Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
[627]
Kapitel 11: Die militärischen Seiten
des Vertrages von Versailles1
General der Infanterie Hans v. Zwehl
Am 18. April 1919 wurde vom französischen Ministerpräsidenten
und Kriegsminister Clemenceau durch Vermittlung des Generals Nudant an die
deutsche Regierung das Ersuchen gerichtet, "mit Vollmachten versehene
Delegierte für den 25. April abends nach Versailles zu schicken, um dort
den von den alliierten und assoziierten Mächten festgesetzten Text der
Friedenspräliminarien in Empfang zu nehmen". Nachdem die
zunächst bezeichneten drei Abgesandten als von zu geringem Range seitens
Clemenceaus abgelehnt worden waren, wurden zu Delegierten bestimmt: der
Reichsaußenminister Dr. Graf Brockdorff-Rantzau als Vorsitzender, der
Reichsjustizminister Dr. Landsberg, der Reichspostminister Giesberts, der
Präsident der Preußischen Landesversammlung Leinert, Dr. Karl
Melchior, Professor Dr. Schücking. Diese Vertreter wurden als vollwertig
angenommen. Der Umstand, daß sich kein General unter ihnen befand,
ließ das mindere Interesse an allen militärischen Fragen erkennen.
Die endgültige Aufforderung zur Abreise der deutschen Delegierten ging
von dem Marschall Foch aus; keine nebensächlichen Einzelheiten!
Schon in der ersten Verhandlungssitzung am 7. Mai zu Versailles erklärte
Clemenceau unter Übergabe des "Buches des Friedens", daß
für die Deutschen keine mündlichen Vorschläge zugelassen
würden, daß sie ihre Anträge in schriftlichen
Ausführungen französisch und englisch binnen 14 Tagen vorbringen
müßten, auf die dann die alliierten und assoziierten Regierungen
Entscheidung treffen würden. Auch wurde schon die Frage von der Schuld
am Kriege aufgeworfen. Der Graf Brockdorff erklärte darauf: "Es wird von
uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen am Kriege bekennen; ein
solches Bekenntnis wäre in meinem Mund eine Lüge. Wir sind fern
davon, jede Verantwortung dafür, daß es zu diesem Weltkriege kam
und daß er so geführt wurde, von Deutschland abzuwälzen.
Die Haltung der früheren deutschen Regierung auf den Haager
Friedenskonferenzen, ihre Handlungen und Unterlassungen in den tragischen
zwölf Julitagen mögen zu dem Unheil beigetragen haben, aber wir
bestreiten [628] nachdrücklich,
daß Deutschland, dessen Volk überzeugt war, einen
Verteidigungskrieg zu führen, allein mit der Schuld belastet ist."
Ob der Wortlaut der Erklärung geschickt war, es auch nur der Wahrheit
entsprach, für Deutschland eine gewisse Teilschuld an dem Kriegsausbruch
zuzugeben, bleibe unerörtert. Die aus der Erklärung des
Vorsitzenden sich entwickelnden Folgen waren katastrophal. Ob eine andere
Haltung günstiger gewirkt hätte, wird eine offene Frage bleiben.
Sicher ist nur, daß das halbe deutsche Zugeständnis mit erneuten
scharfen Anschuldigungen beantwortet worden ist.
Ein von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten besonders betonter Plan
war die Bildung eines Völkerbundes. Dem Friedensvertrage sind die
"Völkerbundssatzungen" vorangestellt. Die allgemeinen Aufgaben sind in
folgende Form gefaßt:
Die Mitglieder übernehmen bestimmte Verpflichtungen, nicht zum Kriege
zu schreiten; in aller Öffentlichkeit auf Gerechtigkeit und Ehre
gegründete internationale Beziehungen zu unterhalten; die Vorschriften des
internationalen Rechtes, die fürderhin als Richtschnur für das
tatsächliche Verhalten der Regierungen anerkannt sind, genau zu
beobachten; die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle
Vertragsverpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen der organisierten
Völker peinlich zu achten.
Als Mitglieder sind die Teilnehmer an den Verhandlungen, die
ursprünglichen Ententemächte (außer Rußland)
aufgeführt, die große Zahl kleiner Staaten Amerikas, die im Laufe der
Jahre sich teils neutral, teils feindlich gegen die Zentralmächte gestellt
hatten und die neugeschaffenen Staaten Polen und der
Tschecho-Slowakei; im ganzen 27 Staaten, von denen die Vereinigten Staaten,
das Britische Reich, Frankreich, Italien, Japan als die alliierten und assoziierten
Hauptmächte bezeichnet wurden.
In 26 Artikeln werden die Einzelheiten der Abmachungen zusammengefaßt.
