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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 9: Die Schlußkämpfe an der Westfront,
August bis Oktober 1918
  (Forts.)

General der Infanterie Hans v. Zwehl

5. Rückblick.

Der große Erfolg, den die Ententemächte im Sommer und Herbst über die Deutschen errangen, ist für alle Zeiten mit dem Namen des Marschall Foch auf das engste verknüpft. Er war der Mann, der nach vierjährigem schweren Ringen die durch die Amerikaner endlich in großartiger Weise verstärkte Heeresmaschine so geleitet hat, daß die Deutschen unter schweren Verlusten zur Räumung des lange fest in ihrer Hand gehaltenen Nordfrankreich und Belgien sich gezwungen sahen. Je schwerer die jahrelange Sorge um den Kriegsausgang auf den Alliierten gelegen hatte, um so größer die Genugtuung, um so natürlicher die Siegesfreude, als es endlich gelang, das bis dahin unüberwindliche deutsche Heer auf der ganzen Front zurückzuwerfen. Die große Masse ist dann immer bereit, alle Ehren auf eine oder wenige Personen zu vereinigen, die als die Leiter, die Organisatoren des Sieges erscheinen. Hier war es der Marschall Foch. Mit Recht muß das kriegsgeschichtliche Urteil anerkennen, daß er gleichzeitig mit Tatkraft und doch mit einer gewissen Mäßigung in den Entwürfen seine Aufgabe gelöst hat, daß es ihm gelungen ist, die Offensive dauernd in Fluß zu halten trotz aller Schwierigkeiten, die ihm aus der Ermüdung, der sinkenden Kampfkraft der Franzosen und Engländer, dem noch bis zuletzt bewiesenen Heldenmute seines Gegners erwuchsen. Eine bis in die letzte Zeit des Krieges unbekannte Waffe, der Tank, [591] und die durch die Engländer entstandene erdrückende Überlegenheit seiner Armeen haben ihm die Aufgabe erleichtert, ja ohne diese beiden von seinem Ingenium ganz unabhängigen Faktoren zusammen wäre sie auch für Foch ebenso unlösbar gewesen wie für Joffre, Nivelle, Pétain und Haig. Im Januar 1918 bestand nur ein Bataillon der leichten, wendigen Tanks zu 73 Kampfwagen, im August nahmen 15 Bataillone mit 1100 Wagen an den Kämpfen teil, und im November 1918 verfügten die französischen Armeen allein, ungerechnet die den Amerikanern zugewiesenen, über 25 Bataillone mit 2000 Wagen.16 Da Foch nicht einmal der Schöpfer der ihm zum Gebrauch überwiesenen Kriegsmaschine gewesen ist, beschränken sich seine Verdienste, im großen geschichtlichen Sinne gesprochen, also auf den technischen Gebrauch.

Bei näherem Hinsehen will es aber scheinen, als ob die Verdienste des Marschalls nur von bescheidenem Ausmaße sind, soweit die große strategische Kombination in Frage kommt. Der Gedanke, den großen ausspringenden Bogen der Deutschen an der Marne am 18. Juli von der Flanke anzufallen, war ein überaus naheliegender; es müßte als eine ganz unverständliche operative Kurzsichtigkeit bezeichnet werden, wenn er nicht in Tat umgesetzt worden wäre. Nun nimmt für diesen Entschluß aber auch der General Mangin noch das Hauptverdienst in Anspruch, der die Anregung gegeben haben will, so daß sein Führerscharfblick also auch hierbei nicht zur Bewunderung herausfordert. Die nächste Fortsetzung der Angriffe beruhte auf demselben gesunden, uralten Prinzip, durch einen Druck auf die Flanken des Gegners auch die Front zu bedrohen und dadurch seine ganze Stellung ins Wanken zu bringen. Das geschah, glückte aus den allgemeinen, vorher erläuterten Gründen und führte zu einer allmählichen starken Schwächung des Gegners.

Nachdem Foch seine Erfolge an der Marne und zwischen Arras, der Oise und bis zur Ailette errungen, die Amerikaner ihre Feuerprobe als selbständige Armee bei St. Mihiel bestanden hatten, kam der allgemeine große Angriff auf der ganzen Front von der flandrischen Küste bis zur Maas. Geschäftige Lobredner haben daraus einen gigantischen Plan abgeleitet, dem deutschen Westheere eine Katastrophe größten Stils durch Einkesselung zu bereiten. Es scheint nur eine reine Parallelschlacht zu sein. Der Druck auf den linken deutschen Flügel an der Maas war allerdings das gefährlichste für die deutsche Front; wie sich aber die Alliierten mit der Festung Metz, mochte ihre Ausrüstung und Besatzung auch sehr schwach sein, abgefunden hätten, um auf dem entscheidenden Punkt dem Gegner den Garaus zu machen, bleibt eine offene Frage. Außerdem hätte es zur Verwirklichung des Einkesselungsgedankens gleichzeitig eines starken Drucks aus der Front durch Belgien bedurft, und ob die Alliierten ihn schnell und durchgreifend [592] genug aufzubringen vermochten, ist vollends unsicher. Ja, es ist aus den Operationen der Alliierten nicht einmal erkennbar, daß sie von vornherein auf eine Überwältigung des linken deutschen Flügels mit erdrückender Überlegenheit abzielten. Träfe das zu, so hätte Foch dazu seine Kräfte schon im August 1918 auf seinen rechten Flügel, etwa zwischen Champagne, Argonnen und den Vogesen, erheblich mehr zusammenfassen, die Mitte und den linken Flügel schwach und defensiv halten müssen. In Ungewißheit, wie die Angriffserfolge sich überhaupt gestalten würden, und weil die deutsche Front zwischen Soissons und der Küste nahe der Hauptstadt Frankreichs stand, tat Foch das nicht; mit gutem Recht. Er konnte es nicht wagen nach allen Ergebnissen der steckengebliebenen Durchbruchsschlachten früherer Perioden des Krieges. So muß man seinen Plänen das anerkennende Zeugnis weiser Mäßigung zusprechen, ohne das Ziel, seinen Gegnern auf eine neutrale Grenze - Holland - zu drängen, oder wenigstens seine Verbindungen zu durchschneiden und ihm dadurch eine Katastrophe zu bereiten. Aus der Anlage entwickelte sich also mit Notwendigkeit die Parallelschlacht größten Stils; das, was der Graf Schlieffen einen "ordinären Sieg" nennt, der ausgiebige Kämpfe, wenn auch bei der Überlegenheit der Alliierten mit kaum zweifelhaftem Enderfolge, so doch mit weiteren Opfern erforderte. Engländer wie Franzosen hatten wenig Neigung, sie zu bringen. Die deutsche Revolution und der Waffenstillstand überhob sie dieser Notwendigkeit.

In der französischen Militärliteratur hat dieser Gedanke eines Durchstoßes gegen den linken deutschen Heeresflügel vielfach eine Rolle gespielt. Man hat sich in dem Gedanken gefallen, daß nur durch den vorzeitigen Abschluß des Waffenstillstandes der französische Marschall um einen riesigen, in der Geschichte noch nicht dagewesenen Waffenerfolg gebracht worden wäre. Mit der tatsächlichen Lage rechnen diese Gedanken aber nicht. Der englische General Maurice schildert sie eingehend, er wird in seinen Angaben auch durch amerikanische Gewährsleute unterstützt.17 Danach hätten bei Abschluß des Waffenstillstandes die Alliierten einstweilen die äußerste Linie für den noch möglichen Nachschub an Verpflegung und Kriegsmaterial erreicht. Es hätte bei Fortsetzung des Vormarsches zunächst eine gründliche Regelung der rückwärtigen Verbindungen erfolgen müssen, vor allem Herstellung der in weitem Umfange zerstörten Eisenbahnen hinter der Front. Die Endstation der Eisenbahnen lagen im allgemeinen bis zu 80 km hinter den fechtenden Truppen, die Zerstörung der Brücken und Straßen behinderte die Verwendung der Lastkraftwagen erheblich. Bei der 4. englischen Armee z. B. war die Hälfte der Wagen zusammengebrochen. Es konnte den Truppen nur das Unentbehrliche zum Leben nachgeführt werden, auch machte sich die Not der Zivilbevölkerung, für die gesorgt werden mußte, hindernd bemerkbar. Tatsächlich konnten die Engländer erst 6 Tage nach Einstellung der Feindselig- [593] keiten den Vormarsch fortsetzen. Der Marschall Haig bestätigt diese von dem General Maurice herrührenden Angaben durch die Erklärung: "Der Vormarsch wäre erheblich verlangsamt worden, wenn er angesichts des Widerstandes selbst eines geschlagenen Feindes hätte ausgeführt werden müssen. Die Schwierigkeiten der Versorgung wären in vieler Hinsicht außerordentlich gestiegen, besonders durch die Notwendigkeit, große Munitionsmengen nachzuführen." Bei den übrigen Ententemächten, namentlich bei den Amerikanern, auf die es bei allen Angriffen ganz besonders ankam, war es, wie Verhandlungen im Ausschuß des Repräsentantenhauses beweisen, nicht anders, vielleicht noch schlimmer. Die Transportlage war so schlecht, daß nach amerikanischem Urteil bei Fortsetzung der Operationen ein längerer Halt und eine völlige Umgruppierung der Kräfte hätte eintreten müssen. Außerdem hat wohl die Organisation des Trains und das Nachschubwesen in der amerikanischen Armee trotz französischer Unterstützung bei der Versammlung so starker Massen auf engem Raume nicht allen Anforderungen genügt. Das kann nicht überraschen, im Gegenteil, es ist lehrreich, wieviel bei völligem Fehlen der Friedensvorbereitungen auf diesem Gebiete geleistet worden ist. - Amerikanische Stimmen nehmen an, daß auf deutscher Seite die Schwierigkeiten der Alliierten wohl erkannt waren, mit der Bemerkung: "Die Feinde der Monarchie zogen in der Erkenntnis, daß ein deutscher Sieg eine Revolution unmöglich machen würde, die letztere dem Siege vor, in voller Bereitwilligkeit den Preis der Niederlage hierfür zu zahlen."

Als der Waffenstillstand eintrat, soll noch der Plan eines großen Schlages zur Vernichtung des deutschen Heeres beim Marschall Foch bestanden haben, dessen Ausführung angeblich, schon mit dem 14. November beginnend, beabsichtigt gewesen wäre. Der Grundgedanke soll gewesen sein, die deutsche Maas-Linie vom Süden her zu umfassen. Wie dies ausgeführt werden sollte, darüber sind die bisher bekanntgewordenen Angaben nicht ganz klar, was darauf schließen läßt, daß die Absichten wahrscheinlich von der Ausführbarkeit noch weit entfernt waren, jedenfalls kaum schon am 14. November in die Tat umgesetzt werden konnten. Nach der einen Lesart sollte die 10. französische Armee, 14 Divisionen stark, auf Saargemünd, östlich daneben der General Gérard mit 6 Divisionen auf Dieuze vorgehen, während die 2. amerikanische Armee, deren Aufstellung im Gange war, mit 6 Divisionen Metz von Süden einschließen sollte. Der General Buat, nach dem Kriege Chef des französischen Generalstabes, will 30 französische und amerikanische Divisionen in erster und ebensoviel in zweiter Linie östlich Metz zwischen Nomény und Marsal, also auf 30 km Front, in der Richtung auf die Saar antreten lassen. - Es würden bei dieser Massierung Formen entstanden sein, etwa wie die berühmten Divisionskolonnen von Wagram im Jahre 1809. Da außerdem nicht klar ist, woher diese 60 Divisionen plötzlich genommen werden sollten, ohne die Hauptfronten stark zu entblößen, auch nicht, wie man sie im Handumdrehen transportieren konnte, ist dieser Plan nicht ernst zu nehmen und wohl [594] ausschließlich für die Begeisterung des urteilslosen Publikums in Frankreich bestimmt. - Dies hat allerdings nicht gehindert, daß auch in Deutschland sich Personen von pazifistischer oder revolutionärer Färbung für solche Möglichkeiten erwärmt haben.

Chambrun und Marenches18 endlich bemerkten und kommen damit wohl der Wahrheit am nächsten, Pershing hätte dem Marschall Foch vorgeschlagen, und beide hätten sich in ihren Gedankengängen meist begegnet, die Offensive zwischen Maas und Mosel mit der 1. amerikanischen Armee auf Longwy, mit der 2. auf Briey fortzusetzen. Sechs amerikanische Divisionen sollten auf dem rechten Mosel-Ufer vorgehen. Es wäre ihnen die Abschließung von Metz im Osten zugefallen und die Aufnahme der Verbindung mit der noch zu erwartenden 10. Armee, Mangin, die sich aber Anfang November noch im Kampfe nördlich Laon befand. - Dies ist alles aber wenig mehr als verschwommene Absicht gewesen und hier nur der Vollständigkeit wegen erwähnt, weil sich Frankreich teils in dem Gedanken berauscht, dem deutschen Heere hätte bei Fortsetzung der Kämpfe das Feldherrngenie des Marschalls Foch ein Sedan größten Stils bereiten können, andernteils gern dem tiefen Groll Ausdruck gibt, daß dieser letzte große Triumph nur durch die "Schlauheit" der Deutschen und die Schwäche der Diplomatie entschlüpft sei. - Trotz der alliierten Siege hätte die Erreichung dieses Erfolges aber doch noch erhebliche Schwierigkeiten überwinden müssen, und wie die Kämpfe ausgelaufen wären, wenn die Deutschen nicht durch die Revolution jede Widerstandskraft verloren haben würde, ist nicht zu übersehen.

Bei allen kriegerischen Unternehmungen ist die Durchführung eines operativen Planes ebenso bedeutungs- und ruhmvoll wie die Art des Planes selbst. Beide stehen in der engsten Wechselwirkung. Inwieweit dem Marschall Foch für die Durchführung der fast ununterbrochen vom 8. August bis zum 11. November tobenden Schlacht die Bewunderung der Nachwelt gebührt, ist eine verschieden zu beantwortende Frage. Sicher ist nur, daß die meiste Arbeit für die Durchführung der großen Schlacht seinen Organen im Hauptquartier, seinen Armeeführern mit den Gehilfen und nachgeordneten Dienststellen zufallen mußte, denen die Bereitstellung der Truppen, Regelung des Nachschubs an Munition, Verpflegung und Kriegsmaterial oblag. Die Bereitstellung der Kampftruppen bot, da die Alliierten überall sehr stark waren, keine Schwierigkeiten, Material war reichlich vorhanden, die Verbindungen bei Beginn der Kämpfe sehr günstig. Erst Anfang November wurden sie schwierig, wie vorstehend angedeutet. Alle Maßnahmen in dieser Hinsicht sind aber Kleinarbeit, für die ein Generalissimus nur mittelbar einzustehen hat, auch nicht aufkommen kann. - Ein operatives Hin- und Herwerfen großer Massen ist während der Kämpfe gar nicht in Frage gekommen, sondern nur die Verschiebung einzelner Divisionen und Korps, wenn [595] sich hier und da Schwächezustände bemerkbar machten. Foch hat also keine Gelegenheit gehabt, während der großen Schlacht neue Pläne zu ersinnen, sie hätten nur auf Phantastereien hinauslaufen können. Auch nach den beiden ersten Erfolgen zwischen Soissons - Château-Thierry und bei Amiens war von einem schnellen oder gar panikartigen Rückzuge früherer Kriege oder entscheidenden Siegen, wie bei Tannenberg oder Gorlice-Tarnow, keine Rede gewesen. Die Deutschen hatten sich immer wieder setzen können und Foch oder seine Armeeführer zu erneutem Vorbringen starker Artillerie, ausgiebigem Munitionsnachschub, Ablösung abgekämpfter Divisionen gezwungen. Das führte zu einem meist zaghaften Nachdrücken unter Deckung durch die Tankgeschwader. In dieses Bild passen auch die bekanntgewordenen Befehle des Marschalls, mit denen er im Oktober seine Armeen immer in fast beschwörendem Tone anspornen mußte, um die allgemeine Vorwärtsbewegung einigermaßen im Fluß zu halten.

Inwieweit der Marschall Foch seinen Einfluß auf die Kriegsschauplätze in Italien, auf dem Balkan und in Syrien geltend gemacht hat, steht dahin. Nach der österreichischen Niederlage an der Piave im Juni 1918 ließen sich die Italiener Zeit bis zum 24. Oktober, ehe sie dem schon in der Auflösung begriffenen Gegner auf den Leib gingen. Auf dem Balkan konnte die Offensive gegen die Bulgaren am 15. September 1918 mühelos gelingen, weil bekannt war, daß sie beabsichtigten, gerade an diesem Tage nach dem Abzuge fast aller deutscher Truppen jeden Widerstand aufzugeben. In Palästina mit den Türken abzurechnen, war vor allem ein englischer Wunsch. Der entscheidende Erfolg ergab sich aus der völligen Erschöpfung und Desorganisation der Türken. Auf allen drei Kriegsschauplätzen konnte der Marschall Foch keinen wesentlichen Einfluß entwickeln. - Seine Verdienste beschränkten sich also auf die belgisch-französisch-englisch-amerikanische Front in Frankreich. So groß sie für den Endsieg der Entente sind, so wird die nüchterne Betrachtung seiner Taten kaum zu dem Urteil führen, daß er ein Anrecht zur Eingliederung in die großen Feldherren der Kriegsgeschichte sich zu erwerben Gelegenheit gefunden hat. Foch scheint das selbst zu fühlen. In einem bei der französischen Psyche besonders verständlichen Ehrgeiz hätte er gern auch nach Friedensschluß irgendeinen Anlaß benutzt, um an der Spitze überlegener Massen in Deutschland einzumarschieren. Diese Möglichkeit ist ihm insofern genommen, als er höchstens einen militärischen Spaziergang mangels eines Gegners durch Deutschland machen könnte. Es ist zweifelhaft, ob er so kleinen Geistes war, um daran Gefallen zu finden.

Ein rein sachliches Urteil, das nicht durch Schmeichelei oder Chauvinismus getrübt ist, die Hergänge im Zusammenhange zu betrachten sich bemüht, kann unmöglich zu einem anderen Urteil kommen.

In der französischen Literatur über den Weltkrieg ist bisweilen dem Marschall Foch als ein wesentliches Verdienst, als ein Ausgangspunkt für seine Erfolge angerechnet, daß es ihm gelungen sei, die deutsche Heeresleitung und die nach- [596] geordneten Heeresgruppen und Armeen zum Verbrauch der Reserven zu veranlassen. Es liegt darin ein Vorwurf, als ob die Deutschen nicht mit den Reserven hausgehalten, sie vorzeitig vergeudet hätten. Diese Bemängelung scheint unzutreffend; ob hier und da eine Division verfrüht aus der Front gezogen, die wohl noch länger in vorderster Linie verwendbar gewesen wäre, läßt sich nicht entscheiden. Im allgemeinen wurde aber überaus sparsam mit den Kräften gewirtschaftet, viele Notschreie um Unterstützung oder Ablösung sind mit Recht aus höheren Rücksichten ungehört verhallt. Es war das Verhängnis der Deutschen, daß nach dem ersten großen Rückschlage, beginnend am 18. Juli, namentlich seit Anfang August, die operative Vorhand verlorengegangen war. Eine nachträgliche Kritik kommt deshalb an dem Urteil nicht vorbei, daß durch baldige Aufgabe des ausspringenden Bogens gegen Amiens und Rückzug auf die Siegfried-Stellung sich eine angemessene Erhaltung der deutschen Kampfkraft erzielen ließ, also das in größerem Maße zu wiederholen, was sich im Frühjahr 1917 gut bewährte. Es wäre ein radikaler, von den davon betroffenen Armeen als Kleinmut empfundener und deshalb schwer zu fassender Entschluß gewesen; er hätte auch auf die Verbündeten verhängnisvoll gewirkt, aber anderseits dem Gegner wieder einen gründlichen Strich durch seine Angriffsentwürfe gemacht. Daß sich selbst ein Feldherr von der Tatkraft eines Hindenburg-Ludendorff dazu nicht durchgerungen habe, beweist nur, wie schwierig dieser Entschluß gewesen ist. Wenn er nicht gefaßt wurde, so kann dies zwar die nachträgliche Beurteilung als ungünstig bemerken, daraus aber ein vertretbares Verschulden der Obersten Heeresleitung ableiten zu wollen, wäre töricht.

Wenn im weiteren Verlauf der Sommer- und Herbstkämpfe operativ weiter von der Hand in den Mund gelebt ist, so hat dabei die Überschätzung der eigenen Widerstandskraft im Vergleich zu den Angriffsmitteln der Gegner wohl eine Rolle gespielt. Als dann der Notenwechsel mit Wilson begann und die Möglichkeiten eines Waffenstillstandes näherrückten, mußte der Versuch gemacht werden, noch möglichst viel vom feindlichen Boden in der Hand zu behalten, um dadurch die Verhandlungen zu beeinflussen.

Am 26. Oktober trat der General Ludendorff, der nicht nur als Gehilfe des Feldmarschalls, sondern als mitverantwortlicher Erster Generalquartiermeister tätig gewesen war, zurück, und der Generalleutnant Groener kam an seine Stelle. Ludendorff fiel zum Schaden der Sache dem Verlangen des Prinzen Max von Baden und der ihn beeinflussenden Parlamentarier zum Opfer. Selbst die sehr geringe Sachkenntnis dieses Reichskanzlers auf allen Gebieten hätte doch zum Verständnis dafür genügen sollen, daß ein Personenwechsel in diesem entscheidenden Moment des Krieges das Fehlerhafteste war, was überhaupt geschehen konnte. Der Gedanke, durch Preisgabe Ludendorffs mit seiner Tatkraft, und auf diese kam es jetzt vor allem an, den Radikalismus willfährig zu machen, sollte sich, wie alles, was der Reichskanzler politisch anfaßte, als ein Phantom erweisen. [597] - Wollte man Ludendorff für begangene Irrtümer, selbst Fehler, verantwortlich machen, so hätte doch die Frage nahegelegen, ob er oder irgendein anderer Erster Generalquartiermeister geeigneter gewesen wäre, sie gutzumachen oder wenigstens aus der schwierigen Lage herauszuholen, was noch möglich war. Wenn es aber jemand war, so kaum ein General, der aus dem Osten kam, der bei den schweren Kämpfen auf dem westlichen Kriegsschauplatz nie in verantwortlicher Stellung tätig gewesen war, ihnen also im wesentlichen fremd gegenüberstand. In der Armee war der General Groener nur bekannt als guter Feldeisenbahnchef, als Leiter des Kriegsamts und vielfach wegen seiner Nachgiebigkeit der Sozialdemokratie gegenüber kritisiert. Vor allem fehlte ihm das unbedingt nötige Vertrauen der nachgeordneten Kommandostellen. Und gerade dies besaß Ludendorff in hohem Maße trotz der eingetretenen schweren Rückschläge. Bei der Beseitigung Ludendorffs haben politische Gründe eine entscheidende Rolle gespielt, auf die diese militärische Schilderung der Ereignisse nicht eingehen soll.

Die Ausdauer, mit denen die Deutschen mehr als vier Jahre im Grabenkriege einem an Zahl wie an Kriegsmaterial stark überlegenen Feinde die Stirn geboten haben, verdient die Bewunderung aller Zeiten. Die Rückzugskämpfe wurden mit einer kaum jemals übertroffenen Zähigkeit geführt. Auch die erbitterten Feinde Deutschlands werden dies, wenn auch noch nicht heute, so doch in einer späteren Zeit zugeben müssen.


16 [1/591]Revue militaire générale, August 1922, Seite 624. ...zurück...

17 [1/592]v. Kuhl, Der Weltkrieg im Urteil unserer Feinde. ...zurück...

18 [1/594]Am angeführten Ort. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte