Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
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Kapitel 10: Das Ende des Krieges an der
Westfront
General der Infanterie Hans v. Zwehl
1. Der Waffenstillstand.
Die um Mitte August von der Obersten Heeresleitung gegebene Anregung auf
Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen hatte bis Mitte September keine
äußerlich bemerkbaren Folgen gezeitigt. Ende September wurde das
Ansuchen lebhaft erneuert.
Während des Notenwechsels zwischen dem Präsidenten der
Vereinigten Staaten und der deutschen Regierung im Monat Oktober hatte die
Oberste Heeresleitung in Spa auch mit Vorbereitungen für die
Waffenstillstandsbedingungen begonnen. An die Spitze der zu den
Verhandlungen bestimmten Kommission trat der General der Infanterie
v. Gündell, ein durch seine Tätigkeit bei der Haager
Konferenz in Fragen des Völkerrechtes bewanderter, auch fachkundiger
Offizier. Außerdem gehörten der Kommission eine Anzahl von
Offizieren des Heeres und der Marine an. Als Vertreter der Reichsregierung war
der im Hauptquartier anwesende Staatssekretär a. D. v. Hintze
in Aussicht genommen.
Man war sich deutscherseits über die Notwendigkeit erheblichen
Entgegenkommens, namentlich in der Frage der Räumung des besetzten
belgischen und französischen Gebiets, von vornherein klar. Die Oberste
Heeresleitung hoffte entsprechend den Schwierigkeiten der Räumung und
da das deutsche Heer, wie selbst Ende Oktober als feststehend galt, weder
geschlagen noch gar in seiner Widerstandsfähigkeit als völlig
zerbrochen betrachtet wurde, dafür angemessene Fristen ins Auge fassen zu
können. - Für die geordnete Rückführung des
Materials wären mehrere Monate, für den Abbau der
Geschütze an der flandrischen Küstenfront etwa ein halbes Jahr
nötig gewesen. Die Erwägungen sind infolge der Ereignisse
bedeutungslos geworden.
In Verfolg des diplomatischen Notenwechsels traten unter Vorsitz des Marschall
Foch am 25. Oktober die Führer der
Alliierten - Pétain für die Franzosen, Haig für die
Engländer, Pershing für die
Amerikaner - zusammen, da der französische
Ministerpräsident Clemenceau die ihm von Wilson überlassenen
deutschen Anträge an Foch übergeben hatte.1 Über die
Notwendigkeit, einen [599] Waffenstillstand
abzuschließen, waren alle einig. Haig befürwortete
gemäßigte Bedingungen: Räumung der besetzten Gebiete
einschließlich Elsaß-Lothringens, Auslieferung des erbeuteten
Eisenbahnmaterials. Die Deutschen seien nicht geschlagen, sondern tapfer
kämpfend in guter Ordnung zurückgegangen, die verbündeten
Armeen der Entente dagegen am Ende ihrer Kräfte und dringend
ruhebedürftig. Bei einer Überspannung der
Waffenstillstandsbedingungen sei mit der Möglichkeit zu rechnen,
daß Deutschland sie ablehne, sein Nationalgefühl sich aufs
äußerste rege, der Krieg verlängert würde. Er habe aber
schon genug Opfer gekostet. Die erzwungene Räumung der besetzten
Gebiete und Elsaß-Lothringens bewiese an sich schon den Sieg. Darauf
wurde Pershing um seine Ansicht gefragt; er wich mit der Bemerkung aus, er
wollte zunächst die Ansicht des Generals Pétain hören.
Dieser war, wie nicht anders zu erwarten, für schärfere Bedingungen:
der Waffenstillstand müsse es dem Gegner unmöglich machen, den
Kampf noch einmal wieder aufzunehmen, und die Alliierten in die Lage
versetzen, die Friedensbedingungen zu befehlen. Das erfordere Abgabe aller
Geschütze, so daß das deutsche Heer nur mit Handfeuerwaffen nach
Hause ginge. Als einfachstes Mittel zur Erreichung dieses Zieles bezeichnete
Pétain Festsetzung so kurzer Räumungsfristen, daß das
Heeresgerät nicht abgeführt werden könnte. Außerdem
forderte er Besetzung des linken Rheinufers und eine neutrale Zone von
50 km Tiefe auf dem rechten, hielt es aber für wahrscheinlich,
daß diese Bedingungen von Deutschland abgelehnt werden würden.
Pershing schloß sich diesen Vorschlägen nunmehr an; Foch nahm
sie als die seinigen auf mit der Begründung, die deutsche Armee
dürfe nicht kampffähig an der Grenze stehen bleiben. Im Obersten
Rat hielten einige Mitglieder diese Bedingungen noch für zu milde. Als
aber Foch erklärte, das gesteckte Ziel würde durch sie erreicht, und
er auf Anfrage, ob durch schärfere Forderungen der Krieg verlängert
werden würde, eine bündige Antwort ablehnte, blieb es bei diesen
wesentlichen Bedingungen; nur fand auf Verlangen der Admirale noch ein
besonders harter Zusatz betreffend Ablieferung des größten Teils der
deutschen Kriegsflotte Annahme. Auch hiergegen hatte Lloyd George Bedenken
geäußert, in der Besorgnis, dadurch den Krieg zu
verlängern.
Da kein Grund vorliegt, an der Richtigkeit dieser französischen Darstellung
zu zweifeln, ist die Annahme berechtigt, Deutschland hätte bei kraftvoller
Festigkeit in den späteren Verhandlungen mehr erreichen können, als
unter der Wirkung der Revolution gelang. Daß später, als die Gegner
die völlige Auflösung des deutschen Heeres erkannten, die
Bedingungen von Heißspornen noch als zu milde angesehen worden ist,
daß auch Foch von ihnen nicht befriedigt war, ist erklärlich. Wie die
Verhältnisse sich in Deutschland zwischen dem 31. Oktober, dem Tage der
Festsetzung dieser Forderungen, und dem 11. November entwickelten,
wußte man weder im Lager der Alliierten noch in Deutschland.
Als Vorsitzender der deutschen Waffenstillstands-Kommission war der bis
[600] dahin schon in den
Vorarbeiten beschäftigte General v. Gündell von der Obersten
Heeresleitung in Aussicht genommen. Nach allen Gepflogenheiten früherer
Kriege mußte es ein Soldat sein, dem zur Unterstützung in
politischen Fragen ein Diplomat beizugeben war. Statt dessen wurde aber von
dem Reichskanzler Prinz Max von Baden unmittelbar vor der Abreise der
Staatssekretär Erzberger eingeschoben. Die dabei ins Werk gesetzten
Intriguen und ob dieses Vordrängen auf Erzbergers Machenschaften
zurückzuführen ist, können hier als nebensächlich
außer Betracht bleiben. Keinesfalls kann man dem General
v. Gündell, einem in Fragen des Kriegsrechtes erfahrenen,
sprachkundigen, tatkräftigen Offizier, einen Vorwurf daraus machen,
daß er es ablehnte, unter Erzberger in der Kommission zu amtieren. Es
konnte - das war vorauszusehen - dabei nichts Gutes herauskommen.
Vielleicht hat das Berliner Kriegskabinett geglaubt, durch einen Zivilisten bei den
Verhandlungen bessere Bedingungen zu erzielen als durch einen General; eine
Erwartung, die sich allerdings, wie sich bald zeigte, als durchaus irrig erwies.
Erzberger traf am 7. November morgens in Spaa ein und fuhr, nachdem er von
den bis dahin eingeleiteten Vorarbeiten Kenntnis erhalten hatte, 12 Uhr mittags
mit dem Generalmajor v. Winterfeldt (früher deutscher
Militärattaché in Paris), dem Grafen Oberndorff vom
Auswärtigen Amt, dem Kapitän zur See Vanselow als
Marinesachverständigen und wenigen, zu
Sekretär- sowie Dolmetscherdiensten bestimmten Personen an die Front
weiter.
Das Oberkommando der Alliierten war benachrichtigt. Nach einigen
Fährlichkeiten passierte die Kommission 9 Uhr 20 Minuten bei
La Capelle die Gefechtsfront. Es wäre nicht schwierig gewesen, die
Bevollmächtigten in wenigen Autostunden in den Wald von
Compiègne zu bringen. Statt dessen wurden sie während der Nacht
im Auto und im Sonderzuge herumgefahren, bis sie sich bei Tagesanbruch auf der
Eisenbahnklaue eines Geschützes befanden. Für
Geländekundige wurde bald klar, daß sie im Walde von
Compiègne standen. Ob die Alliierten über die in diesen Tagen in
Kiel und Wilhelmshaven sich abspielenden Matrosenmeutereien, vielleicht auch
schon über den Umsturz in München, die Einleitungen dazu in Berlin
unterrichtet waren und aus den Verzögerungen sich Nutzen für die
Verhandlungen sichern wollten, mindestens eine weitere Klärung der Lage
erwarteten, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Tatsache ist
aber, daß sie während der folgenden Verhandlungen mit den
verschiedensten kleinlichen Kniffen die Verhandlungen erschwerten und sich
bemühten, die Deutschen immer schärfer unter Druck zu bringen, um
sie für die harten Bedingungen gefügig zu machen.
Am 8. November, 9 Uhr vormittags, fand die erste Begegnung mit den feindlichen
Bevollmächtigten im Sonderzuge des Marschalls Foch statt. Die Formen
waren gemessen, der Ton bisweilen unvornehm, hämisch. Von den Feinden
hatten an dem Verhandlungstisch Platz genommen: Marschall Foch, [601] General Weygand, sein
Stabschef, Admiral Wemysz und der Admiral Hope, ihnen gegenüber die
vier deutschen Bevollmächtigten. "Nach einer kleinen Pause frostigen
Schweigens", so berichtet ein Beteiligter, "fragte Foch halb zu seinem Chef
gewandt: »Was wünschen diese Herren?« (Que
désirent ces messieurs?), - als ob er es nicht gewußt
hätte?! Darauf entspann sich eine kurze Debatte in ziemlich schroffen
Formen, ob die Deutschen gekommen seien, um zu verhandeln oder nur um die
Bedingungen entgegenzunehmen? Es war eine ebenso peinliche, wie kleinliche
und unvornehme Szene. Der Sieger legte offenbar Wert darauf, den am Boden
Liegenden noch einen Tritt zu versetzen. Das Wort »Verhandlung«
mußte von nun an sorgfältig vermieden werden. Schließlich
kam man aber doch so weit, daß General Weygand auf Anweisung Fochs
die Bedingungen vorlesen konnte."
Daß sie niederschmetternd waren, wird ihre Wiedergabe erweisen.
Insbesondere empfand man die Frist von 72 Stunden für Annahme oder
Ablehnung als maßlos schroff. Dieser Punkt war um so bedeutungsvoller,
als eine Übermittlung der Bedingungen an die deutsche Oberste
Heeresleitung durch Funkspruch abgelehnt und nur eine Kurierbeförderung
zugestanden wurde, auch ein lediglich aus Menschlichkeitsgründen
vorgebrachter Antrag auf sofortiges Einstellen des Blutvergießens keine
Annahme fand. Erzberger konnte nur einen kurzen Funkspruch an die Oberste
Heeresleitung geben,2 die stattgehabten Besprechungen
hätten dargetan, daß die übergebenen Bedingungen
Verabredung der feindlichen Regierungen seien, daß Foch
Fristverlängerung und Waffenruhe ablehne; es sei nicht anzunehmen,
daß über die entscheidenden Punkte Gegenvorschläge Erfolg
hätten.
Es gelang erst am Nachmittag, noch einige Abdrücke der Bedingungen zu
erlangen und dann erst konnte der Dolmetscheroffizier (Rittmeister
v. Helldorff) als Kurier abgeschickt werden, der aber an diesem Tage nicht
mehr über die Front hinaus kam.
Bis zum Abschluß des Vertrages am 11. November haben zwar mehrere
Besprechungen zwischen dem Generalmajor v. Winterfeldt und dem
General Weygand über militärische, zwischen dem Grafen
Oberndorff und General Weygand über allgemeine, zwischen dem
Kapitän Vanselow und dem englischen Marinesachverständigen
über Flottenfragen stattgefunden, aber auch diese erst auf wiederholtes
Drängen. Die beiderseitigen Vorsitzenden, Erzberger und Foch, hatten
daran keinen Anteil, da die Alliierten den nicht bindenden Charakter der
Besprechungen betonen wollten. Übrigens wurden den Deutschen alle
möglichen Schwierigkeiten gemacht, um die Verbindung mit der Obersten
Heeresleitung zu unterhalten. Es hätte sich ohne große
Umstände eine Drahtverbindung zwischen dem Walde von
Compiègne und Spaa einrichten lassen, trotz wiederholter
An- [602] träge wurde dies
abgelehnt. Die Deutschen waren auf den zeitraubenden Kurierdienst angewiesen.
Es sollte sich später herausstellen, daß die bei den mündlichen
Besprechungen gegebenen Zusicherungen nicht gehalten wurden und daß
das Wort der französischen Generale: "Es steht nichts zwischen den Zeilen"
(Il n'y a rien entre les lignes), die Versicherung "Was nicht im Vertrag
drin steht, steht nicht drin", nicht gehalten wurde, daß im Gegenteil
verschiedene Verschärfungen hineininterpretiert worden sind.
Da die deutschen Kommissionsmitglieder, von dem Verhandlungsweg
abgeschnitten, sich auch von der Außenwelt völlig getrennt sahen,
haben sie erwogen, ob es nicht angezeigt wäre, nach Spaa
zurückzukehren; sie haben es unterlassen, weil dadurch die
Versäumnis der 72stündigen
Frist - es war der 11. November, 11 Uhr vormittags französische
Zeit - eintreten könnte. Störend machte sich geltend, daß
die Zahl der entsendeten Sachverständigen zu gering war. Die zweite
Staffel der Kommissionsmitglieder traf erst in der Nacht vom 9. zum 10.
November ein, obschon sie vorsorglich bereits bis in das Hauptquartier der
Gruppe Deutscher Kronprinz vorgeschoben worden war.
Am Abend des 10. November ging endlich ein langes Telegramm der Obersten
Heeresleitung mit den von ihr verlangten Milderungen für die Bedingungen
ein. Es waren ungefähr dieselben, um die am 9. und 10. in großenteils
vergeblichen Besprechungen mit den französischen Generalen verhandelt
worden war. Zum Schluß enthielt das Telegramm noch den Zusatz:
Gelänge Durchsetzung dieser Punkte nicht, so wäre trotzdem
abzuschließen unter flammendem Protest und Hinweis auf die nicht nur
sachlich schwer erträglichen, sondern auch technisch
undurchführbaren Punkte. An der Übertragung dieser chiffrierten
Depesche in Klarschrift wurde noch gearbeitet, als ein zweiter, offener, mit
"Reichskanzler" unterschriebener Funkspruch eintraf, der Erzberger und die
Bevollmächtigten allgemein ermächtigte, den Waffenstillstand
abzuschließen. Erzberger sagt selbst in seinen Erlebnissen, die
offene Depesche habe ihn "ungemein peinlich berührt, da das Resultat der
zweitägigen Verhandlungen erheblich in Frage gestellt war". Wenn auch
die hier und da verbreitete Angabe, Foch habe die Nachricht von dem Ausbruch
der Revolution während der Verhandlungen erhalten und diese darauf
abgebrochen, nicht den Tatsachen entspricht, so ist doch ohne besonderen
Scharfsinn zu erkennen, daß das Telegramm die Haltung der Alliierten
erheblich beeinflussen mußte. Sie wußten jetzt, daß die neue
Regierung bereit war, auf alle Bedingungen einzugehen. Es kam also nur darauf
an, gegen die Kommission fest zu bleiben; dann war der auch von ihnen selbst
dringend gewünschte Waffenstillstand selbst unter den härtesten
Bedingungen erreichbar. Es war unverantwortlich und ein Zeichen schlimmster
Unkenntnis der Folgen, den Funkspruch in Klarschrift zu geben. Wer für
diesen Fehler verantwortlich war, ist nicht aufgeklärt. Erzberger hat sich
auf den Standpunkt gestellt, der Funkspruch ermächtige die
Bevollmächtigten zur Unterschrift, befehle [603] sie aber nicht. Er werde
nur unterschreiben, wenn er dies für richtig halte. Der Gedanke ist gesund;
um ihn aber nötigenfalls in eine Tat umzusetzen, d. h. abzulehnen,
dazu hätte angesichts der unvermeidlichen Folgen ein hohes Maß von
politischem Mut gehört.
In der am 11. November, 2 Uhr 15 Minuten morgens, beginnenden zweiten und
letzten Vollsitzung der beiderseitigen Bevollmächtigten wurde das
"Abkommen" (convention) geschlossen, dessen wesentlichste
Bestimmungen folgendes festsetzten:
1. Einstellung der Feindseligkeiten zu Lande und in der Luft sechs
Stunden nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes.
2. Sofortige Räumung der besetzten Gebiete: Belgien, Frankreich,
Luxemburg sowie Elsaß-Lothringen. Die Räumung muß
innerhalb 15 Tagen durchgeführt sein. - Es hatte eine Debatte
darüber stattgefunden, daß Elsaß-Lothringen, wie die Alliierten
wollten, als "pays envahi" bezeichnet werden sollte. Man einigte sich auf
die vorstehende Fassung. - Für die Räumung wurden drei
Zonen festgesetzt, die am 5., 10. und 15. Tage frei sein mußten.
3. Freilassung der Geiseln, Rückführung der Einwohner
binnen 15 Tagen.
4. Überlassung von Kriegsmaterial an die Alliierten: 5000
Kanonen (2500 schwere, 2500 Feldgeschütze), 25 000
Maschinengewehre, 3000 Minenwerfer, 1700 Flugzeuge (es waren 2000 gefordert
worden, die aber auf Vorstellung, daß sie nicht vorhanden seien, vermindert
wurden).
5. Räumung des linksrheinischen Gebiets sowie der
Brückenköpfe Mainz, Coblenz, Köln mit einem Halbmesser
von 10 km und Besetzung durch die Alliierten.
6. Zerstörungen im geräumten Gebiet dürfen nicht
vorgenommen werden, keine Rückführung von Einwohnern.
7. Keine Zerstörung von Verkehrsmitteln und Straßen.
Nach eingehender Debatte wurde bestimmt, daß von den Deutschen
abgeliefert werden sollten: 5000 gebrauchsfertige Lokomotiven, 5000
Lastkraftwagen in so kurzen Fristen, daß die Innehaltung von vornherein
ausgeschlossen war.
8. Beseitigung der deutscherseits gelegten Minen und
Sprengvorrichtungen innerhalb 48 Stunden. Es wurde betont, daß dieser
Verpflichtung nicht mit Sicherheit nachgekommen werden könnte.
9. Requisitionsrecht der Alliierten in allen besetzten Gebieten. Der
Unterhalt der Besatzungstruppen geht zu deutschen Lasten. Auf Anfrage
erklärte Foch, daß die Besatzungsstärke auf 50 Divisionen
höchstens steigen dürfe. Darauf hingewiesen, daß die
Deutschen im Frieden dort 2½ Armeekorps gehabt und die Unterbringung
so starker gegnerischer Kräfte zur Unmöglichkeit würde,
mindestens die schwersten Bedrückungen hervorrufe, erwähnte
Foch nur: er könne eine genaue Zahl nicht angeben, er wolle die Besatzung
mit möglichst wenig Truppen durchzuführen suchen.
[604] 10.
Auslieferung der Gefangenen seitens Deutschlands ohne Recht auf
Gegenseitigkeit. Die Zurückführung der deutschen Kriegsgefangenen
blieb der Regelung im Präliminarfrieden vorbehalten.
11. Betrifft Versorgung transportunfähiger Kranker.
12. bis 16. Regelung des Rückzuges deutscher Truppen
aus Rußland, Österreich-Ungarn, Rumänien, Türkei;
Verzicht auf die Friedensverträge von Brest-Litowsk und Bukarest.
17. Abzug der Deutschen aus Ostafrika.
18. Zurückbeförderung der Zivilinternierten, der Geiseln,
der im Anklagezustand Befindlichen oder Verurteilten, ohne Recht auf
Gegenseitigkeit.
19. Finanzielle Bestimmungen. Sie enthielten u. a. nur das kurze Wort:
"Schadenersatz" (Réparation des dommages), worüber nicht
diskutiert wurde; ferner Rückgabe des von Rußland und
Rumänien ausgelieferten Goldes3 an die Alliierten.
20. bis 33. Bestimmungen hinsichtlich der Seemacht;
hervorzuheben ist daraus: Ablieferung aller zur Zeit vorhandenen Unterseeboote
(Unterwasserkreuzer und Minenleger einbegriffen), sowie von der Flotte 10
Linienschiffe, 6 Panzerkreuzer, 8 Kleine Kreuzer, 50 Zerstörer neuesten
Typs. Nach Leistung der Unterschrift wurde noch eine Liste vorgelegt, nach der
abzuliefern waren: die Linienschiffe "König", "Bayern", "Großer
Kurfürst", "Kronprinz Wilhelm", "Markgraf", "Friedrich der Große",
"König Albert", "Kaiserin", "Prinzregent Luitpold", "Kaiser"; die
Panzerkreuzer "Hindenburg", "Derfflinger", "Seydlitz", "Moltke", "von der
Tann", "Mackensen"; die Kleinen Kreuzer "Brummer", "Bremse", "Köln",
"Dresden", "Emden", "Frankfurt", "Nürnberg",
"Wiesbaden". - Die Aufhebung der Blockade wurde abgelehnt.
34. Die Dauer des Waffenstillstandes wird mit der Möglichkeit
einer Verlängerung auf 36 Tage festgesetzt und die Bildung einer
ständigen internationalen Waffenstillstandskommission vorgesehen.
Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgte 5 Uhr morgens durch Marschall Foch,
Admiral R. E. Wemyß und die vier deutschen Delegierten; in der Tat
war es schon 5 Uhr 30 Minuten, und die Fristen begannen zu laufen. Die
Verhandlungen hatten sich in den Grenzen der kühlsten Höflichkeit
abgespielt. Die deutsche Oberste Heeresleitung erhielt durch Funkspruch Meldung
vom Abschluß. Erst nach Stunden konnte ein vollständiges
Stück des Vertrages erlangt werden. Schließlich wurde für
einen deutschen Generalstabsoffizier zur Übermittlung des
endgültigen Vertrages ein französisches Flugzeug bewilligt; der
Abflug verzögerte sich um Stunden, dann verflog sich der
Flugzeugführer, obschon die Strecke kurz und leicht zu finden war,
wahrscheinlich mit Absicht. Die Oberste Heeresleitung kam auf diese Weise erst
nach 10 Uhr abends in Besitz des Vertrages, der fast 12 Stunden vorher schon in
Kraft getreten war.
[605] Die den Deutschen
auferlegten Waffenstillstandsbedingungen waren von einer unerhörten
Härte. Weniger durch die Gunst der militärischen Lage, als durch die
Umwälzung im inneren Deutschland hatten die Alliierten ihre Forderungen
durchsetzen können. Daß ein anderer deutscher Vorsitzender sich
ihrer hätte besser erwehren können, ist wenig wahrscheinlich. Die
deutschen Unterhändler befanden sich von vornherein in einer hilflosen
Lage, weil sie nicht nur über die Vorgänge in der Heimat ganz
ungenügend unterrichtet waren, sondern weil die Oberste Heeresleitung
angesichts der inneren Zersetzung von Heer und Heimat die Unterzeichnung der
Bedingungen, wie immer sie waren, gefordert hatte. Die Gegner hatten leichtes
Spiel. Die vorerwähnte offene Depesche des Reichskanzlers hatte ihnen
volle Klarheit über die Zustände in Deutschland verschafft, auch
wenn der Nachrichtendienst unvollständig gewesen sein sollte. Aus
Erzbergers Erlebnissen geht hervor, daß diese zweite Depesche, ehe
sie ihm übergeben wurde, Gegenstand von besonderen Erwägungen
der Alliierten gewesen ist. Sie endete nämlich mit den Worten
"Reichskanzler Schluß", was den Franzosen gleich zu Ermittlungen
Anlaß gegeben hatte, ob der neue Reichskanzler "Schluß"
hieße, der Name sei beim Oberkommando und in Paris ganz unbekannt.
Erzberger mußte den französischen Dolmetscheroffizier erst dahin
belehren, daß damit nur die Beendigung des Funkspruches bezeichnet
würde.
Am Schluß der Sitzung gab Erzberger den ihm erteilten Weisungen
gemäß eine Erklärung ab, daß die Innehaltung
verschiedener Bestimmungen, namentlich der Räumungsfristen,
zweifelhaft sei und sprach aus, "daß die Durchführung dieses
Abkommens das deutsche Volk in Anarchie und Hungersnot stürze". Nach
den Kundgebungen, die den Waffenstillstand eingeleitet hatten, mußten die
Bedingungen erwartet werden, die - bei voller Sicherung unserer
Gegner - die Qualen der am Kampfe Unbeteiligten, der Frauen und Kinder,
beendet hätten.
"Das deutsche Volk, das 50 Monate lang standgehalten hat gegen eine Welt von
Feinden, wird ungeachtet jeder Gewalt seine Freiheit und Einheit wahren."
"Ein Volk von 70 Millionen leidet, aber es stirbt nicht."
Bei Verlesung der beiden letzten Sätze der Erklärung (durch den
Dolmetscher) sagte Foch laut "Très bien", wohl zum Zeichen,
daß er für einen solchen Appell unzugänglich wäre.
Die deutsche Kommission reiste am 11. November nach Spaa zurück, wo
sie am 12. gegen 9 Uhr vormittags eintraf.
Bei den Verhandlungen im Walde von Compiègne war den Deutschen die
Zusicherung gegeben, in den Waffenstillstandsverhandlungen "stünde
nichts zwischen den Zeilen". Das berechtigte zu der Hoffnung, die vielfach
undurchführbaren Bedingungen stellten das Höchstmaß der
Forderungen dar, daß aber nichts künstlich in den Vertrag
hineininterpretiert werden würde. Die deutsche, [606] am 16. November in
Spaa mit den Gegnern die Tätigkeit beginnende
Waffenstillstandskommission (Wako) sollte dies alsbald als einen schweren Irrtum
empfinden. Von Verhandlungen war dort, wenn deutsche Interessen in Frage
kamen, keine Rede. Eine gegenseitige Verständigung wurde von den
Alliierten und Assoziierten nicht gesucht. Sie gaben nach ihrem Ermessen der
deutschen Waffenstillstandskommission ihre Entschließungen und
Anordnungen bekannt, nur in ganz nebensächlichen Punkten fand sie
gelegentlich Gehör. Mehr als sieben Monate lang wurden unter dem als
Vertreter des Marschalls Foch amtierenden Vorsitzenden, General Nudant, aus
dem Vertrage von Compiègne die willkürlichsten Rechte
herauskonstruiert oder die deutschen Einwendungen, wenn man sie
überhaupt annahm und anhörte, mit frivolen Begründungen
zurückgewiesen: der Waffenstillstand verpflichte nur Deutschland einseitig,
oder auf den in Frage stehenden Fall seien die Abmachungen nicht anwendbar. An
Noten und Protesten hat es nicht gefehlt. Der deutsche Vorsitzende, General
v. Winterfeldt, legte seine Stellung unter Protest nieder und wurde durch
den Generalmajor Frhr. v. Hammerstein ersetzt. Erzberger hat in einem
Aufsatz "Zu den Waffenstillstandsverhandlungen"4 gesagt: "Oft war die
Waffenstillstandskommission versucht, auf Artikel 7 der Metzer
Kapitulation vom 27. Oktober 1870 hinzuweisen, der folgendermaßen
lautet: »Tout article, qui pourra présenter des doutes, sera
toujours interprété en faveur de l'armée
française.« Die Franzosen hatten eben im Jahre 1870 mehr
Glück als wir jetzt, sie hatten einen ritterlichen Gegner!"
Die Hauptklagen gegen die Alliierten bezogen sich auf Vergewaltigungen der aus
Altdeutschland stammenden Bewohner von Elsaß-Lothringen, auf
Begünstigung der polnischen Übergriffe in Posen, namentlich aber
auf das Treiben in den linksrheinischen besetzten Gebieten. Ohne Innehaltung der
im Waffenstillstand ausbedungenen Rechte sperrte man die besetzten Gebiete von
dem übrigen Deutschland unter dem Vorwande ab, daß die Blockade
aufrechterhalten werden müsse. Die Verwaltungsbehörden wurden
nicht nur beaufsichtigt, sondern mit bindenden Befehlen geleitet, zu lediglich
ausführenden Organen gemacht. Ihr Verkehr mit den deutschen
Zentralbehörden, deren Weisungen nicht maßgebend waren, wurde
eingeschränkt. Die nach dem 11. November 1918 erlassenen deutschen
Gesetze und Verordnungen durften nicht in Kraft treten. Die Anwendung
älterer deutscher Gesetze, namentlich betreffend die Zölle, die
Bestimmungen über Ein- und Ausfuhr, über Devisenverkehr wurde
unterbunden, das wirtschaftliche Leben ganz der Kontrolle, d. h. der
rücksichtslosesten Willkür der Besatzungstruppen
unterstellt. - Mißhandlungen der Bevölkerung,
Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Diebstähle,
Einbrüche, kurz Roheiten kamen in verhältnismäßig
großer Zahl vor; selbst Ortskommandanten [607] haben sich daran
beteiligt. Deutsche Denkmäler sind namentlich auf den Schlachtfeldern um
Metz, auch in der Stadt selbst, sowie in Straßburg in nicht geringer Zahl
unter stillschweigender Duldung der Besatzungsbehörden zerstört
worden. Bei der Drangsalierung der Bevölkerung taten sich die Franzosen
und die Belgier hervor.
Obgleich schon bei den Verhandlungen in Compiègne deutscherseits
darauf hingewiesen worden war, daß verschiedene von den erzwungenen
Fristen, namentlich für die Abgabe der Geschütze, der Lokomotiven
und des übrigen Eisenbahnmaterials sowie der Lastkraftwagen
unmöglich innegehalten werden könnten, wurde bei den
Verhandlungen über die Verlängerungen des Waffenstillstandes
hinaus der Vorwand entnommen, von Deutschland weitere Zugeständnisse
zu erpressen. Die Einzelheiten wurden durch besondere Unterkommissionen
für die Finanz- und Wirtschaftsfragen erörtert.
Die erste Verlängerung des Waffenstillstandes wurde am 12. und 13.
Dezember 1918 unter Vorsitz von Foch und Erzberger in Trier verhandelt.
Vorlage einer umständlichen Zusammenstellung der angeblichen
Verfehlungen Deutschlands gegen den Vertrag vom 11. November leitete die
Verhandlungen ein. Trotz den deutschen Widerlegungen wurde die
Verlängerung zwar um einen Monat
zugestanden - bis zum 17. Januar 1919, 5 Uhr
morgens -, aber folgendes hinzugefügt:
1. Die Ausführung der Bedingungen des Abkommens vom 11.
November, soweit dieselben derzeit noch unvollständig verwirklicht sind,
wird fortgesetzt und in der Zeit der Verlängerung des Waffenstillstandes zu
den von den Interalliierten permanenten Waffenstillstandskommission nach den
Weisungen des Oberkommandos der Alliierten festgesetzten Einzelbestimmungen
zum Abschluß geführt werden.
2. Das Oberkommando der Alliierten behält sich von jetzt an
vor - um sich eine neue Sicherheit zu verschaffen, wenn es dies für
angezeigt erachtet -, die neutrale Zone auf dem rechten
Rhein-Ufer nördlich des Kölner Brückenkopfes und bis zur
holländischen Grenze zu besetzen.
In den wichtigen Fragen der Lebensmittelversorgung Deutschlands und der
Rückgabe der deutschen Kriegsgefangenen erzielte man keine
befriedigenden Beschlüsse. Zu einem, die ganze Verhandlungsart
bezeichnenden Zwischenfall kam es über die Ablieferung des
Panzerkreuzers "Mackensen". Bei den Verhandlungen im Walde von
Compiègne hatte der Vertreter der Marine mündlich erklärt,
der Panzerkreuzer "Mackensen" sei noch im Bau und erst in 10 Monaten
seebereit. Der Engländer hatte dazu bemerkt, man wolle nichts
Unmögliches verlangen. Trotzdem kam er auf die Nichtablieferung
zurück, bemängelte sie, und auf seine frühere Erklärung
verwiesen, versuchte er sie damit unverbindlich zu machen, daß sie nur
mündlich gegeben sei.
Die zweite Verlängerung des Waffenstillstandes wurde wieder in Trier am
[608] 15. und 16. Januar
1919 verhandelt. Zunächst sollte sie auf einen Monat, d. h. bis zum
17. Februar, gelten, die Verlängerung aber vorbehaltlich der Zustimmung
der alliierten Regierungen bis zum Abschluß des Präliminarfriedens
ausgedehnt werden. - Auch dieser Vertrag legte Deutschland neue schwere
Opfer auf. Sie wurden von Foch mit Rücksichtslosigkeit
durchgedrückt unter dem Vorwande, neuer Sicherheiten zu bedürfen.
Er hatte immer eine größere Zahl von angeblichen Verfehlungen der
Deutschen bei der Hand, um seine neuen Bedingungen zu begründen. Von
einigem Belang konnte nur angesehen werden, daß die Ablieferung
von Lokomotiven und Eisenbahnmaterial im Rückstand geblieben war,
weil allgemein die deutschen Eisenbahnparks stark abgenutzt, namentlich aber
unter den starken inneren Wirren weiter verkommen waren. An Stelle der
auferlegten Ablieferung von Eisenbahnmaterial wurde die Lieferung einer
großen Zahl von landwirtschaftlichen Maschinen, Dampfpfluggruppen,
Sämaschinen, Düngerstreumaschinen, Eggen, Mähmaschinen usw.
gefordert und angenommen. Ferner behielt sich das alliierte Oberkommando
das Recht vor, um sich eine "neue Sicherheit" zu verschaffen, zu dem Zeitpunkt,
wo es dies für angezeigt erachte, den durch die Forts des rechten
Rhein-Ufers gebildeten Abschnitt der Festung Straßburg mit einem
Geländestreifen von 5 bis 10 km vor diesen Forts zu besetzen.
Schließlich, und das war wohl die verhängnisvollste Auflage,
hieß es in Ziffer VIII des Abkommens vom 16. Januar 1919: "Um die
Lebensmittelversorgung Deutschlands und des übrigen Europas
sicherzustellen, wird die deutsche Regierung alle nötigen
Maßnahmen trafen, um während der Dauer des Waffenstillstandes
die ganze deutsche Handelsflotte der Kontrolle und der Flagge der alliierten
Mächte und der Vereinigten Staaten, denen ein deutscher Delegierter
beigegeben ist, zu unterstellen." Trotz der Zusicherung, daß die
Handelsflotte deutsches Eigentum bleibe, war damit ihr Schicksal besiegelt; denn
die später dafür auf Reparationskonto gutgeschriebenen
Beträge konnten ihren Wert nicht annähernd ersetzen und der
deutsche Handel war bis auf weiteres stillgelegt. In der Frage der
Kriegsgefangenen-Rückgabe blieb es bei allgemeinen Versicherungen des
Marschalls Foch, diese Anträge den alliierten Regierungen
befürwortend zu überweisen.
Die dritte Verlängerung des Waffenstillstandsabkommens erfolgte ebenfalls
zu Trier am 16. Februar "für eine unbefristete kurze Zeitdauer, wobei die
alliierten und assoziierten Mächte sich das Recht vorbehalten, mit einer
Frist von drei Tagen zu kündigen". Neben der Ausführung
früherer, Deutschland auferlegter Bedingungen wurde es verpflichtet, den
Polen und ihren Bedrohungen und Übergriffen gegenüber eine im
einzelnen angegebene Linie in Ost- und Westpreußen, im preußischen
Posen und an der schlesischen Grenze nicht zu überschreiten.
Bei allen Verhandlungen hat Foch sich des Tricks bedient, die Deutschen durch
die Drohung, es sei Eile geboten, die Unterschrift müsse in kürzester
Frist [609] geleistet werden, damit er die nötigen
Befehle an seine Truppen geben könnte; sollte heißen zur
Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Er stellte damit die Deutschen vor eine
schwere Verantwortung, vor der sie zurückweichen und weichen
mußten, da Deutschland die Waffen vorzeitig niedergelegt hatte. Es kam
also gar nicht zu einer Probe, ob wegen der kleinen schikanösen
Bestimmungen die Alliierten und Assoziierten wirklich die Waffen erneut
aufgenommen haben würden.
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