Daraus ist folgendes erwähnenswert: Der Bund übt seine
Tätigkeit aus durch eine Bundesversammlung, bestehend aus allen
Bundesmitgliedern und durch einen Rat der alliierten und assoziierten
Hauptmächte und vier Vertreter anderer Bundesmitglieder. Die erste
Tagung der Bundesversammlung und die erste Tagung des Rates erfolgt auf
Einberufung des Präsidenten der Vereinigten Staaten nach dem
vorläufigen Bundessitz Genf. "Die Bundesmitglieder bekennen sich zu dem
Grundsatz, daß die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der
nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordert, das mit der
nationalen Sicherheit und mit der Erzwingung internationaler Verpflichtungen
durch gemeinschaftliches Vorgehen vereinbar ist. Der Rat entwirft unter
Berücksichtigung der geographischen Lage und der besonderen
Verhältnisse eines jeden Staates die Abrüstungspläne und
unterbreitet sie den verschiedenen Regierungen zur Prüfung und
Entscheidung." Bestimmungen über Nachprüfung dieser
Pläne, [629] Beaufsichtigung der
Munitions-Heeresgeräteanfertigung. "Die Bundesmitglieder verpflichten
sich, die Unversehrtheit des Gebietes und die bestehende politische
Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder zu achten und gegen jeden
äußeren Angriff zu wahren. Im Falle eines Angriffes, der Bedrohung
mit einem Angriff oder einer Angriffsgefahr ergreift der Rat die zur
Durchführung dieser Verpflichtung erforderlichen
Sicherungsmaßregeln." Jeder Krieg und jede Bedrohung mit Krieg solle
eine Angelegenheit des ganzen Bundes sein. Bestimmungen über
Schiedsgerichte. "Schreitet ein Bundesmitglied..... zum Kriege, so wird es ohne
weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen
Bundesmitglieder begangen." Diese verpflichten sich zum Abbruch aller
Beziehungen mit dem Friedensbrecher. Festsetzung, wie er zu bekämpfen
ist. Schiedsgerichtsverfahren. Keine Geheimverträge. Erörterungen,
wie diese Bestimmungen auf die Kolonien anzuwenden sind. Bestimmungen
über die Ausgaben für das Sekretariat des Völkerbundes und
über das Rote Kreuz. Bei Ablehnung neuer Festsetzungen für die
Satzungen kann der ablehnende Staat aus dem Völkerbunde
ausscheiden. -
In dem als
"Buch des Friedens" bezeichneten Dokument folgen hinter den
"Völkerbundssatzungen" die eigentlichen Bestimmungen des Deutschland
auferlegten Diktates. Aus denen über das Landheer, Seemacht, Luftfahrt ist
folgendes zu erwähnen: Um die Einleitung einer allgemeinen
Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu
ermöglichen - so wird heuchlerisch in der Einleitung
bemerkt -, mußte sich Deutschland verpflichten, die Bestimmungen
für seine Wehrmacht genau innezuhalten, von denen die wesentlichen
folgende waren:
1. Spätestens am 31. März 1920 darf das deutsche Heer
nicht mehr als sieben Infanterie- und drei Kavallerie-Divisionen in einer
Gesamtstärke von 100 000 Mann, einschließlich 4000
Offiziere und Depots, betragen. Eigene Depots dürfen haben das
Infanterie-Regiment, das Kavallerie- und das
Feldartillerie-Regiment, das Pionier-Bataillon. Die Divisionen dürfen nur
unter zwei Generalkommandos zusammengefaßt werden. Der deutsche
Große Generalstab und alle anderen ähnlichen Formationen werden
aufgelöst und dürfen unter keiner Gestalt neu gebildet werden.
2. Das Zivilpersonal der Verwaltungsbehörden des Heeres wird
auf ein Zehntel der Zahl vom Jahre 1913 herabgesetzt.
3. Vermehrung der Zollwächter, der Angestellten in
Forst- und Küstenschutz über die Zahl der 1913 vorhandenen ist
verboten, der Gendarmen nur im Verhältnis zu der
Bevölkerungszunahme seit 1913; Heranziehung dieser Personen zu
militärischen Übungen ist verboten.
4. Die Herabsetzung der Heeresstärke darf schrittweise in
folgender Art durchgeführt werden: binnen drei Monaten2 auf 200 000 Mann, die
Zahl der [630] Einheiten darf noch das
Doppelte der unter Ziffer 1 erläuterten Zahlen betragen. Nach Ablauf
dieser Frist und am Schlusse jedes folgenden Jahres setzt ein Ausschuß von
Heeressachverständigen der alliierten und assoziierten Hauptmächte
die für das nächste Vierteljahr durchzuführenden
Herabsetzungen fest, und zwar in der Weise, daß spätestens am 31.
März 1920 nur die bewilligten 100 000 Mann vorhanden sind.
5. Bestimmungen, daß nur ein Fünfundzwanzigstel der
etatsmäßigen Kopfstärke an Handfeuerwaffen und ein
Fünfzigstel an Geschützen als Ersatz für Ausfall vorhanden
sein dürfe. Diese Zahlen sollen gelten, bis Deutschland "gestattet sein
würde", in den Völkerbund einzutreten, später sollten die
Entscheidungen des Völkerbundes hierüber maßgebend sein.
Analoge Festsetzungen für das Vorhandensein der
Munitionsbestände.
6. Die Zahl und das Kaliber der Geschütze, die bei Inkrafttreten
des Vertrages die Bestückung der Festungswerke, der Festungen und festen
Plätze, im Lande wie an der Küste, bilden, welche Deutschland
beibehalten darf, sind sofort durch die deutsche Regierung den Regierungen der
alliierten und assoziierten Hauptmächte kundzugeben. Sie stellen
Höchstzahlen dar, die nicht überschritten werden dürfen.
Binnen zwei Monaten muß die Höchstzahl an Munition für
10,5 cm- und kleineres Kaliber auf 1500 Schuß, für jedes
Geschütz schwereren Kalibers auf 500 Schuß herabgesetzt sein und
ist nicht wieder zu erhöhen.
7. Die Anfertigung von Waffen, Munition und Kriegsgerät aller
Art darf nur in Werkstätten und Fabriken stattfinden, deren Lage den
Regierungen der alliierten und assoziierten Hauptmächte zur Genehmigung
mitgeteilt worden ist. Diese Regierungen behalten sich vor, die Zahl der
Werkstätten und Fabriken zu beschränken. Binnen drei Monaten
Schließung aller anderen Anlagen dieser Art.
8. Binnen zwei Monaten Ablieferung aller Waffen,
Munitionsvorräte, Kriegsgerät, Flugabwehrmittel, soweit sie
über die zugelassenen Mengen hinausgehen, desgleichen der zur
Herstellung nötigen Werkzeuge und Maschinen, abgesehen von dem, was
als notwendig für die Bewaffnung und Ausrüstung der zugelassenen
deutschen Streitkräfte anzuerkennen ist.
9. Die Einfuhr von Waffen, Munition, Kriegsgerät jeder Art nach
Deutschland wird verboten. Dasselbe gilt betreffs Anfertigung und Ausfuhr von
Waffen, Munition und Kriegsgerät jeder Art für fremde
Länder.
10. Verbot von Herstellung und Einfuhr erstickender Gase sowie der
dazu nötigen Rohstoffe, desgleichen von Panzerwagen, Tanks oder
"irgendeines anderen ähnlichen Materials, das Kriegszwecken dienen
kann".
11. Binnen drei Monaten hat die deutsche Regierung den alliierten und
assoziierten Hauptmächten Beschaffenheit und Herstellungsart aller
Spreng- und Giftstoffe oder anderer chemischer Präparate, die von ihr im
Laufe des Krieges angewandt oder zu dieser Anwendung vorbereitet worden sind,
mitzuteilen.
[631] 12.
Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, Ergänzung des Heeres im Wege
freiwilliger Verpflichtung, Unteroffiziere und Gemeine für 12 Jahre. Vor
Erfüllung der Pflichtzeit dürfen höchstens 5 v. H.
im Jahre ausscheiden. Offiziere müssen sich bis zum Alter von 45 Jahren
verpflichten. Neuernannte Offiziere müssen sich auf 25 Jahre verpflichten,
es dürfen höchstens 5 v. H. vorzeitig ausscheiden.
Früher im Heere verwendete Offiziere, die nicht in den zugelassenen
Einheiten untergebracht sind, dürfen nicht zu Übungen herangezogen
werden.
13. Beseitigung aller Heeresschulen bis auf eine für jede
Waffengattung, Beseitigung der Kriegsakademien, Militärschulen für
Offiziere, Kadettenanstalten, Unteroffizierschulen. Die Unterrichtsanstalten,
Universitäten, Kriegervereine, Schützengilden, die
Sport- oder Wandervereine, "überhaupt Vereinigungen jeder Art"
dürfen sich mit keinen militärischen Dingen befassen.
Übungen im Waffengebrauch sind den Vereinigungen verboten.
14. Verbot von Mobilmachungsmaßnahmen
und -vorbereitungen.
15. Verbot, in irgendeinem fremden Lande eine Mission des
Landheeres, der Seemacht oder der Luftstreitkräfte zu beglaubigen.
Deutschland ist verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen zu verhindern,
daß Reichsdeutsche sein Gebiet verlassen, um im Heere, der Flotte oder
dem Luftdienste irgendeiner fremden Macht Stellung zu nehmen, dort die
Ausbildung zu fördern. Die alliierten und assoziierten Mächte
vereinbaren ihrerseits, keine Reichsdeutschen einzustellen. Frankreich hat aber
für seine Fremdenlegion freie Hand.
16. Die Anlage von Befestigungen auf dem linken
Rhein-Ufer und auf dem rechten Ufer westlich einer 50 km östlich
des Stromes verlaufenden Linie ist untersagt; ebenso innerhalb dieser Zonen die
Unterhaltung und Ansammlung von Streitkräften, auch nicht zu
Übungen. Alle Festungen und befestigten Anlagen auf deutschem Gebiet
50 km östlich des Rheines werden abgerüstet und geschleift;
im nicht besetzten Gebiet sind sie binnen zwei Monaten abzurüsten, binnen
vier weiterer Monate zu schleifen. Im besetzten Gebiet bestimmt die Oberste
Heeresleitung der Alliierten die Frist. Das System der befestigten Werke an der
Süd- und Ostgrenze Deutschlands verbleibt im gegenwärtigen
Zustande.
17. In den beigegebenen Übersichten sind die zulässigen
Höchstzahlen für die Einheiten und deren Stärken
erläutert. Daraus ist folgendes zu erwähnen:
|
Offiziere |
Mann |
2 Generalkommandos zu je |
30 |
150 |
Zusammensetzung einer
Infanterie-Division. |
Stab |
25 |
70 |
Stab eines Infanteriekommandos |
4 |
30 |
" "
Artilleriekommandos |
4 |
30 |
[632] 3
Infanterie-Regimenter zu je 3 Bataillonen, jedes Bataillon
3 Kompagnien und 1
Maschinengewehr-Kompagnie |
70 |
2 300 |
3 Minenwerfer-Kompagnien |
6 |
150 |
1 Divisions-Schwadron |
6 |
150 |
1 Feldartillerie-Regiment zu 3 Abteilungen, jede Abteilung
zu 3 Batterien |
85 |
1 300 |
1 Pionier-Bataillon zu 2 Pionier-Kompagnien,
1 Brückentrain, 1 Scheinwerferzug |
12 |
400 |
1 Nachrichten-Abteilung zu 1 Telephon-Abteilung,
1 Abhördetachement, 1 Brieftaubenschlag |
12 |
300 |
1 Sanitäts-Abteilung zu |
20 |
400 |
Parks und Kolonnen zu |
14 |
800 |
Zusammensetzung einer
Kavallerie-Division. |
Stab |
15 |
50 |
6 Kavallerie-Regimenter zu je 4 Eskadronen |
40 |
800 |
Reitende Abteilung zu 3 Batterien |
20 |
400 |
Aus den zugelassenen Höchstbeständen an Waffen und Munition
sind zu erwähnen: 84 000 Gewehre, 18 000 Karabiner, 792
schwere, 1134 leichte Maschinengewehre, 63 mittlere, 109 leichte Minenwerfer,
204 Feldkanonen (7,7 cm), 84 leichte Feldhaubitzen (10,5 cm).
Für jedes Gewehr und Karabiner wurden 400 Schuß, für das
Maschinengewehr 8000 Schuß, für den mittleren Minenwerfer 400
Schuß, für den leichten Minenwerfer 800 Schuß, für die
Feldkanone 1000 Schuß, für die leichte Feldhaubitze 800
Schuß bewilligt.
18. Für die Seemacht waren bewilligt - Frist zwei Monate - sechs
Schlachtkreuzer der "Deutschland"- oder "Lothringen"-Klasse, sechs Kleine
Kreuzer, zwölf Zerstörer, zwölf Torpedoboote, oder eine
gleiche Zahl von Ersatzschiffen (siehe Ziffer 26). Keine
Unterwasserfahrzeuge.
19. Zu Minenräumungsarbeiten stellt Deutschland die
nötigen Fahrzeuge.
20. Nach zwei Monaten darf die gesamte Kopfstärke der
deutschen Kriegsmarine, Offiziere und Personal aller Grade und Gattungen
eingeschlossen, 15 000 Mann nicht übersteigen, Besatzung der Flotte
und Mannschaften im Küstenverteidigungs-,
Küstensignal-, Verwaltungs- und Landdienst einbegriffen; Offiziere und
Deckoffiziere nicht über 1500. Ohne Anrechnung auf die oben festgesetzte
Kopfstärke dürfen in Deutschland weder
Marine- noch Heeresformationen noch Reservebestände für einen
mit der Marine zusammenhängenden Dienst gebildet werden.
21. Verlust aller deutschen Überwasserkriegsschiffe, die sich
außerhalb der deutschen Häfen befinden. Schiffe, in neutralen
Häfen interniert, sind auszuliefern.
[633] 22. Folgende
Kriegsschiffe sind desarmiert auszuliefern mit ihrer ganzen Artillerie an Bord:
Schlachtschiffe "Oldenburg", "Thüringen", "Ostfriesland", "Helgoland",
"Posen", "Westfalen", "Rheinland", "Nassau"; Kleine Kreuzer "Stettin",
"Danzig", "München", "Lübeck", "Stralsund", "Augsburg",
"Kolberg", "Stuttgart". Außerdem 42 moderne Zerstörer und 50
moderne Torpedoboote, die durch die alliierten und assoziierten
Hauptmächte bezeichnet werden.
