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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 8: Die deutschen Angriffe des Jahres 1918   (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries

[493] 7. Marneschutz-Reims-Offensive.106

Feindliche Maßnahmen nach Beginn der Blücher-Offensive.

Für die Entente war der Blücher-Angriff eine nahezu vollständige Überraschung, deshalb nicht ganz vollständig, weil noch in den letzten Stunden Aussagen, die Gefangenen entstammten oder aus solchen herausgepreßt wurden, die kommende Gefahr verkündet hatten. Für durchgreifende Abwehrmaßnahmen kam das zu spät. Die französischen Reserven hatte der Oberbefehlshaber der Entente größtenteils nach Norden hinter die englische Front gesandt, wo man den nächsten deutschen Stoß erwartete, und wo tatsächlich starke zurückgehaltene deutsche Kräfte vorhanden waren - die 32 Mob.-Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht.107 Wohl hatte man an einen deutschen Ablenkungsstoß in der Champagne gedacht, der in zeitlicher Übereinstimmung mit dem angenommenen neuen Angriff gegen die Engländer als wahrscheinlich vorausgesetzt wurde; man wußte eben noch nicht, daß die deutsche Oberste Heeresleitung zu solcher Kraftentfaltung außerstande war. Daß aber ein solches Unternehmen gegen Franzosen die gleiche Wirkung haben könnte wie gegen Russen, Italiener und Engländer, das leuchtete dem französischen Selbstbewußtsein nicht ein.

Am wenigsten hatte man die Gegend des Chemin des Dames als etwaiges Angriffsgebiet in Betracht gezogen, weil gerade hier die Geländeschwierigkeiten deutsche Offensivtätigkeit auszuschließen schienen. Das war eine "ruhige Front", in der abgekämpfte Divisionen als Schutz genügten. Von deutschen Angriffsvorbereitungen merkte die dort eingesetzte französische 6. Armee, deren Kampfbereich von Noyon bis Reims - dieses ausschließlich - reichte, nicht das Mindeste, ein hohes Lob für die Kunst, mit der man es auf deutscher Seite verstanden hatte, die eigenen Absichten und Maßnahmen mit dem Schleier des Geheimnisses zu umgeben.

Um so peinlicher war die Überraschung im Hauptquartier des Generals Foch, als am 26. Mai der deutsche Angriffsplan plötzlich offenbar wurde und nun die Schläge erfolgten, die das französische Stellungssystem in wenigen Tagen zertrümmerten. Die Richtung des Stoßes auf Paris wirkte besonders erschreckend. In der französischen Kammer kam es zu lebhaften Szenen, der Ministerpräsident Clemenceau verstand aber, durch seine feste Haltung Zuversicht zu erwecken und hielt auch an Foch als Oberbefehlshaber fest. War man im Hauptquartier anfangs der Ansicht, daß es sich um einen Ablenkungsstoß handle, so konnte doch bei den raschen Fortschritten der Deutschen gegen die Marne der Einsatz von Reserven nicht hinausgeschoben werden. Foch als Oberbefehlshaber gab aber langsamer, als der französische Befehlshaber Pétain forderte; immer [494] noch um die englische Front besorgt, ließ er erst vom 29. Mai an verfügbare Divisionen vom Norden nach dem Süden fahren, und blieb dabei stehen, die englische Linie nicht mehr als unbedingt erforderlich von Kräften zu entblößen. Dann wurde es allerdings nötig, die Truppen, so wie sie kamen, in den Kampf hineinzuwerfen, und es mußten schwere Gefahrsmomente überwunden werden, da von den ursprünglichen Verteidigern nur Trümmer übriggeblieben waren. Die reichen Bestände an Lastkraftwagen, über die die Ententetruppen verfügten, spielten dabei eine große Rolle.

Obwohl sich die deutschen Fortschritte allmählich verlangsamten, blieb doch bei den Leitern der Ententestaaten das Gefühl bestehen, daß der Kriegsausgang auf das schwerste gefährdet sei und nur durch die starke Mitwirkung der Amerikaner zum Guten gewendet werden könne. Am 2. Juni erging ein Notschrei der Premierminister von Frankreich, England und Italien um Hilfe an den Präsidenten Wilson. Tatsächlich gewährten die Amerikaner, die im Mai bereits mit 667 119 Mann auf französischem Boden standen, an Unterstützung, was sie mit ihren zwar tapferen, aber ungewandten Truppen leisten konnten. Über Coulommiers und Meaux wurden sie auf Lastkraftwagenkolonnen der Gegend von Château Thierry zugeführt, wo sie sich an den Gegenangriffen beteiligten, durch die die Franzosen begonnen hatten, den Deutschen die Errungenschaften ihrer Offensive wieder streitig zu machen. Es konnte den Ententeführern nicht entgehen, daß sie durch Hämmern gegen die Flanken die beste Aussicht hatten, die deutschen Fortschritte zum Stillstand zu bringen, und wenn das hauptsächlich auf der Westseite des von den Deutschen neu eroberten Gebiets geschah, so lag die Absicht zugrunde, Paris zu schützen und die Erkenntnis des Vorteils, die das Waldgelände um Villers Cotterêts für die Bereitstellung von Angriffstruppen bot. Über kleine Gewinne kam man dabei nicht hinaus.

Allmählich gelang es, die ganze deutsche Einbruchsstelle mit einem Ringe von Kräften zu umgeben, die gegen weitere Geländeverluste Sicherheit zu versprechen schien. Auch die angrenzenden Fronten waren so ausgestattet oder doch so schnell mit Verstärkungen zu versehen, daß seitliche Ausdehnung der deutschen Angriffsunternehmungen rechtzeitig abgedämmt werden konnten. Als die deutsche 18. Armee am 9. Juni westlich der Oise vorbrach, zogen sich Abwehrtruppen an der bedrohten Stelle schnell zusammen, und es glückte, den Stoß nach geringen Gebietseinbußen mit überlegenen Kräften abzufangen. Auch hier griff man zum Mittel gehäufter Gegenstöße, freilich mit den gleichen kaum nennenswerten Erfolgen wie bei Villers Cotterêts und Château Thierry.

Zu einem großen einheitlichen Schlage, der durchaus im Sinne des Oberbefehlshabers Foch lag, schien die Zeit noch nicht gekommen zu sein; man war in der glücklichen Lage zu warten, bis sich die deutsche Kraft im dauernden Ringen mehr und mehr erschöpfte. Nachdem die amerikanische Hilfe flüssig geworden war und die Engländer begonnen hatten, sich von ihren Niederlagen [495] zu erholen, konnten die Ententeführer sowohl die englische Front wie auch die französische mit genügenden Reserven ausstatten und glaubten sicher zu sein, nicht wieder vor solche Überraschungen auf schwach besetzten Fronten gestellt zu werden wie am Chemin des Dames. Daß weitere Anstrengungen bevorstanden, um den Endsieg auf deutsche Seite zu bringen, nahm man als feststehend an.


Kampfbetätigung auf der ganzen Westfront.

Bei der deutschen Obersten Heeresleitung waren die Umstände bekannt, die das Kräfteverhältnis mehr und mehr zugunsten der Gegner verschoben. Sollte der Erfolg auch bei den noch geplanten Unternehmungen sichergestellt sein, so mußten Schlagfertigkeit und Ausdauer der deutschen Truppen mindestens auf der bisherigen Höhe gehalten werden, die die Überlegenheit über den Feind verbürgte. Die Truppen waren in zwei Beziehungen zu stählen, für den Angriff und für die Verteidigung; denn es war ohne weiteres klar, daß sich die kommenden deutschen Offensiven nur dann bis zur Entscheidung auswirken konnten, wenn die unbeteiligten Fronten die feindlichen Angriffe abwehrten, mit deren Mehrung nach Umfang, Häufigkeit und Heftigkeit auf Grund der letzten Geschehnisse gerechnet werden mußte.

Am 9. Juni gab die Oberste Heeresleitung ihren Erfahrungsbericht über die Blücher-Offensive heraus. Er bestätigte von neuem, daß sich die deutsche Angriffsform durchaus bewährt hatte und keiner grundsätzlichen Änderung bedurfte. Die Grundsätze für die Führung der Verteidigung auf angegriffenen Fronten waren die gleichen wie früher: sie gipfelten in der Biegsamkeit der vordersten Linien und in der steten Bereitschaft, verlorenes Gebiet durch Gegenstoß oder Gegenangriff zurückzugewinnen, wozu hinter ihnen Reserven, die sogenannten "Eingreif-Divisionen", bereit standen. Diese Lehren zu bestätigen, fanden alle deutschen Fronten, auf denen sich seit dem 21. März 1918 der Kampf durch die deutschen Offensiven entzündet hatte, reichlich Gelegenheit. Vom Meere im Norden bis zur Champagne im Süden entlud sich die scharfe Spannung in zahlreichen Unternehmungen, zwischen denen die großen deutschen Schläge wie mächtige Gewitter aufblitzten.

Auf der Georgette-Front liefen Engländer und Franzosen im Laufe des Mai, des Juni und des halben Juli 1918 43mal gegen die deutschen Linien an, nicht gerechnet zahlreiche Streifenvorstöße. Besonders betroffen war die Gegend des Kemmel, von Ypern, Bailleul, Mervis, Merville und Béthune. Über unbedeutende Geländegewinne kam der Feind nicht heraus. Von deutschen Unternehmungen war die wichtigste ein Vorstoß südlich von Dickebusch am 8. Mai, der dem Gegner breiten Stellungsraum und zahlreiche Gefangene entriß.

Die Zahl der größeren Stürme, die neben vielen kleineren Anläufen die deutsche St. Michael-Front bedrohten, belief sich in der Zeit von Ende April bis zum 15. Juli 1918 auf 48. Brennpunkte waren Albert, der Raum zwischen Somme [496] und Luce sowie der Avre-Brückenkopf zwischen Luce und Montdidier, aber auch die übrigen Frontstrecken wurden in Atem gehalten, am wenigsten die nach Süden gerichtete Linie zwischen Montdidier und Noyon. Die Erfolge der Ententetruppen blieben sehr geringfügig, wenn auch einzelne Orte wie Ville sur Ancre, Hamel, Castel, der Park von Grivesnes und Cantigny verloren gingen. Deutscherseits wurden Vorstöße nur in beschränktem Maße geführt, erbrachten aber die erstrebten Vorteile und Gefangene.

Waren die feindlichen Angriffe gegen Georgette- und St. Michael-Front mit zeitweiligem, kräftigem Pochen zu vergleichen, so steigerten sie sich an der Westfront des Blücher-Gewinns zwischen Oise und Marne nach Abschluß der deutschen Operation im Juni fast zu einem unausgesetzten Hämmern, das die deutschen Verteidiger in den uneingerichteten Stellungen empfindlich traf. Der Ausgangspunkt war meist das große Waldgelände von Villers Cotterêts, das die gedeckte Ansammlung starker Kräfte gegen die Linien zwischen Aisne und Ourcq gestattete; aber auch nördlich der Aisne und weiter südlich bis Château Thierry wurde erbittert gerungen, wo die Amerikaner den Franzosen halfen, den deutschen Widerstand zu erschüttern. Da die Zahl der Abwehrdivisionen mit Rücksicht auf kommende Offensiven beschränkt war, wurden die deutschen Truppen stark mitgenommen und ermüdet. Gebietsverluste blieben nicht aus, so mußten die Orte Cutry, St. Pierre Aigle und Vaux bei Château Thierry, auch sonst Geländestrecken aufgegeben werden; im ganzen aber stand die Westfront des Blücher-Gewinns fest. Das ist um so höher zu bewerten, als der Gegner auch an den Tagen, an denen keine größeren Schläge stattfanden, doch seine Artillerie- und Fliegertätigkeit in lästigster Weise steigerte, so daß die Spannung nie nachließ. Für die Zeit vom 15. Juni bis 15. Juli waren etwa 40 feindliche Anstürme mit starkem Kräfteeinsatz zu verzeichnen, kleinere ungerechnet.

Träger der Verteidigung waren hier VII. Armeekorps, XXXIX. Reservekorps, XIII. Armeekorps,108 das am 18. Juni an die Stelle des VIII. Reservekorps trat, XXV. Armeekorps und VIII. Armeekorps,109 das am 21. Juni den Abschnitt des IV. Reservekorps übernahm.

