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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 8: Die deutschen Angriffe des Jahres 1918   (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries

[424] 5. Erzengel-Angriff und Georgette-Offensive.50

Feindliche Maßnahmen nach Beginn der St. Michael-Offensive.

Der deutsche Angriff am 21. März 1918 war für die betroffene englische 3. und 5. Armee eine Überraschung in doppelter Beziehung. Über den Zeitpunkt der erwarteten Offensive hatte man keine Klarheit gehabt; nur bei zwei Divisionen vor der Front der deutschen 2. Armee soll der 20. oder 21. März als voraussichtlicher Angriffstag bezeichnet gewesen sein, ohne daß dem besondere Beachtung geschenkt wurde, weil ähnliche Voraussagen keine Seltenheit im Stellungskriege waren. Dann überraschte aber auch die kurze Dauer des Vorbereitungsfeuers. Die deutsche Infanterie

Sturmangriff bei Armentières im Frühjahr 1918.
Sturmangriff bei Armentières im Frühjahr 1918.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 83.
entstieg ihren Gräben und Stellungen in einem Augenblick, in dem man auf den Stoß noch nicht gefaßt war. Das deutsche Artilleriefeuer war von nie erlebter Heftigkeit, lag und wirkte ausgezeichnet; weniger schädigend zeigte sich das Gas, das mit Hilfe der aufgesetzten Maske im allgemeinen gut vertragen wurde, aber doch dazu beitrug, die Bewegungs- und Entschlußfähigkeit zu hemmen.

Das Maß des geleisteten Widerstandes war sehr verschieden. Die ersten Gräben wurden fast überall anstandslos überrannt; dann ergaben sich an manchen Stellen schwere Kämpfe mit den zurückgehaltenen englischen Kräften, die von fern und nah herbeieilten, um die wankende Front zu stützen. Eine besondere Rolle spielten hierbei gut eingebaute Maschinengewehre, während die englische Artillerie nur mit einzelnen Batterien feuerte. Je nach dem Maße des feindlichen Gegenhaltens drangen die Deutschen langsamer oder schneller vor; jedenfalls aber kam es am ersten Angriffstage auch in den folgenden Tagen nicht dazu, ihnen mit groß angelegten Gegenstößen Aufenthalt zu bereiten. Die englische 5. Armee war völlig geschlagen und hatte schwerste Einbußen, bevor ihr Hilfe gebracht wurde. Günstiger stand es mit der 3. Armee, der von der nördlichen englischen Front Reserven zuströmten.

Wie sich in der unteren Führung Verwirrung und Kopflosigkeit zeigte, so mangelte auch der oberen Leitung zunächst Entschlossenheit und Tatkraft. Die Nachteile des Mangels einheitlicher Oberleitung und einer Hauptreserve machten sich in lähmender Weise geltend. Es war selbstverständlich, daß der englische Oberbefehlshaber Haig über seine Reserven zur Stützung der eingedrückten Front verfügte; aber da, wo der Einsatz frischer Kräfte am nötigsten war, bei der 5. Armee, die sich auf den französischen Nachbar angewiesen sah, wurde verhandelt und nicht gehandelt.

Der französische Oberbefehlshaber Pétain sah den Angriff gegen die Engländer nicht als den deutschen Hauptstoß an, sondern erwartete ihn bei Reims gegen die eigene Front.51 Wohl kam man am 23. März überein, daß die Fran- [425] zosen den Frontteil der Engländer von Barisis bis Péronne übernehmen sollten, indem sie sich über Chauny, Noyon und Montdidier ausdehnten, aber noch am 24. März erklärte Pétain, daß er nicht mehr als drei Divisionen abgeben könne, weil es für ihn wichtiger sei, die französische Front zu halten. Zwei französische Divisionen, die an diesem Tage am rechten Flügel der Engländer eingesetzt wurden, gingen im allgemeinen Strudel unter.

Erst am 24. März begannen bei den Franzosen Transportbewegungen, die der Hauptgefahrsstelle südlich der Somme Hilfskräfte in größerem Umfange zuführen sollten. Inzwischen wich die englische 5. Armee immer weiter auf Amiens zurück; sie hörte am 26. März auf, als Kampfkörper zu bestehen, und zwischen Engländern und Franzosen klaffte tatsächlich eine Lücke. Die Rückwirkung dieser Ungunst der Lage war gewaltig; man dachte vorübergehend an die Räumung von Paris und Rettung der englischen Armee durch Einschiffung an der Nordküste Frankreichs. Die große Bedeutung von Amiens für die Verbindung zwischen den beiden Verbündeten trat in hellstes Licht; man war nicht im Zweifel, daß der Verlust dieses Eisenbahnknotenpunktes den deutschen Sieg und die eigene Niederlage bedeutete. Auch darüber wurde man sich klar, daß eine solche Wendung den Kampfwillen der Völker auf das schwerste erschüttern würde. Dringende Hilferufe gingen von London an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Nach erregten Verhandlungen zwischen Paris und London, die zu gegenseitigen Beschuldigungen führten, trat am 26. März in Doullens - dem Ziele des linken Flügels der deutschen 17. Armee - ein großer Kriegsrat zusammen, dem von englischer Seite der Kriegsminister Lord Milner, der Chef des Generalstabes General Wilson, der Oberbefehlshaber Haig, von französischer Seite der Präsident der Republik Poincaré, der Ministerpräsident Clemenceau, der Oberbefehlshaber Pétain und der Chef des Generalstabes General Foch beiwohnten. General Pétain erklärte sich zur Hilfe bereit, wollte aber nicht viel mehr als 15 Divisionen stellen. Englischerseits wurde diese Unterstützung als unzureichend zur Rettung von Amiens bezeichnet. Indes schien man dieser schwächlichen Lösung zuzuneigen, stellte auch die Frage der gemeinsamen Oberleitung zurück. Da griff Lord Milner ein, der sich ebenso wie General Foch das starke Vertrauen auf die Möglichkeit der Rückkehr des Kriegsglückes bei tatkräftigem Handeln bewahrt hatte. Er schlug Clemenceau in einer Sonderunterredung Foch als gemeinsamen Oberbefehlshaber vor und ereichte die Zustimmung der Franzosen, ebenso wie die der Vertreter Englands. Pétain und Haig erklärten sich zur Unterordnung unter Foch bereit.

In der wieder zusammengetretenen Vollversammlung einigte man sich schnell auf folgenden Beschluß: "Le général Foch est chargé pas les Gouvernements britannique et français de coordonner l'action des armées alliées sur le front ouest. Il s'entendra à cet effet avec les [426] Généraux-en-chef qui sont invités à lui fournir tous les renseignements nécessaires."

Das war zwar noch keine formale Übertragung des Oberbefehls, kam ihr aber in den praktischen Ergebnissen so gut wie gleich. Am 3. April 1918 wurde der Beschluß dahin erweitert, daß General Foch die strategische Leitung der Operationen erhielt, während den bisherigen Oberbefehlshabern volle Freiheit in der taktischen Führung und das Recht der Berufung an ihre Regierungen verbleiben sollte, falls ihre Truppen durch Befehle des Generals Foch gefährdet würden. Erst nach neuen deutschen Schlägen kam man am 24. April überein, Foch den Oberbefehl über die verbündeten Armeen bedingungslos zu übertragen. Die Schwächen der Koalition waren überwunden.

Tatsächlich bedeutete die Schilderhebung des Generals Foch die Rettung aus der nächsten Gefahr weniger durch die von der Entente vorausgesetzten Feldherrneigenschaften dieses Mannes, als durch die Sicherstellung einheitlichen Handelns, die zeitlich mit dem Erlahmen der deutschen Angriffskraft zusammentraf. Als am 30. März General Gough mit den Resten der englischen 5. Armee bei Amiens anlangte, war noch immer kein genügender Schutz dieser Stadt vorhanden; schon aber waren alle nur irgend entbehrlichen Kräfte - insgesamt etwa 20 Divisionen - von Foch dorthin in Bewegung gesetzt, denen die Stockung der deutschen Vorwärtsbewegung in den ersten Apriltagen zugute kam. Als die Deutschen am 4. April von neuem mit dem Ziele Amiens angriffen, trafen sie auf eine gefestigte Front, die die ermüdeten Truppen der deutschen 2. und 18. Armee nicht mehr zerbrechen konnten. Die deutsche Offensive kam zum Stehen. Die französische Front dehnte sich nach Norden nunmehr bis zum Luce-Bach aus und wurde später noch bis Villers Bretonneux erweitert. Bei den Kämpfen um diesen Abwehrerfolg hatten auch schon amerikanische Truppen mitgewirkt, deren Zahl auf französischem Boden sich im Monat April auf 434 081 erhöhte.

Nachdem Amiens gerettet war, sorgte Foch für die Schaffung beweglicher Reserven, die in der Front der Champagne und den aus Italien zurückberufenen Truppen entnommen wurden. Er dachte jetzt an eigene Offensive, wollte die Franzosen bei Montdidier, die Engländer beiderseits der Somme angreifen lassen. Letzteres war besonders kühn, da die Verfassung der meisten englischen Truppen nach den letzten Einbußen wenig günstig, auch die Menge der verlorenen Geschütze noch nicht ergänzt war, woran in England nach Lord Milners Anordnung fieberhaft gearbeitet wurde. Da zeigten neue Schläge, daß die Deutschen noch nicht gesonnen waren, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen.


Erzengel-Angriff.52

Der Versuch, den Erzengel-Angriff in den Rahmen der St. Michael-Operation einzupassen und ihn durch die Zielsteckung gegen die Aisne zwischen Compiègne [427] und Fontenoy zu erweitern, war gescheitert.53 Es trat nunmehr wieder der ursprüngliche, zeitlich abgesetzte Erzengel-Angriff in den Vordergrund, der zugunsten der 18. Armee ablenkend wirken, aber nach dem Vorschlag der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz nicht nur den Niederwald von Coucy erfassen, sondern den Feind zwischen Bichancourt und Brancourt über die Ailette und den sie begleitenden Oise-Aisne-Kanal werfen sollte. Am 31. März wurde dieser Angriff auf den 8. April festgesetzt; er war vom VIII. Reservekorps54 mit einer Division von Norden über Condren und Servais, mit drei Divisionen von Osten aus der Linie Barisis au Bois - Fresne zu führen, während das VIII. Armeekorps55 zur Ablenkung und Sicherung mit zwei Divisionen von Abbécourt und Chauny nach Süden vorstoßen sollte.

Das Oberkommando der 7. Armee plante, sich vor Ausführung der Offensive in den Besitz der Zwillingshöhe von Amigny zu setzen, um dem Gegner die Einsicht in die Vorbereitungen zu erschweren und die Angriffsbedingungen günstiger zu gestalten. Am 2. und 3. April wurden die Befehle für das Gesamtunternehmen gegeben. Hiernach hatte VIII. Reservekorps, dem die Führung übertragen wurde, am 6. April mit seinem rechten Flügel die Amigny-Höhen zu nehmen und die Linie Gegend von Sinceny - Barisis au Bois zu erreichen. Gleichzeitig sollte VIII. Armeekorps die südlich der Oise gelegene Vorstadt von Chauny erobern und sich des Dorfes Sinceny bemächtigen. Fortsetzung des Angriffs bis zur Ailette war nach zwei Tagen geplant; als Ziel wurde dem VIII. Armeekorps die Linie Champs - Folembray, dem VIII. Reservekorps die Linie Folembray - Höhen südlich Fresne vorgeschrieben.

Die deutsche Stellung, aus der der Angriff geführt werden sollte, war von Baboeuf bis Tergnier nach Südosten gerichtet, bog hier, durch die Oise-Niederung unterbrochen, nach Süden um und lief mit südwestlicher Front aus der Gegend von Servais über die Waldnase östlich von Barisis au Bois nach Fresne. Von Chauny war nur der nördlich der Oise gelegene Hauptteil des Ortes deutsch. Der Angriff von Norden führte in den breiten Oise-Grund hinein, der die Truppenbewegung im allgemeinen an die Straßen bannte. Dann mußte der südliche Höhenrand der Niederung erstiegen werden, der in eine hügelige Hochfläche übergeht, die den Niederwald von Coucy trägt. Von Abbécourt und Chauny her war der Wald östlich der Ailette zu umgehen.

Ebenso konnte der von Osten zu führende Hauptstoß ihn im allgemeinen vermeiden und das offene Gelände nordöstlich von Folembray aufsuchen. Nur von Condren und Servais her, also in der Mitte des Gesamtangriffs, war geplant, über Amigny in den Wald einzudringen. Der Feind, aus Engländern und Franzosen gemischt, welch letztere sich von Barisis au Bois bis Amigny ausge- [428] dehnt hatten, hielt vor der Linie Baboeuf - Chauny den südlichen Höhenrand der Oise sowie die südliche Vorstadt von Chauny; östlich Amigny bog seine Front nach Süden um und verlief, nahe dem Ostrande des Niederwaldes von Coucy, diesen durchschneidend, auf Barisis und in die Gegend westlich von Fresne. Dem Gegner kam das schlechte Aprilwetter zugute, das die Niederung der Oise ansumpfte und die Wasserläufe steigen ließ.

Von den sechs Divisionen, die den Angriff zu führen hatten, waren drei Mob.-Verbände, die bisher beim St. Michael-Unternehmen noch nicht eingesetzt waren; die übrigen entbehrten der besonderen Ausbildung und Ausstattung für die Frühjahrsoffensive. Die Gefechtsverhältnisse gestalteten sich in den letzten Tagen vor dem Stoße ruhig. Am 6. April, 330 morgens, begann die Artillerievorbereitung; die feindliche Gegenwirkung war im allgemeinen gering. Die losbrechende Infanterie des VIII. Armeekorps bemächtigte sich im ersten Anlauf, über die Wasserläufe setzend, der südlichen Vorstadt von Chauny, richtete dort einen Brückenkopf ein, wies einen Gegenangriff ab und sicherte die Herrichtung von zwei Pontonbrücken, die in kurzer Zeit fertiggestellt waren. Nicht minder erfolgreich war VIII. Reservekorps. Die Zwillingshöhe von Amigny wurde im Sturm genommen, der Angriff bis an und über die Linie Amigny - Bahnhof Barisis au Bois vorgetragen.

Schon um 9 Uhr vormittags ordnete das Oberkommando der 7. Armee an, daß der Erfolg zur Gewinnung der Bahnlinie Chauny - Barisis au Bois auszunutzen sei. Am Nachmittag nahm VIII. Armeekorps von Abbécourt her Marizelle, Bichancourt und Sinceny, VIII. Reservekorps die als Ziel gesetzte Strecke. Auf diese Weise war in die feindliche Stellung bei Amigny ein Loch von 10 km Breite und 6 km Tiefe geschlagen. Der feindliche Widerstand war zähe gewesen; der Feind hatte schwere Verluste und verlor mehr als 900 Gefangene. Das Armee-Oberkommando beschloß, den eigentlich erst für den 8. April angesetzten Hauptangriff bis zur Ailette bereits am nächsten Tage, dem 7., zu führen, gedachte am linken Flügel des VIII. Reservekorps noch eine weitere Division einzusetzen und da, wo Ailette und Oise-Aisne-Kanal südlich Chauny erreicht werden würden, kleine Brückenköpfe anzulegen, um sich die Möglichkeit weiteren Vorgehens offen zu halten. Bei Condren wurde gleichfalls eine Brücke geschlagen, starke Artillerie der Infanterie nachgezogen.

Am 7. April morgens wurde das Hauptunternehmen durch Beschießung der feindlichen Artillerie und der Angriffsziele eingeleitet. Um 830 morgens griff die Infanterie des VIII. Armeekorps auf Le Bac d'Arblincourt und Pierremande an; um 930 folgte der Stoß des VIII. Reservekorps gegen die Linie Pierremande - Gegend südlich Barisis au Bois. Überall wich der Feind bei mäßigem Widerstand zurück. Gegen 10 Uhr vormittags lief beim Armee-Oberkommando der Befehl der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz ein, bei günstigem Fortschreiten den Angriff auf das hochgelegene Coucy le Château auszudehnen, [429] um auch die Ailette- und Kanal-Übergänge südlich dieses Ortes in die Hand zu bekommen.

Erzengel-Angriff am 6. April 1918

[429]
      Skizze 23: Erzengel-Angriff am 6. April 1918.

Bis Mittag erreichte die Infanterie die Linie Gegend bei Pierremande - Höhen südlich Barisis au Bois und stand am Abend mit dem rechten Flügel bei Bichancourt und Champs an der Ailette, auf dem westlichen Kanalufer mit dem Bau von Brückenköpfen beschäftigt; der linke Flügel besaß Folembray und die Höhen dicht südwestlich von Fresnes. Das Armee-Oberkommando hatte inzwischen, entsprechend der Weisung der Heeresgruppe, befohlen, daß sich VIII. Reservekorps der Kanalübergänge aufwärts von Champs bemächtigen solle, sah aber bei dem kräftigen Widerstand, der noch bei Coucy le Château und östlich davon geleistet wurde, davon zunächst ab und befahl stärkste Artillerievorbereitung zur Fortführung des Angriffs.

Am 8. April griff auf dem rechten Flügel VIII. Armeekorps von Champs nach Süden an und gelangte mit verhältnismäßig geringer Mühe bis an die Linie Guny - Coucy la Ville. Der Oise-Aisne-Kanal und die Ailette waren nunmehr von der Kanalmündung bei Abbécourt bis Guny in seiner Hand [430] oder wenigstens durch Nahfeuer beherrscht. Der linke Flügel - VIII. Reservekorps - fand vor dem ragenden Kegel von Coucy le Château äußerst schwierige Kampfverhältnisse, da der Gegner sein Artilleriefeuer vom Südufer der Ailette auf das Vorgelände dieser wichtigen Stellung vereinigte. Nach heftigem Ringen und einzelnen Rückschlägen gelang es, sich bis an den Fuß der Höhe heranzuarbeiten. Dagegen ging es weiter östlich auf der Hochfläche südlich von Fresne flott voran; die Straße Coucy le Château - Brancourt wurde erreicht, teils überschritten und die neugewonnene Linie nach Südosten bis zum Mortierwalde südlich Brancourt ausgedehnt.

Am Abend faßte VIII. Reservekorps vor Coucy le Château noch einmal seine Kraft zusammen und erstürmte die steilen Hänge der alten Bergfeste, ein außerordentlicher Erfolg zähen Angriffswillens, vortrefflich unterstützt durch die Artillerie, die durch das waldige, schluchtenreiche Gelände ihren Weg in neue Stellungen vor dem Ziele gefunden hatte. Die Oberste Heeresleitung sandte Befehl, daß der weitere Angriff nicht über die Ailette hinausführen solle, aber die Überschreitung planmäßig vorzubereiten sei.

Am 9. April kämpften sich beide Korps an die Ailette und den Kanal heran, soweit die Wasserläufe noch nicht erreicht waren, während der Feind auf dem anderen Ufer seine Artillerie abfuhr. Die Ailette- und Kanalniederung bildete nunmehr von Abbécourt bis zum Mortierwald das Fronthindernis des rechten Flügels der 7. Armee, die in den nächsten Tagen daranging, sich in dem genommenen Gebiet einzurichten, den Erfolg zu sichern und für weiteres Vorgehen befehlsmäßig Anordnungen zu treffen, die unter dem Decknamen "Wartenburg" betrieben wurden.

Eine Gruppe Gefangener.
Eine Gruppe Gefangener aus den Kämpfen
zwischen Chauny–Coucy-le-Château:
Weiße und farbige Engländer und Franzosen.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 255.
Der Sieg der 7. Armee erbrachte mehr als 2000 Gefangene und reiche Beute an Kriegsgerät. Da der Stoß von vornherein mit beschränktem Ziel geführt wurde und der Gegner die Entschuldigung für sich hatte, aus kaum haltbaren, von Norden und Osten umfaßten Stellungen gewichen zu sein, konnte die moralische Bedeutung des Erfolges nicht allzu hoch gewertet werden. Er war aber doch von Wichtigkeit für die Lage des linken Flügels der 18. Armee, indem er den Zustand beseitigte, daß der Feind mit seinen Stellungen östlich der Ailette tief in die Flanke eingriff und die rückwärtigen, über La Fère führenden Verbindungen bedrohte. Die 7. Armee gewann für sich den Vorteil erheblicher Frontverkürzung nach vorwärts.

Der Sieg fiel in die Tage, in denen sich die feindliche Oberleitung mit eigenen Offensivgedanken trug. Schwerlich hätte er ausgereicht, um den Feinden zu zeigen, daß ihre Zeit noch nicht gekommen war. Das bewirkte erst der Georgette-Angriff, der neue deutsche Schlag im Norden bei Armentières, der am 9. April niedersauste, gerade, als die 7. Armee beschäftigt war, ihren Gewinn durch Ausräumung der letzten feindlichen Widerstandsnester diesseits der Ailette zu vervollständigen.


[431] Georgette-Angriff.56

Nach dem Willen der Obersten Heeresleitung sollte Georgette nach Abschluß der St. Michael-Operation der zweite Kampfakt der Frühjahrsoffensive werden.57 Infolge des Kräfteverbrauchs an der Somme war es unmöglich, ihm die machtvolle Gestaltung zu verleihen, die bei den ersten St. Georg-Entwürfen der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht vorgeschwebt hatte. Nach der Schwächung der Engländer im St. Michael-Ringen und bei der natürlichen Anziehungskraft, die die kaum stillgelegte neue Kampffront beiderseits der Somme auf die feindlichen Reserven ausüben mußte, konnte man immerhin hoffen, daß Georgette auch in seiner durch die Verhältnisse gebotenen schmalen Fassung zum mindesten einen Erfolg erbringen werden, der die Feinde abermals auf das schwerste erschütterte. Sollte es nicht dazu kommen, den erstrebten Bewegungskrieg in Fluß zu bringen, so war die Oberste Heeresleitung nicht im Zweifel, daß der Versuch, die Engländer entscheidend zu schlagen, nach einiger Zeit wiederholt werden müsse.

Noch unter der Voraussetzung, daß Georgette im Zusammenhang mit Mars, zeitlich nach ihm und nach Walkürenritt, zu führen sei,58 legte das Oberkommando der 6. Armee am 26. März seinen Angriffsplan der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht vor. Entsprechend den Absichten der Obersten Heeresleitung wies es darauf hin, daß Georgette nur für den Fall in Aussicht genommen sei, daß der auf Houdain zu richtende Angriff des linken Armeeflügels, Walkürenritt, nicht schon die feindliche Front von Süden her aufrollen sollte. Der Kräftebedarf wurde auf zehn Divisionen, darunter vier Stellungsdivisionen, und im Höchstfalle auf 300 Feld- und 200 schwere Batterien angesetzt. Der Stoß war aus der allgemeinen Linie: Gegend von Armentières - La Bassee mit der Angriffsmitte in der Richtung auf Hazebrouck, also in nordwestlicher Richtung zu führen, sollte die feindliche Front namentlich in den portugiesischen Stellungen südöstlich Estaires durchbrechen und seitlich bis in die Gegend von Armentières überrennen, um den Feind zum Rückzug hinter die Lys zu zwingen. Vier Divisionen hatten den Frontangriff vorzutragen, zwei am La Bassee-Kanal die linke Flanke zu sichern, zwei hinter dem rechten Flügel zu folgen, um nach dem Einbruch nach Norden zu schwenken; zwei sollten hinter der Mitte die Reserve des Oberkommandos bilden. Der Bearbeitung des Angriffsplanes durch die unterstellten Generalkommandos war der alte Entwurf "St. Georg 1" zugrunde zu legen, der so eingehend ausgestaltet war, daß baldige Schlagbereitschaft erwartet werden konnte.

Am 28. März scheiterte der Mars-Angriff; nach Weisung der Obersten Heeresleitung fiel nun auch Walkürenritt aus, sie legte aber Wert darauf, daß [432=Karte][433] Georgette als neuer Schlag gegen die Engländer von der 6. Armee und im Zusammenhang damit Flandern 459 von der 4. Armee beschleunigt vorbereitet wurde.60 Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wies am 29. März die 6. Armee darauf hin, daß Georgette möglichst stark und breit gemacht werden müsse, und stellte ihr ein Generalkommando, sieben Verstärkungsdivisionen und 134 Batterien, zum Teil von der 17. Armee, in Aussicht. Mit dem Angriffsentwurf vom 26. März erklärte sie sich im allgemeinen einverstanden und betonte, daß der Stoß nach Norden, um Flankierung auszuschalten, bis Bois Grenier, Fleurbaix und Sailly südlich Armentières auszudehnen sei. Gleichzeitig ordnete sie an, daß die nördlich benachbarte 4. Armee nach Georgette den Angriff "Flandern 4" von Dixmude gegen den Loo-Kanal führen, sich aber auf Eroberung des Küstengebiets südlich Nieuport beschränken solle, wenn die verfügbaren Kräfte ihr nicht genügend erschienen.

Georgette-Angriff

[432]
      Skizze 24: Georgette-Angriff.

Die Witterung war in den letzten März- und in den ersten Apriltagen für Unternehmungen in den feuchten Niederungsgebieten von Lys und Lawe und in Flandern wenig günstig. Am 30. März befahl die Oberste Heeresleitung, daß der Zeitpunkt für Georgette von der Wetterlage abhängig zu machen und Flandern 4 nur insoweit vorzubereiten sei, als es mit ihr in Einklang gebracht werden könne. Als aber der große Angriff gegen die Franzosen südlich der Somme am 30. März gescheitert war und die Notwendigkeit eines neuen Schlages gegen die Engländer immer schärfer hervortrat, setzte sie am 31. März den Termin für Georgette auf den 7. oder 8. April fest und verschob ihn schließlich am 5. April auf den 9. des gleichen Monats. Sie bemühte sich dauernd, möglichst viel Kräfte dafür freizumachen, um dem Stoße Wucht zu verleihen, vorläufig ohne die Michael-Front weitgehend in Anspruch zu nehmen.

Am 31. März erhielt die 4. Armee von der Heeresgruppe Rupprecht die Weisung, sich, abgesehen von der Vorbereitung für Flandern 4, zur Unterstützung der 6. Armee durch erhöhte Tätigkeit und im Falle eines großen Erfolges von Georgette zum Vorgehen mit ihrem linken Flügel bereitzumachen. Vier Divisionen und 18 schwere Batterien waren hierzu sicherzustellen. Auch die südlich der 6. Armee benachbarten Heeresverbände sollten Unterstützung leisten; am 6. April befahl die Heeresgruppe der 17. und 2. Armee, im Zusammenwirken mit Georgette den Feind zu fesseln, wozu artilleristische Tätigkeit und offensichtliche Offensivvorbereitungen, möglichst auch örtliche Unternehmungen geboten seien. Sobald Georgette wirksam werde, am 10. oder spätestens am 11. April, sei der Gegner durch begrenzte Vorstöße in Unruhe zu halten, um ihn zu verhindern, Kräfte nach Norden wegzuziehen. Am 8. April ordnete die Heeres- [434] gruppe weiter an, daß sich beide Armeen zur Abgabe von Truppen bereit halten sollten, wenn Georgette zu einem großen Erfolge werden würde.

Armentières, April 1918.
Armentières. Ordnungsmannschaften sorgen
für geregelten Verkehr während der Offensive
im April 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 102.

Kurze Rast durchziehender Truppen in Armentières bei Lille.
Kurze Rast durchziehender Truppen
in dem im April 1918 genommenen Städtchen
Armentières bei Lille.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 103.

Der zerschossene Bahnhof von Armentières. April 1918.
Der zerschossene Bahnhof von Armentières.
April 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 104.
Am 3. April gab die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht der 6. und der 4. Armee die Richtlinien für die Führung der Georgette-Operation. Die 6. Armee, deren Angriffskräfte allmählich auf 17 Divisionen gebracht wurden, sollte mit dem rechten Flügel südlich Armentières vorgehen, über Bailleul und Godewaersvelde den Besitz des Höhengeländes bei Cassel und Zuytpeene erstreben; gegen Armentières war zu sichern, die dazu bestimmte Abteilung hatte sich über Steenwerck gegen die Höhen nördlich Bailleul zu wenden. Die Mitte wurde auf die Aire-Kanal-Strecke zwischen St. Omer und Aire angesetzt, um sich der dortigen Übergänge zu bemächtigen. Der linke Flügel erhielt die Kanalstrecke Aire - St. Venant als Ziel und sollte weiter südlich die Clarence-Übergänge zwischen Merville und Choques, das Höhengelände von Béthune und den La Bassee-Kanal zwischen Béthune und La Bassee in Besitz nehmen. Der Schwerpunkt des ganzen Angriffs war auf Hazebrouck zu richten.

Die 4. Armee hatte sich in Linie Hollebeke - Frélinghien bereitzustellen, um auf Messines und Wulverghem vorzustoßen, sobald die feindliche Front nördlich Armentières wankte. Hierbei war die Höhe von Messines zu nehmen und gegen den Kemmel zu decken; dann sollte Neuve Eglise erobert werden, um Anschluß an Georgette zu gewinnen. Gegen den Ypern-Bogen waren stärkere Kräfte bereitzustellen. Im Erfolgsfalle sollte auch weiter nördlich angegriffen werden, um die gemachten Fortschritte in weitgehender Weise auszunutzen.

Diese Angriffsweisung zeigt, daß die Heeresgruppe eine sehr starke und ausgedehnte Flankensicherung auf dem Südflügel für nötig hielt, um den Sieg weiter nördlich zu vollenden. In der Tat waren hier Störungen durch englische und anbeförderte französische Reserven zu erwarten. Entscheidend für den Erfolg war die Wegnahme der Höhen von Cassel über Godewaersvelde. Für die Zertrümmerung der englischen Streitmacht konnte das aber nur der erste Schritt sein. Weitere Stöße mußten folgen und waren von der 4. Armee zu führen. Die Heeresgruppe dachte dabei an einen Angriff aus dem Houthulster Walde (Tannenberg) und an Flandern 4 von Dixmude gegen den Loo-Kanal. Die 4. Armee sollte aber erst dann zufassen, und zwar zunächst auf Messines, wenn Georgette den ersten Sprung vorwärts gemacht hatte. Ihr Einsatz war für den 10. April geplant. Armentières wurde ausgespart und sollte durch Umfassung beider Armeen fallen. Über den taktischen Durchbruch hinaus wurden noch keine Vorschriften gegeben.

Zweifellos bedeutete die Bindung der 4. Armee an den ersten Erfolg der 6. eine Abschwächung der Schlagkraft des Angriffs. Bis zum 7. April wurde hieran festgehalten; am Abend dieses Tages aber befahl die Oberste Heeresleitung endgültig, daß die 4. Armee am 10. April auf Messines und Wulverghem vorzustoßen habe, um der 6. Armee vorwärts zu helfen. Georgette wurde dadurch [435] auf eine breitere und festere Grundlage gestellt und reichte nun in der Ausdehnung an die alten St. Georgs-Pläne heran, umfaßte jedoch noch nicht, wie diese, die Eroberung der wichtigen Kemmel-Höhe und stand auch in der Kräftezumessung zurück.61

Stellung einer Geschützbatterie vor La Bassée. Aufnahme Februar 1918.
Stellung einer Geschützbatterie vor La Bassée.
Aufnahme Februar 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 73.
Die Front der 6. Armee, im Norden von der 4., im Süden von der 17. Armee eingefaßt, dehnte sich nach Westen gerichtet vom rechten Flügel bei Frélinghien bis zum linken Flügel östlich Vimy aus. Im Norden umspannte sie das im feindlichen Bereich liegende Armentières, sprang dann nach Westen vor und lief in mäßig vorgewölbtem Bogen, La Bassee und Lens umfassend, bis zum südlichen Endpunkt. Die Stellung wurde von Wasserläufen geschnitten und durchbrochen, von denen Lys und der La Bassee-Kanal die wichtigsten sind. Beide setzen sich im Angriffsgebiet fort, die Lys von Frélinghien über Armentières, Estaires, Merville und Aire, dort in den Aire-Kanal übergehend; der La Bassee-Kanal von La Bassee über Béthune gleichfalls dem Aire-Kanal bei Aire zustrebend. Lys und La Bassee-Kanal sind zwischen Estaires und Béthune durch die Lawe verbunden. Lys und Lawe bildeten einen starken Abschnitt vor der Front, dessen Überwindung die Vorbedingung für das Fortschreiten des Angriffs war.

Diesseits und jenseits der Lys-Lawe-Linie ist die Niederung von zahlreichen Wasserläufen geringer Bedeutung durchsetzt, die dem in Feuchtigkeit schwimmenden Lande das Gepräge eines großen Sumpfgebietes geben. Bei allen Angriffsentwürfen spielte dieser Charakter des Geländes eine große Rolle; man konnte nur bei trockener Witterung damit rechnen, über die Wasserläufe und die von ihnen eingerahmten Flächen vorwärts zu kommen. Im Stellungskrieg hatte der hohe Grundwasserstand dazu geführt, die Befestigungen nicht in die Erde zu senken, sondern mit Schüttungen und Packungen auf den Boden aufzusetzen.

Rechts und links war das Gebiet vor der Front von Höhenzügen eingefaßt, im Norden durch das Hügelland zwischen Messines und Godewaersvelde, dessen wichtigste Erhebung der Kemmel ist, im Süden durch den scharf ausgeprägten Rücken zwischen Souchez und Houdain, der bei Houdain nach Norden in das bergige Gelände südlich Béthune übergeht, wo sich zahlreiche Berg- und Hüttenwerke befinden. Die Höhenzüge stellten den weiteren Rahmen des Angriffsraumes der 6. Armee dar; die Lys bei Frélinghien und der La Bassee-Kanal bei La Bassee bildeten den engeren, innerhalb dessen der Stoß geführt werden sollte. Weit vor der Front, jenseits des Niederungsgebietes, liegt die Höhe von Cassel, nach Osten zum Hügelland zwischen Godewaersvelde und Messines überleitend, nach Süden sich in das gewellte Gelände um Hazebrouck verbreiternd. Es erhellt ohne weiteres, wie bedeutungsvoll die Gewinnung von Hazebrouck und Cassel für den Angriff sein mußte, um für fernere Stöße festen Fuß zu fassen, nachdem das Niederungsgebiet überwunden war.

[436] Die Front der 4. Armee reichte von Frélinghien nach Norden bis zum Meere bei Nieuport. Im südlichen Teil, gerade nach Westen gerichtet, sprang sie östlich von Ypern in flacher Einbuchtung nach Osten zurück und bildete den vielgenannten Ypern-Bogen zwischen Hollebeke und dem Houthulster Walde, um dann über Dixmude nach Nieuport zu streichen. Für den Angriff kam zunächst nur der südliche Teil zwischen Frélinghien und Hollebeke in Betracht, der streckenweise die Lys und gleichfalls ein Niederungsgebiet vor sich hatte. Dieses geht aber schon nach kurzer Strecke südwestlich Hollebeke in das Hügelland von Messines und Wulverghem über, während nordwestlich von Frélinghien ein Waldgelände dem Angriff Anklammerungspunkte bot. Die 4. Armee hatte also nicht auf der ganzen Front ein so starkes Hindernis wie die Lys-Lawe-Linie vor sich, auch brauchte sie sich nicht über Tage hinaus durch ein Sumpfgebiet durchzuarbeiten. Dagegen hatte sie ihren Stoß südlich an dem überragenden Kemmel vorbeizuführen. Es konnten sehr bald Verhältnisse eintreten, die die Wegnahme dieser Höhe gebieterisch forderten; mit den geringen Kräften aber, die der 4. Armee anfangs zu Gebote standen, war diese Mehrleistung nicht zu bewältigen. Angesichts der breiten und langen Niederung, über die die 6. Armee zu schreiten hatte, tritt die Bedeutung der Mithilfe der 4. Armee zur Gewinnung der nördlich angrenzenden Höhen klar hervor.

Der Stellungsraum der 6. Armee war vor dem Angriff in vier Abschnitte eingeteilt: Gruppe Lille (Generalkommando des II. bayerischen Armeekorps62), Gruppe Aubers (Generalkommando des XIX. Armeekorps63), Gruppe Loos (Generalkommando des IV. Armeekorps64) und Gruppe Souchez (Generalkommando des XXXX. Reservekorps65). Für den Angriff kamen nur die drei ersten Gruppen in Betracht; sie wurden noch um eine Gruppe, die des Generalkommandos Nr. 5566 vermehrt, die sich zwischen die Gruppen Aubers und Loos einschob. Von den 17 zum Stoß bestimmten Divisionen standen neun im ersten Treffen; fünf folgten als zweite Welle zur Verfügung der Generalkommandos, drei standen als Armeereserve hinter der Mitte der Front. An Batterien waren 230 leichte, 213 schwere und 25 schwerste bereit.

Die 4. Armee hatte bis Ende März aus fünf Gruppen bestanden: Gruppe Nord (Generalkommando des Marinekorps67), Gruppe Dixmude (Generalkommando des X. Reservekorps68), Gruppe Staden (Generalkommando des Garde-Reservekorps69), Gruppe Ypern (Generalkommando des Gardekorps70), Gruppe Wytschaete (Generalkommando des XVIII. Reservekorps71). Starke Abgaben an die 6. Armee für die Georgette-Vorbereitungen machten Zusammenlegungen nötig, so daß Anfang April nur noch drei Gruppen: Nord, Ypern, Wytschaete [437] bestanden. Für eigene Offensivpläne wurde eine Operationsgruppe von drei zurückgenommenen Divisionen des X. Reservekorps gebildet. Am 7. April schob sie sich mit der Bezeichnung "Flandern" südlich der Lys zwischen Warneton und Frélinghien auf dem linken Flügel der 4. Armee in die Front ein.

Von den nunmehrigen vier Gruppen sollten Wytschaete und Flandern den Angriff am 10. April führen. Erstere unter dem Generalkommando des XVIII. Reservekorps hatte zwei Divisionen in der Front, eine im zweiten Treffen; ebenso war die Gruppe Flandern unter dem Generalkommando des X. Reservekorps gegliedert; hinter jeder Gruppe traf später eine Division als Armeereserve ein. Die Summe der verfügbaren Kräfte war also auch bei dieser Armee wesentlich erhöht und von ursprünglich vier auf acht gesteigert worden. An Artillerie standen 78 leichte, 55 schwere und 15 schwerste Batterien in Angriffsstellungen.

Die Vorbereitungszeit für Georgette war sehr beschränkt und hätte schwerlich ausgereicht, wenn nicht schon die erforderlichen Maßnahmen für den ehemaligen St. Georg-Angriff sorgfältig und planmäßig durchdacht gewesen wären. Eifrige und umsichtige Tätigkeit war nötig, um den Aufbau der Offensive zu gutem Ende zu führen. Es war nicht zu ermöglichen, die Munitionierung und den Artillerieaufmarsch als getrennte Handlungen durchzuführen; sie mußten gleichzeitig erledigt werden. Weitere Erschwerung lag in der geringen Zahl der Arbeitstruppen. Für den Einsatz der Artillerie kam es der 6. Armee zugute, daß hier hierfür Oberst Bruchmüller zur Verfügung gestellt wurde, der schon früher hochbewährt, den erfolgreichen Artillerieangriff beim St. Michael-Angriff der 18. Armee geleitet hatte. Auch die zahlreichen Artillerieverbände, die aus dem Bereich der 17. Armee für Georgette nach Norden umgruppiert worden waren, besaßen Kampferfahrung. Von den Angriffsdivisionen waren die meisten nicht für die Offensive besonders vorgebildet und ausgestattet; andere hatten schon in vorausgegangenen Kämpfen gelitten. Die Truppen standen also in ihrer Eignung hinter den bei St. Michael verwendeten Verbänden zurück.

Bedenken erregte die Aufweichung des Kampfbodens durch vorausgegangene Regengüsse; man mußte damit rechnen, daß die Artillerie der Infanterie nur mit Mühe folgen konnte, und daß die Kolonnenbewegung auf Schwierigkeiten stoßen werde. Trotz aller Erschwernisse und Besorgnisse wurden aber die Vorbereitungen glatt und ungehemmt durchgeführt, und, als die Truppen schlagfertig standen, zweifelten weder sie noch ihre Führer am Erfolge. Wie immer wirkte die Aussicht, den Feind offensiv zu fassen, stärkend und belebend auf die Stimmung.

Nachdem sich die Belgier von der Küste bis in den Raum der englischen 2. Armee ausgedehnt hatten, nahm man von der Gesamtzahl der gegenüberstehenden englischen Divisionen etwa acht vor dem südlichen Frontteil der 4. Armee [438] an, die den südlichen Teil des Ypern-Bogens und anschließend die Strecke bis Frélinghien deckten. Davon galten drei als nicht voll kampfkräftig. Sechs Divisionen, von denen eine als minder tauglich anzusehen war, hielten die englischen Linien gegenüber der 6. Armee. Ihnen waren die beiden portugiesischen Divisionen zuzurechnen, die etwa in der Mitte zwischen Armentières und La Bassee-Kanal lagen und sich recht geringen Ansehens auf deutscher Seite erfreuten. Gerade gegen sie sollte sich der Hauptstoß der Angriffsmitte der 6. Armee richten. Als Reserven, die gegen Georgette angesetzt werden konnten, zählte man vier belgische Divisionen, die hinter der Front nahe der Küste standen, fünf frische und elf abgekämpfte englische sowie 23 bis 25 französische Divisionen.

Der Verbleib dieser Kräfte stand im einzelnen nicht fest; doch war es klar, daß die Hauptunterstützung, die für die angegriffene Front geleistet werden konnte, von Süden kommen würde, und zwar voraussichtlich zuerst von Arras auf Béthune. Durch Überraschung des Gegners mußte erreicht werden, daß er vor größerer Kräfteansammlung durchbrochen wurde. Diese unerläßliche Vorbedingung schien gefährdet, da unter den beteiligten deutschen Truppen schon seit Ende März das Gerücht umging, die Portugiesen sollten demnächst angegriffen werden. Durch scharfe Verwarnungen und Belehrungen gelang es aber, das Geheimnis des Angriffs und des Angriffstages zu sichern.

Das Oberkommando der 6. Armee72 in Tournay gab am 3. April seinen Angriffsbefehl. Danach sollte die rechte Flügelgruppe, II. bayerisches Armeekorps, die feindlichen Stellungen im Lys-Bogen zwischen Houplines und Sailly nehmen, dabei aber Armentières aussparen, das durch Umfassung zu fallen hatte. Der Übergang über die Lys war zwischen Erquinghem und Sailly mit dem starkgemachten linken Flügel zu erstreben, demnächst die Richtung auf das Höhengelände von Godewaersvelde einzuschlagen. Dem Korps fiel die Deckung der rechten Flanke der Armee und die Verbindung mit dem später vorgehenden linken Flügel der 4. Armee zu. Das südlich benachbarte XIX. Armeekorps wurde auf die Lys-Strecke Sailly - Estaires - La Gorgue angesetzt, die die Hauptdurchbruchsstelle der Armee sein sollte. Nach dem Übergang bei Estaires war es in der Richtung auf Steenvoorde zwischen Godewaersvelde und Cassel vorzuführen. Die links anschließenden Truppen des Generalkommandos Nr. 55 hatten nach Gewinnung der Lawe die Lys bei Merville und die Clarence zwischen Calonne und Robecq zu überschreiten und dann auf Hazebrouck weiterzugehen. Mit einer zurückgehaltenen Staffel sollte sie bei St. Venant den Hauptangriff auf die Linie Godewaersvelde - Hazebrouck decken und dazu die Übergänge über den Aire-La Bassee-Kanal zwischen Aire und Robecq, später auch Aire und St. Omer fest in die Hand nehmen. Die Stoßgruppe des linken Flügels des Angriffs, IV. Armeekorps, hatte den Aire-La Bassee-Kanal zwischen Robecq und Béthune [439] zu nehmen, zu überschreiten und sich in der Linie Mont Bernenchon - Oblinghem festzusetzen. Béthune war von ihr zu erobern. Die Deckung der linken Flanke der Armee fiel ihr zu. Die drei Divisionen der Armeereserve gedachte der Oberbefehlshaber hinter der Mitte folgen zu lassen.

Schlacht bei Armentières

[416a]
      Schlacht bei Armentières - Estaires 1918. Nachtkampf um Estaires.

Estaires wird sturmreif geschossen.
Das unter deutschem Trommelfeuer liegende
französische Städtchen Estaires wird
sturmreif geschossen.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 91.

Estaires wird durch Sturmtrupps im Angriff genommen
Nach vorbereitender schwerer Beschießung
wird das Städtchen Estaires durch Sturmtrupps
im Angriff genommen.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 92.

Das noch brennende Estaires nach dem Sturm am 15. April 1918.
Das noch brennende Estaires nach dem Sturm
am 15. April 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 96.
Diese Weisungen wurden am 7. April dahin ergänzt, daß die Feuereröffnung der Artillerie am 9. April um 415 morgens beginnen und der Infanteriesturm um 845 erfolgen sollte. Mit Rücksicht auf das schlechte Wetter ließ das Oberkommando die Frage offen, ob die Offensive nicht noch um 24 Stunden zu verschieben sei. Am 8. April erhielt IV. Armeekorps Befehl, mit einer Division südlich des La Bassee-Kanals vorzustoßen, wenn sich nördlich der Wasserlinie ein großer Erfolg ergeben würde. In diesem Falle sollte sich auch die planmäßig am Angriff nicht beteiligte linke Flügelgruppe der Armee, XXXX. Reservekorps, in Bewegung setzen, während sie sonst nur Feuerunterstützung zu leisten hatte, um etwaige feindliche Reserven vor ihrer Front festzuhalten.

Bei der 4. Armee blieben die Angriffsanordnungen an der Schwebe, so lange ihr Vorgehen von den Fortschritten der 6. Armee abhängig war. Am 5. April bezeichnete das Armee-Oberkommando73 in Thielt die Aufgabe des XVIII. Reservekorps dahin, daß es unter Abriegelung nach Norden aus der Linie Garde Dieu - Warneton Messines und die Höhen von Wytschaete anzugreifen habe. X. Reservekorps hatte die Lys südlich Warneton zu überschreiten und die Straße Messines - Ploegsteert - Lys-Knie nördlich Armentières zu gewinnen.

Die Fortführung des Angriffs war so gedacht, daß XVIII. Reservekorps Wulverghem nehmen, dann nach Nordwesten eindrehen und über den Kemmel die Höhenlinie St. Eloi - Westoutre erreichen sollte. Mit Zustimmung der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht wurde also schon geplant, den Kemmel zu nehmen und gegen die südliche Flanke des Gegners im Ypern-Bogen einzuschwenken. Dem X. Reservekorps, dem der Weg über die Gegend nördlich Ploegsteert auf Neuve Eglise vorbehalten war, fiel die Unterstützung des rechten Flügels der 6. Armee zu; nach Erledigung dieser Aufgabe sollte es gleichfalls nach Nordwesten auf Westoutre schwenken.

Die Absichten gingen über die ersten Pläne hinaus, die nur das Vorgehen südlich des Kemmel ins Auge gefaßt und gegen den Ypern-Bogen nur das Bereithalten stärkerer Kräfte vorgesehen hatten. Um die belgischen und englischen Truppen im Ypern-Bogen abzuschneiden, plante die Heeresgruppe außerdem bereits einen Vorstoß der Gruppe Ypern aus nordwestlicher Richtung, der dem XVIII. Reservekorps entgegenkommen sollte. Der Beginn des Artilleriefeuers wurde beim XVIII. Reservekorps auf 245, beim X. Reservekorps auf 230 morgens angesetzt; um 515 morgens hatte der Infanteriesturm zu beginnen.

[440] Alle Befehlsvorbereitungen wurden so gründlich durchdacht und besprochen, daß es am 9. April abends, nachdem die Oberste Heeresleitung bestimmt hatte, daß der Angriff unter allen Umständen zu führen sei, nur folgender kurzer Weisung bedurfte:

      "Die 4. Armee beginnt ihren Angriff mit dem XVIII. Reserve- und X. Reservekorps am 10. April morgens. Alle übrigen Gruppen ordnen bis auf weiteres erhöhte Gefechtsbereitschaft an."

Das Wetter begünstigte die Unternehmung der 6. und 4. Armee nicht. Meist war in der Vorbereitungszeit der Himmel bedeckt, die Sicht schlecht; leichte Regenschauer gingen nieder. So war es auch am 7. und 8. April. Trotzdem wurde für die 6. Armee an der Angriffsabsicht für den 9. April festgehalten, obwohl man sich darüber klar war, daß die Bodenerweichung den Truppen große Schwierigkeiten in den Weg stellen werde. Die Gefechtsverhältnisse waren an der Front beider Armeen in den letzten Tagen vor dem Angriff ruhig; nichts deutete darauf hin, daß der Gegner den Vorstoß erwarte.

Erstürmte englische und portugiesische Stellungen bei Aubers.
Erstürmte englische und portugiesische Stellungen
bei Aubers.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 80.

Infanterie-Abteilungen gehen durch Fleurbaix in Stellung.
Infanterie-Abteilungen gehen durch das
gänzlich zerschossene Fleurbaix bei Armentières
in Stellung. 1918.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 87.

Englische Stellungen durch den Friedhof von Bois Grenier bei Armentières.
Englische Stellungen durch den Friedhof von
Bois Grenier bei Armentières.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 74.

Feldartillerie passiert Nieppe an der Vormarschstraße zum Kemmelberg.
Feldartillerie passiert im scharfen Trab das unter starkem Feuer liegende, brennende Nieppe an der Vormarschstraße zum Kemmelberg.   [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 110.
Am 9. April regnete es wiederum, wenn auch nur leicht; der Ausblick in die Ferne war begrenzt. Planmäßig um 415 morgens begann die Artillerievorbereitung bei der 6. Armee; um 845 erhob sich die Infanterie aus ihren Bereitstellungen und stürzte sich auf den Feind. Die ersten Erfolge über den ahnungslosen Gegner waren hocherfreulich. Auf der ganzen Front zwischen Armentières und dem La Bassee-Kanal wurden drei Stellungssysteme der Engländer überrannt, vom II. bayerischen Armeekorps die Lys bei Sailly bereits überschritten.

Am Abend des 9. April befand sich die vordere Linie der 6. Armee bei Bois Grenier und Fleurbaix, übersprang die Lys nordöstlich von Sailly, ging dann östlich der Lys-Lawe-Linie bis südlich Estaires und bog über den Nordrand von Festubert auf Givenchy zurück, das noch nicht genommen war. Wie vorausgesehen, war der Sieg über die Portugiesen besonders leicht gewesen. 6000 Gefangene wurden eingebracht und 100 Geschütze genommen.

Für den 10. April beschloß das Oberkommando der 6. Armee, den Erfolg nach Kräften auszunutzen und den Feind nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Hierbei sollte II. bayerisches Armeekorps Armentières umspannen, die Lys auch bei Erquinghem auf Nieppe überschreiten und Verbindung mit dem X. Reservekorps der 4. Armee suchen. Weitere taktische Anordnungen erübrigten sich, doch war es bereits nötig, den Divisionen zu befehlen, mit allen Mitteln ihre Artillerie nachzuziehen; die Erschwernisse durch das verschlammte Trichterfeld machten sich also schon geltend.

Am 10. April setzte der Regen aus, dagegen gestattete der Nebel keine Fernsicht. Die 4. Armee hatte noch in der Nacht Weisung erhalten, der 6. Armee [441] über die Lys zu helfen und dazu mit dem linken Flügel in der Richtung auf Nieppe und Steenwerck vorzudrücken. Sie begann in der dritten Morgenstunde ihre Artillerie wirken zu lassen und trat um 515 morgens mit der Infanterie zum Sturm an. Auch hier war die Überraschung vollständig, obwohl heranfühlende Streifen den Feind tags zuvor sehr aufmerksam gefunden hatten. Die ersten feindlichen Linien wurden überrannt, der Park von Hollebeke genommen, Messines vom XVIII. Reservekorps gestürmt und gegen Entsatzversuche gehalten. Von Messines wurde der Angriff nach Norden auf Wytschaete getragen und bis in die Gegend südlich des Dorfes durchgeführt. Auch auf Wulverghem ging der Stoß weiter. X. Reservekorps überschritt die Lys auf zwei Pontonbrücken, gewann die Straße Messines - Ploegsteert beiderseits des Waldgebiets, eroberte Ploegsteert und erreichte mit dem linken Flügel die Gegend von Le Bizet. Mehr als 1300 Gefangener wurden eingebracht.

Die 6. Armee nahm ihre Vorwärtsbewegung um 6 Uhr morgens wieder auf. II. bayerisches Armeekorps warf bei Erquinghem seine Truppen über die Lys und ging auf Nieppe und Steenwerck vor; letzteres Dorf wurde genommen. XIX. Armeekorps kämpfte um die Lys beiderseits von Estaires und öffnete dort den Weg über den Fluß. Weiter südlich nahmen die Truppen des Generalkommandos Nr. 55 die Lawe-Übergänge bei Pont Riqueul und bei Vieille Chapelle und setzten sich in den Besitz des westlichen Ufers. Dagegen kam IV. Armeekorps bei Festubert und Givenchy nicht wesentlich voran. Auf der ganzen Front hatten die Engländer heftige Gegenangriffe geführt.

Die Gesamtleistungen beider Armeen ergaben zwei Hervorwölbungen aus der früher gehaltenen Front, zwischen denen das noch nicht genommene Armentières lag. So erfreulich an sich die Fortschritte und die wachsende Zahl der Gefangenen war, so bedenklich erschien das Abhängen des linken Flügels der 6. Armee. Der Teil von ihr, der am flottesten vorankam, II. bayerisches Armeekorps, ragte spitz und keilförmig gegen Bailleul hervor. Die inneren Flügel beider Armeen blieben so lange in schwerer Lage, bis sie sich nach vorn zusammengefunden hatten. Die Oberste Heeresleitung und die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht taten alles, was in ihrer Macht stand, um beiden Armeen Verstärkungen zuzuführen, die vorzugsweise der 17. Armee entnommen wurden.

Die 4. Armee befahl für den 11. April Fortsetzung des Angriffs und betonte besonders die Wegnahme von Wytschaete und Wulverghem durch XVIII. und die Umschließung von Armentières durch X. Reservekorps in Verbindung mit der 6. Armee. Die 6. Armee setzte II. bayerisches und XIX. Armeekorps auf das Höhengelände von Bailleul, Meteren und Strazeele an, das am 11. April erreicht werden sollte. Die Verbindung mit der 4. Armee war bei Nieppe zu suchen. LV. und IV. Armeekorps hatten ihre Angriffe zur Erzwingung der Übergänge über den La Bassee-Kanal und die Clarence weiterzuführen.

Auch am 11. April herrschte wieder starker Nebel. Bei der 4. Armee nahm [442] XVIII. Reservekorps ein Wäldchen bei Wytschaete unter schweren Kämpfen; in der Richtung auf Wulverghem wurden Fortschritte gemacht. X. Reservekorps drang durch den Ploegsteert-Wald bis über den Westrand hinaus. Sein linker Flügel fand bei Romarin Anschluß an die 6. Armee. Kaiser Wilhelm wohnte auf dem Gefechtsstand des Generalkommandos des XVIII. Reservekorps dem Kampfe bei.

Die 6. Armee hatte den großen Erfolg, daß Armentières unter dem Druck der beiderseitigen Umfassung mit 3000 Gefangenen und 40 Geschützen in ihre Hände fiel. Unter heftigem feindlichen Widerstand gelangte II. bayerisches Armeekorps bis in die Linie Nieppe - Bahnhof nördlich Steenwerck - Le Verrier, XIX. Armeekorps erreichte Doulieu und dehnte sich bis nordöstlich von Merville aus. Die Truppen des Generalkommandos Nr. 55 kamen bis an den Westrand von Merville heran, drangen in Calonne ein und besetzten den Raum südlich davon bis in die Gegend westlich von Vieille Chapelle. Die Lys-Lawe-Linie von Armentières bis Vieille Chapelle war nunmehr im festen Besitz. IV. Armeekorps hing nach wie vor ab und stand vor Festubert und Givenchy.

Das Oberkommando der 4. Armee beschloß, XVIII. Reservekorps am 12. April anzuhalten, bis X. Reservekorps weiter vorankomme, und setzte dieses auf Neuve Eglise an, um mit der 6. Armee im Vorgehen zusammenzuwirken. Das Oberkommando der 6. Armee bezeichnete als Ziele für den 12. April wiederum die Höhen bei Bailleul, Meteren und Strazeele, den Nord- und Westrand des Nieppe-Waldes westlich Merville und den Aire-La Bassee-Kanal zwischen Guarbecque und Mont Bernenchon. Die Lage wurde als nicht ungünstig angesehen, wenn man sich auch mit dem Abhängen beider Flügel der Gesamtangriffsfront abzufinden hatte. Die Hauptsache war das Vorwärtskommen auf Godewaersvelde und Hazebrouck; dabei blieb aber die Absicht bestehen, sobald wie angängig mit XVIII. Reservekorps über den Kemmel und mit Gruppe Ypern (Gardekorps) vom Houthulster Walde die feindlichen Truppen im Ypern-Bogen abzuschneiden. Mit Verstärkung des Gegners wurde gerechnet.

Am 12. April, abermals einem Nebeltage, stellte XVIII. Reservekorps der 4. Armee vor seinem linken Flügel rückwärtige Bewegungen fest, stieß trotz des Haltebefehls nach und gelangte in frischem Schwunge und mit Gewinnung reicher Beute bis dicht östlich Wulverghem. Weiter südlich machte X. Reservekorps einige Fortschritte über die Linie Ploegsteerter Wald - Romarin. Am Mittag beurteilte das Oberkommando der 4. Armee die Lage dahin, daß der Feind die Linie Wytschaete - Kemmel oder St. Eloi - Kemmel halten wolle, plante auf dem Höhengelände Wytschaete - Wulverghem - Neuve Eglise Fuß zu fassen und zur Weiterführung des Angriffs Artillerie heranzuziehen. Das Gardekorps (Gruppe Ypern) erhielt Befehl, mit Hilfe der ihm zugeführten Verstärkungen von zwei Divisionen und vier Batterien schwerer Artillerie den Angriff auf den Feind im Ypern-Bogen in der Richtung auf Bixschote zum Zusammenwirken mit dem [443] linken Artillerieflügel vorzubereiten. Am Abend stand die 4. Armee in der allgemeinen Linie Hollebeke - Ostrand Wytschaete - Ostrand Wulverghem - Romarin. Für den 13. April wurde nur X. Reservekorps auf den Höhenrücken zwischen Neuve Eglise und Bailleul angesetzt.

Die 6. Armee kämpfte sich am 12. April bis zur Linie westlich Romarin - Südrand Mervis - Vieux Berquin - Calonne - Locon vor; von dort blieb die zurückgebogene Front nördlich des La Bassee-Kanals unverändert. Die Fortschritte waren bedeutend, erreichten aber noch nicht die am 11. April gesetzten Ziele, konnten auch westlich Merville nicht in vollem Umfang behauptet werden. Auch für den 13. April wurden Bailleul, Meteren, Strazeele, Nieppe-Wald als Ziele gesetzt; Generalkommando Nr. 55 wurde nochmals auf die Gewinnung der Kanalübergänge zwischen Guarbecque - Mont Bernenchon hingewiesen.

Die Weisungen beider Oberkommandos standen im Einklang mit den Absichten der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, die das Zusammenwirken der inneren Flügel verlangte, um die 6. Armee vorwärtszubringen, und auch deren linken Flügel gefördert haben wollte.

Am 13. April brach endlich die Sonne durch, aber nur für kurze Zeit; das Wetter blieb fortan trüb, dunstig und kalt. Während sich bei der 4. Armee XVIII. Reservekorps zu umfassendem Angriff auf Wytschaete rüstete, der am 16. April geführt werden sollte, durchbrach X. Reservekorps die englische Stellung östlich Neuve Eglise und setzte sich in den Besitz dieses Ortes; weiter südlich gewann es die Straße Neuve Eglise - Steenwerck im Anschluß an die 6. Armee. II. bayerisches Armeekorps dieser Armee hatte sehr schwere Kämpfe bei Bailleul, ohne die Stadt erobern zu können, drang aber schon gegen die Straße Bailleul - Meteren vor. Weiter südlich wurde Mervis genommen, bei Vieux-Berquin und gegen den Aire-La Bassee-Kanal in der Gegend von Mont Bernenchon einige Fortschritte gemacht.

Im übrigen änderte sich die tags zuvor erreichte Linie nicht wesentlich. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht gab Richtlinien für die Fortführung der Operation; sie ordnete an, daß der Angriff auf die Höhenlinie Bailleul - Neuve Eglise von den inneren Flügeln beider Armeen unter einheitlicher Leitung zu führen sei, und zwar hauptsächlich durch Druck westlich von Bailleul. Der 6. Armee fiel außerdem unter Umfassung von Westen der Stoß gegen die Höhen südöstlich von Godewaersvelde zu, während der 4. Armee die Fortnahme des Höhengeländes zwischen Wytschaete, Kemmel und südlich von Westoutre übertragen wurde. In der Erkenntnis, daß sich der Angriff sehr verlangsamt hatte, und in der Hoffnung, die Gesamtlage zu bessern, setzte die Heeresgruppe das Unternehmen "Tannenberg" des Gardekorps gegen den Ypern-Bogen vom Houthulster Walde mit vier Divisionen im ersten und zwei Divisionen im zweiten Treffen auf den 16. oder 17. April fest; sie hätte gerne einen früheren Tag [444] gewählt, aber das Gardekorps bestand darauf, sich Zeit zu sorgsamen Vorbereitungen zu sichern.

Inzwischen waren der 4. und 6. Armee so viele Verstärkungsdivisionen namentlich aus der St. Michael-Front zugeführt worden, daß eine Neugliederung notwendig wurde. Zwischen beide Armeen hatte sich am 15. April die Gruppe des Garde-Reservekorps, für die 4. Armee bestimmt, und zwischen Generalkommando Nr. 55 und IV. Armeekorps am 14. April die Gruppe des Generalkommandos des IX. Reservekorps einzuschieben. Das Generalkommando des II. bayerischen Armeekorps sollte durch das des III. bayerischen Armeekorps abgelöst werden.

Für den 14. April plante die 4. Armee, aus der Linie südlich Wulverghem - Neuve Eglise - Bahnhof Steenwerck gegen die Linie Kemmel - Dranoutre - Höhen östlich Bailleul vorzugehen. Die 6. Armee wies ihren Korps - II. bayerisches, XIX. Armee- und LV. Korps - wieder die alten Ziele Bailleul, Meteren, Strazeele und Nieppe-Wald zu, während IV. Armeekorps die Eroberung von Festubert und Givenchy vorzubereiten hatte.

Der 14. April verlief nicht ohne Erfolge; bei Wulverghem und auf den Höhen von Neuve Eglise wurde von der 4. Armee Gelände gewonnen, während die 6. Armee in die Richtung auf Meteren vorwärtskam und sich des Bahnhofs Strazeele bemächtigte. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht gab für die Eroberung von Bailleul nähere Weisungen, denen zufolge die 4. Armee die Stadt im Osten und Norden, die 6. Armee im Süden und Westen abschließen sollte. Demnächstige Ziele für die 4. Armee waren St. Jans Cappel und Mont Noir, für die 6. Berthen. Das Oberkommando der 4. Armee übertrug die Aufgabe seines linken Flügels dem neu eingetroffenen Generalkommando des Garde-Reservekorps; dem X. Reservekorps verblieb der Auftrag, gegen die Linie Kemmel - Dranoutre vorzustoßen, während XVIII. Reservekorps den Angriff auf Wytschaete weiter vorbereiten und Wulverghem nehmen sollte. Die 6. Armee erneuerte ihre Angriffsbefehle vom 13. April für III. bayerisches und XIX. Armeekorps mit den Zielen Meteren und Strazeele, schob aber die Ausführung um gründlicher Vorbereitung willen hinaus und gab als Gesichtspunkt für die Folge die Weisung, daß künftig nur Vorstöße in begrenzter Breite wechselnd auf der Armeefront stattfinden sollten, um alle Angriffsmittel für den jeweiligen Kampfzweck zusammenhäufen zu können.

Bailleul nach der Erstürmung im Frühjahr 1918.
Bailleul nach der Erstürmung im Frühjahr 1918.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 117.
Der 15. April brachte der 4. Armee die endgültige Eroberung von Wulverghem und die Erstürmung der Höhen östlich von Bailleul, während es bei der 6. Armee zu keinen größeren Kampfhandlungen kam. Beide Armeen planten die Fortsetzung der Offensive mit den inneren Flügeln am 17. April, die 4. Armee auf Mont Noir - Berthen, die 6. anschließend auf Berthen - Eecke; man hoffte auf diese Weise den Feind zur Räumung des Kemmels zu veranlassen. Inzwischen fiel aber am 16. April Wytschaete durch wohlvorbereiteten Angriff des XVIII. Re- [445] servekorps der 4. Armee in die Hände und konnte gegen heftige Gegenstöße gehalten werden. Über Wulverghem wurden Fortschritte gemacht, die sich beim X. Reserve- und Garde-Reservekorps bis zum linken Flügel fortsetzten, wo Bailleul genommen wurde. Die 4. Armee erreichte unter steten Kämpfen bis zum Abend die ungefähre Linie Hollebeke - südwestlich Wytschaete - Douve-Grund westlich Wulverghem - Gegend zwischen Bailleul und St. Jans Cappel.

Der rechte Flügel der 6. Armee, III. bayerisches Armeekorps, erkannte die Gunst der Lage für das eigene Vorgehen, als Garde-Reservekorps vorankam, nahm Meteren, gelangte bis in die Gegend nordwestlich von Bailleul und wies mit dem XIX. Armeekorps einen starken feindlichen Angriff bei Strazeele ab. Alle diese Erfolge belebten die Hoffnung auf weitere Fortschritte, hatten freilich auch die Wirkung, daß die feindlichen Truppen aus dem Ypern-Bogen am 16. April abends zu weichen begannen; es bestand daher kaum noch Aussicht, erhebliche Teile abzuschneiden. Das Generalkommando des Gardekorps erhielt von der 4. Armee Befehl, ungesäumt nachzudrängen und den Ypern-Kanal bei Boesinghe zu überschreiten.

Am 17. April mittags erreichte das Gardekorps, das sich auf seiner ganzen Front in Bewegung gesetzt hatte, die Linie Merckem westlich Langemarck - St. Julien - Hollebeke. Auf seinem rechten Flügel kam es zu heftigen Kämpfen mit den Belgiern. Weiter nach Süden stand XVIII. Reservekorps bereit, im gegebenen Augenblick vorzubrechen, mußte sich aber darauf beschränken, neue Angriffe auf das eroberte Wytschaete abzuweisen. Links anschließend machte das X. Reservekorps in Richtung auf den Kemmel einige Fortschritte. Beim linken Flügel der 4. und beim rechten Flügel der 6. Armee sollte der auf den 17. April festgesetzte Angriff gegen die Linie Mont Noir - Berthen - Eecke durchgeführt werden; es kam zu sehr heftigen, aber ergebnislosen Kämpfen. Die Erkenntnis brach sich Bahn, daß mit den erschöpften Truppen hier keine Erfolge mehr zu erringen seien, bevor der Angriff nicht in Ruhe neu vorbereitet wurde.

Die 6. Armee befahl daher schon am 17. April abends die Einstellung der Vorwärtsbewegung bei Bailleul. Dagegen sollte sich am 18. April auf dem linken Armeeflügel IV. Armeekorps mit Unterstützung des IX. Reservekorps Festuberts und Givenchys bemächtigen und die Sicherheit der linken Flanke dadurch verbessern. Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht schloß sich der Ansicht an, daß die Offensive bei Bailleul vorläufig eingestellt werden müsse, zumal da dort - wie übrigens auch bei Wytschaete - bereits französische Verstärkungen festgestellt worden waren. Am 18. April morgens gab sie neue Grundlagen für die Weiterführung der Operationen: der Angriff beiderseits Bailleul war anzuhalten, dagegen sollte die 6. Armee prüfen, ob die Höhen von Strazeele genommen werden könnten. Die 4. Armee hatte den Hauptnachdruck auf den Ypern-Bogen und auf die feindliche Front zwischen Wytschaete und Kemmel zu legen. Auf Bixschote und Poperinghe waren Fortschritte zu machen, [446] der Kemmel baldigst zu nehmen. Der 4. Armee wurden weitere Verstärkungen zugesagt.

Die 4. Armee befahl darauf dem Gardekorps, die Verfolgung des Gegners nördlich an Ypern vorbei auf Poperinghe weiterzuführen; XVIII. Reservekorps wurde auf die Höhenlinie Groote Vierstraat - Kemmel, X. Reservekorps auf den Kemmel selbst und die Höhen bei Dranoutre angesetzt; beide Korps sollte aber erst nach gründlicher Vorbereitung losbrechen. Die 6. Armee, deren Oberkommando nach Lille verlegt worden war, stellte die Vorwärtsbewegung zunächst ganz ein, um geordnete Kampfverhältnisse zu schaffen, behielt sich aber die Neuaufnahme der Offensive vor. Der 18. April brachte ihr noch einen empfindlichen Rückschlag auf ihrem linken Flügel. IV. Armeekorps, unterstützt vom IX. Reservekorps, griff planmäßig Festubert und Givenchy an, setzte sich fast vollständig in den Besitz der Dörfer, mußte aber vor Gegenstößen, die durch das Feuer bisher unbezwungener betonierter Maschinengewehrnester in den Ortschaften unterstützt wurden, wieder zurückweichen. Der Tag erbrachte auch sonst keine Fortschritte; im Ypern-Bogen leistete der Gegner Widerstand, besonders durch belgische Gegenstöße bei Merckem, so daß die Vorwärtsbewegung des Gardekorps zum Stillstand kam, und bei Wytschaete mußte sich XVIII. Reservekorps abermals heftiger Angriffe erwehren.


Angriff auf den Kemmel.

Es trat eine Atempause in der Georgette-Operation ein, hervorgerufen durch die Erschöpfung und geminderte Angriffskraft der Divisionen, auch der neu eingesetzten, die alle schon in schweren Kämpfen gestanden hatten, durch Munitionsmangel infolge Überlastung der Eisenbahnen mit Truppentransporten, durch Verstärkung des Gegners, dem immer mehr französische Reserven zuflossen. Neue Erfolge waren zu erwarten, wenn der Kemmel genommen wurde; man konnte von der Eroberung dieser beherrschenden Höhe starke Einwirkung auf die Verhältnisse im Ypern-Bogen wie auf den rechten Flügel der 6. Armee erhoffen. Der Kemmel-Angriff der 4. Armee trat in den Vordergrund; ihm wurde alle Sorgfalt der Vorbereitung zugewendet. Inzwischen mußte man auf die Abwehr feindlicher Angriffe gefaßt sein.

Der 19. April brachte weitere Klärung. Nordöstlich und östlich von Ypern hatte der Feind am Steen-Bach starke Stellungen, die offenbar das Ziel seines kurzen Rückzugs gewesen und ohne großen Artillerieaufwand nicht zu bezwingen waren. Die 4. Armee konnte die erforderlichen Batterien nicht aufbringen und stellte daher die Offensive des Gardekorps ein. Vor der 6. Armee war der Feind so stark geworden, daß sich bei weiteren Angriffen voraussichtlich eine Materialschlacht ergeben hätte. Die Heeresgruppe Rupprecht beantragte daher bei der Obersten Heeresleitung, die 6. Armee auf Abwehr zu stellen. So blieb nur der Kemmel-Angriff übrig, der unbedingt nötig war, um der Georgette-Operation [447] einen Abschluß zu geben, der eine erträgliche Lage für die Folge zeitigte. Der Angreifer durfte nicht dicht vor den überragenden Höhen stehen bleiben, der Feind nicht im Besitz dieser vorzüglichen Artilleriebeobachtung gelassen werden und des Glaubens sein, daß die deutsche Offensive erloschen sei.

Die Grundzüge für den Angriff auf das Höhengelände Kemmel - Dranoutre wurden noch am 19. April festgelegt. XVIII. Reservekorps sollte mit drei Divisionen in der ersten und zwei Divisionen in der zweiten Welle auf Voormezeele, Dickebusch und das Dorf Kemmel an der Nordostecke des Kemmel-Bergs, X. Reservekorps mit drei Divisionen in der ersten, zwei Divisionen in der zweiten, einer Division als Armeereserve in der dritten Welle auf den Kemmel-Berg, Dranoutre und die Höhen beiderseits von Vleugelhoek vorstoßen. Als Angriffstag wurde vorläufig der 24. April festgesetzt; dem um 7 Uhr morgens anzusetzenden Infanteriesturm hatte dreistündiges Artilleriefeuer vorauszugehen.

Am 20. und 21. April wurden die endgültigen Angriffsbefehle von der 4. Armee gegeben. XVIII. Reservekorps erhielt noch eine Division für die erste Welle und als Angriffsziel den Raum zwischen Dickebusch und dem Nordhang des Kemmel-Bergs unter Abriegelung der rechten Flanke bei Voormezeele; X. Reservekorps wurde auf den Kemmel-Berg, den Raum von dort über den Nordrand von Dranoutre bis zu den Höhen nördlich und nordwestlich von Vleugelhoek angesetzt. Der Angriff wurde endgültig auf den 25. April verschoben, doch sollte X. Reservekorps vorgreifend schon am 23. April die Höhe südlich Vleugelhoek nehmen. Bei günstigem Ausgang war geplant, den Stoß östlich am Kemmel vorbei gegen die Straße Vlamertinghe - Poperinghe weiterzuführen. Der Gesamtangriff war als doppelte Umfassung der Stellungen von Kemmel und Dranoutre über Dickebusch und Vleugelhoek gedacht. An Artillerie sollten 191 Feldbatterien, 129 schwere und eine Anzahl schwerster Batterien am Angriff beteiligt werden. Außerdem hatte die 6. Armee Unterstützung zu leisten.

Der Kemmel ist die wichtigste Erhebung zwischen der Douve im Süden und der Niederung von Dickebusch im Norden. Er stellt ein breites, von Nordosten nach Südwesten streichendes Berggelände dar, dessen höchste Kuppe sich nahe dem auf dem Nordosthange gelegenen Dorf Kemmel erhebt. Die Kuppe fällt nach Norden, Nordosten und Südosten steil ab; nach Südwesten leitet sie zu einem weniger hohen, mannigfach gegliederten Rücken über, der keine schroffen Formen zeigt und nordöstlich Dranoutre zu einem Bachlauf absteigt. Fast das ganze Berggelände ist mit Wald bedeckt. Zwischen dem Bachlauf im Nordosten und der Douve im Süden liegt auf einem schmalen, nach Osten sinkenden Rücken von mäßiger Höhe das Dorf Dranoutre, südlich der Douve auf einer sanft nach Westen ansteigenden und durch Mulden eingekerbten Fläche das Dorf Vleugelhoek. Diese Hochfläche setzt sich nach Norden in der Richtung auf den Mont Noir fort und fällt zur Gegend nördlich von Bailleul ab.

Die durch den Kemmel, Dranoutre und Vleugelhoek bezeichnete und vom [448] Feinde gehaltene Höhenlinie geht nach Südosten in das Land beiderseits der Douve über, dessen Art etwa den bergigen Formen bei Dranoutre und Vleugelhoek entspricht. Die Kemmel-Kuppe zeigt 156 m Höhe, Dranoutre und Vleugelhoek etwa 60; die Erhebungen in dem von den Deutschen damals besetzten Vorgelände erreichen nur an einzelnen Punkten eine größere Höhe als 70 m und bleiben meist weit darunter. Die überragende Bedeutung des Kemmels für das ganze Kampfgebiet wird hierdurch gekennzeichnet. Die feindliche Stellung, soweit sie für den Angriff in Betracht kam, war nach deutscher Annahme von acht bis neun englischen Divisionen besetzt, die fast durchweg stark gelitten hatten und schwerlich volle Gefechtsstärken aufwiesen. Es mußte aber mit erheblichen französischen Verstärkungen gerechnet werden, da jetzt schon Franzosen am Kemmel gesichtet wurden.

Die Tage bis zum Angriff verliefen bei der 4. und 6. Armee, abgesehen von örtlichen Gefechten, ohne große Kampfhandlungen. Der Feind baute eifrig an seinen Stellungen und schien sich vom Ypern-Bogen an bis zum linken Flügel der 6. Armee ein tiefgegliedertes Stellungssystem schaffen zu wollen.

Am 20. April bestimmte die Oberste Heeresleitung, daß die 6. Armee auf Abwehr zu stellen sei, aber die Wegnahme von Festubert und Givenchy in ihrer linken Flanke vorzusehen und die Industrieanlagen bei Béthune dauernd unter Feuer zu halten habe.

Am 22. April ordnete die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht an, daß bei glücklichem Fortschreiten des Angriffs der linke Flügel der 4. Armee, Garde-Reservekorps, und von der 6. Armee III. bayerisches Armeekorps zum Vorgehen bereit sein müßten; auch im Ypern-Bogen sei in diesem Falle die Vorwärtsbewegung des Gardekorps wieder aufzunehmen. In der Nacht vom 22. zum 23. April erfolgte ein heftiger Vorstoß feindlicher Zerstörer und Motorboote gegen die deutschen Marineanlagen bei Zeebrügge und Ostende, ein Beweis der beim Gegner bestehenden Unruhe.

Am 23. April hatte die 6. Armee feindliche Angriffe gegen rechten Flügel und Mitte abzuwehren. Am Abend setzte X. Reservekorps den vorgeschriebenen Stoß gegen Höhe südlich Vleugelhoek an, der trotz Gegensturms Erfolg hatte. Die feindliche Artillerie schoß sehr stark. Auch hier wurden Franzosen festgestellt. Der 24. April verlief, abgesehen von örtlichen Gefechten, bei der 6. Armee ruhig.

Eine am Kemmelberg von den Engländern jahrelang innegehabte Stellung.
Eine am Kemmelberg von den Engländern
jahrelang innegehabte Stellung. Nach dem Sturm
dieses Bild des Grauens.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 63.
Am 25. April, dem Angriffstage, herrschte Regenneigung, die sich am Nachmittag in einem Gewitter löste. Nachdem die Artillerievorbereitung um 3 Uhr morgens mit Unterstützung der 6. Armee begonnen hatte, stürmte XVIII. Reservekorps um 645 morgens Vroilandhoek, das mit seiner Besatzung dem Kemmel-Angriff hindernd im Weg lag. Um 7 Uhr morgens setzte sich die Infanterie beider Sturmkorps in Bewegung. Obwohl Engländer und zahlreiche Franzosen zähen Widerstand leisteten und keine eigentliche Überraschung zustande gekommen war, schritt der Angriff bei vortrefflicher Artillerie- [449] unterstützung und schwacher Gegenwirkung der feindlichen Batterien flott voran. XVIII. Reservekorps nahm in der Front Groote Vierstraat und das Dorf Kemmel und drang über diese ersten Ziele noch hinaus; in seiner rechten Flanke eroberte es am späten Abend St. Eloi. Über 3000 Gefangene und 15 Geschütze wurden eingebracht. X. Reservekorps nahm das Berggelände des Kemmels, Dranoutre, die Höhen nördlich Vleugelhoek und machte besonders nordwestlich des Kemmels Fortschritte; die Zahl seiner Gefangenen belief sich auf 1500.

Am Abend ging die vordere Linie der Sturmtruppen vom Nordrand von St. Eloi über die Gegend nordwestlich von Groote Vierstraat und östlich von Brulooze nach den Höhen nördlich von Vleugelhoek. Angesichts der glücklichen Anfangserfolge hatte das Oberkommando der 4. Armee schon um 10 Uhr vormittags befohlen, daß XVIII. Reservekorps gegen die Straße Ypern - Vlamertinghe und gegen den Höhenzug nordöstlich Reninghelst, X. Reservekorps auf Reninghelst, Linie Reninghelst - Locre und Gegend westlich von Dranoutre weitergehen sollten. Das Gardekorps wurde darauf hingewiesen, daß der Gegner im Ypern-Bogen voraussichtlich seine Rückwärtsbewegung wieder aufnehmen werde und gegebenenfalls zu verfolgen sei. Der Eindruck bestand, daß die 4. Armee in den Aufmarsch französischer Kräfte hineingestoßen war, die die englische Stellungsbesatzung ablösen sollten. Der Feind war auf den Angriff vorbereitet gewesen; einen Teil seiner Artillerie hatte er zurückgebracht.

Am 26. April wurde der Angriff bei trübem Wetter fortgesetzt. Während sich der rechte Flügel des XVIII. Armeekorps bis zum Südrand von Vormezeele durchkämpfte, hatte der linke schon am frühen Morgen südlich Dickebusch den erbitterten Gegenangriff einer französischen und zweier englischen Divisionen abzuweisen, wobei schwere Verluste eintraten. Die feindliche Artillerie war sehr lebhaft. Es gelang nicht, am Nachmittag die Vorwärtsbewegung wieder in Fluß zu bringen. Auch X. Reservekorps kam nicht voran; als aber am Nachmittag ein französischer Vorstoß an der Straße Locre - Dranoutre in seine Linien eindrang, wiesen die betroffenen Truppen diesen Angriff nicht nur ab, sondern nahmen im Nachstoß das Dorf Locre und den Höhenzug südlich davon in Besitz.

Das Oberkommando der 4. Armee kam zur Überzeugung, daß die Fortführung der Offensive nur nach neuer planmäßiger Vorbereitung erfolgen könne; als Angriffstag wurde der 29. April festgesetzt. Der Feind hatte sich als sehr stark erwiesen; man rechnete auf dem rechten Flügel des XVIII. Reservekorps mit Teilen von sechs englischen Divisionen, während die übrige Angriffsfront bis südlich Locre von etwa vier französischen Divisionen gehalten wurde. Auch vor der 6. Armee war der Gegner sehr tätig; an verschiedenen Stellen mußten Vorstöße von ihr abgewehrt werden.

Am 27. April morgens begann der Feind von neuem im Ypern-Bogen zu weichen, wo sich die Belgier nach Süden bis St. Julien ausgedehnt hatten. Das Gardekorps verfolgte, konnte aber nur bis zur Linie Steen-Bach westlich Lange- [450] marck - Gegend westlich Zillebeke nachdrängen, da der Gegner wieder Front machte. Voormezeele und der Raum östlich davon und nördlich St. Eloi fielen in die Hände des XVIII. Reservekorps der 4. Armee. Im übrigen brachte der Tag - wie auch bei der 6. Armee - keine besonderen Ereignisse. Der Angriffsbefehl für X. Reservekorps wurde vom Oberkommando der 4. Armee dahin erweitert, daß nunmehr, nach dem Fall von Locre, auch Westoutre zu nehmen sei.

Am 28. April fanden nur örtliche Kämpfe an den vorderen Linien der 4. Armee statt; bei der 6. Armee war es ruhig, der Feind baute eifrig an seinen Stellungen. An der Küste vor dem rechten Flügel der 4. Armee schienen sich die Belgier durch Überschwemmungsmaßnahmen Sicherheit gegen Angriffe schaffen zu wollen.

Am 29. April, einem windigen Tage mit mäßiger Sicht, begannen XVIII. Reservekorps und X. Reservekorps um 4 Uhr morgens ihr Vorbereitungsfeuer für die Fortführung des Angriffs, das heftige, aber allmählich sich abschwächende Gegenwirkung der feindlichen Batterien hervorrief. Später nach der Vergasung lebte das Feuer des Gegners wieder auf und wurde sehr stark. Um 640 morgens stürmte die Infanterie, rang aber nahezu vergeblich um ihr Vorwärtskommen; nennenswerte Fortschritte wurden nicht gemacht, wenn es auch gelang, die feindlichen Linien westlich Voormezeele und nordöstlich Brulooze eine Strecke zurückzudrücken. Als noch am Vormittag ein feindlicher Gegenstoß die Truppen des X. Armeekorps in der Gegend von Brulooze und Locre traf und Locre verloren ging, brach das Oberkommando der 4. Armee in der Erkenntnis, daß hier, wie vorher bei der 6. Armee, durch die Stärke des Feindes eine Materialschlacht im Entstehen sei, den Angriff ab. Der Gegner ging darauf seinerseits an mehreren Stellen zur Offensive über, wurde aber abgewehrt.

Noch am 29. April ordnete das Oberkommando an, daß die Armee vorläufig auf Abwehr zu stellen sei und sich zur Verteidigung der bisherigen Errungenschaften einzurichten habe. Die Oberste Heeresleitung erklärte sich damit einverstanden. Die gesamte Georgette-Operation war abgeschlossen; die 4. und 6. Armee hatten ihre Angriffskraft erschöpft, es kam auch nicht mehr dazu, die wichtigen Punkte Festubert und Givenchy in der linken Flanke zu nehmen.


Ergebnisse der Georgette-Offensive.

Georgette ergab ebenso wie St. Michael eine Hervorwölbung aus der früheren Front, aber von weit beschränkterer Ausdehnung. Sie war am stärksten in der Mitte auf dem rechten Flügel der 6. Armee, wo sie einen Geländegewinn von etwa 18 km darstellte, schwächte sich nach links etwas ab und verlor nach rechts bei der 4. Armee ganz bedeutend an Tiefe. Als Gesamtleistung steht Georgette, auch wenn man die kleineren Ausmaße in Betracht zieht, unter denen die Operation geführt wurde, hinter St. Michael zurück. Je schmaler die Grund- [451] lage ist, auf der sich ein Durchbruchsversuch aufbaut, um so geringer sind die Aussichten auf durchschlagende Wirkung, weil sich die Gelegenheiten seltener ergeben, durch überragende Erfolge an einzelnen Stellen das Gesamtergebnis zu beeinflussen. Georgette erstreckte sich allerdings schließlich vom La Bassée-Kanal bis zum Houthulster Walde, aber die Vorwärtsbewegung des Gardekorps im Ypern-Bogen war kein eigentlicher Durchbruchsangriff, sondern die Verfolgung des weichenden Gegners. Die ursprüngliche Angriffsfront der 6. und 4. Armee überragte nicht erheblich den Offensivraum, wie er bei St. Michael jeder der drei beteiligten Armeen zugebilligt war. Blieb damals auch die 17. Armee zurück, so kamen doch die 2. und vorzüglich die 18. Armee flott voran und schufen den mächtigen Geländegewinn der Michael-Schlacht. So breite Erfolgsmöglichkeiten waren Georgette versagt.

Dazu kamen die schon mehrfach geschilderten Geländeschwierigkeiten, die nicht als gering und nebensächlich angeschlagen werden dürfen und wesentlich zur Erschöpfung der Truppen beitrugen. Daß die Truppen selbst hinter denen des St. Michael-Angriffs an Eignung zurückstanden, bestätigte sich und äußerte sich in der schnelleren Verausgabung der Stoßkraft und im gelegentlichen Abirren von den vorgeschriebenen Zielen. Die eingesetzten Divisionen ließen zwar die Angriffsfreudigkeit nicht vermissen; ganz überwiegend gaben sie ihr Bestes her, um den Sieg zu erkämpfen. Es kam aber doch häufiger als bei St. Michael vor, daß einzelne Teile von Nebendingen, wie von der Durchsuchung der Ortschaften und Gehöfte nach Lebensmitteln, von der Anziehungskraft feindlicher Proviantämter, aus der Hauptrichtung abgelenkt wurden und dadurch die Führung erschwerten. Trotzalledem zeitigte Georgette ganz hervorragende Waffentaten, unter denen der Lys-Übergang auf dem rechten Flügel der 6. und der Kemmel-Sturm der 4. Armee an erster Stelle stehen. Die Überlegenheit der deutschen Truppen im Angriff und die deutsche Kunst, die Offensive zu organisieren und auch gehäufte Schwierigkeiten zu überwinden, traten abermals in helles Licht.

Daß Georgette nicht den erhofften Erfolg hatte, das Höhengelände bei Cassel zu gewinnen und damit den ersten sicheren Sprung zur Küste zu machen, lag nicht zuletzt an der Erstarkung des feindlichen Widerstandes durch den Zuzug der Franzosen. Die Oberste Heeresleitung mußte sich mit dem Ergebnis begnügen, den Feinden einen neuen Schlag versetzt zu haben, der zwar nicht von der gleichen Wucht war wie St. Michael, aber doch die Zertrümmerung des englischen Heeres in großem Umfang fortgesetzt und auch den Franzosen schweren Schaden getan hatte. Die Georgette-Kämpfe hatten mehr als 30 000 Gefangene, über 450 Geschütze und eine große Beute an sonstigen Waffen und Kriegsgerät erbracht. Dazu kamen die blutigen Verluste, die beim Verteidiger erfahrungsmäßig weit höher anzunehmen waren als beim Angreifer. Starke moralische Wirkung konnte also in dem Sinne erhofft werden, daß der Glaube der Gegner an den Endsieg aufs [452] neue erschüttert wurde. Wenn man sich auch bewußt war, daß Georgette nur die zweite Etappe auf dem Wege zum Siege war und neue Schläge folgen mußten, um ihn endgültig zu machen, so lag doch keine Veranlassung vor, die Gesamtlage als ungünstig zu beurteilen.

Die Auffassung der Obersten Heeresleitung war am 30. April folgende:

      "Die 4. Armee hat den Erfolg von Armentières durch die Wegnahme des Kemmels weiter ausgestaltet; die 6. Armee kann in der Lys-Ebene leben. Seit dem 21. März ist die dritte englische Armee schwer getroffen worden, französische Reserven sind dort eingesetzt. Das englische Heer ist nicht angriffsfähig, höchstens gegen den Südteil der 6. Armee sind Vorstöße zu erwarten. Dagegen können die Franzosen am Kemmel bei der 4. und bei Moreuil an der Michael-Front angreifen. Wir müssen mit den Gegenangriffen in der Vorderhand bleiben, daher mit unseren Kräften sparsam sein. Notwendig ist die Beschießung des französischen Industriegebiets von Béthune, um zusammen mit dem U-Bootskrieg die Wirtschaftslage der Entente zu verschärfen. Als Aktivposten können wir die Festigung der Verhältnisse in Finnland,74 die Versorgungsmöglichkeiten aus der Ukraine und den bevorstehenden Frieden mit Rumänien buchen."

Während die Oberste Heeresleitung zur Fortführung der Offensive rüstete, wozu Vorarbeiten schon im Gange waren, suchten sich die 4. und 6. Armee in ihren neuen Stellungen zu befestigen. Die erforderliche Sparsamkeit führte zur Lockerung der Front wenigstens bei der 6. Armee; bei der 4. Armee am Kemmel wurde hiervon abgesehen, weil noch mit starken feindlichen Vorstößen gerechnet wurde. Den in der Front eingesetzten Divisionen konnte Ablösung für die nächste Zeit nicht in Aussicht gestellt werden; es galt ausgeruhte und geschulte Kräfte für neue Zwecke bereit zu halten. Die neue Georgette-Front hatte bei dem Mangel an ausgearbeiteten Stellungen und gegenüber der feindlichen Angriffslust noch schwere Tage vor sich. Es zeigte sich, daß der Entschluß, die begonnene Operation einzustellen, noch nicht den Kampf beendet, sofern es dem Feinde nicht gefällt, sich mit den neuen Verhältnissen abzufinden.


Feindliche Abwehr der Georgette-Offensive.

Auf englischer Seite war die Möglichkeit eines deutschen Angriffs nördlich des La Bassée-Kanals schon im März 1918 erwogen worden, als zeitweise trockenes Wetter die Niederungsgebiete an der Front festzumachen begann. Diese Erwägung hatte aber nicht dazu geführt, die bedrohten Stellungen durch zurückgehaltene Kräfte besonders zu stützen; die Aufmerksamkeit war nach Süden auf die Gefahren gerichtet, die der St. Michael-Angriff gezeitigt hatte. Am 9. April 1918 wurde gegenüber der 6. deutschen Armee die Front zwischen dem La Bassée-Kanal und Armentières von sechs Divisionen der 1. Armee gehalten, unter denen [453] die beiden portugiesischen bei Laventie die Mitte bildeten; diese nicht englischen Truppen galten als besonders ermüdet und waren gerade in der Ablösung begriffen. Nach Norden anschließend standen vor dem linken Flügel der deutschen 4. Armee drei Divisionen der 2. Armee zwischen Armentières und Hollebeke; drei Divisionen der gleichen Armee verteidigten den nach Osten vorspringenden Ypern-Bogen und hatten nordwestlich von Langemarck Anschluß an die Belgier. An Reserven waren zwischen Béthune und Poperinghe hinter der Angriffsfront vier und eine halbe Divisionen verfügbar; die anderen englischen Reserven stützten die eingedrückte englische Front beiderseits der Somme.

Von den Verbänden nördlich des La Bassée-Kanals waren die meisten abgekämpft; hatten doch von den insgesamt 58 englischen Divisionen 46 an den St. Michael-Kämpfen teilgenommen. Als am 9. April bei unsichtigem Wetter der Stoß der deutschen 6. Armee erfolgte, wurde die Stellung der englischen 1. Armee glatt überrannt und im portugiesischen Frontteil durchbrochen. Die von rückwärts in Bewegung gesetzten Reserven - zwei Divisionen - konnten erst an der Lys-Lawe-Linie hilfreich eingreifen. Gegen den Stoß der deutschen 4. Armee am 10. April auf die englische 2. Armee leistete zunächst nur eine halbe Division der Reserven bei Wytschaete Unterstützung; die noch übrigen beiden Divisionen wurden nach Bailleul und in die Gegend östlich davon vorgeholt, wo sich ihr Widerstand später sehr bemerkbar machte. Überhaupt setzten sich die englischen Truppen rücksichtslos ein, nachdem der erste Schreck überwunden war, und verstanden es, die deutschen Fortschritte zu verlangsamen. Gegenüber der deutschen 6. Armee wurden vom 11. April an sechs weitere Divisionen eingeschoben, die von Süden heraneilten und denen es glückte, namentlich bei Festubert und Givenchy die weitere Ausdehnung des Geländeverlustes zu hemmen. Trotzdem blieb bei den unermüdlichen Anläufen der Deutschen und ihrer Beharrlichkeit im schrittweisen Erkämpfen des Bodens die Lage kritisch, bis französische Hilfe eintraf.

Der englische Befehlshaber, General Haig, fühlte sich mit seinen stark geminderten Truppen den deutschen Angriffen auf die Dauer nicht gewachsen und ging daher den Oberbefehlshaber der Entente Foch um Hilfe an. Dieser General war zunächst nicht der Ansicht, daß es zweckmäßig sei, die Engländer unmittelbar zu unterstützen, sondern wollte ihnen mittelbar durch einen Vorstoß gegen die St. Michael-Front zwischen Moreuil und Montdidier beistehen; daran sollten sich aber auch die Engländer durch einen flankierenden Angriff nördlich von Amiens beteiligen. General Haig wehrte dieses Ansinnen ab; er glaubte für eine solche Operation keine Kräfte verfügbar zu haben, so lange bei Armentières der Kampf stand.

Da sich keine Einigung erzielen ließ, gab Foch nach und sandte den Engländern mit der Bahn eine Anzahl Truppen zu, die etwa vom 15. April an allmählich in die bedrohte englische Front einrückten. Foch verfuhr aber sehr vorsichtig und stellte zunächst nur vier Divisionen zur Verfügung, um für eigene [454] Offensivabsichten oder, um neuen Stürmen zu begegnen, nicht von Reserven entblößt zu sein. Am 16. April waren bereits Franzosen an den Kämpfen bei Wytschaete und Meteren beteiligt, ohne den Fall beider Stützpunkt abwenden zu können. In den nächsten Tagen besetzten die französischen Truppen den Raum von nördlich Bailleul bis zum Kemmel einschließlich, rechts und links von Engländern eingerahmt, und trugen die Hauptlast der Abwehr der sich mehr und mehr gegen den Kemmel richtenden deutschen Angriffe.

Durch den Verlust des Kemmels, von Dranoutre und der Höhen nördlich Vleugelhoek am 25. April erlitten Franzosen und Engländer eine neue und nach Festigung der Front unerwartete Niederlage. Auch hier konnten herbeieilende englische Reserven - wenig mehr als zwei Divisionen - erst hilfreich eingreifen, nachdem die vorderen Stellungen überrannt waren. Die deutsche Offensive kam allerdings zum Stehen, aber die nunmehr einsetzenden Gegenstöße der Ententetruppen machten die erlittenen Einbußen trotz gelegentlicher Vorteile nicht wieder wett.

Hatten sie hier Gelände unter dem überlegenen Druck der deutschen Angriffe preisgegeben, so vollzog sich weiter nördlich die Aufgabe der ursprünglichen Stellungen nach dem Willen der Führung. Um Truppen zu sparen und der Ausdehnung der deutschen Offensive nach Norden zuvorzukommen, wurde schon in der Nacht vom 12. zum 13. April begonnen, die Truppen in dem nach Osten vorspringenden Ypern-Bogen bis hinter den Steen-Bach zurückzunehmen; bis zum 16. April war diese Bewegung, der die Deutschen folgten, vollzogen. Am 27. April sah sich die englische Führung unter der Wirkung der deutschen Erfolge am Kemmel von neuem genötigt, die Front noch näher an Ypern zurückzuziehen, wobei es zu Zusammenstößen mit den nachdrängenden Deutschen kam, an denen sich auch der rechte Flügel der Belgier beteiligte.

Mit dem Ende des Monats flauten die Kämpfe auf der ganzen deutschen Angriffsfront ab. Wenn es die Engländer auch als einen Erfolg verkündeten, daß sie mit französischer Hilfe dem deutschen Stoß nicht völlig erlegen waren, so sah man doch nur mit Sorge in die nächste Zukunft; denn wenn es den Deutschen auch dieses Mal nicht gelungen war, die englische Front zu zerbrechen, so konnten sie bei ihrer unerschöpflich scheinenden Angriffskraft doch den Versuch mit besserem Glück demnächst wiederholen. Von den 58 englischen Divisionen waren in die Kämpfe an der Lys abermals 25 eingesetzt worden, und die Verluste an Gefangenen, Toten und Verwundeten wie auch an Kriegsgerät erwiesen sich als recht schwer. Ohne Unterstützung durch die Bundesgenossen glaubten die Engländer nicht mehr auskommen zu können.

In der Tat beherrschte die ängstliche Frage, wo der nächste deutsche Schlag fallen werde, die Gemüter der gesamten Entente. Die deutschen Angriffe des Jahres 1918 zeitigten Erfolge, wie sie bis dahin in der Geschichte des Stellungskrieges unerhört waren. Der Oberbefehlshaber Foch, der zwar zeitweise eigene [455] Angriffspläne verfolgte, es aber immer wieder für geratener hielt, bis zur erhofften Erschöpfung der Deutschen in der Abwehr zu bleiben, erkannte sehr wohl, daß es jetzt vor allem darauf ankomme, die Engländer vor völliger Zertrümmerung zu bewahren. Er sandte daher seine Reserven in der Mehrzahl nach Flandern und an die Somme, wo er die nächsten deutschen Unternehmungen voraussetzte. Dadurch wurde allerdings der französische Frontteil entblößt; aber wenn er angegriffen werden sollte, konnte es sich wohl nur um einen Stoß handeln, der von der Hauptoperation gegen die Engländer ablenken sollte. Mit echt französischem Selbstgefühl glaubte man sich solcher Möglichkeit gewachsen.

Es ergab sich also das Bild, daß der Schwerpunkt der Heereskraft der Entente hinter den linken Flügel der Gesamtfront verlegt wurde; von 83 zurückgehaltenen Divisionen standen 58 zwischen dem Meer und der Oise. Im übrigen aber sorgte Foch für Mehrung der verfügbaren Kräfte. Brauchbare französische Divisionen wurden auf den anscheinend nicht bedrohten Frontstrecken durch abgekämpfte englische Verbände und durch Amerikaner ersetzt. Es kam ihm zugute, daß die französische Ersatzlage um einen Jahrgang günstiger als die deutsche war; auch die Engländer konnten wieder gefestigt werden, wenn es einige Zeit ruhig blieb, und die Amerikaner in ihrer wachsenden Stärke bildeten den Hoffnungsanker für alle schweren Lagen, die die deutsche Angriffslust noch heraufbeschwören konnte.


50 [1/424]Hierzu Skizze 23, Seite 429. ...zurück...

51 [2/424]Seite 423, vergleiche auch Seite 380. ...zurück...

52 [1/426]Hierzu Skizze 23, Seite 429. ...zurück...

53 [1/427]Seite 413. ...zurück...

54 [2/427]General Wichura. ...zurück...

55 [3/427]General v. Schöler. ...zurück...

56 [1/431]Hierzu Skizze 24, Seite 432. ...zurück...

57 [2/431]Seite 358. ...zurück...

58 [3/431]Seite 392. ...zurück...

59 [1/433]Erweiterung des bisher "Flandern 3" genannten Angriffsplanes von Dixmude gegen den Loo-Kanal bis ins Küstengebiet; siehe Seite 359 und 420. ...zurück...

60 [2/433]Seite 394. ...zurück...

61 [1/435]Seite 358 und 359. ...zurück...

62 [1/436]General v. Stetten, später Krafft v. Dellmensingen. ...zurück...

63 [2/436]General v. Carlowitz. ...zurück...

64 [3/436]General v. Kraewel. ...zurück...

65 [4/436]General Litzmann. ...zurück...

66 [5/436]General v. Bernhardi. ...zurück...

67 [6/436]Admiral v. Schröder. ...zurück...

68 [7/436]General v. Eberhardt. ...zurück...

69 [8/436]General Frhr. Marschall. ...zurück...

70 [9/436]General v. Boeckmann. ...zurück...

71 [10/436]General Sieger. ...zurück...

72 [1/438]Oberbefehlshaber General v. Quast; Chef des Generalstabers Oberstleutnant v. Lenz. ...zurück...

73 [1/439]Oberbefehlshaber General Sixt v. Armin; Chef des Generalstabes General v. Loßberg. ...zurück...

74 [1/452]Am 13. April hatte die Ostsee-Division Helsingfors genommen und seitdem ihren Besitz noch weiter ausgedehnt. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte