Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 9: Die
Schlußkämpfe an der Westfront,
August bis Oktober 1918 (Forts.)
General der Infanterie Hans v. Zwehl
[560] 2. Die Machtentfaltung der Vereinigten Staaten von
Amerika.
Die militärische Unterstützung der Ententemächte durch die
Vereinigten Staaten von Amerika hat schon mit dem Kriegsbeginn ihren Anfang
durch Lieferungen von Material jeder Art genommen.4 Irgendwelche Bedenken, daß
darin eine Neutralitätsverletzung läge, sind weder dem
Präsidenten Wilson, noch dem von ihm beherrschten amerikanischen Volke
gekommen. - Ob schon vor dem Kriege bindende Abmachungen Amerikas
und Englands über eine Unterstützung bestanden, ist noch
unbekannt; nach dem Gang der Dinge ist es wohl möglich. Wilson war von
vornherein entschlossen, England in dem
Kriege - soweit es in seiner Macht stand - keinesfalls unterliegen zu
lassen. Er hat das bei Beendigung des Krieges offen zugegeben. Wie hoch die
Materiallieferungen Amerikas sich belaufen, beweisen ohne weiteres die
beträchtlichen, von Frankreich und England dort kontrahierten
Schulden. Bei den mehr handelspolitischen Interessen Amerikas an dem Weltkriege bedurfte
Wilson längerer Zeit, um seine Landsleute durch eine geschickte
Propaganda der aktiven Teilnahme an dem Kriege geneigt zu machen. Das ist von
ihm, seinen Gehilfen und von dem britischen Propagandachef Northcliffe
meisterhaft ausgeführt worden. Einzelne Schiffsversenkungen, wie die der
"Lusitania", 7.
Mai 1915, "Arabic", 19. August 1915, "Sussex", 24. März
1916, ließen sich durch das nötige Lügenbeiwerk, in
Verbindung mit den
sogenannten belgischen "Kriegsgreueln" der Deutschen,
leicht zur Parteinahme gegen Deutschland, zur Anstachelung der
öffentlichen Meinung verwerten. Ganz besonders wirksam ist die
Versenkung der "Lusitania" ausgebeutet worden, obschon bekannt war, und durch
ein späteres Gerichtsurteil in einer Privatklage auch wahrscheinlich
geworden ist, daß das
Schiff in großer Menge Kriegskonterbande an
Bord hatte. Maßgebende Personen in Deutschland haben das auch wohl
erkannt, die politischen Absichten Wilsons, die amerikanischen
Kriegsvorbereitungen durchschaut, ohne daß klar ist, warum man nicht
früher die gänzliche Aussichtslosigkeit, den Präsidenten
für Deutschland zu gewinnen, eingesehen, und dieser Gesichtspunkt zur
Richtschnur des Handelns gemacht worden ist. Als Wilson zu Anfang des Jahres
1917 nach Beginn des uneingeschränkten U-Bootskrieges die Maske der
Neutralität abwarf, war jenseits des Ozeans die Stimmung für die
aktive Beteiligung am Kampfe genügend vorbereitet.
Die Friedensarmee der Vereinigten Staaten, in einer Stärke von kaum
100 000 Mann, kam, an den Verhältnissen des Weltkrieges
gemessen, nicht in Betracht; sie konnte nur eine kleine Zahl von
Beförderten, also nicht mehr als einen sehr dürftigen Rahmen
für eine große Operationsarmee in Europa abgeben. Aber schon bevor
die amerikanischen Spitzen auf dem europäischen Kontinent eintrafen,
hatte man eine allmähliche Verstärkung der bewaffneten Macht
bewirkt, [561] so daß beim
Eintritt Amerikas in den Krieg durch Einstellung von Geworbenen eine Armee
von rund 300 000 Mann vorhanden und außerdem eine Nationalgarde
von 400 000 Mann in der Bildung begriffen war. Auch das war noch sehr
wenig im Vergleich zu den vorhandene Kriegsbrauchbaren einer
Bevölkerung von über 90 Millionen Menschen. Im Mai 1917
führten die Amerikaner die allgemeine Dienstpflicht ein und schufen damit
die Grundlage für die geplante große Kraftentfaltung. Durch
Freiwillige und Geworbene hätte sie trotz aller englischer Sympathien im
Lande sich schwerlich erzielen lassen. Wenn damit auch ein Zwang ausgeübt
werden mußte, so hat dies doch die Opferwilligkeit, den Drang der
Amerikaner nach vorn beim Angriff nicht beeinträchtigt. Es war gelungen,
durch die planvolle Propaganda den Gedanken zu erzeugen, es gelte den Kampf
gegen den preußisch-deutschen Militarismus, um die Freiheit, die
Zivilisation, gegen deutsche Barbarei, dem sich der freie Amerikaner um so
weniger entziehen dürfe, als er mit dem Engländer blutsverwandt
wäre.
Die Ausbildung der eingestellten amerikanischen Mannschaften verursachte
einige Schwierigkeiten, aber die weitgehenden deutschen Hoffnungen, daß
die Vereinigten Staaten zwar Massen aufbringen, jedoch kein
verwendungsfähiges, geübten Truppen gewachsenes Heer schaffen
könnten, haben sich in dem erwarteten Umfange nicht annähernd
erfüllt. Englische und französische Lehrer haben dabei mehr
geleistet, als man annehmen konnte. Die Amerikaner an der Kampffront waren
zwar noch recht unbeholfen, dem alten deutschen Soldaten nicht gewachsen, die
mittlere und untere Führung wies noch Mängel auf. Dies wurde aber
ausgeglichen durch ursprünglichen, sportmäßigen Wagemut
und allemal tapferes Draufgängertum. Die Mängel traten auch schon
deshalb zurück, weil die deutsche Infanterie im Sommer 1918 merklich aus
hier nicht näher zu erörternden Gründen an Kampfwert
verloren hatte. In den französischen Übungslagern erhielten die
Amerikaner noch den letzten Schliff.
Wichtig war die ihnen zuteil gewordene vorzügliche Verpflegung und
tadellose Ausrüstung, die zu der Dürftigkeit des deutschen Heeres in
einem schreienden Gegensatz stand.
Die Durchbildung der Artillerie war lückenhaft, die Mängel
beseitigte die starke Überlegenheit an Zahl und Munition.
Erdrückend war das Übergewicht an Fliegern. Im Spätsommer
1918 sollen in Europa 2000 geschulte Flieger mit 9987 Flugzeugen gewesen
sein.
Die amerikanische Division hatte 4 Infanterie-Regimenter zu 3 Bataillonen mit je
1000 Gewehren, in zwei Brigaden zusammengefaßt, und eine
Feldartillerie-Brigade zu drei Regimentern - zwei Regimenter
führten je 24 Geschütze zu 75 mm, ein Regiment 24
Geschütze 155 mm -, eine Grabenbatterie, ein
Pionier-Regiment zu 2 Bataillonen, ein
Nachrichten- und Signalbataillon, ein Bataillon Maschinengewehre auf
Kraftwagen. Im ganzen hatte die Division [562] eine Stärke von
27 000 Mann, sie war also mehr als doppelt so stark wie eine normal
aufgestellte deutsche. Im Verlaufe der schweren Kämpfe betrug das
Übergewicht ein Vielfaches. Schon bei den Schlachten im Juli und August
waren vier und mehr Divisionen stellenweise in Armeekorps
zusammengefaßt worden, mit dem weiteren Eintreffen von Kräften
wurde damit fortgefahren. Die Stärke der Korps stieg bis auf 170 000
Mann, einschließlich folgender Korpstruppen: eine
Korpsartillerie-Brigade zu 2 schweren Regimentern (155 mm und
schwerer), 1 Artillerie-Abteilung von 4 Batterien zu 240 mm, 1
Artillerie-Abteilung mit Kraftzug als Flug-Abwehrgeschütze und 1
Bataillon Maschinengewehre mit Kraftzug für denselben Zweck, 2
Kavallerie-Regimenter, 1 Infanterie-Pionier-Regiment, 1
Nachrichten- und Signalbataillon, 1 Telegraphenbataillon, 1
Pontonier-Detachement. Die Ausstattung mit Trains, Kraftwagen, Luftschiffen
war wechselnd, aber überall sehr reichlich.5
Als Haupt der Organisation ist der amerikanische Staatssekretär des
Krieges Baker anzusehen, der das Rekrutierungsgesetz entworfen und
durchgeführt hat. Der zum Oberbefehlshaber ernannte General Pershing
war in England und Frankreich nur insoweit bekannt, als er bei den Operationen
in Mexiko eine Rolle gespielt hatte. In Amerika galt er für tüchtig.
Sein Generalstabschef war anfangs der General James G. Harbord, der am 5. Mai
1918 durch den General James W. McAndrew ersetzt wurde. Als Unterchef
fungierte seit dem 1. Mai 1918 der General Le Roy Eltinge.
Reibungen zwischen der amerikanischen Heerführung und den anderen
Alliierten, namentlich seit der Marschall Foch den Oberbefehl führte, sind
nicht bekannt geworden, im Gegenteil scheint sich Pershing überall sehr
entgegenkommend der besseren Einsicht der Franzosen und Engländer
gefügt zu haben, auch dann, wenn, wie es oft geschah, seine Truppen auf
schwierigen, von den Alliierten nicht geschützten Angriffsfronten
verwendet wurden.
Über die Möglichkeit, amerikanische Truppen in großer
Stärke an die französische Kampffront der Entente zu bringen, haben
irrige Ansichten bei der deutschen Obersten Heeresleitung bzw. bei den
Marinesachverständigen bestanden. Man rechnete im Durchschnitt
für jeden über das Meer zu verschiffenden Soldaten vier Tons
Schiffsraum; damit könnte zwar gleichzeitig das übliche
Gepäck und die laufende Verpflegung verladen werden, für die
schwere Artillerie, die Tanks, die Kraftwagen, Luftschiffmaterial, die
großen Munitionsmengen und Verpflegungsreserven wäre aber
weiterer Schiffsraum erforderlich. Es fehlten hierüber genauere
Erfahrungen und Unterlagen, und es sollte sich bald zeigen, daß diese
Berechnungen irrig waren, sowohl bezüglich des vorhandenen
Schiffs- [563] raumes wie der
Ausnutzung. Der Schiffsraum wurde gewonnen durch Zurückstellung
anderer, weniger dringender Transporte in dem Augenblick, als die Lage der
Entente in Frankreich sich kritisch gestaltete. Auch der Bau von
Ersatzschiffen für den Abgang durch Versenkung und Havarien ging,
rechtzeitig eingeleitet, schneller als erwartet vonstatten. Es konnte unter
Aufschub minder dringlicher Transporte an Schiffsraum während des
Jahres 1918 in Tons zur Verfügung gestellt werden: im Juni 48 000,
im Juli 84 000, im August 125 000, im September 223 000,
im Oktober 291 000, im November 460 000, im Dezember
525 000. Die Einschiffung erfolgte zu vier Fünftel in New York, das
übrige in Newport-News, Baltimore und Philadelphia, die Landung hauptsächlich in
den französischen Ausschiffungshäfen St. Nazaire, Nantes,
Bordeaux, ferner in Le Hâvre, Rochefort, Marseille. Der
verfügbare Schiffsraum konnte intensiver ausgenutzt werden, indem man
die verschifften Soldaten in Schichten zu
6 - 8 Stunden schlafen ließ, was zwar die Kräfte
anspannte, aber unbedenklich bei der kurzen Dauer der Überfahrt war, und
weil nach der Landung zunächst Ruhe gewährt werden konnte, die
Truppen in den Übungslagern einige Zeit sich erholten. Zur Ersparung von
Schiffsraum erhielten die Truppen einen Teil der Bewaffnung an
Geschützen und Kriegsmaterial erst in Frankreich aus englischen und
französischen Beständen. Blieb die von den
U-Booten den Transporten drohende Gefahr. Es bestand die Meinung, daß,
sobald einige Transporter versenkt werden würden, sich kein englischer
Soldat mehr den schwimmenden Särgen anvertraue. Aber nichts davon ist
eingetreten. Durch angemessene Sicherheitsmaßnahmen, Fahren im Konvoi,
gedeckt durch Kriegsschiffe, Luftaufklärung, Vervollkommnung der
Beobachtung ist den deutschen
U-Booten die Versenkung keines einzigen beladenen Transportschiffes gelungen.
Der deutschen Obersten Heeresleitung ist der Vorwurf gemacht worden, die
amerikanische Hilfe unterschätzt zu haben. Er ist in dieser Form
unzutreffend. Im Frühjahr 1918 wurden die Amerikaner sogar stärker
angenommen, als sie tatsächlich waren. Nur der schnelle
Kräftezuwachs im Sommer hat überrascht. Ein Schreiben des Chefs
des Generalstabes des Feldheeres vom 1. September sagte sogar, das Eintreffen
der Amerikaner scheine sich zu verzögern, das war zu einer Zeit, als
täglich 6000 bis 8000 Mann landeten.
Mit dem ersten amerikanischen Soldaten erschien der Oberbefehlshaber General
Pershing am 13. Juni 1917, nach einem kurzen Aufenthalt in London, auf
französischem Boden, von der Pariser Bevölkerung als Retter in der
Not begeistert begrüßt.
Den Eindruck, den die amerikanischen Truppen in Frankreich hervorriefen, hat
ein französischer Offizier, Bearbeiter der täglichen Heeresberichte
im Großen Hauptquartier, nach seinen Beobachtungen geschildert:6 "wie sie auf den Straßen [564] über
Coulommiers und Meaux in ununterbrochenen Reihen eng gedrängt auf
Lastkraftwagen, die Weisen ihres Landes singend, unter dem Jubel der
Bevölkerung daherfuhren. Der Anblick dieser prächtigen Jungens
von jenseits des Meeres, dieser jungen Leute von 20 Jahren, glatt rasiert, strahlend
von Kraft und Gesundheit, in ihrer neuen Ausrüstung wirkte Wunder.
Ergreifend war der Gegensatz zu den französischen Regimentern, deren
Mannschaften in abgerissenen Kleidern, abgezehrt und hohläugig, sich nur
mit äußerster Anstrengung aufrechterhielten. In neuen Wellen kam
das Leben heran, um dem fast blutleeren Körper Frankreichs frische Kraft
zu bringen. So kam es, daß in diesen Tagen der Prüfung, als der
Feind zum zweiten Male an der Marne stand und uns entmutigt glaubte, wider
alles Erwarten ein unsagbares Vertrauen alle französischen Herzen
ergriff."
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Im Jahre 1917 und zu Anfang 1918, bis in das Frühjahr hinein, ging der
Transport nur langsam vor sich, so daß Ende 1917 erst 3½, im
März 1918 erst 6 bis 8 Divisionen in Frankreich eingetroffen waren. Schon
in den kritischen Tagen der deutschen Angriffe im März hatte der
französische Oberbefehlshaber amerikanische Unterstützung erbeten.
Pershing hatte sich aber, bis auf kleinere Ausnahmen, ablehnend verhalten. Er
wollte in keine Vermischungen mit französischen Truppen willigen. Erst
im Sommer stellte er notgedrungen geschlossene Divisionen zur
Verfügung, er wollte mit einer geschlossenen amerikanischen Armee
operieren.
Es ist vom Standpunkte der Entente das zweifellose Verdienst Lloyd Georges, in
Verbindung mit den anderen führenden Ministern, den Präsidenten
Wilson mit dem Hinweis, daß ohne die amerikanische Hilfe der Krieg
verloren gehen könnte, zu den großen Leistungen angespornt zu
haben. Namentlich in England bestand nämlich eine gewisse Abneigung
gegen den dringenden Hilferuf, weil man damit in ein
Abhängigkeitsverhältnis zu Amerika geriet. Lloyd George hat sich
aber entschlossen über diese Schwierigkeit hinweggesetzt, und da es
gelang, Wilson bei den Friedensverhandlungen gründlich an die Wand zu
drücken, hat sich der Hilferuf nur günstig ausgewirkt. Es kam vom
Frühjahr 1918 ab wirklicher Schwung in die amerikanische
Machtentfaltung. Anfang September befanden sich schon 1¼ Million
Soldaten in Frankreich, Mitte Oktober waren 1,9 Millionen eingetroffen.
Allerdings waren das nicht durchweg Kampftruppen, denn die Zahl der
Etappen- und Arbeitstruppen war groß, man kann sie auf ein Fünftel
der angegebenen Stärken annehmen.
Gegen das Kriegsende waren die Amerikaner unter Pershings Oberbefehl wie
folgt gegliedert oder in der Bildung begriffen:
1. Armee, General Hunter: 3 Armeekorps mit 10 Divisionen;
2. " General Robert L. Bullard: 2
Armeekorps mit 5 Divisionen;
3. " General Joseph Dickmann: 3
Armeekorps mit 9 Divisionen.
Das II. Armeekorps zu 6 Divisionen, bei keiner Armee eingeteilt, focht bei den
[565] Engländern und
Franzosen eingegliedert. Weitere Truppen waren noch hinter der Front in
Übungslagern. Amerika hatte sich verpflichtet, am 1. Juli 1919 in
Frankreich 4 Millionen Mann zur Verfügung zu stellen.7
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