Um das Oberkommando der 7. Armee zu entlasten, dessen Bereich sich in der zweiten Hälfte des Juni durch die Übernahme der Gruppen des Generalkommandos Nr. 65 und des VI. Reservekorps von der 1. Armee nach Osten erweiterte, und das die Vorbereitungen für den Angriff "Marneschutz" zwischen Château Thierry und Reims zu betreiben hatte, wurde auf dem rechten Flügel unter Abgabe des VII. Armee-, XXXIX. Reserve- und XIII. Armeekorps am 5. Juli das Oberkommando der 9. Armee110 eingeschoben. Beide Oberkommandos verfolgten mit [497] Sorge die stete Inanspruchnahme ihrer Truppen durch die feindliche Offensivtätigkeit. Man war geneigt, sie durch die Absicht des Gegners zu erklären, deutschen Angriffsplänen in der Richtung auf Paris zuvorzukommen; aber er konnte sehr wohl auch die Front zermürben wollen, um im geeigneten Augenblicke selbst einen großen Schlag gegen die Linien zwischen Oise und Marne zu führen. Glückte ein solcher Stoß auch nur in bescheidenem Umfange, so schuf er in dem verhältnismäßig engen Raume des Blücher-Gewinns südlich der Aisne durch Bedrohung der ohnehin sehr beschränkten Zufuhrgelegenheiten recht unbequeme Zustände; gelangte der Feind zu tiefem Einbruch, so wurde die Lage für die an der Marne eingesetzten Kräfte gefährlich.

Das Oberkommando der 7. Armee meldete schon am 18. Juni, daß der Gegner anscheinend darauf ausginge, die Westfront allmählich zu zerreiben; am 30. Juni wurde es auf Grund der steigenden Angriffsflut um Verstärkung, besonders an Artillerie, vorstellig, um die Abwehrkraft lebendig zu erhalten. Da die Oberste Heeresleitung in Anbetracht ihrer weiteren Offensivpläne diese Wünsche nicht voll befriedigen konnte, so ward Abhilfe auf Weisung der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz durch Mehrung der Tiefengliederung und Vorbereitung rückwärtiger Kampfzonen versucht; es wurde auch angeordnet, größeren Stößen auszuweichen und Geländeverluste hinzunehmen. In der Mitte des Monats Juli konnten sich aber die Oberkommandos nicht mehr der Wahrnehmung verschließen, daß die Verteidigungskraft der im höchsten Grade angespannten Stellungs-Divisionen trotz der Stützung durch Eingreif-Divisionen allmählich abnahm, wobei die Grippe stark mitwirkte. Bedenklich war auch die Feststellung, daß der Feind seine Absichten auf den Besitz solcher Höhen zu richten begann, die ihm die Vorteile guter Beobachtungsmöglichkeiten schufen.

Sehr viel zurückhaltender als vor der 9. und der Westfront der 7. Armee war der Gegner gegenüber den neuen Stellungen der 18. Armee südwestlich von Noyon und der 1. Armee bei Reims, wo sich seine Offensivlust seltener betätigte und durch deutsche Vorstöße in Schach gehalten wurde. An dem Frontteil der 7. Armee, der durch die Marne geschützt war, sah er fast ganz von Unternehmungen ab.

Das Verhältnis zwischen feindlichen und deutschen Angriffen auf den Fronten, die an den großen Offensiven noch nicht beteiligt waren - bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz östlich von Reims, bei der Heeresgruppe Gallwitz und Herzog Albrecht - überwog zugunsten der Deutschen; man kann hier sogar von auffallender Vorsicht des Feindes sprechen, die erst in den Sommermonaten mehr und mehr aufgegeben wurde, als sich die Verstärkung durch die Amerikaner geltend machte. Besonders die Gegend von Verdun und das Ostufer der Maas von Ornes bis St. Mihiel waren der Schauplatz häufiger deutscher Teilangriffe, aber auch im Raume zwischen Maas und Mosel von St. Mihiel bis Pont à Mousson wurde oft gekämpft.

[498] Hier erteilte die Heeresgruppe Gallwitz bereits am 20. April den Amerikanern die erste empfindliche Lektion durch tiefen Einbruch in ihre Stellungen bei Seicheprey, ein Kampfvorgang, der sich zwei Monate später, am 19. Juni, fast in der gleichen Form noch einmal wiederholte. In Lothringen, in den Vogesen und im Sundgau herrschte gleichfalls lebhafte deutsche Tätigkeit; auch hier waren es meist die Amerikaner, die neben den Franzosen die Zeche bezahlen mußten. Es bestand auf den bisher unbeteiligten Fronten das Gefühl sicherer Überlegenheit, das durch die großen Erfolge der deutschen Frühjahrs- und Sommeroffensiven wesentlich gehoben und gestärkt wurde und den Wunsch wachrief, es dem Heldentum der Angriffsfront gleichzutun.


Bedrohliche Erscheinungen im deutschen Heere, in der Heimat und bei den Bundesgenossen.

Obwohl die Fronten feststanden und darüber hinaus Hingabe, Opfermut und Angriffslust der Truppen nicht anzuzweifeln waren, wenn auch gelegentliche Schwankungen und Versager vorkamen, hatte die Oberste Heeresleitung doch mit der Sorge zu kämpfen, ob sich diese Stimmung auf die Dauer erhalten werde. Es war Klarheit darüber, daß die ungeheuren Anstrengungen der Offensiven die Mannschaften stark ermüdeten, zumal da ihnen nur seltene Ablösungen aus vorderer Linie, reizlose und knappe Verpflegung und mangelhafte Unterbringung gegenüberstanden. Die Ersatztransporte aus der Heimat brachten nicht immer guten Geist mit; kein Wunder, denn in der Heimat hatte die Saat der Hetzer, Flaumacher und anderer politischer Schädlinge schon längst Früchte gezeitigt, nicht zu gedenken der lügnerischen feindlichen Propaganda, die jetzt auch auf das Feldheer einzuwirken versuchte. Noch fügten sich die meisten Mannschaften dem soldatischen Geist der Fronttruppen, sobald sie erst in Reih und Glied standen; wenn sie aber den Weg zur Pflicht nicht zurückfinden konnten, verschwanden sie sehr schnell als Drückeberger, Fahnenflüchtige und Überläufer. Alles in allem begann der Ersatz aus der Heimat eine Gefahr für das Feldheer zu werden, wenn dessen Kern auch noch gesund war.

Der Ersatz war aber nicht nur minderwertig, sondern auch der Zahl nach unzureichend. Da man sich mit Recht scheute, den Rekrutenjahrgang 1900 anzugreifen, standen monatlich nur etwa 60 000 Mann, meist Genesene, zur Verfügung. Kriegswirtschaft und Industrie beanspruchten große Zahlen gesunder Leute, die ohne Schaden nicht aus ihrer Tätigkeit auszulösen waren. Den Schaden trug hauptsächlich die Infanterie. Die Bataillonsstärke betrug im Juni 1918 nur noch 656 Köpfe, und die Kompanien zählten bei den zahlreichen unerläßlichen Abkommandierungen häufig nicht mehr als 30 bis 40 Gewehre in der Front. Man war genötigt, die Verbände einzuschränken und ging daran, jedem Bataillon eine Kompanie zu nehmen, an deren Stelle die bisher als fünfte Kompanie vorhandene Maschinengewehrkompanie trat.

[499] Unter solchen Verhältnissen war es ein Glück, daß dank der Tätigkeit der Heeresverwaltung und der beispiellosen Leistungen der Industrie die Versorgung des Heeres mit Kampfmitteln nicht in Frage stand. Es war sogar möglich, der größten Zahl der Feldbatterien auf der Westfront im Sommer 1918 fünfte und sechste Geschütze, freilich ohne Pferde und Kanoniere, zu überweisen. Verteidigungsstärke und Angriffskraft wurden dadurch wesentlich gehoben, die Artillerietransporte für kommende Offensiven eingeschränkt. Schwierig blieb die Versorgung mit Betriebsstoff und Gummi; es ließ sich voraussehen, daß neben dem Kraftfahr- auch das Flugwesen über kurz oder lang empfindliche Einengungen erleiden würde.

Die Summe der gefährlichen und hemmenden Erscheinungen, die Heimat und Heer belasteten, ergab für die deutsche Kriegsleitung die Notwendigkeit, das Ringen um die Entscheidung so bald wie möglich zu beenden. Brach die deutsche Kraft erst an einer Stelle zusammen, so war Wiederholung an anderen Stellen zu befürchten. Da die bisherigen Angriffe trotz großer Siege nicht vermocht hatten, die feindliche Front über den Haufen zu werfen und ins Rollen zu bringen, so blieb nichts übrig, als die Schläge mit höchster Tatkraft zu wiederholen, bis dieses Ziel erreicht wurde und der Feind erkannte, daß den Deutschen die Vorhand in der Kriegführung nicht entrissen werden konnte.

Noch schärfer als beim Beginn der Frühjahrsangriffe zeigte es sich nach der Blücher-Offensive, daß Deutschland unter seinen Bundesgenossen allein stand. Die Österreicher hatten sich nach langem Zaudern endlich entschlossen, am 15. Juni 1918 die versprochene Entlastungsoffensive in Italien zu führen.111 Ihr Angriff erfolgte in sehr breiter Front, umfaßte den größten Teil des Raumes vom Gardasee nach Osten bis zum Meere und zersplitterte sich in dem Bestreben, an gewissen Druckpunkten die italienische Front zu zerbrechen. Nur an einer Stelle glückte er, am Montello, der nach Überschreiten der Piave erstürmt wurde. Hier aber gestaltete sich die Lage für die Österreicher so ungünstig, daß die Errungenschaft nach wenigen Tagen wieder aufgegeben werden mußte, und so zerfloß die ganze Offensive trotz zahlreicher Gefangener in einen Mißerfolg. Jetzt endlich waren die Österreicher geneigt, Truppen zu unmittelbarer Unterstützung an die Westfront abzugeben; es waren aber nur vier Divisionen, die dazu in Marsch gesetzt wurden. Die beiden ersten trafen im Juli ein und bedurften mehrere Wochen Ruhe und Ausbildung, um frontverwendungsfähig zu werden; erst Ende August folgten die anderen.

In den Augen der Ententemächte galten die Österreicher als so geschwächt, daß sich die lombardische Front von den englischen und französischen Unterstützungstruppen, aber auch von italienischen Verbänden zu entleeren begann. Die Westfront zeigte im Sommer 1918 die Mischung der Truppen fast aller kampfkräftigen Ententestaaten, die gegen Deutschland und Österreich die Waffen erhoben hatten.

[500] Die verunglückte österreichische Offensive erzeugte in den Parlamenten der Donaumonarchie höchst unerfreuliche Wirkungen, so daß der innere Zusammenhang dieses Staates und sein Kriegswille schwer erschüttert schienen. Auch die Kraft der Türkei war im sichtlichen Schwinden. Nur Bulgarien stand fest; so glaubte man wenigstens seine Haltung beurteilen zu sollen. Indes für die Verstärkung der deutschen Westfront kam sein Heer nicht in Betracht; im Gegenteil, Bulgarien forderte immer wieder deutsche Hilfe. Die Lage der Bundesgenossen verlangte also gleichfalls schnelle Beendigung des Krieges.

Die deutschen Truppen, die im Osten, in Finnland und in der Ukraine auf der Wacht gegen den russischen Bolschewismus standen, konnten in dieser Zeit höchstens noch einige Artillerieformationen abgeben; aus ihrem Mannschaftsstande waren die jüngeren Jahrgänge zugunsten der Westfront bereits herausgezogen. Mit der Verwendung deutscher Kriegsgefangener, die aus Rußland zurückkehrten, mußte Vorsicht geübt werden; ein Teil von ihnen war widerwillig, sah den Krieg für sich als beendet an, ein anderer Teil war der Neigung zum Bolschewismus verdächtig.


Neue Angriffspläne.

Die Kraftquellen, aus denen der Mannschaftsstand der deutschen Westfront gespeist werden konnte, waren also nicht mehr groß, und die verfügbare Truppenzahl gestattete nicht, die beabsichtigten Schläge kurz aufeinander folgen zu lassen. Die deutsche Heeresleitung hielt an dem Grundsatz fest, lieber spät als mit unzureichender Rüstung zu schlagen. Nach Beendigung der Blücher-Offensive mußte notgedrungen eine Pause eintreten, die auch der Erholung der Truppen zugute kommen sollte. Damit wurde freilich auch dem Feinde eine Wohltat erwiesen; mit Mehrung seiner Abwehrkraft war zu rechnen, die die eigenen Leistungen voraussichtlich erhöhte. Das ließ sich nicht ändern. Besonders die amerikanische Stärke war gewaltig im Wachsen. Anfang Juli konnte mit mehr als einer Million Amerikaner auf französischem Boden gerechnet werden, von denen für den Kampf etwa 600 000 Mann in Betracht zu ziehen waren.

Immer noch sah die Oberste Heeresleitung in dem wiederholten Schlage gegen die Engländer auf dem alten flandrischen Kampfboden das Hauptziel der Offensive. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht hatte das Unternehmen "Neu-Georg", das jetzt "Hagen" genannt wurde, bei der 4. und 6. Armee sorgfältig vorbereitet; dagegen war der mit "Neu-Michael" und später mit "Wilhelm" bezeichnete Angriffsplan bei der 17. und 2. Armee in den Hintergrund getreten.112 "Hagen" sollte nach der Entscheidung der Obersten Heeresleitung vom 6. Mai 1918 Mitte Juni aus der Linie Gegend östlich Ypern - Bailleul - Vieux Berquin bei Merville auf Boesinghe - Poperinghe - Godwaersvelde - Berre vorgeführt werden; als weitere Ziele galten das Hochland um Cassel, später [501] Dünkirchen und Calais. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schlug als Angriffstag den 26. Juni vor. Die Vorbereitungen blieben aber in der Schwebe, da der Gang der Blücher-Offensive den Zeitpunkt der Ausführung ins Unsichere hinausschob. Als Anfang Juni von den zurückgehaltenen 32 Mob.-Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht113 Kräfte nach Süden abgegeben werden mußten, die schwer ersetzt werden konnten, war es klar, daß noch Wochen vergehen würden, bis der Hagen-Plan zur Tat wurde.

Der Gedanke, vor Hagen noch einmal gegen die Franzosen zu schlagen, beschäftigte die Oberste Heeresleitung schon seit Anfang Juni. Die Stärkeverhältnisse der Gegner auf der Hagen-Front schienen ihr nicht derart zu sein, daß dem Stoße gegen die Engländer der erwünschte durchschlagende Erfolg zuzuschreiben gewesen wäre. Blücher hatte zwar unzweifelhaft entlastend gewirkt, aber doch nicht in dem Maße, daß die 4. und 6. Armee nunmehr vor einer ausgesprochen schwachen Front gestanden hätten. Die Hauptmasse der französischen Reserven war freilich nicht mehr im Norden, sondern zwischen der Mitte der deutschen Westfront und Paris anzunehmen. Suchte man wieder nach einer zerstörbaren Stelle, die mit Aussicht auf den Sieg durchstoßen werden konnte, so mußte sie weiter ostwärts gefunden werden, also bei Reims oder östlich davon.

Glückte es hier, ein großes Ergebnis zu erzielen, so kam man entweder zu der erstrebten Wendung des Krieges in Gestalt der Friedensgeneigtheit der Feinde oder wenigstens zu günstiger Vorbereitung des Hagenstoßes durch Ablenkung und Vernichtung weiterer feindlicher Reserven. Man hoffte dann die Engländer um so vernichtender zu treffen. Es war selbstverständlich, daß die Oberste Heeresleitung auch darüber hinaus noch Pläne fassen und durchdenken mußte. Blieb auch Hagen nur eine Etappe auf dem Wege zum Endsiege, so hatte noch im Jahre 1918 ein letzter großer Angriff zu folgen, für den die Richtung auf Paris, etwa aus der Linie Moreuil - Marne, in Frage kam.114 Sollte die deutsche Kraft hierzu nicht mehr ausreichen, so konnte mit geringeren Mitteln versucht werden, den Kampf nach Italien zu übertragen und dort durch die Niederwerfung dieses noch nicht völlig besiegten Ententestaates den Umschwung zum Frieden herbeizuführen. Einen solchen Weg zu gehen, lag aber jetzt, da man neue Siege auf der Westfront erhoffte, noch keine bestimmende Veranlassung vor; Paris war näher, und dorthin richtete sich der Blick für den Fall, daß die beiden kommenden Schläge nur Erschütterungen, keine zwingenden Niederlagen der Feinde sein würden.

Für die Operation bei Reims oder östlich davon war es aus strategischen und technischen Gründen geboten, die Einbruchsstelle nicht zu weit des bisherigen Kampfschauplatzes zu suchen. An sich wäre ein großes Unternehmen aus der reichsländischen Front, etwa beiderseits der Mosel, wohl aussichtsvoll gewesen, [502] hätte aber einen großen Teil der deutschen Kräfte an einer Stelle festgelegt, die von den bisherigen in Kampfspannung befindlichen Angriffsfronten entfernt war und keine günstigen Bahnverbindungen dorthin aufwies. Die bisherigen Errungenschaften konnten dadurch in Gefahr geraten. Es kam hinzu, daß der Geländegewinn der Blücher-Offensive unvollkommen geblieben war, und besonders das unbezwungene Reims eine gefährliche Ausfallpforte für die linke Flanke der vorgewölbten neuen Stellung darstellte. Die Oberste Heeresleitung faßte den Gedanken der hier erforderlichen Linienberichtigung mit der neuen Unternehmung zusammen, zumal da durch die Eroberung von Reims auch die Eisenbahnverbindungen für die 7. Armee wesentlich gebessert wurden.

Ursprünglich wurden in der ersten Hälfte des Juni der Plan eines Vorstoßes über die Marne mit dem Ziele Epernay und der Rolandplan östlich von Reims wahlweise nebeneinander erwogen.115 Ersterer schien den Vorzug zu verdienen. Vom XXIII. Reservekorps - das eigens hierfür auf dem linken Flügel der 7. Armee eingeschoben war - über die Marne-Strecke Gland - Verneuil geführt, traf er voraussichtlich jenseits des Flusses nur auf schwache Besetzungen und konnte gerade wegen des notwendigen Stromüberganges auf völliger Überraschung aufgebaut werden. Wurde Epernay erreicht, indem sich die Offensive längs der Marne in südöstlicher Richtung ausdehnte, so verlor Reims seine Zufahrtsstraßen von Süden her. Vielleicht fiel dann der Berg- und Waldgeländeblock zwischen Reims und Epernay, dreiseitig eingeschnürt, mitsamt Reims ohne weiteres in deutsche Hand; wenn nicht, so mußte eine anschließende Unternehmung nördlich der Marne dies Ergebnis bringen, etwa aus der Linie Verneuil - Jonquery. Starke Kräfte waren nicht erforderlich.

Dieser Plan hatte also den Vorteil, neben der Erschütterung des Gegners auch den Gewinn von Reims zu erbringen. Dagegen erforderte Roland, der Durchbruch auf der nach Süden gerichteten Front östlich von Reims, viel Zeit, sehr erhebliche Kampfmittel für die 3. Armee, beeinträchtigte damit den Hagen-Plan und übte auf Reims für sich allein keinen zwingenden Einfluß aus; für aussichtsvoll wurde auch er angesehen.

Angriff Marneschutz-Reims

[Beilage zu Bd. 3]
      Skizze 26: Angriff Marneschutz-Reims (18. Juli bis 2. August 1918).      [Vergrößern]

Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz und das Oberkommando der 7. Armee setzten sich für den Marne-Plan - "Marneschutz" genannt - ein und machten bereits am 12. Juni bestimmte Vorschläge für gleichzeitige Angriffe beiderseits der Marne auf Epernay. Die Oberste Heeresleitung erkannte sehr wohl, daß das Unternehmen außerordentlich zu fördern sei, wenn diesen Angriffen durch die 1. Armee aus der Gegend östlich von Reims entgegengearbeitet würde, und zwar in der Richtung auf den Fluß östlich von Epernay über Bouzy. So nahm der Plan, ähnlich wie vordem bei den Erwägungen über die Blücher-Offensive, schon erheblich größere Formen an. Damit wuchs selbstverständlich auch der Kräfte- und Zeitbedarf.

[503] Am 14. Juni gab die Oberste Heeresleitung folgende Richtlinien für die Weiterführung der Operationen:

Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht führt Hagen aus. Angriffsbeginn etwa 20. Juli. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz trifft bei der 18. und 7. Armee Angriffsvorbereitungen auf der Front von Moreuil bis an die Marne. 7. Armee bereitet die unter "Marneschutz" angeordneten Angriffsmaßnahmen, 1. Armee den Angriff östlich Reims unter "Reims" vor; Beginn dieser Angriffe etwa am 10. Juli. Außerdem hat die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht das Wilhelm-Unternehmen - früher Neu-Michael - aus der Front Ayette - Albert weiter vorzubereiten.

Das letzte Unternehmen kam zur Ausführung kaum in Betracht; die Vorbereitung bedeutete nur ein Eisen mehr im Feuer und diente auch der Täuschung des Feindes. Der Angriff Moreuil - Marne blieb der Zukunft vorbehalten. Befehlsmäßig festgelegt waren Marneschutz-Reims und Hagen, ersteres als der zeitlich voranstehende Schlag.

Am 16. Juni reichte die 1. Armee den Entwurf für Reims ein. Sie entschied sich dafür, die Offensive in großer Breite zu führen, und zwar über die Linie Prunay - Souain sogleich am ersten Tage mit dem rechten Flügel bis zur Marne bei Condé, mit dem linken bis in die Gegend von St. Etienne au Temple und begründete die Ausdehnung von 23 km mit der Notwendigkeit, Flankensicherungsgruppen zu schaffen, die Tiefe von ebenfalls 23 km mit den entsprechenden Erfolgen der Blücher-Offensive, völlige Überraschung des Gegners vorausgesetzt.

Drei Gruppen sollten gebildet werden, von denen die mittlere den Hauptstoß gegen die Marne und später nach Westen sich ausdehnend auf Epernay - der 7. Armee entgegen - zu führen hatte, während die beiden Flügelgruppen gegen seitliche Angriffe sicherten, die besonders von Osten her erwartet wurden. In diesem Plan gewann das Unternehmen von neuem an Umfang; es griff weit in den Raum der 3. Armee über, deren Grenze gegen die 1. die Stellung bei Vaudesincourt schnitt, und näherte sich so mit einiger Verschiebung nach Westen dem Rolandplane. Neben den drei Stellungs-Divisionen wurden dreizehn Stoß-Divisionen benötigt; zwei weitere sollten die Reserve bilden. Vom Gegner rechnete man mit vier Stellungs-Divisionen, höchstens zwei Divisionen und der Besatzung des Lagers Mourmelon im Rückhalt; die feindlichen Kräfte, die vom Westen und vom Osten eingreifen konnten, waren vorläufig schwer abzuschätzen.

Die Oberste Heeresleitung war mit diesen Vorschlägen im allgemeinen einverstanden, betonte die Notwendigkeit für den linken Flügel, Châlons als den Ausgangspunkt feindlicher Reserven zu erobern, und ordnete die Bildung einer vierten Gruppe auf dem linken Flügel an, der die Sicherung der linken Flanke in der Gegend von Suippes zufallen sollte. Am 18. Juni fand beim Oberkommando der 1. Armee in Rethel eine Besprechung mit General Ludendorff statt, in der die Einzelheiten der Reims-Offensive erwogen wurden. Das Ergebnis [504] waren abermalige Verbreiterung der Angriffsfront auf dem gefährdeten Ostflügel bis zur sogenannten "Wetterecke" in der Gegend südlich von Tahure und Schaffung klarer Befehlsverhältnisse.

Die Leitung des Angriffs Reims wurde der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz in Mézières übertragen, der die Oberkommandos der 1. und 3. Armee für diesen Zweck nachgeordnet blieben; den Angriff Marneschutz leitete unter der Heeresgruppe die 7. Armee, ihr wurden nördlich der Marne die Generalkommandos Nr. 65 und des VI. Reservekorps der 1. Armee unterstellt.116 Am 19. Juni wies die Oberste Heeresleitung der Heeresgruppe 27 Angriffsdivisionen zu, 14 für Marneschutz, 13 für Reims, deren Zuführung noch vorbehalten blieb.

Bereits am 17. Juni legte das Oberkommando der 7. Armee seinen Entwurf für Marneschutz vor. Es beabsichtigte vier Gruppen zu bilden, von denen Gruppen A und B den Marne-Übergang zwischen Gland und Dormans einschließlich erkämpfen und Gland, St. Eugene, Surmelin-Bach bis nördlich Baulne, Gegend östlich von Igny le Jard erreichen sollten. Gruppe C hatte östlich anschließend beiderseits von Verneuil den Fluß zu überschreiten und bis östlich von Igny le Jard, Ablois St. Martin, Vauciennes vorzustoßen. Nördlich der Marne wurde Gruppe D aus der Linie Verneuil - Chambrecy gegen Damery, Fleury la Rivière, la Neuville aux Barris und den Wald südöstlich von Chambrecy angesetzt. Der Kräftebedarf belief sich auf zehn Stoß- und vier Divisionen Reserve. Die Schwierigkeiten des Marne-Übergangs und der Gewinnung des südlich des Flusses laufenden Bahndamms wurden gebührend gewürdigt.

Für die weitere Bearbeitung durch die Oberkommandos legte nunmehr die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die Aufgaben der drei beteiligten Armeen wie folgt fest:

      "7. Armee durchbricht in überraschendem Stoße die feindlichen Stellungen zwischen Gland und Chambrecy und setzt sich in Besitz der Übergänge von Epernay und der Höhen südöstlich der Stadt. Die rechte Flanke ist durch Vorstoß bis in die allgemeine Linie Gland - St. Eugene - Orbais - Höhen südlich Brugny zu sichern. Zum Schutze der linken Flanke des Angriffs hat der linke Artillerieflügel nördlich der Marne so weit wie möglich, wenigstens bis in die Linie Manoy - Chouilly - Ay - Dizy Magenta - Hautvillers - Nanteuil la Fosse - Chaumuzy - Chambrecy, vorzudrücken.
      1. Armee durchbricht die feindlichen Stellungen zwischen Prunay und Aubérive und geht unter Sicherung gegen die Reimser Berge zwischen Condé und Châlons über die Marne. Durch Vorstoß über die Linie Bouzy - Condé in Richtung Epernay ist Anschluß an 7. Armee zu nehmen.
      3. Armee deckt die linke Flanke der Operation und setzt sich hierzu zunächst in Besitz der allgemeinen Linie Höhen östlich St. Etienne - Südosthänge der [505] Höhe 182 an Straße Suippes - Châlons - Somme-Suippes - Höhen südöstlich Perthes.
      Mit fortschreitendem Angriff der 1. Armee hat die 3. Armee die allgemeine Linie Courtisols - Tilloy-Bellay - Somme-Tourbe - Tourbe-Abschnitt zu gewinnen, um den Marne-Übergang der 1. Armee gegen Osten zu sichern. Der linke Flügel der 7. Armee schließt sich dem allgemeinen Vorgehen an und setzt sich zunächst in Besitz der Linie Verdon - Höhen von la Chapelle - Höhen von Beaunay - Höhen südwestlich Bergères."

An Truppen waren einzusetzen im ersten Treffen elf Divisionen von der 7., sieben von der 1., sechs von der 3. Armee; im zweiten und dritten Treffen sieben von der 7., vier von der 1., vier von der 3. Armee einschließlich der Stellungsdivisionen, zusammen also 39 Divisionen, hinter denen noch zehn weitere Divisionen verfügbar sein sollten.

Am 21. Juni wurden diese Aufträge durch Heeresbefehl den Armee-Oberkommandos bekanntgegeben. Die Heeresgruppe bezeichnete hierbei als erstes Ziel die Abschnürung der feindlichen Kräfte im Reimser Bergwald und betonte die Notwendigkeit völliger Überraschung. Besondere Täuschungsunternehmungen zur Ablenkung der Aufmerksamkeit des Feindes wurden nicht beabsichtigt, weil sich an zahlreichen anderen Fronten gleichzeitig Angriffsvorbereitungen im Gange befanden, die am besten der Verschleierung dienten; auch für die Heeresgruppen Gallwitz und Herzog Albrecht von Württemberg waren solche angeordnet. Nur die Betätigung irreführenden Funkenverkehrs wurde beschlossen.


Vorbereitungen für die Marneschutz-Reims-Offensive.

Die Vorbereitungen für Marneschutz-Reims wurden durch den Umstand beeinflußt, daß dem Unternehmen die Hagen-Operation mit kurzer Frist folgen sollte. Man vermied es deshalb, der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht Kräfte zu entziehen; sie hatte sich selbst, teilweise durch Lockerung der Front, Ersatz für die Divisionen zu schaffen, die bisher an die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz abgegeben waren, und die Bahnbeförderungen für ihre sonstige Ausstattung gingen weiter. Die Truppen, die über den Bestand der beteiligten Armeen hinaus erforderlich waren, wurden der 18., 7., 9. Armee und den Heeresgruppen Gallwitz und Herzog Albrecht entnommen. Die 18. und 7. Armee hatten sich neue Reserven für die abgegebenen Divisionen zu bilden, indem sie Verbände aus ihren Fronten zogen, wobei zeitweilige Gefahren überwunden werden mußten. Die Heeresgruppen des linken Flügels erhielten für kampfbrauchbare Truppen abgekämpfte aus den letzten Offensiven.

Die mitwirkende Artillerie belief sich im ganzen auf 2010 Batterien und setzte sich aus den Beständen der beteiligten Armeen und aus Abgaben der 18. Armee und der Heeresgruppen Gallwitz und Herzog Albrecht zusammen. [506] Auch aus dem Osten kam ein Teil der Artillerie, und weitere Mehrung geschah aus den verfügbaren Geschützvorräten in der Heimat, die für vorhandene Feldbatterien fünfte und sechste Geschütze und einige geschlossene Batterien stellten. Von Bedeutung war die Heranziehung zahlreicher Pioniere, weil der Angriff westlich von Epernay mit dem Übergang über die brückenlose Marne zu beginnen hatte; auch östlich der Linie Reims - Epernay sollten im Verlauf des Angriffs die Vesle und später die Marne östlich von Epernay überschritten werden. Die Zuteilung von Minenwerfern, Fliegern und anderen Sonderwaffen geschah nach den bewährten Grundsätzen früherer Offensiven; sechs Geschwader der gepanzerten Kraftwagenwaffe, die sich noch in langsamer, durch die Überlastung der Industrie gehemmter Entwicklung befand, wurden dem Flügel der 7. Armee nördlich der Marne, der 1. und 3. Armee überwiesen. Neben dem erforderlichen Kriegsgerät, dem Schießbedarf, den Verpflegungsvorräten spielte dieses Mal auch die Lieferung zahlreicher Brückenwagen eine Rolle.

Die Anbeförderung der Truppen erfolgte teils im Fußmarsch, teils mit der Eisenbahn, die außerdem die zahlreichen Materialtransporte zu bewältigen hatte; die Bewegung vollzog sich glatt und ohne Reibungen, obwohl bei der 7. Armee die Schienenwege zur Marne sehr wenig leistungsfähig waren. Die Verstärkungsverbände, soweit sie fuhren, trafen vom 28. Juni an in ihren neuen Unterbringungsräumen ein und waren am 8. Juli versammelt. Da zum eigentlichen Aufmarsch fünf Tage erforderlich waren, genügte die verfügbare Zeit nicht, um den Angriff, wie vorgesehen, schon am 10. Juli zu führen; die Oberste Heeresleitung sah sich daher, sehr gegen ihren Wunsch, genötigt, den Entscheidungstag auf den 15. Juli zu legen; dadurch wurde auch der Hagen-Termin beeinflußt. Hiervon abgesehen waren die Vorbereitungen eine kaum noch zu übertreffende Musterleistung, die sich auf die Summe aller bisherigen Erfahrungen, auf die Sachverständigkeit, den Eifer und den Ehrgeiz der Führer und Truppen stützte; für die Artillerie stand der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz wieder Oberst Bruchmüller zur Seite.

In den Wochen bis zum Angriffstage wurde die Ausbildung der Truppen eifrig betrieben. Von den Divisionen waren zwar die meisten schon in vorausgegangenen Offensiven erprobt, sehr viele hatten den Sturm gegen und über den Chemin des Dames mitgemacht, aber der Ersatz für die starken Ausfälle an Offizieren, Mannschaften und Pferden forderte Neubelebung des Erlernten und neue feste Fügung in den Verbänden. Von besonderer Bedeutung war die Unterweisung der Pioniere, die die 70 m breite Marne angesichts des nahen Feindes zu überbrücken hatten. Die versteckte Lagerung des Brückengeräts auf dem Nordufer mußte in einer Reihe von dunklen Nächten durchgeführt werden, glückte vollkommen und schuf damit die wichtigste Vorbedingung für das Gelingen des Übergangs.


[507] Angriffsbefehle für Marneschutz-Reims.

Die 7. Armee hatte mit der Marne-Überschreitung die schwerste Aufgabe des Gesamtunternehmens zu leisten. Indes auch hiervon abgesehen fand sie für ihr Vorgehen schwierige Verhältnisse. Die Front, aus der sie vorbrechen sollte, fiel von Gland östlich von Château Thierry bis Verneuil mit der Marne zusammen; von dort strich sie, nach den Ergebnissen der Blücher- und Görz-Kämpfe, in nordöstlicher Richtung über Jonquery, Boujacourt, Chambrecy auf den Nordwestrand der Stadt Reims, durchschnitt also das Reimser Bergland. Der Angriff, durch die Marne in zwei Hälften geschieden, führte in eine Gegend, die auch südlich des Stroms durchaus gebirgige, waldbedeckte, der Verteidigung günstige, der Offensive durch geringe Wegsamkeit und beschränkten Überblick abträgliche Formen zeigte. Nördlich der Marne stellte sich zudem der tief eingeschnittene Le Belval-Bach dem Vorgehen entgegen. Die Schwierigkeiten eines solche Geländes waren aus den Gefechten der 1. Armee um den Besitz von Reims zur Genüge bekannt.

Dadurch, daß als erstes Ziel Epernay bestimmt war, erhielt das zu gewinnende Gelände sehr lange Flanken, besonders südlich des Stroms, und eine Dreiecksgestalt, deren Spitze nicht senkrecht über der Mitte der Frontlinie stand. Deshalb konnten die äußeren Gefechtsstreifen nicht geradlinig, sondern nur bogenförmig festgelegt werden. Rechnet man hinzu, daß der erste Schritt, der Brückenschlag, unter ungünstigen Umständen in feindlichem Feuer getan werden mußte, so erhellt, wie sehr es auf Überraschung, Ordnung, Tatkraft, festes Zufassen, Selbsttätigkeit und Unbeirrtheit der Führung und Truppen ankam. Auch wenn die ersten Ziele überschritten wurden, blieben die Schwierigkeiten des Geländes zunächst ungemindert. Das Vertrauen, das die Oberste Heeresleitung auf die 7. Armee setzte, war außerordentlich hoch, aber nach den bisherigen Erfolgen wohl begründet.

Die schon gekennzeichnete Angriffsfront der 7. Armee zwischen Gland und Chambrecy war nach Abschluß der Blücher-Offensive von zwei Gruppen besetzt gewesen, die unter den Befehlen des Generalkommandos des XXIII. Reservekorps und des Generalkommandos Nr. 65 standen.117 Für die Offensive wurden zwischen XXIII. Reservekorps und Generalkommando Nr. 65 zwei Gruppen eingeschoben, die dem rechten Flügel der 7. Armee angehört hatten, die Generalkommandos des VIII. Reserve- und IV. Reservekorps,118 so daß vier am Angriff beteiligt waren; außerdem trat auf dem linken Flügel der Angriffsfront das VI. Reservekorps, das das Vorgehen zunächst nicht mitmachen sollte, eine Divisionsbreite an das Generalkommando Nr. 65 ab. In erster Linie bauten sich zwölf Stoßdivisionen auf; dahinter standen vier Divisionen der Korpsreserve bereit, weiter rückwärts vier als Armeereserven.

[508] Am 25. Juni gab der Oberbefehlshaber der 7. Armee, General v. Boehn,119 aus dem Armeehauptquartier Jouaignes den Angriffsbefehl. Als Zweck der Offensive wurde die Vernichtung der feindlichen Kräfte um Reims und im Reimser Bergwald bezeichnet, die durch Vereinigung mit der über Condé vorgehenden 1. Armee bei Epernay zu erzielen sei, während die 3. Armee die linke Flanke zu decken habe. Die 7. Armee sollte mit der Armeemitte den Marneabschnitt Chartèves - Verneuil überschreiten, nach Süden vorgehend den Surmelin-Bach gewinnen, mit dem linken Armeeflügel den Feind nördlich der Marne angreifen und mit dem rechten Armeeflügel den Angriff nach Westen hin sichern. Die Lösung dieser ersten Aufgaben schuf die Grundlage für das weitere rücksichtslose Vorgehen beiderseits der Marne auf und über Epernay und südlich davon. Im einzelnen fielen den Gruppen folgende Aufträge zu:

XXIII. und VIII. Reservekorps überschreiten die Marne in der allgemeinen Linie Chartève - Vincelles und erstürmen die Höhen zwischen Marne und Surmelin-Bach, um für den Angriff auf Epernay rittlings der Marne Raum zu schaffen. Das Südufer des Surmelin-Bachs ist mit Vortruppen zu besetzen. XXIII. Reservekorps hat in der Linie Gland - St. Eugene - Celle-les Condé die rechte Flanke zu sichern.

IV. Reservekorps geht auf der Strecke Vincelles - Troissy über den Fluß und führt den Stoß auf und über Epernay, der dauernd im Gange bleiben muß. Möglichst schnell sind weiter östlich die Übergänge bei Binson zu gewinnen.

Generalkommando Nr. 65 erreicht nördlich der Marne die Linie Ay - Nanteuil-la Fosse - Bligny. Der Schwerpunkt ist auf Fleury-la Rivière zu richten.

Im weiteren Verlaufe des Angriffs hat IV. Reservekorps, indem es sich an VIII. Reservekorps anschließend gegen Süden sichert, der 1. Armee nach Osten entgegenzuarbeiten, nördlich von der Gruppe des Generalkommandos Nr. 65 begleitet, die jede Gelegenheit benutzt, um vorwärts zu kommen.

Die dem Angriff rechts benachbarten Gruppen, VIII. Armeekorps beiderseits von Château Thierry und XXV. Reservekorps beiderseits des Ourcq, sichern Flanke und Rücken der Offensive.

Die links benachbarte Gruppe des VI. Reservekorps westlich Reims, die bei Ausgabe des Befehls noch zur 1. Armee gehörte, hatte von ihrem Oberkommando bereits Befehl, sich bei Erlahmen des feindlichen Widerstands dem Angriff anzuschließen.

Die Stellung der 1. Armee, der Hauptpartnerin der 7. für die Offensive, setzte am linken Flügel dieser Armee bei Gueux an, umschloß Reims von Norden in einem nach Süden offenen Bogen, strich dann nach Südosten auf Prunay und ging nordwestlich dieses Ortes durch das Waldgelände westlich von Moronvillers in östliche Richtung über, bog bei diesem Orte nach Südosten und erreichte an der Suippes bei Vaudesincourt die Grenze der 3. Armee. Sie durchschnitt den [509] kalkigen Boden der Champagne, wo zuletzt im April 1917 gelegentlich der französischen Aisne-Offensive gekämpft worden war. Damals gingen die Höhen beiderseits von Prosnes den Deutschen verloren; sie lagen nunmehr vor der Angriffsfront. Der Angriffsraum wurde zwischen Courtisols und Prunay von der Vesle geschnitten, die höchstens 16 m breit, mit festen Ufern, durch ein ausgedehntes Wiesental fließt. In dem Winkel zwischen der deutschen Stellung und der Vesle um Prosnes ist das Land bergig, mit Waldresten bedeckt; nach Osten zur Suippes geht es in die mäßig bewegte Fläche des Lagers von Châlons über. Südlich der Vesle auf dem rechten Flügel durchschnitten die Angriffslinien die Ausläufer des Bergwaldes von Reims und stießen dann auf die Marne zwischen Condé und Châlons, die hier vom Marne-Kanal begleitet ist.

Abgesehen von der Zerklüftung durch frühere Schlachten bot das Gelände keine besonderen Schwierigkeiten, zum mindesten nicht annähernd solche, die sich der 7. Armee entgegenstellten.

Ohne das VI. Reservekorps, das zur 7. Armee übertrat, war die Front der 1. Armee von drei Gruppen besetzt gewesen, XV. Armeekorps,120 VII. Reserve-121 und XXIV. Reservekorps.122 Für den Angriff Reims wurde zwischen VII. und XXIV. Reservekorps noch die Gruppe des XIV. Armeekorps123 eingeschoben. Die Linie, aus der die Offensive vorgeführt werden sollte, erstreckte sich von der Gegend nördlich Sillery bis Vaudesincourt, die Suippes noch um ein geringes nach Osten überschreitend; es blieb daher XV. Armeekorps vor Reims am ersten Vorgehen unbeteiligt. Acht Stoßdivisionen standen vorn bereit, dahinter waren fünf Divisionen der Korps und Armeereserve verfügbar.

Am 21. und 28. Juni und ergänzend am 9. Juli gab der Oberbefehlshaber, General v. Mudra,124 im Armeehauptquartier Rethel die Befehle für die Offensive aus, die die Abschnürung des Gegners im Reimser Bergwald zum Ziel hatte. Die 1. Armee sollte die feindlichen Stellungen zwischen Prunay und Aubérive durchbrechen, unter Sicherung gegen Reims und den Reimser Bergwald beiderseits der Marne auf Epernay vorstoßen und die Vereinigung mit der über Epernay vorgehenden 7. Armee an der Marne erzwingen; die linke Flanke wurde durch die 3. Armee gedeckt. Auf dem rechten Flügel des Angriffs hatte VII. Reservekorps, zwischen Sillery und Prosnes vorgehend, mit einem Teil der Kräfte den Besitz der Linie Verzenay - Verzy - Bouzy zu gewinnen und unter diesem Schutze mit dem andern über Trépail, zwischen Bouzy und der Marne, auf die Linie Avenay - Mareuil sur Ay einzuschwenken, der 7. Armee entgegen. XIV. Armeekorps in der Mitte wurde westlich und östlich von Prosnes auf die Marne beiderseits von Condé angesetzt und sollte rittlings des Flusses gleichfalls die Richtung nach Westen auf Epernay einschlagen. XXIV. Reservekorps auf dem linken Flügel erhielt als Ziel das südliche Ufer der Marne zwischen Aulnay [510] und Châlons; ihm fiel die Verbindung mit der 3. Armee zu. Dem XV. Armeekorps endlich wurde die Feuerunterstützung des Angriffs übertragen; es hatte sich dem Vorgehen anzuschließen, sobald sich der feindliche Widerstand schwächte, vorher aber einen Angriff vorzutäuschen.

Die Stellung der 3. Armee setzte bei Vaudesincourt an der Suippes die der 1. Armee fort, erstreckte sich durch die Champagne nach Osten und durch die Argonnen bis nach Avocourt bei Verdun. Es war alter blutgetränkter Boden, dessen tiefe Narben von deutscher Kraft und deutschem Schwunge beredtes Zeugnis ablegten. Westlich der Argonnen waren im Winter 1915 und im Herbst 1916 die ruhmreichen Abwehrkämpfe geschlagen worden, die die Durchbruchsgelüste der Franzosen, ihre frühen Versuche, durch Ermattung und Übermacht an Material den Verteidiger niederzuwerfen, scheitern ließen; die Namen Perthes und Souain bezeichneten die Brennpunkte dieser damals in ihrer Furchtbarkeit noch unerhörten Schlachten. Das öde, mit zerstörten Orten und Waldstücken bedeckte, von zertrümmerten Straßen durchschnittene Kalkland im Angriffsraume bot keine besonderen Hemmnisse, soweit sie nicht in der Zerreißung des Bodens durch Sprengungen und Geschoßwirkungen zu suchen waren; auch die Suippes, die ähnlich wie die Vesle vor der 1. Armee das Kampffeld quer durchschneidet, ist als besonderes Hindernis nicht anzusprechen. Von Bedeutung waren die Höhen am Südostrand des Lagers von Châlons und bei Perthes.

Die 3. Armee zählte in ihrer Front vor dem Angriff drei Gruppen, Py, vom XXI. Armeekorps,125 Perthes, vom XVI. Armeekorps,126 und Argonnen, von den Truppen des Generalkommandos Nr. 58127 besetzt. Die Linie, aus der vorgebrochen werden sollte, erstreckte sich vom Ostufer der Suippes bis zur "Wetterecke" südlich von Tahure, wofür XII., XV. und das zwischen beiden eingeschobene I. bayerische Armeekorps128 in Betracht kamen; in Erweiterung des bisherigen Planes sollte sich aber auch das Generalkommando Nr. 58 in dem Raume zwischen der "Wetterecke" und dem westlichen Höhenrand der breiten Aisneniederung mit zeitlichem Abstande dem Vorgehen anschließen. Die drei erstgenannten Korps hatten sieben Divisionen in erster Linie, drei im zweiten Treffen, zwei standen zur Verfügung des Armee-Oberkommandos; vom Generalkommando Nr. 58 kam dazu die rechte Flügeldivision.

In seinem Befehle vom 21. Juni aus dem Armeehauptquartier Maison Rouge bei Vouziers bezeichnete der Oberbefehlshaber, General v. Einem,129 die Aufgabe der 3. Armee dahin, daß die feindliche Front zwischen Suippes und "Wetterecke" zu durchbrechen und durch Schwenkung nach Südosten das Vorgehen der 1. Armee gegen die Marne unterhalb Châlons zu decken sei. Der Schwerpunkt des Angriffs lag in der Mitte und auf dem linken Flügel, um den baldigen Besitz der Höhen nördlich und südlich von Perthes zu erkämpfen und [511] unter diesem Flankenschutz gegen Osten den westlich anschließenden Divisionen das Vorgehen über das ebene Gelände der Suippes zu erleichtern. Nach Erreichung der Linie Dorf Suippes - Wetterecke südlich Tahure sollte sich der Schwerpunkt an die Chaussee Suippes - Châlons verschieben.

Im einzelnen hatte XII. Armeekorps, aus der Linie Ostufer der Suippes bei Vaudesincourt - Gegend südlich St. Marie vorgehend, St. Hilaire le Grand, die Höhe 182 an der Straße Suippes - Châlons und la Cheppe zu nehmen, um am zweiten Tage das Höhengelände von St. Etienne au Temple und das Gelände südlich davon bis zur Marne zu gewinnen. I. bayerisches Armeekorps sollte nach Überschreiten der eigenen Stellung aus der Gegend südlich St. Marie bis zur Höhe 193 südöstlich von Somme Py das Dorf Souain, Suippes, Bussy le Château und Somme Suippes, später auch Somme Tourbe, erobern und bei der Wegnahme der Höhen nördlich und südlich von Perthes mitwirken. Diese Aufgabe fiel dem XVI. Armeekorps aus der Linie Höhe 193 - Wetterecke zu, das außerdem, je nach Vorschreiten des Angriffs, bis zur Tourbe zwischen Minaucourt und Ville sur Tourbe vorzustoßen hatte.

Es ergab das geplante Vorgehen der 3. Armee eine neue nach Südosten gerichtete Front, die aus der Gegend südöstlich von Châlons über Courtisols, Somme Tourbe, Minaucourt bis Ville sur Tourbe reichte, mithin eine Abwehrflanke zum Schutze des auf Châlons vorstoßenden linken Flügels der 1. Armee. In einem Ergänzungsbefehl vom 26. Juni wurde Generalkommando Nr. 58 angewiesen, sich bei weiterem Vorschreiten mit der rechten Flügeldivision dem Stoße auf dem westlichen Aisne-Ufer anzuschließen; auch der Angriff des linken Flügels des XVI. Armeekorps auf Minaucourt - Ville sur Tourbe hatte erst stattzufinden, wenn das Höhengelände um Perthes in sicherem Besitze war.

Die Feuerzeiten für die Artillerie und der Sturmbeginn wurden von der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz einheitlich geregelt. Die Artillerie hatte ihre Tätigkeit am 15. Juli 110 morgens zu beginnen; um 450 morgens sollte der Anlauf der Infanterie stattfinden, nachdem vorausgehend bei der 7. Armee schon die Pontons zur Marne gebracht und die ersten Sturmwellen übergesetzt waren.

Das Unternehmen Marneschutz-Reims war dadurch ausgezeichnet, daß es mit dem Durchbruch zugleich eine Umfassung großen Stiles vorsah, die von Reims und des Reimser Berglandes mit allen den feindlichen Kräften, die diese breit und wuchtig in die deutsche Stellung einspringende Bastion verteidigten. Wenn die 1. Armee, wie sie selbst hoffte, in einem Tage von ihrer Ausgangsstellung bis nach Bouzy und Condé an der Marne gelangte, die 7. Armee auf näherem Wege die Gegend westlich von Epernay erreichte, so war es voraussichtlich nur einem kleinen Bruchteil der eingeklammerten Kräfte möglich, in südlicher Richtung zu entkommen. Voraussetzung blieb allerdings die völlige Überraschung des Gegners.

[512] Die Anlage des ganzen Unternehmens in Verbindung mit dem ungeschwächten Vertrauen auf die Führung und die Truppen, vorausgegangenen hohen Leistungen und den einwandfreien Vorbereitungen berechtigte die Oberste Heeresleitung zur festen Hoffnung auf durchschlagenden Erfolg.

Die Marne war schon einmal im September 1914 der Ausgangspunkt eines großen, für die Deutschen verhängnisvollen Geschehens gewesen. Taktisch unbesiegt, unter Verhältnissen, die zwar schwer, aber keineswegs aussichtslos waren, hatte das deutsche Heer damals den Rückzug von der Marne zur Aisne angetreten, weil kleinmütige Nachgiebigkeit an einer einzigen Stelle durch die fern weilende Oberste Heeresleitung nicht wieder gut gemacht werden konnte. Unermeßlich war der Schaden, auf Jahre hinaus wurde die Entscheidung des Krieges vertagt. An den neuen Kampf um die Marne trat die Oberste Heeresleitung mit der Überzeugung heran, daß nichts versäumt war, um den Sieg zu gewährleisten; sie hatte die Fäden fest in der Hand, das Uhrwerk war gestellt, um ruhig und sicher abzulaufen.

Die gleiche Zuversicht beherrschte die beteiligten Armeen; schon gab die 7. Weisungen heraus, wie sich die demnächstige Verfolgung durch ihre Korps des linken Flügels nördlich der Marne gestalten werde, und die 3. Armee entwarf Pläne, um ihren Stoß aus der Linie Châlons - Ville sur Tourbe nach Südosten bis über die Argonnen hinaus vorzutragen. Die strategische Bedeutung dieser Absicht ist klar; die ganze französische Front bis St. Mihiel hätte ins Wanken gebracht werden können.

Trotz der Siegeszuversicht wurde der Fall in Erwägung gezogen, daß die Überraschung des Gegners nicht vollkommen sein würde; besondere Weisungen der Armeeoberkommandos trugen dieser Möglichkeit Rechnung. Man wußte, daß fast vor jedem großen Unternehmen Bruchteile der eigenen Pläne zum Feind hinübergesickert waren. Bei der Vielfältigkeit der Vorbereitungen auf der ganzen Westfront war es aber für den Gegner sehr schwer, genau zu prüfen, wieweit er solchen aufblitzenden Beleuchtungen der Lage an einer oder der andern Stelle Rechnung zu tragen hatte. Vor dem 15. Juli deutete nichts darauf hin, daß die Franzosen vor der Angriffsfront besondere Maßnahmen ergriffen hätten, um zu entscheidender Abwehr gerüstet zu sein. Sicherlich war stärkerer Widerstand zu erwarten als bei den früheren Angriffsunternehmungen; das lehrte schon die Gneisenau-Offensive. Die deutsche Art der Verwendung der Angriffsmittel war den Feinden nicht mehr unbekannt; sie hatten ihre Erfahrungen gemacht und, wie man annehmen mußte, verwertet.

Mit dem Einsatz starker Reserven mußte gerechnet werden, wenn auch nicht sofort, so doch im weiteren Verlaufe der Kampfhandlung. Man wußte vor der Ausgangsfront Teile der französischen 5., 4. und 2. Armee mit etwa elf Divisionen, darunter einer italienischen, in erster und nur wenigen Truppen in zweiter Linie; der Raum östlich des Angriffsraums bis zu den Argonnen schien [513] von zurückgehaltenen Kräften überhaupt frei zu sein, auch westlich von ihm lag kein Anlaß vor, starke Reserven anzunehmen. Das waren die Mittel, die die Franzosen den 45 deutschen Divisionen, die für den Sieg bereitstanden, zunächst entgegenzuwerfen hatten. Sie konnten aber allmählich sehr erhebliche Truppenmengen herbeiführen; es war der Obersten Heeresleitung bekannt, daß die Franzosen jetzt über 30 bis 34, die Engländer über 27, die Amerikaner über 13 Divisionen verfügten, die nicht in Stellungen gebunden waren; die amerikanischen kamen allerdings als noch nicht verwendungsfähig kaum in Betracht. Indes die Reserven befanden sich meist weiter im Norden vor der Front verteilt, die nächsten von ihnen augenscheinlich in der Gegend von Villers Cotterêts, vor der vielbestürmten Westfront der 9. und 7. Armee.

Hier schien die Lage kurz vor dem 15. Juli recht bedrohlich zu werden. Am 9. Juli lief eine glaubwürdige Nachricht von außerhalb ein, daß die Franzosen in den nächsten Tagen, voraussichtlich am 14. Juli, dem Nationalfeiertage, die deutschen Stellungen zwischen Aisne und Marne von Westen und Süden umfassend angreifen würden; am 11. Juli wurden Gefangene gemacht, die diese Voraussagen bestätigten und von starken Truppenansammlungen im Wald von Villers Cotterêts berichteten. Die zunächst gefährdete 9. Armee beantragte sofort die Überweisung von vier kampfkräftigen Divisionen, und die Oberste Heeresleitung stellte tatsächlich eine Division, die sie entbehren konnte, bei Laon bereit. Da aber der Angriff nicht erfolgte, wurde die Nachricht, der Beweiskraft mangelte, gleich unzähligen anderen als blinder Lärm gedeutet.

Am 15. Juli sah die 9. Armee selbst die Lage als entspannt an und zog ihren Antrag auf Verstärkung zurück. Freilich blieb die deutsche Front vor Villers Cotterêts nach wie vor eine wunde Stelle, und jene Vorhersage war ein Sturmzeichen, das sich in der Folge doch als verhängnisvoll erweisen sollte.

Die letzten Tage vor dem Angriff verliefen ruhig; nur an der Marne lebte der Geschützkampf etwas stärker auf. Der Stellungskrieg ging seinen gewohnten Gang mit Plänkeleien und der Einbringung von Gefangenen hüben und drüben. Am 11. Juli war die Vorführung des Schießbedarfs beendet; in der Nacht zum 15. Juli rückten die Sturmtruppen in die vordersten Stellungen ein. Das Wetter war insofern nicht besonders günstig, als die Windrichtung die Vergasung der feindlichen Artillerie zu behindern versprach. Das mußte in Kauf genommen werden, ebenso wie die voraussichtliche Belästigung der eigenen Truppen durch zurückschlagendes Gas.


Angriff der 7., 1. und 3. Armee.

Am 15. Juli begann die Artillerie mitten in der Nacht zur befohlenen Zeit ihr Feuer. Bei der 7. Armee sollten die Pioniere um 110 morgens mit dem Brückengerät zur Ablauflinie an der Marne vorstürzen; da prasselte schon um 1 Uhr feindlicher Gas- und Sprengbeschuß auf das Nordufer [514] des Flusses hernieder. Unter größten Mühen, mit starken Verlusten und Einbußen an Material brachten diese braven Brückenbauer ihre Pontons zum Wasser, wurden aber beim Versuch des Übersetzens von heftigem Maschinengewehrfeuer empfangen. Es gelang den ersten übersetzenden Streiftruppen die gefährlichen Ruhestörer am Südufer zu überrennen; die Pontons konnten darauf in der Dunkelheit ziemlich unbelästigt zwischen beiden Ufern verkehren. Die geplanten Brückenschläge verzögerten sich aber, weil das noch heranzuziehende Material auf den vorgesehenen Wegen durch die Wirkung des Beschusses Aufenthalt fand. Als es nach Zerstreuung des Morgennebels hell wurde, ergoß sich starkes Artilleriefeuer über den Fluß, so daß der Brückenbau auf das empfindlichste gestört, gehemmt und teilweise unmöglich gemacht wurde. Man baute deshalb bei fast allen Divisionen Fähren, um die inzwischen eingetroffenen Sturmtruppen hinüberzuwerfen. Äußerst unbequem waren zahlreiche Flieger, die ihre Bomben auf die entstehenden Brücken, Stege und auf die Fähren warfen.

Es ist erstaunlich, daß trotzdem einzelne Brücken zustande kamen und der Fährbetrieb nicht ganz unterbunden wurde. Übermenschliches leisteten die Pioniere; tadellos hielten sich die Infanteristen, die unter solchen schweren Umständen das Südufer gewinnen mußten. Der Sturm auf die vordere feindliche Linie auf der Strecke Gland - Verneuil ging planmäßig vor sich, fand aber heftigsten Widerstand durch französische und amerikanische Truppen. XXIII. Reservekorps, unter starkem Flankenfeuer von Westen leidend, eroberte im Laufe des Vormittags die Höhe südlich Mont St. Père und das Dorf Fossoy, während Crezancy wieder verloren ging; weiter östlich nahm es die Höhe südlich Courtemont. Dann stockte der Angriff. Beim VIII. Reservekorps ging es flotter voran; bis Mittag bemächtigte es sich des Rückens nördlich der Linie St. Agnan - la Chapelle und drückte auf Comblizy vor. IV. Reservekorps gelangte in dieser Zeit bis zur Höhe nördlich Comblizy, nahm den Wald östlich davon und die Gegend westlich von Mareuil. So war südlich der Marne trotz schwierigster Kampfverhältnisse fester Fuß gefaßt, eine heldenhafte Tat der ausgezeichneten Truppen; mit Ausnahme des rechten Flügels stand man vor der zweiten feindlichen Stellung.

Nördlich der Marne fanden die Divisionen des Generalkommandos Nr. 65 gleichfalls heftigste feindliche Gegenwirkung, namentlich durch Maschinengewehrnester. Trotzdem wurde in zähem Fortschreiten das Waldstück nordöstlich Verneuil erobert, in das Gehölz von Trotte eingedrungen, Paradis und der Forst nordwestlich davon bis zur Ardre bei Chaumuzy genommen. Anschließend daran bei St. Euphraise trieben Stoßtrupps des VI. Reservekorps italienische Truppen mühelos vor sich her. Der Widerstand unmittelbar nördlich der Marne war also am stärksten gewesen; weiter nach Nordosten hatten die deutschen Truppen bereits die Linie erreicht, die als erstes Tagesziel gedacht war.

Nachmittags brachte XXIII. Reservekorps noch den ganzen Rücken zwischen [515] Courtemont und St. Agnan und schließlich den Grund des Surmelin-Baches in seinen Besitz, mußte aber vor dem immer stärker werdenden Flankenfeuer in der Dunkelheit auf dem äußersten rechten Flügel Fossoy und den Flußwinkel südlich Mont. St. Père räumen. VIII. Reservekorps drang in die zweite feindliche Stellung ein und setzte sich in der Mulde bei St. Agnan und la Chapelle fest; von dort lief die eroberte Linie bis auf die Höhe westlich von Comblizy. Beim IV. Reservekorps stützte sich der feindliche Widerstand auf zahlreiche Waldstücke, die mit Maschinengewehrnestern gespickt waren; trotzdem glückte es, den Wald nordöstlich von Nesle le Repons, die Dörfer Leuvrigny, Reuil, Binson-Orquigny und Châtillon zu nehmen. Generalkommando Nr. 65 bemächtigte sich unter ähnlichen schweren Kampfverhältnissen des größten Teils des Waldes östlich des le Belval-Bachs, des Gehölzes westlich Belval und des Dorfes Marfaux an der Ardre. VI. Reservekorps hatte sich planmäßig gleichfalls in Bewegung gesetzt, machte bei St. Euphraise in südlicher Richtung weitere Fortschritte gegen die nachgiebigen Italiener, fand aber auf dem linken Flügel kräftigen Widerstand durch Franzosen.

Am Abend war die zweite feindliche Stellung an mehreren Stellen durchbrochen, der Widerstand erwies sich aber doch als so heftig, daß auch künftig nur mit schrittweisem Vordringen zu rechnen war. Das Oberkommando der 7. Armee glaubte aber geringe Reserven des Gegners voraussetzen zu sollen und ordnete daher für den 16. Juli die Fortsetzung des Angriffs mit voller Wucht an. Allgemein war der Eindruck, daß der einleitende Gasbeschuß wegen der Windrichtung versagt und die feindliche Artillerie wie die Infanterie in ungeschädigter Abwehrbereitschaft gelassen habe. Auffällig war, daß sich auf der Westfront der 7. Armee, wo bei Château Thierry und an der Naht zur 9. Armee bei Corcy örtlich gekämpft worden war, ungewöhnlich starke feindliche Luftsperre bemerkbar machte.

