Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung,
Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des
Heeres
Kapitel 3: Die Etappe
(Forts.)
Oberstleutnant Karl Schroeder
12. Mitwirkung der Etappe bei der geistigen
Nahrung der Truppe.
Bei der langen Dauer des Krieges erwies sich neben anderen Bedürfnissen
auch der Nachschub von geistiger Nahrung als notwendig.29 Es ist naturgemäß,
daß hieran die Etappe, die in dieser Beziehung mit mehr Ruhe arbeiten
konnte als die Fronttruppen, besonders hervorragenden Anteil nahm, und zwar
wiederum hauptsächlich zugunsten der Fronttruppen, denen einerseits in
der Etappe hergestellte oder von ihr aus der Heimat beschaffte Geistesprodukte
bis in die vordersten Schützengräben geschickt wurden, andererseits
besonders, wenn sie im oder in der Nähe des Etappengebiets in Ruhe lagen,
geistige Genüsse der mannigfachsten Art geboten wurden. Zeitungen und
Bücher wurden zunächst von einzelnen Firmen ziemlich planlos den
Truppen zugesandt; bald aber übernahmen die Etappeninspektionen die
Kontrolle und später auch die Einrichtung von Büchereien.
Schließlich wurde durch den Generalquartiermeister die Grundlage des
Feldbuchhandels einheitlich geregelt. Auch Leihbibliotheken wurden an
großen Orten eingerichtet. Da die heimischen Zeitungen bis zu den verstreut
liegenden Truppen häufig erst sehr spät kamen, und um spezielle
Angelegenheiten des betreffenden Gebiets und der zugehörigen Truppen
besprechen zu können, gaben verschiedene Etappeninspektionen, ebenso
wie manche Armeen und Gruppen, besondere Kriegszeitungen heraus.
Die sich großer Beliebtheit erfreuenden Kinos wurden auch in der Etappe
überall eingerichtet. Durch Unterstellung unter geeignete Offiziere wurde
dafür gesorgt, daß nichts Unanständiges vorgeführt
wurde, und daß neben Unterhaltendem auch das Belehrende zu seinem
Rechte kam. Von der Etappe eingerichtete Soldatenheime sorgten dafür,
den Etappentruppen, den vielen Durchreisenden und den in Ruhe befindlichen
Fronttruppen Gelegenheit zu bieten, einige Stunden gemütlich zu
verbringen. Vielfach wurden sie von Vereinen gestiftet, deren Betriebe dann
natürlich unter der Kontrolle der [262] Kommandanturen
standen. Diese Vereine haben sicher manches sehr Nützliche geleistet; aber
da Beschaffung der Räumlichkeiten, Gestellung militärischer
Hilfskräfte, Zuwendung von Lebens- und Genußmitteln, von Heizung
und Beleuchtung doch Sache der Kommandanturen blieb, so wäre es
praktischer gewesen, überall auch in diesen Vereinsheimen den gesamten
Betrieb, besonders auch die Geldwirtschaft den Etappenbehörden zu
überlassen und die Vereine lediglich zur Anwerbung des nicht
militärischen Personals, vor allem der Leiterinnen und ihrer weiblichen
deutschen Hilfskräfte, und zur Beschaffung von Büchern,
Musikinstrumenten, Spielen und sonstigen Liebesgaben aus der Heimat
heranzuziehen. Rechtsauskunftsstellen30 sorgten
für Belehrung der Mannschaften in juristischen Fragen und erwiesen sich
als sehr nützlich, da gerade die Sorge um allerhand
Vermögens-, Steuer- und Versorgungsfragen der Familie in der Heimat sehr
häufig die Mannschaften im Felde schwer bedrückte.
Um auch höhere geistige Genüsse bieten zu können, wurden
von den Etappeninspektionen auch Theatervorstellungen eingerichtet. Viele
Inspektionen hatten hierfür eine Theaterverwaltung mit besonderem
technischen und dauernd engagiertem künstlerischen Personal, neben dem
dann noch Ensembles der besten deutschen Theater in Gastspielen auftraten;
andere boten nur die geeigneten Räume und begnügten sich lediglich
mit Gastreisen oder für kurze Zeit zusammengestelltem Personal. Diese
Vorführungen wurden in möglichst vielen Orten dargeboten, um
allen Truppenteilen gerecht zu werden, und die Künstler der Etappe gingen
auch in ihrer Gesamtheit oder, wo dies wegen der engen Räumlichkeiten
nicht möglich war, in kleineren Gruppen, keinerlei Mühen und
Gefahren scheuend, bis zu den vordersten Fronttruppen vor, wo oft unter den
schwierigsten Verhältnissen, in hergerichteten Scheunen oder
ähnlichen Räumen, dem Frontkrieger edle Kunst geboten wurde.
Schauspiel und Operette bildeten naturgemäß den Hauptteil des
Spielplanes; die Vorführung klassischer Stücke konnte im
allgemeinen nicht geboten werden; jedoch gelang es der Theaterleitung der 6.
Armee, in Lille sogar den Ring der Nibelungen
durch besonders hierfür
berufene Gäste aufzuführen.
Vokal- und Instrumentalkonzerte, Rezitationsvorstellungen von heimischen oder
der Truppe angehörenden Künstlern fanden ebenfalls häufig
statt.
Schließlich wurden sogar besondere Hochschulkurse eingerichtet, um auch
den im Felde stehenden Akademikern Gelegenheit zu geben, ihre Kenntnisse
aufzufrischen, neue Anregung zu empfangen und das Band mit ihren
Hochschullehrern wieder anzuknüpfen. Natürlich konnte nicht etwa
Vorbereitung zu einem Examen Zweck dieser Kurse sein. Mehrmals in der Woche
fanden allgemein-wissenschaftliche Vorträge statt, an denen jedermann
teilnehmen konnte, weiter aber auch zusammenhängende, mehrere Wochen
dauernde [263] Kurse in den einzelnen
Disziplinen der verschiedenen Fakultäten, zu denen bestimmte
Zuhörer aus den Fronttruppen für diese Zeit kommandiert waren. So
wurden bei der Etappeninspektion 6 ein
juristisch-staatswissenschaftlicher, ein
medizinisch-naturwissenschaftlicher und ein philosophischer Kursus abgehalten,
bei welch letzterem Philosophie, Geschichte, Geographie, Sprachwissenschaft der
verschiedensten Art und auch (da ein besonderer Kursus für die
theologische Fakultät nicht vorgesehen war) Theologie beider christlichen
Konfessionen zu ihrem Recht kamen. Ein technischer Kursus war in
Vorbereitung, konnte aber, ebenso wie ein für später geplanter
kaufmännischer Kursus, infolge des Rückzugs nicht mehr zur
Ausführung kommen. Als Lehrer stellten sich dankenswerterweise die
besten der deutschen Hochschulprofessoren zur Verfügung. Durch
Stiftungen waren einzelne Inspektionen in der Lage, besondere
Hochschulbüchereien mit ziemlich reichlicher Ausstattung anzulegen.
Um die Etappentruppen nicht in dem oft stumpfsinnigen und überaus
anstrengenden Wacht- und Arbeitsdienst verkümmern zu lassen, suchte
man sportliche Abwechselung zu schaffen; aber auf diesem Gebiet konnte
natürlich bei der Inanspruchnahme fast der ganzen Zeit durch Arbeit und
der Zersplitterung der Etappentruppen in viele kleine Kommandos nur wenig
geleistet werden. Immerhin konnte z. B. in Gent die
Etappeninspektion 4 im September 1915 eine Ruderregatta und
Wettschwimmen veranstalten.
Wichtiger als sie auf den ersten Blick wohl erscheinen mögen, waren die
von den Etappenintendanturen eingerichteten Lehrküchen. In Kursen wurde
hier Personal der Etappen- und Fronttruppen darin ausgebildet, mit den
einfachsten Kocheinrichtungen (Feldküchen, Kessel in Massenquartieren)
die gelieferten Speisen schmackhaft und vor allem abwechselungsreich
zuzubereiten. Es war das sehr notwendig, da die Gefahr nahe lag, daß die
kräftige, aber doch naturgemäß einförmige Kost auf die
Dauer bei den Leuten Widerwillen erregen mußte.
Auch die Toten konnten Fürsorge durch die Etappeninspektionen
verlangen. Um die genaue Feststellung der Grabstätte jedes Gefallenen zu
ermöglichen und die Pflege der Gräber und eine würdige
künstlerische Ausstattung der Grabstätten sicherzustellen, wurden im
Juli 1916 Gräberverwaltungen bei den Etappeninspektionen eingerichtet. Es
war dies dringend notwendig, da vorher von einzelnen Behörden und
Truppenteilen ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, sie später
zu unterhalten, überall Gräber angelegt und oft in künstlerisch
nichts weniger als einwandfreier Art ausgestattet worden waren. Bei jeder
Etappeninspektion befand sich ein Gräberverwaltungsoffizier mit dem
nötigen Verwaltungspersonal und dem künstlerischen Beirat. Dieser
sollte nach der Verfügung des Kriegsministeriums aus einem Bildhauer,
einem Architekten und einem Gartenarchitekten bestehen; es erwies sich aber als
praktischer, nur einen Künstler mit dieser Aufgabe zu betrauen oder doch
einen den beiden anderen [264] überzuordnen,
da sonst leicht aus der Verschiedenheit der künstlerischen Anschauung
Zwistigkeiten entstanden. Für jede Gruppe der Front war dem
Gräberverwaltungsoffizier wiederum ein Offizier mit zwei Schreibern
unterstellt, der die Arbeiten an Ort und Stelle leitete. Anlage und Unterhaltung
von Friedhöfen und Denkmälern, Umbettungen,
Überführung von Leichen in die Heimat und Führung von
Gräberlisten für die einzelnen Friedhöfe gehörten zur
Tätigkeit des Gräberverwaltungsoffiziers. Umfangreiche
Werkstätten zur Anfertigung von Grabkreuzen oder Grabsteinen und
Gärtnereien waren ihnen unterstellt, ebenso eine photographische
Abteilung, die die Gräber photographierte und den Angehörigen der
Gefallenen auf Wunsch Bilder kostenlos übermittelte. Die Zahl der
Wünsche auf Überführung von Leichen in die Heimat stieg ins
ungeheure; die Unmöglichkeit, sie alle zu erfüllen, hat der Etappe
manches harte Wort eingetragen und manchen erbitterten Gegner geschaffen.
Wenn die Bahnen so überlastet waren, daß kaum die wichtigsten
Verpflegungs- und Ausrüstungsstücke zur Truppe und die für
die Kriegswirtschaft notwendigsten Gegenstände in die Heimat transportiert
werden konnten, so daß Wagen für
Leichenüberführungen zu erhalten (die die Etappe ja ihrerseits
wieder von der Bahnbehörde erbitten mußte) völlig
unmöglich war, oder wenn gar das Grab durch einen Wechsel der
militärischen Lage in die vorderste Kampflinie geraten war und eine
Ausgrabung nur mit Gefahr für das Leben aller dabei beteiligten
Mannschaften möglich gewesen wäre oder wohl gar die
Grabstätte in Feindeshand gefallen war, so hörte der Verwandte in
der Heimat nicht auf, immer und immer wieder das Unmögliche zu
beantragen, und oft wurden dabei Worte und Redensarten, ja Drohungen, gegen
die vermeintlich saumselige Etappe gebraucht, die man nur aus Rücksicht
auf den durch den Schmerz um einen gefallenen lieben Anverwandten stark
erregten Seelenzustand des Antragstellers ungerügt hingehen lassen
konnte.
Neben den in erster Linie den fechtenden Fronttruppen dienenden Einrichtungen
der Etappe bestanden natürlich bei jeder Etappeninspektion die für
die eigenen Bedürfnisse der Menge der Etappenangehörigen
notwendigen Behörden: der Gasschutzoffizier zur Ausstattung der im
Operationsgebiet verwendeten Etappentruppen mit Gasschutzgerät,
Kontrolle der Schutzmaßnahmen und Belehrung der entsprechenden
Funktionäre der Truppe; der Unterrichtsoffizier zur Beschaffung von
Material für Belehrung und Aufklärung der Truppen und Aufstellung
von Richtlinien für den vaterländischen Unterricht, und zur
Organisation der Werbetätigkeit für die Kriegsanleihen; mehrere
Kriegsgerichtsräte (etatsmäßig nur einer) zur Bearbeitung der
gerichtlichen Angelegenheiten; eine Wagenanmeldestelle zur Anforderung der
für die Bedürfnisse der Etappe notwendigen Eisenbahnwagen bei den
Bahnbehörden; sowie natürlich das
nötige - mehr als zehnfach den ursprünglichen Etat
überschreitende - Bureaupersonal, Registratur und
Kassenverwaltung.
[265] 13. Die Etappenkommandanturen.
Wie die Etappeninspektionen im großen, so mußten natürlich
auch die Etappenkommandanturen, die eigentlichen Träger des
Etappendienstes, im Laufe des Krieges mannigfache Veränderungen
durchmachen. Ihr Wirkungsbereich erweiterte sich immer mehr durch neue
Aufgaben, an die vor dem Kriege niemand gedacht hatte. Die zu Beginn des
Krieges geltenden Vorschriften rechneten für die Kommandanturen
überwiegend mit dem Bewegungskrieg, noch mehr als für die Etappe
im allgemeinen. So ist fast immer nur vom Etappenort und den
Etappenstraßen die Rede - das ist auch im Bewegungskrieg die
Hauptsache; bald aber wurde der Etappenkommandant verantwortlich für
einen ganzen Bezirk, in dem der Ort seines Sitzes nur eine je nachdem
größere oder geringere Rolle spielte. Wie die Inspektion
schließlich alle Tätigkeit einer Landesregierung in ihrem Bezirk
ausübte, so hatte auch der Etappenkommandant neben seinen rein
militärischen Funktionen alle Befugnisse der Verwaltungsbeamten
verschiedenster Art (Landrat, Amtsrichter, Steuerkommissar,
Gewerbeinspektor usw.). Daß natürlich hierfür das
etatsmäßige Personal bei weitem nicht ausreichte, leuchtet ohne
weiteres ein. Eine größere Kommandantur hatte schließlich
neben dem einzigen etatsmäßigen Adjutanten noch einen Platzmajor
für den Wacht- und Sicherheitsdienst und das Feuerlöschwesen,
einen Beitreibungsoffizier für Beitreibungen und Beschlagnahme, einen
Landwirtschaftsoffizier für Leitung der Agrarbetriebe und Beaufsichtigung
der einheimischen Landwirtschaft, einen Quartieroffizier für
Truppenunterbringung, einen Paßoffizier zur Regelung des
Einwohnerverkehrs - und alle diese hatten mehr als reichlich zu tun.
Zugeteilt wurden nach Bedarf noch Offiziere für bestimmte
Industriezweige, z. B. bei einigen Kommandanturen der 4. Armee
für Flachsbearbeitung. Bei kleineren Kommandanturen wurden
natürlich mehrere der genannten Funktionen von einem Offizier
ausgeübt. Kommandanturarzt und -veterinär erwiesen sich
überall als unbedingt notwendig; oft reichte der eine Kriegsgerichtsrat nicht
aus; der Bedarf an Geistlichen richtete sich nach der Belegung mit Truppen, die
keine eigenen Geistlichen hatten (Übungsplätze, Rekrutendepots),
und mit Lazaretten. An Unterpersonal war, abgesehen von dem gegen den Etat
wesentlich erhöhten Bureaupersonal, besonders reichliche Zuteilung von
landwirtschaftlichen Aufsehern zur Kontrolle der Einwohner notwendig.
Der Umfang der Kommandanturbezirke war natürlich sehr verschieden.
Während im Westen kleine Bezirke, allerdings teilweise mit recht
reichlicher Bevölkerungszahl vorherrschten, gab es im Osten Bezirke von
gewaltiger Ausdehnung. Die dem Kommandanten zur Verfügung stehende
Truppenzahl war entsprechend verschieden, im Westen ½ oder auch
1/3, höchstens
eine ganze Landsturmkompagnie, die außer dem
Wach- und Sicherheitsdienst und der Polizei im Bezirk auch die Kommandos
für Verwaltung und wirtschaftliche [266] Ausnutzung zu stellen
hatte, im Osten bis zu 1 - 1½ Bataillon und einer Eskadron.
Einige große Städte hatten an Stelle der Etappenkommandanten
besonders eingesetzte, ähnlich organisierte Kommandanturen, die mehr
oder minder selbständig unter oder auch neben den Etappeninspektionen
standen; im Westen z. B. Gent, Lille.31 Bei
manchen Etappeninspektionen bestanden unter den Etappenkommandanturen als
Unterbehörden sog. Ortskommandanturen, die aber meist mehrere
Ortschaften verwalteten, wie fast in allen bodenständigen
Generalkommandos das rückwärtige Operationsgebiet in
Ortskommandanturbezirke eingeteilt war. In der Etappe entsprach das
Verhältnis dieser Ortskommandanturen zu den Etappenkommandanturen
etwa dem des Amtsmanns in Westfalen zum Landrat. Bei anderen
Etappeninspektionen bildeten (s. S. 237) die
Gendarmeriestationen eine Art Unterbezirke der Kommandanturen.
Den Etappenkommandanten gebührt ganz besondere Anerkennung. Sie
waren es, die alle die vielen Verfügungen der höheren
Behörden in die Tat umsetzen mußten; sie haben mit unendlicher
Mühe oft aus nichts heraus schöne Unterkunftsmöglichkeiten
für die Frontkameraden geschaffen; sie haben den Ackerbau ihrer Gebiete
in Gang gebracht; sie haben aus ihrem Bezirk für Heer und Heimat das
Erreichbare herausgeholt und dadurch das lange Durchhalten ermöglicht;
sie haben aber auch Ruhe und Ordnung aufrechterhalten, den Einwohnern Schutz
gegen Übergriffe gewährleistet und für deren materielle
Wohlfahrt gesorgt. So mancher Kommandant war in jeder Beziehung ein Vater
seines Bezirks. Trotz des natürlichen Hasses gegen den Eroberer haben die
Einwohner das auch in sehr vielen Fällen anerkannt; es herrschte in fast
allen Bezirken ein absolutes Vertrauensverhältnis zwischen Kommandantur
und Einwohnerschaft, und die verständigen Leute32 sahen durchaus ein, daß gegen
einzelne Widersetzliche scharfe Maßregeln angewandt werden
mußten. Um so bedauerlicher, aber bei dem Charakter der westlichen
Nachbarn Deutschlands nicht verwunderlich ist es, daß jetzt dort nur diese
Einzelnen das Wort führen und sich in maßlosen Beschuldigungen
ergehen, während die Menge der früher gerecht Urteilenden aus
Angst, in den Ruf des Mangels an Patriotismus zu kommen, nicht ihre Meinung
zu äußern wagt.
14. Die Etappe in der letzten
Kriegszeit.
Sehr erschwert wurde in den letzten Jahren des Krieges die Tätigkeit der
Etappe durch den häufigen Wechsel der Verwaltungsgebiete der
Etappeninspektionen, der dadurch bedingt wurde, daß bei der
zahlenmäßigen Unterlegenheit Deutschlands gegenüber seinen
Gegnern häufig ganze Armeen von [267] einem
Kriegsschauplatz auf bedrohte oder für einen Großangriff bestimmte
Punkte eines anderen geworfen und zwischen den dort kämpfenden Armeen
eingeschoben werden mußten. Jede Veränderung der Armeegrenzen
machte sich dann auch durch Verschiebung der Etappengrenzen geltend, und das
Einschieben einer Armee in die Front bedeutete immer eine enorme
Veränderung auch im rückwärtigen Gebiet. Da jede Inspektion
naturgemäß ihre Eigentümlichkeit in der Art ihrer Verwaltung
hatte - und es wäre ein großer Fehler gewesen, hier von oben
zu schematisieren -, so bedeutete das jedesmal für die betreffenden
Kommandanturen eine völlige Umgestaltung ihres ganzen Betriebs. Es
machte ferner eine Menge Versetzungen von einem Truppenteil zum anderen
nötig, da von den Etappentruppen ein großer Teil in
Wirtschaftsbetrieben abkommandiert und natürlich über das ganze
Gebiet einer Inspektion verstreut war. Durch das ewige Anlernen von Nachfolgern
in den Betrieben gingen auch eine Menge Leute dem Dienst verloren. Endlich
mußten viele Betriebe, von denen die Inspektion nur einen in seiner Art
besaß, bei Wechsel immer wieder neu eingerichtet werden oder im Gebiet
einer anderen Inspektion - exterritorial - verbleiben, wo sie
natürlich nur geduldet wurden und bei allem kameradschaftlichen
Entgegenkommen nicht die gleiche Unterstützung fanden wie im eigenen
Gebiet. Vielleicht hätte es manchmal genügt, bei Änderungen
in der Front den Truppen der Nachbararmeen Belegungsrecht im Etappengebiet zu
gewähren, ohne gleich das ganze Gebiet abzutreten, zumal da die taktischen
Veränderungen oft rasch aufeinander folgten und manche Gebiete alle paar
Monate oder sogar Wochen von einer Armee zur anderen pendelten.
Im Lauf des Krieges wurde das Soldatenmaterial in der Etappe immer weniger
brauchbar, eine Tatsache, die ja infolge der langen Dauer des Kampfes
überall zu spüren war, aber naturgemäß in der Etappe,
die nur ältere, für die Front nicht mehr verwendungsfähige
Leute bekam, besonders stark hervortrat. Schon zu Beginn des Feldzuges war es
durch die Ersatzlage Deutschlands geboten, daß die Etappe die anfangs
ziemlich reichlich bei ihr vorhandenen feldverwendungsfähigen Offiziere
und Mannschaften abgab. Härten, die sich hierbei durch den Verlust
besonders tüchtiger Fachleute ergaben, mußten in den Kauf
genommen werden und wurden es auch überall in richtigem
Verständnis für das Interesse des Ganzen. Gegen Schluß des
Feldzuges aber wurde das Herausziehen angeblich
kriegsverwendungsfähiger Leute aus der immer wieder von neuem
durchsiebten Etappe geradezu zur Kalamität, da es die
Leistungsfähigkeit wesentlich herabdrückte und dadurch auch der
fechtenden Truppe schadete. Abgesehen von den Anforderungen der Front wurde
aber die Lage der Etappe durch die Reklamationen der Heimat an Fachleuten
immer mehr verschlechtert. Hier hätte sich vielleicht durch ein etwas
größeres Verständnis für die Lebensnotwendigkeiten der
Etappe, besonders dafür, daß die Fabriken [268] des Etappengebiets
genau dieselben Fachleute brauchten wie die Heimat, allzu große
Härten vermeiden lassen. Manchmal kamen hierbei sogar Schiebungen vor,
indem gute Freunde unter falschen Vorspiegelungen manchen von dem
anstrengenden Etappendienst in die gut bezahlte Heimat zogen. Daß ein als
Schlosser reklamierter Mann der Kutscher des Fabrikbesitzers war, oder ein als
Bäcker reklamierter - Posamentier, aber ein Schwager des
Bäckers, sind Fälle, die, wenn auch nicht häufig, sich
wiederholt ereigneten.
Daß tatsächlich die letzte Kraft und manchmal eigentlich noch mehr
aus der Etappe herausgepreßt wurde, zeigt am besten das Schreiben eines
Divisionskommandeurs an die Etappeninspektion 6, der sich in den
gröbsten Ausdrücken verbat, ihm solche absolut frontunbrauchbaren
kranken Leute auf den Hals zu schicken - und dabei hatte nicht die Etappe,
sondern eine Kommission, die die Etappe von angeblichen Drückebergern
reinigen sollte, diese Leute als die körperlich besttauglichen der
Etappeninspektion herausgesucht! Vor allem aber war der Ersatz aus der Heimat
körperlich und geistig nicht imstande, die Abgaben zu ersetzen; es wurde
häufig in Unkenntnis der Verhältnisse übersehen, daß
der Etappendienst sehr große Anforderungen an die
Leistungsfähigkeit der Leute stellt und daß für viele Betriebe
eben nur brauchbare, wirkliche Schwerarbeiter verwendet werden konnten.
Manchmal blieb der Ersatz auch längere Zeit ganz aus, da die
Ersatztruppenteile infolge des auf höheren Befehl angelegten strengsten
Maßstabs bei Beurteilung der Dienstfähigkeit gar nicht über
garnisondienstfähige oder arbeitsverwendungsfähige Leute
verfügten, sondern nur über kriegsverwendungsfähige
Mannschaften, die sie der Etappe nicht senden durften. Auch für den
Wachtdienst genügten die garnison- und arbeitsverwendungsfähigen
Leute nicht, und die Erlaubnis, einige kräftige und gewandte Leute in die
Militärpolizeien der großen Etappenstädte einzustellen,
hätte sich wohl durch Aufgreifen der erschreckenden Zahl von
Drückebergern sehr gut rentiert und weit mehr Leute der Front
zugeführt, als für jenen Dienst notwendig waren.
Das Versagen gerade der Etappentruppen, die bisher Ausgezeichnetes geleistet
hatten, beim schließlichen Rückzug und der Revolution ist in erster
Linie dieser zum Schluß zu weit gehenden Verschlechterung des
Menschenmaterials zuzuschreiben. Es muß aber erwähnt werden,
daß auch in diesem Punkt vieles der Etappe zur Last gelegt wird, was sie
nicht betrifft. Die Hauptträger der Zuchtlosigkeit in den Etappengebieten
waren die jüngeren, noch unausgebildeten Leute der Feldrekrutendepots,
die ja auch später in der Heimat meist eine sehr üble Rolle spielten.
Das Verhalten der Etappentruppen gegenüber den Eindrücken des
Rückzugs und der Revolution war in den Inspektionen sehr verschieden.
Während in einzelnen sehr bald starke Unordnung einriß, blieben bei
den meisten, wenigstens im Westen, mit wenigen Ausnahmen Landsturmtruppen
und Kolonnen bis zuletzt in der Hand der Führer. Daß sie nicht die
ihnen anvertrauten [269] Vorräte
zurückschaffen konnten, lag einmal an der furchtbaren Schnelligkeit der
Rückzugsbewegung und den großen Massen des Heeresguts, dann
aber an dem absoluten Versagen der Kraftfahrer (also Fronttruppen) und der zur
Befehlsübermittlung nötigen Kraftradfahrer. Ein schlimmes Bild
boten die Etappenorte der auf dem Rückzug befindlichen Etappe im
östlichen Belgien, aber größtenteils nicht infolge der
schlechten Haltung der Etappentruppen, sondern infolge der Menge der in tollster
Verfassung, meist auf Lastkraftwagen, durchströmenden Deserteure.
Daß die alten Landsturmleute der Etappe nach Hause drängten, kann
man ihnen nicht verübeln, wenn sie täglich sahen, wie sie zu
Fuß marschieren mußten, während Tausende von
Drückebergern aus Brüssel mit Sonderzügen, die der dortige
Soldatenrat von den Bahnbehörden erpreßt und so einer besseren
Verwendung im Dienste des Vaterlandes entzogen hatte, an ihnen vorbei in die
Heimat fuhren, um dort die günstige Zeit der Verwirrung für
Verbrechen aller Art auszunutzen.
Die Tätigkeit der Etappeninspektionen auf dem Rückzug und nach
Ankunft in der Heimat beschränkte sich, abgesehen vom
Zurückführen der eigenen Etappentruppen, auf die Bereitstellung der
Verpflegung für die zurückmarschierenden Armeen. Und auch diese
letzte, unter den schwierigen Verhältnissen der damaligen Zeit wahrlich
nicht leichte Aufgabe wurde im allgemeinen glänzend gelöst;
niemals trat Mangel an Verpflegung bei der Truppe ein, und dem hier in erster
Linie tätigen Intendanturpersonal gebührt vollste Anerkennung.
15. Schluß.
Aus alledem geht hervor, daß die Etappe, abgesehen von wenigen
Ausnahmen, ihre Schuldigkeit getan und Großartiges geleistet hat. Es ist
darum tief bedauerlich, daß immer noch das Mißtrauen gegen die
Etappe und die Geringschätzung ihrer Angehörigen nicht
aufgehört hat. Die hier gebotene Schilderung wird jeden befähigen,
über Tätigkeit und Leistung der Etappe sich selbst ein Bild zu
machen. Die Taten sprechen für sich. Nur auf einige ganz besonders oft
gehörte Behauptungen sei eingegangen:
Es ist ein Märchen, daß die Etappe gefaulenzt hat; rastlose
aufopfernde Arbeit war vielmehr das charakteristische Kennzeichen der Etappe
für die große Mehrzahl vom Höchsten bis zum Niedrigsten.
Wenn man in den Etappenstädten viele herumlaufen sah, die nichts zu tun
hatten, so waren dies Urlauber, die von der Front auf kurze Zeit zur Erholung dort
waren oder auf der Fahrt zu und von der Heimat hier einen Tag Station machten,
oder es waren Ersatztransporte, die vor ihrem endgültigen Abgang zur
Front sich die Städte des feindlichen Landes ansehen und sich wohl auch,
ehe sie den Gefahren des Kampfes entgegengingen, noch einmal austoben
wollten; vor allem waren es zum Schluß [270] Drückeberger,
die, von Stadt zu Stadt ziehend, sich den Nachstellungen der Behörden zu
entziehen verstanden hatten. Die Etappenangehörigen waren den ganzen
Tag im Bureau und Magazin, in Werkstätte oder Fabrik, auf dem Acker
oder auf Wache, aber nicht auf den Straßen!
Es ist auch unrichtig, daß sich Drückeberger in den Etappenbetrieben
befanden. Dort waren teils ältere Leute, die überhaupt nicht mehr
frontdienstpflichtig und auch nicht frontdienstfähig waren, oder Kranke und
Verwundete. Vereinzelte Ausnahmen bestätigen hier wie überall nur
die Regel.
Es ist vor allem ein Märchen, daß in der Etappe besonders viele
Orden und Ehrenzeichen ausgeteilt wurden. Gewiß: viele Leute der Etappe
trugen das Eiserne Kreuz, aber sie hatten es sich an der Front erworben, bevor sie
infolge schwerer Verwundung zur Etappe kamen.
Unwahr ist auch, daß im Gegensatz zur Front in der Etappe ein besonders
gutes Leben herrschte. Im Gegenteil: die Etappenportion war geringer als die
Frontportion, die tägliche Brotmenge war erheblich kleiner, es fehlten die
Zulagen zur Abendkost wie Wurst, Käse usw., und Butter wurde
z. B. bei der 6. Armee33 nur
für jeden dritten Tag, nicht wie an der Front jeden zweiten Tag ausgegeben.
Was dies bedeutete, zeigten die vielen Anträge von Fronttruppen, die im
Etappengebiet kurze Zeit lagen und sofort Erhöhung der dort
zuständigen Portion beantragten, da ihre Leute davon nicht leben
könnten. Selbst das in der Etappe gebraute gute Bier ging an die Front,
während sich die Etappe mit dem schlechteren aus der Heimat behelfen
mußte. Kaufen konnte man allerdings besser in der Etappe, das
stimmt - aber sinnlos teuer, weil die Fronttruppen durch ihre Urlauber und
die in großer Zahl dauernd ins Etappengebiet geschickten Aufkäufer
die Preise derart verdarben, daß die meisten Leute (einerlei ob Offizier oder
Mannschaften) sich nur selten mehr leisten konnten als die
Frontangehörigen, die in die Etappe kamen, um einmal (was ihnen sicher
niemand verübeln wird), koste es was es wolle, ein bißchen zu
schlemmen.
Und es ist eine Verleumdung, daß das sittliche Leben der Etappe besonders
schlimm gewesen sei. Die Angehörigen in der Etappe, unter den Augen
ihrer Vorgesetzten, waren dazu kaum in der Lage und hatten keine Zeit dazu.
Wohl aber gaben die vielen vorübergehenden Gäste in den
großen Etappenstädten leider sehr häufig Anlaß zu
berechtigten Klagen über ihr unmilitärisches Benehmen und ihr
sittliches Verhalten und schimpften überdies mächtig gegen die
Etappenbehörde, wenn diese bei allzu tollem Betragen genötigt war,
einzuschreiten.
[271] Und schließlich
trifft auch das nur in beschränktem Maße zu, daß die
Etappenangehörigen sicher vor Gefahren durch den Feind waren. Die
zahlreichen Fliegerangriffe gerade auf die Bahnen, Straßen, Magazine,
Fabriken und Munitionslager des Etappengebiets in der zweiten Hälfte des
Krieges waren oft von furchtbarer Wirkung. Gegen Kriegsende hatten vordere
Etappenorte auch Fernbeschießungen durch feindliche Artillerie
(z. B. Seclin bei der Etappeninspektion 6) auszuhalten, so daß
es im Etappengebiet manchmal ungemütlicher war als an ruhigen
Frontteilen im Operationsgebiet, an denen, wie zeitweise an gewissen Orten der
Vogesen, Promenadenkonzerte 2 km hinter dem Schützengraben
stattfinden konnten. Überdies taten Kolonnen und Trains, Bahnschutz und
Bewachung der Militärgefangenen, Sammelkompagnien und
Straßenbaukompagnien,34 sowie die
Gräberverwaltung - alles Angehörige der
Etappe - Dienst bis in das vordere Operationsgebiet.
Mehr Gerechtigkeit als das so unsinnige wie gemeine Pamphlet Das
Etappenschwein, das eine Zeitlang an der Westfront viel zu finden war,
läßt der Etappe das als Entgegnung geschriebene nachfolgende
Gedicht der Etappe
widerfahren. - Der unbekannte Verfasser wird verzeihen, daß es ohne
seine besondere Erlaubnis hier aufgenommen wird:
Die Etappe.
(Eine Antwort auf das Schmähgedicht eines Frontsoldaten.)
Wer schafft unermüdlich bei Tag und Nacht,
Ist stets auf das Wohl der Truppen bedacht,
Damit sich die Front mit der Heimat verbindet,
Kolonne und Nachschub die Truppe stets findet.
Wer hilft den Verwundeten lindern die Leiden?
Das schafft die Etappe ganz still und bescheiden.
Wer sorgt in dem eben besetzten Lande
Für Ordnung und Zucht bei der feindlichen Bande,
Wer schafft den Truppen die guten Quartiere,
Wer sorgt für die Zufuhr der Weine und Biere?
Das macht ohne Geizen nach Ehre und Ruhm
Die Etappe ohn' schreiendes Heldentum.
Und löst in der Schlacht sich der Truppenverband,
So daß der Soldat 's Regiment nicht mehr fand,
Wer hilft dann suchen die Kompagnie,
Versagt dem Versprengten die Hilfe nie?
Das macht nur in stolzem Gefühle der Pflicht
Der so wenig geschätzte Etappenwicht.
[272]
Drum mögt verhöhnen ihr die Etappe
Mit noch so riesengroßer Klappe,
Wenn die Etappe nicht sorgt und nicht schafft,
Verginge zum Kämpfen euch Mut bald und Kraft;
Behaltet für euch drum die boshaften Reime,
Sie legen zur Zwietracht und Mißgunst die Keime.
Es darf mit Zuversicht erwartet werden, daß allmählich sich im Volke
die richtige Auffassung über das Wesen der Etappe Bahn bricht, und
daß eine objektive Geschichtschreibung die trotz aller Schwierigkeiten und
vieler Mängel so großartigen Leistungen der Etappe als Verdienst der
Männer würdigen wird, die trotz vieler Anfeindungen von allen
Seiten, trotz Geringschätzung und Verkennung seitens derer, für die
allein sie arbeiteten, ohne den Ansporn von Ruhm und Anerkennung, in
unermüdlicher Arbeit nur das eine Ziel kannten und erreichten: für
das Wohl ihrer Frontkameraden zu sorgen.
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