23. Abbruch aller im Bau befindlichen
Überwasserkriegsschiffe.
24. Desarmierung der Hilfskreuzer.
25. Auslieferung aller deutschen Unterseeboote, Hebeschiffe und Docks
für die Unterseeboote.
26. Der Bau oder der Erwerb irgendwelcher Kriegsschiffe ist
Deutschland untersagt. Ersatzbauten dürfen keine größere
Wasserverdrängung haben als 10 000 t für die
Schlachtschiffe, 6000 t für die Kleinen Kreuzer, 800 t
für die Zerstörer, 200 t für die Torpedoboote.
Außer im Falle des Verlustes eines Schiffes dürfen die Einheiten der
verschiedenen Klassen erst nach einem Zeitraum von 20 Jahren für die
Schlachtschiffe und Kreuzer, 15 Jahre für die Zerstörer und
Torpedoboote, gerechnet vom Stapellauf an, ersetzt werden. Der Bau und Erwerb
aller Unterwasserfahrzeuge selbst zu Handelszwecken ist untersagt.
27. Beschränkung in der Waffen- und Munitionsfertigung.
Aufräumen der Minen.
28. Das Personal der Marine darf sich nur im Wege der freiwilligen
Verpflichtung, und zwar bei Offizieren und Deckoffizieren für die Dauer
von mindestens 25 Jahren, bei Unteroffizieren und Mannschaften mindestens 12
aufeinanderfolgenden Jahren ergänzen. Neueinstellungen und
Übungen entlassener Mannschaften sind in gleicher Weise wie beim
Landheer ausgeschlossen.
29. Einschränkende Bestimmungen für die Anlage von
Küstenbefestigungen, damit alle Nationen völlig freien Zutritt zur
Ostsee haben. Freigabe des Kieler Kanals und seiner Zugänge für
alle Nationen auf dem Fuße der Gleichberechtigung.
30. Luftstreitkräfte darf Deutschland weder zu Lande noch zu
Wasser unterhalten. Bis zum 1. Oktober dürfen zum Aufsuchen von
Unterseeminen 100 Wasserflugzeuge oder Flugboote unterhalten werden.
Lenkluftschiffe sind verboten. Auslieferung des Materials, aller
Lenkluftschiffhallen und Behausungen aller Art für Luftfahrzeuge, der
Luftfahrzeugmotoren, der Bewaffnung, Munition, der Bordinstrumente, Apparate
für drahtlose Telegraphie.
31. Interalliierte Überwachungsausschüsse werden auf
Kosten Deutschlands die Durchführung aller derjenigen im
Friedensvertrage festgesetzten Maßnahmen beaufsichtigen, für die
eine bestimmte Frist festgesetzt worden ist. Die Dienststellen werden am Sitz der
deutschen Regierung eingerichtet und Unterausschüsse an jeden beliebigen
Ort des deutschen Reichsgebietes entsendet.
[634] 32. Der
interalliierte Heeresüberwachungsausschuß vertritt die alliierten und
assoziierten Hauptmächte bei der deutschen Regierung in allem, was die
Durchführung der militärischen Bestimmungen betrifft. Die deutsche
Regierung ist verpflichtet, dem Ausschuß alle Auskünfte und
Unterlagen zu geben. Das gleiche gilt für den interalliierten
Marine- und den Luftfahr-Überwachungsausschuß.
33. Nach Ablauf einer Frist von drei Monaten muß die deutsche
Gesetzgebung die erforderlichen Abänderungen erfahren haben und dann
von der deutschen Regierung mit diesen Teilen des gegenwärtigen
Vertrages in Übereinstimmung gehalten werden.
34. Solange der Vertrag in Kraft bleibt, verpflichtet sich Deutschland,
jede Art von Nachforschung zu gestatten, die der Rat des Völkerbundes mit
Mehrheitsbeschluß für notwendig erachtet.
35. Die Entlassung der Kriegsgefangenen sollte "so bald wie
möglich und mit größter Beschleunigung durchgeführt
werden" nach Inkrafttreten des Vertrages, auch der wegen Vergehens gegen die
Disziplin bestraften. Die alliierten und assoziierten Regierungen behalten sich das
Recht vor, die Heimsendung davon abhängig zu machen, daß alle
ihre noch in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen unverzüglich
freigelassen werden. Die Arbeitspflicht der deutschen Kriegsgefangenen bleibt
unverändert bis zur Heimsendung bestehen.
36. Die vertragschließenden Teile verzichten auf die gegenseitige
Erstattung der Aufwendungen für den Unterhalt der Kriegsgefangenen in
ihren Gebieten.
37. Bestimmungen über die Grabstätten.
38. Im Teil VII des Vertrages sind die Strafbestimmungen
zusammengestellt. Der Artikel 227 lautet: "Die alliierten und assoziierten
Mächten stellen Wilhelm II. von Hohenzollern wegen schwerster
Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der
Verträge unter öffentliche Anklage." Ein besonderer Gerichtshof
sollte eingesetzt werden, "um über den Angeklagten unter Wahrung des
Rechtes auf Verteidigung zu Gericht zu sitzen. Der Gerichtshof besteht aus
fünf Richtern, von denen je einer von folgenden fünf Mächten,
nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien,
Frankreich, Italien und Japan ernannt werde. Der Gerichtshof urteilt auf
Grundlage der erhabensten Grundsätze der internationalen Politik;
Richtschnur ist für ihn, den feierlichen Verpflichtungen und internationalen
Sittengesetzen Achtung zu verschaffen. Es steht ihm zu, die Strafe zu bestimmen,
deren Verhängung er für angemessen erachtet. Die alliierten und
assoziierten Mächte werden an die Regierung der Niederlande das Ersuchen
richten, den vormaligen Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern."
Weiter verlangt der Vertrag die Auslieferung derjenigen Personen, die wegen
Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagt
wurden. Die Bezeichnung dieser Personen wurde in Aussicht gestellt und die
deutsche Regierung verpflichtet, die Auslieferung zu bewirken.
[635] 39.
Deutschland mußte sich verpflichten, binnen sechs Monaten nach einem
von der französischen Regierung aufgestellten Verzeichnis die
Trophäen, Archive, geschichtlichen Erinnerungen und Kunstwerke
zurückzugeben, die von den deutschen Behörden im Laufe des
Krieges 1870/71 weggeführt sind, insbesondere die im Kriege 1870/71
erbeuteten Fahnen.
40. Deutschland stimmt der Aufhebung des Vertrages von
Brest-Litowsk und aller Abmachungen mit der russischen maximalistischen
Regierung zu. Alle in den baltischen Provinzen und in Litauen befindlichen
deutschen Truppen sind, sobald die alliierten und assoziierten Hauptmächte
mit Rücksicht auf die innere Lage den Augenblick dafür gekommen
erachten, hinter die deutsche Grenze zurückzunehmen. Die Truppen haben
sich jeder Requisition, Beschlagnahme und aller Zwangsmaßnahmen zur
Erlangung von Lieferungen mit Bestimmung nach Deutschland zu enthalten.
Zuführung neuer Truppen in diese Gebiete ist untersagt.
Eine der Anlagen zum Vertrage behandelt die Vereinbarung über die
militärische Besetzung der Rheinlande. Die Besetzung sollte so beibehalten
werden, wie sie durch das Waffenstillstandsabkommen vom 11. November 1918
und durch das Zusatzabkommen vom 16. Januar 1919 weiter ausgedehnt worden
war. In diesem Gebiet sollte kein deutscher Truppenkörper, auch nicht im
Durchgangsverkehr Zutritt haben, rückbeförderte Kriegsgefangene
ausgenommen. Polizeikräfte durften in der von den alliierten und
assoziierten Mächten zu bestimmenden Zahl beibehalten werden. Die
deutschen Zivilverwaltungen blieben zwar bestehen, aber auf alle Tätigkeit
derselben hatten die alliierten und assoziierten Mächte einen bestimmenden
Einfluß, den sie auch in weitestem Maße geltend machten, die
Franzosen vor allem auch in der Begünstigung einer von einzelnen
deutschen Landesverrätern angestrebten Selbständigmachung oder
gar Angliederung der Rheinlande an Frankreich. Besonders drückend und
systematisch ausgebeutet waren die Verpflichtungen Deutschlands für den
Unterhalt und die Unterbringung der Besatzungstruppen. Der deutschen
Regierung war aufgegeben, den Truppen der alliierten und assoziierten
Mächte alle erforderlichen militärischen Gebäude zur
Verfügung zu stellen und in gutem Zustande zu erhalten, desgleichen die
Einrichtungsgegenstände, Heizung,
Beleuchtung - kurz alles! auch Flugplätze,
Manöverfelder - eine lange Liste, in der nur die Bordelle fehlen, die
aber später auch in großem Umfang gefordert wurden. Vielleicht
hatten die Gegner noch so viel Schamgefühl, daß sie Anstand
nahmen, dies in ein geschichtliches Dokument aufzunehmen. Falls die
Unterkünfte sich als "unzureichend" erweisen sollten, war Deutschland zu
Neubauten verpflichtet, was unter Aufwendung enormer Kosten eintrat. Als eine
wahre Geißel für die Deutschen erwies sich, daß die Franzosen
farbige Soldaten in großem Umfange zur Besatzung verwendeten, auch
trotz allen Gegenvorstellungen aus neutralen, selbst befreundeten Ländern
die zum Teil wilden, in ihren bestialischen Trieben gefährlichen Soldaten
[636] nicht
zurückzogen. Nach dem Vertrage soll für den Fall, daß die
Bedingungen pünktlich erfüllt werden, die Besetzung
allmählich wie folgt eingeschränkt werden:
1. Nach fünf Jahren der Brückenkopf von Köln und
die Gebiete nördlich einer Linie, die dem Lauf der Ruhr, dann der
Eisenbahn Jülich - Düren -
Euskirchen - Rheinbach, sodann der Straße von Rheinbach nach
Sinzig folgt und den Rhein bei der Ahr-Mündung erreicht, wobei die
genannten Straßen, Eisenbahnen und Ortschaften außerhalb dieser
Räumungszone bleiben.
2. Nach Ablauf von zehn Jahren werden geräumt: der
Brückenkopf von Coblenz und die Gebiete nördlich einer Linie, die
vom Treffpunkt der belgischen, deutschen und holländischen Grenze
ausgeht, etwa vier Kilometer südlich Aachen vorbeigeht, bis zum
Höhenrücken von
Forst - Gmünd, dem sie folgt, sodann östlich der
Urst-Taleisenbahn, dann über Blankenheim, Waldorf, Dreis, Ulmen bis zur
Mosel verläuft, von Bremm bis Nehren diesem Flusse folgt, sodann bis
Kappel und Simmern vorbeigeht, dem Höhenkamm zwischen Simmern und
dem Rhein folgt und bei Bacharach den Rhein erreicht, wobei alle hier genannten
Ortschaften, Täler, Straßen und Eisenbahnen außerhalb der
Räumungszone bleiben.
3. Nach Ablauf von 15 Jahren werden geräumt die
Brückenköpfe von Mainz und Kehl sowie das übrige besetzte
Gebiet.
Stellt während der Besetzung oder nach Ablauf der vorgesehenen 15 Jahre
der Wiedergutmachungsausschuß fest, daß Deutschland sich weigert,
die Gesamtheit oder einzelne der ihm nach dem Vertrage obliegenden
Wiedergutmachungsverpflichtungen zu erfüllen, erfolgt Wiederbesetzung
der geräumten Zonen ganz oder teilweise.
Über die Einzelbestimmungen des Vertrages hat ein umfangreicher
Schriftwechsel, da jede mündliche Verhandlung von den Feinden abgelehnt
worden war, zwischen dem Grafen Brockdorff-Rantzau und Clemenceau
stattgefunden, über die militärischen Fragen nur insoweit, als es sich
um Völkerbundsangelegenheiten handelte. Bei der geringen praktischen
Bedeutung kann hier darüber hinweggegangen werden. Deutschland wurde
beim Völkerbund ausgeschaltet. Überall tritt ein herrischer, oft
überheblicher, belehrender Ton hervor, mit dem die Bedingungen des
Siegers dem wehrlos gewordenen Gegner auferlegt werden.
Am schärfsten machte sich dies in dem als Mantelnote bezeichneten
Ultimatum des
Präsidenten der Friedenskonferenz am 16. Juni 1919
geltend. Mit allgemeinen Redensarten, ohne auch nur in die Anfänge einer
Beweisführung einzutreten, wirft die Note Deutschland das Streben nach
der Weltherrschaft vor. Hierbei wurde noch einmal in Wiederholung des schon im
Artikel 231 Gesagten festgestellt, "daß Deutschland und seine
Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden" des
Krieges verantwortlich sind. Es war über die Schuldfrage durch eine
Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen ein gesonderter Bericht
gefertigt. Der deutsche Delegationsvorsitzende erbat sich Einsicht, wurde aber mit
der kurzen Antwort abgefertigt, es seien Urkunden interner Natur, die [637] nicht übermittelt
werden könnten, was weder für notwendige Gründlichkeit
noch für Objektivität spricht. - Zur Erreichung seiner
verbrecherischen Ziele, so sagte die Mantelnote, soll Deutschland ein System der
Spionage und Intrigen entwickelt haben, um auf dem Gebiete der Nachbarn
Unruhen und innere Revolten hervorzubringen. Deutschland hätte durch
Gewaltandrohungen Europa in einem Zustande der Gärung erhalten und als
festgestellt worden wäre, daß die Nachbarn entschlossen seien, den
anmaßenden Plänen Widerstand zu leisten, hätte Deutschland
seine Vorherrschaft mit Gewalt durchsetzen wollen. Ein abhängiger
Bundesgenosse (Österreich) "sei ermuntert worden, Serbien innerhalb 48
Stunden den Krieg zu erklären". Deutschland sei allein auf einen Weltkrieg
vorbereitet gewesen. Den Krieg selbst soll Deutschland in einer rohen,
unmenschlichen Art geführt haben; es wurde auf die angeblich
widerrechtlichen Hinrichtungen und Brandstiftungen in Belgien hingewiesen und
all dasjenige zusammengekramt, was eine verlogene Propaganda in den vier
Kriegsjahren Deutschland zur Last gelegt hatte: Gaskrieg, Unterseebootskrieg,
Luftkrieg. "Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast
beispiellos. Die schreckliche Verantwortlichkeit, die auf ihm lastet,
läßt sich in der Tatsache zusammenfassend zum Ausdruck bringen,
daß wenigstens sieben Millionen Tote in Europa begraben liegen,
während mehr als zwanzig Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre
Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg
seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen."
Am Schluß fordert die Mantelnote binnen fünf Tagen eine
bündige Erklärung der deutschen Delegation, daß sie bereit sei,
den Vertrag in seiner festgesetzten Form zu unterzeichnen. Mangels einer solchen
Erklärung würde der bestehende Vertrag über den
Waffenstillstand als beendet angesehen werden und "die alliierten und
assoziierten Mächte diejenigen Maßnahmen ergreifen, die sie zur
Erzwingung ihrer Bedingungen für erforderlich halten". Die
Vorbereitungen zum Einmarsch nach Deutschland waren eingehend getroffen, so
daß er an einigen Stellen, wo die Nachricht über den
Friedensabschluß verspätet eintraf, schon eingeleitet wurde und die
feindlichen Truppen zurückgeholt werden mußten.
Deutschland stand vor einer ebenso schwierigen wie entscheidenden Frage
über sein Geschick, als es sich um Annahme oder Ablehnung des Diktates
von Versailles handelte. Hätte die Armee vom 8. November 1918 noch
bestanden, wäre die Antwort wohl nicht zweifelhaft gewesen. Aber
nachdem, wie Herr Scheidemann am 9. November von der Freitreppe des
Reichstages gerufen, "das Volk auf der ganzen Linie gesiegt hatte", gab es nichts,
was den feindlichen Heeren, also auch den maßlosen Forderungen ihrer
Führer Widerstand entgegenstellen konnte. Es regte sich keine Hand,
Deutschland zu helfen. Auf den Traum, der Präsident der Vereinigten
Staaten würde es tun, war ein grausames Erwachen gefolgt, da er mit seiner
diplomatischen Hilflosigkeit, seinen [638] philosophischen
Phantastereien vor der grobkörnigen Rabulistik eines Lloyd George und
Clemenceau elend Schiffbruch gelitten hatte. Es war das eingetreten, was die
Sozialdemokratie noch im Oktober 1918 zwar betont, aber daraus nicht die
staatsmännischen Folgerungen gezogen hatte: "Wehe dem Volke, das
fünf Minuten zu früh die Waffen niederlegt." Deutschland hatte nicht
allein die Waffen vorzeitig niedergelegt, sondern sie zerbrochen, sich der
Möglichkeit begeben, sie wiederaufzunehmen. Die Folgen mußte es
jetzt tragen. Ohne ein Prophet zu sein, konnte jeder, der, um einem Worte des
Feldmarschalls Graf Schlieffen
zu folgen, "in den Büchern der
Kriegsgeschichte zu lesen verstand, voraussehen, wie alles kam, und wie es
wieder kommen mußte".
Nach heftigen Auseinandersetzungen in der Deutschen Nationalversammlung gab
diese am 22. Juni ihre Zustimmung zur Unterzeichnung des Friedens mit 237
gegen 138 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen. Der förmliche Protest gegen
die Auslieferung des Kaisers und derjenigen Personen, die angeblich
Kriegsverbrechen begangen hätten, wurde von den alliierten und
assoziierten Regierungen mit dem Hinweis auf bedingungslose Unterzeichnung
abgelehnt. Deshalb erfolgte am 23. Juni die Bereitwilligkeit zur bedingungslosen
Unterzeichnung. In der dies zum Ausdruck bringenden Note war noch betont,
daß die Friedensbedingungen bezweckten, dem deutschen Volke seine Ehre
zu nehmen und weiter: "Durch einen Gewaltakt wird die Ehre des deutschen
Volkes nicht berührt. Sich nach außen zu verteidigen, fehlt dem
deutschen Volke nach den entsetzlichen Leiden der letzten vier Jahre jedes Mittel.
Der übermächtigen Gewalt weichend und ohne damit ihre
Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der
Friedensbedingungen aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der
Deutschen Republik, daß sie bereit ist, die von den alliierten und
assoziierten Regierungen auferlegten Friedensbedingungen anzunehmen und zu
unterzeichnen."
Das Ministerium und mit ihm der Außenminister Graf
Brockdorf-Rantzau war am 21. Juni zurückgetreten. Während der
ganzen Verhandlungszeit war die Delegation wie Gefangene behandelt, vielfach
schweren Ehrenkränkungen ausgesetzt gewesen. Das brutale Verhalten der
französischen Bevölkerung erreichte den Höhepunkt bei der
Abreise von Versailles. Die Delegation sah sich auf der Fahrt zum Bahnhof noch
den Beschimpfungen und tätlichen Angriffen der französischen
Bevölkerung ausgesetzt. - Die in Scapa Flow internierten deutschen
Kriegsschiffe ließ der befehligende Admiral Reuter am 21. Juni versenken,
wie es ihm seine Seemannspflicht gebot. - Die im Zeughause zu Berlin
aufbewahrten und zur Ablieferung bestimmten französischen Fahnen und
Trophäen aus früheren Kriegen wurden an dem Denkmal Friedrichs
des Großen von nicht ermittelten Tätern verbrannt.
Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgte am 28. Juni 1919. Es unterzeichneten
66 Konferenzteilnehmer, darunter an der Spitze Amerikas der
Prä- [639] sident Woodrow
Wilson, Englands der Premierminister Lloyd George, Frankreichs der
Ministerpräsident Clemenceau, Italiens Sidney Sonnino. Für
Deutschland unterschrieben der neue Außenminister Hermann Müller
und der Kolonialminister Dr. Bell. Als Zeitpunkt für das Inkrafttreten des
Vertrages, d. h. Laufen der Fristen, sollte der Tag gelten, an dem er von
Deutschland einerseits und von drei der alliierten und assoziierten
Hauptmächte anderseits ratifiziert sein würde. Das war am 10. Januar
1920, von welchem Tag an die Fristen zu laufen beginnen sollen. Amerika hat den
Versailler Vertrag nicht ratifiziert. -
Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, wo noch einiges
Gefühl für Gerechtigkeit besteht, ist der Frieden von Versailles als
eine mit vorgehaltenem Revolver erzwungene Erpressung erkannt worden. Nun
ist es ja nichts neues in der Weltgeschichte, daß der Besiegte sich harte,
auch im landläufigen Sinne barbarische Bedingungen gefallen lassen
muß. Das Abstoßende an diesem Diktat ist indessen, daß seine
Schöpfer vorschützten, einen Frieden der Gerechtigkeit, den auch der
Präsident Wilson zugesagt hatte, geschlossen zu haben, während er
auf der plumpsten Lüge von Deutschlands Alleinschuld am Kriege
aufgebaut ist. Es kann hier nicht in Frage kommen, diese immer wiederholte
Lüge im einzelnen zu widerlegen, das dafür vorhandene Material
füllt eine Bibliothek; hier und da erhoben sich auch im Lager der Entente
die Lüge geißelnde Stimmen. Es sind noch Prediger in der
Wüste. Ein besonders zynisches, aber wertvolles Urteil hat der russische
Minister Sasonow im November 1913 abgegeben mit den Worten: "Die
Friedensliebe des deutschen Kaisers bürgt uns dafür, daß wir
den Zeitpunkt des Krieges selbst zu bestimmen haben werden."
Aber die Beschuldigung allein, Deutschland sei der Urheber des Krieges,
genügte den Ententemächten noch nicht zum Beweise für die
"Gerechtigkeit" der Friedensbedingungen. Es sollte auch die angeblich rohe,
barbarische Art der deutschen Kriegführung durch ein deutsches
Zugeständnis erhärtet, nicht nur von der Entente behauptet werden.
Die Mantelnote
zählte die angeblichen Verbrechen auf. Von dem durch die
belgische Regierung entfesselten Freischärlerkrieg sprach sie nicht,
ebensowenig von der deutschen Zusage, sich jeder Feindseligkeit zu enthalten,
wenn Belgien den ungehinderten Durchmarsch gestatten werde; auch nicht von
den Maßnahmen der Entente gegen das neutrale Griechenland, nicht von
den schon im Frieden von Frankreich getroffenen Vorbereitungen für den
Gaskrieg, von der
völkerrechtswidrigen Hungerblockade, von den Greueln
der "Baralong"-Affäre, von der unbarmherzigen Ermordung deutscher
Seeleute des Kreuzergeschwaders unter dem Grafen Spee bei den
Falklands-Inseln. Alle diese Dinge und ähnliches wurden verschwiegen
oder entstellt, um den Völkern der Entente wie den neutralen den "Frieden
der Gerechtigkeit" glaubhaft zu machen, das militärische Ziel des Vertrages
als berechtigt erscheinen zu lassen.
[640] Er war auf die
völlige Wehrlosmachung des Gegners gerichtet, um daraus die
Möglichkeit zu gewinnen, ihn zum Nachgeben in allen
wirtschaftspolitischen Fragen zu zwingen. Indem die Alliierten jede Verhandlung
für die deutsche Delegation abschnitten, waren sie noch imstande, die
Bedingungen in eine so elastische Form zu bringen, daß ihrer
willkürlichen Auslegung bei allen strittigen Punkten ein breiter Spielraum
gelassen wurde, was sie befähigte, nachdem Deutschland wehrlos gemacht
war, jederzeit mit der Anwendung von Gewalt zu drohen. Unter der Gunst der
Lage gelang dies im weitesten Maße und damit, den Kämpfen um die
Vorherrschaft Frankreichs auf dem europäischen Kontinent einen
über Erwarten günstigen Ausgangspunkt zu schaffen.
Die militärischen Bedingungen sind mit raffiniertem Geschick so
entworfen, daß, solange der Vertrag besteht, Deutschland gegen jeden, auch
schwachen äußeren Feind sich in einem an Ohnmacht grenzenden
Zustand der Unterlegenheit befindet. Es sind nicht nur die Elemente der
militärischen Macht genommen, es ist auch gelungen, in der Zukunft durch
den Vertrag ihre Wiederaufrichtung zu unterbinden. Es wurde Deutschland die
allgemeine Wehrpflicht genommen, ihm ein Söldnerheer aufgezwungen.
Damit wurde ihm die Axt an die Wurzel seiner Kraft gelegt, nicht nur im
militärisch-technischen Sinne, sondern auch ein wichtiger Faktor zur
wirtschaftlichen Ertüchtigung, zur Erziehung im Geiste der
Vaterlandsliebe, der Ordnung, der Zucht und des hingebenden Fleißes
zerstört.
Mit welchen kleinlichen Schikanen, mit welch willkürlichen, oft
völlig rechtlosen Auslegungen die eingerichtete Interalliierte
Kontrollkommission unter der Leitung des französischen Generals Nollet
den Vertrag durchgeführt hat, gehört zur Geschichte des Krieges
nach dem Kriege.
Nicht genug, Deutschland wehrlos gemacht zu haben, der Vertrag erstrebte auch,
dem Besiegten den Stempel der Ehrlosigkeit aufzudrücken durch Fordern
der Auslieferung seines Obersten Kriegsherrn. Das Verlangen ist trotz mehrfachen
Vorstößen an der Rechtlichkeit der holländischen Regierung
gescheitert. Die Auslieferung der angeblichen "Kriegsverbrecher" dagegen erwies
sich als undurchführbar, da die deutsche Reichsregierung sich auf die
Unmöglichkeit zurückziehen konnte, diesem Verlangen angesichts
des Widerstandes der Nation zu entsprechen. Die dafür zugestandene
Aburteilung der Angeklagten durch das deutsche Reichsgericht bewies, daß
es sich fast durchweg um frivole, größtenteils lügenhafte
Anklagen handelte.
Über die Frage, wer der eigentlich Verantwortliche für den auf
Lügen aufgebauten, mit eklelhafter Heuchelei abgefaßten Vertrag
sein soll, beabsichtigen die Denkwürdigkeiten Wilsons, herausgegeben von
Baker, weiteres Licht zu verbreiten.3 Es wird
geschildert, daß die Generale, namentlich der Marschall [641] Foch, bei den zur
Festlegung des Vertrages stattfindenden Konferenzen eine ihre Stellung und
Sachkunde weit überragende Rolle gespielt hätten. Foch hätte
verlangt, eine hauptsächlich aus Amerikanern gebildete alliierte Armee
sofort über Deutschland und Polen nach Rußland zu senden, um den
Bolschewismus zu bekämpfen. Der Gedanke ist so
abenteuerlich-phantastisch, daß man ihn eigentlich keinem Soldaten vom
Fach zutrauen sollte. Naiv ist die Zumutung, diese Expedition den Amerikanern
zuzuschieben. Vielleicht hoffte Foch, sie wären töricht genug, um
auf sie anzubeißen. Allgemein hätten die Generale keine Neigung
gespürt, die noch an verschiedenen Stellen Europas fortgesetzten Kriege zu
beendigen. Erst allmählich will Wilson diesen ausschweifenden
Plänen, unterstützt durch Lloyd George, bisweilen auch durch
Clemenceau, die Spitze abgebrochen haben. Inwieweit die Forderungen des
Marschall Foch diplomatische, von Clemenceau unterstützte
Winkelzüge waren, um von dem mit seinen
Völkerverbrüderungsgedanken aus Amerika gekommenen Wilson
möglichst viel herauszudrücken, steht dahin. Dieser betont
jedenfalls, daß die Franzosen das Ziel, einen harten Frieden, von
Deutschland erzwingen wollten aus Furcht vor der späteren Rache des
Besiegten. Er hat auch hervorgehoben, daß die Deutschen unter ganz
bestimmten Bedingungen aufgehört hätten, zu kämpfen, und
daß es weder recht noch billig wäre, sie schon vor dem eigentlichen
Friedensvertrage zu der Annahme weiterer Bedingungen zu zwingen. Von den
Engländern unterstützte Lloyd George und Balfour die Amerikaner
in diesem Streit. Dennoch kämpfte Foch die ganze Friedenskonferenz
hindurch zähe und unermüdlich für die extremen
französischen Forderungen. "Allmorgendlich" - so heißt es in
Wilsons Denkwürdigkeiten - "beugte Foch, wie es seine Gewohnheit
war, in der Messe seine Knie und flehte seinen Segen herab auf sein Werk." Er
scheint danach und nach den Bestrebungen für weitere Fortsetzung der
Kriege zu der Klasse von Menschen gehört zu haben, die trotz
äußerer Kirchlichkeit sich besonders tatkräftig an starken
Aderlässen der Menschheit zu betätigen geneigt sind.
Wilson hat schließlich selbst eingesehen, daß von seinen
berühmten 14 Punkten sowohl in den
Waffenstillstands- wie in den Friedensverhandlungen stark abgewichen ist,
daß sonach Deutschland vertrauensselig in eine Falle ging, die gestellt war,
um seinen Untergang herbeizuführen.
An diesen Anklagen gegen Foch kann man den Grad Wilsonscher Weltfremdheit
ermessen, da es unwahrscheinlich ist, daß die ganze Schilderung zur
nachträglichen Entlastung einseitig gefärbt wurde. Dem
amerikanischen Präsidenten scheint unbekannt gewesen zu sein, daß
die französischen Bestrebungen immer auf den Erwerb des linken
Rhein-Ufers gerichtet waren, ja daß sie schon im Jahre 1917 offen
ausgesprochen wurden. Nahm Wilson an, daß die Franzosen, die Foch,
Clemenceau, Poincaré, in Wirklichkeit mit ihren Forderungen
gemäßigt sein würden, nachdem er ihnen zum Siege verholfen?
Dann hatte er in Büchern der Geschichte nicht mit Verständnis
gelesen und "wußte deshalb nicht, wie alles [642] kam und wie es
kommen mußte". Für die amerikanische Politik mag seine
diplomatische Kunst ausgereicht haben, für die Gegensätze der
Völker und Rassen auf dem europäischen Kontinent war sie
unzulänglich. Auch Lloyd George war nicht der Mann, den
französischen Ultras die Stirn zu bieten. Er hat wohl gelegentlich den Mund
voll genommen, so am 7. März 1919 mit den Worten: "Kein General wird
meinen Entschluß zum Wanken bringen"; wenn es aber schließlich
galt, etwas Positives durchzusetzen, hat er immer Clemenceau gegenüber
nachgegeben, ganz besonders bei den Friedensverhandlungen. Ist er doch ein
direkter Vertreter des Verlangens gewesen, den Kaiser Wilhelm vor ein Gericht
des Feindbundes zu stellen. Er erkannte nicht, welche militärischen
Gefahren für England aus dieser Politik entstanden. Daß die
französischen Machthaber mit größter Leidenschaft die
schärfsten Friedensbedingungen vertraten, bedarf keiner näheren
Ausführung.
So kam alles zusammen, von Deutschland das Schanddiktat von Versailles zu
erpressen, aber auch in Deutschland den Gedanken zu festigen, daß die
Franzosen unsere Todfeinde sind und bleiben werden.
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