Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
[545]
Kapitel 9: Die
Schlußkämpfe an der Westfront,
August bis Oktober 19181
General der Infanterie Hans v. Zwehl
1. Die Schlachten bei
Arras - Montdidier. [Hierzu Skizze
28 Seite 549.]
Unter dem 2. August, nachdem die Stellung an der Vesle von der 7. Armee
eingenommen war, teilte die Oberste Heeresleitung den
Heeresgruppenführern die für die weiteren Operationen leitenden
Gesichtspunkte mit und forderte zur Ansichtsäußerung auf. Die
Oberste Heeresleitung betonte, daß sich das deutsche Heer nunmehr auf die
Abwehr einstellen, aber sobald als möglich wieder zum Angriff
übergehen müsse. Es seien nach dem starken Kräfteeinsatz der
Entente zwischen Vesle und Marne in der nächsten Zeit um so weniger
große Angriffe zu erwarten, als der Gegner mit deutschen Gegenangriffen
rechnen würde. Etwaige spätere Angriffe der Gegner könnten
sich naturgemäß gegen alle Teile der deutschen Front richten.
Größere Wahrscheinlichkeit spräche aber für die
Richtung Kemmel (südlich Ypern), gegen die deutschen Stellungen
zwischen Somme und Oise, gegen die Höhenstellung von M[o]ronvillers
(östlich Reims) und gegen einzelne Punkte der Front in
Elsaß-Lothringen. Während dagegen die Abwehr organisiert
würde, sollten die eigenen Angriffsabsichten keineswegs aufgegeben
werden, im besonderen wurde der Angriff in Flandern und beiderseits der Oise
zwischen Montdidier und Soissons, als von neuem aufzunehmen, ins Auge
gefaßt.
Die Ansichten der Heeresgruppenkommandos über die Möglichkeit
der Wiederaufnahme der Offensiven waren geteilt, im besonderen empfahl die
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, den Angriffsgedanken für die Front
Montdidier - Soissons zurückzustellen. Die Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz rechnete mit einer baldigen Fortsetzung der
französischen Offensive durch einen Stoß gegen die 9.
Ar- [546] mee und erkannte
damit zutreffend eine Bedrohung ihrer Vesle-Stellung. Von der Heeresgruppe
Gallwitz wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, mindestens an zwei getrennten
Stellen in unmittelbarer Folge anzugreifen, damit der Mißerfolg an einer
Stelle durch Erfolge an der anderen Stelle ausgeglichen werden könnte.
Allgemein scheint die Oberste Heeresleitung mit einer nahe bevorstehenden
Fortsetzung des gegnerischen Angriffs noch nicht gerechnet zu haben.
Trotzdem begann er schon am 8. August, wie ihn Foch am 24. Juli bei
Erörterung seiner allgemeinen Operationsabsichten für die
unterstellten Armeen ins Auge gefaßt hatte. Er richtete sich gegen den
großen ausspringenden Bogen der deutschen Front bei
Amiens - Montidider, der, wie es die Natur der Lage ergab,
zunächst von zwei Stellen, beiderseits der großen
Römerstraße Amiens - St. Quentin und
anschließend südöstlich Montdidier eingedrückt und
dann durch weitere Angriffe abgeschnürt werden sollte, indem sie sich auf
die nördlich anschließende 17. Armee und die südlich der Oise
stehende 9. deutsche Armee ausdehnten.
Wie schon die aus dem Walde von Villers-Cotterets am 18. Juli vorbrechenden
über 300 Tanks entscheidend zum Erfolge beigetragen hatten, so war dieser
schnell und glänzend entwickelten Waffe auch bei der am 8. August
beginnenden Offensive eine große Wirkung beschieden. Die Tanks wurden
an den für ihre Verwendung geeigneten Frontteilen in großer Zahl
zusammengezogen und zum Durchbruch der deutschen Stellungen losgelassen.
Wenn auch einzelne Kampfwagen der Artillerie oder den Handgranatenangriffen
beherzter Gegner zum Opfer fielen, so gelang doch der Durchbruch an zahlreichen
Stellen, und indem einzelne Tanks nach den Flanken abschwenkten, konnten sie
mit ihrem Feuer weite Strecken aufrollen, während andere weit
rückwärts bis in die zurückgehaltenen deutschen Reserven und
in die Befehlsstände der höheren Führer Verwirrung brachten.
Durch Brieftauben konnten diese neuen Kampfmittel die Verbindung nach
rückwärts aufrechterhalten und sich durch Winkerflaggen
untereinander verständigen. Infanterie und Kavallerie folgten, vielfach
zögernd, den vorwärts rasselnden, feuerspeienden modernen
Ungetümen. Mochte der Aufenthalt in den Wagen unbequem, der Tod,
wenn die Benzinbehälter Feuer fingen, qualvoll sein, es fanden sich
natürlich überall Leute in genügender Anzahl, die
Kriegsmaschine zu bedienen.
In den von der Front, besonders vom Generalkommando 51 erstatteten Meldungen
vom 7. August morgens sowie an den Tagen vorher war bemerkt, daß in der
Nacht stärkeres Motorgeräusch hörbar gewesen sei, auch
lebhafter Truppenverkehr hinter der feindlichen Front beobachtet wäre.
Man hatte die Bewegungen aber für Ablösungen angesprochen. Wie
so oft im Stellungskriege ist hierbei der Wunsch der Vater des Gedankens
gewesen.
Am 8. August, als der verhängnisvolle Unglückstag des deutschen
Heeres anbrach, war das Wetter morgens nebelig, später aufklärend,
Kriegstagebücher [547] vermerkten
+20° Celsius. Kurz nach 5 Uhr setzte ein starker Feuerschlag mit
künstlicher Vernebelung ein, und bald darauf entwickelte sich der
gegnerische Angriff gegen die 2. deutsche Armee. Er traf das
Generalkommando XI mit den Divisionen 43 R, 13, 47, ganz
besonders heftig aber das Generalkommando 51, südlich der
Römerstraße. Hier standen die Divisionen 109, in Ablösung
mit 117 begriffen, 225, 14 B, 192 S. Weiter südlich
schloß sich von der 18. Armee das Generalkommando III mit den
Divisionen 24 S. und 25 R. an.
Der Gegner führte hauptsächlich die rechte Hälfte der 4.
englischen Armee unter Rawlinson dagegen vor, und zwar nach den bei der
deutschen Obersten Heeresleitung vorliegenden Nachrichten die 18. Division, die
2., 4., 5. australische und von der französischen 1. Armee die 42., 66., 15.
Kolonial-, 3., 166., 60. Division. Weitere Divisionen standen dahinter, den
Angriff zu nähren, auch stärkere englische Kavallerie sollte der
Ausnutzung des erhofften Erfolges dienen.2
An der Römerstraße erzielte der Gegner schnell einen
größeren Erfolg, indem er im Laufe des Vormittags bis Fauconcourt,
d. i. 15 Kilometer tief, durchstieß. Auch südlich davon konnte
er bis Vauvillers - Rosières vordringen. Ein Teil seiner
Erfolge wurde ihm zwar im Laufe des Nachmittags durch Gegenstoß wieder
entrissen, die auf Fauconcourt anreitende englische Kavallerie blutig abgewiesen,
immerhin blieb die beim XI. Armeekorps und dem Generalkommando 51
entstandene Einbeulung bis zu 12 Kilometer tief. Die Verluste an Gefangenen,
namentlich an Geschützen, waren nicht unerheblich. Der rechte
Flügel der 2. Armee, auf dem, hinter der Ancre, das
Generalkommando 54 mit den Divisionen 233, 54 WR. und
27 W. stand, war von dem Angriff weniger getroffen, er wurde abgewiesen,
dagegen die links der 2. Armee stehende 18. Armee auf ihrem rechten
Flügel bis an Hangest zurückgeworfen.
Sonach verlief die deutsche Linie am 8. abends in der Linie
Morlancourt - Chipilly - Vauvillers -
Rosières - Hangest - Contoire an der Ayre.
Es ist bezeichnend für die Wirkung der Tanks, daß auf und
beiderseits der Römerstraße der Angreifer am schnellsten bis auf
mehr als 15 Kilometer einbrechen konnte, bis ihn der Gegenstoß wieder
etwas zurückwarf. Auf dieser durch keine Wasserläufe
unterbrochenen Fläche waren die Verwendungsmöglichkeiten der
Tanks besonders gegeben. Nördlich der Somme betrug der
Geländegewinn nur 2 bis 3 km, südlich des
Luce-Baches aber schon 8 bis 10 km. Daß es dem Gegner unschwer
war, in dem Winkel zwischen Somme und Avre die Tanks in großer Zahl
heranzubringen, leuchtet nach dem Gelände ohne weiteres ein. Der dort
errungene Vorteil wurde dann aber vom Angreifer dadurch ausgenutzt, daß
er seinen Vorstoß mit hinteren Staffeln beiderseits Harbonnières in
südöstlicher Richtung fortsetzte, gegen den
Luce-Bach vorging und dadurch die [548] vorspringende Spitze
der deutschen Stellung in Flanke und Rücken bedrohte. Das
Generalkommando 51 befahl deshalb auch berechtigterweise die Aufgabe
der an sich hier hinter der Avre gut gesicherten Stellung bei Moreuil. Bei der
gegnerischen Umfassung hatte namentlich die 109.
Infanterie-Division schwere Verluste. Bezeichnend ist, daß bei diesem
ersten entscheidenden Einbruch weniger Engländer und Franzosen die
Kastanien aus dem Feuer holten als die Australier und eine französische
Kolonial-Division, Truppen, die zumeist noch nicht durch den jahrelangen
Grabenkrieg zermürbt waren.
Am 9. August vormittags ruhte der Kampf vor einem großen Teil der
Einbruchsfront der 2. Armee; der Gegner mußte außer der
Munitionsergänzung, vielleicht der Ablösung einzelner
Verbände, eine Umgruppierung seiner Artillerie vornehmen, dagegen
setzten frühzeitig auf die Nahtstelle zwischen der 2. und 18. Armee heftige
Angriffe unter starkem Trommelfeuer ein, wobei der Gegner sich der Orte
Le Quesnel und Hangest bemächtigte. Am Nachmittage setzte er
auch auf der ganzen Angriffsfront des 8. August die Kämpfe von
Morlancourt bis zur Avre fort. Es gelang ihm, an den verschiedensten Stellen
Erfolge zu erzielen, so daß, teilweise gezwungen, teilweise freiwillig, die
deutsche Linie bis Morlancourt - Proyart -
Méharicourt - Rouvrois - Soulchoy weichen mußte.
Dies isolierte den rechten Flügel der Kampffront, er mußte auch
nördlich der Somme etwa 1 km zurückgenommen werden.
Der Kräfteverbrauch an den verschiedensten Stellen verlangte schon an
diesem, wie an allen folgenden Tagen Einsatz der zurückgehaltenen
Reserven, Einsatz herangeführter Divisionen, oft von weither. Es war sehr
ungünstig, daß sie vielfach ohne Gefechtstroß, namentlich ohne
ihre Artillerie, nur mit Fußtruppen auf Kraftwagen, die Stäbe ohne
Pferde, eintreffen konnten. Häufig mußten die Divisionen unter dem
Druck der Verhältnisse ganz oder zersplittert in den Kampf treten und
wurden vorzeitig zerschlagen, planmäßige Einweisung war dann
unmöglich. In anderen Fällen konnte der günstige Augenblick
zum Gegenstoß nicht rechtzeitig wahrgenommen werden, wurde er dann
verspätet eingeleitet, war der günstige Augenblick verpaßt. So
war schon am 8. und 9. August, als die erste Phase der Schlacht zu Ende ging, die
deutsche Lage ungünstig. Es mußte sich bei der beginnenden zweiten
Phase weiter auswirken.
Alle Anzeichen sprachen dafür, daß der Gegner alsbald auf dem
Südflügel des vorspringenden deutschen Bogens angreifen
würde. Auch wenn das nicht der Fall gewesen wäre, konnte man
diese Art der weiteren Entwicklung des Großkampfes voraussehen; es
wurde deshalb der linke Flügel der 18. Armee in die Linie
Etelfay - Orvillers - Marest in der Nacht vom 9. zum 10.
August zurückgenommen.
[549]
Skizze 28: Gelände der Schlachten bei
Arras - Montdidier.
|
Am 10. August ging nördlich der Somme der Kampf mit unverminderter
Heftigkeit weiter, die Frontlinien erlitten aber nur geringfügige
Änderungen. Auch südlich der Somme, beiderseits der
Römerstraße, erzielten die heftigen [549=Karte] [550] Angriffe
der Gegner nur geringe Erfolge. Die Taktik, mit den Panzerwagen die deutsche
Front zu zerbrechen und dann nach beiden Seiten abzuschwenken, um den
Verteidiger in Flanke und Rücken zu fassen, soll geringere Erfolge gezeitigt
haben, da die Wagen in größerer Zahl, von der deutschen Artillerie
wirksam beschossen, liegen blieben. - Gegen die Front der 18. Armee
setzte der Angreifer am 10. August seine Vorwärtsbewegung
fort - es war die 3. französische Armee
Humberts -, beschoß auch die von der Armee tags zuvor innegehabte
Stellung, fand sie aber verlassen, so daß die
Rückwärtsbewegung als gelungen anzusehen war. Nördlich
der Somme fanden am 11. bis 15. August nur örtliche Gefechte mit
wechselnden Erfolgen statt. Ähnlich war es bei der 2. Armee südlich
der Somme. Dagegen setzten die Franzosen in dem Streben, den deutschen
Südflügel einzudrücken und dadurch den ganzen Bogen der
Front aus den Angeln zu heben, am 11. ihre heftigen Angriffe gegen die 18.
Armee mit allem Nachdruck fort, ohne aber größere Erfolge zu
erzielen. Auch am 12. änderte sich das Gesamtbild trotz heftiger
Kämpfe auf den verschiedensten Teilen der Front nicht wesentlich. Am 12.
August bildete die Oberste Heeresleitung auf kaiserlichen Befehl an dem
südlichen Brennpunkte der Schlacht die Heeresgruppe des Generaloberst
v. Böhn und wies ihr die 2. und 18. Armee der Heeresgruppe
Kronprinz Rupprecht und die 9. Armee von der Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz zu. Chef des Generalstabes dieser neuen Heeresgruppe wurde der aus
zahlreichen Abwehrschlachten des Westens bekannte und bewährte
Generalmajor v. Loßberg.
Wenn auch, nach dem ersten großen Erfolge der Ententemächte am 8.
August, von ihnen nur noch geringfügiger Geländegewinn erzielt
werden konnte, so hatte sich im allgemeinen ein Übergewicht über
die Deutschen ergeben, diesen schon starke Verluste an Geschützen,
Munition und verschiedenem Kriegsmaterial zugefügt, die zwar
allmählich, aber nicht sofort zu ersetzen waren. Starke Einbuße an
innerem Halt, der nur durch eine ausgiebigere Kampfpause wiedergewonnen
werden konnte, mußte die Folge sein. Es waren deshalb Erwägungen
nicht von der Hand zu weisen, ob es nicht von Vorteil gewesen wäre, nach
alten, bewährten, taktischen Grundsätzen, alsbald in eine
rückwärtige Stellung, unter Belassung schwacher Nachhuten am
Feinde, zurückzugehen. Da es für die ganze lange Front durch das
Gelände begünstigte Zwischenstellung nicht gab, hätte
allerdings der Rückzug in einem Schwung in die alte
Siegfried-Stellung, der Ausgangslinie zur Frühjahrsoffensive, erfolgen
müssen. Dabei wären große Mengen kostbaren Materials
verlorengegangen, deren rechtzeitige Rückführung unter den Mitte
August nun einmal vorliegenden Verhältnissen ausgeschlossen war.
Inwieweit gründlichere Vorbereitung die Rückbeförderung
ermöglicht haben würde, läßt sich nicht feststellen. Vor
allem durfte nicht außer acht gelassen werden, daß der
Rückzug, aufs äußerste gespannt, wie die Lage bei den
Bundesgenossen der Zentralmächte war, auf diese katastrophale Wirkungen
ausüben mußte.
[551] Es ist deshalb wohl zu
verstehen, daß die deutsche Oberste Heeresleitung die kampflose Preisgabe
eines weiten Geländeabschnittes in diesem Augenblick nicht für
richtig hielt, dem Schlachtenglück vertrauend weitere Angriffe abzuwehren
hoffte, wie es schon in dem vierjährigen Feldzuge den braven Truppen
gelungen war, als alles auf des Messers Schneide stand. Die Oberste
Heeresleitung hat dies auch richtig gefühlt, die Unmöglichkeit eines
Sieges erkannt und bei der diplomatischen Leitung den Beginn von
Friedensverhandlungen befürwortet (siehe S. 540 ff.),
aber den Gedanken, die Abwehrschlacht erfolgreich
durchzuführen, noch nicht aufgegeben. Ob damals Erwägungen
für eine großzügige Rückwärtsbewegung
stattgefunden haben, ist ungewiß, jedenfalls aus den Akten nicht ersichtlich.
Ein entscheidender Gesichtspunkt hat damals vielleicht noch nicht volle
Würdigung gefunden: daß der Antransport der amerikanischen
Hilfstruppen im August schon in sehr großem Umfange einsetzte, daß
der von Lloyd George im Frühjahr 1918 nach den deutschen Erfolgen der
großen Schlacht in Frankreich erlassene Hilferuf, der Krieg würde
ohne die amerikanische Hilfe verlorengehen, bei den angelsächsischen
Vettern mächtige Anstrengungen zuwege gebracht
hatte. - Gegen Ende August waren schätzungsweise bereits
1¼ Millionen Amerikaner in Frankreich.
Bei den von Mitte August auf der Front Arras - Montdidier sich abspielenden
Kämpfen wurden schon amerikanische Divisionen neben den australischen
und kanadischen festgestellt. Am 16. August entwickelte sich die dritte Phase der
Kämpfe zunächst durch einen großen Angriff gegen die 18.
Armee, während an den übrigen Fronten nur kleinere Kämpfe
stattfanden. Der Großangriff begann an diesem Tage hauptsächlich
von der 1. französischen Armee Debeney und der 3. Armee Humbert in der
allgemeinen Richtung beiderseits Roye. Er traf hier das I. Bayerische Korps, das
schon einige Tage vorher an Stelle des III. Armeekorps eingesetzt war, das IX.
Armeekorps und das I. Reservekorps. Trotz Einsatzes einer großen Zahl von
Tanks gelang es, den französischen Angriff, an dem auch kanadische
Truppen beteiligt waren, bis auf einzelne Geländeverluste abzuweisen. In
immer erneuten Anstürmen bis in die späten Abendstunden hinein
versuchte der Angreifer mit Hilfe der Tanks und Tiefflieger einen Durchbruch
vergeblich zu erzwingen. Am 17. und 18. August setzte er seine Anstrengungen
mit frischen Truppen erfolglos unter schweren Verlusten fort, dehnte auch seine
Angriffe auf die südlich anschließenden beiden Korps
XXVI R. und XVIII R. ohne nennenswerten Geländegewinn
aus.
Während diese Kämpfe noch im Gange waren, begann schon am 17.
ein schwächerer Angriff bei der 9. Armee, und am Nachmittage des 18.
August setzte nach einem schlagartigen starken Feuerüberfall auf der
ganzen Armeefront ein französischer Großangriff mit reichlicher
Verwendung von Gas- und Nebelgeschossen ein. Der Erfolg blieb am 18. zwar
auf Festsetzung in einem Teil des [552] deutschen Vorfeldes
beschränkt; als die Franzosen indessen an den folgenden Tagen ihre
Vorstöße gegen die 9. Armee fortsetzten unter gleichzeitigen heftigen
Angriffen bei der 18. Armee, mußte unter dem Eindruck der überall
hervortretenden Verminderung der deutschen Kampfkraft bis zum 20. August die
9. Armee in eine Linie 2 km östlich
Noyon - Soissons zurückgehen, auch der linke Flügel
der 18. Armee mit dem XXVI. Reservekorps und dem XVIII. Reservekorps
1 km zurückgebogen werden, um den Anschluß beider
Armeen sicherzustellen. - Noyon blieb noch in deutschem Besitz.
Der vierte Abschnitt der großen Schlacht begann am 21. August mit einem
Angriff gegen die 17. Armee zwischen Arras und Albert. An diesem Tage setzte
morgens zwischen Moyenville und südlich Miraumont ein
plötzlicher starker Feuerüberfall ein, dem auf der ganzen Front
Infanterieangriffe, von starken Tankgeschwadern geführt, folgten; es war
die 3. englische Armee Byng, verstärkt durch mehrere amerikanische
Divisionen. Die deutschen Vortruppen gingen auf die an der Bahn
Moyenville - Beaumont vorgesehene Hauptwiderstandslinie
zurück, und dort prallte der Angriff ohne Erfolg ab.
Da am folgenden Tage seine Fortsetzung zu erwarten war, hielt das
Armee-Oberkommando 17 es für gut, dem Gegner zuvorzukommen und
schritt am 22. zu einem auf breiter Front geführten Gegenstoß, der
zwar die feindlichen Vorbereitungen zur Fortsetzung der Offensive störte,
aber einen Geländegewinn nicht brachte und deshalb nicht vorteilhaft
war.
Die durch den Vorstoß erlittene Kräfteeinbuße machte sich
auch in den folgenden Tagen nachteilig geltend; denn als die Engländer am
23. und 24. ihre Angriffe wieder aufnahmen, sah sich die 17. Armee gezwungen,
auf ihrer ganzen Front Raum zu geben und etwa 3 bis 4 km
zurückzugehen, so daß sie von ihrer Ausgangsstellung etwa
10 km Tiefe verloren hatte. Am 25. August setzten die Engländer
ihre Angriffe fort. In mehrtägigem harten Ringen mußte das
nördlich der Scarpe stehende I. Bayerische Reservekorps, ferner das II.
Bayerische Armeekorps, das XIII. Armeekorps und XIV. Reservekorps 5 bis
6 km weiter weichen.
Während dessen hatten auf den übrigen Teilen des Schlachtfeldes die
erbitterten Kämpfe nicht geruht. Bei der 2. Armee setzte sich der Gegner
östlich Albert fest, südlich der Somme wich das XI. Armeekorps in
östlicher Richtung 2 km aus. Bei der 18. Armee entwickelten sich
nur Vorfeldkämpfe, die 9. versuchte mit dem XXXVIII. Reservekorps, die
Franzosen durch einen Gegenstoß zurückzuwerfen.
Größere Erfolge hatten die Ententemächte bei diesen
Kämpfen nicht, sie richteten ihre Hauptanstrengungen auf die Gegend
beiderseits Arras gegen die 17. Armee, die auch am 28. und 29. stark
bedrängt wurde.
Der Generaloberst v. Böhn hielt unter Würdigung der allgemeinen
Lage ein Zurückgehen auf der Front seiner Heeresgruppe für
angezeigt. Dies hat in Verbindung mit dem Verlust einiger Geländepunkte
bei der 17. Armee dazu [553] geführt,
daß am 30. August die deutsche Front über die allgemeine Linie
Biache-St. Vaast - östlich
Bapaume - Péronne - östlich
Nesle - Noyon - Chauny - Soissons verlief. Der 9.
Armee gegenüber hatten während der Rückzugskämpfe
eine Anzahl amerikanischer Divisionen in den Kampf mit eingegriffen.
Die vom 30. August bis zum deutschen Rückzug in die
Siegfried-Stellung dauernden Kämpfe beenden den vierten Abschnitt der
Schlachten. In den vier Tagen vom 30. August bis zum 2. September griffen die
Ententemächte auf der rund 150 km breiten Front zwischen Arras
und Soissons ununterbrochen an. Sie waren in der Lage, immer frische und gut
ausgeruhte Divisionen in den Kampf zu führen. Stark war die Entwicklung
der Luftkämpfe, die Tiefflieger beteiligten sich in großem
Maße an den Angriffen.
Den Hauptnachdruck richtete die französische Heeresleitung auf die beiden
Flügel der deutschen Stellung im Norden auf die 17. Armee, im
Süden auf die 9. Armee. Am Nordflügel gelang es den aus
Engländern, Franzosen und Amerikanern zusammengesetzten Angreifern,
beiderseits der Scarpe geringere, bei Bapaume größere Erfolge zu
erzielen. Südlich der Oise drangen sie in der Gegend von
Coucy-le-Château und Folembrey ein.
Am 31. August ging der Kampf ohne Unterbrechung weiter. Auch an diesem Tage
waren die Fortschritte zwischen Scarpe und Combles nicht erheblich; beiderseits
der Somme entspannen sich um die kaum noch als ehemals bewohnten Orte
erkennbaren Dorfreste aus der Sommeschlacht 1916, über die schon
mehrmals die Angriffe hin und her gegangen waren, erbitterte, wechselnde
Kämpfe. Zwischen Somme und Oise konnte der Angreifer keine Erfolge
erringen, vielleicht wollte er dort auch nicht durchdringen, südlich der Oise
konnte er die tags zuvor errungenen Erfolge befestigen, stellenweise
erweitern.
Am 1. September ruhte der Kampf zwar nicht, die Lage änderte sich
indessen nicht erheblich; aber am 2. September, als gegen die 17. Armee eine
große Zahl frischer englischer Divisionen vorgeführt wurde,
mußte dort die deutsche Front weichen. Der größte gegnerische
Erfolg entstand durch den Durchbruch der Engländer bei
Dury - Cagnicourt. Längs der Somme blieb die Lage
ungefähr die alte, dagegen konnte die 9. Armee dem Gegner eine
Vervollständigung seiner Erfolge über
Coucy-le-Château und Folembrey nicht verwehren.
Am 2. September mittags ordnete die Oberste Heeresleitung den
allmählichen Rückzug der 17., 2., 18., 9. Armee in die
Siegfried-Stellung Biache-St. Vaast - westlich
St. Quentin - La Fère an. Die Bewegung
vollzog sich ohne große Kämpfe, die deutschen Nachhuten hielten
vielfach nur den vorsichtig und zögernd folgenden Gegner auf. Oft belegte
er die schon geräumten Stellungen längere Zeit mit Feuer. Das
Einrücken aller Truppen in die neue Stellung begann am 4. September, zog
sich aber mehrere Tage hin. Vielfach blieben starke Vorfeldstellungen noch
besetzt, gegen die der Gegner anrannte. Namentlich auf dem linken Flügel
der 9. Armee kam es noch zu erbitterten Kämpfen [554] zwischen der Aillette
und Vailly, die sich bis in die Mitte des Monats September hinzogen.
Während dieser Kämpfe hatten bei der ostwärts hinter der
Vesle stehenden 7. Armee von der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz nur
Vorfeldgefechte und Patrouillenkämpfe stattgefunden. Die Gegner
bemühten sich, auf dem Nordufer des Flusses, namentlich bei Fismes und
Braisne, festen Fuß zu fassen, Brückenköpfe für weitere
Angriffe zu schaffen, teilweise mit Erfolg, wenn auch nach wechselvollen
Kämpfen. Als die 9. Armee den Winkel zwischen Oise und Aisne
räumte und über die Aillette zurückging, wurde der rechte
Flügel der 7. Armee bedroht. Sie erhielt deshalb die Anweisung, ihren
rechten Flügel hinter die Aisne zurückzunehmen, was in der Nacht
vom 3. zum 4. September begann und zur Aufstellung an der Linie
Condé - Beaurieux -
Révillon - Jonchery veranlaßte. (Vgl. hierzu Skizzen 25 u. 26.) Der
Gegner folgte auch hier nur langsam, er bemerkte den Rückzug
zunächst nicht, sondern beschoß noch am 4. September die
Vesle-Stellung.
Auch nördlich der großen Kampffront war eine
rückgängige Bewegung nötig; es wurde der auf Hazebrouck
vorspringende Bogen der deutschen Front in die Linie
Ypern - westlich
Armentières - La Bassée
zurückgenommen und dadurch zu einer ungefähren Geraden
gestreckt.
In einem vierwöchigen schweren Ringen hatte der Gegner das in der
Frühjahrsoffensive der Deutschen verlorene Gelände
zurückerobert. Seine Verluste waren schwer, auch hatte er jetzt ein Gebiet
zu besetzen, das schon viermal hin und her von den Parteien kämpfend
durchschritten, das Feld monatelanger Gefechte gewesen und als Vorfeld der
Siegfried-Stellung freigemacht worden war. Dem deutschen Heer war zwar keine
plötzliche entscheidende Niederlage beigebracht, seine Stellung nicht
großzügig durchbrochen, die Panik nicht in seine Reihen getragen,
dazu hatte die gegnerische Kampfkraft trotz großer Überlegenheit
nicht ausgereicht, aber es war an der Widerstandskraft des Verteidigers dauernd in
einem Grade genagt, daß nicht mit Unrecht behauptet worden ist, die
Deutschen seien seit dieser Zeit "nicht mehr die alten". Ihre Verluste an
Gefangenen und an Material waren groß, die Kampfkraft ging bei den
andauernden Rückzugsgefechten, den vergeblichen
Gegenstößen erheblich zurück, die Minderung der moralischen
Faktoren war stark, denn selbst der letzte Musketier begriff, daß der
feindliche Vernichtungswille nicht allein nicht abgenommen, sondern durch
neuen Kräftezuwuchs eine Stärkung erfahren hatte. Das
schwächte selbst da das Vertrauen, wo man das keineswegs überall
sehr tapfere Vorgehen des Gegners klar erkannte.
Unter den Stimmen, die auf den nicht nur durch die andauernden Kämpfe,
sondern die Wühlarbeit hervorgebrachten Rückgang des inneren
Wertes der [555] Truppen mit
bestimmten Worten hinwiesen, ist ein Erlaß des deutschen Kronprinzen
vom 28. August zu erwähnen: "Durch skrupellose feindliche und
revolutionäre Hetzarbeit wurde der Kampfwille herabzudrücken
versucht, in zahlreichen Flugblättern der offene Aufruhr gepredigt und
entgegen den Befehlen offenbar diese gefährlichen
Verführungsmittel nicht immer zur Ablieferung gebracht, teils aus
Lässigkeit, teils weil hier und da daran Gefallen gefunden wurde." Die
Kommandeure seien für den guten Geist ihrer Truppe verantwortlich; sie
wurden darauf hingewiesen, durch ihre Offiziere und die in der Masse
gutgesinnten Unteroffiziere und Mannschaften auf schwache und schwankende
Charaktere namentlich in dem jungen Ersatz einzuwirken. Gegen ausgesprochene
schlechte Elemente sei rücksichtslose Strenge am Platze: beherzigenswerte
Worte, deren Erfolg aber wohl nicht überall durchschlagend gewesen
ist.
Der Feind war zwar auch stark ermattet, schon jetzt, zumeist nur unter dem
Schutz seiner Tanks, angriffsfähig; aber er konnte in weitem Umfange
ablösen, frische Kräfte in die vordere Linie bringen,
abgekämpfte Truppen zurückziehen.
Diese kurze Skizze der Riesenschlacht konnte die zahlreichen Einzelheiten der
heldenhaften deutschen Kämpfe nicht erörtern, vor denen auch die
unvermeidbaren Erscheinungen von Schwäche zurücktreten. Wenn
man an der Hand der Kriegsakten das Hin- und Herschieben der Divisionen mit
Fußmarsch, mit Kraftwagen oder Eisebahn näher verfolgt, muß
man die Leistungen der deutschen Führung, wie sie die Schwäche
der vielfach abgekämpften, in ihren Gefechtsstärken
zurückgegangenen Divisionen durch Beweglichkeit auszugleichen suchte,
anerkennen. Durch diese Bewegungen wurden allerdings die Kräfte der
Truppe stark mitgenommen. Dieses ununterbrochene Spiel mit den Divisionen,
die hier herausgezogen und dort wieder eingesetzt, um oft nach ganz kurzer Zeit
an anderen Stellen verwendet zu werden, gaben den Kämpfen etwas
Mosaikartiges, eine gewisse Unruhe. Es mußte aus der Not eine Tugend
gemacht werden. Von Gewährung ausgiebiger Ruhe war schon in dieser
Periode der Kämpfe kaum noch die Rede. Die Einwirkung der
Generalkommandos, namentlich der Kommandierenden Generale, sank auf Null
herab, sie wurden zu Verwaltungsdienststellen. Es war ein näherer
Begründung nicht bedürftiger Mangel.
Sehr ungünstig war es, daß nach dem Festlaufen der deutschen
Frühjahrsoffensive im Jahre 1918, soweit es die Kräfte gestatteten,
nicht sofort mit größtem Nachdruck für den Ausbau der
vordersten Kampfstellungen und starker rückwärtiger, lediglich nach
den Grundsätzen der passiven Verteidigung ausgewählter Linien
gesorgt wurde. An einzelnen Stellen war sogar im Frühjahr 1918
Schanzarbeit verboten, um beim Gegner Angriffsabsichten vorzutäuschen.
In dieser Zeit verschwand der Gegner dann im Boden und konnte später die
deutschen Arbeiten, selbst besser gedeckt, erheblich stören. An die Stelle
der festen Kampfstellungen war die Theorie der beweglichen Verteidigung mit
Vorfeld und Hauptwiderstandslinie getreten. Die abändernden Richtlinien,
gegeben auf [556] Grund der ersten
unglücklichen Gefechte an der Marne und bei Soissons am 21. Juli,
konnten nicht schnell durchdringen, jedenfalls noch nicht Gemeingut der unteren
Führer werden.
Während der hier geschilderten Kämpfe gab der Chef des
Generalstabes des Feldheeres noch weitere Anweisungen für das Verhalten
der Truppen unter Berücksichtigung der dabei gemachten Erfahrungen: Der
Angriff der Gegner hätte nur dadurch Erfolg gehabt, daß die Tanks
die Infanterie überraschten, damit durchbrachen und die Infanterie sich nun
umfaßt glaubte. Die Tanks selber hätten keine eigentliche
Gefechtskraft. Sie schössen stark in der Luft umher. Es käme deshalb
darauf an, die Truppen davon zu überzeugen, daß die Tanks bei
richtiger Anwendung der Abwehrmittel verhältnismäßig
ungefährlich wären. Es hätte sich bewährt, die Tanks,
soweit sie an den Verteidiger herankämen, durchfahren zu lassen und sich
gegen die feindliche Infanterie zu wenden. Inwieweit diese Lehren sich praktisch
verwerten ließen, ob sie überall überzeugten, steht dahin. Die
moralische Wirkung der Kampfwagen war jedenfalls, wie schon angedeutet,
groß.
Auch für die Tätigkeit der sogenannten
Eingreif-Divisionen, für die Gegenstöße, suchte man neue
Grundsätze: Es wäre nötig, zunächst die
Durchbruchstelle abzuriegeln; die Gegenstöße wurden angeblich zu
planlos ohne gehörige Artillerieunterstützung geführt, und
empfohlen, erst nach Klärung der Lage mit versammelter Kraft zum
Gegenangriff zu schreiten. Bestimmte Regeln werden sich kaum finden lassen,
wenn es sie geben würde, wäre die Gefechtsführung keine so
schwierige Kunst. Vielfach scheint der Gedanke verwischt zu sein, daß die
Infanterie fast ausschließlich durch ihr Feuer auf den mittleren, vor allem in
dem vielfach durchschnittenen Gelände, auf den nahen Entfernungen,
wirkt, was die meisten unerfahrenen Führer nur mühsam begriffen
haben.
Es ist gefährlich, einzelne, wenn auch schwache Abteilungen der
Verteidigung auf Punkte zu stellen mit der ausgesprochenen Absicht, sie dem
Feinde beim Angriff zu überlassen, auf eine sogenannte
Hauptwiderstandslinie zurückzugehen. Selbst bei einer an sich noch sehr
kampfkräftigen Truppe muß das Gefühl, in der Minderzahl
einem überlegenen Feinde ausgeliefert zu sein, verheerend wirken. Wenn
gar eine Truppe schon viel durchgemacht hat, in ihrem inneren Gefüge
etwas brüchig ist, über eine nur geringe Zahl entschlossener,
todesmutiger Offiziere und Unteroffiziere verfügt, werden sich die im
Vorfeld befindlichen Abteilungen leicht als verlassen, als bequeme Beute des
Gegners betrachten. Das befördert die Neigung, sich gefangen nehmen zu
lassen. Nicht alle Menschen sind Helden; es ist bedenklich, die Psyche des
gemeinen Mannes zu mißachten. Hinzukommt, daß die aus dem
Vorfeld dem feindlichen Verfolgungsfeuer entrinnenden Verteidiger in der
Hauptwiderstandslinie Verwirrung und Kleinmut erregen. Deshalb scheint diese
Theorie, allgemein angewendet, anfechtbar, und der Grundsatz, eine besetzte
Stellung, d. h. ein Stellungssystem von zwei oder [557] mehr Linien wird
gehalten, was die Verwendung schwacher Patrouillen nicht verschließt, in
der Mehrzahl der Fälle vorzuziehen. Dahinter sind, soweit die Kräfte
irgend gestatten, rückwärtige Stellungen auszubauen, und dann
muß die Führung jeweils entscheiden, ob in diesen der passive
Widerstand von neuem aufgenommen werden soll oder ob in einem Gegenangriff
das verlorene Gelände, die geräumte Stellung zurückerobert
werden muß.
Was die passive Abwehr angeht, so wird sie sich in der Regel nur dann
günstig entwickeln, wenn sie mit frischen oder wenigstens anderen Truppen
geführt werden kann als denjenigen, die aus dem ersten Stellungssystem
geworfen sind. Diese sind nämlich, wenn sie vorn ihre Schuldigkeit brav
getan haben, so erschüttert, daß sie in einer zweiten Stellung wenig
nützen.
Die Deutschen schritten bei den Kämpfen, die hier betrachtet wurden, zu
zahlreichen, oft zusammenhanglosen "Gegenstößen". Schon das
Wort, die Bezeichnung, trägt den Stempel des Regellosen, die ihn die
vorher angedeutete Verfügung der Obersten Heeresleitung auch
bemängelt. Sie hängt mit dem verfehlten Grundsatz in einer
früheren Periode des Stellungskrieges zusammen: Wer ein Stück
seiner Stellung verliert, muß es wieder nehmen. Manchmal war es
nötig, danach zu verfahren; aber seine Anwendung ist oft zu einer
Verkennung des Begriffs der Waffenehre ausgeartet, die viel kostbares Blut
gekostet hat. Gerade im Spätsommer und Herbst 1918 ist mehr als
nötig gegen die höheren Rücksichten der allgemeinen Lage
verstoßen und nach kleinlichen Prestigegesichtspunkten verfahren worden.
Es ist schwierig und verlangt charakterfeste Führer mit Rückgrat, mit
weiterem Blick, um zwischen den verschiedenen Möglichkeiten,
überlegene Angriffe abzuwehren, die erfolgreichste zu wählen.
Gewiß hat die Theorie des beweglichen Vorfeldes im Gegensatz zum
Ausharren in einem übermächtigen Trommelfeuer manchmal ihre
Berechtigung, aber man durfte in ihr kein Schema erblicken, das überall das
beste Mittel für den Erfolg ausmacht.
Von entscheidender Bedeutung für diese vierwöchige Periode der
Kämpfe war der erste Kampftag, der 8. August. Er bohrte sich nicht allein
tief in den Nordteil der deutschen Bogenlinie, gewann nicht nur viel
Gelände, nahm den Deutschen viel wertvolles Material, sondern riß
auch die taktische Vorhand an sich - Dinge, die sich im Verlauf der
späteren Gefechte in Rücksicht auf die
Stärkeverhältnisse nicht mehr ausgleichen ließen. Wie in
zahlreichen anderen Fällen dieses Krieges war auch hier die Linie, in der
die Deutschen den Kampf annehmen mußten, aus einer steckengebliebenen
Offensive entstanden, nicht nach den Grundsätzen einer Dauerstellung zur
Abwehr gewählt. Sie enthielt deshalb auch alle damit in der Regel
unzertrennbaren Mängel. Außerdem waren die Abschnitte der
Armeen, der General- (Gruppen-) Kommandos und Divisionen nicht senkrecht zu
der Frontlinie abgegrenzt, wie es die Skizze nur im groben andeuten kann,
sondern in einem spitzen Winkel. Als nun der gegnerische
Durch- [558] bruch, teilweise
umfassend, gegen die Generalkommandos XI und 51 erfolgte, durchschnitt
er schon am 8. August die Verbindungen mehrerer Divisionen nach
rückwärts und trennte die Truppen von vielen Dingen, die sie zur
Fortsetzung der Kämpfe notwendig gebrauchten: Munition, Nachschub an
Verpflegung, Gefechtsstände der höheren Führer.
Im Monat August mußten zehn Divisionen aufgelöst werden. Die
Infanteriemannschaften wurden auf andere Regimenter verteilt, die
Artillerieformationen blieben bestehen und wurden anderen Verbänden
angegliedert.3
Die Oberste Heeresleitung hat die Notwendigkeit, Verstärkungen aus dem
Osten heranzuziehen, nicht übersehen. Sie forderte daher schon am 10.
August die Abgabe von Kräften aus der Ukraine von Oberost, von dort
wurden aber nur eine Division aus dem Donaugebiet und eine Radfahrbrigade von
der russischen Front angeboten. Im September wurden nur 5 Divisionen aus der
Ukraine fortgezogen, wovon eine nach Mazedonien, eine nach Konstantinopel
ging. Die Ansicht des Generals Ludendorff (Erinnerungen S. 606),
daß man zwar für den Westen zehn nicht voll kampfkräftige
Divisionen aus der Ukraine hätte gewinnen können, daß die
daraus entstehenden Vorteile geringer gewesen wären als die Nachteile,
mögen berechtigt sein. Die Nachteile bei der Zurückziehung von
Truppen aus der Ukraine lagen vor allem in der Richtung der
Ernährungspolitik. Die Heranführung von Getreide, Futtermitteln
und Vieh wäre bei Verminderung der im Osten verwendeten Truppen sehr
erschwert, wenn nicht ganz in Frage gestellt worden. Durchgreifend ist der Erfolg,
auch so wie man verfuhr, allerdings doch nicht gewesen.
Es ist eine Tatsache, daß namentlich, wenn die Lage gefahrvoll ist, jeder
behalten will, was er hat. Nur auf energischen Druck, oft unter
Zurückstellung wichtiger Gegengründe, die nur von einer alles
übersehenden Zentralstelle auf das Für und Wider geprüft
werden können, läßt sich die zum Wohle des Ganzen dienliche
Entscheidung treffen. Auch ist sicher, daß nach Abgabe vieler junger
Mannschaften von Ost nach West die zurückgebliebenen Divisionen nicht
voll brauchbar, sicher nicht als Angriffs-Divisionen, waren. Immerhin
wären sie, rechtzeitig herangezogen, als Arbeitstruppen ein sehr wertvoller
Kraftzuschuß geworden. Die Frage ist in einer Sitzung des Kriegskabinetts
zu Berlin vom 17. Oktober genauer, anscheinend ohne eine bejahende
Entscheidung, geprüft worden. Auf alle Fälle war es damals schon zu
spät, um dem bedrohten Westen eine noch wirksame Hilfe
zuzuführen.
Die Rückwirkung der unglücklichen Gefechte auf die
Bundesgenossen Österreich-Ungarn, Bulgarien, die Türkei war stark,
alle drei hatten nur in Anerkennung der bis dahin ungeschwächten
deutschen Kraft auf einen noch möglichen günstigen Ausgang des
Krieges gerechnet. Schon die Nachricht von den [559] Erfolgen der Entente
am 8. August hatte diese Zuversicht stark erschüttert, zu ängstlichen
Anfragen in erster Linie aus Österreich die Veranlassung gegeben.
Nach dem Einrücken der Deutschen in die
Siegfried-Stellung trat insofern eine gewisse Kampfpause ein, als sich die
Großangriffe in kleinere Gefechte gegen einzelne Abschnitte
auflösten. Der Angreifer mußte sich in dem verwüsteten
Gelände vor der Siegfried-Stellung erst neu basieren, den Nachschub an
Artillerie, Munition und Verpflegung regeln, ehe er an die Bezwingung gehen
konnte.
Die Siegfried-Stellung war größtenteils um die Jahreswende 1917/18
als Hinterhangstellung gebaut, was sich bei der überlegenen gegnerischen
Artillerie an der Westfront bewährt hat, da sie das beobachtete
Artilleriefeuer annähernd ausschaltet, systematische Zerstörung,
"Eintrommeln", Vernichtung der Maschinengewehrnester sehr erschwert. Diese
Vorteile traten allerdings zurück, als sich der Angreifer hüben wie
drüben auf eine Niederkämpfung der Artillerie des Verteidigers und
Sturmreifschießen von Stellungen nicht mehr einließ, mit einem
kurzen, überwältigenden Feuerschlage die Besatzungen von der
Kampflinie zu verscheuchen suchte und dann ungesäumt zum Angriff
ansetzte. Etwas Vollkommenes, ein Allheilmittel gegen die der Verteidigung
anhaftenden Schwächen, gibt es nicht. Die Hinterhangstellung, wenn sie in
den größeren Rahmen sich einfügen läßt, bietet
aber doch nicht unerhebliche Vorteile, und die
französisch-englischen Angriffe währen wahrscheinlich zerschellt,
jedenfalls weniger katastrophal für die Deutschen geworden, wenn diese
irgendeinen festen örtlichen Halt auf dem Rückwege gefunden
hätten. Auch die Siegfried-Stellung war aber unfertig geblieben, an vielen
Stellen dürftig. Die an sich beachtenswerten Hindernisse waren gegen die
Tanks von geringem Wert, man rechnete mit ihnen, als die Stellung 1917 gebaut
worden war, noch nicht. Die für die Bauten damals verfügbaren
abgekämpften Divisionen genügten nicht; sie wechselten zu rasch.
Ehe die Arbeitsorganisation recht im Fluß war, sich eingelebt hatte, rief die
Not der Stunde zu oft die Arbeitstruppen nach anderen Stellen der großen
Kampffronten. Zudem war die Stellung seit einem halben Jahre verlassen, deshalb
teilweise verfallen, denn dieser Prozeß vollzieht sich schnell, wenn ihn
keine dauernde Arbeit zurückhält. Das sollte sich auch hier geltend
machen.
Ehe die Alliierten zu dem großen, den Krieg entscheidenden Angriff
ansetzen, sollten die Amerikaner vor die Lösung einer
selbständigen Aufgabe gestellt werden. Um die weitere Einwirkung der
Vereinigten Staaten zu würdigen, ist es nötig, deren
allmähliche Machtentfaltung in ihren großen Zügen ins Auge
zu fassen, zu betrachten, wie in kaum mehr als einem Jahre fast aus dem Nichts
ein großes Heer geschaffen worden ist, bei den damaligen
Kräfteverhältnissen ausreichend, die Siegeswage endgültig
zugunsten der Alliierten zu senken.
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