Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 8: Die deutschen
Angriffe des Jahres 1918
(Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
[493] 7.
Marneschutz-Reims-Offensive.106
Feindliche Maßnahmen nach Beginn der
Blücher-Offensive.
Für die Entente war der Blücher-Angriff eine nahezu
vollständige Überraschung, deshalb nicht ganz vollständig,
weil noch in den letzten Stunden Aussagen, die Gefangenen entstammten oder aus
solchen herausgepreßt wurden, die kommende Gefahr verkündet
hatten. Für durchgreifende Abwehrmaßnahmen kam das zu
spät. Die französischen Reserven hatte der Oberbefehlshaber der
Entente größtenteils nach Norden hinter die englische Front gesandt,
wo man den nächsten deutschen Stoß erwartete, und wo
tatsächlich starke zurückgehaltene deutsche Kräfte vorhanden
waren - die 32 Mob.-Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht.107 Wohl hatte man an einen deutschen
Ablenkungsstoß in der Champagne gedacht, der in zeitlicher
Übereinstimmung mit dem angenommenen neuen Angriff gegen die
Engländer als wahrscheinlich vorausgesetzt wurde; man wußte eben
noch nicht, daß die deutsche Oberste Heeresleitung zu solcher
Kraftentfaltung außerstande war. Daß aber ein solches Unternehmen
gegen Franzosen die gleiche Wirkung haben könnte wie gegen Russen,
Italiener und Engländer, das leuchtete dem französischen
Selbstbewußtsein nicht ein.
Am wenigsten hatte man die Gegend des Chemin des Dames als etwaiges
Angriffsgebiet in Betracht gezogen, weil gerade hier die
Geländeschwierigkeiten deutsche Offensivtätigkeit
auszuschließen schienen. Das war eine "ruhige Front", in der
abgekämpfte Divisionen als Schutz genügten. Von deutschen
Angriffsvorbereitungen merkte die dort eingesetzte französische 6. Armee,
deren Kampfbereich von Noyon bis Reims - dieses
ausschließlich - reichte, nicht das Mindeste, ein hohes Lob für
die Kunst, mit der man es auf deutscher Seite verstanden hatte, die eigenen
Absichten und Maßnahmen mit dem Schleier des Geheimnisses zu
umgeben.
Um so peinlicher war die Überraschung im Hauptquartier des Generals
Foch, als am 26. Mai der deutsche Angriffsplan plötzlich offenbar wurde
und nun die Schläge erfolgten, die das französische Stellungssystem
in wenigen Tagen zertrümmerten. Die Richtung des Stoßes auf Paris
wirkte besonders erschreckend. In der französischen Kammer kam es zu
lebhaften Szenen, der Ministerpräsident Clemenceau verstand aber, durch
seine feste Haltung Zuversicht zu erwecken und hielt auch an Foch als
Oberbefehlshaber fest. War man im Hauptquartier anfangs der Ansicht, daß
es sich um einen Ablenkungsstoß handle, so konnte doch bei den raschen
Fortschritten der Deutschen gegen die Marne der Einsatz von Reserven nicht
hinausgeschoben werden. Foch als Oberbefehlshaber gab aber langsamer, als der
französische Befehlshaber Pétain forderte; immer [494] noch um die englische
Front besorgt, ließ er erst vom 29. Mai an verfügbare Divisionen vom
Norden nach dem Süden fahren, und blieb dabei stehen, die englische Linie
nicht mehr als unbedingt erforderlich von Kräften zu
entblößen. Dann wurde es allerdings nötig, die Truppen, so wie
sie kamen, in den Kampf hineinzuwerfen, und es mußten schwere
Gefahrsmomente überwunden werden, da von den ursprünglichen
Verteidigern nur Trümmer übriggeblieben waren. Die reichen
Bestände an Lastkraftwagen, über die die Ententetruppen
verfügten, spielten dabei eine große Rolle.
Obwohl sich die deutschen Fortschritte allmählich verlangsamten, blieb
doch bei den Leitern der Ententestaaten das Gefühl bestehen, daß der
Kriegsausgang auf das schwerste gefährdet sei und nur durch die starke
Mitwirkung der Amerikaner zum Guten gewendet werden könne. Am 2.
Juni erging ein Notschrei der Premierminister von Frankreich, England und Italien
um Hilfe an den Präsidenten Wilson. Tatsächlich gewährten
die Amerikaner, die im Mai bereits mit 667 119 Mann auf
französischem Boden standen, an Unterstützung, was sie mit ihren
zwar tapferen, aber ungewandten Truppen leisten konnten. Über
Coulommiers und Meaux wurden sie auf Lastkraftwagenkolonnen der Gegend
von Château Thierry zugeführt, wo sie sich an den Gegenangriffen
beteiligten, durch die die Franzosen begonnen hatten, den Deutschen die
Errungenschaften ihrer Offensive wieder streitig zu machen. Es konnte den
Ententeführern nicht entgehen, daß sie durch Hämmern gegen
die Flanken die beste Aussicht hatten, die deutschen Fortschritte zum Stillstand zu
bringen, und wenn das hauptsächlich auf der Westseite des von den
Deutschen neu eroberten Gebiets geschah, so lag die Absicht zugrunde, Paris zu
schützen und die Erkenntnis des Vorteils, die das Waldgelände um
Villers Cotterêts für die Bereitstellung von Angriffstruppen bot.
Über kleine Gewinne kam man dabei nicht hinaus.
Allmählich gelang es, die ganze deutsche Einbruchsstelle mit einem Ringe
von Kräften zu umgeben, die gegen weitere Geländeverluste
Sicherheit zu versprechen schien. Auch die angrenzenden Fronten waren so
ausgestattet oder doch so schnell mit Verstärkungen zu versehen, daß
seitliche Ausdehnung der deutschen Angriffsunternehmungen rechtzeitig
abgedämmt werden konnten. Als die deutsche 18. Armee am 9. Juni
westlich der Oise vorbrach, zogen sich Abwehrtruppen an der bedrohten Stelle
schnell zusammen, und es glückte, den Stoß nach geringen
Gebietseinbußen mit überlegenen Kräften abzufangen. Auch
hier griff man zum Mittel gehäufter Gegenstöße, freilich mit
den gleichen kaum nennenswerten Erfolgen wie bei Villers Cotterêts und
Château Thierry.
Zu einem großen einheitlichen Schlage, der durchaus im Sinne des
Oberbefehlshabers Foch lag, schien die Zeit noch nicht gekommen zu sein; man
war in der glücklichen Lage zu warten, bis sich die deutsche Kraft im
dauernden Ringen mehr und mehr erschöpfte. Nachdem die amerikanische
Hilfe flüssig geworden war und die Engländer begonnen hatten, sich
von ihren Niederlagen [495] zu erholen, konnten die
Ententeführer sowohl die englische Front wie auch die französische
mit genügenden Reserven ausstatten und glaubten sicher zu sein, nicht
wieder vor solche Überraschungen auf schwach besetzten Fronten gestellt
zu werden wie am Chemin des Dames. Daß weitere Anstrengungen
bevorstanden, um den Endsieg auf deutsche Seite zu bringen, nahm man als
feststehend an.
Kampfbetätigung auf der ganzen Westfront.
Bei der deutschen Obersten Heeresleitung waren die Umstände bekannt, die
das Kräfteverhältnis mehr und mehr zugunsten der Gegner
verschoben. Sollte der Erfolg auch bei den noch geplanten Unternehmungen
sichergestellt sein, so mußten Schlagfertigkeit und Ausdauer der deutschen
Truppen mindestens auf der bisherigen Höhe gehalten werden, die die
Überlegenheit über den Feind verbürgte. Die Truppen waren
in zwei Beziehungen zu stählen, für den Angriff und für die
Verteidigung; denn es war ohne weiteres klar, daß sich die kommenden
deutschen Offensiven nur dann bis zur Entscheidung auswirken konnten, wenn
die unbeteiligten Fronten die feindlichen Angriffe abwehrten, mit deren Mehrung
nach Umfang, Häufigkeit und Heftigkeit auf Grund der letzten
Geschehnisse gerechnet werden mußte.
Am 9. Juni gab die Oberste Heeresleitung ihren Erfahrungsbericht über die
Blücher-Offensive heraus. Er bestätigte von neuem, daß sich
die deutsche Angriffsform durchaus bewährt hatte und keiner
grundsätzlichen Änderung bedurfte. Die Grundsätze für
die Führung der Verteidigung auf angegriffenen Fronten waren die gleichen
wie früher: sie gipfelten in der Biegsamkeit der vordersten Linien und in
der steten Bereitschaft, verlorenes Gebiet durch Gegenstoß oder
Gegenangriff zurückzugewinnen, wozu hinter ihnen Reserven, die
sogenannten "Eingreif-Divisionen", bereit standen. Diese Lehren zu
bestätigen, fanden alle deutschen Fronten, auf denen sich seit dem 21.
März 1918 der Kampf durch die deutschen Offensiven entzündet
hatte, reichlich Gelegenheit. Vom Meere im Norden bis zur Champagne im
Süden entlud sich die scharfe Spannung in zahlreichen Unternehmungen,
zwischen denen die großen deutschen Schläge wie mächtige
Gewitter aufblitzten.
Auf der Georgette-Front liefen Engländer und Franzosen im Laufe des Mai,
des Juni und des halben Juli 1918 43mal gegen die deutschen Linien an, nicht
gerechnet zahlreiche Streifenvorstöße. Besonders betroffen war die
Gegend des Kemmel, von Ypern, Bailleul, Mervis, Merville und Béthune.
Über unbedeutende Geländegewinne kam der Feind nicht heraus.
Von deutschen Unternehmungen war die wichtigste ein Vorstoß
südlich von Dickebusch am 8. Mai, der dem Gegner breiten Stellungsraum
und zahlreiche Gefangene entriß.
Die Zahl der größeren Stürme, die neben vielen kleineren
Anläufen die deutsche St. Michael-Front bedrohten, belief sich in der
Zeit von Ende April bis zum 15. Juli 1918 auf 48. Brennpunkte waren Albert, der
Raum zwischen Somme [496] und Luce sowie der
Avre-Brückenkopf zwischen Luce und Montdidier, aber auch die
übrigen Frontstrecken wurden in Atem gehalten, am wenigsten die nach
Süden gerichtete Linie zwischen Montdidier und Noyon. Die Erfolge der
Ententetruppen blieben sehr geringfügig, wenn auch einzelne Orte wie
Ville sur Ancre, Hamel, Castel, der Park von Grivesnes und Cantigny verloren
gingen. Deutscherseits wurden Vorstöße nur in beschränktem
Maße geführt, erbrachten aber die erstrebten Vorteile und
Gefangene.
Waren die feindlichen Angriffe gegen Georgette- und
St. Michael-Front mit zeitweiligem, kräftigem Pochen zu
vergleichen, so steigerten sie sich an der Westfront des
Blücher-Gewinns zwischen Oise und Marne nach Abschluß der
deutschen Operation im Juni fast zu einem unausgesetzten Hämmern, das
die deutschen Verteidiger in den uneingerichteten Stellungen empfindlich traf.
Der Ausgangspunkt war meist das große Waldgelände von Villers
Cotterêts, das die gedeckte Ansammlung starker Kräfte gegen die
Linien zwischen Aisne und Ourcq gestattete; aber auch nördlich der Aisne
und weiter südlich bis Château Thierry wurde erbittert gerungen, wo
die Amerikaner den Franzosen halfen, den deutschen Widerstand zu
erschüttern. Da die Zahl der Abwehrdivisionen mit Rücksicht auf
kommende Offensiven beschränkt war, wurden die deutschen Truppen
stark mitgenommen und ermüdet. Gebietsverluste blieben nicht aus, so
mußten die Orte Cutry, St. Pierre Aigle und Vaux bei Château
Thierry, auch sonst Geländestrecken aufgegeben werden; im ganzen aber
stand die Westfront des Blücher-Gewinns fest. Das ist um so höher
zu bewerten, als der Gegner auch an den Tagen, an denen keine
größeren Schläge stattfanden, doch seine
Artillerie- und Fliegertätigkeit in lästigster Weise steigerte, so
daß die Spannung nie nachließ. Für die Zeit vom 15. Juni bis
15. Juli waren etwa 40 feindliche Anstürme mit starkem
Kräfteeinsatz zu verzeichnen, kleinere ungerechnet.
Träger der Verteidigung waren hier VII. Armeekorps, XXXIX.
Reservekorps, XIII. Armeekorps,108 das am 18. Juni an die Stelle des
VIII. Reservekorps trat, XXV. Armeekorps und VIII. Armeekorps,109 das am 21. Juni den Abschnitt des
IV. Reservekorps übernahm.
Um das Oberkommando der 7. Armee zu entlasten, dessen Bereich sich in der
zweiten Hälfte des Juni durch die Übernahme der Gruppen des
Generalkommandos Nr. 65 und des VI. Reservekorps von der 1. Armee
nach Osten erweiterte, und das die Vorbereitungen für den Angriff
"Marneschutz" zwischen Château Thierry und Reims zu betreiben hatte,
wurde auf dem rechten Flügel unter Abgabe des VII.
Armee-, XXXIX. Reserve- und XIII. Armeekorps am 5. Juli das Oberkommando
der 9. Armee110 eingeschoben. Beide
Oberkommandos verfolgten mit [497] Sorge die stete
Inanspruchnahme ihrer Truppen durch die feindliche Offensivtätigkeit.
Man war geneigt, sie durch die Absicht des Gegners zu erklären, deutschen
Angriffsplänen in der Richtung auf Paris zuvorzukommen; aber er konnte
sehr wohl auch die Front zermürben wollen, um im geeigneten Augenblicke
selbst einen großen Schlag gegen die Linien zwischen Oise und Marne zu
führen. Glückte ein solcher Stoß auch nur in bescheidenem
Umfange, so schuf er in dem verhältnismäßig engen Raume
des Blücher-Gewinns südlich der Aisne durch Bedrohung der
ohnehin sehr beschränkten Zufuhrgelegenheiten recht unbequeme
Zustände; gelangte der Feind zu tiefem Einbruch, so wurde die Lage
für die an der Marne eingesetzten Kräfte gefährlich.
Das Oberkommando der 7. Armee meldete schon am 18. Juni, daß der
Gegner anscheinend darauf ausginge, die Westfront allmählich zu zerreiben;
am 30. Juni wurde es auf Grund der steigenden Angriffsflut um
Verstärkung, besonders an Artillerie, vorstellig, um die Abwehrkraft
lebendig zu erhalten. Da die Oberste Heeresleitung in Anbetracht ihrer weiteren
Offensivpläne diese Wünsche nicht voll befriedigen konnte, so ward
Abhilfe auf Weisung der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz durch Mehrung der
Tiefengliederung und Vorbereitung rückwärtiger Kampfzonen
versucht; es wurde auch angeordnet, größeren Stößen
auszuweichen und Geländeverluste hinzunehmen. In der Mitte des Monats
Juli konnten sich aber die Oberkommandos nicht mehr der Wahrnehmung
verschließen, daß die Verteidigungskraft der im höchsten
Grade angespannten Stellungs-Divisionen trotz der Stützung durch
Eingreif-Divisionen allmählich abnahm, wobei die Grippe stark mitwirkte.
Bedenklich war auch die Feststellung, daß der Feind seine Absichten auf
den Besitz solcher Höhen zu richten begann, die ihm die Vorteile guter
Beobachtungsmöglichkeiten schufen.
Sehr viel zurückhaltender als vor der 9. und der Westfront der 7. Armee
war der Gegner gegenüber den neuen Stellungen der 18. Armee
südwestlich von Noyon und der 1. Armee bei Reims, wo sich seine
Offensivlust seltener betätigte und durch deutsche Vorstöße in
Schach gehalten wurde. An dem Frontteil der 7. Armee, der durch die Marne
geschützt war, sah er fast ganz von Unternehmungen ab.
Das Verhältnis zwischen feindlichen und deutschen Angriffen auf den
Fronten, die an den großen Offensiven noch nicht beteiligt
waren - bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz östlich von
Reims, bei der Heeresgruppe Gallwitz und Herzog
Albrecht - überwog zugunsten der Deutschen; man kann hier sogar
von auffallender Vorsicht des Feindes sprechen, die erst in den Sommermonaten
mehr und mehr aufgegeben wurde, als sich die Verstärkung durch die
Amerikaner geltend machte. Besonders die Gegend von Verdun und das Ostufer
der Maas von Ornes bis St. Mihiel waren der Schauplatz häufiger
deutscher Teilangriffe, aber auch im Raume zwischen Maas und Mosel von
St. Mihiel bis Pont à Mousson wurde oft gekämpft.
[498] Hier erteilte die
Heeresgruppe Gallwitz bereits am 20. April den Amerikanern die erste
empfindliche Lektion durch tiefen Einbruch in ihre Stellungen bei Seicheprey, ein
Kampfvorgang, der sich zwei Monate später, am 19. Juni, fast in der
gleichen Form noch einmal wiederholte. In Lothringen, in den Vogesen und im
Sundgau herrschte gleichfalls lebhafte deutsche Tätigkeit; auch hier waren
es meist die Amerikaner, die neben den Franzosen die Zeche bezahlen
mußten. Es bestand auf den bisher unbeteiligten Fronten das Gefühl
sicherer Überlegenheit, das durch die großen Erfolge der deutschen
Frühjahrs- und Sommeroffensiven wesentlich gehoben und gestärkt
wurde und den Wunsch wachrief, es dem Heldentum der Angriffsfront
gleichzutun.
Bedrohliche Erscheinungen im deutschen Heere, in der Heimat und
bei den Bundesgenossen.
Obwohl die Fronten feststanden und darüber hinaus Hingabe, Opfermut
und Angriffslust der Truppen nicht anzuzweifeln waren, wenn auch gelegentliche
Schwankungen und Versager vorkamen, hatte die Oberste Heeresleitung doch mit
der Sorge zu kämpfen, ob sich diese Stimmung auf die Dauer erhalten
werde. Es war Klarheit darüber, daß die ungeheuren Anstrengungen
der Offensiven die Mannschaften stark ermüdeten, zumal da ihnen nur
seltene Ablösungen aus vorderer Linie, reizlose und knappe Verpflegung
und mangelhafte Unterbringung gegenüberstanden. Die Ersatztransporte
aus der Heimat brachten nicht immer guten Geist mit; kein Wunder, denn in der
Heimat hatte die Saat der Hetzer, Flaumacher und anderer politischer
Schädlinge schon längst Früchte gezeitigt, nicht zu gedenken
der lügnerischen feindlichen Propaganda, die
jetzt auch auf das Feldheer einzuwirken versuchte. Noch fügten sich die
meisten Mannschaften dem soldatischen Geist der Fronttruppen, sobald sie erst in
Reih und Glied standen; wenn sie aber den Weg zur Pflicht nicht
zurückfinden konnten, verschwanden sie sehr schnell als
Drückeberger, Fahnenflüchtige und Überläufer. Alles in
allem begann der Ersatz aus der Heimat eine Gefahr für das Feldheer zu
werden, wenn dessen Kern auch noch gesund war.
Der Ersatz war aber nicht nur minderwertig, sondern auch der Zahl nach
unzureichend. Da man sich mit Recht scheute, den Rekrutenjahrgang 1900
anzugreifen, standen monatlich nur etwa 60 000 Mann, meist Genesene,
zur Verfügung. Kriegswirtschaft und Industrie beanspruchten große
Zahlen gesunder Leute, die ohne Schaden nicht aus ihrer Tätigkeit
auszulösen waren. Den Schaden trug hauptsächlich die Infanterie.
Die Bataillonsstärke betrug im Juni 1918 nur noch 656 Köpfe, und
die Kompanien zählten bei den zahlreichen unerläßlichen
Abkommandierungen häufig nicht mehr als 30 bis 40 Gewehre in der Front.
Man war genötigt, die Verbände einzuschränken und ging
daran, jedem Bataillon eine Kompanie zu nehmen, an deren Stelle die bisher als
fünfte Kompanie vorhandene Maschinengewehrkompanie trat.
[499] Unter solchen
Verhältnissen war es ein Glück, daß dank der Tätigkeit
der Heeresverwaltung und der beispiellosen Leistungen der Industrie die
Versorgung des Heeres mit Kampfmitteln nicht in Frage stand. Es war sogar
möglich, der größten Zahl der Feldbatterien auf der Westfront
im Sommer 1918 fünfte und sechste Geschütze, freilich ohne Pferde
und Kanoniere, zu überweisen. Verteidigungsstärke und
Angriffskraft wurden dadurch wesentlich gehoben, die Artillerietransporte
für kommende Offensiven eingeschränkt. Schwierig blieb die
Versorgung mit Betriebsstoff und Gummi; es ließ sich voraussehen,
daß neben dem Kraftfahr- auch das Flugwesen über kurz oder lang
empfindliche Einengungen erleiden würde.
Die Summe der gefährlichen und hemmenden Erscheinungen, die Heimat
und Heer belasteten, ergab für die deutsche Kriegsleitung die
Notwendigkeit, das Ringen um die Entscheidung so bald wie möglich zu
beenden. Brach die deutsche Kraft erst an einer Stelle zusammen, so war
Wiederholung an anderen Stellen zu befürchten. Da die bisherigen Angriffe
trotz großer Siege nicht vermocht hatten, die feindliche Front über
den Haufen zu werfen und ins Rollen zu bringen, so blieb nichts übrig, als
die Schläge mit höchster Tatkraft zu wiederholen, bis dieses Ziel
erreicht wurde und der Feind erkannte, daß den Deutschen die Vorhand in
der Kriegführung nicht entrissen werden konnte.
Noch schärfer als beim Beginn der Frühjahrsangriffe zeigte es sich
nach der Blücher-Offensive, daß Deutschland unter seinen
Bundesgenossen allein stand. Die Österreicher hatten sich nach langem
Zaudern endlich entschlossen, am 15. Juni 1918 die versprochene
Entlastungsoffensive in Italien zu führen.111 Ihr Angriff erfolgte in sehr breiter
Front, umfaßte den größten Teil des Raumes vom Gardasee
nach Osten bis zum Meere und zersplitterte sich in dem Bestreben, an gewissen
Druckpunkten die italienische Front zu zerbrechen. Nur an einer Stelle
glückte er, am Montello, der nach Überschreiten der Piave
erstürmt wurde. Hier aber gestaltete sich die Lage für die
Österreicher so ungünstig, daß die Errungenschaft nach
wenigen Tagen wieder aufgegeben werden mußte, und so zerfloß die
ganze Offensive trotz zahlreicher Gefangener in einen Mißerfolg. Jetzt
endlich waren die Österreicher geneigt, Truppen zu unmittelbarer
Unterstützung an die Westfront abzugeben; es waren aber nur vier
Divisionen, die dazu in Marsch gesetzt wurden. Die beiden ersten trafen im Juli
ein und bedurften mehrere Wochen Ruhe und Ausbildung, um
frontverwendungsfähig zu werden; erst Ende August folgten die
anderen.
In den Augen der Ententemächte galten die Österreicher als so
geschwächt, daß sich die lombardische Front von den englischen und
französischen Unterstützungstruppen, aber auch von italienischen
Verbänden zu entleeren begann. Die Westfront zeigte im Sommer 1918 die
Mischung der Truppen fast aller kampfkräftigen Ententestaaten, die gegen
Deutschland und Österreich die Waffen erhoben hatten.
[500] Die verunglückte
österreichische Offensive erzeugte in den Parlamenten der Donaumonarchie
höchst unerfreuliche Wirkungen, so daß der innere Zusammenhang
dieses Staates und sein Kriegswille schwer erschüttert schienen. Auch die
Kraft der Türkei war im sichtlichen Schwinden. Nur Bulgarien stand fest;
so glaubte man wenigstens seine Haltung beurteilen zu sollen. Indes für die
Verstärkung der deutschen Westfront kam sein Heer nicht in Betracht; im
Gegenteil, Bulgarien forderte immer wieder deutsche Hilfe. Die Lage der
Bundesgenossen verlangte also gleichfalls schnelle Beendigung des Krieges.
Die deutschen Truppen, die im Osten, in Finnland und in der Ukraine auf der
Wacht gegen den russischen Bolschewismus standen, konnten in dieser Zeit
höchstens noch einige Artillerieformationen abgeben; aus ihrem
Mannschaftsstande waren die jüngeren Jahrgänge zugunsten der
Westfront bereits herausgezogen. Mit der Verwendung deutscher
Kriegsgefangener, die aus Rußland zurückkehrten, mußte
Vorsicht geübt werden; ein Teil von ihnen war widerwillig, sah den Krieg
für sich als beendet an, ein anderer Teil war der Neigung zum
Bolschewismus verdächtig.
Neue Angriffspläne.
Die Kraftquellen, aus denen der Mannschaftsstand der deutschen Westfront
gespeist werden konnte, waren also nicht mehr groß, und die
verfügbare Truppenzahl gestattete nicht, die beabsichtigten Schläge
kurz aufeinander folgen zu lassen. Die deutsche Heeresleitung hielt an dem
Grundsatz fest, lieber spät als mit unzureichender Rüstung zu
schlagen. Nach Beendigung der Blücher-Offensive mußte
notgedrungen eine Pause eintreten, die auch der Erholung der Truppen zugute
kommen sollte. Damit wurde freilich auch dem Feinde eine Wohltat erwiesen; mit
Mehrung seiner Abwehrkraft war zu rechnen, die die eigenen Leistungen
voraussichtlich erhöhte. Das ließ sich nicht ändern. Besonders
die amerikanische Stärke war gewaltig im Wachsen. Anfang Juli konnte
mit mehr als einer Million Amerikaner auf französischem Boden gerechnet
werden, von denen für den Kampf etwa 600 000 Mann in Betracht
zu ziehen waren.
Immer noch sah die Oberste Heeresleitung in dem wiederholten Schlage gegen die
Engländer auf dem alten flandrischen Kampfboden das Hauptziel der
Offensive. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht hatte das Unternehmen
"Neu-Georg", das jetzt "Hagen" genannt wurde, bei der 4. und 6. Armee
sorgfältig vorbereitet; dagegen war der mit "Neu-Michael" und
später mit "Wilhelm" bezeichnete Angriffsplan bei der 17.
und 2. Armee in den Hintergrund getreten.112 "Hagen" sollte nach der
Entscheidung der Obersten Heeresleitung vom 6. Mai 1918 Mitte Juni aus der
Linie Gegend östlich
Ypern - Bailleul - Vieux Berquin bei Merville auf
Boesinghe - Poperinghe - Godwaersvelde - Berre
vorgeführt werden; als weitere Ziele galten das Hochland um Cassel,
später [501] Dünkirchen und
Calais. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schlug als Angriffstag den 26.
Juni vor. Die Vorbereitungen blieben aber in der Schwebe, da der Gang der
Blücher-Offensive den Zeitpunkt der Ausführung ins Unsichere
hinausschob. Als Anfang Juni von den zurückgehaltenen 32
Mob.-Divisionen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht113 Kräfte nach Süden
abgegeben werden mußten, die schwer ersetzt werden konnten, war es klar,
daß noch Wochen vergehen würden, bis der
Hagen-Plan zur Tat wurde.
Der Gedanke, vor Hagen noch einmal gegen die Franzosen zu schlagen,
beschäftigte die Oberste Heeresleitung schon seit Anfang Juni. Die
Stärkeverhältnisse der Gegner auf der Hagen-Front schienen ihr nicht
derart zu sein, daß dem Stoße gegen die Engländer der
erwünschte durchschlagende Erfolg zuzuschreiben gewesen wäre.
Blücher hatte zwar unzweifelhaft entlastend gewirkt, aber doch nicht in
dem Maße, daß die 4. und 6. Armee nunmehr vor einer ausgesprochen
schwachen Front gestanden hätten. Die Hauptmasse der
französischen Reserven war freilich nicht mehr im Norden, sondern
zwischen der Mitte der deutschen Westfront und Paris anzunehmen. Suchte man
wieder nach einer zerstörbaren Stelle, die mit Aussicht auf den Sieg
durchstoßen werden konnte, so mußte sie weiter ostwärts
gefunden werden, also bei Reims oder östlich davon.
Glückte es hier, ein großes Ergebnis zu erzielen, so kam man
entweder zu der erstrebten Wendung des Krieges in Gestalt der
Friedensgeneigtheit der Feinde oder wenigstens zu günstiger Vorbereitung
des Hagenstoßes durch Ablenkung und Vernichtung weiterer feindlicher
Reserven. Man hoffte dann die Engländer um so vernichtender zu treffen.
Es war selbstverständlich, daß die Oberste Heeresleitung auch
darüber hinaus noch Pläne fassen und durchdenken mußte.
Blieb auch Hagen nur eine Etappe auf dem Wege zum Endsiege, so hatte noch im
Jahre 1918 ein letzter großer Angriff zu folgen, für den die Richtung
auf Paris, etwa aus der Linie Moreuil - Marne, in Frage kam.114 Sollte die deutsche Kraft hierzu nicht
mehr ausreichen, so konnte mit geringeren Mitteln versucht werden, den Kampf
nach Italien zu übertragen und dort durch die Niederwerfung dieses noch
nicht völlig besiegten Ententestaates den Umschwung zum Frieden
herbeizuführen. Einen solchen Weg zu gehen, lag aber jetzt, da man neue
Siege auf der Westfront erhoffte, noch keine bestimmende Veranlassung vor;
Paris war näher, und dorthin richtete sich der Blick für den Fall,
daß die beiden kommenden Schläge nur Erschütterungen,
keine zwingenden Niederlagen der Feinde sein würden.
Für die Operation bei Reims oder östlich davon war es aus
strategischen und technischen Gründen geboten, die Einbruchsstelle nicht
zu weit des bisherigen Kampfschauplatzes zu suchen. An sich wäre ein
großes Unternehmen aus der reichsländischen Front, etwa beiderseits
der Mosel, wohl aussichtsvoll gewesen, [502] hätte aber einen
großen Teil der deutschen Kräfte an einer Stelle festgelegt, die von
den bisherigen in Kampfspannung befindlichen Angriffsfronten entfernt war und
keine günstigen Bahnverbindungen dorthin aufwies. Die bisherigen
Errungenschaften konnten dadurch in Gefahr geraten. Es kam hinzu, daß
der Geländegewinn der Blücher-Offensive unvollkommen
geblieben war, und besonders das unbezwungene Reims eine gefährliche
Ausfallpforte für die linke Flanke der vorgewölbten neuen Stellung
darstellte. Die Oberste Heeresleitung faßte den Gedanken der hier
erforderlichen Linienberichtigung mit der neuen Unternehmung zusammen, zumal
da durch die Eroberung von Reims auch die Eisenbahnverbindungen für die
7. Armee wesentlich gebessert wurden.
Ursprünglich wurden in der ersten Hälfte des Juni der Plan eines
Vorstoßes über die Marne mit dem Ziele Epernay und der Rolandplan
östlich von Reims wahlweise nebeneinander erwogen.115 Ersterer schien den
Vorzug zu verdienen. Vom XXIII. Reservekorps - das eigens hierfür
auf dem linken Flügel der 7. Armee eingeschoben
war - über die Marne-Strecke
Gland - Verneuil geführt, traf er voraussichtlich jenseits des
Flusses nur auf schwache Besetzungen und konnte gerade wegen des notwendigen
Stromüberganges auf völliger Überraschung aufgebaut
werden. Wurde Epernay erreicht, indem sich die Offensive längs der Marne
in südöstlicher Richtung ausdehnte, so verlor Reims seine
Zufahrtsstraßen von Süden her. Vielleicht fiel dann der
Berg- und Waldgeländeblock zwischen Reims und Epernay, dreiseitig
eingeschnürt, mitsamt Reims ohne weiteres in deutsche Hand; wenn nicht,
so mußte eine anschließende Unternehmung nördlich der
Marne dies Ergebnis bringen, etwa aus der Linie
Verneuil - Jonquery. Starke Kräfte waren nicht
erforderlich.
Dieser Plan hatte also den Vorteil, neben der Erschütterung des Gegners
auch den Gewinn von Reims zu erbringen. Dagegen erforderte Roland, der
Durchbruch auf der nach Süden gerichteten Front östlich von Reims,
viel Zeit, sehr erhebliche Kampfmittel für die 3. Armee,
beeinträchtigte damit den Hagen-Plan und übte auf Reims für
sich allein keinen zwingenden Einfluß aus; für aussichtsvoll wurde
auch er angesehen.
Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz und das Oberkommando der 7. Armee
setzten sich für den Marne-Plan - "Marneschutz"
genannt - ein und machten bereits am 12. Juni bestimmte Vorschläge
für gleichzeitige Angriffe beiderseits der Marne auf Epernay. Die Oberste
Heeresleitung erkannte sehr wohl, daß das Unternehmen
außerordentlich zu fördern sei, wenn diesen Angriffen durch die 1.
Armee aus der Gegend östlich von Reims entgegengearbeitet würde,
und zwar in der Richtung auf den Fluß östlich von Epernay
über Bouzy. So nahm der Plan, ähnlich wie vordem bei den
Erwägungen über die Blücher-Offensive, schon erheblich
größere Formen an. Damit wuchs selbstverständlich auch der
Kräfte- und Zeitbedarf.
[503] Am 14. Juni gab die
Oberste Heeresleitung folgende Richtlinien für die Weiterführung
der Operationen:
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht führt Hagen aus. Angriffsbeginn etwa
20. Juli. Heeresgruppe Deutscher Kronprinz trifft bei der 18. und 7. Armee
Angriffsvorbereitungen auf der Front von Moreuil bis an die Marne. 7. Armee
bereitet die unter "Marneschutz" angeordneten Angriffsmaßnahmen, 1.
Armee den Angriff östlich Reims unter "Reims" vor; Beginn dieser
Angriffe etwa am 10. Juli. Außerdem hat die Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht das Wilhelm-Unternehmen - früher
Neu-Michael - aus der Front
Ayette - Albert weiter vorzubereiten.
Das letzte Unternehmen kam zur Ausführung kaum in Betracht; die
Vorbereitung bedeutete nur ein Eisen mehr im Feuer und diente auch der
Täuschung des Feindes. Der Angriff
Moreuil - Marne blieb der Zukunft vorbehalten.
Befehlsmäßig festgelegt waren Marneschutz-Reims und Hagen,
ersteres als der zeitlich voranstehende Schlag.
Am 16. Juni reichte die 1. Armee den Entwurf für Reims ein. Sie entschied
sich dafür, die Offensive in großer Breite zu führen, und zwar
über die Linie Prunay - Souain sogleich am ersten Tage mit
dem rechten Flügel bis zur Marne bei Condé, mit dem linken bis in
die Gegend von St. Etienne au Temple und begründete die
Ausdehnung von 23 km mit der Notwendigkeit, Flankensicherungsgruppen
zu schaffen, die Tiefe von ebenfalls 23 km mit den entsprechenden
Erfolgen der Blücher-Offensive, völlige Überraschung des
Gegners vorausgesetzt.
Drei Gruppen sollten gebildet werden, von denen die mittlere den
Hauptstoß gegen die Marne und später nach Westen sich ausdehnend
auf Epernay - der 7. Armee entgegen - zu führen hatte,
während die beiden Flügelgruppen gegen seitliche Angriffe
sicherten, die besonders von Osten her erwartet wurden. In diesem Plan gewann
das Unternehmen von neuem an Umfang; es griff weit in den Raum der 3. Armee
über, deren Grenze gegen die 1. die Stellung bei Vaudesincourt schnitt, und
näherte sich so mit einiger Verschiebung nach Westen dem Rolandplane.
Neben den drei Stellungs-Divisionen wurden dreizehn
Stoß-Divisionen benötigt; zwei weitere sollten die Reserve bilden.
Vom Gegner rechnete man mit vier Stellungs-Divisionen, höchstens zwei
Divisionen und der Besatzung des Lagers Mourmelon im Rückhalt; die
feindlichen Kräfte, die vom Westen und vom Osten eingreifen konnten,
waren vorläufig schwer abzuschätzen.
Die Oberste Heeresleitung war mit diesen Vorschlägen im allgemeinen
einverstanden, betonte die Notwendigkeit für den linken Flügel,
Châlons als den Ausgangspunkt feindlicher Reserven zu erobern, und
ordnete die Bildung einer vierten Gruppe auf dem linken Flügel an, der die
Sicherung der linken Flanke in der Gegend von Suippes zufallen sollte. Am 18.
Juni fand beim Oberkommando der 1. Armee in Rethel eine Besprechung mit
General Ludendorff statt, in der die Einzelheiten der
Reims-Offensive erwogen wurden. Das Ergebnis [504] waren abermalige
Verbreiterung der Angriffsfront auf dem gefährdeten Ostflügel bis
zur sogenannten "Wetterecke" in der Gegend südlich von Tahure und
Schaffung klarer Befehlsverhältnisse.
Die Leitung des Angriffs Reims wurde der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz in
Mézières übertragen, der die Oberkommandos der 1. und 3.
Armee für diesen Zweck nachgeordnet blieben; den Angriff Marneschutz
leitete unter der Heeresgruppe die 7. Armee, ihr wurden nördlich der Marne
die Generalkommandos Nr. 65 und des VI. Reservekorps der 1. Armee
unterstellt.116 Am 19. Juni wies die Oberste
Heeresleitung der Heeresgruppe 27 Angriffsdivisionen zu, 14 für
Marneschutz, 13 für Reims, deren Zuführung noch vorbehalten
blieb.
Bereits am 17. Juni legte das Oberkommando der 7. Armee seinen Entwurf
für Marneschutz vor. Es beabsichtigte vier Gruppen zu bilden, von denen
Gruppen A und B den Marne-Übergang zwischen Gland und Dormans
einschließlich erkämpfen und Gland, St. Eugene,
Surmelin-Bach bis nördlich Baulne, Gegend östlich von Igny le Jard
erreichen sollten. Gruppe C hatte östlich anschließend beiderseits von
Verneuil den Fluß zu überschreiten und bis östlich von Igny le
Jard, Ablois St. Martin, Vauciennes vorzustoßen. Nördlich der
Marne wurde Gruppe D aus der Linie
Verneuil - Chambrecy gegen Damery, Fleury la Rivière,
la Neuville aux Barris und den Wald südöstlich von
Chambrecy angesetzt. Der Kräftebedarf belief sich auf zehn
Stoß- und vier Divisionen Reserve. Die Schwierigkeiten des
Marne-Übergangs und der Gewinnung des südlich des Flusses
laufenden Bahndamms wurden gebührend gewürdigt.
Für die weitere Bearbeitung durch die Oberkommandos legte nunmehr die
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz die Aufgaben der drei beteiligten Armeen wie
folgt fest:
"7. Armee durchbricht in
überraschendem Stoße die feindlichen Stellungen zwischen Gland
und Chambrecy und setzt sich in Besitz der Übergänge von Epernay
und der Höhen südöstlich der Stadt. Die rechte Flanke ist
durch Vorstoß bis in die allgemeine Linie
Gland - St. Eugene - Orbais - Höhen
südlich Brugny zu sichern. Zum Schutze der linken Flanke des Angriffs hat
der linke Artillerieflügel nördlich der Marne so weit wie
möglich, wenigstens bis in die Linie
Manoy - Chouilly - Ay - Dizy
Magenta - Hautvillers - Nanteuil la
Fosse - Chaumuzy - Chambrecy, vorzudrücken.
1. Armee durchbricht die feindlichen Stellungen zwischen
Prunay und Aubérive und geht unter Sicherung gegen die Reimser Berge
zwischen Condé und Châlons über die Marne. Durch
Vorstoß über die Linie
Bouzy - Condé in Richtung Epernay ist Anschluß an 7.
Armee zu nehmen.
3. Armee deckt die linke Flanke der Operation und setzt
sich hierzu zunächst in Besitz der allgemeinen Linie Höhen
östlich St. Etienne - Südosthänge
der [505] Höhe 182 an
Straße Suippes - Châlons -
Somme-Suippes - Höhen südöstlich Perthes.
Mit fortschreitendem Angriff der 1. Armee hat die 3.
Armee die allgemeine Linie
Courtisols - Tilloy-Bellay - Somme-Tourbe -
Tourbe-Abschnitt zu gewinnen, um den Marne-Übergang der 1. Armee
gegen Osten zu sichern. Der linke Flügel der 7. Armee schließt sich
dem allgemeinen Vorgehen an und setzt sich zunächst in Besitz der Linie
Verdon - Höhen von
la Chapelle - Höhen von
Beaunay - Höhen südwestlich
Bergères."
An Truppen waren einzusetzen im ersten Treffen elf Divisionen von der 7., sieben
von der 1., sechs von der 3. Armee; im zweiten und dritten Treffen sieben von der
7., vier von der 1., vier von der 3. Armee einschließlich der
Stellungsdivisionen, zusammen also 39 Divisionen, hinter denen noch zehn
weitere Divisionen verfügbar sein sollten.
Am 21. Juni wurden diese Aufträge durch Heeresbefehl den
Armee-Oberkommandos bekanntgegeben. Die Heeresgruppe bezeichnete hierbei
als erstes Ziel die Abschnürung der feindlichen Kräfte im Reimser
Bergwald und betonte die Notwendigkeit völliger Überraschung.
Besondere Täuschungsunternehmungen zur Ablenkung der
Aufmerksamkeit des Feindes wurden nicht beabsichtigt, weil sich an zahlreichen
anderen Fronten gleichzeitig Angriffsvorbereitungen im Gange befanden, die am
besten der Verschleierung dienten; auch für die Heeresgruppen Gallwitz
und Herzog Albrecht von Württemberg waren solche angeordnet. Nur die
Betätigung irreführenden Funkenverkehrs wurde beschlossen.
Vorbereitungen für die
Marneschutz-Reims-Offensive.
Die Vorbereitungen für Marneschutz-Reims wurden durch den Umstand
beeinflußt, daß dem Unternehmen die Hagen-Operation mit kurzer
Frist folgen sollte. Man vermied es deshalb, der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht Kräfte zu entziehen; sie hatte sich selbst, teilweise durch
Lockerung der Front, Ersatz für die Divisionen zu schaffen, die bisher an
die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz abgegeben waren, und die
Bahnbeförderungen für ihre sonstige Ausstattung gingen weiter. Die
Truppen, die über den Bestand der beteiligten Armeen hinaus erforderlich
waren, wurden der 18., 7., 9. Armee und den Heeresgruppen Gallwitz und Herzog
Albrecht entnommen. Die 18. und 7. Armee hatten sich neue Reserven für
die abgegebenen Divisionen zu bilden, indem sie Verbände aus ihren
Fronten zogen, wobei zeitweilige Gefahren überwunden werden
mußten. Die Heeresgruppen des linken Flügels erhielten für
kampfbrauchbare Truppen abgekämpfte aus den letzten Offensiven.
Die mitwirkende Artillerie belief sich im ganzen auf 2010 Batterien und setzte
sich aus den Beständen der beteiligten Armeen und aus Abgaben der 18.
Armee und der Heeresgruppen Gallwitz und Herzog Albrecht zusammen. [506] Auch aus dem Osten
kam ein Teil der Artillerie, und weitere Mehrung geschah aus den
verfügbaren Geschützvorräten in der Heimat, die für
vorhandene Feldbatterien fünfte und sechste Geschütze und einige
geschlossene Batterien stellten. Von Bedeutung war die Heranziehung zahlreicher
Pioniere, weil der Angriff westlich von Epernay mit dem Übergang
über die brückenlose Marne zu beginnen hatte; auch östlich
der Linie Reims - Epernay sollten im Verlauf des Angriffs die Vesle
und später die Marne östlich von Epernay überschritten
werden. Die Zuteilung von Minenwerfern, Fliegern und anderen Sonderwaffen
geschah nach den bewährten Grundsätzen früherer Offensiven;
sechs Geschwader der gepanzerten Kraftwagenwaffe, die sich noch in langsamer,
durch die Überlastung der Industrie gehemmter Entwicklung befand,
wurden dem Flügel der 7. Armee nördlich der Marne, der 1. und 3.
Armee überwiesen. Neben dem erforderlichen Kriegsgerät, dem
Schießbedarf, den Verpflegungsvorräten spielte dieses Mal auch die
Lieferung zahlreicher Brückenwagen eine Rolle.
Die Anbeförderung der Truppen erfolgte teils im Fußmarsch, teils mit
der Eisenbahn, die außerdem die zahlreichen Materialtransporte zu
bewältigen hatte; die Bewegung vollzog sich glatt und ohne Reibungen,
obwohl bei der 7. Armee die Schienenwege zur Marne sehr wenig
leistungsfähig waren. Die Verstärkungsverbände, soweit sie
fuhren, trafen vom 28. Juni an in ihren neuen Unterbringungsräumen ein
und waren am 8. Juli versammelt. Da zum eigentlichen Aufmarsch fünf
Tage erforderlich waren, genügte die verfügbare Zeit nicht, um den
Angriff, wie vorgesehen, schon am 10. Juli zu führen; die Oberste
Heeresleitung sah sich daher, sehr gegen ihren Wunsch, genötigt, den
Entscheidungstag auf den 15. Juli zu legen; dadurch wurde auch der
Hagen-Termin beeinflußt. Hiervon abgesehen waren die Vorbereitungen
eine kaum noch zu übertreffende Musterleistung, die sich auf die Summe
aller bisherigen Erfahrungen, auf die Sachverständigkeit, den Eifer und den
Ehrgeiz der Führer und Truppen stützte; für die Artillerie
stand der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz wieder Oberst Bruchmüller
zur Seite.
In den Wochen bis zum Angriffstage wurde die Ausbildung der Truppen eifrig
betrieben. Von den Divisionen waren zwar die meisten schon in
vorausgegangenen Offensiven erprobt, sehr viele hatten den Sturm gegen und
über den Chemin des Dames mitgemacht, aber der Ersatz für die
starken Ausfälle an Offizieren, Mannschaften und Pferden forderte
Neubelebung des Erlernten und neue feste Fügung in den
Verbänden. Von besonderer Bedeutung war die Unterweisung der Pioniere,
die die 70 m breite Marne angesichts des nahen Feindes zu
überbrücken hatten. Die versteckte Lagerung des
Brückengeräts auf dem Nordufer mußte in einer Reihe von
dunklen Nächten durchgeführt werden, glückte vollkommen
und schuf damit die wichtigste Vorbedingung für das Gelingen des
Übergangs.
[507]
Angriffsbefehle für Marneschutz-Reims.
Die 7. Armee hatte mit der Marne-Überschreitung die schwerste Aufgabe
des Gesamtunternehmens zu leisten. Indes auch hiervon abgesehen fand sie
für ihr Vorgehen schwierige Verhältnisse. Die Front, aus der sie
vorbrechen sollte, fiel von Gland östlich von Château Thierry bis
Verneuil mit der Marne zusammen; von dort strich sie, nach den Ergebnissen der
Blücher- und Görz-Kämpfe, in nordöstlicher Richtung
über Jonquery, Boujacourt, Chambrecy auf den Nordwestrand der Stadt
Reims, durchschnitt also das Reimser Bergland. Der Angriff, durch die Marne in
zwei Hälften geschieden, führte in eine Gegend, die auch
südlich des Stroms durchaus gebirgige, waldbedeckte, der Verteidigung
günstige, der Offensive durch geringe Wegsamkeit und beschränkten
Überblick abträgliche Formen zeigte. Nördlich der Marne
stellte sich zudem der tief eingeschnittene Le Belval-Bach dem Vorgehen
entgegen. Die Schwierigkeiten eines solche Geländes waren aus den
Gefechten der 1. Armee um den Besitz von Reims zur Genüge bekannt.
Dadurch, daß als erstes Ziel Epernay bestimmt war, erhielt das zu
gewinnende Gelände sehr lange Flanken, besonders südlich des
Stroms, und eine Dreiecksgestalt, deren Spitze nicht senkrecht über der
Mitte der Frontlinie stand. Deshalb konnten die äußeren
Gefechtsstreifen nicht geradlinig, sondern nur bogenförmig festgelegt
werden. Rechnet man hinzu, daß der erste Schritt, der Brückenschlag,
unter ungünstigen Umständen in feindlichem Feuer getan werden
mußte, so erhellt, wie sehr es auf Überraschung, Ordnung, Tatkraft,
festes Zufassen, Selbsttätigkeit und Unbeirrtheit der Führung und
Truppen ankam. Auch wenn die ersten Ziele überschritten wurden, blieben
die Schwierigkeiten des Geländes zunächst ungemindert. Das
Vertrauen, das die Oberste Heeresleitung auf die 7. Armee setzte, war
außerordentlich hoch, aber nach den bisherigen Erfolgen wohl
begründet.
Die schon gekennzeichnete Angriffsfront der 7. Armee zwischen Gland und
Chambrecy war nach Abschluß der Blücher-Offensive von zwei
Gruppen besetzt gewesen, die unter den Befehlen des Generalkommandos des
XXIII. Reservekorps und des Generalkommandos Nr. 65 standen.117 Für die Offensive wurden
zwischen XXIII. Reservekorps und Generalkommando Nr. 65 zwei
Gruppen eingeschoben, die dem rechten Flügel der 7. Armee
angehört hatten, die Generalkommandos des VIII.
Reserve- und IV. Reservekorps,118 so daß vier am Angriff
beteiligt waren; außerdem trat auf dem linken Flügel der
Angriffsfront das VI. Reservekorps, das das Vorgehen zunächst nicht
mitmachen sollte, eine Divisionsbreite an das Generalkommando Nr. 65 ab.
In erster Linie bauten sich zwölf Stoßdivisionen auf; dahinter standen
vier Divisionen der Korpsreserve bereit, weiter rückwärts vier als
Armeereserven.
[508] Am 25. Juni gab der
Oberbefehlshaber der 7. Armee, General v. Boehn,119 aus dem Armeehauptquartier
Jouaignes den Angriffsbefehl. Als Zweck der Offensive wurde die Vernichtung
der feindlichen Kräfte um Reims und im Reimser Bergwald bezeichnet, die
durch Vereinigung mit der über Condé vorgehenden 1. Armee bei
Epernay zu erzielen sei, während die 3. Armee die linke Flanke zu decken
habe. Die 7. Armee sollte mit der Armeemitte den Marneabschnitt
Chartèves - Verneuil überschreiten, nach Süden
vorgehend den Surmelin-Bach gewinnen, mit dem linken Armeeflügel den
Feind nördlich der Marne angreifen und mit dem rechten
Armeeflügel den Angriff nach Westen hin sichern. Die Lösung dieser
ersten Aufgaben schuf die Grundlage für das weitere rücksichtslose
Vorgehen beiderseits der Marne auf und über Epernay und südlich
davon. Im einzelnen fielen den Gruppen folgende Aufträge zu:
XXIII. und VIII. Reservekorps überschreiten die Marne in der allgemeinen
Linie Chartève - Vincelles und erstürmen die
Höhen zwischen Marne und Surmelin-Bach, um für den Angriff auf
Epernay rittlings der Marne Raum zu schaffen. Das Südufer des
Surmelin-Bachs ist mit Vortruppen zu besetzen. XXIII. Reservekorps hat in der
Linie Gland - St. Eugene - Celle-les Condé die
rechte Flanke zu sichern.
IV. Reservekorps geht auf der Strecke
Vincelles - Troissy über den Fluß und führt den
Stoß auf und über Epernay, der dauernd im Gange bleiben
muß. Möglichst schnell sind weiter östlich die
Übergänge bei Binson zu gewinnen.
Generalkommando Nr. 65 erreicht nördlich der Marne die Linie
Ay - Nanteuil-la Fosse - Bligny. Der Schwerpunkt ist
auf Fleury-la Rivière zu richten.
Im weiteren Verlaufe des Angriffs hat IV. Reservekorps, indem es sich an VIII.
Reservekorps anschließend gegen Süden sichert, der 1. Armee nach
Osten entgegenzuarbeiten, nördlich von der Gruppe des
Generalkommandos Nr. 65 begleitet, die jede Gelegenheit benutzt, um
vorwärts zu kommen.
Die dem Angriff rechts benachbarten Gruppen, VIII. Armeekorps beiderseits von
Château Thierry und XXV. Reservekorps beiderseits des Ourcq, sichern
Flanke und Rücken der Offensive.
Die links benachbarte Gruppe des VI. Reservekorps westlich Reims, die bei
Ausgabe des Befehls noch zur 1. Armee gehörte, hatte von ihrem
Oberkommando bereits Befehl, sich bei Erlahmen des feindlichen Widerstands
dem Angriff anzuschließen.
Die Stellung der 1. Armee, der Hauptpartnerin der 7. für die Offensive,
setzte am linken Flügel dieser Armee bei Gueux an, umschloß Reims
von Norden in einem nach Süden offenen Bogen, strich dann nach
Südosten auf Prunay und ging nordwestlich dieses Ortes durch das
Waldgelände westlich von Moronvillers in östliche Richtung
über, bog bei diesem Orte nach Südosten und erreichte an der
Suippes bei Vaudesincourt die Grenze der 3. Armee. Sie durchschnitt den [509] kalkigen Boden der
Champagne, wo zuletzt im April 1917 gelegentlich der französischen
Aisne-Offensive gekämpft worden war. Damals gingen die Höhen
beiderseits von Prosnes den Deutschen verloren; sie lagen nunmehr vor der
Angriffsfront. Der Angriffsraum wurde zwischen Courtisols und Prunay von der
Vesle geschnitten, die höchstens 16 m breit, mit festen Ufern, durch
ein ausgedehntes Wiesental fließt. In dem Winkel zwischen der deutschen
Stellung und der Vesle um Prosnes ist das Land bergig, mit Waldresten bedeckt;
nach Osten zur Suippes geht es in die mäßig bewegte Fläche
des Lagers von Châlons über. Südlich der Vesle auf dem
rechten Flügel durchschnitten die Angriffslinien die Ausläufer des
Bergwaldes von Reims und stießen dann auf die Marne zwischen
Condé und Châlons, die hier vom Marne-Kanal begleitet ist.
Abgesehen von der Zerklüftung durch frühere Schlachten bot das
Gelände keine besonderen Schwierigkeiten, zum mindesten nicht
annähernd solche, die sich der 7. Armee entgegenstellten.
Ohne das VI. Reservekorps, das zur 7. Armee übertrat, war die Front der 1.
Armee von drei Gruppen besetzt gewesen, XV. Armeekorps,120 VII.
Reserve-121 und XXIV. Reservekorps.122 Für den Angriff Reims wurde
zwischen VII. und XXIV. Reservekorps noch die Gruppe des XIV. Armeekorps123 eingeschoben. Die Linie, aus der die
Offensive vorgeführt werden sollte, erstreckte sich von der Gegend
nördlich Sillery bis Vaudesincourt, die Suippes noch um ein geringes nach
Osten überschreitend; es blieb daher XV. Armeekorps vor Reims am ersten
Vorgehen unbeteiligt. Acht Stoßdivisionen standen vorn bereit, dahinter
waren fünf Divisionen der Korps und Armeereserve verfügbar.
Am 21. und 28. Juni und ergänzend am 9. Juli gab der Oberbefehlshaber,
General v. Mudra,124 im Armeehauptquartier Rethel die
Befehle für die Offensive aus, die die Abschnürung des Gegners im
Reimser Bergwald zum Ziel hatte. Die 1. Armee sollte die feindlichen Stellungen
zwischen Prunay und Aubérive durchbrechen, unter Sicherung gegen
Reims und den Reimser Bergwald beiderseits der Marne auf Epernay
vorstoßen und die Vereinigung mit der über Epernay vorgehenden 7.
Armee an der Marne erzwingen; die linke Flanke wurde durch die 3. Armee
gedeckt. Auf dem rechten Flügel des Angriffs hatte VII. Reservekorps,
zwischen Sillery und Prosnes vorgehend, mit einem Teil der Kräfte den
Besitz der Linie Verzenay - Verzy - Bouzy zu gewinnen und
unter diesem Schutze mit dem andern über Trépail, zwischen Bouzy
und der Marne, auf die Linie Avenay - Mareuil sur Ay
einzuschwenken, der 7. Armee entgegen. XIV. Armeekorps in der Mitte wurde
westlich und östlich von Prosnes auf die Marne beiderseits von
Condé angesetzt und sollte rittlings des Flusses gleichfalls die Richtung
nach Westen auf Epernay einschlagen. XXIV. Reservekorps auf dem linken
Flügel erhielt als Ziel das südliche Ufer der Marne zwischen Aulnay
[510] und Châlons;
ihm fiel die Verbindung mit der 3. Armee zu. Dem XV. Armeekorps endlich
wurde die Feuerunterstützung des Angriffs übertragen; es hatte sich
dem Vorgehen anzuschließen, sobald sich der feindliche Widerstand
schwächte, vorher aber einen Angriff vorzutäuschen.
Die Stellung der 3. Armee setzte bei Vaudesincourt an der Suippes die der 1.
Armee fort, erstreckte sich durch die Champagne nach Osten und durch die
Argonnen bis nach Avocourt bei Verdun. Es war alter blutgetränkter
Boden, dessen tiefe Narben von deutscher Kraft und deutschem Schwunge
beredtes Zeugnis ablegten. Westlich der Argonnen waren im Winter 1915 und im
Herbst 1916 die ruhmreichen Abwehrkämpfe geschlagen worden, die die
Durchbruchsgelüste der Franzosen, ihre frühen Versuche, durch
Ermattung und Übermacht an Material den Verteidiger niederzuwerfen,
scheitern ließen; die Namen Perthes und Souain bezeichneten die
Brennpunkte dieser damals in ihrer Furchtbarkeit noch unerhörten
Schlachten. Das öde, mit zerstörten Orten und Waldstücken
bedeckte, von zertrümmerten Straßen durchschnittene Kalkland im
Angriffsraume bot keine besonderen Hemmnisse, soweit sie nicht in der
Zerreißung des Bodens durch Sprengungen und Geschoßwirkungen
zu suchen waren; auch die Suippes, die ähnlich wie die Vesle vor der 1.
Armee das Kampffeld quer durchschneidet, ist als besonderes Hindernis nicht
anzusprechen. Von Bedeutung waren die Höhen am Südostrand des
Lagers von Châlons und bei Perthes.
Die 3. Armee zählte in ihrer Front vor dem Angriff drei Gruppen, Py, vom
XXI. Armeekorps,125 Perthes, vom XVI. Armeekorps,126 und Argonnen, von den Truppen des
Generalkommandos Nr. 58127 besetzt. Die Linie, aus der
vorgebrochen werden sollte, erstreckte sich vom Ostufer der Suippes bis zur
"Wetterecke" südlich von Tahure, wofür XII., XV. und das zwischen
beiden eingeschobene I. bayerische Armeekorps128 in Betracht kamen; in Erweiterung
des bisherigen Planes sollte sich aber auch das Generalkommando Nr. 58 in
dem Raume zwischen der "Wetterecke" und dem westlichen Höhenrand
der breiten Aisneniederung mit zeitlichem Abstande dem Vorgehen
anschließen. Die drei erstgenannten Korps hatten sieben Divisionen in erster
Linie, drei im zweiten Treffen, zwei standen zur Verfügung des
Armee-Oberkommandos; vom Generalkommando Nr. 58 kam dazu die
rechte Flügeldivision.
In seinem Befehle vom 21. Juni aus dem Armeehauptquartier Maison Rouge bei
Vouziers bezeichnete der Oberbefehlshaber, General v. Einem,129 die Aufgabe der 3. Armee dahin,
daß die feindliche Front zwischen Suippes und "Wetterecke" zu
durchbrechen und durch Schwenkung nach Südosten das Vorgehen der 1.
Armee gegen die Marne unterhalb Châlons zu decken sei. Der Schwerpunkt
des Angriffs lag in der Mitte und auf dem linken Flügel, um den baldigen
Besitz der Höhen nördlich und südlich von Perthes zu
erkämpfen und [511] unter diesem
Flankenschutz gegen Osten den westlich anschließenden Divisionen das
Vorgehen über das ebene Gelände der Suippes zu erleichtern. Nach
Erreichung der Linie Dorf Suippes - Wetterecke südlich
Tahure sollte sich der Schwerpunkt an die Chaussee
Suippes - Châlons verschieben.
Im einzelnen hatte XII. Armeekorps, aus der Linie Ostufer der Suippes bei
Vaudesincourt - Gegend südlich St. Marie vorgehend,
St. Hilaire le Grand, die Höhe 182 an der Straße
Suippes - Châlons und la Cheppe zu nehmen, um am
zweiten Tage das Höhengelände von St. Etienne au Temple
und das Gelände südlich davon bis zur Marne zu gewinnen. I.
bayerisches Armeekorps sollte nach Überschreiten der eigenen Stellung aus
der Gegend südlich St. Marie bis zur Höhe 193
südöstlich von Somme Py das Dorf Souain, Suippes, Bussy le
Château und Somme Suippes, später auch Somme Tourbe, erobern
und bei der Wegnahme der Höhen nördlich und südlich von
Perthes mitwirken. Diese Aufgabe fiel dem XVI. Armeekorps aus der Linie
Höhe 193 - Wetterecke zu, das außerdem, je nach
Vorschreiten des Angriffs, bis zur Tourbe zwischen Minaucourt und Ville sur
Tourbe vorzustoßen hatte.
Es ergab das geplante Vorgehen der 3. Armee eine neue nach Südosten
gerichtete Front, die aus der Gegend südöstlich von Châlons
über Courtisols, Somme Tourbe, Minaucourt bis Ville sur Tourbe reichte,
mithin eine Abwehrflanke zum Schutze des auf Châlons
vorstoßenden linken Flügels der 1. Armee. In einem
Ergänzungsbefehl vom 26. Juni wurde Generalkommando Nr. 58
angewiesen, sich bei weiterem Vorschreiten mit der rechten Flügeldivision
dem Stoße auf dem westlichen Aisne-Ufer anzuschließen; auch der
Angriff des linken Flügels des XVI. Armeekorps auf
Minaucourt - Ville sur Tourbe hatte erst stattzufinden, wenn das
Höhengelände um Perthes in sicherem Besitze war.
Die Feuerzeiten für die Artillerie und der Sturmbeginn wurden von der
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz einheitlich geregelt. Die Artillerie hatte ihre
Tätigkeit am 15. Juli 110 morgens zu beginnen; um 450 morgens sollte der Anlauf der Infanterie
stattfinden, nachdem vorausgehend bei der 7. Armee schon die Pontons zur Marne
gebracht und die ersten Sturmwellen übergesetzt waren.
Das Unternehmen Marneschutz-Reims war dadurch ausgezeichnet, daß es
mit dem Durchbruch zugleich eine Umfassung großen Stiles vorsah, die von
Reims und des Reimser Berglandes mit allen den feindlichen Kräften, die
diese breit und wuchtig in die deutsche Stellung einspringende Bastion
verteidigten. Wenn die 1. Armee, wie sie selbst hoffte, in einem Tage von ihrer
Ausgangsstellung bis nach Bouzy und Condé an der Marne gelangte, die
7. Armee auf näherem Wege die Gegend westlich von Epernay erreichte, so
war es voraussichtlich nur einem kleinen Bruchteil der eingeklammerten
Kräfte möglich, in südlicher Richtung zu entkommen.
Voraussetzung blieb allerdings die völlige Überraschung des
Gegners.
[512] Die Anlage des ganzen
Unternehmens in Verbindung mit dem ungeschwächten Vertrauen auf die
Führung und die Truppen, vorausgegangenen hohen Leistungen und den
einwandfreien Vorbereitungen berechtigte die Oberste Heeresleitung zur festen
Hoffnung auf durchschlagenden Erfolg.
Die Marne war schon einmal im September 1914 der Ausgangspunkt eines
großen, für die Deutschen verhängnisvollen Geschehens
gewesen. Taktisch unbesiegt, unter Verhältnissen, die zwar schwer, aber
keineswegs aussichtslos waren, hatte das deutsche Heer damals den
Rückzug von der Marne zur Aisne angetreten, weil kleinmütige
Nachgiebigkeit an einer einzigen Stelle durch die fern weilende Oberste
Heeresleitung nicht wieder gut gemacht werden konnte. Unermeßlich war
der Schaden, auf Jahre hinaus wurde die Entscheidung des Krieges vertagt. An
den neuen Kampf um die Marne trat die Oberste Heeresleitung mit der
Überzeugung heran, daß nichts versäumt war, um den Sieg zu
gewährleisten; sie hatte die Fäden fest in der Hand, das Uhrwerk war
gestellt, um ruhig und sicher abzulaufen.
Die gleiche Zuversicht beherrschte die beteiligten Armeen; schon gab die 7.
Weisungen heraus, wie sich die demnächstige Verfolgung durch ihre Korps
des linken Flügels nördlich der Marne gestalten werde, und die 3.
Armee entwarf Pläne, um ihren Stoß aus der Linie
Châlons - Ville sur Tourbe nach Südosten bis
über die Argonnen hinaus vorzutragen. Die strategische Bedeutung dieser
Absicht ist klar; die ganze französische Front bis St. Mihiel
hätte ins Wanken gebracht werden können.
Trotz der Siegeszuversicht wurde der Fall in Erwägung gezogen, daß
die Überraschung des Gegners nicht vollkommen sein würde;
besondere Weisungen der Armeeoberkommandos trugen dieser
Möglichkeit Rechnung. Man wußte, daß fast vor jedem
großen Unternehmen Bruchteile der eigenen Pläne zum Feind
hinübergesickert waren. Bei der Vielfältigkeit der Vorbereitungen
auf der ganzen Westfront war es aber für den Gegner sehr schwer, genau zu
prüfen, wieweit er solchen aufblitzenden Beleuchtungen der Lage an einer
oder der andern Stelle Rechnung zu tragen hatte. Vor dem 15. Juli deutete nichts
darauf hin, daß die Franzosen vor der Angriffsfront besondere
Maßnahmen ergriffen hätten, um zu entscheidender Abwehr
gerüstet zu sein. Sicherlich war stärkerer Widerstand zu erwarten als
bei den früheren Angriffsunternehmungen; das lehrte schon die
Gneisenau-Offensive. Die deutsche Art der Verwendung der Angriffsmittel war
den Feinden nicht mehr unbekannt; sie hatten ihre Erfahrungen gemacht und, wie
man annehmen mußte, verwertet.
Mit dem Einsatz starker Reserven mußte gerechnet werden, wenn auch
nicht sofort, so doch im weiteren Verlaufe der Kampfhandlung. Man wußte
vor der Ausgangsfront Teile der französischen 5., 4. und 2. Armee mit etwa
elf Divisionen, darunter einer italienischen, in erster und nur wenigen Truppen in
zweiter Linie; der Raum östlich des Angriffsraums bis zu den Argonnen
schien [513] von
zurückgehaltenen Kräften überhaupt frei zu sein, auch
westlich von ihm lag kein Anlaß vor, starke Reserven anzunehmen. Das
waren die Mittel, die die Franzosen den 45 deutschen Divisionen, die für
den Sieg bereitstanden, zunächst entgegenzuwerfen hatten. Sie konnten
aber allmählich sehr erhebliche Truppenmengen herbeiführen; es war
der Obersten Heeresleitung bekannt, daß die Franzosen jetzt über 30
bis 34, die Engländer über 27, die Amerikaner über 13
Divisionen verfügten, die nicht in Stellungen gebunden waren; die
amerikanischen kamen allerdings als noch nicht verwendungsfähig kaum in
Betracht. Indes die Reserven befanden sich meist weiter im Norden vor der Front
verteilt, die nächsten von ihnen augenscheinlich in der Gegend von Villers
Cotterêts, vor der vielbestürmten Westfront der 9. und 7. Armee.
Hier schien die Lage kurz vor dem 15. Juli recht bedrohlich zu werden. Am 9. Juli
lief eine glaubwürdige Nachricht von außerhalb ein, daß die
Franzosen in den nächsten Tagen, voraussichtlich am 14. Juli, dem
Nationalfeiertage, die deutschen Stellungen zwischen Aisne und Marne von
Westen und Süden umfassend angreifen würden; am 11. Juli wurden
Gefangene gemacht, die diese Voraussagen bestätigten und von starken
Truppenansammlungen im Wald von Villers Cotterêts berichteten. Die
zunächst gefährdete 9. Armee beantragte sofort die
Überweisung von vier kampfkräftigen Divisionen, und die Oberste
Heeresleitung stellte tatsächlich eine Division, die sie entbehren konnte, bei
Laon bereit. Da aber der Angriff nicht erfolgte, wurde die Nachricht, der
Beweiskraft mangelte, gleich unzähligen anderen als blinder Lärm
gedeutet.
Am 15. Juli sah die 9. Armee selbst die Lage als entspannt an und zog ihren
Antrag auf Verstärkung zurück. Freilich blieb die deutsche Front vor
Villers Cotterêts nach wie vor eine wunde Stelle, und jene Vorhersage war
ein Sturmzeichen, das sich in der Folge doch als verhängnisvoll erweisen
sollte.
Die letzten Tage vor dem Angriff verliefen ruhig; nur an der Marne lebte der
Geschützkampf etwas stärker auf. Der Stellungskrieg ging seinen
gewohnten Gang mit Plänkeleien und der Einbringung von Gefangenen
hüben und drüben. Am 11. Juli war die Vorführung des
Schießbedarfs beendet; in der Nacht zum 15. Juli rückten die
Sturmtruppen in die vordersten Stellungen ein. Das Wetter war insofern nicht
besonders günstig, als die Windrichtung die Vergasung der feindlichen
Artillerie zu behindern versprach. Das mußte in Kauf genommen werden,
ebenso wie die voraussichtliche Belästigung der eigenen Truppen durch
zurückschlagendes Gas.
Angriff der 7., 1. und 3. Armee.
Am 15. Juli begann die Artillerie mitten in der Nacht zur befohlenen Zeit ihr
Feuer. Bei der 7. Armee sollten die Pioniere um 110 morgens mit dem
Brückengerät zur Ablauflinie an der Marne vorstürzen; da
prasselte schon um 1 Uhr feindlicher
Gas- und Sprengbeschuß auf das Nordufer [514] des Flusses hernieder.
Unter größten Mühen, mit starken Verlusten und
Einbußen an Material brachten diese braven Brückenbauer ihre
Pontons zum Wasser, wurden aber beim Versuch des Übersetzens von
heftigem Maschinengewehrfeuer empfangen. Es gelang den ersten
übersetzenden Streiftruppen die gefährlichen Ruhestörer am
Südufer zu überrennen; die Pontons konnten darauf in der
Dunkelheit ziemlich unbelästigt zwischen beiden Ufern verkehren. Die
geplanten Brückenschläge verzögerten sich aber, weil das
noch heranzuziehende Material auf den vorgesehenen Wegen durch die Wirkung
des Beschusses Aufenthalt fand. Als es nach Zerstreuung des Morgennebels hell
wurde, ergoß sich starkes Artilleriefeuer über den Fluß, so
daß der Brückenbau auf das empfindlichste gestört, gehemmt
und teilweise unmöglich gemacht wurde. Man baute deshalb bei fast allen
Divisionen Fähren, um die inzwischen eingetroffenen Sturmtruppen
hinüberzuwerfen. Äußerst unbequem waren zahlreiche Flieger,
die ihre Bomben auf die entstehenden Brücken, Stege und auf die
Fähren warfen.
Es ist erstaunlich, daß trotzdem einzelne Brücken zustande kamen
und der Fährbetrieb nicht ganz unterbunden wurde.
Übermenschliches leisteten die Pioniere; tadellos hielten sich die
Infanteristen, die unter solchen schweren Umständen das Südufer
gewinnen mußten. Der Sturm auf die vordere feindliche Linie auf der
Strecke Gland - Verneuil ging planmäßig vor sich, fand
aber heftigsten Widerstand durch französische und amerikanische Truppen.
XXIII. Reservekorps, unter starkem Flankenfeuer von Westen leidend, eroberte
im Laufe des Vormittags die Höhe südlich Mont St. Père und
das Dorf Fossoy, während Crezancy wieder verloren ging; weiter
östlich nahm es die Höhe südlich Courtemont. Dann stockte
der Angriff. Beim VIII. Reservekorps ging es flotter voran; bis Mittag
bemächtigte es sich des Rückens nördlich der Linie
St. Agnan - la Chapelle und drückte auf
Comblizy vor. IV. Reservekorps gelangte in dieser Zeit bis zur Höhe
nördlich Comblizy, nahm den Wald östlich davon und die Gegend
westlich von Mareuil. So war südlich der Marne trotz schwierigster
Kampfverhältnisse fester Fuß gefaßt, eine heldenhafte Tat der
ausgezeichneten Truppen; mit Ausnahme des rechten Flügels stand man
vor der zweiten feindlichen Stellung.
Nördlich der Marne fanden die Divisionen des Generalkommandos
Nr. 65 gleichfalls heftigste feindliche Gegenwirkung, namentlich durch
Maschinengewehrnester. Trotzdem wurde in zähem Fortschreiten das
Waldstück nordöstlich Verneuil erobert, in das Gehölz von
Trotte eingedrungen, Paradis und der Forst nordwestlich davon bis zur Ardre bei
Chaumuzy genommen. Anschließend daran bei St. Euphraise trieben
Stoßtrupps des VI. Reservekorps italienische Truppen mühelos vor
sich her. Der Widerstand unmittelbar nördlich der Marne war also am
stärksten gewesen; weiter nach Nordosten hatten die deutschen Truppen
bereits die Linie erreicht, die als erstes Tagesziel gedacht war.
Nachmittags brachte XXIII. Reservekorps noch den ganzen Rücken
zwischen [515] Courtemont und
St. Agnan und schließlich den Grund des
Surmelin-Baches in seinen Besitz, mußte aber vor dem immer stärker
werdenden Flankenfeuer in der Dunkelheit auf dem äußersten rechten
Flügel Fossoy und den Flußwinkel südlich Mont. St.
Père räumen. VIII. Reservekorps drang in die zweite feindliche
Stellung ein und setzte sich in der Mulde bei St. Agnan und
la Chapelle fest; von dort lief die eroberte Linie bis auf die Höhe
westlich von Comblizy. Beim IV. Reservekorps stützte sich der feindliche
Widerstand auf zahlreiche Waldstücke, die mit Maschinengewehrnestern
gespickt waren; trotzdem glückte es, den Wald nordöstlich von
Nesle le Repons, die Dörfer Leuvrigny, Reuil,
Binson-Orquigny und Châtillon zu nehmen. Generalkommando
Nr. 65 bemächtigte sich unter ähnlichen schweren
Kampfverhältnissen des größten Teils des Waldes
östlich des le Belval-Bachs, des Gehölzes westlich Belval und
des Dorfes Marfaux an der Ardre. VI. Reservekorps hatte sich
planmäßig gleichfalls in Bewegung gesetzt, machte bei
St. Euphraise in südlicher Richtung weitere Fortschritte gegen die
nachgiebigen Italiener, fand aber auf dem linken Flügel kräftigen
Widerstand durch Franzosen.
Am Abend war die zweite feindliche Stellung an mehreren Stellen durchbrochen,
der Widerstand erwies sich aber doch als so heftig, daß auch künftig
nur mit schrittweisem Vordringen zu rechnen war. Das Oberkommando der 7.
Armee glaubte aber geringe Reserven des Gegners voraussetzen zu sollen und
ordnete daher für den 16. Juli die Fortsetzung des Angriffs mit voller
Wucht an. Allgemein war der Eindruck, daß der einleitende
Gasbeschuß wegen der Windrichtung versagt und die feindliche Artillerie
wie die Infanterie in ungeschädigter Abwehrbereitschaft gelassen habe.
Auffällig war, daß sich auf der Westfront der 7. Armee, wo bei
Château Thierry und an der Naht zur 9. Armee bei Corcy örtlich
gekämpft worden war, ungewöhnlich starke feindliche Luftsperre
bemerkbar machte.
Im Kampfraum der 1. Armee war am 15. Juli der seit 110 morgens wirkenden Artillerievorbereitung
um 550 morgens der Infanteriesturm
gefolgt. Da der feindliche Widerstand gering war, überrannten die ersten
Wellen unter dem Schutze der Feuerwalze leicht die vorderen
französischen Linien, nur stellenweise durch zäh kämpfende
Maschinengewehrnester gehemmt. Im Laufe des Vormittags erreichte VII.
Reservekorps die Vesle in der Gegend südwestlich Prunay, XIV.
Armee- und XXIV. Reservekorps gelangten bis in die Gegend der
Römerstraße beiderseits von Prosnes bis zur Suippes; die
Geländeverluste des Jahres 1917 waren also schon zurückgewonnen.
Stellenweise war die Fühlung mit der Feuerwalze verloren gegangen.
Rückwärtige Divisionen und Artillerie wurden nachgezogen.
Am frühen Nachmittag ergab sich, daß, ebenso wie weiter
östlich bei der 3. Armee, der Gegner in der zweiten Stellung an der
Römerstraße, von stärkstem Artilleriefeuer unterstützt,
heftigen Widerstand leistete. Nur noch VII.
Reserve- [516] korps machte einige
Fortschritte; es drang über die Vesle bis an den begleitenden Kanal heran,
nahm Wez und drückte weiter auf Thuisy und Courchelois vor. Beim XIV.
Armee- und XXIV. Reservekorps kam dagegen der Angriff nicht über die
Römerstraße hinaus. Das Armee-Oberkommando überzeugte
sich, daß von schnellem Vordringen bis zur Marne keine Rede sein konnte;
es beschloß, an der Naht zwischen VII. Reserve- und XIV. Armeekorps, wo
es am besten vorwärts ging, eine frische Division mit der Richtung auf
Sept-Saulx einzusetzen und den Angriff im übrigen mit kurz gesteckten
Zielen weiterzuführen. Zum Einsatz der neuen Kräfte kam es aber
nicht, da er bei dem wachsenden Widerstand aussichtslos wurde; auch
Vorstöße des XIV. Armee- und XXIV. Reservekorps am Abend
brachten keine Fortschritte. Indessen glaubte das
Armee-Oberkommando nur dann weiterkommen zu können, wenn nach
neuer Artillerievorbereitung einheitlich angelaufen würde. Trotz mancher
Bedenken setzte es den Zeitpunkt des wiederholten Angriffs auf den 16. Juli 11
Uhr vormittags fest.
Bei der 1. Armee war man gleichfalls der Ansicht, daß der
Gasbeschuß unwirksam gewesen sei; das allein hätte aber nicht
genügt, um solch heftigen Widerstand zu erklären. Man
mutmaßte daher, daß die Überraschung des Feindes nicht
zustande gekommen, daß er vielmehr über die deutschen Absichten
in allen Einzelheiten unterrichtet gewesen sei. Hier war Verrat, zum mindesten
unvorsichtiges Handeln im Spiele, und schon die nächste Zeit sollte diesen
Verdacht bestätigen. Der Gegner hatte die erste Stellung nur schwach
verteidigt, den Raum bis zur Römerstraße in biegsamer Verteidigung
aufgegeben, war dann aber in der zweiten Stellung um so stärker zur
Abwehr bereit gewesen. Er stand tief gegliedert, und seine ungeschwächte
Artillerie hatte der stürmenden Infanterie, besonders aber der nacheilenden
Artillerie, erhebliche Verluste zugefügt. Besonders verderblich war das
Sperrfeuer gewesen, das im Raum zwischen erster und zweiter Stellung
niederging und die gehemmte Infanterie von der vorwärtseilenden
Feuerwalze loslöste.
Kaiser Wilhelm wohnte dem Kampfe der 1. Armee auf einer Beobachtungswarte
bei.
Die 3. Armee begann ihr Artilleriefeuer gleichfalls um 110 morgens scheinbar mit guter Wirkung, da
die feindlichen Geschütze kaum antworteten; das eigene Gas schlug hier
sehr weit zurück, so daß auf einzelnen
Divisionsgefechtsständen die Masken aufgesetzt werden mußten.
Kurz vor 5 Uhr morgens begann die Feuerwalze abzurollen, und die Infanterie
erhob sich hinter ihr zum Sturm. In der tief gegliederten ersten Stellung wurde
kaum Widerstand geleistet; ebenso mäßig wie das
Infanterie- war das feindliche Artilleriefeuer. In der neunten Morgenstunde
standen die Sturmtruppen vor der zweiten feindlichen Stellung in der
allgemeinen Linie nördlich der Orte St. Hilaire le Grand, Souain,
Perthes, Massiges; nunmehr wurde durch Luftaufklärung
er- [517] kannt, daß der
Gegner über sehr starke Artillerie und Reserven verfügte, unter
denen sich nach Gefangenenaussagen auch Amerikaner befinden sollten.
Besonders auf dem linken Flügel, beim XVI. Armeekorps, steigerte sich
das feindliche Feuer allmählich zu großer Heftigkeit. Die Lage schien
trotzdem günstig zu sein; das Oberkommando setzte daher
rückwärtige Divisionen in Marsch.
Bis Mittag ließ sich erkennen, daß der Angriff auf die zweite
feindliche Stellung trotz einzelner Einbrüche nicht weiter ging. Daher
wurde beschlossen, zunächst die Artillerie von neuem wirken zu lassen und
erst um 6 Uhr abends den Stoß fortzusetzen; dieser Zeitpunkt wurde bald
darauf auf 7 Uhr hinausgeschoben. Der abendliche Angriff erbrachte keinen
Gewinn mehr, zumal da zahlreiche neue feindliche Artilleriegruppen gegen ihn
arbeiteten, deren Vorhandensein erst im Laufe des Tages erkannt wurde. Das
Oberkommando beschloß daher, am 16. Juli vor der stark besetzten zweiten
feindlichen Stellung halten zu bleiben, um frische Kräfte für neue
Erfolgsmöglichkeiten zu sammeln; nur XII. Armeekorps auf dem rechten
Flügel sollte sich dem auf 11 Uhr vormittag festgesetzten Angriff der 1.
Armee anschließen.
Auch bei der 3. Armee bestand kein Zweifel, daß der Gegner über
alle Einzelheiten des Angriffs genau unterrichtet gewesen war. Die schwache
Besetzung der ersten, die starke der zweiten Stellung, wo der Hauptwiderstand
geleistet wurde, die Tiefengliederung hinter ihr, die Umgruppierung der Artillerie,
die aus gefährdeten Stellungen zurückgezogen war, sprachen
für lang vorbereitetes, planmäßiges Verhalten.
Daß unter diesen Umständen die Fortsetzung des Angriffs von neuem
Artillerieaufmarsch und neuer Wirkung abhängig war, trotzdem aber
geringe Aussichten bot, wurde ebenso wie von den
Armee-Oberkommandos der 1. und 3. Armee auch von der Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz erkannt. Das Ziel der Abschnürung der Bastion von
Reims ließ sich kaum noch erreichen, wohl aber war es vielleicht noch
möglich, durch Fortschritte der 7. Armee nördlich der Marne
über den Höhenklotz von
Fleury-la Rivière den Gegner zur Räumung des Reimser
Berglandes zu veranlassen. Auch südlich der Marne mußte die 7.
Armee weiter angreifen, um eine Dauerstellung zu gewinnen. Hatte hiernach die
7. Armee am 16. Juli die Offensive wieder aufzunehmen, so durften die 1. und 3.
Armee nicht zurückstehen, um den gegenüberstehenden Feind an der
Verschiebung von Reserven zur Marne zu hindern.
Dieser Auffassung schloß sich, wenigstens in den Grundzügen, die
Oberste Heeresleitung an; sie befahl in der Nacht zum 16. Juli, daß die 7.
und 1. Armee den Angriff am 16. Juli fortsetzen, die 3. dagegen nur mit der
Division des linken Flügels des XVI. Armeekorps zur Verbesserung ihrer
Stellung vorstoßen solle. Hauptgesichtspunkt war der Druck auf den Feind,
um ihn zur Aufgabe des Reimser Berglandes zu nötigen; hierzu hatte die 7.
Armee beiderseits der Marne [518] weiteres Gelände
zu gewinnen, die 1. wenigstens die Gegend von Mourmelon le Petit und
Mourmelon le Grand zu erreichen. An dem ursprünglichen
Operationsgedanken wurde also in eingeschränkter Form festgehalten.
Am 16. Juli beabsichtigte die 7. Armee den Angriff beiderseits der Marne nur
noch auf der Strecke zwischen la Chapelle südlich und Marfaux
nördlich des Flusses zu führen; dem unbeteiligten XXIII. und dem
rechten Flügel des VIII. Reservekorps fiel der Schutz der rechten Flanke zu.
Als nächste Ziele wurden Igny le Jard südlich Comblizy, Boursault
an der Marne und Pourcy an der Ardre bezeichnet. Gegen XXIII. und VIII.
Reservekorps wurden heftige Angriffe geführt, die zwar mit der
Behauptung der am 15. Juli gewonnenen Linien endeten, aber doch den
Stoß des VIII. Reservekorps auf Igny le Jard unmöglich machten.
Weiter östlich drang IV. Reservekorps in wechselvollem Kampfe bis
Festigny vor, das allerdings wieder verlorenging, und hatte an der Marne
dauernden Erfolg durch Gewinnung der Linie Chêne la
Reine - Tincourt. Ebenso mühevoll rangen die Truppen des
Generalkommandos Nr. 65 in dem waldigen Berglande östlich des
Le Belval-Bachs und an der Ardre; sie gelangten bis an den
Höhenblock westlich von Fleury-la Rivière heran, erreichten
die Gegend östlich des Dorfes Belval und arbeiteten sich bei Marfaux
über die Ardre gegen die Linie Pourcy - Courmas vor.
Courmas selbst wurde durch das VI. Reservekorps den Italienern entrissen.
Während des ganzen Tages lag die Marne-Niederung unter heftigem
Artilleriefeuer und unausgesetzten Bombenwürfen, so daß die schwer
leidenden Pioniere nur mit größter Mühe den Verkehr
über den Fluß aufrechterhalten konnten. Am Abend und in der Nacht
hatte IV. Reservekorps südlich der Marne wütende
Gegenstöße des Feindes abzuwehren. Auf der Westfront der 7. Armee
war es ruhig gewesen, dagegen hatte nördlich von ihr die 9. Armee bei
Corcy in neuen Kämpfen gestanden.
Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz hielt nach dem Ergebnis des Tages nur
die Fortführung des Stoßes nördlich der Marne für
aussichtsvoll, immer noch in der Hoffnung, die Franzosen zur Räumung
des Reimser Bergwalds veranlassen zu können. Ihren Weisungen
entsprechend, ordnete die 7. Armee für den 17. Juli für das
südliche Marne-Ufer die Einstellung des Angriffs an, auf dem
nördlichen sollten noch die Ziele Venteuil, Höhe westlich
Fleury-la Rivière, Höhe westlich Chamery und Ville
Dommange erreicht werden.
Bei der 1. Armee war während der ganzen Nacht zum 16. Juli um die
eroberten Linien gestritten worden; der hin- und herwogende Kampf setzte sich
am Vormittag fort und, wenn er auch noch kleine Vorteile für die
Deutschen erbrachte, machte er doch den befehlsmäßig um 11 Uhr
vormittags beginnenden neuen allgemeinen Angriff von vornherein aussichtslos.
Alle Versuche vorwärts zu kommen gingen in dem rasenden feindlichen
Sperrfeuer unter. Das Oberkommando sah die Notwendigkeit ein, die Offensive
abzubrechen und die Truppen [519] zur Abwehr zu
gliedern. Die Heeresgruppe teilte diese Ansicht, ordnete aber für die
kommende Zeit die Vorbereitung von Angriffen auf das Fort Pompelle bei Reims
und auf die Linie Sept Saulx - Baconnes - St. Hilaire le
Grand an. Der geplante Stoß der 7. Armee am 17. Juli nördlich der
Marne sollte durch Verschiebung von Artillerie zum linken Flügel der 1.
Armee unterstützt werden.
Von der 3. Armee hatte sich nach dem Befehl des Oberkommandos vom 16. Juli
XII. Armeekorps - und zwar lediglich mit der rechten
Flügeldivision - am Angriff der 1. Armee um 11 Uhr vormittags zu
beteiligen; dabei blieb es, obwohl die Oberste Heeresleitung ihrerseits nur eine
Stellungsverbesserung auf dem linken Flügel der Armee gefordert hatte. Im
übrigen waren die gewonnenen Linien zu halten. Die beiden getrennten
Angriffe hatten Erfolg; rechts wurden über 800 m Raum nach
vorwärts Fortschritte gemacht, links die befohlenen Höhenlinien
östlich der Wetterecke erreicht. Dann ging die Armee im
Einverständnis mit der Heeresgruppe auf der ganzen Front zur Gliederung
für die Verteidigung über.
Die Oberste Heeresleitung ließ auf Grund der Ergebnisse des 16. Juli noch
nicht den Gedanken fallen, sich des Reimser Berglands zu bemächtigen,
beschränkte aber in einem Befehl vom 17. Juli die Teilnahme der 1. Armee
auf einen Angriff beiderseits von Pompelle und auf Mitwirkung ihres rechten
Flügels beim weiteren Druck der 7. Armee nördlich der Marne.
Hierzu sollten Divisionen aus der Front der 1. und 3. Armee herausgelöst
werden. Als Zeitpunkt für den Angriff der 1. Armee wurde der 21. Juli
vorgesehen; er kam aber nicht mehr zustande. Die Oberste Heeresleitung
überzeugte sich, daß die ganze Unternehmung
Marneschutz-Reims eingestellt werden mußte.
Die 7. Armee wurde am 17. Juli auf der stillgelegten Front südlich der
Marne auf das schwerste angegriffen. Die Stöße des Feindes richteten
sich mit besonderer Wucht gegen VIII. und IV. Reservekorps. Ersteres konnte die
feindlichen Anläufe bis auf kleine Einbrüche bei la Chapelle
abwehren; letzteres verlor Chêne la Reine, Leuvrigny und das
Gelände bis zur Marne, also einen erheblichen Raum unmittelbar
südlich des Flusses, vermochte aber Leuvrigny zurückzuerobern. An
der Marne setzte es sich in Besitz von Venteuil. Die hochbewährten
Sturmtruppen hielten also den heißumstrittenen Boden südlich der
Marne fest. Nördlich von ihr griffen Generalkommando Nr. 65 und
VI. Reservekorps befehlsmäßig an, um die als Ziel gesteckte Linie
westlich Fleury-la Rivière bis Ville Dommange zu gewinnen. Unter
stärkstem Artilleriefeuer, durch Gegenstöße gehemmt, nahmen
die stürmenden Divisionen die Höhe nördlich von Nanteuil la
Fosse, Pont Presle und Pourcy, das aber dem VI. Reservekorps wieder
verlorenging; im übrigen rangen sie vergeblich um Fortschritte.
Das Oberkommando der 7. Armee sah am Abend des 17. Juli die Lage
südlich der Marne als unhaltbar an. Neue Versuche, den Angriff
weiterzuführen, mußten in dem nun erwachten Bestreben des
Gegners, bis zum Flusse durch- [520] zudringen, bereits
während der Vorbereitungen ersticken; von dem Brückengerät
hinter der Front waren schon mehr als drei Viertel zerstört, der
Rückzug über die Marne schien gefährdet. Die Heeresgruppe
Deutscher Kronprinz schloß sich dieser Anschauung an, glaubte aber mit
dem als notwendig erkannten Abbau warten zu müssen, bis die noch immer
im Auge behaltenen Fortschritte nördlich der Marne zur Eroberung der
Höhe westlich von Fleury-la Rivière geführt haben
würden, um den Truppen des Generalkommandos Nr. 65 die
Flankierung vom südlichen Ufer zu ersparen. Ihrem Vorschlag
entsprechend ordnete die Oberste Heeresleitung am 17. Juli abends an, daß
die planmäßige Zurücknahme der Truppen südlich der
Marne vorzubereiten sei, behielt sich aber endgültigen Befehl
darüber vor.
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Bei der 1. Armee kämpften am 17. Juli hauptsächlich die
beiderseitigen Artillerien; XIV. Armeekorps wies einige Vorstöße ab.
Die Abwehrgliederung war im Gange. Befehlsmäßig ging der rechte
Flügel des VII. Reservekorps vom Kanal südlich der Vesle bis zum
Flusse zurück. Zum XV. Armeekorps nach Reims wurde Artillerie
verschoben, um den Angriff der 7. Armee nördlich der Marne zu
unterstützen. Auch bei der 3. Armee herrschte nach dem Sturm
verhältnismäßige Ruhe. XVI. Reservekorps wurde wiederholt
angegriffen, hielt sich aber in seinen Stellungen. Mit der Auflösung von
Kampfdivisionen wurde bei beiden Armeen begonnen.
Ergebnis der Marneschutz-Reims-Offensive.
Wenn sich auch die 7. Armee am 18. Juli noch bemühte, nördlich der
Marne weiteres Gelände zu gewinnen, so war doch die Angriffsschlacht der
drei deutschen Armeen tatsächlich am 17. Juli abgeschlossen und, wie
niemand bezweifeln konnte, gescheitert. Zwar hatte man auf allen beteiligten
Frontstrecken Gelände gewonnen, am meisten bei der 7. Armee beiderseits
der Marne, aber der Gewinn war geringfügig und südlich des Flusses
unhaltbar. Man hatte dem Feinde sicherlich schwere Verluste zugefügt,
allein an Gefangenen wurden über 18 000 Mann eingebracht, aber es
fehlten die Trophäen in Gestalt zahlreicher Geschütze und
Maschinengewehre, und bei der ungeschwächten Verteidigungskraft des
Gegners waren auch eigene schwere Einbußen zu buchen.
Der Grund des Mißerfolgs lag nicht in dem Verhalten der deutschen
Truppen, die Großes geleistet hatten, allen voran die Pioniere an der Marne;
er lag auch nicht in der Führung. Kein anderes Unternehmen des
Frühlings und Sommers 1918 war so aussichtsvoll angelegt, weil sich die
Operationsrichtungen nach vorwärts zusammenschoben, indem sie das erste
Angriffsziel, Reims und den Reimser Bergwald, in doppelseitiger Umfassung
einklammerten. Auch die Vorbereitungen für das Unternehmen waren nicht
verantwortlich zu machen, obwohl sie mit dem geplanten
Marne-Übergang besonders schwere Aufgaben zu bewältigen hatten.
Ebensowenig konnte die taktische Verwendung der [521] Truppen angeklagt
werden. Der Grund für das unbefriedigende Ergebnis war vielmehr darin zu
suchen, daß die Überraschung des Feindes, diese
unerläßliche Vorbedingung des Erfolges, mißglückt war,
und daß sich der Gegner, nach schweren Schlägen, endlich dazu
entschlossen hatte, die Verteidigung biegsam und nach der Tiefe gegliedert zu
führen, Grundsätze, die im deutschen Heere schon seit 1916
lebendig gewesen waren.
Die Vernehmung feindlicher Gefangener und die Durchsicht gefundener
französischer Schriftstücke in Verbindung mit der dadurch
ermöglichten richtigen Einschätzung von Tatsachen, die vor der
Unternehmung die Geheimhaltung bedroht hatten, ließen schon am 16. Juli
klar erkennen, wie die genauen Kenntnisse des Gegners von der Offensive und
ihren Einzelheiten zustande gekommen waren. Nachrichten über die
Absicht der deutschen Führung, bei Reims anzugreifen, hatten schon
frühzeitig ihren Weg zum feindlichen Oberbefehlshaber Foch gefunden. Es
war also über das Unternehmen geplaudert worden, wahrscheinlich nicht
nur an der Front, sondern auch in der Heimat, wohin trotz aller Verbote briefliche
Nachrichten über Marneschutz-Reims gelangt sein mochten. Hier lag grobe
Unvorsichtigkeit vor, der sich aber leider auch der Verrat durch deutsche
Gefangene zugesellte. Die seelische Erpressung, die die Franzosen in teuflischer
Weise gegen die unglücklichen Deutschen in ihrer Hand zur Erzwingung
von Nachrichten anwandten, hatte weitgehenden Erfolg gehabt; denn General
Foch wußte genau, auf welchen Frontstrecken der Angriff vor sich gehen
sollte, wieviel Brückenschläge an der Marne vorbereitet waren, wo
das Brückengerät niedergelegt wurde, wie der Artillerieaufmarsch
geplant war. Schließlich erfuhr er noch am 14. Juli abends durch neue
Gefangene, daß sich die deutschen Truppen in der kommenden Nacht zum
Sturm bereitstellen würden.
Unter diesen Umständen hatten es die Franzosen nicht schwer, in
Muße Abwehrmaßregeln durchzuführen, die die deutsche
Offensive von vornherein lahmlegten. Aus den Aussagen gefangener
französischer Offiziere ging hervor, daß sie sich hierbei der auf
deutscher Seite längst angenommenen Methode bedienten, die vordersten
Linien zu räumen, die zweite Stellung stark zu besetzen, die Artillerie
zurückzuziehen und mitsamt den Reserven in die Tiefe zu gliedern. Nur an
der Marne ließen sie wegen der unmittelbaren Flußverteidigung den
alten Aufbau bestehen. So vermochten sie das deutsche Vorbereitungsfeuer
ziel- und wirkungslos zu machen, die stürmende Infanterie vor der zweiten
Stellung mit mächtigem Sperrfeuer aufzuhalten und aus dicht besetzten
rückwärtigen Gräben abzuwehren. Die volle Kenntnis der
deutschen Pläne verhalf ihnen zu leichtem und sicherem Erfolge.
Die Oberste Heeresleitung war schon in der Nacht vom 15. zum 16. Juli
darüber klar, daß das Unternehmen
Marneschutz-Reims nicht mehr die großen, ihm gesteckten Ziele jenseits
der Marne erreichen werde. Wenn sie trotzdem die Fortsetzung in engeren
Grenzen befahl, so trug sie sich mit der Hoffnung, wenn [522] auch nicht die
Abschnürung, so doch wenigstens die Räumung des Reimser
Berglands noch durchsetzen zu können; dazu berechtigte sie das tadellose
Verhalten der Truppen, zwang die ungünstige Frontgestaltung bei der 7.
Armee, die den Besitz der einspringenden feindlichen Bastion
unerläßlich machte. Es kam weiter darauf an, die Aufmerksamkeit
des Gegners für einige Zeit noch in der Champagne zu fesseln. Die
Offensive sollte, wenn sie nicht voll durchschlug, die Ablenkung für das
kurz nach ihr geplante Unternehmen Hagen in Flandern sein; als solche
mußte sie sich auswirken können. Deshalb behielt sich auch die
Oberste Heeresleitung den Befehl darüber vor, wann die 7. Armee das
südliche Marne-Ufer räumen sollte. Hagen war bei der Heeresgruppe
Kronprinz Rupprecht für den Anfang August geplant. Keinen Augenblick
schwankte die Oberste Heeresleitung, daß diese Absicht trotz der
ungünstigen Ergebnisse des Kampfes um Reims zur Tat werden
müsse; schon am 16. Juli abends rollten Batterien und Minenwerfer von der
Champagne-Front nach Flandern ab.
Da kam der verhängnisvolle 18. Juli, der Einbruch des Gegners in die
vielumstrittene Westfront der 9. und 7. Armee, der Niederbruch der Hoffnung,
daß der Fehlschlag in der Champagne durch den neuen Schlag in Flandern
wett gemacht werden könne, der Übergang der Gesetzgebung an den
Feind und damit die Peripetie des ganzen kriegerischen Dramas.
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