Im Kampfraum der 1. Armee war am 15. Juli der seit 110 morgens wirkenden Artillerievorbereitung um 550 morgens der Infanteriesturm gefolgt. Da der feindliche Widerstand gering war, überrannten die ersten Wellen unter dem Schutze der Feuerwalze leicht die vorderen französischen Linien, nur stellenweise durch zäh kämpfende Maschinengewehrnester gehemmt. Im Laufe des Vormittags erreichte VII. Reservekorps die Vesle in der Gegend südwestlich Prunay, XIV. Armee- und XXIV. Reservekorps gelangten bis in die Gegend der Römerstraße beiderseits von Prosnes bis zur Suippes; die Geländeverluste des Jahres 1917 waren also schon zurückgewonnen. Stellenweise war die Fühlung mit der Feuerwalze verloren gegangen. Rückwärtige Divisionen und Artillerie wurden nachgezogen.

Am frühen Nachmittag ergab sich, daß, ebenso wie weiter östlich bei der 3. Armee, der Gegner in der zweiten Stellung an der Römerstraße, von stärkstem Artilleriefeuer unterstützt, heftigen Widerstand leistete. Nur noch VII. Reserve- [516] korps machte einige Fortschritte; es drang über die Vesle bis an den begleitenden Kanal heran, nahm Wez und drückte weiter auf Thuisy und Courchelois vor. Beim XIV. Armee- und XXIV. Reservekorps kam dagegen der Angriff nicht über die Römerstraße hinaus. Das Armee-Oberkommando überzeugte sich, daß von schnellem Vordringen bis zur Marne keine Rede sein konnte; es beschloß, an der Naht zwischen VII. Reserve- und XIV. Armeekorps, wo es am besten vorwärts ging, eine frische Division mit der Richtung auf Sept-Saulx einzusetzen und den Angriff im übrigen mit kurz gesteckten Zielen weiterzuführen. Zum Einsatz der neuen Kräfte kam es aber nicht, da er bei dem wachsenden Widerstand aussichtslos wurde; auch Vorstöße des XIV. Armee- und XXIV. Reservekorps am Abend brachten keine Fortschritte. Indessen glaubte das Armee-Oberkommando nur dann weiterkommen zu können, wenn nach neuer Artillerievorbereitung einheitlich angelaufen würde. Trotz mancher Bedenken setzte es den Zeitpunkt des wiederholten Angriffs auf den 16. Juli 11 Uhr vormittags fest.

Bei der 1. Armee war man gleichfalls der Ansicht, daß der Gasbeschuß unwirksam gewesen sei; das allein hätte aber nicht genügt, um solch heftigen Widerstand zu erklären. Man mutmaßte daher, daß die Überraschung des Feindes nicht zustande gekommen, daß er vielmehr über die deutschen Absichten in allen Einzelheiten unterrichtet gewesen sei. Hier war Verrat, zum mindesten unvorsichtiges Handeln im Spiele, und schon die nächste Zeit sollte diesen Verdacht bestätigen. Der Gegner hatte die erste Stellung nur schwach verteidigt, den Raum bis zur Römerstraße in biegsamer Verteidigung aufgegeben, war dann aber in der zweiten Stellung um so stärker zur Abwehr bereit gewesen. Er stand tief gegliedert, und seine ungeschwächte Artillerie hatte der stürmenden Infanterie, besonders aber der nacheilenden Artillerie, erhebliche Verluste zugefügt. Besonders verderblich war das Sperrfeuer gewesen, das im Raum zwischen erster und zweiter Stellung niederging und die gehemmte Infanterie von der vorwärtseilenden Feuerwalze loslöste.

Kaiser Wilhelm wohnte dem Kampfe der 1. Armee auf einer Beobachtungswarte bei.

Die 3. Armee begann ihr Artilleriefeuer gleichfalls um 110 morgens scheinbar mit guter Wirkung, da die feindlichen Geschütze kaum antworteten; das eigene Gas schlug hier sehr weit zurück, so daß auf einzelnen Divisionsgefechtsständen die Masken aufgesetzt werden mußten. Kurz vor 5 Uhr morgens begann die Feuerwalze abzurollen, und die Infanterie erhob sich hinter ihr zum Sturm. In der tief gegliederten ersten Stellung wurde kaum Widerstand geleistet; ebenso mäßig wie das Infanterie- war das feindliche Artilleriefeuer. In der neunten Morgenstunde standen die Sturmtruppen vor der zweiten feindlichen Stellung in der allgemeinen Linie nördlich der Orte St. Hilaire le Grand, Souain, Perthes, Massiges; nunmehr wurde durch Luftaufklärung er- [517] kannt, daß der Gegner über sehr starke Artillerie und Reserven verfügte, unter denen sich nach Gefangenenaussagen auch Amerikaner befinden sollten. Besonders auf dem linken Flügel, beim XVI. Armeekorps, steigerte sich das feindliche Feuer allmählich zu großer Heftigkeit. Die Lage schien trotzdem günstig zu sein; das Oberkommando setzte daher rückwärtige Divisionen in Marsch.

Bis Mittag ließ sich erkennen, daß der Angriff auf die zweite feindliche Stellung trotz einzelner Einbrüche nicht weiter ging. Daher wurde beschlossen, zunächst die Artillerie von neuem wirken zu lassen und erst um 6 Uhr abends den Stoß fortzusetzen; dieser Zeitpunkt wurde bald darauf auf 7 Uhr hinausgeschoben. Der abendliche Angriff erbrachte keinen Gewinn mehr, zumal da zahlreiche neue feindliche Artilleriegruppen gegen ihn arbeiteten, deren Vorhandensein erst im Laufe des Tages erkannt wurde. Das Oberkommando beschloß daher, am 16. Juli vor der stark besetzten zweiten feindlichen Stellung halten zu bleiben, um frische Kräfte für neue Erfolgsmöglichkeiten zu sammeln; nur XII. Armeekorps auf dem rechten Flügel sollte sich dem auf 11 Uhr vormittag festgesetzten Angriff der 1. Armee anschließen.

Auch bei der 3. Armee bestand kein Zweifel, daß der Gegner über alle Einzelheiten des Angriffs genau unterrichtet gewesen war. Die schwache Besetzung der ersten, die starke der zweiten Stellung, wo der Hauptwiderstand geleistet wurde, die Tiefengliederung hinter ihr, die Umgruppierung der Artillerie, die aus gefährdeten Stellungen zurückgezogen war, sprachen für lang vorbereitetes, planmäßiges Verhalten.

Daß unter diesen Umständen die Fortsetzung des Angriffs von neuem Artillerieaufmarsch und neuer Wirkung abhängig war, trotzdem aber geringe Aussichten bot, wurde ebenso wie von den Armee-Oberkommandos der 1. und 3. Armee auch von der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz erkannt. Das Ziel der Abschnürung der Bastion von Reims ließ sich kaum noch erreichen, wohl aber war es vielleicht noch möglich, durch Fortschritte der 7. Armee nördlich der Marne über den Höhenklotz von Fleury-la Rivière den Gegner zur Räumung des Reimser Berglandes zu veranlassen. Auch südlich der Marne mußte die 7. Armee weiter angreifen, um eine Dauerstellung zu gewinnen. Hatte hiernach die 7. Armee am 16. Juli die Offensive wieder aufzunehmen, so durften die 1. und 3. Armee nicht zurückstehen, um den gegenüberstehenden Feind an der Verschiebung von Reserven zur Marne zu hindern.

Dieser Auffassung schloß sich, wenigstens in den Grundzügen, die Oberste Heeresleitung an; sie befahl in der Nacht zum 16. Juli, daß die 7. und 1. Armee den Angriff am 16. Juli fortsetzen, die 3. dagegen nur mit der Division des linken Flügels des XVI. Armeekorps zur Verbesserung ihrer Stellung vorstoßen solle. Hauptgesichtspunkt war der Druck auf den Feind, um ihn zur Aufgabe des Reimser Berglandes zu nötigen; hierzu hatte die 7. Armee beiderseits der Marne [518] weiteres Gelände zu gewinnen, die 1. wenigstens die Gegend von Mourmelon le Petit und Mourmelon le Grand zu erreichen. An dem ursprünglichen Operationsgedanken wurde also in eingeschränkter Form festgehalten.

Am 16. Juli beabsichtigte die 7. Armee den Angriff beiderseits der Marne nur noch auf der Strecke zwischen la Chapelle südlich und Marfaux nördlich des Flusses zu führen; dem unbeteiligten XXIII. und dem rechten Flügel des VIII. Reservekorps fiel der Schutz der rechten Flanke zu. Als nächste Ziele wurden Igny le Jard südlich Comblizy, Boursault an der Marne und Pourcy an der Ardre bezeichnet. Gegen XXIII. und VIII. Reservekorps wurden heftige Angriffe geführt, die zwar mit der Behauptung der am 15. Juli gewonnenen Linien endeten, aber doch den Stoß des VIII. Reservekorps auf Igny le Jard unmöglich machten. Weiter östlich drang IV. Reservekorps in wechselvollem Kampfe bis Festigny vor, das allerdings wieder verlorenging, und hatte an der Marne dauernden Erfolg durch Gewinnung der Linie Chêne la Reine - Tincourt. Ebenso mühevoll rangen die Truppen des Generalkommandos Nr. 65 in dem waldigen Berglande östlich des Le Belval-Bachs und an der Ardre; sie gelangten bis an den Höhenblock westlich von Fleury-la Rivière heran, erreichten die Gegend östlich des Dorfes Belval und arbeiteten sich bei Marfaux über die Ardre gegen die Linie Pourcy - Courmas vor. Courmas selbst wurde durch das VI. Reservekorps den Italienern entrissen.

Während des ganzen Tages lag die Marne-Niederung unter heftigem Artilleriefeuer und unausgesetzten Bombenwürfen, so daß die schwer leidenden Pioniere nur mit größter Mühe den Verkehr über den Fluß aufrechterhalten konnten. Am Abend und in der Nacht hatte IV. Reservekorps südlich der Marne wütende Gegenstöße des Feindes abzuwehren. Auf der Westfront der 7. Armee war es ruhig gewesen, dagegen hatte nördlich von ihr die 9. Armee bei Corcy in neuen Kämpfen gestanden.

Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz hielt nach dem Ergebnis des Tages nur die Fortführung des Stoßes nördlich der Marne für aussichtsvoll, immer noch in der Hoffnung, die Franzosen zur Räumung des Reimser Bergwalds veranlassen zu können. Ihren Weisungen entsprechend, ordnete die 7. Armee für den 17. Juli für das südliche Marne-Ufer die Einstellung des Angriffs an, auf dem nördlichen sollten noch die Ziele Venteuil, Höhe westlich Fleury-la Rivière, Höhe westlich Chamery und Ville Dommange erreicht werden.

Bei der 1. Armee war während der ganzen Nacht zum 16. Juli um die eroberten Linien gestritten worden; der hin- und herwogende Kampf setzte sich am Vormittag fort und, wenn er auch noch kleine Vorteile für die Deutschen erbrachte, machte er doch den befehlsmäßig um 11 Uhr vormittags beginnenden neuen allgemeinen Angriff von vornherein aussichtslos. Alle Versuche vorwärts zu kommen gingen in dem rasenden feindlichen Sperrfeuer unter. Das Oberkommando sah die Notwendigkeit ein, die Offensive abzubrechen und die Truppen [519] zur Abwehr zu gliedern. Die Heeresgruppe teilte diese Ansicht, ordnete aber für die kommende Zeit die Vorbereitung von Angriffen auf das Fort Pompelle bei Reims und auf die Linie Sept Saulx - Baconnes - St. Hilaire le Grand an. Der geplante Stoß der 7. Armee am 17. Juli nördlich der Marne sollte durch Verschiebung von Artillerie zum linken Flügel der 1. Armee unterstützt werden.

Von der 3. Armee hatte sich nach dem Befehl des Oberkommandos vom 16. Juli XII. Armeekorps - und zwar lediglich mit der rechten Flügeldivision - am Angriff der 1. Armee um 11 Uhr vormittags zu beteiligen; dabei blieb es, obwohl die Oberste Heeresleitung ihrerseits nur eine Stellungsverbesserung auf dem linken Flügel der Armee gefordert hatte. Im übrigen waren die gewonnenen Linien zu halten. Die beiden getrennten Angriffe hatten Erfolg; rechts wurden über 800 m Raum nach vorwärts Fortschritte gemacht, links die befohlenen Höhenlinien östlich der Wetterecke erreicht. Dann ging die Armee im Einverständnis mit der Heeresgruppe auf der ganzen Front zur Gliederung für die Verteidigung über.

Die Oberste Heeresleitung ließ auf Grund der Ergebnisse des 16. Juli noch nicht den Gedanken fallen, sich des Reimser Berglands zu bemächtigen, beschränkte aber in einem Befehl vom 17. Juli die Teilnahme der 1. Armee auf einen Angriff beiderseits von Pompelle und auf Mitwirkung ihres rechten Flügels beim weiteren Druck der 7. Armee nördlich der Marne. Hierzu sollten Divisionen aus der Front der 1. und 3. Armee herausgelöst werden. Als Zeitpunkt für den Angriff der 1. Armee wurde der 21. Juli vorgesehen; er kam aber nicht mehr zustande. Die Oberste Heeresleitung überzeugte sich, daß die ganze Unternehmung Marneschutz-Reims eingestellt werden mußte.

Die 7. Armee wurde am 17. Juli auf der stillgelegten Front südlich der Marne auf das schwerste angegriffen. Die Stöße des Feindes richteten sich mit besonderer Wucht gegen VIII. und IV. Reservekorps. Ersteres konnte die feindlichen Anläufe bis auf kleine Einbrüche bei la Chapelle abwehren; letzteres verlor Chêne la Reine, Leuvrigny und das Gelände bis zur Marne, also einen erheblichen Raum unmittelbar südlich des Flusses, vermochte aber Leuvrigny zurückzuerobern. An der Marne setzte es sich in Besitz von Venteuil. Die hochbewährten Sturmtruppen hielten also den heißumstrittenen Boden südlich der Marne fest. Nördlich von ihr griffen Generalkommando Nr. 65 und VI. Reservekorps befehlsmäßig an, um die als Ziel gesteckte Linie westlich Fleury-la Rivière bis Ville Dommange zu gewinnen. Unter stärkstem Artilleriefeuer, durch Gegenstöße gehemmt, nahmen die stürmenden Divisionen die Höhe nördlich von Nanteuil la Fosse, Pont Presle und Pourcy, das aber dem VI. Reservekorps wieder verlorenging; im übrigen rangen sie vergeblich um Fortschritte.

Das Oberkommando der 7. Armee sah am Abend des 17. Juli die Lage südlich der Marne als unhaltbar an. Neue Versuche, den Angriff weiterzuführen, mußten in dem nun erwachten Bestreben des Gegners, bis zum Flusse durch- [520] zudringen, bereits während der Vorbereitungen ersticken; von dem Brückengerät hinter der Front waren schon mehr als drei Viertel zerstört, der Rückzug über die Marne schien gefährdet. Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz schloß sich dieser Anschauung an, glaubte aber mit dem als notwendig erkannten Abbau warten zu müssen, bis die noch immer im Auge behaltenen Fortschritte nördlich der Marne zur Eroberung der Höhe westlich von Fleury-la Rivière geführt haben würden, um den Truppen des Generalkommandos Nr. 65 die Flankierung vom südlichen Ufer zu ersparen. Ihrem Vorschlag entsprechend ordnete die Oberste Heeresleitung am 17. Juli abends an, daß die planmäßige Zurücknahme der Truppen südlich der Marne vorzubereiten sei, behielt sich aber endgültigen Befehl darüber vor.

Das brennende Reims unter deutschem Artilleriefeuer.
Das brennende Reims unter deutschem
Artilleriefeuer.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 265.

Flugzeugaufnahme von Reims nach der Beschießung.
Flugzeugaufnahme von Reims
nach der Beschießung.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 266.
Bei der 1. Armee kämpften am 17. Juli hauptsächlich die beiderseitigen Artillerien; XIV. Armeekorps wies einige Vorstöße ab. Die Abwehrgliederung war im Gange. Befehlsmäßig ging der rechte Flügel des VII. Reservekorps vom Kanal südlich der Vesle bis zum Flusse zurück. Zum XV. Armeekorps nach Reims wurde Artillerie verschoben, um den Angriff der 7. Armee nördlich der Marne zu unterstützen. Auch bei der 3. Armee herrschte nach dem Sturm verhältnismäßige Ruhe. XVI. Reservekorps wurde wiederholt angegriffen, hielt sich aber in seinen Stellungen. Mit der Auflösung von Kampfdivisionen wurde bei beiden Armeen begonnen.


Ergebnis der Marneschutz-Reims-Offensive.

Wenn sich auch die 7. Armee am 18. Juli noch bemühte, nördlich der Marne weiteres Gelände zu gewinnen, so war doch die Angriffsschlacht der drei deutschen Armeen tatsächlich am 17. Juli abgeschlossen und, wie niemand bezweifeln konnte, gescheitert. Zwar hatte man auf allen beteiligten Frontstrecken Gelände gewonnen, am meisten bei der 7. Armee beiderseits der Marne, aber der Gewinn war geringfügig und südlich des Flusses unhaltbar. Man hatte dem Feinde sicherlich schwere Verluste zugefügt, allein an Gefangenen wurden über 18 000 Mann eingebracht, aber es fehlten die Trophäen in Gestalt zahlreicher Geschütze und Maschinengewehre, und bei der ungeschwächten Verteidigungskraft des Gegners waren auch eigene schwere Einbußen zu buchen.

Der Grund des Mißerfolgs lag nicht in dem Verhalten der deutschen Truppen, die Großes geleistet hatten, allen voran die Pioniere an der Marne; er lag auch nicht in der Führung. Kein anderes Unternehmen des Frühlings und Sommers 1918 war so aussichtsvoll angelegt, weil sich die Operationsrichtungen nach vorwärts zusammenschoben, indem sie das erste Angriffsziel, Reims und den Reimser Bergwald, in doppelseitiger Umfassung einklammerten. Auch die Vorbereitungen für das Unternehmen waren nicht verantwortlich zu machen, obwohl sie mit dem geplanten Marne-Übergang besonders schwere Aufgaben zu bewältigen hatten. Ebensowenig konnte die taktische Verwendung der [521] Truppen angeklagt werden. Der Grund für das unbefriedigende Ergebnis war vielmehr darin zu suchen, daß die Überraschung des Feindes, diese unerläßliche Vorbedingung des Erfolges, mißglückt war, und daß sich der Gegner, nach schweren Schlägen, endlich dazu entschlossen hatte, die Verteidigung biegsam und nach der Tiefe gegliedert zu führen, Grundsätze, die im deutschen Heere schon seit 1916 lebendig gewesen waren.

Die Vernehmung feindlicher Gefangener und die Durchsicht gefundener französischer Schriftstücke in Verbindung mit der dadurch ermöglichten richtigen Einschätzung von Tatsachen, die vor der Unternehmung die Geheimhaltung bedroht hatten, ließen schon am 16. Juli klar erkennen, wie die genauen Kenntnisse des Gegners von der Offensive und ihren Einzelheiten zustande gekommen waren. Nachrichten über die Absicht der deutschen Führung, bei Reims anzugreifen, hatten schon frühzeitig ihren Weg zum feindlichen Oberbefehlshaber Foch gefunden. Es war also über das Unternehmen geplaudert worden, wahrscheinlich nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat, wohin trotz aller Verbote briefliche Nachrichten über Marneschutz-Reims gelangt sein mochten. Hier lag grobe Unvorsichtigkeit vor, der sich aber leider auch der Verrat durch deutsche Gefangene zugesellte. Die seelische Erpressung, die die Franzosen in teuflischer Weise gegen die unglücklichen Deutschen in ihrer Hand zur Erzwingung von Nachrichten anwandten, hatte weitgehenden Erfolg gehabt; denn General Foch wußte genau, auf welchen Frontstrecken der Angriff vor sich gehen sollte, wieviel Brückenschläge an der Marne vorbereitet waren, wo das Brückengerät niedergelegt wurde, wie der Artillerieaufmarsch geplant war. Schließlich erfuhr er noch am 14. Juli abends durch neue Gefangene, daß sich die deutschen Truppen in der kommenden Nacht zum Sturm bereitstellen würden.

Unter diesen Umständen hatten es die Franzosen nicht schwer, in Muße Abwehrmaßregeln durchzuführen, die die deutsche Offensive von vornherein lahmlegten. Aus den Aussagen gefangener französischer Offiziere ging hervor, daß sie sich hierbei der auf deutscher Seite längst angenommenen Methode bedienten, die vordersten Linien zu räumen, die zweite Stellung stark zu besetzen, die Artillerie zurückzuziehen und mitsamt den Reserven in die Tiefe zu gliedern. Nur an der Marne ließen sie wegen der unmittelbaren Flußverteidigung den alten Aufbau bestehen. So vermochten sie das deutsche Vorbereitungsfeuer ziel- und wirkungslos zu machen, die stürmende Infanterie vor der zweiten Stellung mit mächtigem Sperrfeuer aufzuhalten und aus dicht besetzten rückwärtigen Gräben abzuwehren. Die volle Kenntnis der deutschen Pläne verhalf ihnen zu leichtem und sicherem Erfolge.

Die Oberste Heeresleitung war schon in der Nacht vom 15. zum 16. Juli darüber klar, daß das Unternehmen Marneschutz-Reims nicht mehr die großen, ihm gesteckten Ziele jenseits der Marne erreichen werde. Wenn sie trotzdem die Fortsetzung in engeren Grenzen befahl, so trug sie sich mit der Hoffnung, wenn [522] auch nicht die Abschnürung, so doch wenigstens die Räumung des Reimser Berglands noch durchsetzen zu können; dazu berechtigte sie das tadellose Verhalten der Truppen, zwang die ungünstige Frontgestaltung bei der 7. Armee, die den Besitz der einspringenden feindlichen Bastion unerläßlich machte. Es kam weiter darauf an, die Aufmerksamkeit des Gegners für einige Zeit noch in der Champagne zu fesseln. Die Offensive sollte, wenn sie nicht voll durchschlug, die Ablenkung für das kurz nach ihr geplante Unternehmen Hagen in Flandern sein; als solche mußte sie sich auswirken können. Deshalb behielt sich auch die Oberste Heeresleitung den Befehl darüber vor, wann die 7. Armee das südliche Marne-Ufer räumen sollte. Hagen war bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht für den Anfang August geplant. Keinen Augenblick schwankte die Oberste Heeresleitung, daß diese Absicht trotz der ungünstigen Ergebnisse des Kampfes um Reims zur Tat werden müsse; schon am 16. Juli abends rollten Batterien und Minenwerfer von der Champagne-Front nach Flandern ab.

Da kam der verhängnisvolle 18. Juli, der Einbruch des Gegners in die vielumstrittene Westfront der 9. und 7. Armee, der Niederbruch der Hoffnung, daß der Fehlschlag in der Champagne durch den neuen Schlag in Flandern wett gemacht werden könne, der Übergang der Gesetzgebung an den Feind und damit die Peripetie des ganzen kriegerischen Dramas.


106 [1/493]Hierzu Skizze 26 auf Beilage. [Scriptorium merkt an: der Einfachheit halber von uns verkleinert im Text eingefügt; durch Mausclick zu vergrößern!] ...zurück...

107 [2/493]Seite 461. ...zurück...

108 [1/496]Generale v. François, v. Staabs, Frhr. v. Watter. ...zurück...

109 [2/496]Generale v. Winckler und v. Schöler. ...zurück...

110 [3/496]Oberbefehlshaber General Fritz v. Below, Chef des Generalstabes Oberstleutnant Frhr. v. Esebeck. ...zurück...

111 [1/499]Seite 372. ...zurück...

112 [1/500]Seite 461 und 462. ...zurück...

113 [1/501]Seite 461. ...zurück...

114 [2/501]Seite 484. ...zurück...

115 [1/502]Seite 484. ...zurück...

116 [1/504]Seite 497. ...zurück...

117 [1/507]Generale v. Kathen und Graf v. Schmettow. ...zurück...

118 [2/507]Generale Wichura und v. Conta. ...zurück...

119 [1/508]Chef des Generalstabes Oberst Reinhardt. ...zurück...

120 [1/509]General Ilse. ...zurück...

121 [2/509]General v. Lindequist. ...zurück...

122 [3/509]General Langer. ...zurück...

123 [4/509]General v. Gontard. ...zurück...

124 [5/509]Chef des Generalstabes Oberstleutnant Faupel. ...zurück...

125 [1/510]General Krug v. Nidda. ...zurück...

126 [2/510]General Wild v. Hohenborn. ...zurück...

127 [3/510]General v. Kleist. ...zurück...

128 [4/510]General v. Endres. ...zurück...

129 [5/510]Chef des Generalstabes Oberstleutnant v. Klewitz. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte