, drängt sich an der
unteren Ahr zusammen. Dort ist um die Mitte des letzten Jahrhunderts der
berühmte Apollinarisbrunnen erbohrt worden, dort ist auf anderen noch
etwas jüngeren Quellen der Badeort Neuenahr entstanden, dort
blüht in der Kreisstadt Ahrweiler der Weinhandel, für den
so klangvolle Namen wie Walporzheim werben.
Die rascher reifende rote Traube wird hier gepflegt; wir sind der nördlichen
Grenze des Weinbaus nahe. Und doch ist das "außen", auf das sich die Ahr
öffnet, nicht das norddeutsche Flachland, wie es sich vor dem alten Aachen
so grenzenlos dehnt, sondern der Rhein, der sich gleich der Ahr seinen schmalen
Weg durch das Gebirge geschnitten hat; ein Land des Steins, in dem auch der
Weinbau Steinbau, Maurerarbeit mehr als Landmannsarbeit ist. Da werden
Stützmauern errichtet, Körbe voll Steinschutt steile Treppen
hinaufgetragen und um die neugesetzten Pflanzen gehäuft; wie auf dem
Bau klettert der Träger mit der Last auf dem Rücken von Stockwerk
zu Stockwerk; Dung muß kiepenweise herangeschafft werden; und
kalkbespritzten Handwerkern gleichen die Weinbergbauern, wenn sie ihre
Stöcke gegen die Reblaus gespritzt haben; mit der Sorgfalt von
Handwerkern schneiden und binden sie die wertvollen Reben; und gegen die
Nachtfröste werden Koksöfen in den Berg getragen.
Das ist eine Art von bäuerlichem Leben, wie sie gut zum uralten
Steinbruchbetrieb der Eifel paßt, zu Menschen, die Steine meißeln
und Steine verbinden. Im Tal der Kyll liegen an den Bahnhofsrampen
die prächtigen roten Schleifsteine, die hier oft direkt von den Verbrauchern
(Firmen der bergisch-märkischen Kleineisenindustrie) gebrochen und
bearbeitet werden. Auf den Hochflächen zwischen Bitburg und Trier haben
schon die Römer aus dem Muschelsandstein und Kalk ihren
Baustein- und Mörtelbedarf gedeckt. Im Maifeld, südlich von
Mayen, wird der Dachschiefer gewonnen. Und dieser Winkel des Berglandes, der
die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung aufweist, wird wohl auch
ebensolange schon das Steinmetzenhandwerk kennen.
Die vulkanische Materialien, an denen die ganze Eifel reich ist, sind hier in der
Nähe der großen Ströme am wirtschaftlichsten abzubauen. Die
Pellenz, eine natürliche Senke, in der die Nette fließt, verbindet das
Maifeld und Mayen direkt mit dem Rhein. Wo sie den Strom erreicht, liegt
Andernach, schon in römischer Zeit der Hafen für die
Eifelsteine.
Die Tuffmauern der Andernacher Liebfrauenkirche und ihre in schwarzem
Schiefer gemeißelten Ziersäulen, der helle gelbe Tuff der
romanischen Kloster- [16] kirche von Laach und
die harte schwarze Lava der meist verschwenderisch massigen Befestigungen der
Maifeldstädte sind Zeugnisse des am Stein des Gebirges sich bildenden
Stils. Aber nicht nur eine gewisse spröde Schwerfälligkeit der Form,
verglichen etwa mit der geschmeidigeren Phantasie der
Kalk- und Sandsteingebiete, ist das Ergebnis, sondern auch eine spürbare
Unlust, sich in der Zeit zu wandeln. Die Kirchen von Mayen und
Münstermaifeld wirken altertümlich durch ihre klobigen
romanischen Westwerke, und die Laacher Klosterkirche, die mit ihren schweren
Turmklötzen und Schieferdächern prunkt, hält noch im
12. Jahrhundert an einer damals längst veralteten Bauform, dem rings
umschlossenen Vorhof fest.
Die Eifel ist in besonders hohem Grade ein
Horst- oder Reliktgebiet. Nicht nur daß in ihren Bergen die Entwicklung der
politischen Form die Stufe der kleinsten Territorien nie überschritten
hat - bis von außen her nach der Säkularisierung und den
Befreiungskriegen ein moderner Großstaat, Preußen, seine Hand auf
das Gebirge legte - auch die Natur hat Reservate auf den Eifelhöhen
geschaffen, in denen sich subalpine Pflanzen als Überbleibsel der Eiszeit
haben erhalten können: die Sumpfheidelbeere, die weiße Pestwurz
und die Krähenbeere. Auf dem Venn findet man
arktisch-alpine Schmetterlinge, so den schönen Apollofalter. Und erst im
Jahre 1888 wurde in der Eifel der letzte Wolf erlegt, während seine
Brüder im Taunus schon 1847 ausgestorben waren.
Und als Reliktgebiet liegt die Eifel erst recht wieder in unseren Tagen zwischen
der begünstigteren Umgebung. Aber, worauf Hermann Aubin hingewiesen
hat, zwischen den modernen Industriegebieten der Saar, Aachens und der Ruhr
bekommt das Gebirge in seiner friedlichen Isolierung eine ganz neue Bedeutung.
Die unverhältnismäßige Konzentration der Bevölkerung
in den Nachbarlandschaften läßt seine Einsamkeit auf einmal positiv
und segensreich erscheinen.
Die Eifel wird das Naturreservat für das Industrievolk ringsum.
Da ihre Binnenstädte klein geblieben sind, Gerolstein und Kyllburg,
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Hohes Venn. Schutzhecken vor den Häusern.
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Hillesheim, Daun und Adenau, wachsen sie mühelos in ihre neue Existenz
als Sommerfrischen und Luftkurorte hinein. Die welligen Weiten der
Hochflächen ringsum sind voller Wanderwege. Die jungen Kraterberge,
wie der fünfzackige Mosenberg, und die alten Vulkanruinen, wie die Hohe
Acht und die Nürburg, eröffnen von ihren steilen Kegeln herrliche
Rundblicke. Die beglückende Romantik des Naturerlebens, die mit der
mehr hygienischen Seite des modernen Urlaubsaufenthalts so untrennbar
verbunden ist, findet ein weites Feld auf den einsamen von Hochmoor und Heide
bedeckten Höhen des Venns. Macbethstimmung, wenn der Sturm aus
Westen Regen oder den ersten Schnee über die nackten Flächen jagt.
Die Bauernhöfe ducken sich hinter Buchenhecken, die mit
ineinandergeflochtenen Zweigen bis zur Höhe des Dachfirsts reichen und
Schneemauern im Winter um das Haus auftürmen. Ski und Rodel
bekommen in harten Wintern genug zu tun.
[19]
Die Eifel. Im Toten Maar.
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Die Augen der Eifel aber, voll von ihrer Schwermut und ihrer steinernen
Vollendung, sind die wassergefüllten kreisrunden Maare der
vulkanischen [17-32=Fotos] [33]
Vordereifel. Bald von Wald und Gebüsch ganz umgeben wie das
schöne Gemündener Maar, bald in schwärzliche von
Wacholder bestockte Lavasande gebettet wie das einsame Weinfelder Maar, bald
am Rande eines kleinen Eifeldorfes wie das Ulmener Maar, öffnen diese
sonderbaren Sprengtrichter ihre großen und kleinen Kreise in den
Hochflächen des alten Gebirges, das graue Altertum der Geologie mit ihrer
jüngsten leidenschaftlichen Vergangenheit verbindend und so die Eifel
wirklich, wie von Buch es sagte, zu einer Landschaft machend, die
ihresgleichen auf der Welt nicht hat.
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