Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 8: Die deutschen
Angriffe des Jahres 1918
(Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
[424] 5.
Erzengel-Angriff und Georgette-Offensive.50
Feindliche Maßnahmen nach Beginn der St.
Michael-Offensive.
Der deutsche Angriff am 21. März 1918 war für die betroffene
englische 3. und 5. Armee eine Überraschung in doppelter Beziehung.
Über den Zeitpunkt der erwarteten Offensive hatte man keine Klarheit
gehabt; nur bei zwei Divisionen vor der Front der deutschen 2. Armee soll der 20.
oder 21. März als voraussichtlicher Angriffstag bezeichnet gewesen sein,
ohne daß dem besondere Beachtung geschenkt wurde, weil ähnliche
Voraussagen keine Seltenheit im Stellungskriege waren. Dann überraschte
aber auch die kurze Dauer des Vorbereitungsfeuers. Die deutsche Infanterie
|
entstieg ihren Gräben und Stellungen in einem Augenblick, in dem man auf
den Stoß noch nicht gefaßt war. Das deutsche Artilleriefeuer war von
nie erlebter Heftigkeit, lag und wirkte ausgezeichnet; weniger schädigend
zeigte sich das Gas, das mit Hilfe der aufgesetzten Maske im allgemeinen gut
vertragen wurde, aber doch dazu beitrug, die Bewegungs- und
Entschlußfähigkeit zu hemmen.
Das Maß des geleisteten Widerstandes war sehr verschieden. Die ersten
Gräben wurden fast überall anstandslos überrannt; dann
ergaben sich an manchen Stellen schwere Kämpfe mit den
zurückgehaltenen englischen Kräften, die von fern und nah
herbeieilten, um die wankende Front zu stützen. Eine besondere Rolle
spielten hierbei gut eingebaute Maschinengewehre, während die englische
Artillerie nur mit einzelnen Batterien feuerte. Je nach dem Maße des
feindlichen Gegenhaltens drangen die Deutschen langsamer oder schneller vor;
jedenfalls aber kam es am ersten Angriffstage auch in den folgenden Tagen nicht
dazu, ihnen mit groß angelegten Gegenstößen Aufenthalt zu
bereiten. Die englische 5. Armee war völlig geschlagen und hatte schwerste
Einbußen, bevor ihr Hilfe gebracht wurde. Günstiger stand es mit der
3. Armee, der von der nördlichen englischen Front Reserven
zuströmten.
Wie sich in der unteren Führung Verwirrung und Kopflosigkeit zeigte, so
mangelte auch der oberen Leitung zunächst Entschlossenheit und Tatkraft.
Die Nachteile des Mangels einheitlicher Oberleitung und einer Hauptreserve
machten sich in lähmender Weise geltend. Es war selbstverständlich,
daß der englische Oberbefehlshaber Haig über seine Reserven zur
Stützung der eingedrückten Front verfügte; aber da, wo der
Einsatz frischer Kräfte am nötigsten war, bei der 5. Armee, die sich
auf den französischen Nachbar angewiesen sah, wurde verhandelt und nicht
gehandelt.
Der französische Oberbefehlshaber Pétain sah den Angriff gegen
die Engländer nicht als den deutschen Hauptstoß an, sondern
erwartete ihn bei Reims gegen die eigene Front.51 Wohl kam man am 23. März
überein, daß die
Fran- [425] zosen den Frontteil der
Engländer von Barisis bis Péronne übernehmen sollten,
indem sie sich über Chauny, Noyon und Montdidier ausdehnten, aber noch
am 24. März erklärte Pétain, daß er nicht mehr als drei
Divisionen abgeben könne, weil es für ihn wichtiger sei, die
französische Front zu halten. Zwei französische Divisionen, die an
diesem Tage am rechten Flügel der Engländer eingesetzt wurden,
gingen im allgemeinen Strudel unter.
Erst am 24. März begannen bei den Franzosen Transportbewegungen, die
der Hauptgefahrsstelle südlich der Somme Hilfskräfte in
größerem Umfange zuführen sollten. Inzwischen wich die
englische 5. Armee immer weiter auf Amiens zurück; sie hörte am
26. März auf, als Kampfkörper zu bestehen, und zwischen
Engländern und Franzosen klaffte tatsächlich eine Lücke. Die
Rückwirkung dieser Ungunst der Lage war gewaltig; man dachte
vorübergehend an die Räumung von Paris und Rettung der
englischen Armee durch Einschiffung an der Nordküste Frankreichs. Die
große Bedeutung von Amiens für die Verbindung zwischen den
beiden Verbündeten trat in hellstes Licht; man war nicht im Zweifel,
daß der Verlust dieses Eisenbahnknotenpunktes den deutschen Sieg und die
eigene Niederlage bedeutete. Auch darüber wurde man sich klar, daß
eine solche Wendung den Kampfwillen der Völker auf das schwerste
erschüttern würde. Dringende Hilferufe gingen von London an den
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Nach erregten Verhandlungen zwischen Paris und London, die zu gegenseitigen
Beschuldigungen führten, trat am 26. März in
Doullens - dem Ziele des linken Flügels der deutschen 17.
Armee - ein großer Kriegsrat zusammen, dem von englischer Seite
der Kriegsminister Lord Milner, der Chef des Generalstabes General Wilson, der
Oberbefehlshaber Haig, von französischer Seite der Präsident der
Republik Poincaré, der Ministerpräsident Clemenceau, der
Oberbefehlshaber Pétain und der Chef des Generalstabes General Foch
beiwohnten. General Pétain erklärte sich zur Hilfe bereit, wollte
aber nicht viel mehr als 15 Divisionen stellen. Englischerseits wurde diese
Unterstützung als unzureichend zur Rettung von Amiens bezeichnet. Indes
schien man dieser schwächlichen Lösung zuzuneigen, stellte auch die
Frage der gemeinsamen Oberleitung zurück. Da griff Lord Milner ein, der
sich ebenso wie General Foch das starke Vertrauen auf die Möglichkeit der
Rückkehr des Kriegsglückes bei tatkräftigem Handeln bewahrt
hatte. Er schlug Clemenceau in einer Sonderunterredung Foch als gemeinsamen
Oberbefehlshaber vor und ereichte die Zustimmung der Franzosen, ebenso wie die
der Vertreter Englands. Pétain und Haig erklärten sich zur
Unterordnung unter Foch bereit.
In der wieder zusammengetretenen Vollversammlung einigte man sich schnell auf
folgenden Beschluß: "Le général Foch est chargé
pas les Gouvernements britannique et français de coordonner l'action des
armées alliées sur le front ouest. Il s'entendra à cet effet
avec les [426]
Généraux-en-chef qui sont invités à lui fournir
tous les renseignements nécessaires."
Das war zwar noch keine formale Übertragung des Oberbefehls, kam ihr
aber in den praktischen Ergebnissen so gut wie gleich. Am 3. April 1918 wurde
der Beschluß dahin erweitert, daß General Foch die strategische
Leitung der Operationen erhielt, während den bisherigen
Oberbefehlshabern volle Freiheit in der taktischen Führung und das Recht
der Berufung an ihre Regierungen verbleiben sollte, falls ihre Truppen durch
Befehle des Generals Foch gefährdet würden. Erst nach neuen
deutschen Schlägen kam man am 24. April überein, Foch den
Oberbefehl über die verbündeten Armeen bedingungslos zu
übertragen. Die Schwächen der Koalition waren
überwunden.
Tatsächlich bedeutete die Schilderhebung des Generals Foch die Rettung
aus der nächsten Gefahr weniger durch die von der Entente vorausgesetzten
Feldherrneigenschaften dieses Mannes, als durch die Sicherstellung einheitlichen
Handelns, die zeitlich mit dem Erlahmen der deutschen Angriffskraft
zusammentraf. Als am 30. März General Gough mit den Resten der
englischen 5. Armee bei Amiens anlangte, war noch immer kein
genügender Schutz dieser Stadt vorhanden; schon aber waren alle nur
irgend entbehrlichen Kräfte - insgesamt etwa 20
Divisionen - von Foch dorthin in Bewegung gesetzt, denen die Stockung
der deutschen Vorwärtsbewegung in den ersten Apriltagen zugute kam. Als
die Deutschen am 4. April von neuem mit dem Ziele Amiens angriffen, trafen sie
auf eine gefestigte Front, die die ermüdeten Truppen der deutschen 2. und
18. Armee nicht mehr zerbrechen konnten. Die deutsche Offensive kam zum
Stehen. Die französische Front dehnte sich nach Norden nunmehr bis zum
Luce-Bach aus und wurde später noch bis Villers Bretonneux erweitert. Bei
den Kämpfen um diesen Abwehrerfolg hatten auch schon amerikanische
Truppen mitgewirkt, deren Zahl auf französischem Boden sich im Monat
April auf 434 081 erhöhte.
Nachdem Amiens gerettet war, sorgte Foch für die Schaffung beweglicher
Reserven, die in der Front der Champagne und den aus Italien
zurückberufenen Truppen entnommen wurden. Er dachte jetzt an eigene
Offensive, wollte die Franzosen bei Montdidier, die Engländer beiderseits
der Somme angreifen lassen. Letzteres war besonders kühn, da die
Verfassung der meisten englischen Truppen nach den letzten Einbußen
wenig günstig, auch die Menge der verlorenen Geschütze noch nicht
ergänzt war, woran in England nach Lord Milners Anordnung fieberhaft
gearbeitet wurde. Da zeigten neue Schläge, daß die Deutschen noch
nicht gesonnen waren, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen.
Erzengel-Angriff.52
Der Versuch, den Erzengel-Angriff in den Rahmen der
St. Michael-Operation einzupassen und ihn durch die Zielsteckung gegen
die Aisne zwischen Compiègne [427] und Fontenoy zu
erweitern, war gescheitert.53 Es trat nunmehr wieder der
ursprüngliche, zeitlich abgesetzte
Erzengel-Angriff in den Vordergrund, der zugunsten der 18. Armee ablenkend
wirken, aber nach dem Vorschlag der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz nicht
nur den Niederwald von Coucy erfassen, sondern den Feind zwischen Bichancourt
und Brancourt über die Ailette und den sie begleitenden
Oise-Aisne-Kanal werfen sollte. Am 31. März wurde dieser Angriff auf den
8. April festgesetzt; er war vom VIII. Reservekorps54 mit einer Division von Norden
über Condren und Servais, mit drei Divisionen von Osten aus der Linie
Barisis au Bois - Fresne zu führen, während das VIII.
Armeekorps55 zur Ablenkung und Sicherung mit
zwei Divisionen von Abbécourt und Chauny nach Süden
vorstoßen sollte.
Das Oberkommando der 7. Armee plante, sich vor Ausführung der
Offensive in den Besitz der Zwillingshöhe von Amigny zu setzen, um dem
Gegner die Einsicht in die Vorbereitungen zu erschweren und die
Angriffsbedingungen günstiger zu gestalten. Am 2. und 3. April wurden die
Befehle für das Gesamtunternehmen gegeben. Hiernach hatte VIII.
Reservekorps, dem die Führung übertragen wurde, am 6. April mit
seinem rechten Flügel die Amigny-Höhen zu nehmen und die Linie
Gegend von Sinceny - Barisis au Bois zu erreichen. Gleichzeitig
sollte VIII. Armeekorps die südlich der Oise gelegene Vorstadt von Chauny
erobern und sich des Dorfes Sinceny bemächtigen. Fortsetzung des Angriffs
bis zur Ailette war nach zwei Tagen geplant; als Ziel wurde dem VIII.
Armeekorps die Linie Champs - Folembray, dem VIII. Reservekorps
die Linie Folembray - Höhen südlich Fresne
vorgeschrieben.
Die deutsche Stellung, aus der der Angriff geführt werden sollte, war von
Baboeuf bis Tergnier nach Südosten gerichtet, bog hier, durch die
Oise-Niederung unterbrochen, nach Süden um und lief mit
südwestlicher Front aus der Gegend von Servais über die Waldnase
östlich von Barisis au Bois nach Fresne. Von Chauny war nur der
nördlich der Oise gelegene Hauptteil des Ortes deutsch. Der Angriff von
Norden führte in den breiten Oise-Grund hinein, der die Truppenbewegung
im allgemeinen an die Straßen bannte. Dann mußte der
südliche Höhenrand der Niederung erstiegen werden, der in eine
hügelige Hochfläche übergeht, die den Niederwald von Coucy
trägt. Von Abbécourt und Chauny her war der Wald östlich
der Ailette zu umgehen.
Ebenso konnte der von Osten zu führende Hauptstoß ihn im
allgemeinen vermeiden und das offene Gelände nordöstlich von
Folembray aufsuchen. Nur von Condren und Servais her, also in der Mitte des
Gesamtangriffs, war geplant, über Amigny in den Wald einzudringen.
Der Feind, aus Engländern und Franzosen gemischt, welch letztere sich von Barisis au
Bois bis Amigny ausge- [428] dehnt hatten, hielt vor
der Linie Baboeuf - Chauny den südlichen Höhenrand
der Oise sowie die südliche Vorstadt von Chauny; östlich Amigny
bog seine Front nach Süden um und verlief, nahe dem Ostrande des
Niederwaldes von Coucy, diesen durchschneidend, auf Barisis und in die Gegend
westlich von Fresne. Dem Gegner kam das schlechte Aprilwetter zugute, das die
Niederung der Oise ansumpfte und die Wasserläufe steigen ließ.
Von den sechs Divisionen, die den Angriff zu führen hatten, waren drei
Mob.-Verbände, die bisher beim St. Michael-Unternehmen noch
nicht eingesetzt waren; die übrigen entbehrten der besonderen Ausbildung
und Ausstattung für die Frühjahrsoffensive. Die
Gefechtsverhältnisse gestalteten sich in den letzten Tagen vor dem
Stoße ruhig. Am 6. April, 330 morgens, begann die
Artillerievorbereitung; die feindliche Gegenwirkung war im allgemeinen gering.
Die losbrechende Infanterie des VIII. Armeekorps bemächtigte sich im
ersten Anlauf, über die Wasserläufe setzend, der südlichen
Vorstadt von Chauny, richtete dort einen Brückenkopf ein, wies einen
Gegenangriff ab und sicherte die Herrichtung von zwei Pontonbrücken, die
in kurzer Zeit fertiggestellt waren. Nicht minder erfolgreich war VIII.
Reservekorps. Die Zwillingshöhe von Amigny wurde im Sturm genommen,
der Angriff bis an und über die Linie
Amigny - Bahnhof Barisis au Bois vorgetragen.
Schon um 9 Uhr vormittags ordnete das Oberkommando der 7. Armee an,
daß der Erfolg zur Gewinnung der Bahnlinie
Chauny - Barisis au Bois auszunutzen sei. Am Nachmittag nahm
VIII. Armeekorps von Abbécourt her Marizelle, Bichancourt und Sinceny,
VIII. Reservekorps die als Ziel gesetzte Strecke. Auf diese Weise war in die
feindliche Stellung bei Amigny ein Loch von 10 km Breite und 6 km
Tiefe geschlagen. Der feindliche Widerstand war zähe gewesen; der Feind
hatte schwere Verluste und verlor mehr als 900 Gefangene. Das
Armee-Oberkommando beschloß, den eigentlich erst für den 8. April
angesetzten Hauptangriff bis zur Ailette bereits am nächsten Tage, dem 7.,
zu führen, gedachte am linken Flügel des VIII. Reservekorps noch
eine weitere Division einzusetzen und da, wo Ailette und
Oise-Aisne-Kanal südlich Chauny erreicht werden würden, kleine
Brückenköpfe anzulegen, um sich die Möglichkeit weiteren
Vorgehens offen zu halten. Bei Condren wurde gleichfalls eine Brücke
geschlagen, starke Artillerie der Infanterie nachgezogen.
Am 7. April morgens wurde das Hauptunternehmen durch Beschießung der
feindlichen Artillerie und der Angriffsziele eingeleitet. Um 830 morgens griff die Infanterie des VIII.
Armeekorps auf Le Bac d'Arblincourt und Pierremande an; um 930 folgte der Stoß des VIII.
Reservekorps gegen die Linie Pierremande - Gegend südlich
Barisis au Bois. Überall wich der Feind bei mäßigem
Widerstand zurück. Gegen 10 Uhr vormittags lief beim
Armee-Oberkommando der Befehl der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz ein,
bei günstigem Fortschreiten den Angriff auf das hochgelegene Coucy le
Château auszudehnen, [429] um auch die
Ailette- und Kanal-Übergänge südlich dieses Ortes in die
Hand zu bekommen.
[429]
Skizze 23: Erzengel-Angriff am 6. April 1918.
|
Bis Mittag erreichte die Infanterie die Linie Gegend bei
Pierremande - Höhen südlich Barisis au Bois und stand
am Abend mit dem rechten Flügel bei Bichancourt und Champs an der
Ailette, auf dem westlichen Kanalufer mit dem Bau von
Brückenköpfen beschäftigt; der linke Flügel besaß
Folembray und die Höhen dicht südwestlich von Fresnes. Das
Armee-Oberkommando hatte inzwischen, entsprechend der Weisung der
Heeresgruppe, befohlen, daß sich VIII. Reservekorps der
Kanalübergänge aufwärts von Champs bemächtigen
solle, sah aber bei dem kräftigen Widerstand, der noch bei Coucy le
Château und östlich davon geleistet wurde, davon zunächst ab
und befahl stärkste Artillerievorbereitung zur Fortführung des
Angriffs.
Am 8. April griff auf dem rechten Flügel VIII. Armeekorps von Champs
nach Süden an und gelangte mit verhältnismäßig
geringer Mühe bis an die Linie Guny - Coucy la Ville. Der
Oise-Aisne-Kanal und die Ailette waren nunmehr von der Kanalmündung
bei Abbécourt bis Guny in seiner Hand [430] oder wenigstens durch
Nahfeuer beherrscht. Der linke Flügel - VIII.
Reservekorps - fand vor dem ragenden Kegel von Coucy le Château
äußerst schwierige Kampfverhältnisse, da der Gegner sein
Artilleriefeuer vom Südufer der Ailette auf das Vorgelände dieser
wichtigen Stellung vereinigte. Nach heftigem Ringen und einzelnen
Rückschlägen gelang es, sich bis an den Fuß der Höhe
heranzuarbeiten. Dagegen ging es weiter östlich auf der Hochfläche
südlich von Fresne flott voran; die Straße Coucy le
Château - Brancourt wurde erreicht, teils überschritten
und die neugewonnene Linie nach Südosten bis zum Mortierwalde
südlich Brancourt ausgedehnt.
Am Abend faßte VIII. Reservekorps vor Coucy le Château noch
einmal seine Kraft zusammen und erstürmte die steilen Hänge der
alten Bergfeste, ein außerordentlicher Erfolg zähen Angriffswillens,
vortrefflich unterstützt durch die Artillerie, die durch das waldige,
schluchtenreiche Gelände ihren Weg in neue Stellungen vor dem Ziele
gefunden hatte. Die Oberste Heeresleitung sandte Befehl, daß der weitere
Angriff nicht über die Ailette hinausführen solle, aber die
Überschreitung planmäßig vorzubereiten sei.
Am 9. April kämpften sich beide Korps an die Ailette und den Kanal heran,
soweit die Wasserläufe noch nicht erreicht waren, während der Feind
auf dem anderen Ufer seine Artillerie abfuhr. Die Ailette- und Kanalniederung
bildete nunmehr von Abbécourt bis zum Mortierwald das Fronthindernis
des rechten Flügels der 7. Armee, die in den nächsten Tagen
daranging, sich in dem genommenen Gebiet einzurichten, den Erfolg zu sichern
und für weiteres Vorgehen befehlsmäßig Anordnungen zu
treffen, die unter dem Decknamen "Wartenburg" betrieben wurden.
|
Der Sieg der 7. Armee erbrachte mehr als 2000 Gefangene und reiche Beute an
Kriegsgerät. Da der Stoß von vornherein mit beschränktem
Ziel geführt wurde und der Gegner die Entschuldigung für sich hatte,
aus kaum haltbaren, von Norden und Osten umfaßten Stellungen gewichen
zu sein, konnte die moralische Bedeutung des Erfolges nicht allzu hoch gewertet
werden. Er war aber doch von Wichtigkeit für die Lage des linken
Flügels der 18. Armee, indem er den Zustand beseitigte, daß der
Feind mit seinen Stellungen östlich der Ailette tief in die Flanke eingriff
und die rückwärtigen, über La Fère
führenden Verbindungen bedrohte. Die 7. Armee gewann für sich
den Vorteil erheblicher Frontverkürzung nach vorwärts.
Der Sieg fiel in die Tage, in denen sich die feindliche Oberleitung mit eigenen
Offensivgedanken trug. Schwerlich hätte er ausgereicht, um den Feinden zu
zeigen, daß ihre Zeit noch nicht gekommen war. Das bewirkte erst der
Georgette-Angriff, der neue deutsche Schlag im Norden bei Armentières,
der am 9. April niedersauste, gerade, als die 7. Armee beschäftigt war, ihren
Gewinn durch Ausräumung der letzten feindlichen Widerstandsnester
diesseits der Ailette zu vervollständigen.
[431] Georgette-Angriff.56
Nach dem Willen der Obersten Heeresleitung sollte Georgette nach
Abschluß der St. Michael-Operation der zweite Kampfakt der
Frühjahrsoffensive werden.57 Infolge des Kräfteverbrauchs an
der Somme war es unmöglich, ihm die machtvolle Gestaltung zu verleihen,
die bei den ersten
St. Georg-Entwürfen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht
vorgeschwebt hatte. Nach der Schwächung der Engländer im
St. Michael-Ringen und bei der natürlichen Anziehungskraft, die die
kaum stillgelegte neue Kampffront beiderseits der Somme auf die feindlichen
Reserven ausüben mußte, konnte man immerhin hoffen, daß
Georgette auch in seiner durch die Verhältnisse gebotenen schmalen
Fassung zum mindesten einen Erfolg erbringen werden, der die Feinde abermals
auf das schwerste erschütterte. Sollte es nicht dazu kommen, den erstrebten
Bewegungskrieg in Fluß zu bringen, so war die Oberste Heeresleitung nicht
im Zweifel, daß der Versuch, die Engländer entscheidend zu
schlagen, nach einiger Zeit wiederholt werden müsse.
Noch unter der Voraussetzung, daß Georgette im Zusammenhang mit Mars,
zeitlich nach ihm und nach Walkürenritt, zu führen sei,58 legte das Oberkommando der 6.
Armee am 26. März seinen Angriffsplan der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht vor. Entsprechend den Absichten der Obersten Heeresleitung wies es
darauf hin, daß Georgette nur für den Fall in Aussicht genommen sei,
daß der auf Houdain zu richtende Angriff des linken Armeeflügels,
Walkürenritt, nicht schon die feindliche Front von Süden her
aufrollen sollte. Der Kräftebedarf wurde auf zehn Divisionen, darunter vier
Stellungsdivisionen, und im Höchstfalle auf 300 Feld- und 200 schwere
Batterien angesetzt. Der Stoß war aus der allgemeinen Linie: Gegend von
Armentières - La Bassee mit der Angriffsmitte in der
Richtung auf Hazebrouck, also in nordwestlicher Richtung zu führen,
sollte die feindliche Front namentlich in den portugiesischen Stellungen
südöstlich Estaires durchbrechen und seitlich bis in die Gegend von
Armentières überrennen, um den Feind zum Rückzug hinter
die Lys zu zwingen. Vier Divisionen hatten den Frontangriff vorzutragen, zwei
am La Bassee-Kanal die linke Flanke zu sichern, zwei hinter dem rechten
Flügel zu folgen, um nach dem Einbruch nach Norden zu schwenken; zwei
sollten hinter der Mitte die Reserve des Oberkommandos bilden. Der Bearbeitung
des Angriffsplanes durch die unterstellten Generalkommandos war der alte
Entwurf "St. Georg 1" zugrunde zu legen, der so eingehend
ausgestaltet war, daß baldige Schlagbereitschaft erwartet werden
konnte.
Am 28. März scheiterte der Mars-Angriff; nach Weisung der Obersten
Heeresleitung fiel nun auch Walkürenritt aus, sie legte aber Wert darauf,
daß [432=Karte][433] Georgette
als neuer Schlag gegen die Engländer von der 6. Armee und im
Zusammenhang damit Flandern 459 von der 4. Armee beschleunigt
vorbereitet wurde.60 Die Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht wies am 29. März die 6. Armee darauf hin, daß Georgette
möglichst stark und breit gemacht werden müsse, und stellte ihr ein
Generalkommando, sieben Verstärkungsdivisionen und 134 Batterien, zum
Teil von der 17. Armee, in Aussicht. Mit dem Angriffsentwurf vom 26.
März erklärte sie sich im allgemeinen einverstanden und betonte,
daß der Stoß nach Norden, um Flankierung auszuschalten, bis Bois
Grenier, Fleurbaix und Sailly südlich Armentières auszudehnen sei.
Gleichzeitig ordnete sie an, daß die nördlich benachbarte 4. Armee
nach Georgette den Angriff "Flandern 4" von
Dixmude gegen den Loo-Kanal führen, sich aber auf Eroberung des
Küstengebiets südlich Nieuport beschränken solle, wenn die
verfügbaren Kräfte ihr nicht genügend erschienen.
[432]
Skizze 24: Georgette-Angriff.
|
Die Witterung war in den letzten März- und in den ersten Apriltagen
für Unternehmungen in den feuchten Niederungsgebieten von Lys und
Lawe und in Flandern wenig günstig. Am 30. März befahl die Oberste
Heeresleitung, daß der Zeitpunkt für Georgette von der Wetterlage
abhängig zu machen und Flandern 4 nur insoweit vorzubereiten sei,
als es mit ihr in Einklang gebracht werden könne. Als aber der große
Angriff gegen die Franzosen südlich der Somme am 30. März
gescheitert war und die Notwendigkeit eines neuen Schlages gegen die
Engländer immer schärfer hervortrat, setzte sie am 31. März
den Termin für Georgette auf den 7. oder 8. April fest und verschob ihn
schließlich am 5. April auf den 9. des gleichen Monats. Sie bemühte
sich dauernd, möglichst viel Kräfte dafür freizumachen, um
dem Stoße Wucht zu verleihen, vorläufig ohne die
Michael-Front weitgehend in Anspruch zu nehmen.
Am 31. März erhielt die 4. Armee von der Heeresgruppe Rupprecht die
Weisung, sich, abgesehen von der Vorbereitung für Flandern 4, zur
Unterstützung der 6. Armee durch erhöhte Tätigkeit und im
Falle eines großen Erfolges von Georgette zum Vorgehen mit ihrem linken
Flügel bereitzumachen. Vier Divisionen und 18 schwere Batterien waren
hierzu sicherzustellen. Auch die südlich der 6. Armee benachbarten
Heeresverbände sollten Unterstützung leisten; am 6. April befahl die
Heeresgruppe der 17. und 2. Armee, im Zusammenwirken mit Georgette den
Feind zu fesseln, wozu artilleristische Tätigkeit und offensichtliche
Offensivvorbereitungen, möglichst auch örtliche Unternehmungen
geboten seien. Sobald Georgette wirksam werde, am 10. oder spätestens am
11. April, sei der Gegner durch begrenzte Vorstöße in Unruhe zu
halten, um ihn zu verhindern, Kräfte nach Norden wegzuziehen. Am 8.
April ordnete die Heeres- [434] gruppe weiter an,
daß sich beide Armeen zur Abgabe von Truppen bereit halten sollten, wenn
Georgette zu einem großen Erfolge werden würde.
Am 3. April gab die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht der 6. und der 4. Armee
die Richtlinien für die Führung der
Georgette-Operation. Die 6. Armee, deren Angriffskräfte allmählich
auf 17 Divisionen gebracht wurden, sollte mit dem rechten Flügel
südlich Armentières vorgehen, über Bailleul und
Godewaersvelde den Besitz des Höhengeländes bei Cassel und
Zuytpeene erstreben; gegen Armentières war zu sichern, die dazu
bestimmte Abteilung hatte sich über Steenwerck gegen die Höhen
nördlich Bailleul zu wenden. Die Mitte wurde auf die
Aire-Kanal-Strecke zwischen St. Omer und Aire angesetzt, um sich der
dortigen Übergänge zu bemächtigen. Der linke Flügel
erhielt die Kanalstrecke Aire - St. Venant als Ziel und sollte
weiter südlich die Clarence-Übergänge zwischen Merville und
Choques, das Höhengelände von Béthune und den
La Bassee-Kanal zwischen Béthune und La Bassee in Besitz
nehmen. Der Schwerpunkt des ganzen Angriffs war auf Hazebrouck zu
richten.
Die 4. Armee hatte sich in Linie Hollebeke - Frélinghien bereitzustellen,
um auf Messines und Wulverghem vorzustoßen, sobald die feindliche Front
nördlich Armentières wankte. Hierbei war die Höhe von
Messines zu nehmen und gegen den Kemmel zu decken; dann sollte Neuve Eglise
erobert werden, um Anschluß an Georgette zu gewinnen. Gegen den
Ypern-Bogen waren stärkere Kräfte bereitzustellen. Im Erfolgsfalle
sollte auch weiter nördlich angegriffen werden, um die gemachten
Fortschritte in weitgehender Weise auszunutzen.
Diese Angriffsweisung zeigt, daß die Heeresgruppe eine sehr starke und
ausgedehnte Flankensicherung auf dem Südflügel für
nötig hielt, um den Sieg weiter nördlich zu vollenden. In der Tat
waren hier Störungen durch englische und anbeförderte
französische Reserven zu erwarten. Entscheidend für den Erfolg war
die Wegnahme der Höhen von Cassel über Godewaersvelde.
Für die Zertrümmerung der englischen Streitmacht konnte das aber
nur der erste Schritt sein. Weitere Stöße mußten folgen und
waren von der 4. Armee zu führen. Die Heeresgruppe dachte dabei an einen
Angriff aus dem Houthulster Walde (Tannenberg) und an Flandern 4 von
Dixmude gegen den Loo-Kanal. Die 4. Armee sollte aber erst dann zufassen, und
zwar zunächst auf Messines, wenn Georgette den ersten Sprung
vorwärts gemacht hatte. Ihr Einsatz war für den 10. April geplant.
Armentières wurde ausgespart und sollte durch Umfassung beider
Armeen fallen. Über den taktischen Durchbruch hinaus wurden noch keine
Vorschriften gegeben.
Zweifellos bedeutete die Bindung der 4. Armee an den ersten Erfolg der 6. eine
Abschwächung der Schlagkraft des Angriffs. Bis zum 7. April wurde hieran
festgehalten; am Abend dieses Tages aber befahl die Oberste Heeresleitung
endgültig, daß die 4. Armee am 10. April auf Messines und
Wulverghem vorzustoßen habe, um der 6. Armee vorwärts zu helfen.
Georgette wurde dadurch [435] auf eine breitere und
festere Grundlage gestellt und reichte nun in der Ausdehnung an die alten
St. Georgs-Pläne heran, umfaßte jedoch noch nicht, wie diese,
die Eroberung der wichtigen Kemmel-Höhe und stand auch in der
Kräftezumessung zurück.61
|
Die Front der 6. Armee, im Norden von der 4., im Süden von der 17.
Armee eingefaßt, dehnte sich nach Westen gerichtet vom rechten
Flügel bei Frélinghien bis zum linken Flügel östlich
Vimy aus. Im Norden umspannte sie das im feindlichen Bereich liegende
Armentières, sprang dann nach Westen vor und lief in mäßig
vorgewölbtem Bogen, La Bassee und Lens umfassend, bis zum
südlichen Endpunkt. Die Stellung wurde von Wasserläufen
geschnitten und durchbrochen, von denen Lys und der
La Bassee-Kanal die wichtigsten sind. Beide setzen sich im Angriffsgebiet
fort, die Lys von Frélinghien über Armentières, Estaires,
Merville und Aire, dort in den Aire-Kanal übergehend; der
La Bassee-Kanal von La Bassee über Béthune
gleichfalls dem Aire-Kanal bei Aire zustrebend. Lys und
La Bassee-Kanal sind zwischen Estaires und Béthune durch die
Lawe verbunden. Lys und Lawe bildeten einen starken Abschnitt vor der Front,
dessen Überwindung die Vorbedingung für das Fortschreiten des
Angriffs war.
Diesseits und jenseits der Lys-Lawe-Linie ist die Niederung von zahlreichen
Wasserläufen geringer Bedeutung durchsetzt, die dem in Feuchtigkeit
schwimmenden Lande das Gepräge eines großen Sumpfgebietes
geben. Bei allen Angriffsentwürfen spielte dieser Charakter des
Geländes eine große Rolle; man konnte nur bei trockener Witterung
damit rechnen, über die Wasserläufe und die von ihnen eingerahmten
Flächen vorwärts zu kommen. Im Stellungskrieg hatte der hohe
Grundwasserstand dazu geführt, die Befestigungen nicht in die Erde zu
senken, sondern mit Schüttungen und Packungen auf den Boden
aufzusetzen.
Rechts und links war das Gebiet vor der Front von Höhenzügen
eingefaßt, im Norden durch das Hügelland zwischen Messines und
Godewaersvelde, dessen wichtigste Erhebung der Kemmel ist, im Süden
durch den scharf ausgeprägten Rücken zwischen Souchez und
Houdain, der bei Houdain nach Norden in das bergige Gelände
südlich Béthune übergeht, wo sich zahlreiche
Berg- und Hüttenwerke befinden. Die Höhenzüge stellten den
weiteren Rahmen des Angriffsraumes der 6. Armee dar; die Lys bei
Frélinghien und der La Bassee-Kanal bei La Bassee bildeten
den engeren, innerhalb dessen der Stoß geführt werden sollte. Weit
vor der Front, jenseits des Niederungsgebietes, liegt die Höhe von Cassel,
nach Osten zum Hügelland zwischen Godewaersvelde und Messines
überleitend, nach Süden sich in das gewellte Gelände um
Hazebrouck verbreiternd. Es erhellt ohne weiteres, wie bedeutungsvoll die
Gewinnung von Hazebrouck und Cassel für den Angriff sein mußte,
um für fernere Stöße festen Fuß zu fassen, nachdem das
Niederungsgebiet überwunden war.
[436] Die Front der 4. Armee
reichte von Frélinghien nach Norden bis zum Meere bei Nieuport. Im
südlichen Teil, gerade nach Westen gerichtet, sprang sie östlich von
Ypern in flacher Einbuchtung nach Osten zurück und bildete den
vielgenannten Ypern-Bogen zwischen Hollebeke und dem Houthulster Walde, um
dann über Dixmude nach Nieuport zu streichen. Für den Angriff kam
zunächst nur der südliche Teil zwischen Frélinghien und
Hollebeke in Betracht, der streckenweise die Lys und gleichfalls ein
Niederungsgebiet vor sich hatte. Dieses geht aber schon nach kurzer Strecke
südwestlich Hollebeke in das Hügelland von Messines und
Wulverghem über, während nordwestlich von Frélinghien ein
Waldgelände dem Angriff Anklammerungspunkte bot. Die 4. Armee hatte
also nicht auf der ganzen Front ein so starkes Hindernis wie die
Lys-Lawe-Linie vor sich, auch brauchte sie sich nicht über Tage hinaus
durch ein Sumpfgebiet durchzuarbeiten. Dagegen hatte sie ihren Stoß
südlich an dem überragenden Kemmel vorbeizuführen. Es
konnten sehr bald Verhältnisse eintreten, die die Wegnahme dieser
Höhe gebieterisch forderten; mit den geringen Kräften aber, die der
4. Armee anfangs zu Gebote standen, war diese Mehrleistung nicht zu
bewältigen. Angesichts der breiten und langen Niederung, über die
die 6. Armee zu schreiten hatte, tritt die Bedeutung der Mithilfe der 4. Armee zur
Gewinnung der nördlich angrenzenden Höhen klar hervor.
Der Stellungsraum der 6. Armee war vor dem Angriff in vier Abschnitte
eingeteilt: Gruppe Lille (Generalkommando des II. bayerischen Armeekorps62), Gruppe Aubers (Generalkommando
des XIX. Armeekorps63), Gruppe Loos (Generalkommando
des IV. Armeekorps64) und Gruppe Souchez
(Generalkommando des XXXX. Reservekorps65). Für den Angriff kamen nur
die drei ersten Gruppen in Betracht; sie wurden noch um eine Gruppe, die des
Generalkommandos Nr. 5566 vermehrt, die sich zwischen die
Gruppen Aubers und Loos einschob. Von den 17 zum Stoß bestimmten
Divisionen standen neun im ersten Treffen; fünf folgten als zweite Welle
zur Verfügung der Generalkommandos, drei standen als Armeereserve
hinter der Mitte der Front. An Batterien waren 230 leichte, 213 schwere und 25
schwerste bereit.
Die 4. Armee hatte bis Ende März aus fünf Gruppen bestanden:
Gruppe Nord (Generalkommando des Marinekorps67), Gruppe Dixmude
(Generalkommando des X. Reservekorps68), Gruppe Staden (Generalkommando
des Garde-Reservekorps69), Gruppe Ypern (Generalkommando
des Gardekorps70), Gruppe Wytschaete
(Generalkommando des XVIII. Reservekorps71). Starke Abgaben an die 6. Armee
für die Georgette-Vorbereitungen machten Zusammenlegungen
nötig, so daß Anfang April nur noch drei Gruppen: Nord, Ypern,
Wytschaete [437] bestanden. Für
eigene Offensivpläne wurde eine Operationsgruppe von drei
zurückgenommenen Divisionen des X. Reservekorps gebildet. Am 7. April
schob sie sich mit der Bezeichnung "Flandern" südlich der Lys zwischen
Warneton und Frélinghien auf dem linken Flügel der 4. Armee in
die Front ein.
Von den nunmehrigen vier Gruppen sollten Wytschaete und Flandern den Angriff
am 10. April führen. Erstere unter dem Generalkommando des XVIII.
Reservekorps hatte zwei Divisionen in der Front, eine im zweiten Treffen; ebenso
war die Gruppe Flandern unter dem Generalkommando des X. Reservekorps
gegliedert; hinter jeder Gruppe traf später eine Division als Armeereserve
ein. Die Summe der verfügbaren Kräfte war also auch bei dieser
Armee wesentlich erhöht und von ursprünglich vier auf acht
gesteigert worden. An Artillerie standen 78 leichte, 55 schwere und 15 schwerste
Batterien in Angriffsstellungen.
Die Vorbereitungszeit für Georgette war sehr beschränkt und
hätte schwerlich ausgereicht, wenn nicht schon die erforderlichen
Maßnahmen für den ehemaligen
St. Georg-Angriff sorgfältig und planmäßig durchdacht
gewesen wären. Eifrige und umsichtige Tätigkeit war nötig,
um den Aufbau der Offensive zu gutem Ende zu führen. Es war nicht zu
ermöglichen, die Munitionierung und den Artillerieaufmarsch als getrennte
Handlungen durchzuführen; sie mußten gleichzeitig erledigt werden.
Weitere Erschwerung lag in der geringen Zahl der Arbeitstruppen. Für den
Einsatz der Artillerie kam es der 6. Armee zugute, daß hier hierfür
Oberst Bruchmüller zur Verfügung gestellt wurde, der schon
früher hochbewährt, den erfolgreichen Artillerieangriff beim
St. Michael-Angriff der 18. Armee geleitet hatte. Auch die zahlreichen
Artillerieverbände, die aus dem Bereich der 17. Armee für Georgette
nach Norden umgruppiert worden waren, besaßen Kampferfahrung. Von
den Angriffsdivisionen waren die meisten nicht für die Offensive besonders
vorgebildet und ausgestattet; andere hatten schon in vorausgegangenen
Kämpfen gelitten. Die Truppen standen also in ihrer Eignung hinter den bei
St. Michael verwendeten Verbänden zurück.
Bedenken erregte die Aufweichung des Kampfbodens durch vorausgegangene
Regengüsse; man mußte damit rechnen, daß die Artillerie der
Infanterie nur mit Mühe folgen konnte, und daß die
Kolonnenbewegung auf Schwierigkeiten stoßen werde. Trotz aller
Erschwernisse und Besorgnisse wurden aber die Vorbereitungen glatt und
ungehemmt durchgeführt, und, als die Truppen schlagfertig standen,
zweifelten weder sie noch ihre Führer am Erfolge. Wie immer wirkte die
Aussicht, den Feind offensiv zu fassen, stärkend und belebend auf die
Stimmung.
Nachdem sich die Belgier von der Küste bis in den Raum der englischen 2.
Armee ausgedehnt hatten, nahm man von der Gesamtzahl der
gegenüberstehenden englischen Divisionen etwa acht vor dem
südlichen Frontteil der 4. Armee [438] an, die den
südlichen Teil des Ypern-Bogens und anschließend die Strecke bis
Frélinghien deckten. Davon galten drei als nicht voll kampfkräftig.
Sechs Divisionen, von denen eine als minder tauglich anzusehen war, hielten die
englischen Linien gegenüber der 6. Armee. Ihnen waren die beiden
portugiesischen Divisionen zuzurechnen, die etwa in der Mitte zwischen
Armentières und La Bassee-Kanal lagen und sich recht geringen
Ansehens auf deutscher Seite erfreuten. Gerade gegen sie sollte sich der
Hauptstoß der Angriffsmitte der 6. Armee richten. Als Reserven, die gegen
Georgette angesetzt werden konnten, zählte man vier belgische Divisionen,
die hinter der Front nahe der Küste standen, fünf frische und elf
abgekämpfte englische sowie 23 bis 25 französische Divisionen.
Der Verbleib dieser Kräfte stand im einzelnen nicht fest; doch war es klar,
daß die Hauptunterstützung, die für die angegriffene Front
geleistet werden konnte, von Süden kommen würde, und zwar
voraussichtlich zuerst von Arras auf Béthune. Durch Überraschung
des Gegners mußte erreicht werden, daß er vor größerer
Kräfteansammlung durchbrochen wurde. Diese unerläßliche
Vorbedingung schien gefährdet, da unter den beteiligten deutschen Truppen
schon seit Ende März das Gerücht umging, die Portugiesen sollten
demnächst angegriffen werden. Durch scharfe Verwarnungen und
Belehrungen gelang es aber, das Geheimnis des Angriffs und des Angriffstages zu
sichern.
Das Oberkommando der 6. Armee72 in Tournay gab am 3. April seinen
Angriffsbefehl. Danach sollte die rechte Flügelgruppe, II. bayerisches
Armeekorps, die feindlichen Stellungen im
Lys-Bogen zwischen Houplines und Sailly nehmen, dabei aber
Armentières aussparen, das durch Umfassung zu fallen hatte. Der
Übergang über die Lys war zwischen Erquinghem und Sailly mit
dem starkgemachten linken Flügel zu erstreben, demnächst die
Richtung auf das Höhengelände von Godewaersvelde einzuschlagen.
Dem Korps fiel die Deckung der rechten Flanke der Armee und die Verbindung
mit dem später vorgehenden linken Flügel der 4. Armee zu. Das
südlich benachbarte XIX. Armeekorps wurde auf die
Lys-Strecke Sailly - Estaires - La Gorgue angesetzt, die
die Hauptdurchbruchsstelle der Armee sein sollte. Nach dem Übergang bei
Estaires war es in der Richtung auf Steenvoorde zwischen Godewaersvelde und
Cassel vorzuführen. Die links anschließenden Truppen des
Generalkommandos Nr. 55 hatten nach Gewinnung der Lawe die Lys bei
Merville und die Clarence zwischen Calonne und Robecq zu überschreiten
und dann auf Hazebrouck weiterzugehen. Mit einer zurückgehaltenen
Staffel sollte sie bei St. Venant den Hauptangriff auf die Linie
Godewaersvelde - Hazebrouck decken und dazu die
Übergänge über den
Aire-La Bassee-Kanal zwischen Aire und Robecq, später auch Aire
und St. Omer fest in die Hand nehmen. Die Stoßgruppe des linken
Flügels des Angriffs, IV. Armeekorps, hatte den
Aire-La Bassee-Kanal zwischen Robecq und Béthune [439] zu nehmen, zu
überschreiten und sich in der Linie Mont
Bernenchon - Oblinghem festzusetzen. Béthune war von ihr
zu erobern. Die Deckung der linken Flanke der Armee fiel ihr zu. Die drei
Divisionen der Armeereserve gedachte der Oberbefehlshaber hinter der Mitte
folgen zu lassen.
[416a]
Schlacht bei Armentières - Estaires 1918.
Nachtkampf um Estaires.
|
Diese Weisungen wurden am 7. April dahin ergänzt, daß die
Feuereröffnung der Artillerie am 9. April um 415 morgens beginnen und der Infanteriesturm
um 845 erfolgen sollte. Mit
Rücksicht auf das schlechte Wetter ließ das Oberkommando die
Frage offen, ob die Offensive nicht noch um 24 Stunden zu verschieben sei. Am
8. April erhielt IV. Armeekorps Befehl, mit einer Division südlich des
La Bassee-Kanals vorzustoßen, wenn sich nördlich der
Wasserlinie ein großer Erfolg ergeben würde. In diesem Falle sollte
sich auch die planmäßig am Angriff nicht beteiligte linke
Flügelgruppe der Armee, XXXX. Reservekorps, in Bewegung setzen,
während sie sonst nur Feuerunterstützung zu leisten hatte, um
etwaige feindliche Reserven vor ihrer Front festzuhalten.
Bei der 4. Armee blieben die Angriffsanordnungen an der Schwebe, so lange ihr
Vorgehen von den Fortschritten der 6. Armee abhängig war. Am 5. April
bezeichnete das Armee-Oberkommando73 in Thielt die Aufgabe des XVIII.
Reservekorps dahin, daß es unter Abriegelung nach Norden aus der Linie
Garde Dieu - Warneton Messines und die Höhen von
Wytschaete anzugreifen habe. X. Reservekorps hatte die Lys südlich
Warneton zu überschreiten und die Straße
Messines - Ploegsteert - Lys-Knie nördlich
Armentières zu gewinnen.
Die Fortführung des Angriffs war so gedacht, daß XVIII.
Reservekorps Wulverghem nehmen, dann nach Nordwesten eindrehen und
über den Kemmel die Höhenlinie
St. Eloi - Westoutre erreichen sollte. Mit Zustimmung der
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wurde also schon geplant, den Kemmel zu
nehmen und gegen die südliche Flanke des Gegners im
Ypern-Bogen einzuschwenken. Dem X. Reservekorps, dem der Weg über
die Gegend nördlich Ploegsteert auf Neuve Eglise vorbehalten war, fiel die
Unterstützung des rechten Flügels der 6. Armee zu; nach Erledigung
dieser Aufgabe sollte es gleichfalls nach Nordwesten auf Westoutre
schwenken.
Die Absichten gingen über die ersten Pläne hinaus, die nur das
Vorgehen südlich des Kemmel ins Auge gefaßt und gegen den
Ypern-Bogen nur das Bereithalten stärkerer Kräfte vorgesehen
hatten. Um die belgischen und englischen Truppen im
Ypern-Bogen abzuschneiden, plante die Heeresgruppe außerdem bereits
einen Vorstoß der Gruppe Ypern aus nordwestlicher Richtung, der dem
XVIII. Reservekorps entgegenkommen sollte. Der Beginn des Artilleriefeuers
wurde beim XVIII. Reservekorps auf 245, beim X. Reservekorps auf 230 morgens angesetzt; um 515 morgens hatte der Infanteriesturm zu
beginnen.
[440] Alle
Befehlsvorbereitungen wurden so gründlich durchdacht und besprochen,
daß es am 9. April abends, nachdem die Oberste Heeresleitung bestimmt
hatte, daß der Angriff unter allen Umständen zu führen sei, nur
folgender kurzer Weisung bedurfte:
"Die 4. Armee beginnt ihren Angriff
mit dem XVIII. Reserve- und X. Reservekorps am 10. April morgens. Alle
übrigen Gruppen ordnen bis auf weiteres erhöhte
Gefechtsbereitschaft an."
Das Wetter begünstigte die Unternehmung der 6. und 4. Armee nicht. Meist
war in der Vorbereitungszeit der Himmel bedeckt, die Sicht schlecht; leichte
Regenschauer gingen nieder. So war es auch am 7. und 8. April. Trotzdem wurde
für die 6. Armee an der Angriffsabsicht für den 9. April festgehalten,
obwohl man sich darüber klar war, daß die Bodenerweichung den
Truppen große Schwierigkeiten in den Weg stellen werde. Die
Gefechtsverhältnisse waren an der Front beider Armeen in den letzten
Tagen vor dem Angriff ruhig; nichts deutete darauf hin, daß der Gegner den
Vorstoß erwarte.
Am 9. April regnete es wiederum, wenn auch nur leicht; der Ausblick in die Ferne
war begrenzt. Planmäßig um 415 morgens begann die Artillerievorbereitung
bei der 6. Armee; um 845 erhob sich die Infanterie aus ihren
Bereitstellungen und stürzte sich auf den Feind. Die ersten Erfolge
über den ahnungslosen Gegner waren hocherfreulich. Auf der ganzen Front
zwischen Armentières und dem La Bassee-Kanal wurden drei
Stellungssysteme der Engländer überrannt, vom II. bayerischen
Armeekorps die Lys bei Sailly bereits überschritten.
Am Abend des 9. April befand sich die vordere Linie der 6. Armee bei Bois
Grenier und Fleurbaix, übersprang die Lys nordöstlich von Sailly,
ging dann östlich der Lys-Lawe-Linie bis südlich Estaires und bog
über den Nordrand von Festubert auf Givenchy zurück, das noch
nicht genommen war. Wie vorausgesehen, war der Sieg über die
Portugiesen besonders leicht gewesen. 6000 Gefangene wurden eingebracht und
100 Geschütze genommen.
Für den 10. April beschloß das Oberkommando der 6. Armee, den
Erfolg nach Kräften auszunutzen und den Feind nicht zur Ruhe kommen zu
lassen. Hierbei sollte II. bayerisches Armeekorps Armentières umspannen,
die Lys auch bei Erquinghem auf Nieppe überschreiten und Verbindung mit
dem X. Reservekorps der 4. Armee suchen. Weitere taktische Anordnungen
erübrigten sich, doch war es bereits nötig, den Divisionen zu
befehlen, mit allen Mitteln ihre Artillerie nachzuziehen; die Erschwernisse durch
das verschlammte Trichterfeld machten sich also schon geltend.
