SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 10: Das Ende des Krieges an der Westfront   (Forts.)
General der Infanterie Hans v. Zwehl

3. Die Rückführung des deutschen Heeres.

Nach der Abdankung des Kaisers und dem Abschluß des Waffenstillstandes hatte es der Feldmarschall v. Hindenburg übernommen, das Westheer in die Heimat zurückzuführen und die Demobilmachung in die Wege zu leiten. Es hat der ganzen Hingebung, des Vaterlandsgefühls und des vollen Verständnisses des Feldmarschalls für die Notwendigkeit, diese undankbare Aufgabe mit der Wucht seiner Person zu decken, bedurft, um sie zu lösen. Es ist nicht abzusehen, wie sich die Lage gestaltet hätte, wenn er in kurzsichtiger Verachtung für die Urheber des Umsturzes die Übernahme abgelehnt haben würde. Deutschland ist ihm dafür Dank schuldig. - Der Feldmarschall hat das dem Kaiser am 9. November gegebene Versprechen getreulich erfüllt, obschon dabei kein kriegrischer Ruhm zu ernten war. Nachdem die prinzlichen Heerführer ausgeschieden waren, übernahm der General Sixt v. Armin die Heeresgruppe Rupprecht unter der Bezeichnung A, die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz der Generaloberst v. Einem unter B. In Lothringen und im Elsaß ist die Einsetzung eines Heeresgruppenführers nicht mehr erfolgt, nachdem der Herzog Albrecht zurückgetreten war.

Die heftigen Abwehrkämpfe gegen einen an Zahl übermächtigen Feind hatten am 11. November zu einem allmählichen Rückzug in die sogenannte Antwerpen - Maas-Stellung geführt; südlich davon waren die Stellungen der Armee-Abteilung C, des Armee-Oberkommandos 19 und der Armee-Abteilungen A und B nach Verlust des Bogens von St. Mihiel noch die alten. Ein Durchbruch der deutschen Front war dem Feinde nirgends gelungen. Wie bei den Waffenstill- [620] standsbedingungen erörtert, sollte das besetzte feindliche Gebiet in überaus kurzen Fristen geräumt sein und daran weiter unter kurzen Fristen die den Feinden preiszugebenden Teile des rechten Ufers.15 Die bis dahin gefechtsmäßig gruppierten, dicht aufgeschlossenen Verbände mußten für den Abmarsch auf die verschiedenen Straßen gegliedert, dann die einzelnen Marschetappen festgelegt, die Verpflegung sichergestellt, der Abschub der Gefangenen, Kranken und Verwundeten bewirkt werden. Dazu kam das Streben, von dem massenhaft hinter der Front noch lagernden Kriegsgerät und Verpflegung zu retten, was eben möglich war. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß sich dies alles unter den verheerenden Einmischungen der Soldatenräte, die namentlich in der Etappe und im Eisenbahnverkehr ihr Unwesen trieben, abspielte, so wird klar, mit welchen Schwierigkeiten die Führung zu kämpfen hatte.

Gleich nach Übernahme dieser Aufgabe erließ der Feldmarschall Anweisungen an die Armeen, aus denen folgendes hervorzuheben ist: Er habe den Oberbefehl über das deutsche Feldheer übernommen, um gemeinsam mit dem Reichskanzler Ebert das Heer in Ordnung nach der Heimat zurückzuführen, und könne dies nur in der Überzeugung vollbringen, daß alle Offiziere und Mannschaften sich verpflichtet fühlten, unvermindert ihre Kraft zur Verhinderung des Bürgerkrieges und der Hungersnot einzusetzen. Um die Bildung von Soldatenräten in Bahnen zu lenken, die dem Gesamtwohl nützten, sollten bei allen Kompagnien, Eskadrons, Batterien usw. Vertrauensräte unter den Gesichtspunkten gebildet werden: Zusammenstellung aus freier Wahl, Anzahl je nach Stärke des betreffenden Truppenteils; Heranziehung der Vertrauensräte in allen wirtschaftlichen Fragen zur engeren Mitarbeit mit dem Truppenbefehlshaber, um die Ordnung aufrechtzuerhalten; die Führung der Truppen bleibt in der Hand der Kommandobehörden. - So angemessen diese Anordnungen auch unter der nun einmal eingetretenen Lage waren, faßten sie natürlich nicht das schwere Übel an der Wurzel, da sie den Grundsatz, daß die Vorgesetzten die gebotenen und besten Vertreter der Interessen der Mannschaften seien, ankränkelten. Immerhin hat diese Kundgebung des Feldmarschalls doch, nachdem der Kriegsherr ausgeschaltet worden war, einiges Gutes geschaffen, vielleicht auch die Ausbreitung des Bürgerkrieges eingeschränkt.

Ehe diese Direktiven bei den Armeen durchdrangen, bestanden bei Offizieren wie Mannschaften Zweifel, ob sie von dem ihrem Kaiser geleisteten Treueide entbunden waren und wer den Oberbefehl führe. Von verschiedenen Stellen wurde bei der bis dahin als Oberste Heeresleitung anerkannten Führung beantragt, die Soldatenräte zu verbieten; ein Armeeführer erklärte rundweg, er würde in seinem Befehlsbereich die Soldatenräte unter keinen Umständen dulden. - [621] Rückschauend muß man es als bewundernswert für das Empfinden der Front ansehen, daß diese trotz der Abdankung des Kaisers und Errichtung einer neuen Regierung, während der Kampf mit dem Gegner noch nicht abgeschlossen war, sich noch ohne große Katastrophen von ihm ablösen konnte. Nur die geistige Abspannung nach den gewaltigen Erregungen aller an der Front Stehenden konnte über diese Krise hinweghelfen.

Schon am 9. November hatte sich im Großen Hauptquartier ein Soldatenrat gebildet - es war wohl der erste im Heere -, der schon am Abend vorher sich widersetzlich gezeigt hatte und sich die Rolle eines Zentralsoldatenrates für das ganze Heer anmaßte. Er versuchte zwar die militärische Ordnung zu erhalten, erließ auch am 17. November ein Rundschreiben "An alle Soldaten des Feldheeres", in dem es hieß: "Haltet Zucht und Ordnung während des ganzen Rückmarsches aufrecht; vor allem ist es notwendig, daß nirgends Eingriffe in den Eisenbahnverkehr erfolgen, daß Proviantdepots und Proviantzüge unangetastet bleiben und daß möglichst alle Vorräte, alle Materialien, Transportmittel, Ausrüstungsgegenstände in die Heimat zurückgebracht werden. Wo immer von einzelnen treulosen Kameraden dagegen verstoßen werden sollte, haben die Soldatenräte dagegen einzuschreiten und die Verbrecher unnachsichtlich zu verfolgen. Nur das strengste Vorgehen gegen diese unsauberen Elemente kann deren Treiben unterbinden." Auch die in der Heimat entstandene Regierung sah das ein, denn sie sprach in einem Telegramm an die Oberste Heeresleitung aus: "Wir bitten für das gesamte Feldheer anzuordnen, daß die militärische Disziplin, Ruhe und straffe Ordnung im Heere unter allen Umständen aufrechtzuerhalten sind, daß daher den Befehlen der militärischen Vorgesetzten bis zur erfolgten Entlassung unbedingt zu gehorchen ist und daß eine Entlassung von Heeresangehörigen aus dem Heere nur auf Befehl der militärischen Vorgesetzten zu erfolgen hat. Die Vorgesetzten haben Waffen und Rangabzeichen zu behalten. Wo sich Soldatenräte oder Vertrauensleute gebildet haben, haben sie die Offiziere in ihrer Tätigkeit zur Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung rückhaltlos zu unterstützen."16

Zu dem richtigen Entschluß, die Soldatenräte zu verbieten, konnte man sich auch jetzt nicht aufraffen. Die Wirkung dieser verspäteten Erlasse war deshalb auch keine durchgreifende; namentlich ließ sich das schon völlig in Unordnung geratene Eisenbahnwesen, in seinen Auswirkungen katastrophal, nicht damit wieder einrenken. Viele Dutzende von Eisenbahnzügen mit wertvollem Material blieben auf den Strecken liegen und wurden eine Beute der Plünderung, an der sich auch die Einwohner beteiligten, oder fielen in Feindeshand. - Besonders die im engeren Sinne nicht fechtenden Teile, die Kraftwagenführer und Kolonnen, die Telegraphenformationen, auch die in den Depots befindlichen [622] Arbeiter der Luftschiffer usw. waren durch den Umsturz in einen an Irrsinn grenzenden Drang "nach Hause zu kommen" geraten und verstanden ihn auch in die Tat umzusetzen.

Nachdem schon am 7. und 8. November abends in Straßburg kleinere Ansammlungen mit unbedeutenden Ausschreitungen stattgefunden hatten, steigerten sich diese am 9. unter Teilnahme der Soldaten. Gewalttätigkeiten gegen Offiziere kamen vor. Am 10. November früh bildete sich ein Arbeiter- und Soldatenrat, der sich in den Besitz des Bahnhofs und der Hauptwache am Kleberplatz setzte und die Polizeitätigkeit auf den Straßen übernahm, Autos mit Beschlag belegte und sonstigen Unfug trieb. Offiziere auf der Straße wurden von Soldaten mit roten Abzeichen, die ihnen oft unter Anwendung von Gewalt Waffen, Kokarden und Achselstücke abnahmen, belästigt. Versuche der Arbeiter- und Soldatenräte, unter Anführung eines Unteroffizieres in die Geschäftsräume des Armee-Oberkommandos einzudringen, konnten gütlich verhindert werden.

Ähnliche, noch etwas erheblichere Ausschreitungen gingen in Metz vor sich; die Zahl der dort meuternden Soldaten wurde am 9. November bei der Heeresgruppe Gallwitz auf 10 000 geschätzt. Ein Zug mit 500 Mann, die eigenmächtig und gewaltsam in Urlaub fahren wollten, wurden in Arlon festgehalten und entwaffnet. Ein Pionier-Bataillon, das zur Front befördert werden sollte, weigerte sich weiterzufahren unter Gewalttätigkeiten gegen seine Offiziere. -

Eine neue Erschwerung trat in der Nacht zum 24. November ein, als die Entente ganz willkürliche Abschnitte festsetzte, die zu bestimmten Zeiten ostwärts überschritten sein mußten, widrigenfalls die noch westwärts der Linie betroffenen Truppen als Feinde behandelt und gefangengenommen werden würden. Am 30. November wurde, ebenfalls willkürlich, verlangt, daß als Räumungsstunde nicht 12 Uhr mittags, sondern schon 6 Uhr morgens gelten solle und daß die neutrale Zone nicht erst am 13. Dezember, sondern schon am 12. Dezember frei sein müsse. Es lag nahe, daß der spiritus rector, der Marschall Foch und seine Organe, in Sorge über einen noch zu erwartenden deutschen Widerstand durch solche Schikanen die Verwirrung fördern, die Auflösung des Heeres beschleunigen wollten. Es war eine unnötige Sorge: der Umsturz, das Fehlen eines obersten Kriegsherrn hatten schon gründliche Arbeit getan. Im Heere selbst mögen wohl Stimmen laut geworden sein, als ein gewisser Gegensatz zwischen den siegestrunkenen Franzosen einerseits und den nüchternen Engländern mit den Amerikanern anderseits sich erkennen ließ, man müsse schon der Waffenehre wegen den Widerstand neu aufnehmen und man könne es auch. Deshalb ließ die Oberste Heeresleitung am 20. November durch die Presse verbreiten, daß ein Widerstand, auch gegen Frankreich allein, angesichts der Gesamtlage nicht möglich sei.

Für den Rückmarsch an und über den Rhein hatte der rechte deutsche Heeres- [623] flügel, im besonderen die 4., 6. und 17. Armee, nicht allein den weitesten Weg zurückzulegen, namentlich mit den Truppen aus der Front westlich Antwerpen - Brüssel; diese Armeen mußten sich auch durch die Enge bei Aachen zur Vermeidung des holländischen Gebiets am Maastrichter Zipfel zusammendrängen, was die Innehaltung der festgesetzten Räumungsfristen marschtechnisch unmöglich machte. Deshalb mußte eine größere Zahl von Formationen bei Maseyk über holländisches Gebiet entwaffnet zurückgenommen werden. Es soll ausdrücklich betont sein, daß die holländischen Grenzwachen ihre Aufgabe mit vornehmem Wohlwollen unter Würdigung der dem deutschen Heere unverdient zuteil gewordenen Schmach erfüllten. Für die weiter südlich zurückgehenden Armeen (18., 7., 1., 3.) galt es, die Berglandschaften Luxemburgs und die Eifel auf nicht überall reichlichen Straßenzügen zu durchschreiten, eine Aufgabe, die nur mit einem gut geschulten Generalstabe, wie Deutschland ihn besaß, gelingen konnte. Vielfach mußten Nachtmärsche eingelegt werden, weil bei Tage das Straßennetz die langen Kolonnen nicht zu tragen vermochte und unter keinen Umständen größere Berührungen mit dem Feinde stattfinden sollte, die ihm Anlaß zu neuen Schikanen geboten hätten. Glücklicherweise war großenteils das Wetter günstig, wenn auch meist in Anbetracht der Jahreszeit kalt, namentlich in den hochgelegenen Gebieten der Eifel, das Pferdematerial aber von dürftiger Leistungsfähigkeit und für Frost und Schnee nicht genügend beschlagen. Durch sachgemäße Anordnungen, indem man von dem Umsturz weniger durchsetzte Truppen unter tatkräftigen Führern an die Spitze nahm, gelang es zwar die Ordnung im allgemeinen aufrechtzuerhalten, aber nicht wenig Formationen machten doch mit ihren roten Fahnen den schmachvollen Eindruck regelloser Horden, denn es fehlte unter der Wirkung der Soldatenräte an der Möglichkeit, gegen einzelne Schreier und Hetzer mit der gebotenen Strenge einzuschreiten.

Erschwerend für den Rückmarsch wirkte auch die von dem Feinde geforderte Abgabe von Kriegsgerät aller Art und die Entlassung der im Rückmarschgebiet vorhandenen Kriegsgefangene der verschiedensten Nationalitäten, die zum Teil auch als Arbeitskommandos tätig gewesen waren. Das Material mußte an einzelnen Orten zusammengefahren werden, wo es durch Übernahmekommissionen dem Feinde überliefert wurde. Nicht überall gelang die ordnungsmäßige Übergabe, weil die deutschen Truppen sich häufig weigerten, Disziplinlosigkeiten begingen und bei dem abzuliefernden Material nicht zurückbleiben wollten, als bekannt wurde, daß sie von dem ihnen verhaßten Feinde schlechter Behandlung ausgesetzt wären. Flugzeuge flogen eigenmächtig in die Heimat ab, Lastkraftwagen und Personenwagen fuhren auf eigene Faust, oft mit den Soldatenräten und ihren Führern, von diesen verleitet, über den Rhein. Einzelne Abteilungen lösten sich aus den Marschkolonnen, wollten querfeldein schneller vorwärtskommen und mußten mit Gewalt eingefangen werden. -

[624] Als die deutsche Grenze überschritten war, empfing die Bevölkerung die Truppe fast überall mit Freude und unter Hergabe des Letzten von den kümmerlichen, oft unter großen Entbehrungen ersparten eigenen Vorräten. Die Dörfer und Landstraßen waren geschmückt. Im scharfen Gegensatz hierzu standen die an vielen Straßenknotenpunkten und größeren Orten aufgestellten Posten der heimischen Arbeiter- und Soldatenräte. In verloddertem Anzuge, meist mit umgehängtem Gewehr, Mündung nach unten, mit roten Schleifen im Knopfloch erwarteten sie die Truppe. Kein Mittel hatte sie, sich dieser meist aus Drückebergern und Fahnenflüchtigen bestehenden Räte zu erwehren. - Es erregte scharfes Mißfallen, daß das Kriegsministerium oft Erlasse durch die Arbeiter- und Soldatenräte gegenzeichnen lassen mußte. Die Räte beförderten in allen Richtungen die Unordnung, funkten unberechtigte Telegramme, entließen durch Bescheinigungen willkürlich Mannschaften in die Heimat. Der Oberbefehlshaber der 1. Armee, der rücksichtslos gegen den Unfug einschritt, wurde zum Abschiednehmen veranlaßt. - Die Bestrebungen des Radikalismus richteten sich vor allem weiter auf Vernichtung der Autorität der Offiziere - deshalb Abschaffung der Grußpflicht. Ende November begann der Einfluß der Spartakusgruppe sich in Berlin zu verstärken; am 20. November mußte die Oberste Heeresleitung darauf aufmerksam machen, daß Spartakusleute in größerer Zahl zum Feldheere entsandt waren und es dringend geboten sei, eine Einwirkung dieser Leute auf die Truppe auszuschließen. - Vielfach ist das auch gelungen, aber nicht überall. Bisweilen hinterließen die abziehenden, weiter in die Heimat rückenden Truppen kein gutes Andenken bei den Quartiergebern, aber im ganzen konnte sich doch das Ansehen der Offiziere behaupten. Die Kriegstagebücher betonten auch vielfach, daß die Haltung der Mannschaften gut blieb, trotz der großen Marschetappen ohne Einschaltung der zur Erhaltung der Ordnung erforderlichen Ruhetage. Groß war aber der Abgang an den schon lange unterernährten Pferden. - In vielen Gegenden verschwanden unter den Truppen auch die roten Fahnen, Schleifen und Armbinden, als die Mannschaften bemerkten, daß die Bewohner großer Gebiete des Landes sie mit Verachtung betrachteten.

Trotz aller Widerwärtigkeiten gelang der Rückmarsch des Heeres, die Räumung des linken Rhein-Ufers und der dem Feinde zugestandenen Brückenköpfe Köln, Coblenz, Mainz noch überraschend gut, wenn auch nicht alle vorliegenden Anordnungen der Führung durchführbar waren. Es mußte z. B. die Rhein-Brücke bei Düsseldorf an einem Tage von drei Divisionen mit dem umfangreichen Troß passiert werden, da der Versuch, bei Kaiserswerth eine Schiffbrücke zu schlagen, sich als undurchführbar erwies. Die heimatlichen Behörden konnten das nötige Brückenmaterial nicht rechtzeitig herbeischaffen. Es war das Verdienst der oberen Führung, des pflichttreuen Offizier- und Unteroffizierkorps und zahlreicher, in erprobter Treue vorhandener Mannschaften. Noch immer [625] bestand genügend Verständnis dafür, daß der Rückmarsch nur gelingen konnte, wenn der Geist der Unordnung, die Zucht im Heere nicht gänzlich versagten.

Östlich des Rheins war eine Einladezone vorgesehen, in die auch die aus dem vom Feinde zu besetzenden Gebiete zurückgezogenen örtlichen Behörden (Bezirkskommandos, Demobilmachungsorte, Generalkommandos usw.) verlegt werden mußten. Ein großer Teil der Pferde, Wagen und des Materials wurde dort freihändig verkauft, schon vorher war allerdings vieles verschleudert. Der Abtransport konnte bei der im Eisenbahnwesen eingerissenen Unordnung und der Massenhaftigkeit der zur Beförderung gelangenden Truppen nur sehr allmählich erfolgen und zog sich wochenlang hin. Zahlreiche Truppenteile erreichten ihre Demobilmachungsorte mit Fußmarsch.

In der Heimat erwartete das Heer chaotische Zustände und viele Truppenteile wurden in sie hineingezogen. Unter dem allgemeinen Begriff "Spartakus" hatten sich die Elemente zusammengefunden, die eine reine Räteregierung erkämpfen wollten. In zahlreichen Städten wurden die einrückenden Truppen von den Spartakisten beim Einrücken entwaffnet, es kam zu blutigen Zusammenstößen mit denjenigen Verbänden, die der neugebildeten Regierung zu folgen entschlossen waren. Am schlimmsten waren die Kämpfe in Berlin und München. Da die Armee sehr übereilt auf Befehl der Volksbeauftragten entlassen war, fehlte es an den Organisationen, um die von den Spartakisten entwickelten Widerstände schnell und tatkräftig zu brechen. Die Revolutionsregierung erkannte das wohl, erblickte aber in den Reihen des alten Heeres eine Gefahr für das eigene Bestehen; sie schuf deshalb eine freiwillige republikanische Volkswehr, machte wenigstens in dieser Hinsicht einen Versuch, der aber schon aus dem Grundsatz der Wählbarkeit der Führer (Offiziere) durch die Mannschaften kläglich scheiterte. Die Rettung kam durch das in den Revolutionstagen so viel geschmähte Offizierkorps. Die Oberste Heeresleitung hatte während des Rückmarsches schon die Bildung von freiwilligen Verbänden aus den aufzulösenden Feldtruppen zum Schutze der bedrohten Ostgrenzen empfohlen. Waren diese Organisationen auch ohne planvollen Aufbau, so bildeten sie doch den Grundstock für eine große Zahl von einzelnen Freikorps, unter denen das Regiment Groß-Berlin unter dem Oberst Reinhardt und das Landesjägerkorps unter dem General Märcker hervorzuheben sind. Die Freikorps sind es gewesen, die in Berlin, Weimar, Gotha, Halle, Magdeburg, Braunschweig usw. die Spartakisten niederhielten und Deutschland vor dem wildesten Bolschewismus bewahrten, bis die Reichswehr im März 1919 geschaffen worden [war] und diese Aufgabe vollendete.

Die Oberste Heeresleitung hatte anfangs von Kassel, vom 21. Januar 1919 ab in Kolberg den Befehl geführt und für den Grenzschutz die nötigen Anordnungen getroffen. Daran schloß sich die Auflösung des Heeres in gemeinsamer Arbeit [626] mit den Ministerien der einzelnen deutschen Bundesstaaten. Am 25. Juni 1919 legte der Feldmarschall v. Hindenburg sein Amt nieder.

Die Gegner folgten dem abziehenden deutschen Heere, ohne daß es zu größeren Zusammenstößen kam und übernahmen die Besetzung der Rhein-Linie mit vorgeschobenen starken Brückenköpfen bei Köln, Coblenz, Mainz und (mit Verlängerung des Waffenstillstands) auch bei Kehl. In den nördlichen Teilen der Besatzungsfront richteten sich die Belgier und Engländer, in der Mitte die Amerikaner, im Süden die Franzosen ein. Es begann für die Bewohner des besetzten Gebietes eine schwere Zeit der Leiden, der Demütigungen und der Duldung brutaler Willkür, auch nachdem der endgültige Friede, der kein Friede ist, geschlossen war, vor allem überall da, wo die Franzosen durch farbige Truppen die Besetzung ausführen ließen. -


15 [1/620]"Die Rückführung des deutschen Westheeres." Mit einer Karte, enthält die Einzelheiten. Siehe auch Abschnitt 10, 1. Waffenstillstand. ...zurück...

16 [1/621]Märcker, Vom Kaiserheer zur Reichswehr. S. 21. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte