Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 9: Die Schlußkämpfe an der
Westfront,
August bis Oktober 1918 (Forts.)
General der Infanterie Hans v. Zwehl
4. Der große Schlußangriff des Marschalls
Foch.
Einleitung.
In der zweiten Hälfte des September schien sich die allgemeine Lage an der
deutschen Westfront wieder zu befestigen, eine Rückkehr zu dem
Stellungskriege ohne plötzliche Entscheidungen einzutreten. Am 18.
September hatten zwar die Engländer in der Gegend von Havrincourt8 durch Entfaltung zahlreicher frischer
Divisionen einen örtlichen Erfolg erringen, in einem Stück der
Siegfried-Stellung festen Fuß fassen können, in den nächsten
Tagen wurden aber die Angriffe nicht fortgesetzt. Auch bei St. Quentin, wo
zwar kleinere Kämpfe nicht aufhörten, bei denen die schöne
Stadt vollends in Trümmer ging, entstand eine Pause in den
Großkämpfen. Zwischen Aisne und Aillette griffen die Alliierten
zwar mehrfach, aber erfolglos an. Im Raume östlich Reims und in dem
Höhengelände nördlich Prosnes, sowie an der Front
Souain - Massiges schienen die Alliierten mit den Vorbereitungen zu
einem größeren Angriff beschäftigt. Zwischen den Argonnen
und der Maas herrschte völlige Ruhe, und die deutsche Oberste
Heeresleitung rechnete dort mit keinen Unternehmungen des Gegners. Dagegen
glaubte sie solche zwischen Maas und Mosel annehmen zu können. Dabei
konnte möglicherweise ein Übergreifen auf die Front zwischen
Mosel und Seille erfolgen. An der Vogesenfront und im Sundgau ließ sich
eine Entspannung der Lage durch Fortziehen verschiedener Verbände des
Gegners erkennen. Mancherlei Meldungen, daß die Engländer eine
Flottenunternehmung gegen die belgische Küste planten, daß die
Sperrversuche gegen die deutsche Unterseebootsbasis bei Zeebrügge
geplant sein könnten oder daß zur Bedrohung der rechten deutschen
Heeresflanke in Flandern Landungsversuche bevorstünden, maß die
Oberste Heeresleitung zu dieser Zeit keine Bedeutung bei. (Siehe S. 526.)
Im ganzen ließen sich über die gegnerischen Absichten keine klaren
Anschauungen gewinnen, wie es nach der ganzen Lage, nachdem die taktische
wie operative Vorhand verloren war, auch nicht anders sein konnte.
[569] Auf deutscher Seite
wurden die Schwierigkeiten einer Abwehr der zahlenmäßig stark
überlegenen gegnerischen Kräfte keineswegs unterschätzt.
Mitte September ergingen deshalb Anordnungen, rückwärtige
Stellungen hinter der Kampffront auszubauen. Vor allem sollte eine starke
Stellung zwischen der holländischen Grenze nördlich Gent auf
Tournai,9 mit einer vorgeschobenen Linie
an der Lys als Gent - Hermann-Stellung errichtet werden. Von
Tournai zog sie sich über
Condé - Le Cateau auf Guise und von da
südöstlich umbiegend auf südlich
Marle - Rethel - Vouziers als
Hunding - Brunhild-Stellung nach der Maas in der Gegend von
Consenvoye. Eine besondere Wichtigkeit wurde der
Antwerpen - Maas-Stellung von Antwerpen über
Alost - Charleroi - Charleville - Sedan und dann weiter
dem Laufe der Maas folgend beigemessen. Diese großen Arbeiten
wären nur beim Vorhandensein starker Arbeitermassen, reichlichem
Baugerät und Baustoffen in längerer Zeit zu leisten gewesen. Es
wurden auch besondere Baustäbe aus der Kampffront gezogen; da aber
übrigens alles andere fehlte, kam es zu wenig mehr als Erkundungen und
Linienführungen auf der Karte. Die Arbeiter hätten, wenn sie
frühzeitig aus dem Osten und der Heimat herangezogen worden
wären, vielleicht etwas leisten können. Der Heranziehung aus
Rußland standen aber andere Notwendigkeiten entgegen: Aus der Ukraine
Getreide, Futtermittel und Vieh herauszuziehen, was nur bei angemessener
Besetzung möglich war. Ob in dieser Hinsicht zwischen den harten
Forderungen der Kriegslage im Westen und der Erfüllung von
Wünschen namentlich seitens Österreichs im Osten immer die
richtige Wahl getroffen ist, wird eine kaum zu entscheidende Frage bleiben.
Jedenfalls konnte in der verfügbaren Zeit und bei den beschränkten
Mitteln im Stellungsbau nichts Wesentliches geleistet werden. Schließlich
war noch eine sogenannte "Grenzstellung" zwischen der
holländisch-preußischen Grenze am Maastrichtzipfel über
Luxemburg - Metz an die lothringische Front vorgesehen, die eine
Rolle aber nicht mehr gespielt hat.
Für den Marschall Foch war der Augenblick der Durchführung einer
großen, den Krieg entscheidenden Offensive auf der ganzen deutschen Front
von Verdun bis zum Meere gekommen. Die allgemeine Gliederung seiner Armeen
war folgende:
Auf dem Nordflügel, Dixmuiden gegenüber, standen die belgischen
Divisionen unter General Gillain, im Laufe der Kämpfe trat die 6.
französische Armee unter Degoutte hinzu. Südlich
anschließend folgte die 2. englische unter General Plumer bei
Ypern - Bailleul, die 5. englische unter dem General Birdwod bei
Estaires, die 1. unter General Home zwischen Béthune und Arras, die 3.
unter General Byng bei Bapaume und die 4. englische unter General Rawlinson
beiderseits Péronne. So weit die
belgisch-englisch-französische Front, an die sich die französische
südwärts der Somme anschloß, mit der 1. französischen
[570] Armee Debeney bei
Roy, der 3. französischen Armee Humbert mit einer schmalen Front bei
Noyon, der 10. französischen Armee Mangin bei Soissons, der 5.
französischen Armee Berthelot, später Guillaumat, zwischen Fismes
und Reims, die 4. französische Armee Gouraud an der Champagnefront und
schließlich bei Verdun die in der Hauptsache aus Amerikanern bestehende
Armee des Generals Pershing. Als Heeresgruppenführer der
Engländer war nach wie vor der General Haig tätig, die
französischen Armeen des linken Flügels bildeten die Heeresgruppe
Fayolle, diejenigen des rechten Flügels die Gruppe Maistre. An der
zunächst bei den großen Kämpfen wenig beteiligten
Vogesenfront befanden sich die 8. französische Armee Gérard und
die 7. französische Armee Baucheron de Boissoudy, mit dem
Heeresgruppenführer General de Castelnau. Überall bestand engste
Fühlung der sich gegenüberstehende Parteien. Auf die schwachen, in
die französisch-englischen Truppen eingegliederten italienischen Truppen
braucht nicht näher eingegangen zu werden, da sie keine erhebliche Rolle
bei den Kämpfen gespielt haben. Über die portugiesischen Truppen
fehlten in diesem Stadium des Krieges nähere Nachrichten. Sie scheinen
nach der Niederlage am 9. April bei Armentières 1918 entweder ganz
zurückgezogen oder an einer unwichtigen Stelle der Front verwendet
worden zu sein.
Trotz der Erfolge im Juli und August und der sich immer mehr entwickelnden
amerikanischen Hilfe waren die Ententemächte keineswegs überall
unbedingt bereit, die große Offensive in der zweiten Hälfte des
September fortzusetzen. Namentlich in England hielt man die deutsche
Widerstandskraft noch keineswegs für gebrochen,10 die Infanterie hätte zwar in
ihrer Angriffsfähigkeit gelitten, die Unterführer zeigten sich weniger
gewandt, aber Maschinengewehre und Artillerie leisteten noch immer
Vorzügliches. - Da die Amerikaner noch in der Ausbildung
zurück, in der Verwendung größerer Massen ungewandt
waren, erwog das englische Kriegskabinett, ob es nicht vorteilhafter wäre,
einen großen, allgemeinen Angriff und damit die Entscheidung des Krieges
bis zum Frühjahr 1919 hinauszuschieben. Dabei mag die Hoffnung
mitgesprochen haben, daß Deutschland dann im Innern zusammenbrechen
werde. England scheint also über die Lage in Deutschland besser
unterrichtet gewesen zu sein, auch den Zusammenbruch Österreichs,
Bulgariens und der Türkei vorausgesehen zu haben, hatte auch keine
große Lust die schweren Verluste des Jahres 1917 in Flandern und in der
Pikardie von neuem auf sich zu nehmen.
General Haig scheint sich diesen Gedankengängen nicht angeschlossen, die
alsbaldige Fortsetzung des Angriffs gewünscht zu haben, was vor allem
militärisch gerechtfertigt war. Es kam für die Alliierten darauf an,
den Gegner nicht zur Ruhe kommen zu lassen, den bei ihm nach zwei
verlustreichen großen Kämpfen eingetretenen
Kräfterückgang auszunutzen. Ferner war nicht zu übersehen,
ob sich im Laufe eines halben Jahres und mehr nichts in politischer Hinsicht
ändern, [571] die in Frankreich nur
mühsam unter den Aussichten der amerikanischen Hilfe aufrechterhaltene
Kampflust verflüchtigen würde.
Die gegen Ende September beginnende große Schlacht setzte sich zwar aus
in inniger Wechselwirkung stehenden Kämpfen auf den verschiedenen
Teilen der Front zusammen, aber sie lassen sich, vom rechten Flügel der
Entente beginnend, gliedern in solche zwischen der
Maas-, der Argonnen- und Champagnefront, den Angriffen auf die
Siegfried-Stellung und schließlich die Kämpfe in Flandern,
Nordbelgien, Ypern und gegen die 4. deutsche Armee.
Die Kämpfe an der Maas-,
Argonnen- und Champagnefront.11
Im September hielt der Zustrom der amerikanischen Truppen unvermindert an. Es
wurden täglich 6000 bis 8000 Mann von den französischen
Ausschiffungshäfen mit rund 20 000 Tons Material in das Innere
Frankreichs oder an die Front befördert. Dieser Kräftezuschuß
in Verbindung mit dem Erfolg von St. Mihiel ermöglichte die
Zuweisung eines erheblich größeren Operationsgebietes. Den
Amerikanern fiel zunächst der Angriff bei Verdun, und zwar von der Maas
bis westlich durch die Argonnen zu. Er begann am 26. September, während
die Franzosen gleichzeitig westlich der Argonnen zum Angriff schritten.
Bei dieser Anlage der Schlacht auf dem rechten Flügel ihrer Kampffront
mag für die französische Heeresleitung der Gedanke bestimmend
gewesen sein, daß durch die Amerikaner eine Durchschneidung der
deutschen rückwärtigen Verbindungen erzielt werden könnte,
wenn es auf den alten Schlachtfeldern in der Champagne nicht gelingen sollte,
schnelle Erfolge zu erzielen, sondern höchstens ein mühsames, ganz
allmähliches Zurückdrücken der Deutschen, wie bei den
Angriffen im August, zustande käme. Es war also den Amerikanern die
Hauptarbeit auf dem wichtigen rechten Flügel der Alliierten zugewiesen.
Auch die vergeblichen Anstrengungen der früheren Jahre, in der
Champagne die deutsche Front zu durchbrechen, wiesen auf diesen Weg. Weshalb
aber nicht schon früher ein großer Angriff aus Verdun heraus
geführt wurde, um von dort die wichtige deutsche Verbindungslinie aus
Metz - Diedenhofen mit ihren Verzweigungen abzuklemmen, das
Plateau von Briey wiederzugewinnen, ist nicht klar geworden. Vielleicht haben
dunkle Vorstellungen und Erinnerungen an die verhängnisvollen Ereignisse
von Metz im Jahre 1870 dabei eine Rolle gespielt.
Die amerikanischen Kräfte wurden zwischen der Maas und den
ausgedehnten Waldgebieten der Argonnen unter Führung Pershings
bereitgestellt. Zum Teil waren sie schon in den Kämpfen bei
St. Mihiel verwendet, dort aber jetzt entbehrlich, zum anderen Teil waren
es frisch eingetroffene Verstärkungen. - Pershing hatte die
Vorbereitungen für seine neue Aufgabe gleichzeitig mit derjenigen bei
St. Mihiel begonnen und, nachdem diese am 12. September gelöst,
[572] ergänzt. Er hatte
eine Division auf dem rechten Maas-Ufer an der Côte de Talou,
anschließend auf dem linken (östlichen) Ufer bis zum Westrand der
Argonnen elf seiner starken Divisionen in erster Linie entwickelt. Dahinter
standen als verwendungsbereite Reserven noch drei frische
Divisionen. - Die Ausstattung mit Artillerie war sehr reichlich. Außer
den in den Abschnitten von Verdun, an der Maas, an der Aire und weiter westlich
in Batterie befindlichen 340 Geschützen schweren Kalibers und 40
Eisenbahngeschützen von 30,5 cm bis 40 cm hatten die
Amerikaner in ihren Korps- und Divisionsartillerien noch rund 2400
Geschütze, davon über die Hälfte schweren Kalibers, die
Grabenkanonen und Grabenmörser ungerechnet. Zur Abgabe von
Sperrfeuer oder systematischer Beschießung der gegnerischen Linien
wären auf jedes Geschütz, eine gleichmäßige
Feuerverteilung angenommen, also nur 10 m Breite, bei der zugewiesenen
Front von rund 24 km Ausdehnung gekommen. Diese reichliche
Ausstattung mit Artillerie war durch Abgaben von den östlich und
südöstlich anschließenden Verbänden erzielt worden,
was aber nicht hinderte, mit den dort verbliebenen Geschützen beim Beginn
der Schlacht ein starkes Feuer aufzumachen. - Die zur Durchführung
des Kampfes bestimmten amerikanischen Divisionen erster Linie, soweit sie nicht
schon vorher eingesetzt gewesen waren, erschienen erst in der Nacht vor dem
Angriff in ihren Stellungen, bis dahin hatten die Franzosen in ihren anders
gefärbten Uniformen die Besetzung behalten; man wollte vermeiden,
daß die Verwendung der Amerikaner an dieser Stelle vorzeitig bekannt
wurde.
Westlich anschließend griff die 4. französische Armee unter Gouraud
mit schätzungsweise 40 Divisionen bis zur Suippes an, wodurch sich die
Kampffront auf 70 km erweiterte.
Über die Dauer des vorbereitenden Artilleriefeuers hatte der
französische Oberbefehlshaber keine Bestimmungen getroffen, in der
Annahme, daß bei der Ausdehnung des Schlachtfeldes keine einheitlichen
Festsetzungen angezeigt wären. Gouraud befahl ein
Vorbereitungsschießen von sechs Stunden, Pershing wollte sich mit drei
Stunden begnügen, ließ aber auch seinen Unterbefehlshabern freiere
Hand. Nach deutschen Angaben soll das Feuer etwa zehn Stunden lang mit
großer Heftigkeit an den meisten Stellen angehalten haben, ehe der
Infanterieangriff einsetzte.
Wie schwierig es manchmal, wenn nicht besondere glückliche
Zufälle helfen, ist, in die gegnerischen Absichten einzudringen, beweist,
daß die deutsche Oberste Heeresleitung an dieser Front nur drei bis vier
amerikanische Divisionen vermutete. Die Folge davon war, daß der Angriff
die deutsche 5. Armee und das linke Flügelkorps der 3. Armee wenn auch
nicht unvorbereitet, so doch überraschend traf. Die Amerikaner waren
namentlich von vornherein in der vordersten Linie stark
überlegen, denn es gelang auf deutscher Seite erst am zweiten Kampftage,
dem 27. September, zwischen der Aire und der Maas sieben [573] zum Teil schwache
Divisionen einzusetzen; auch wurde es schon damals und in der Folge noch mehr
nötig, die eintreffenden Verstärkungen tropfenweise in die schon
stark bedrängte Front einzuschieben.
Am Morgen des 26. September drangen die Amerikaner nach hartem,
wechselvollem Kampfe in die deutsche Hauptwiderstandslinie ein,
bemächtigten sich der ausgedehnten Waldstücke von
Cheppy - Avocourt - Malancourt, überschritten den
Forges-Bach und gewannen die allgemeine Linie
Jory - Montfaucon - Dannevoux. Vorwärts davon
blieben nur wenige Maschinengewehrnester noch in deutschem Besitz.
Gegenstöße, von Nautillois und Vilosnes sur Meuse aus
geführt, verliefen erfolglos. Kleinere
Ablenkungs- und Täuschungsangriffe hatten die Amerikaner gleichzeitig
auf dem Ostufer der Maas geführt. Hier wurde aber überall die
deutsche Front gehalten, auch diejenige der 1. k. u. k. österr.
Division bei Brabant und Haumont. Am 27. und 28. September drückten
die Amerikaner westlich der Maas weiter vor, so daß am Abend dieses
Tages die Deutschen bis auf die ungefähre Linie
Cierges - Brieulles an der Maas zurückgedrängt
waren.
Westlich der Argonnen konnte Gouraud gegen die deutsche 3. Armee (die
östlichere) und die 1. Armee (die westlichere) ähnliche Erfolge nicht
erringen. Der bevorstehende Angriff war, wenn auch über den Zeitpunkt
des Beginns keine Klarheit bei den Deutschen bestand, in allen Vorbereitungen
erkannt. Die Stellungen waren in jahrelanger Arbeit und in mehreren Linien
hintereinander ausgebaut. Trotzdem verlor allerdings die 3. Armee auf ihrem
linken Flügel unter dem Druck starker Tankmassen und von
Fliegerschwärmen etwas Gelände vor der Hauptwiderstandslinie und wich
bis in die Gegend von Ripont und darüber hinaus etwa
1 - 2 km zurück. Bei der 1. Armee konnte aber selbst
das Vorfeld behauptet werden. Die westlich anschließende 7. Armee
leistete an die übrigen Armeen erhebliche Abgaben; sie wäre deshalb
nicht imstande gewesen, einen Großangriff mit Aussicht auf Erfolg
anzunehmen, und wurde hinter die Aisne zurückgenommen.
Während der nächsten Tage gingen die Kämpfe auf der ganzen
Front von der Maas bis über Reims hinaus mit ununterbrochener Heftigkeit
weiter. Ende September entstand bei den Amerikanern eine Kampfpause, die aber
schon am 4. Oktober endete. Bis zum 10. Oktober brachten sie den ganzen
Argonnerwald in ihren Besitz und schoben den linken Flügel bis in die
Gegend vor, wo die Aire sich in die Aisne ergießt. Weiter westlich
bemühten sich die Franzosen aber vergebens, bei Monthois vorzudringen
und die Waldzone von Somme Py zu
durchschreiten. - Längs des Westufers der Maas hatten die
Amerikaner keine schnelleren Fortschritte gemacht; es wird dabei das vom
Ostufer eingreifende Flankenfeuer der Deutschen eine Rolle gespielt
haben. - Am 8. Oktober begann aber auch auf dem Ostufer der Maas der
amerikanische Angriff. Nach einstündigem schlagartig einsetzenden
Artilleriefeuer von der Maas bis zum Walde von Wavrille begann um 6 Uhr der
Angriff, der die 1. k. u. k. Infanterie- [574] Truppendivision
durchbrach. Es gelang, das Vordringen in einer rückwärtigen
Stellung bei der Kronprinzenhöhe aufzufangen, sie ging aber am folgenden
Tage verloren, wodurch allerdings eine Ausschaltung des flankierenden Feuers
vom rechten Maas-Ufer noch nicht vollständig erreicht wurde. Die Lage
blieb aber für die Deutschen im hohen Grade gespannt.
Die 4. französische Armee verfolgte neben der allgemeinen Aufgabe der
Zurückwerfung des Gegners den weiteren Zweck, das deutsche
Stellungsgebiet in dem Höhengelände von Moronvilliers
östlich Reims zu isolieren, von Osten her zu bedrohen. Der Angreifer
konnte hier andauernd frische Divisionen in das Gefecht bringen, immer wieder
von starken Artilleriemassen, Tankgeschwadern und zahlreichen Fliegern
unterstützt. Es wurde nach wie vor der linke Flügel der 1. und die
ganze 3. Armee, namentlich diese, berannt. Wenn hier der deutsche Widerstand
im wesentlichen nach wie vor ungebrochen blieb, so war das wiederum dem
planmäßigen Ausbau starker Stellungen in dem seit vier Jahren so oft
umstrittenen Gelände zu danken. Aber schließlich war es doch
unmöglich, überall eine festgegliederte zusammenhängende
Kampflinie zu erhalten, oft bildeten nur einzelne Maschinengewehrnester das
Gerippe, an dem die französischen Angriffe zerschellten. Hatte diese
schließlich das gegnerische Artilleriefeuer zerschlagen, und war dem
Angreifer das Gelände überlassen, so fehlte es an genügenden
frischen Verbänden, um zu den damals als das Abwehrmittel angewendeten
Gegenstößen und Gegenangriffen zu schreiten.
Das alles hätte aber noch nicht zu einer rückwärtigen
Bewegung in der Champagne gezwungen, sondern hauptsächlich erforderte
es die Lage an der Argonnerfront und östlich davon bis zur Maas, wo die
Amerikaner mit ihrer überlegenen Kraft die deutsche 5. Armee und die
Divisionen beiderseits des Flusses bedrängten, und wo nicht abzusehen
war, ob es dort den immer mehr sich verzehrenden Divisionen gelänge,
noch lange Widerstand zu leisten. Es wäre damit die Gefahr entstanden,
daß der Rückzug in die
Antwerpen - Maas-Stellung unmöglich werden konnte. Die
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz mußte deshalb einschließlich der
ihr wieder zugeteilten 18. Armee (s. S. 578)
unter einer Rückwärtsschwenkung
am 9. Oktober in die Stellung hinter der Aisne, die sogenannte
Brunhild-Stellung (s. S. 569),
Dercy - Sissonne - Rethel - Semuy, auf
Grand-Pré zurückschwenken. Auch diese schwierige
Rückzugsbewegung vollzog sich, vom Gegner wenig belästigt, in
mehreren Sprüngen. Der von dem Angreifer damit erzielte große
Erfolg war ganz wesentlich dem Vorrücken der Amerikaner an der Maas
zuzuschreiben. Durch die dortigen Kämpfe wurde die deutsche
Champagnefront recht eigentlich aus den Angeln gehoben. Der deutsche
Kronprinz, als Heeresgruppenführer, konnte mit Recht in einem Befehl
betonen, daß an dem Widerstande der 3. Armee der gegnerische Angriff
unter schwersten Verlusten des Feindes gescheitert wäre, und daß nur
die allgemeine Kriegslage dazu zwänge, in eine rückwärtige
Linie zurückzugehen.
[575] Am 9. Oktober gingen
die Kämpfe auf beiden Maas-Ufern in ungebrochener Heftigkeit weiter.
Besonders bedrohlich wurden die starken amerikanischen Angriffe zwischen dem
Ostufer der Maas bis nach Etraye trotz einiger dort eingesetzter deutscher
Reserven. Überall konnten zwar begrenzte deutsche
Gegenstöße angesetzt und dabei örtliche Vorteile errungen
werden, aber das genügte nicht, um dem übermächtigen
Gegner endgültig halt zu gebieten. Ein dringender Antrag des Generals
v. Gallwitz an die Oberste Heeresleitung, ihm von anderen Fronten
Verstärkungen zuzuführen, konnte nicht sogleich erfüllt
werden. General v. Gallwitz betonte, wie sich bald als zutreffend erwies,
die auf dem östlichen Maas-Ufer drohenden Gefahren. Der Schwerpunkt
der Angriffe läge noch auf dem Westufer der Maas, aber der Gegner
hätte mit Recht das Streben, aus seiner beengten Lage in dem Dreieck
Sivry - Caures-Wald - Samogneux herauszukommen und sich
durch Gewinnung der Linie Chaumont - Flabas die Grundlage
für weiteres Vorgehen in nordöstlicher Richtung zu schaffen. Es
wäre eine Verstärkung der feindlichen schweren Artillerie, der
Luftstreitkräfte, Flughäfen, Munitionslager beiderseits der Maas zu
erkennen. Außerdem hielt die Heeresgruppe Gallwitz dafür,
daß die für die gegnerischen Angriffe günstigste Richtung
gegen die Linie Longuyon - Briey ginge, daß die
Armee-Abteilung C einem solchen Angriff in keiner Weise gewachsen
wäre. Vom 11. Oktober ab trafen aber Teile der 3.
Garde-Infanterie-Division, der 15. bayerischen Infanterie-Division, der 1.
Landwehr-Division und der 224. Infanterie-Division ein, so daß die Lage
beiderseits der Maas etwas entspannt erschien. Auf diese Zeit scheint sich eine
Bemerkung des Berichts vom General Pershing, in dem er die langsamen
Fortschritte seines Angriffs begründet, zu beziehen. Er weist darauf hin,
daß die deutsche Führung mehr und mehr erstklassige Divisionen
ihm gegenüber einsetze, daß die Verwendung der Maschinengewehre
und ihre Bedienung durch die ausgezeichneten Veteranen großartig sei. Er
betont auch, daß Deutschland keine demoralisierten Truppen hätte.
Leider waren damals keine erstklassigen Divisionen im Sinne einer
früheren Zeit vorhanden. Pershings Urteil läßt nur erkennen,
daß die wenigen noch vorhandene Offiziere und Mannschaften in
großartiger Weise ihre Schuldigkeit taten und den ungeübten, zwar
schneidig vorstürmenden, aber dem deutschen Soldaten nicht gewachsenen
Amerikanern schwere Verluste beigebracht hatten.
Wochenlang, bis zum Ende des Monats Oktober, gingen die Kämpfe
beiderseits der Maas ohne größere Entscheidungen weiter, aber im
allmählichen Zurückdrängen der Deutschen. Erst Anfang
November gewannen die Amerikaner die allgemeine Linie
Buzancy - Barricourt, nordwestlich von Dun an der Maas. Auf dem
Ostufer drangen sie nur bis nördlich Vilosnes an der
Maas - Réville vor. Am 4. und 5. November begannen die
Übergangsversuche der Amerikaner über die Maas, am 4. ein
kleinerer bei Cléry le Petit (südlich Dun), der abgewiesen wurde,
am 5. ein größerer bei Vilosnes und Milly devant Dun. Unter dem
[576] Schutze starken
Artilleriefeuers und künstlicher Vernebelung gelang es, Infanterie
über den Fluß zu bringen und gegen Osten Gelände zu
gewinnen. Deutsche Gegenstöße konnten das Ostufer trotz einiger
Erfolge nicht mehr vom Gegner säubern. In den folgenden Tagen bildete
sich hier unter fortwährenden heftigen Kämpfen, die die Amerikaner
durch andauernden Nachschub frischer Kräfte nährten und mit
starker Artillerie unterstützen konnten, eine neue Kampffront zwischen
Milly devant
Dun - Murvaux - Fontaines - Réville. Sie
mußte aber schon unter dem Druck des Gegners und da die noch zu
erörternde (s. S. 589)
allgemeine rückgängige Bewegung
hinter die Maas im Laufen war, am 8. November bis in die Linie
Stenay - Baalon - Louppy - Jametz
zurückgenommen werden. Auch hiergegen setzte der Gegner seine Angriffe
fort, er hatte sich auch des Maas-Überganges bei Stenay bemächtigt,
während östlich Verdun und weiter südlich in der
Michel-Stellung nur unbedeutendere Kampfhandlungen sich abspielten. Immerhin
kann das Kriegstagebuch der Heeresgruppe Gallwitz noch am 10. November
melden: "Bei der Armee-Abteilung C griff der Gegner heute den ganzen Tag
über an zahlreichen Stellen an" und kleinere deutsche Erfolge anmerken,
die sich aber nur auf Kämpfe im Vorfelde beziehen. Außerdem ist
dort der Zusatz: An Gefangenen sind eingebracht 1 Offizier, 45
Mann - ein Zeichen, daß die Deutschen, wenn auch nur
beschränkt, doch immer noch angriffsfähig,also sicher noch
widerstandsfähig waren. Die Bemerkung in demselben Kriegstagebuch:
"Ein Geschwader von 11 Flugzeugen überflog das Armeegebiet und warf 3
Uhr nachmittags in Trier Bomben" läßt erkennen, daß bis zum
Kriegsschluß die Franzosen von den ihrerseits begonnene Luftangriffen auf
offene Städte weit hinter dem Kampfgebiet nicht abließen.
Auch westlich bei der 18. Armee hatten die Alliierten über die
Oise-Niederung mit Oise-Sambre-Kanal sich vorgeschoben.
Der Kampf um die Siegfried-Stellung.
(Hierzu Skizzen
2 und 22
auf Beilage und 28, Seite
549.)
Die Angriffe der Alliierten gegen die Siegfried-Stellung
Biache - St. Quentin - La Fère und den
südlichen Anschluß bis zum rechten Flügel der Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz, also die 17., 2., 18., 9. Armee, begann nach kleineren
einleitenden Kämpfen am 27. September und setzte sich mit kaum
unterbrochener Heftigkeit bis zum Ende des Monats fort. Die Gefechte verliefen
in der gleichen Art wie während des ganzen hier betrachteten
Zeitabschnittes. Der Gegner hatte sich schon am 24. September nach Kampf in
Besitz des Geländes bei Pontruet, nördlich St. Quentin,
gesetzt, und am 29. mußte der rechte Flügel der 18. Armee hinter
St. Quentin zurückgenommen werden. Bei der sich schon seit den
Augustkämpfen in einem gewissen Zustande der Schwäche
befindlichen 2. Armee begann der Großkampf ebenfalls am 27. September
mit einer nur kurzen, aber starken Feuervorbereitung. An diesem Tage konnten
die feindlichen [577] Angriffe zwar noch im
allgemeinen abgewiesen werden. Da aber die nördlich anschließende
17. Armee in der Gegend von Graincourt - Flesquières
Geländeverluste erlitten hatte, nahm die 2. Armee den rechten Flügel
schon an diesem Tage etwas zurück.
Die Engländer hatten nämlich beiderseits und namentlich
nördlich Havrincourt stark angegriffen und ihre früheren Erfolge dort
örtlich erweitern können. Die verfügbaren Reserven
genügten nicht, um im Gegenstoß das verlorene Gelände
wieder zu nehmen, deshalb mußte in eine rückwärtige Stellung
zurückgegangen werden, um so mehr, als bei dem Durchbruch ein
großer Teil der Artillerie verlorengegangen war. Am Abend verlief der linke
Flügel der 17. Armee mit dem Generalkommando XVIII. und
XIV. R. östlich Aubencheul - Westrand
Cambrai - Crèvecour und nahm hier Anschluß an die
2. Armee, die von Crèvecour längs des Scheldekanals in der
Richtung auf Le Catelet gehalten hatte.12
In den folgenden Tagen gingen die Kämpfe auf der ganzen Front der 17., 2.,
18. und 9. Armee fort. Sie führten zu keinen größeren
Entscheidungen, aber die Siegfried-Stellung war doch größtenteils
durchbrochen und im Zusammenhang nicht mehr widerstandsfähig.
Die westlich und südwestlich von Lille stehende 6. deutsche Armee hatte,
von kleineren örtlichen Kämpfen abgesehen, Ruhe gehabt. Es sollte
sich bald zeigen, daß in dieser Gegend von den Alliierten keine
Entscheidungen gesucht wurden. Größere Kämpfe
hätten in das Industriezentrum Nordfrankreichs
Lille - Tourcoing - Roubaix und zu dessen völliger
Zerstörung geführt. Es war natürlich, daß deshalb hier
die Gefechte einen mehr demonstrativen Charakter hatten.
Die Oberste Heeresleitung war sich Anfang Oktober des Ernstes der Lage, im
besonderen vor der Heeresgruppe Böhn, voll bewußt. Bei dem
Mangel an Reserven hielt sie es indessen für das einzig Mögliche,
weiter abschnittsweise auszuweichen und den Boden schrittweise zu verteidigen,
in der Erwartung, daß die Verluste des Feindes und die deutschen
politischen Vorschläge die feindlichen Angriffe allmählich
abschwächen würden. Die rückwärtige
Hermann-Stellung war so gut wie gar nicht ausgebaut, es konnten deshalb durch
ein freiwilliges Ausweichen dorthin die deutschen Kampfverhältnisse sich
nicht verbessern. Vorschläge der Heeresgruppe Böhn, schon Anfang
Oktober hinter die Antwerpen - Maas-Stellung auszuweichen,
erschienen deshalb noch nicht annehmbar. Die geringe Beweglichkeit und
große Ermüdung der Truppen, das Fehlen jeder vorbereiteten
Stellung, der Verlust ungeheurer Vorräte des Heeres und des Landes, die
sich nicht ersetzen ließen, konnten das Heer in eine unhaltbare Lage
bringen. Es wurde angenommen, daß der Feind schnell folgen, mit starken
Kräften in Lothringen aufmarschieren und dort einbrechen könnte.
Den Entschluß zum Ausweichen wollte sich die Oberste Heeresleitung
deshalb vorbehalten.
[576a]
Rückzugskämpfe der Westfront 1918.
Bayrische Infanterie erwartet bei Chauny französisches Vorgehen.
|
[576a]
Rückzugskämpfe der Westfront 1918.
Bayrische Kavallerie reitet zur Attacke an bei Chauny.
|
[578] Bei den
Kämpfen Anfang Oktober traten aber weitere
Geländeverluste ein. Namentlich bei der 18. Armee mußte die auf
dem linken Flügel noch gehaltene Siegfried-Stellung aufgegeben werden,
so daß am 12. Oktober die deutsche Linie von westlich Lille über
Douai - Bouchain - Solesmes -
Le Cateau - La Fère auf Laon sich hinzog. Die
Heeresgruppe Böhn wurde am 8. Oktober wieder aufgelöst, die 2.
Armee trat zur Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, die 18. Armee zur
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz. Das Oberkommando der 9. Armee wurde
demnächst herausgezogen, die Gruppen- (General-) Kommandos auf die
18. und 7. Armee verteilt.
Aber trotz dieser dauernden Rückzugsgefechte und der von den Gegnern
regelmäßig mit starken Tank- und Fliegergeschwadern
geführten Angriffe hatten sich in dieser Kampfperiode die Deutschen
keineswegs auf eine passive Abwehr beschränkt. In andauernden
Gegenstößen, vielfach mit guten örtlichen Erfolgen, wurde
dem Gegner, man kann ohne Übertreibung sagen, jeder Fußbreit
Bodens streitig gemacht. Fast täglich bezeichneten die Befehle
höherer Dienststellen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, die sich
in örtlichen Angriffskämpfen durch Tapferkeit und Geschick
hervorgetan hatten. Bei der 2. Armee wurde mit großer Erbitterung bei
Le Catelet gefochten, namentlich am 3. Oktober. An diesem Tage
führten die Engländer frische, starke Truppen mit sehr viel Tanks
und Jagdfliegern dort und südlich des Ortes in den Kampf. Es gelang ihnen
auch, in Le Catelet festen Fuß zu fassen, südlich davon
Gelände zu gewinnen, über Estrées auf Beaurevoir
vorzustoßen und Montbréhain in Besitz zu nehmen. Aber weiterem
Vordringen geboten die Gegenstöße halt. Es gelang, Le Catelet
wieder zu nehmen und noch darüber hinaus die Engländer
zurückzutreiben. Das Kriegstagebuch des
Armee-Oberkommandos 2 nennt als die sich dabei besonders
auszeichnenden Führer den Major Goder, den Rittmeister Frhr.
v. Wangenheim und den Oberleutnant der Reserve Sleuner. Die Offiziere
des Abteilungsstabes II/2.
Garde-Feldartillerie-Regiment bedienten nach starken Mannschaftsverlusten die
Geschütze. Weiter südlich erzielte das I. Bataillon
Reserve-Infanterie-Regiment 87 unter dem Rittmeister Freyer Erfolge.
Erneute feindliche Angriffe wurden sowohl bei Le Catelet wie
südlich davon am Nachmittage noch abgewiesen. Erst am Abend erwies es
sich als unvermeidlich, die Hauptwiderstandslinie hier wieder bis in die Gegend
Westrand Beaurevoir - Montbréhain zurückzunehmen,
nachdem es gelungen war, anreitende englische Kavallerie abzuweisen und stark
zusammenzuschießen. Auch der 5. Oktober war noch ein besonders schwerer
Kampftag für die 2. Armee gewesen. Es wurde eine Nachhutstellung in der
Linie Beauvois - Montigny - Maretz - Bohain
genommen, in der Nacht vom 8. zum 9. Oktober aber der Rückzug in die
angegebene, zum Teil als Hermann-Stellung bezeichnete Linie fortgesetzt.
Gerade dieser zähe, andauernde Widerstand berechtigte zu der Hoffnung,
daß der deutschen Armee es doch noch gelingen würde, in dem
besetzten Belgien [579] dem Feinde
endgültig Halt zu gebieten. Die Annahme war irrig, die Kampfkraft ging
zurück, die Gefechte dauerten auf der ganzen Front weiter an.
Unter diesen sind diejenigen am 23. Oktober in der Gegend von Solesmes
besonders erwähnenswert. An diesem Tage griffen die Engländer
nördlich und südlich der Stadt mit starken Kräften an. Sie
wurden auf 15 größtenteils frische oder aufgefüllte Divisionen
geschätzt, und ein Tagebuch bemerkt dazu, daß dies seit dem starken
Rückschlag am 8. August mit seinen gefährlichen Folgen der
schwerste Kampftag gewesen sei. Angesichts der immer mehr schwindenden
Kampfkraft der Divisionen machte das Armee-Oberkommando der 2. Armee
sowohl die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wie die Oberste Heeresleitung am
24. Oktober darauf aufmerksam, daß die 2. Armee in ihrer letzten
rückwärtigen Stellung in der Gegend des
Mormal-Waldes angekommen sei, und fügte hinzu, daß mit
Rücksicht auf den allgemeinen Zustand der Truppen die Verteidigung
dieses großen Waldabschnittes ernste Bedenken errege. Das
Armee-Oberkommando befürwortete deshalb baldigen allgemeinen
Rückzug in die Antwerpen - Maas-Stellung. Gleichzeitig
wurde eine Entscheidung über die Art der weiteren Verteidigung erbeten.
Damit sollte wohl angedeutet werden, daß das
Armee-Oberkommando zu einer erfolgreichen Fortsetzung des Widerstandes bei
weiteren Großkämpfen das Vertrauen verloren hatte. Am
Nachmittage traf aber auch für die 2. Armee der Befehl ein, das jetzige
Kampfgebiet weiter zu halten und daß nur kämpfend, schrittweise
zurückgegangen werden solle. Das
Armee-Oberkommando sah sich aber doch schon veranlaßt, sein
Hauptquartier von Maubeuge nach Thuin zurückzuverlegen.
Am 30. Oktober verlief die Stellung der 6., 17., 2. und 18. Armee in der Front
Tournai - Valenciennes - Landrecis - Guise und in
südlicher Richtung auf die Serre in der Gegend von
Dercy - Crecy, wo der Anschluß an die 7. Armee von der
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz gewonnen war (s. S. 574). Dem Gegner das
Vordringen über die
Oise-Niederung nördlich von La Fêre zu verwehren, konnte
in Rücksicht auf die sich weiter nördlich abspielenden Gefechte nicht
gelingen.
Die Kämpfe ließen an Heftigkeit an den folgenden Tagen nach,
wesentliche Änderungen in der allgemeinen Frontlinie traten bis zum 4.
November nicht ein.
Es sind noch die auf dem rechten Flügel der deutschen Front bei der 4.
Armee in Flandern während dieser Zeit sich entwickelnden Kämpfe
zu betrachten.
Die Schlacht in Flandern und Nordbelgien.
(Hierzu Skizze 30, Seite 583.)
Am 28. September, 2 Uhr 30 Minuten vormittags, setzte plötzlich
stärkstes Feuer aus allen bis zu den schwersten Kalibern von Land und See
auf die Küste von Ostende nach Westen, wo sich die vom Marinekorps
bedienten schweren Küstenbatterien befanden, ein. Es wurde die ganze
Landfront des Marinekorps [580] und der 6.
Kavallerie-Schützen-Division bis Frezenberg beschossen, auch
Zeebrügge erhielt von See aus schweres Feuer. Gegen 5 Uhr vormittags
schwoll die Beschießung beiderseits Dixmude und Frezenberg,
östlich Ypern, zum Trommelfeuer an. Es dehnte sich südlich bis
Wytschaete aus. Rückwärtige Orte, wie Roulers, Staden, Cortemark,
erhielten schweres Flachfeuer. Alles deutete darauf hin, daß der erwartete
Großangriff beginnen würde. Zur Abwehr standen dem
Armee-Oberkommando 4 zur Verfügung in erster Linie das
Generalkommando des Marinekorps mit 2 Marine- und 1
Landwehr-Division, das Generalkommando des Gardekorps mit 3 Divisionen, das
Generalkommando X. Reservekorps mit 2 Divisionen, das Gardekorps des
Garde-Reservekorps mit 2 Divisionen. Auch hier waren die Divisionen
verschiedenster Herkunft unter bodenständigen Generalkommandos
zusammengestellt. Hinter der Front befanden sich noch als Reserven des
Armee-Oberkommandos, der Heeresgruppe und der Obersten Heeresleitung 8 bis
9 Divisionen. Das Armee-Oberkommando 4 hatte sich unter dem 14. September
schon dahin ausgesprochen, daß die Armee einem etwaigen
Großkampf in infanteristischer und artilleristischer Hinsicht weder nach
Zahl noch Kampfwert ihrer Verbände gewachsen sein würde,
daß auch die Wiedernahme von einzelnen dem Gegner in vorangegangenen
Kämpfen verbliebenen Punkten wegen Mangel an Kräften nicht
möglich gewesen wäre. Zahlreiche Divisionen waren durch die
vorangegangenen und in anderen Gegenden stattgehabten Gefechte
ruhebedürftig. Verschiedene Anzeichen für gegnerische
Angriffsabsichten waren zwar erkannt, aber noch in einem am 27. abends
entworfenen Berichte bezeichnete das
Armee-Oberkommando die Lage als nicht geklärt.
Die Gegner hatten, soweit zuverlässige Nachrichten vorlagen, folgende
Kräfte verfügbar: Die belgische Armee unter General Gillain von der
Küste bis nördlich Ypern, die 2. und 5. englische Armee unter
General Plumer mit einigen zugeteilten französischen Truppen bis
nördlich Bethune; weiter südlich schloß sich die 1. englische
Armee unter Horne an. Auf der Front zwischen der Küste und
Armentières waren etwa 25 bis 28 feindliche Divisionen,
größtenteils Belgier und Engländer, anzunehmen. Im Laufe der
Kämpfe griff noch die 6. französische Armee, Degoutte, ein.
Der Infanterieangriff der Belgier und Engländer begann um 6 Uhr
vormittags in einer Breite von 35 km auf der Front von Woumen bis
östlich Wulverghem. Der Hauptstoß ging gegen die deutsche Front
beiderseits des Houthulster Waldes und beiderseits der großen Straße
Ypern - Menin. Zahlreiche Tanks begleiteten auch hier den Angriff
oder trugen ihn vor.
Schon in den Mittagsstunden hatte der Angreifer nicht unerhebliche Fortschritte
gemacht und am Abend die Linie Dixmude - die Höhen von
Clerken, nördlich Houthulster
Wald - Zonnebeke, nördlich Wytschaete besetzt.
In den Abendstunden erneuerte der Gegner seine Angriffe gegen
Passchen- [581] dale und südlich
nicht ohne kleinere Erfolge. Die Fliegertätigkeit war groß.
Bombengeschwader griffen das rückwärtige deutsche
Kampfgelände an, Jagdketten unterstützten den Erdkampf und
versuchten, starke Luftsperren herzustellen.
Am Abend und in der Nacht wurden verschiedene in Reserve gehaltene deutsche
Divisionen eingesetzt, was eine andere Einteilung der
Gruppen- (General-) Kommandos bedingte.
Wie am 8. August 1918 der große Einbruch des Angreifers an der
Römerstraße auf Fauconcourt schwerwiegende Folgen hatte, so
wirkte hier der schnelle Verlust des Houthulster Waldes verhängnisvoll.
Der Verlauf des Kampfes war auch hier typisch. Es stand dort die in zahlreichen
Gefechten bestens bewährte 13. Reservedivision, allerdings in ihrem
Mannschaftsbestande stark geschwächt, die Bataillone zu 3 Kompagnien
gebildet, in einer Durchschnittsstärke von nur 70 Mann. Die 60 schweren
und 100 leichten Maschinengewehre waren auf eine Front von 5 km
verteilt, konnten aber nicht sämtlich besetzt werde, auch war ein Teil der
Bedienungsmannschaften von dürftiger Ausbildung, im ganzen rund 2000
Mann Infanterie. An Artillerie verfügte die Division über 9
Feld- und 7 schwere Batterien. Eine ausgebaute Stellung, weder in mehreren
Linien hintereinander, noch auch nur eine, war nicht vorhanden, sondern nur da
und dort Anfänge von Schützengräben mit sehr
dürftigen Drahthindernissen und einige betonierte Unterstände aus
einer früheren Zeit. Das ganze Gefechtsfeld war von früheren
hartnäckigen Kämpfen sehr stark zerschossen und verschlammt. Die
Division hatte noch am Tage vor dem Großangriff befürwortet, in
eine etwas rückwärts gelegene Bereitschaftsstellung
zurückzugehen, die, leicht ansteigend, günstigere
Verteidigungsverhältnisse gewährte, hatte damit aber wohl in
Rücksicht auf die Anschlüsse im Norden und Süden nicht
durchdringen können. Da außerdem in der Nacht vom 27. zum 28.
eine andere Division in den Abschnitt eingeschoben wurde, war unmittelbar vor
dem Angriff die ganze Front in Bewegung, was die geregelte
Gefechtsführung sehr erschwerte und unmöglich machte, bis zum
Morgen für die Regimentskommandeure Reserven bereitzustellen. Die
gegnerische Artilleriewirkung war trotz starken Munitionsaufwandes nicht
erheblich, dagegen begannen noch vor Tagesanbruch große Angriffe durch
Fliegerschwärme auf alle Straßen und Ortschaften hinter der Front, so
daß eine Eingreifdivision dadurch stark im Vormarsch verzögert
wurde. Nach wenigen Minuten versagten alle Nachrichtenmittel.
Trotz aller dieser ungünstigen Umstände gelang es, nach Verlust der
vorderen Linie in dem Höhengelände zwischen Clerksen und
westlich Staden festen Fuß zu fassen und einen völligen Durchbruch
der Front, der das rechts anschließende Marinekorps in eine
gefährliche Lage gebracht hätte, abzuwenden.
Im Laufe der nächsten Tage setzten die Belgier, Engländer und
Franzosen ihre Angriffe gegen die Front der 4. deutschen Armee fort. Waren die
Erfolge [582] auch meist gering, so
machten sie doch ein allmähliches Zurückweichen erforderlich.
Daß nicht deutscherseits ein durchgreifender Entschluß zu einem
größeren Absetzen vom Feinde gefaßt wurde, erklärt
sich auch hier aus dem schon mehrfach angedeuteten Verlangen, bei Beginn von
Waffenstillstandsverhandlungen möglichst viel vom feindlichen Gebiet in
Besitz zu behalten.
In den ersten Oktobertagen erreichte die 4. Armee die allgemeine Linie
Cortemark - Roulers - Werwicq. Hier entstand eine
längere Kampfpause, die der Gegner zur Heranbringung von
Verstärkungen, namentlich auch von zwei amerikanischen Divisionen,
Nr. 37 und 91, benutzte. Sie wurden ein starker Faktor bei den weiteren
Kämpfen zur Belebung des Angriffsgeistes der Alliierten. Trotz der
drohenden weiteren Angriffe wurde aber an der Fortsetzung des Widerstandes in
der eingenommenen Stellung festgehalten. Die am 9. Oktober der deutschen 4.
Armee von der Heeresgruppe Rupprecht zugegangene Weisung besagte, im Sinne
der erwähnten Direktion der Obersten Heeresleitung (s. S. 577), daß sich die
Armee bis auf weiteres mit Rücksicht auf die politische Lage behaupten
solle. Für den Fall eines Großkampfes würden ihr
Verstärkungen zugeführt werden. Sollte aber ein Ausweichen
nötig werden, so müsse auf ein sicheres, kampffähiges
Zurückkommen in die
Lys - Hermann-Stellung Bedacht genommen werden. Ferner wurde
die Armee auf die Möglichkeit eines Durchmarsches englischer
Streitkräfte durch Holland hingewiesen. Diese Weisungen waren zwar
durch die große militärpolitische Lage geboten, die Befolgung aber
einem Feinde gegenüber, der frisch zum Angriff einsetzte und nach einem
Erfolge lebhaft nachdrängte, mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
Besonders für die unteren Führer konnte nicht immer die
Möglichkeit vorliegen, solchen Anordnungen gerecht zu werden. Um so
mehr ist es anzuerkennen, daß die 4. Armee im ganzen ihre Aufgabe hat
einigermaßen erfüllen können.
Inzwischen war die Räumung der von dem Marinekorps - 1. und 2.
Marinedivision - seit fast 4 Jahren besetzt gehaltenen und mit schweren
Geschützen bestückten Seefront
Zeebrügge - Ostende - Nieuport eingeleitet worden. Es
ist der Zweifel nicht von der Hand zu weisen, ob es sich empfahl, diese beiden aus
bestem Menschenmaterial zusammengesetzten und durchaus
kampfkräftigen Divisionen so lange an einem ausgesprochen sehr ruhigen
Frontabschnitt zu belassen, anstatt sie, wenn auch nur vorübergehend, in
Großkämpfen, vielleicht alternierend, mit der 3. Marinedivision zu
verwenden. Die menschliche Spannkraft reicht doch nicht aus, um eine im
Vergleich zu allen anderen Teilen der Westfront fast bedeutungslose Stellung
ohne Schaden an moralischer Kraft zu verteidigen. Schon ein sehr kühner
englischer Flottenvorstoß gegen Zeebrügge am 22./23. April 1918,
um die deutsche U-Bootsbasis zu vernichten, hatte nur infolge nicht ganz
ausreichender Aufmerksamkeit etwas Erfolg. Jahrelange, sich als
überflüssig erweisende Spannung löst sich eben überall
schließlich in eine gewisse [583] Gleichgültigkeit
auf. Die Engländer zerstörten damals durch Sprengung eines
U-Bootes Teile der Mole. Die Landung von einigen hundert Mann wurde im
Kampf zwar vernichtet, doch gelang es, zwei mit Zement beladene Schiffe in der
Hafeneinfahrt zu versenken, wodurch einige Unbequemlichkeiten bei der
Ein- und Ausfahrt entstanden. Inwieweit ferner die mobile Flotte gerade die
unbequemen Elemente, jedenfalls nicht die besten, in den
"Schützengraben" abschob, mag dahingestellt bleiben. Es zeigte sich
jedenfalls beim Kriegsende, daß das Marinekorps trotz aller Anstrengungen
des an seiner Spitze stehenden tatkräftigen Admirals aus der Flandernfront
in einer durch den Umsturz stärker gelockerten Form zurückging als
die weit überwiegende Zahl der Verbände des Frontheeres. Die zu
lange Belassung in dem "Capua" der Seefront hat dazu beigetragen.
[583]
Skizze 30: Die Schlacht in Flandern und Nordbelgien.
|
Mit der Räumung der flandrischen Seefront war die dortige
U-Boot-Basis aufgegeben. Es ist natürlich und wurde auch so
deutscherseits eingeschätzt, daß jetzt die Bedeutung des Vormarsches
der belgisch-englisch-französischen Truppen auf
Ostende - Zeebrügge zurücktrat gegen einen
Durchbruch über Thorhout und Roulers. Ein Erfolg in dieser Richtung
mußte sich auf die an der Seefront etwa [584] noch stehenden
Kräfte auswirken. Die Weisung der Heeresgruppe Rupprecht, daß
eine durch Holland gegen den rechten deutschen Flügel geführte
Offensive möglich wäre, schien begründet. Zahlreiche
Nachrichten besagten, daß die Engländer beabsichtigten, die deutsche
Flandernfront durch eine Landung an der Küste, sei es in
Seeisch-Flandern, sei es auf den holländischen Inseln Walcheren oder
Beveland, von rückwärts anzugreifen, wenigstens die Verbindungen
zu bedrohen oder in Unordnung zu bringen. Die Möglichkeit einer solchen
Unternehmung war schon erwogen, als zu Beginn des Jahres 1917 der
unbeschränkte U-Bootkrieg einsetzte und es ungewiß erschien,
welche Haltung das neutrale Holland sogleich oder im Laufe der Ereignisse dazu
nehmen würde. Ferner war unsicher, inwieweit die Alliierten, namentlich
England, die Neutralität Hollands berücksichtigen oder mit ihm nach
dem Vorgange in Griechenland verfahren würden. Wie sich dann Holland
verhalten, ob es, der sanften Gewalt weichend, sich der Entente anschließen
oder unter papiernen Protesten passiv bleiben, oder endlich auf die Seite der
Zentralmächte treten würde, war vollends unklar. Holland hatte eine
Art von Kriegsbereitschaft eintreten lassen. Waffenfähige Mannschaften
hatte es genügend, man schätzte sie auf über eine Million. Die
Artillerie war aber schwach, auch fehlte es an Maschinengewehren. Die
Bestückung der Küstenbatterien war dürftig. Die
verschiedenen Möglichkeiten des holländischen Verhaltens sind bei
der deutschen Obersten Heeresleitung erwogen und zur Grundlage von
Operationsentwürfen gemacht worden. Die Vorarbeiten nahmen den
ungünstigsten Fall an, daß Holland, wenn auch nur dem Druck der
Alliierten weichend, sich diesen anschließen würde. Allgemein ist zu
betonen, daß die Niederlande zwar ihren neutralen Standpunkt streng
gewahrt haben, doch in der Haltung der Offiziere, mit denen im Grenzverkehr
mancherlei Verhandlungen nötig waren, Wohlwollen für die
Deutschen zeigten und auch betätigten. Inwieweit die Bevölkerung,
namentlich in den großen Handels- und Hafenorten mit den mannigfachen
Verbindungen nach England, als deutschfreundlich zu bezeichnen ist, kann
zweifelhaft erscheinen. Sicher wäre es der Regierung schwierig geworden,
namentlich je mehr sich die militärische Lage zum Nachteil der
Zentralmächte wandte, einem Durchmarschversuche von gelandeten
Ententetruppen bewaffneten Widerstand entgegenzustellen und damit offen auf
die Seite der Mittelmächte zu treten. Es war vielmehr auf das Gegenteil zu
rechnen und darauf die Haltung und die Maßnahmen der Deutschen
eingerichtet worden.
In diesem Falle sollte nach Holland ein deutscher Vormarsch in drei getrennten
Gruppen erfolgen: aus dem Rheinland, aus der Gegend von Antwerpen und aus
der Gegend von Gent nordwärts, um dem oder den Gegnern angriffsweise
entgegenzutreten. So bedenklich es war, mit einem glücklichen
Übergang von Terneuzen über die Westerschelde zu rechnen, der
Versuch sollte gemacht werden. Im Herbst 1918 wären dazu aber sicher
keine Kräfte verfügbar gewesen. Es ist bei theoretischen
Betrachtungen über diesen Plan geblieben, weil [585] die Engländer
die Schwierigkeiten einer Landung richtig einschätzten und von ihr
absahen. Wahrscheinlich sollten die in dieser Hinsicht ausgestreuten Nachrichten
nur irreführend wirken, zur Entsendung von Truppen veranlassen, die dann
in der entscheidenden Kampffront fehlten. Trotzdem hatte aber das
Armee-Oberkommando 4 Veranlassung, mit der Möglichkeit eines
Landungsversuchs zu rechnen und brachte dies auch noch am 5. und 12. Oktober
der Heeresgruppe Rupprecht gegenüber zum Ausdruck. Die Armee hielt
sich schon am 12. Oktober feindlichen Großangriffen nicht gewachsen und
betonte, daß sie nur kleineren Teilangriffen mit Aussicht auf Erfolg
entgegentreten könne.
Nachdem sich während der Nacht des 13. zum 14. Oktober die Anzeichen
für einen nahe bevorstehenden allgemeinen Angriff der Belgier,
Engländer und Franzosen verdichtet hatten, setzte 6 Uhr 30 Minuten
vormittags das Vorbereitungsfeuer dazu ein. Im nördlichen Teil der
Stellung von der Küste bis Cortemark war die Beschießung nicht
erheblich, um so stärker bis zum Trommelfeuer auf der übrigen Front
bis Werwicq. Nach einigen Stunden folgte der Infanterieangriff, der auf der
ganzen Front die Vortruppen überrannte; nur in der Gegend von Werwicq
wurden die Alliierten abgewiesen. Am 15. Oktober ging der Kampf weiter. An
manchen Stellen konnte der Angreifer abgewiesen, im Gegenstoß verlorenes
Gelände wiedergewonnen werden, aber es erwies sich doch als nötig,
und die Heeresgruppe Rupprecht befahl demgemäß, in der Nacht zum
16. Oktober die Mitte der Armee in eine vorher vorbereitete Stellung
östlich Thorhout - Roulers und weiter südlich bis
Menin zurückzunehmen und am 17. Oktober bei starkem Drängen
des namentlich durch seine ausgiebige Verwendung mit Tanks
übermächtigen Gegners den Rückzug in die als
Brügge - Thielt-Stellung bezeichnete Linie fortzusetzen. Sie
lief teilweise hinter dem Blankenberghe-Kanal - Westrand
Brügge - Westrand Thielt in der Richtung auf Courtrai. Auf
dem Nordflügel trat das Marinekorps den Rückzug auf Gent an.
Schwierig war bei dieser notwendigen Rückwärtsschwenkung, die
taktisch nur gelingen konnte, weil der Gegner auf dem bedrohten linken deutschen
Flügel immer wieder in seinen Vorstößen hartnäckigen
Widerstand fand, der Abschub des massenhaften wertvollen Kriegsgeräts
aller Art und der Verpflegung. Die Bedürfnisse in dieser Hinsicht waren
nicht nur für das Landheer, sondern namentlich für die Marine
bedeutend gewesen. Obgleich der Wasserweg auf dem
Brügge-Gent-Kanal mitbenutzt wurde, mußte vieles liegenbleiben, ist
dem Gegner in die Hände gefallen, zerstört oder gestohlen worden.
Außerdem war es nötig, in Antwerpen noch alles auf die Bahn zu
verladen, was bei der allgemein schwierigen Transportlage, die sich Ende Oktober
und Anfang November noch verschärfte, bald als ganz
undurchführbar erwies. Mitte Oktober ist auf diesem Gebiete noch viel
geleistet worden, weshalb der Oberbefehlshaber der 4. Armee auch der
Etappen-Inspektion 4 seine Anerkennung auszusprechen Anlaß
nahm.
Die 6. Armee konnte sich, ohne vom Gegner scharf gedrängt zu werden,
der [586]
Rückwärtsbewegung nur anschließen. Am 15. Oktober abends
lief ihre Front von Menin über Lille in Richtung auf Douai. Sie hatte auch
auf dem weiteren Rückzuge die Aufgabe, Verbindungsglied zwischen der
4. und 17. Armee zu bilden, und war dementsprechend erheblich
schwächer - am 14. Oktober 8 Divisionen in 3
Generalkommandos - als die anderen Armeen.
Schon am 17. Oktober fühlten die Alliierten gegen die deutsche Stellung
vor. Im Norden verblieben noch deutsche Nachhuten zwischen Zeebrügge
und Brügge wenig vom Angreifer belästigt, stärker war der
Druck zwischen Thielt und der Lys. Am 19. Oktober machte er sich auf dem
linken Artillerieflügel bei Courtrai und nördlich empfindlich geltend,
wo es dem Gegner gelang, die Stadt zu besetzen, bei Beweren den Fluß zu
überschreiten und sich auf dem Ostufer einzunisten.
Für die Nacht zum 20. Oktober wurde deshalb der schrittweise
Rückzug in die Gent - Hermann-Stellung von Gent hinter die
Schelde über Audenarde - Tournai befohlen. Dort schlossen
sich die Fronten der 6., 17. und 2. Armee über
Condé - Solesmes - Le Cateau auf Guise und
südwestlich Marle an. Das Absetzen vom Gegner vollzog sich bei der 4.
Armee langsam, von ihm kaum belästigt, namentlich auf dem rechten
Flügel und in der Mitte, auf dem linken Flügel drängte er
etwas lebhafter, fand aber in dem gewellten Gelände zwischen Lys und
Schelde überall noch entschlossenen Widerstand. Es verging kein Tag, an
dem nicht von den Deutschen gefangene Belgier, Engländer oder Franzosen
eingebracht werden konnten.
Erst am 31. Oktober hatten die Alliierten ihre Angriffsvorbereitungen so weit
gefördert, daß sie an diesem Tage morgens mit starkem Feuer den
Kampf ernstlich fortsetzen konnten. Zwischen Gent und Denyze wurden die
Vorstöße abgewiesen, östlich und südlich Denyze hatten
sie mehr Erfolg, die deutschen Stellungen wurden hier mehrfach durchbrochen,
weshalb an diesem und den nächsten Tagen der Rückzug in die
Gent - Hermann-Stellung fortgesetzt wurde. Das Marinekorps
verblieb auch jetzt noch westlich Gent. Das
Armee-Oberkommando erachtete diese Stellung für gut
verteidigungsfähig, rechnete zwar mit Fortsetzung der gegnerischen
Angriffe, nachdem die einige Zeit in Anspruch nehmenden Vorbereitungen
getroffen sein würden, glaubte aber trotz der in den letzten Kämpfen
verminderten Stärke auch mit den zur Verfügung stehenden
Kräften diese Stellung längere Zeit halten zu können.
Am 4. November besuchte der Kaiser noch einmal einen größeren
Teil der Divisionen der 4. Armee und ließ ihnen seinen Dank für das
heldenhafte Ausharren in den schweren Kämpfen der vergangenen Wochen
aussprechen. In dem Armeebefehl, der dies bekanntgab, hieß es noch am
Schluß: "Seine Majestät weiß sich eins mit Seinem Heere und
ist gewiß, daß dasselbe in guten wie in bösen Zeiten
geschlossen hinter Ihm stehen wird, um einen gerechten Frieden für unser
Vaterland zu erkämpfen."
[587] In den folgenden Tagen
wurde der westliche Teil von Gent durch die Deutschen geräumt, in der
Mitte der Front der 4. Armee verliefen die Angriffe der Alliierten erfolglos,
dagegen mußte Audenarde aufgegeben werden, und der Gegner konnte sich
an den von den Deutschen besetzten Abschnitt der Zwalm (halbwegs zwischen
der Schelde und der Dender) heranschieben. Auf dem linken, vom Gegner am
stärksten bedrängten Flügel hatte es 10 Tage erfordert, um von
Audenarde bis zur Zwalm, das sind 10 km, Gelände zu gewinnen.
Ein sichtbares Zeichen für die allgemeine Erschöpfung und ein
Beweis, wie der Angriffsgeist in den Reihen der Alliierten zurückgegangen
war.
In Gent zogen am 10. November abends die Belgier mit Musik und Gesang ein;
Versuche, sich den Schelde-Brücken zu nähern, wurden
abgewiesen.
Durch die in den vorstehend geschilderten Kämpfen entstandenen Verluste
war das innere Gefüge der Truppen auf das tiefste erschüttert.
Welche besonderen Umstände dabei mitgewirkt haben, wird im
Zusammenhange (s. S. 609 ff.) zu betrachten
sein. Die Abgänge waren so groß, daß weitere 12 Divisionen (s. S. 558) aufgelöst werden
mußten. Neben der daraus hervorgehenden Abnahme der Kampfkraft
machte sich aber allgemein ein großes Bedürfnis nach Ruhe
bemerkbar. Die Nachrichten über Einleitung von
Waffenstillstandsverhandlungen förderten bei den besten Elementen wohl
die Entschlossenheit zum Durchhalten, bei schwächeren Naturen regten sie
aber stark den Selbsterhaltungstrieb an. - Bei den vielen Verschiebungen
der Truppen, dem immer wieder notwendigen Einsatz, ehe sie wieder
gekräftigt waren, konnte Erholung unmöglich eintreten. Was jetzt
noch vorhanden, in den Bataillonen meist von einer Stärke zu 300 bis 400
Gewehren, auch weniger, war eine Schar von Kriegern, in allen Stürmen
erprobt. Man kann sie durchweg Freiwillige nennen, denn die Möglichkeit,
sich den Gefahren und Entbehrungen zu entziehen, hatte ein jeder vielfach
gehabt.
In einem Schreiben der Obersten Heeresleitung vom 18. Oktober an die Armeen
erläuterte der Feldmarschall
v. Hindenburg seine Auffassung der
militärpolitischen Lage nach den ihm zugegangenen und für
zutreffend gehaltenen Mitteilungen, daß im Innern die Einheitsfront aller
Parteien mit Ausnahme der Unabhängigen Sozialdemokratie und der Polen
im Reichstage gesichert wäre. Dagegen hätte sich ein starker
Gegensatz zwischen dem Präsidenten Wilson und dem Marschall Foch
entwickelt. Wilson wolle einen Rechtsfrieden der Versöhnung und
Verständigung, Foch dagegen eine völlige Demütigung
Deutschlands. Jede Festigung der deutschen Front und der deutschen
diplomatischen Haltung stärke die Stellung Wilsons, jedes Zeichen
militärischer und politischer Schwäche stärke
Foch. - Es wurde demnächst klar, daß bei der diplomatischen
Hilflosigkeit des Präsidenten der Vereinigten Staaten, bei seiner
theoretisierenden, nur durch [588] Phrasen verdeckten
Weltfremdheit, wenn man den Verdacht grober Heuchelei zurückstellen
will, sein Einfluß auf die weiteren Ereignisse in demselben Maße
bedeutungslos wurde, wie die Tätigkeit der amerikanischen Truppen
für die Entscheidung des Krieges zugunsten der Alliierten
maßgebend gewesen ist.
Neben diesen aus der allgemeinen Lage hervorgehenden Ansichten gab es noch
andere, die es als möglich erscheinen ließen, die Gegner
würden von einem allmählichen Zurückdrängen der
Deutschen unter andauernden Kämpfen Abstand nehmen. Es war
nämlich bekanntgeworden, daß der belgische Gesandte in Paris am
12. Oktober beantragt hätte, von weiteren Großkämpfen
abzusehen, weil dadurch notwendigerweise der davon betroffene Teil seines
Landes völliger Zerstörung anheimfallen würde.
Zur Berichterstattung über die Lage an der Front wurden zwei
Armeeführer, die Generale v. Gallwitz und v. Mudra, Ende
Oktober nach Berlin berufen. General v. Gallwitz als Führer der hart
bedrängten Truppen beiderseits der Maas, der General v. Mudra als
Führer der 17. Armee, die seit Mitte des Monats August in fast
ununterbrochenem Kampfe gestanden hatte, waren also vor allem befähigt,
über die Widerstandskraft der besonders mitgenommenen Verbände
ein Urteil abzugeben. Sie haben am 27. Oktober abends dem Kaiser über
die großen Verluste, die andauernden Kämpfe, die Zunahme der
Drückebergerei, die Schädlichkeit der sozialistischen Propaganda
berichtet, daß aber trotzdem vortreffliche Elemente in großer Zahl
vorhanden wären und gehalten werden können, dies auch weiter
möglich, wenn schon auf einen vollen Sieg nicht mehr zu rechnen sei.
Deshalb sei baldiger Rückzug in die
Antwerpen - Maas-Stellung nötig. Wenn sie auch nicht
ausgebaut wäre, gewähre sie doch manche natürliche Vorteile.
Die Truppen könnten hinter ihr die notwendige Ruhe finden. Beide
Generale haben Seiner Majestät empfohlen, wieder mehr hervorzutreten,
als es in der letzten Zeit geschehen. Ein Aufruf an das Volk müsse dem
damaligen Regierungssystem entsprechend von Kaiser und Regierung
gemeinschaftlich ausgehen behufs sicherer Einwirkung auf die linksstehenden
Kreise. Der Kaiser hat den Vorschlägen zugestimmt, die Generale
angewiesen, dem Kriegskabinett Aufschluß zu geben und die
vorgeschlagenen Maßnahmen zu begründen.
Bei der am 28. Oktober stattfindenden Sitzung des Kabinetts, an welcher der
Reichskanzler, Prinz Max von Baden, wegen Unpäßlichkeit nicht
teilnahm, die deshalb der Vizekanzler v. Payer leitete, schien sich Einigkeit
über die Notwendigkeit des Durchhaltens zu entwickeln.
Meinungsverschiedenheiten machten sich nur über den Umfang und die Art
der Mittel geltend. Als aber gegen 1 Uhr mittags der Staatssekretär des
Auswärtigen Solf erschien und ein Telegramm vorlas, nach welchem
Österreich-Ungarn um einen Separatfrieden bei der Entente gebeten
hätte, bemächtigte sich der Stimmung der Beratenden eine starke
Depression. Die Sitzung endete mit dem beklagenswerten Entschluß,
zunächst die [589] Antwort Wilsons auf
die letzte deutsche Note abzuwarten, und falls tödliche oder entehrende
Bedingungen gestellt werden sollte, einen großen Appell an das Volk zu
richten.
Die Generale sind sich nicht im Zweifel gewesen, daß die "timide"
Richtung bei den Beratungen die Oberhand gewinnen würde, obgleich noch
versucht ist, dem Staatssekretär Solf klarzumachen, daß in
Rücksicht auf die noch in Rußland vorhandenen Truppen und die
Größe der Entfernung der Abfall Österreichs sich nicht sehr
schnell in gefährlichem Sinne geltend machen
könne. - Der Gedanke, daß der Gegner unter allen
Umständen die Vernichtung Deutschlands anstrebte und nur durch
Aufbietung aller militärischer Machtmittel davon abzuhalten war, scheint
sich keine Geltung verschafft zu haben. Der Staatssekretär Gröber
hat die Meinung vertreten, Deutschland würde durch Fortsetzung des
Widerstandes die Bedingungen der Gegner nur noch schärfer gestalten, was
General v. Gallwitz mit der treffenden Bemerkung zurückwies: "Sie
werden die allerübelsten Bedingungen erfahren."13
Der allgemeine Befehl zum Rückzuge in die
Antwerpen - Maas-Stellung wurde am 5. November 12 Uhr 40 Minuten nachts
gegeben. Wie die früheren Schilderungen erkennen lassen, vollzog er sich
auf großen Teilen der Kampffront ohne größere Gefechte. Es
entstand an zahlreichen Stellen bald zwischen den kämpfenden Parteien ein
Abstand von Tagemarsch-Entfernung. Die Angreifer waren fast allgemein an der
Grenze ihrer Kraft. Nur an der Maas drängten die Amerikaner noch heftig,
als der Waffenstillstand am 11. November dem großen Völkerringen
mit den Waffen ein Ende machte.
Unter den mannigfachen
Verleumdungen, denen die Waffenehre des deutschen
Heeres während des ganzen Krieges seitens der alliierten und assoziierten
Regierungen ausgesetzt war, sind auch die in dem hier betrachteten
Kriegsabschnitt angeblich begangenen, aus reiner Bosheit und
Zerstörungswut vorgenommenen Verwüstungen während des
Rückzuges zu erwähnen. - Das Gegenteil hiervon ist die
Wahrheit, wie urkundlich zu beweisen ist.14
Schon am 30. September, als mit der Möglichkeit eines weiteren
Rückzuges gerechnet werden mußte, erließ die Oberste
Heeresleitung allgemeine Grundsätze für die Räumung
aufzugebender französischer und belgischer Gebietsteile. Die zahlreichen,
hinter der Front während der vergangenen vier Jahre entstandenen Betriebe
mit den großen Vorräten an Verpflegung und Kriegsmaterial wurden
hinter die Linie Antwerpen - Namur - Sedan
zurückgenommen. Es sollte aber nur [590] das unbedingt Wichtige
abbefördert werden. Was nicht zurückgeschafft werden könnte
und dem Feinde von Nutzen wäre, müßte zerstört
werden. Häuser sollten bis auf weiteren Befehl geschont werden, soweit
nicht rein militärische Gründe es anders bedingten. Eine
planmäßige Verwüstung wurde verboten. Dementsprechend ist
im Laufe des Monats Oktober von den Armeen und den nachgeordneten
Dienststellen, vielfach auch von der Obersten Heeresleitung erneut befohlen
worden. Es liegen auch mehrere Berichte von einer das Rückzugsgebiet
bereisenden neutralen Kommission, und zwar von dem spanischen Gesandten in
Brüssel, Marquis v. Villalobar, und des holländischen
Gesandten Van Vollenhoven vor, die jede absichtliche Verwüstung durch
die Deutschen in Abrede stellen. Ferner haben verschiedene Bürgermeister
sich in gleichem Sinne schriftlich geäußert. Dagegen ist erwiesen,
daß die Alliierten selbst oft weit hinter der Front gelegene Städte, wie
Cambrai, Douai, Valenciennes, Denain, Le Quenois, Vouziers, schon
frühzeitig und planmäßig durch Fernfeuer stark
beschädigt haben. Ganz besonders schonend sind die Deutschen mit Lille
verfahren;15 vielfach hat sich später
erwiesen, daß damit zu weit gegangen, dem Gegner schnelles Folgen
erleichtert worden ist. - Wenn in Einzelfällen trotz aller Befehle
Mißgriffe oder Ungehörigkeiten vorgekommen sind, so kann es sich
nur um solche handeln, die sich im Kriege niemals ganz vermeiden lassen.
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