Am 10. April setzte der Regen aus, dagegen gestattete der Nebel keine Fernsicht.
Die 4. Armee hatte noch in der Nacht Weisung erhalten, der 6. Armee [441] über die Lys zu
helfen und dazu mit dem linken Flügel in der Richtung auf Nieppe und
Steenwerck vorzudrücken. Sie begann in der dritten Morgenstunde ihre
Artillerie wirken zu lassen und trat um 515 morgens mit der Infanterie zum Sturm an.
Auch hier war die Überraschung vollständig, obwohl
heranfühlende Streifen den Feind tags zuvor sehr aufmerksam gefunden
hatten. Die ersten feindlichen Linien wurden überrannt, der Park von
Hollebeke genommen, Messines vom XVIII. Reservekorps gestürmt und
gegen Entsatzversuche gehalten. Von Messines wurde der Angriff nach Norden
auf Wytschaete getragen und bis in die Gegend südlich des Dorfes
durchgeführt. Auch auf Wulverghem ging der Stoß weiter. X.
Reservekorps überschritt die Lys auf zwei Pontonbrücken, gewann
die Straße Messines - Ploegsteert beiderseits des Waldgebiets,
eroberte Ploegsteert und erreichte mit dem linken Flügel die Gegend von
Le Bizet. Mehr als 1300 Gefangener wurden eingebracht.
Die 6. Armee nahm ihre Vorwärtsbewegung um 6 Uhr morgens wieder auf.
II. bayerisches Armeekorps warf bei Erquinghem seine Truppen über die
Lys und ging auf Nieppe und Steenwerck vor; letzteres Dorf wurde genommen.
XIX. Armeekorps kämpfte um die Lys beiderseits von Estaires und
öffnete dort den Weg über den Fluß. Weiter südlich
nahmen die Truppen des Generalkommandos Nr. 55 die
Lawe-Übergänge bei Pont Riqueul und bei Vieille Chapelle und
setzten sich in den Besitz des westlichen Ufers. Dagegen kam IV. Armeekorps bei
Festubert und Givenchy nicht wesentlich voran. Auf der ganzen Front hatten die
Engländer heftige Gegenangriffe geführt.
Die Gesamtleistungen beider Armeen ergaben zwei Hervorwölbungen aus
der früher gehaltenen Front, zwischen denen das noch nicht genommene
Armentières lag. So erfreulich an sich die Fortschritte und die wachsende
Zahl der Gefangenen war, so bedenklich erschien das Abhängen des linken
Flügels der 6. Armee. Der Teil von ihr, der am flottesten vorankam, II.
bayerisches Armeekorps, ragte spitz und keilförmig gegen Bailleul hervor.
Die inneren Flügel beider Armeen blieben so lange in schwerer Lage, bis
sie sich nach vorn zusammengefunden hatten. Die Oberste Heeresleitung und die
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht taten alles, was in ihrer Macht stand, um
beiden Armeen Verstärkungen zuzuführen, die vorzugsweise der 17.
Armee entnommen wurden.
Die 4. Armee befahl für den 11. April Fortsetzung des Angriffs und betonte
besonders die Wegnahme von Wytschaete und Wulverghem durch XVIII. und die
Umschließung von Armentières durch X. Reservekorps in
Verbindung mit der 6. Armee. Die 6. Armee setzte II. bayerisches und XIX.
Armeekorps auf das Höhengelände von Bailleul, Meteren und
Strazeele an, das am 11. April erreicht werden sollte. Die Verbindung mit der 4.
Armee war bei Nieppe zu suchen. LV. und IV. Armeekorps hatten ihre Angriffe
zur Erzwingung der Übergänge über den
La Bassee-Kanal und die Clarence weiterzuführen.
Auch am 11. April herrschte wieder starker Nebel. Bei der 4. Armee nahm
[442] XVIII. Reservekorps
ein Wäldchen bei Wytschaete unter schweren Kämpfen; in der
Richtung auf Wulverghem wurden Fortschritte gemacht. X. Reservekorps drang
durch den Ploegsteert-Wald bis über den Westrand hinaus. Sein linker
Flügel fand bei Romarin Anschluß an die 6. Armee. Kaiser Wilhelm
wohnte auf dem Gefechtsstand des Generalkommandos des XVIII. Reservekorps
dem Kampfe bei.
Die 6. Armee hatte den großen Erfolg, daß Armentières unter
dem Druck der beiderseitigen Umfassung mit 3000 Gefangenen und 40
Geschützen in ihre Hände fiel. Unter heftigem feindlichen
Widerstand gelangte II. bayerisches Armeekorps bis in die Linie
Nieppe - Bahnhof nördlich
Steenwerck - Le Verrier, XIX. Armeekorps erreichte Doulieu
und dehnte sich bis nordöstlich von Merville aus. Die Truppen des
Generalkommandos Nr. 55 kamen bis an den Westrand von Merville heran,
drangen in Calonne ein und besetzten den Raum südlich davon bis in die
Gegend westlich von Vieille Chapelle. Die Lys-Lawe-Linie von
Armentières bis Vieille Chapelle war nunmehr im festen Besitz. IV.
Armeekorps hing nach wie vor ab und stand vor Festubert und Givenchy.
Das Oberkommando der 4. Armee beschloß, XVIII. Reservekorps am 12.
April anzuhalten, bis X. Reservekorps weiter vorankomme, und setzte dieses auf
Neuve Eglise an, um mit der 6. Armee im Vorgehen zusammenzuwirken. Das
Oberkommando der 6. Armee bezeichnete als Ziele für den 12. April
wiederum die Höhen bei Bailleul, Meteren und Strazeele, den
Nord- und Westrand des Nieppe-Waldes westlich Merville und den
Aire-La Bassee-Kanal zwischen Guarbecque und Mont Bernenchon. Die
Lage wurde als nicht ungünstig angesehen, wenn man sich auch mit dem
Abhängen beider Flügel der Gesamtangriffsfront abzufinden hatte.
Die Hauptsache war das Vorwärtskommen auf Godewaersvelde und
Hazebrouck; dabei blieb aber die Absicht bestehen, sobald wie angängig
mit XVIII. Reservekorps über den Kemmel und mit Gruppe Ypern
(Gardekorps) vom Houthulster Walde die feindlichen Truppen im
Ypern-Bogen abzuschneiden. Mit Verstärkung des Gegners wurde
gerechnet.
Am 12. April, abermals einem Nebeltage, stellte XVIII. Reservekorps der 4.
Armee vor seinem linken Flügel rückwärtige Bewegungen
fest, stieß trotz des Haltebefehls nach und gelangte in frischem Schwunge
und mit Gewinnung reicher Beute bis dicht östlich Wulverghem. Weiter
südlich machte X. Reservekorps einige Fortschritte über die Linie
Ploegsteerter Wald - Romarin. Am Mittag beurteilte das
Oberkommando der 4. Armee die Lage dahin, daß der Feind die Linie
Wytschaete - Kemmel oder
St. Eloi - Kemmel halten wolle, plante auf dem
Höhengelände
Wytschaete - Wulverghem - Neuve Eglise Fuß zu
fassen und zur Weiterführung des Angriffs Artillerie heranzuziehen. Das
Gardekorps (Gruppe Ypern) erhielt Befehl, mit Hilfe der ihm zugeführten
Verstärkungen von zwei Divisionen und vier Batterien schwerer Artillerie
den Angriff auf den Feind im Ypern-Bogen in der Richtung auf Bixschote zum
Zusammenwirken mit dem [443] linken
Artillerieflügel vorzubereiten. Am Abend stand die 4. Armee in der
allgemeinen Linie Hollebeke - Ostrand
Wytschaete - Ostrand
Wulverghem - Romarin. Für den 13. April wurde nur X.
Reservekorps auf den Höhenrücken zwischen Neuve Eglise und
Bailleul angesetzt.
Die 6. Armee kämpfte sich am 12. April bis zur Linie westlich
Romarin - Südrand Mervis - Vieux
Berquin - Calonne - Locon vor; von dort blieb die
zurückgebogene Front nördlich des
La Bassee-Kanals unverändert. Die Fortschritte waren bedeutend,
erreichten aber noch nicht die am 11. April gesetzten Ziele, konnten auch westlich
Merville nicht in vollem Umfang behauptet werden. Auch für den 13. April
wurden Bailleul, Meteren, Strazeele, Nieppe-Wald als Ziele gesetzt;
Generalkommando Nr. 55 wurde nochmals auf die Gewinnung der
Kanalübergänge zwischen
Guarbecque - Mont Bernenchon hingewiesen.
Die Weisungen beider Oberkommandos standen im Einklang mit den Absichten
der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, die das Zusammenwirken der inneren
Flügel verlangte, um die 6. Armee vorwärtszubringen, und auch
deren linken Flügel gefördert haben wollte.
Am 13. April brach endlich die Sonne durch, aber nur für kurze Zeit; das
Wetter blieb fortan trüb, dunstig und kalt. Während sich bei der 4.
Armee XVIII. Reservekorps zu umfassendem Angriff auf Wytschaete
rüstete, der am 16. April geführt werden sollte, durchbrach X.
Reservekorps die englische Stellung östlich Neuve Eglise und setzte sich in
den Besitz dieses Ortes; weiter südlich gewann es die Straße Neuve
Eglise - Steenwerck im Anschluß an die 6. Armee. II.
bayerisches Armeekorps dieser Armee hatte sehr schwere Kämpfe bei
Bailleul, ohne die Stadt erobern zu können, drang aber schon gegen die
Straße Bailleul - Meteren vor. Weiter südlich wurde
Mervis genommen, bei Vieux-Berquin und gegen den
Aire-La Bassee-Kanal in der Gegend von Mont Bernenchon einige
Fortschritte gemacht.
Im übrigen änderte sich die tags zuvor erreichte Linie nicht
wesentlich. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht gab Richtlinien für die
Fortführung der Operation; sie ordnete an, daß der Angriff auf die
Höhenlinie Bailleul - Neuve Eglise von den inneren
Flügeln beider Armeen unter einheitlicher Leitung zu führen sei, und
zwar hauptsächlich durch Druck westlich von Bailleul. Der 6. Armee fiel
außerdem unter Umfassung von Westen der Stoß gegen die
Höhen südöstlich von Godewaersvelde zu, während der
4. Armee die Fortnahme des Höhengeländes zwischen Wytschaete,
Kemmel und südlich von Westoutre übertragen wurde. In der
Erkenntnis, daß sich der Angriff sehr verlangsamt hatte, und in der
Hoffnung, die Gesamtlage zu bessern, setzte die Heeresgruppe das Unternehmen
"Tannenberg" des Gardekorps gegen den Ypern-Bogen vom Houthulster Walde
mit vier Divisionen im ersten und zwei Divisionen im zweiten Treffen auf den 16.
oder 17. April fest; sie hätte gerne einen früheren Tag [444] gewählt, aber
das Gardekorps bestand darauf, sich Zeit zu sorgsamen Vorbereitungen zu
sichern.
Inzwischen waren der 4. und 6. Armee so viele Verstärkungsdivisionen
namentlich aus der St. Michael-Front zugeführt worden, daß
eine Neugliederung notwendig wurde. Zwischen beide Armeen hatte sich am 15.
April die Gruppe des Garde-Reservekorps, für die 4. Armee bestimmt, und
zwischen Generalkommando Nr. 55 und IV. Armeekorps am 14. April die
Gruppe des Generalkommandos des IX. Reservekorps einzuschieben. Das
Generalkommando des II. bayerischen Armeekorps sollte durch das des III.
bayerischen Armeekorps abgelöst werden.
Für den 14. April plante die 4. Armee, aus der Linie südlich
Wulverghem - Neuve Eglise - Bahnhof Steenwerck
gegen die Linie Kemmel - Dranoutre - Höhen
östlich Bailleul vorzugehen. Die 6. Armee wies ihren
Korps - II. bayerisches, XIX. Armee- und LV. Korps - wieder die
alten Ziele Bailleul, Meteren, Strazeele und Nieppe-Wald zu, während IV.
Armeekorps die Eroberung von Festubert und Givenchy vorzubereiten hatte.
Der 14. April verlief nicht ohne Erfolge; bei Wulverghem und auf den
Höhen von Neuve Eglise wurde von der 4. Armee Gelände
gewonnen, während die 6. Armee in die Richtung auf Meteren
vorwärtskam und sich des Bahnhofs Strazeele bemächtigte. Die
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht gab für die Eroberung von Bailleul
nähere Weisungen, denen zufolge die 4. Armee die Stadt im Osten und
Norden, die 6. Armee im Süden und Westen abschließen sollte.
Demnächstige Ziele für die 4. Armee waren St. Jans Cappel
und Mont Noir, für die 6. Berthen. Das Oberkommando der 4. Armee
übertrug die Aufgabe seines linken Flügels dem neu eingetroffenen
Generalkommando des Garde-Reservekorps; dem X. Reservekorps verblieb der
Auftrag, gegen die Linie Kemmel - Dranoutre vorzustoßen,
während XVIII. Reservekorps den Angriff auf Wytschaete weiter
vorbereiten und Wulverghem nehmen sollte. Die 6. Armee erneuerte ihre
Angriffsbefehle vom 13. April für III. bayerisches und XIX. Armeekorps
mit den Zielen Meteren und Strazeele, schob aber die Ausführung um
gründlicher Vorbereitung willen hinaus und gab als Gesichtspunkt
für die Folge die Weisung, daß künftig nur
Vorstöße in begrenzter Breite wechselnd auf der Armeefront
stattfinden sollten, um alle Angriffsmittel für den jeweiligen Kampfzweck
zusammenhäufen zu können.
|
Der 15. April brachte der 4. Armee die endgültige Eroberung von
Wulverghem und die Erstürmung der Höhen östlich von
Bailleul, während es bei der 6. Armee zu keinen größeren
Kampfhandlungen kam. Beide Armeen planten die Fortsetzung der Offensive mit
den inneren Flügeln am 17. April, die 4. Armee auf Mont
Noir - Berthen, die 6. anschließend auf
Berthen - Eecke; man hoffte auf diese Weise den Feind zur
Räumung des Kemmels zu veranlassen. Inzwischen fiel aber am 16. April
Wytschaete durch wohlvorbereiteten Angriff des XVIII.
Re- [445] servekorps der 4.
Armee in die Hände und konnte gegen heftige Gegenstöße
gehalten werden. Über Wulverghem wurden Fortschritte gemacht, die sich
beim X. Reserve- und Garde-Reservekorps bis zum linken Flügel
fortsetzten, wo Bailleul genommen wurde. Die 4. Armee erreichte unter steten
Kämpfen bis zum Abend die ungefähre Linie
Hollebeke - südwestlich
Wytschaete - Douve-Grund westlich
Wulverghem - Gegend zwischen Bailleul und St. Jans
Cappel.
Der rechte Flügel der 6. Armee, III. bayerisches Armeekorps, erkannte die
Gunst der Lage für das eigene Vorgehen, als
Garde-Reservekorps vorankam, nahm Meteren, gelangte bis in die Gegend
nordwestlich von Bailleul und wies mit dem XIX. Armeekorps einen starken
feindlichen Angriff bei Strazeele ab. Alle diese Erfolge belebten die Hoffnung auf
weitere Fortschritte, hatten freilich auch die Wirkung, daß die feindlichen
Truppen aus dem Ypern-Bogen am 16. April abends zu weichen begannen; es
bestand daher kaum noch Aussicht, erhebliche Teile abzuschneiden. Das
Generalkommando des Gardekorps erhielt von der 4. Armee Befehl,
ungesäumt nachzudrängen und den
Ypern-Kanal bei Boesinghe zu überschreiten.
Am 17. April mittags erreichte das Gardekorps, das sich auf seiner ganzen Front
in Bewegung gesetzt hatte, die Linie Merckem westlich
Langemarck - St. Julien - Hollebeke. Auf seinem
rechten Flügel kam es zu heftigen Kämpfen mit den Belgiern. Weiter
nach Süden stand XVIII. Reservekorps bereit, im gegebenen Augenblick
vorzubrechen, mußte sich aber darauf beschränken, neue Angriffe auf
das eroberte Wytschaete abzuweisen. Links anschließend machte das X.
Reservekorps in Richtung auf den Kemmel einige Fortschritte. Beim linken
Flügel der 4. und beim rechten Flügel der 6. Armee sollte der auf den
17. April festgesetzte Angriff gegen die Linie Mont
Noir - Berthen - Eecke durchgeführt werden; es kam
zu sehr heftigen, aber ergebnislosen Kämpfen. Die Erkenntnis brach sich
Bahn, daß mit den erschöpften Truppen hier keine Erfolge mehr zu
erringen seien, bevor der Angriff nicht in Ruhe neu vorbereitet wurde.
Die 6. Armee befahl daher schon am 17. April abends die Einstellung der
Vorwärtsbewegung bei Bailleul. Dagegen sollte sich am 18. April auf dem
linken Armeeflügel IV. Armeekorps mit Unterstützung des IX.
Reservekorps Festuberts und Givenchys bemächtigen und die Sicherheit
der linken Flanke dadurch verbessern. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht
schloß sich der Ansicht an, daß die Offensive bei Bailleul
vorläufig eingestellt werden müsse, zumal da
dort - wie übrigens auch bei Wytschaete - bereits
französische Verstärkungen festgestellt worden waren. Am 18. April
morgens gab sie neue Grundlagen für die Weiterführung der
Operationen: der Angriff beiderseits Bailleul war anzuhalten, dagegen sollte die 6.
Armee prüfen, ob die Höhen von Strazeele genommen werden
könnten. Die 4. Armee hatte den Hauptnachdruck auf den
Ypern-Bogen und auf die feindliche Front zwischen Wytschaete und Kemmel zu
legen. Auf Bixschote und Poperinghe waren Fortschritte zu machen, [446] der Kemmel baldigst
zu nehmen. Der 4. Armee wurden weitere Verstärkungen zugesagt.
Die 4. Armee befahl darauf dem Gardekorps, die Verfolgung des Gegners
nördlich an Ypern vorbei auf Poperinghe weiterzuführen; XVIII.
Reservekorps wurde auf die Höhenlinie Groote
Vierstraat - Kemmel, X. Reservekorps auf den Kemmel selbst und
die Höhen bei Dranoutre angesetzt; beide Korps sollte aber erst nach
gründlicher Vorbereitung losbrechen. Die 6. Armee, deren Oberkommando
nach Lille verlegt worden war, stellte die Vorwärtsbewegung
zunächst ganz ein, um geordnete Kampfverhältnisse zu schaffen,
behielt sich aber die Neuaufnahme der Offensive vor. Der 18. April brachte ihr
noch einen empfindlichen Rückschlag auf ihrem linken Flügel. IV.
Armeekorps, unterstützt vom IX. Reservekorps, griff
planmäßig Festubert und Givenchy an, setzte sich fast
vollständig in den Besitz der Dörfer, mußte aber vor
Gegenstößen, die durch das Feuer bisher unbezwungener betonierter
Maschinengewehrnester in den Ortschaften unterstützt wurden, wieder
zurückweichen. Der Tag erbrachte auch sonst keine Fortschritte; im
Ypern-Bogen leistete der Gegner Widerstand, besonders durch belgische
Gegenstöße bei Merckem, so daß die Vorwärtsbewegung
des Gardekorps zum Stillstand kam, und bei Wytschaete mußte sich XVIII.
Reservekorps abermals heftiger Angriffe erwehren.
Angriff auf den Kemmel.
Es trat eine Atempause in der Georgette-Operation ein, hervorgerufen durch die
Erschöpfung und geminderte Angriffskraft der Divisionen, auch der neu
eingesetzten, die alle schon in schweren Kämpfen gestanden hatten, durch
Munitionsmangel infolge Überlastung der Eisenbahnen mit
Truppentransporten, durch Verstärkung des Gegners, dem immer mehr
französische Reserven zuflossen. Neue Erfolge waren zu erwarten, wenn
der Kemmel genommen wurde; man konnte von der Eroberung dieser
beherrschenden Höhe starke Einwirkung auf die Verhältnisse im
Ypern-Bogen wie auf den rechten Flügel der 6. Armee erhoffen. Der
Kemmel-Angriff der 4. Armee trat in den Vordergrund; ihm wurde alle Sorgfalt
der Vorbereitung zugewendet. Inzwischen mußte man auf die Abwehr
feindlicher Angriffe gefaßt sein.
Der 19. April brachte weitere Klärung. Nordöstlich und östlich
von Ypern hatte der Feind am Steen-Bach starke Stellungen, die offenbar das Ziel
seines kurzen Rückzugs gewesen und ohne großen Artillerieaufwand
nicht zu bezwingen waren. Die 4. Armee konnte die erforderlichen Batterien nicht
aufbringen und stellte daher die Offensive des Gardekorps ein. Vor der 6. Armee
war der Feind so stark geworden, daß sich bei weiteren Angriffen
voraussichtlich eine Materialschlacht ergeben hätte. Die Heeresgruppe
Rupprecht beantragte daher bei der Obersten Heeresleitung, die 6. Armee auf
Abwehr zu stellen. So blieb nur der Kemmel-Angriff übrig, der unbedingt
nötig war, um der Georgette-Operation [447] einen Abschluß
zu geben, der eine erträgliche Lage für die Folge zeitigte. Der
Angreifer durfte nicht dicht vor den überragenden Höhen stehen
bleiben, der Feind nicht im Besitz dieser vorzüglichen
Artilleriebeobachtung gelassen werden und des Glaubens sein, daß die
deutsche Offensive erloschen sei.
Die Grundzüge für den Angriff auf das Höhengelände
Kemmel - Dranoutre wurden noch am 19. April festgelegt. XVIII.
Reservekorps sollte mit drei Divisionen in der ersten und zwei Divisionen in der
zweiten Welle auf Voormezeele, Dickebusch und das Dorf Kemmel an der
Nordostecke des Kemmel-Bergs, X. Reservekorps mit drei Divisionen in der
ersten, zwei Divisionen in der zweiten, einer Division als Armeereserve in der
dritten Welle auf den Kemmel-Berg, Dranoutre und die Höhen beiderseits
von Vleugelhoek vorstoßen. Als Angriffstag wurde vorläufig der 24.
April festgesetzt; dem um 7 Uhr morgens anzusetzenden Infanteriesturm hatte
dreistündiges Artilleriefeuer vorauszugehen.
Am 20. und 21. April wurden die endgültigen Angriffsbefehle von der 4.
Armee gegeben. XVIII. Reservekorps erhielt noch eine Division für die
erste Welle und als Angriffsziel den Raum zwischen Dickebusch und dem
Nordhang des Kemmel-Bergs unter Abriegelung der rechten Flanke bei
Voormezeele; X. Reservekorps wurde auf den Kemmel-Berg, den Raum von dort
über den Nordrand von Dranoutre bis zu den Höhen nördlich
und nordwestlich von Vleugelhoek angesetzt. Der Angriff wurde
endgültig auf den 25. April verschoben, doch sollte X. Reservekorps
vorgreifend schon am 23. April die Höhe südlich Vleugelhoek
nehmen. Bei günstigem Ausgang war geplant, den Stoß östlich
am Kemmel vorbei gegen die Straße
Vlamertinghe - Poperinghe weiterzuführen. Der
Gesamtangriff war als doppelte Umfassung der Stellungen von Kemmel und
Dranoutre über Dickebusch und Vleugelhoek gedacht. An Artillerie sollten
191 Feldbatterien, 129 schwere und eine Anzahl schwerster Batterien am Angriff
beteiligt werden. Außerdem hatte die 6. Armee Unterstützung zu
leisten.
Der Kemmel ist die wichtigste Erhebung zwischen der Douve im Süden und
der Niederung von Dickebusch im Norden. Er stellt ein breites, von Nordosten
nach Südwesten streichendes Berggelände dar, dessen höchste
Kuppe sich nahe dem auf dem Nordosthange gelegenen Dorf Kemmel erhebt. Die
Kuppe fällt nach Norden, Nordosten und Südosten steil ab; nach
Südwesten leitet sie zu einem weniger hohen, mannigfach gegliederten
Rücken über, der keine schroffen Formen zeigt und
nordöstlich Dranoutre zu einem Bachlauf absteigt. Fast das ganze
Berggelände ist mit Wald bedeckt. Zwischen dem Bachlauf im Nordosten
und der Douve im Süden liegt auf einem schmalen, nach Osten sinkenden
Rücken von mäßiger Höhe das Dorf Dranoutre,
südlich der Douve auf einer sanft nach Westen ansteigenden und durch
Mulden eingekerbten Fläche das Dorf Vleugelhoek. Diese
Hochfläche setzt sich nach Norden in der Richtung auf den Mont Noir fort
und fällt zur Gegend nördlich von Bailleul ab.
Die durch den Kemmel, Dranoutre und Vleugelhoek bezeichnete und vom
[448] Feinde gehaltene
Höhenlinie geht nach Südosten in das Land beiderseits der Douve
über, dessen Art etwa den bergigen Formen bei Dranoutre und Vleugelhoek
entspricht. Die Kemmel-Kuppe zeigt 156 m Höhe, Dranoutre und
Vleugelhoek etwa 60; die Erhebungen in dem von den Deutschen damals
besetzten Vorgelände erreichen nur an einzelnen Punkten eine
größere Höhe als 70 m und bleiben meist weit darunter.
Die überragende Bedeutung des Kemmels für das ganze
Kampfgebiet wird hierdurch gekennzeichnet. Die feindliche Stellung, soweit sie
für den Angriff in Betracht kam, war nach deutscher Annahme von acht bis
neun englischen Divisionen besetzt, die fast durchweg stark gelitten hatten und
schwerlich volle Gefechtsstärken aufwiesen. Es mußte aber mit
erheblichen französischen Verstärkungen gerechnet werden, da jetzt
schon Franzosen am Kemmel gesichtet wurden.
Die Tage bis zum Angriff verliefen bei der 4. und 6. Armee, abgesehen von
örtlichen Gefechten, ohne große Kampfhandlungen. Der Feind baute
eifrig an seinen Stellungen und schien sich vom Ypern-Bogen an bis zum linken
Flügel der 6. Armee ein tiefgegliedertes Stellungssystem schaffen zu
wollen.
Am 20. April bestimmte die Oberste Heeresleitung, daß die 6. Armee auf
Abwehr zu stellen sei, aber die Wegnahme von Festubert und Givenchy in ihrer
linken Flanke vorzusehen und die Industrieanlagen bei Béthune dauernd
unter Feuer zu halten habe.
Am 22. April ordnete die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht an, daß bei
glücklichem Fortschreiten des Angriffs der linke Flügel der 4.
Armee, Garde-Reservekorps, und von der 6. Armee III. bayerisches Armeekorps
zum Vorgehen bereit sein müßten; auch im
Ypern-Bogen sei in diesem Falle die Vorwärtsbewegung des Gardekorps
wieder aufzunehmen. In der Nacht vom 22. zum 23. April erfolgte ein heftiger
Vorstoß feindlicher Zerstörer und Motorboote gegen die deutschen
Marineanlagen bei Zeebrügge und Ostende, ein Beweis der beim Gegner
bestehenden Unruhe.
Am 23. April hatte die 6. Armee feindliche Angriffe gegen rechten Flügel
und Mitte abzuwehren. Am Abend setzte X. Reservekorps den vorgeschriebenen
Stoß gegen Höhe südlich Vleugelhoek an, der trotz
Gegensturms Erfolg hatte. Die feindliche Artillerie schoß sehr stark. Auch
hier wurden Franzosen festgestellt. Der 24. April verlief, abgesehen von
örtlichen Gefechten, bei der 6. Armee ruhig.
Am 25. April, dem Angriffstage, herrschte Regenneigung, die sich am Nachmittag
in einem Gewitter löste. Nachdem die Artillerievorbereitung um 3 Uhr
morgens mit Unterstützung der 6. Armee begonnen hatte, stürmte
XVIII. Reservekorps um 645 morgens
Vroilandhoek, das mit seiner Besatzung dem Kemmel-Angriff hindernd im Weg
lag. Um 7 Uhr morgens setzte sich die Infanterie beider Sturmkorps in Bewegung.
Obwohl Engländer und zahlreiche Franzosen zähen Widerstand
leisteten und keine eigentliche Überraschung zustande gekommen war,
schritt der Angriff bei vortrefflicher Artillerie- [449] unterstützung
und schwacher Gegenwirkung der feindlichen Batterien flott voran. XVIII.
Reservekorps nahm in der Front Groote Vierstraat und das Dorf Kemmel und
drang über diese ersten Ziele noch hinaus; in seiner rechten Flanke eroberte
es am späten Abend St. Eloi. Über 3000 Gefangene und 15
Geschütze wurden eingebracht. X. Reservekorps nahm das
Berggelände des Kemmels, Dranoutre, die Höhen nördlich
Vleugelhoek und machte besonders nordwestlich des Kemmels Fortschritte; die
Zahl seiner Gefangenen belief sich auf 1500.
Am Abend ging die vordere Linie der Sturmtruppen vom Nordrand von
St. Eloi über die Gegend nordwestlich von Groote Vierstraat und
östlich von Brulooze nach den Höhen nördlich von
Vleugelhoek. Angesichts der glücklichen Anfangserfolge hatte das
Oberkommando der 4. Armee schon um 10 Uhr vormittags befohlen, daß
XVIII. Reservekorps gegen die Straße
Ypern - Vlamertinghe und gegen den Höhenzug
nordöstlich Reninghelst, X. Reservekorps auf Reninghelst, Linie
Reninghelst - Locre und Gegend westlich von Dranoutre
weitergehen sollten. Das Gardekorps wurde darauf hingewiesen, daß der
Gegner im Ypern-Bogen voraussichtlich seine Rückwärtsbewegung
wieder aufnehmen werde und gegebenenfalls zu verfolgen sei. Der Eindruck
bestand, daß die 4. Armee in den Aufmarsch französischer
Kräfte hineingestoßen war, die die englische Stellungsbesatzung
ablösen sollten. Der Feind war auf den Angriff vorbereitet gewesen; einen
Teil seiner Artillerie hatte er zurückgebracht.
Am 26. April wurde der Angriff bei trübem Wetter fortgesetzt.
Während sich der rechte Flügel des XVIII. Armeekorps bis zum
Südrand von Vormezeele durchkämpfte, hatte der linke schon am
frühen Morgen südlich Dickebusch den erbitterten Gegenangriff
einer französischen und zweier englischen Divisionen abzuweisen, wobei
schwere Verluste eintraten. Die feindliche Artillerie war sehr lebhaft. Es gelang
nicht, am Nachmittag die Vorwärtsbewegung wieder in Fluß zu
bringen. Auch X. Reservekorps kam nicht voran; als aber am Nachmittag ein
französischer Vorstoß an der Straße
Locre - Dranoutre in seine Linien eindrang, wiesen die betroffenen
Truppen diesen Angriff nicht nur ab, sondern nahmen im Nachstoß das Dorf
Locre und den Höhenzug südlich davon in Besitz.
Das Oberkommando der 4. Armee kam zur Überzeugung, daß die
Fortführung der Offensive nur nach neuer planmäßiger
Vorbereitung erfolgen könne; als Angriffstag wurde der 29. April
festgesetzt. Der Feind hatte sich als sehr stark erwiesen; man rechnete auf dem
rechten Flügel des XVIII. Reservekorps mit Teilen von sechs englischen
Divisionen, während die übrige Angriffsfront bis südlich
Locre von etwa vier französischen Divisionen gehalten wurde. Auch vor
der 6. Armee war der Gegner sehr tätig; an verschiedenen Stellen
mußten Vorstöße von ihr abgewehrt werden.
Am 27. April morgens begann der Feind von neuem im Ypern-Bogen zu weichen,
wo sich die Belgier nach Süden bis St. Julien ausgedehnt hatten. Das
Gardekorps verfolgte, konnte aber nur bis zur Linie
Steen-Bach westlich Lange- [450]
marck - Gegend westlich Zillebeke nachdrängen, da der
Gegner wieder Front machte. Voormezeele und der Raum östlich davon
und nördlich St. Eloi fielen in die Hände des XVIII.
Reservekorps der 4. Armee. Im übrigen brachte der
Tag - wie auch bei der 6. Armee - keine besonderen Ereignisse. Der
Angriffsbefehl für X. Reservekorps wurde vom Oberkommando der 4.
Armee dahin erweitert, daß nunmehr, nach dem Fall von Locre, auch
Westoutre zu nehmen sei.
Am 28. April fanden nur örtliche Kämpfe an den vorderen Linien der
4. Armee statt; bei der 6. Armee war es ruhig, der Feind baute eifrig an seinen
Stellungen. An der Küste vor dem rechten Flügel der 4. Armee
schienen sich die Belgier durch Überschwemmungsmaßnahmen
Sicherheit gegen Angriffe schaffen zu wollen.
Am 29. April, einem windigen Tage mit mäßiger Sicht, begannen
XVIII. Reservekorps und X. Reservekorps um 4 Uhr morgens ihr
Vorbereitungsfeuer für die Fortführung des Angriffs, das heftige,
aber allmählich sich abschwächende Gegenwirkung der feindlichen
Batterien hervorrief. Später nach der Vergasung lebte das Feuer des
Gegners wieder auf und wurde sehr stark. Um 640 morgens stürmte die Infanterie, rang
aber nahezu vergeblich um ihr Vorwärtskommen; nennenswerte Fortschritte
wurden nicht gemacht, wenn es auch gelang, die feindlichen Linien westlich
Voormezeele und nordöstlich Brulooze eine Strecke
zurückzudrücken. Als noch am Vormittag ein feindlicher
Gegenstoß die Truppen des X. Armeekorps in der Gegend von Brulooze
und Locre traf und Locre verloren ging, brach das Oberkommando der 4. Armee
in der Erkenntnis, daß hier, wie vorher bei der 6. Armee, durch die
Stärke des Feindes eine Materialschlacht im Entstehen sei, den Angriff ab.
Der Gegner ging darauf seinerseits an mehreren Stellen zur Offensive über,
wurde aber abgewehrt.
Noch am 29. April ordnete das Oberkommando an, daß die Armee
vorläufig auf Abwehr zu stellen sei und sich zur Verteidigung der
bisherigen Errungenschaften einzurichten habe. Die Oberste Heeresleitung
erklärte sich damit einverstanden. Die gesamte
Georgette-Operation war abgeschlossen; die 4. und 6. Armee hatten ihre
Angriffskraft erschöpft, es kam auch nicht mehr dazu, die wichtigen Punkte
Festubert und Givenchy in der linken Flanke zu nehmen.
Ergebnisse der Georgette-Offensive.
Georgette ergab ebenso wie St. Michael eine Hervorwölbung aus der
früheren Front, aber von weit beschränkterer Ausdehnung. Sie war
am stärksten in der Mitte auf dem rechten Flügel der 6. Armee, wo
sie einen Geländegewinn von etwa 18 km darstellte,
schwächte sich nach links etwas ab und verlor nach rechts bei der 4. Armee
ganz bedeutend an Tiefe. Als Gesamtleistung steht Georgette, auch wenn man die
kleineren Ausmaße in Betracht zieht, unter denen die Operation
geführt wurde, hinter St. Michael zurück. Je schmaler die
Grund- [451] lage ist, auf der sich ein
Durchbruchsversuch aufbaut, um so geringer sind die Aussichten auf
durchschlagende Wirkung, weil sich die Gelegenheiten seltener ergeben, durch
überragende Erfolge an einzelnen Stellen das Gesamtergebnis zu
beeinflussen. Georgette erstreckte sich allerdings schließlich vom
La Bassée-Kanal bis zum Houthulster Walde, aber die
Vorwärtsbewegung des Gardekorps im
Ypern-Bogen war kein eigentlicher Durchbruchsangriff, sondern die Verfolgung
des weichenden Gegners. Die ursprüngliche Angriffsfront der 6. und 4.
Armee überragte nicht erheblich den Offensivraum, wie er bei
St. Michael jeder der drei beteiligten Armeen zugebilligt war. Blieb
damals auch die 17. Armee zurück, so kamen doch die 2. und
vorzüglich die 18. Armee flott voran und schufen den mächtigen
Geländegewinn der Michael-Schlacht. So breite
Erfolgsmöglichkeiten waren Georgette versagt.
Dazu kamen die schon mehrfach geschilderten Geländeschwierigkeiten,
die nicht als gering und nebensächlich angeschlagen werden dürfen
und wesentlich zur Erschöpfung der Truppen beitrugen. Daß die
Truppen selbst hinter denen des St. Michael-Angriffs an Eignung
zurückstanden, bestätigte sich und äußerte sich in der
schnelleren Verausgabung der Stoßkraft und im gelegentlichen Abirren von
den vorgeschriebenen Zielen. Die eingesetzten Divisionen ließen zwar die
Angriffsfreudigkeit nicht vermissen; ganz überwiegend gaben sie ihr Bestes
her, um den Sieg zu erkämpfen. Es kam aber doch häufiger als bei
St. Michael vor, daß einzelne Teile von Nebendingen, wie von der
Durchsuchung der Ortschaften und Gehöfte nach Lebensmitteln, von der
Anziehungskraft feindlicher Proviantämter, aus der Hauptrichtung
abgelenkt wurden und dadurch die Führung erschwerten. Trotzalledem
zeitigte Georgette ganz hervorragende Waffentaten, unter denen der
Lys-Übergang auf dem rechten Flügel der 6. und der
Kemmel-Sturm der 4. Armee an erster Stelle stehen. Die Überlegenheit der
deutschen Truppen im Angriff und die deutsche Kunst, die Offensive zu
organisieren und auch gehäufte Schwierigkeiten zu überwinden,
traten abermals in helles Licht.
Daß Georgette nicht den erhofften Erfolg hatte, das
Höhengelände bei Cassel zu gewinnen und damit den ersten
sicheren Sprung zur Küste zu machen, lag nicht zuletzt an der Erstarkung
des feindlichen Widerstandes durch den Zuzug der Franzosen. Die Oberste
Heeresleitung mußte sich mit dem Ergebnis begnügen, den Feinden
einen neuen Schlag versetzt zu haben, der zwar nicht von der gleichen Wucht war
wie St. Michael, aber doch die Zertrümmerung des englischen
Heeres in großem Umfang fortgesetzt und auch den Franzosen schweren
Schaden getan hatte. Die Georgette-Kämpfe hatten mehr als 30 000
Gefangene, über 450 Geschütze und eine große Beute an
sonstigen Waffen und Kriegsgerät erbracht. Dazu kamen die blutigen
Verluste, die beim Verteidiger erfahrungsmäßig weit höher
anzunehmen waren als beim Angreifer. Starke moralische Wirkung konnte also in
dem Sinne erhofft werden, daß der Glaube der Gegner an den Endsieg aufs
[452] neue erschüttert
wurde. Wenn man sich auch bewußt war, daß Georgette nur die
zweite Etappe auf dem Wege zum Siege war und neue Schläge folgen
mußten, um ihn endgültig zu machen, so lag doch keine
Veranlassung vor, die Gesamtlage als ungünstig zu beurteilen.
Die Auffassung der Obersten Heeresleitung war am 30. April folgende:
"Die 4. Armee hat den Erfolg von
Armentières durch die Wegnahme des Kemmels weiter ausgestaltet; die
6. Armee kann in der Lys-Ebene leben. Seit dem 21. März ist die dritte
englische Armee schwer getroffen worden, französische Reserven sind dort
eingesetzt. Das englische Heer ist nicht angriffsfähig, höchstens
gegen den Südteil der 6. Armee sind Vorstöße zu erwarten.
Dagegen können die Franzosen am Kemmel bei der 4. und bei Moreuil an
der Michael-Front angreifen. Wir müssen mit den Gegenangriffen in der
Vorderhand bleiben, daher mit unseren Kräften sparsam sein. Notwendig
ist die Beschießung des französischen Industriegebiets von
Béthune, um zusammen mit dem U-Bootskrieg die Wirtschaftslage der
Entente zu verschärfen. Als Aktivposten können wir die Festigung
der Verhältnisse in Finnland,74 die Versorgungsmöglichkeiten
aus der Ukraine und den bevorstehenden Frieden mit Rumänien
buchen."
Während die Oberste Heeresleitung zur Fortführung der Offensive
rüstete, wozu Vorarbeiten schon im Gange waren, suchten sich die 4. und 6.
Armee in ihren neuen Stellungen zu befestigen. Die erforderliche Sparsamkeit
führte zur Lockerung der Front wenigstens bei der 6. Armee; bei der 4.
Armee am Kemmel wurde hiervon abgesehen, weil noch mit starken feindlichen
Vorstößen gerechnet wurde. Den in der Front eingesetzten Divisionen
konnte Ablösung für die nächste Zeit nicht in Aussicht gestellt
werden; es galt ausgeruhte und geschulte Kräfte für neue Zwecke
bereit zu halten. Die neue Georgette-Front hatte bei dem Mangel an
ausgearbeiteten Stellungen und gegenüber der feindlichen Angriffslust noch
schwere Tage vor sich. Es zeigte sich, daß der Entschluß, die
begonnene Operation einzustellen, noch nicht den Kampf beendet, sofern es dem
Feinde nicht gefällt, sich mit den neuen Verhältnissen
abzufinden.
Feindliche Abwehr der Georgette-Offensive.
Auf englischer Seite war die Möglichkeit eines deutschen Angriffs
nördlich des La Bassée-Kanals schon im März 1918
erwogen worden, als zeitweise trockenes Wetter die Niederungsgebiete an der
Front festzumachen begann. Diese Erwägung hatte aber nicht dazu
geführt, die bedrohten Stellungen durch zurückgehaltene
Kräfte besonders zu stützen; die Aufmerksamkeit war nach
Süden auf die Gefahren gerichtet, die der
St. Michael-Angriff gezeitigt hatte. Am 9. April 1918 wurde
gegenüber der 6. deutschen Armee die Front zwischen dem
La Bassée-Kanal und Armentières von sechs Divisionen
der 1. Armee gehalten, unter denen [453] die beiden
portugiesischen bei Laventie die Mitte bildeten; diese nicht englischen Truppen
galten als besonders ermüdet und waren gerade in der Ablösung
begriffen. Nach Norden anschließend standen vor dem linken Flügel
der deutschen 4. Armee drei Divisionen der 2. Armee zwischen
Armentières und Hollebeke; drei Divisionen der gleichen Armee
verteidigten den nach Osten vorspringenden
Ypern-Bogen und hatten nordwestlich von Langemarck Anschluß an die
Belgier. An Reserven waren zwischen Béthune und Poperinghe hinter der
Angriffsfront vier und eine halbe Divisionen verfügbar; die anderen
englischen Reserven stützten die eingedrückte englische Front
beiderseits der Somme.
Von den Verbänden nördlich des La Bassée-Kanals waren
die meisten abgekämpft; hatten doch von den insgesamt 58 englischen
Divisionen 46 an den St. Michael-Kämpfen teilgenommen. Als am
9. April bei unsichtigem Wetter der Stoß der deutschen 6. Armee erfolgte,
wurde die Stellung der englischen 1. Armee glatt überrannt und im
portugiesischen Frontteil durchbrochen. Die von rückwärts in
Bewegung gesetzten Reserven - zwei Divisionen - konnten erst an
der Lys-Lawe-Linie hilfreich eingreifen. Gegen den Stoß der deutschen 4.
Armee am 10. April auf die englische 2. Armee leistete zunächst nur eine
halbe Division der Reserven bei Wytschaete Unterstützung; die noch
übrigen beiden Divisionen wurden nach Bailleul und in die Gegend
östlich davon vorgeholt, wo sich ihr Widerstand später sehr
bemerkbar machte. Überhaupt setzten sich die englischen Truppen
rücksichtslos ein, nachdem der erste Schreck überwunden war, und
verstanden es, die deutschen Fortschritte zu verlangsamen. Gegenüber der
deutschen 6. Armee wurden vom 11. April an sechs weitere Divisionen
eingeschoben, die von Süden heraneilten und denen es glückte,
namentlich bei Festubert und Givenchy die weitere Ausdehnung des
Geländeverlustes zu hemmen. Trotzdem blieb bei den
unermüdlichen Anläufen der Deutschen und ihrer Beharrlichkeit im
schrittweisen Erkämpfen des Bodens die Lage kritisch, bis
französische Hilfe eintraf.
Der englische Befehlshaber, General Haig, fühlte sich mit seinen stark
geminderten Truppen den deutschen Angriffen auf die Dauer nicht gewachsen und
ging daher den Oberbefehlshaber der Entente Foch um Hilfe an. Dieser General
war zunächst nicht der Ansicht, daß es zweckmäßig sei,
die Engländer unmittelbar zu unterstützen, sondern wollte ihnen
mittelbar durch einen Vorstoß gegen die
St. Michael-Front zwischen Moreuil und Montdidier beistehen; daran
sollten sich aber auch die Engländer durch einen flankierenden Angriff
nördlich von Amiens beteiligen. General Haig wehrte dieses Ansinnen ab;
er glaubte für eine solche Operation keine Kräfte verfügbar zu
haben, so lange bei Armentières der Kampf stand.
Da sich keine Einigung erzielen ließ, gab Foch nach und sandte den
Engländern mit der Bahn eine Anzahl Truppen zu, die etwa vom 15. April
an allmählich in die bedrohte englische Front einrückten. Foch
verfuhr aber sehr vorsichtig und stellte zunächst nur vier Divisionen zur
Verfügung, um für eigene [454] Offensivabsichten
oder, um neuen Stürmen zu begegnen, nicht von Reserven
entblößt zu sein. Am 16. April waren bereits Franzosen an den
Kämpfen bei Wytschaete und Meteren beteiligt, ohne den Fall beider
Stützpunkt abwenden zu können. In den nächsten Tagen
besetzten die französischen Truppen den Raum von nördlich Bailleul
bis zum Kemmel einschließlich, rechts und links von Engländern
eingerahmt, und trugen die Hauptlast der Abwehr der sich mehr und mehr gegen
den Kemmel richtenden deutschen Angriffe.
Durch den Verlust des Kemmels, von Dranoutre und der Höhen
nördlich Vleugelhoek am 25. April erlitten Franzosen und Engländer
eine neue und nach Festigung der Front unerwartete Niederlage. Auch hier
konnten herbeieilende englische Reserven - wenig mehr als zwei
Divisionen - erst hilfreich eingreifen, nachdem die vorderen Stellungen
überrannt waren. Die deutsche Offensive kam allerdings zum Stehen, aber
die nunmehr einsetzenden Gegenstöße der Ententetruppen machten
die erlittenen Einbußen trotz gelegentlicher Vorteile nicht wieder wett.
Hatten sie hier Gelände unter dem überlegenen Druck der deutschen
Angriffe preisgegeben, so vollzog sich weiter nördlich die Aufgabe der
ursprünglichen Stellungen nach dem Willen der Führung. Um
Truppen zu sparen und der Ausdehnung der deutschen Offensive nach Norden
zuvorzukommen, wurde schon in der Nacht vom 12. zum 13. April begonnen, die
Truppen in dem nach Osten vorspringenden Ypern-Bogen bis hinter den
Steen-Bach zurückzunehmen; bis zum 16. April war diese Bewegung, der
die Deutschen folgten, vollzogen. Am 27. April sah sich die englische
Führung unter der Wirkung der deutschen Erfolge am Kemmel von neuem
genötigt, die Front noch näher an Ypern zurückzuziehen,
wobei es zu Zusammenstößen mit den nachdrängenden
Deutschen kam, an denen sich auch der rechte Flügel der Belgier
beteiligte.
Mit dem Ende des Monats flauten die Kämpfe auf der ganzen deutschen
Angriffsfront ab. Wenn es die Engländer auch als einen Erfolg
verkündeten, daß sie mit französischer Hilfe dem deutschen
Stoß nicht völlig erlegen waren, so sah man doch nur mit Sorge in die
nächste Zukunft; denn wenn es den Deutschen auch dieses Mal nicht
gelungen war, die englische Front zu zerbrechen, so konnten sie bei ihrer
unerschöpflich scheinenden Angriffskraft doch den Versuch mit besserem
Glück demnächst wiederholen. Von den 58 englischen Divisionen
waren in die Kämpfe an der Lys abermals 25 eingesetzt worden, und die
Verluste an Gefangenen, Toten und Verwundeten wie auch an Kriegsgerät
erwiesen sich als recht schwer. Ohne Unterstützung durch die
Bundesgenossen glaubten die Engländer nicht mehr auskommen zu
können.
In der Tat beherrschte die ängstliche Frage, wo der nächste deutsche
Schlag fallen werde, die Gemüter der gesamten Entente. Die deutschen
Angriffe des Jahres 1918 zeitigten Erfolge, wie sie bis dahin in der Geschichte des
Stellungskrieges unerhört waren. Der Oberbefehlshaber Foch, der zwar
zeitweise eigene [455] Angriffspläne
verfolgte, es aber immer wieder für geratener hielt, bis zur erhofften
Erschöpfung der Deutschen in der Abwehr zu bleiben, erkannte sehr wohl,
daß es jetzt vor allem darauf ankomme, die Engländer vor
völliger Zertrümmerung zu bewahren. Er sandte daher seine
Reserven in der Mehrzahl nach Flandern und an die Somme, wo er die
nächsten deutschen Unternehmungen voraussetzte. Dadurch wurde
allerdings der französische Frontteil entblößt; aber wenn er
angegriffen werden sollte, konnte es sich wohl nur um einen Stoß handeln,
der von der Hauptoperation gegen die Engländer ablenken sollte. Mit echt
französischem Selbstgefühl glaubte man sich solcher
Möglichkeit gewachsen.
Es ergab sich also das Bild, daß der Schwerpunkt der Heereskraft der
Entente hinter den linken Flügel der Gesamtfront verlegt wurde; von 83
zurückgehaltenen Divisionen standen 58 zwischen dem Meer und der Oise.
Im übrigen aber sorgte Foch für Mehrung der verfügbaren
Kräfte. Brauchbare französische Divisionen wurden auf den
anscheinend nicht bedrohten Frontstrecken durch abgekämpfte englische
Verbände und durch Amerikaner ersetzt. Es kam ihm zugute, daß die
französische Ersatzlage um einen Jahrgang günstiger als die deutsche
war; auch die Engländer konnten wieder gefestigt werden, wenn es einige
Zeit ruhig blieb, und die Amerikaner in ihrer wachsenden Stärke bildeten
den Hoffnungsanker für alle schweren Lagen, die die deutsche Angriffslust
noch heraufbeschwören konnte.
|