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Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917

Kapitel 2: Die militärischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
  (Forts.)

Oberst Gustav v. Bartenwerffer

4. Die Lage auf den östlichen und südöstlichen Kriegsschauplätzen zu Anfang des Jahres 1916. - Die Verdun-Offensive bis Ende Mai.

Nach dem Abflauen der Champagne-Offensive im Oktober 1915 hatte sich die deutsche Oberste Heeresleitung wieder nach Pleß begeben, um sowohl dem k. u. k. Armee-Oberkommando als auch den östlichen und südöstliche Kriegsschauplätzen näher zu sein. Im vorigen Kapitel wurde schon erwähnt, daß das k. u. k. Armee-Oberkommando die "Konjunktur" auszunutzen versuchte, um sich an der Adria günstige Angriffsbedingungen zu schaffen und gegebenenfalls auch die Reste [85] der serbischen Armee in Albanien zu vernichten. Sobald als möglich - etwa im Januar oder Februar - wollte das k. u. k. Armee-Oberkommando gegen Italien losschlagen. Der Feldzug gegen Montenegro im Anschluß an diese Offensive gegen Serbien und der Vorstoß nach Mittelalbanien waren Vorläufer dieser Offensive, für die alle nur verfügbaren Kräfte herangeholt werden sollten. Schon Mitte Dezember beauftragte das k. u. k. Armee-Oberkommando bei der deutschen Obersten Heeresleitung neun deutsche Divisionen zur Freimachung von österreichisch-ungarischen Truppen an der galizischen Front. Beginnend mit einem Durchbruch aus Tirol in südöstlicher Richtung wollte Generaloberst Freiherr v. Conrad die an der Isonzo-Front und nördlich davon stehenden italienische Hauptkräfte von ihren Verbindungen abschneiden und vernichten. Als Gegenleistung für die erbetene deutsche Unterstützung in Galizien versprach das k. u. k. Armee-Oberkommando "nach Unschädlichmachung Italiens" 400 000 Mann für einen entscheidenden Schlag im Westen.

Unter Berücksichtigung der österreichisch-ungarischen Sonderinteressen erschien die Lage für einen Angriff auf Italien allerdings besonders günstig; durch die gemeinsamen Unternehmungen der Mittelmächte im Jahre 1915 - bei denen die deutschen Truppen die Hauptarbeit geleistet hatten - war Rußland beträchtlich geschwächt, Serbien zu Boden geworden und Rumänien angesichts dieser Erfolge der Mittelmächte still geworden. Das k. u. k. Armee-Oberkommando war also zur Zeit seiner dringendsten Sorgen ledig und sah endlich freie Bahn für die Abrechnung mit dem Erbfeind an der Adria. - General v. Falkenhayn aber hatte gegen dieses Unternehmen starke Bedenken, ganz abgesehen davon, daß es nach den Erfahrungen von 1915 mindestens zweifelhaft blieb, ob die österreichisch-ungarischen Truppen eine solche große Operation allein aus eigener Kraft würden zu Ende führen können. Nach dem die deutsche Oberste Heeresleitung im Jahre 1915 alle Offensivpläne für den Westen hatte zurückstellen müssen, um zuerst durch entscheidende Schläge dem Bundesgenossen gegen die Russen und auf dem Balkan zu helfen und das k. u. k. Heer vor dem Zerfall zu bewahren, erforderte die Gesamtkriegslage jetzt unbedingt ein Ende der verlustreichen und nichts einbringenden Defensive im Westen. Eine Truppenabgabe von dort war völlig ausgeschlossen; General v. Falkenhayn sprach vielmehr dem k. u. k. Armee-Oberkommando gegenüber in einem ausführlichen Telegramm am 16. Dezember 1915 den Wunsch aus, daß es durch Entsendung aller seiner an anderen Fronten entbehrlichen Truppenteile nach Galizien die dort stehenden deutschen Division für anderweitige Unternehmungen freimache. Er wies darauf hin, daß die Offensive gegen Italien auch im günstigsten Falle niemals das Ausscheiden Italiens aus dem Feindbund erzwingen könne. Italien war durch seine geographische Lage, die es strategisch gegen die Mittelmächte begünstigte, gegen Englands Flotte aber fast wehrlos machte, auf Gedeih und Verderb mit der Entente verbunden und mußte mit ihr ausharren, solange sie [86] es wollte. Auch nach einem Siege hätte also immer noch eine österreichisch-ungarische Truppenmacht gegen Italien stehen bleiben müssen, vielleicht sogar eine stärkere als im Winter 1915/16, wo die vom Gelände sehr begünstigten Stellungen im Hochgebirge und im Karst mit verhältnismäßig schwachen Kräften gehalten werden konnten. General v. Falkenhayn machte den österreichisch-ungarischen Generalstabschef auch darauf aufmerksam, daß die Vorbereitung der Operation aus Tirol heraus, für deren Gelingen das Moment der Überraschung unbedingte Voraussetzung sei, den Italienern keineswegs verborgen bleiben könnte. Einen weiteren höchst bedenklichen Faktor sah General v. Falkenhayn schließlich in der Unzulänglichkeit der Bahnverbindung. Stand doch für die gesamte Aufmarschbewegung und für die Heranschaffung allen Materials nur die einzige Bahnlinie über Bozen zur Verfügung, die für die nach dem Urteil des deutschen Generalstabschefs zum Gelingen der Operation mindestens erforderlichen 25 Divisionen nicht entfernt ausreichte. Der Nachschub würde jedenfalls, noch dazu mitten im Winter, auf größte Schwierigkeiten stoßen.

Das k. u. k. Armee-Oberkommando zog daraufhin seinen Antrag auf deutsche Verstärkung in Galizien zurück, willigte in die Herauslösung der dort stehenden deutschen Divisionen [ein], blieb aber unerschütterlich bei seiner Überzeugung, daß eine Entscheidung gegen Italien im Bereich der Möglichkeit läge und verharrte auf seinem Angriffsplan. Es entschloß sich aber, zunächst den Feldzug gegen die Montenegriner und die in Nordalbanien gelandeten Italiener zu Ende zu führen, wozu Zeit und Gelegenheit durchaus günstig waren. Die deutsche Oberste Heeresleitung sah in der Lösung dieser beiden Aufgaben keine Schwierigkeiten für den Bundesgenossen und hoffte, daß durch neue Erfolge die Stimmung der k. u. k. Truppen nur gehoben werden könne. Sie erklärte sich daher mit diesen Absichten einverstanden unter der Bedingung, daß die Herauslösung deutscher Truppen im Gebiet südlich des Pripjet durch Einsatz österreichisch-ungarischer Divisionen rechtzeitig ermöglicht würde.

Auf diesem letzteren Kriegsschauplatz war es Ende 1915 zu hartnäckigen Kämpfen gekommen, während es sonst im Osten ziemlich ruhig blieb. Zur Weihnachtszeit griffen die Russen nördlich der rumänischen Grenze und nördlich des Dnjestr mit ihrer bisher an der bessarabischen Front festgestellten 7. Armee die k. u. k. 7. Armee und die deutsche Südarmee an, wobei sie das Hauptgewicht auf einen Erfolg zwischen Pruth und Dnjestr in Richtung auf Czernowitz legten.10 Trotz Einsatzes erheblicher Kräfte gelangten ihnen die Angriffe gegen die vortrefflich ausgebauten österreichisch-ungarischen Stellungen nicht; mit schweren Verlusten bezahlten vielmehr die Russen ihr Winterunternehmen (Neujahrsschlacht in Galizien), das sie erst in der zweiten Januarhälfte abbrachen. Immerhin waren auch die k. u. k. Truppen erheblich mitgenommen; Zeichen von Unzu- [87] verlässigkeit sogar waren bei einzelnen Truppenkörpern hervorgetreten, die ein wachsames Auge der Heeresleitungen erforderten.

Der Zweck dieses russischen Vorstoßes war offenkundig. Die seit Beginn des Krieges je nach dem Kriegsglück hin und her schwankenden Rumänen sollten endlich zum Anschluß an Rußland bewogen werden, was sicherlich auch erreicht worden wäre, wenn die Russen über Czernowitz hätten durchstoßen können. Hatten sie doch die Truppen, die bisher an der rumänischen Grenze entlang ihr Reich gegen etwaige rumänische Einfälle sicherten, fortgezogen und nördlich der Moldau gegen die k. u. k. Truppen eingesetzt, um gegebenenfalls Schulter an Schulter mit den Rumänen über die k. u. k. Heeresmacht herfallen zu können. Es traf sich günstig für die Mittelmächte, daß gerade deutsche Truppen im Südosten verfügbar wurden, um den Rumänen einen kleinen Dämpfer zu erteilen. Die Divisionen, die aus der serbischen Offensive im Dezember/Januar infolge der Nachschubschwierigkeiten herausgezogen werden mußten, konnten zur Erholung und Auffrischung nach Südungarn verlegt werden und übten durch ihre bloße Anwesenheit einen heilsamen Druck auf die benachbarten Rumänen aus. In der Befürchtung, daß diese Truppen zum Einfall in rumänisches Gebiet bestimmt sein könnten, und abgekühlt durch die russischen Mißerfolge bei Czernowitz, ließen sich die Rumänen weitgehend auf Lieferungen aller Art ein, die den Mittelmächten und ganz besonders der notleidenden Türkei sehr zustatten kamen und ihnen die Kriegführung im Jahre 1916 erheblich erleichterten. Zum militärischen Anschluß waren die Rumänen aber nicht zu bewegen; sie ließen im Gegenteil "was dem einen recht war, dem anderen billig" sein, verdarben es auch mit der Entente nicht, sondern schlossen auch mit ihr ähnliche Lieferungsverträge, die allerdings lediglich den Russen zugute kamen.

Im allgemeinen lagen also für die Mittelmächte die Verhältnisse im Osten und Südosten zu Anfang 1916 recht günstig, ganz besonders, nachdem auch die Gallipoli-Halbinsel Anfang Januar von der Entente geräumt worden war und die Türkei dadurch etwas mehr Bewegungsfreiheit erhielt. Allerdings hatten die Türken ihre Truppen in Armenien nicht rechtzeitig verstärken können, so daß es den etwas rühriger gewordenen Russen gelang, an der Küste des Schwarzen Meeres vorzudringen, am 16. Februar Erzerum zu nehmen und die Türken in Richtung Erzingjan zurückzudrücken.11 - Die österreichisch-ungarischen Unternehmungen gegen Montenegro und gegen die Italiener in Albanien verliefen, wie erwartet, schnell und erfolgreich, auch an der Isonzo-Front gelang es im Januar den k. u. k. Truppen, ihre Brückenkopfstellung zu festigen.12 Trotz größter Anstrengungen und trotz Einsatzes von fast zwei Dritteln ihrer gesamten Heeresmacht waren die Italiener in dem schon dreiviertel Jahr dauernden Kampf am Isonzo kaum einen Schritt vorwärts gekommen.

[88] Die Lage im Westen drängte im Frühjahr 1916 zur Entscheidung. Hatte die zahlenmäßige Überlegenheit der Ententetruppen zu Anfang des Krieges dort 600 000 Mann betragen, so war sie im Februar 1916 auf rund 1 100 000 Mann angewachsen, nachdem England, unmittelbar vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht stehend, sein Heer von fünf auf fünfzig reguläre Divisionen gebracht hatte, von denen etwa vierzig schon auf dem Festlande zu sein schienen.

Dem gegenüber war es eine zwingende Notwendigkeit für das deutsche Heer, aus dem Stellungskrieg wieder in den Bewegungskrieg überzugehen. Der Bewegungskrieg war 1914 im Westen die Stärke der Deutschen gewesen und erwies sich auch in Rußland als die für Ausbildung und Charakter der deutschen Truppen gegebene Kampfform. War er aber im Westen noch möglich? Sicherlich nicht mehr in der Form von 1914, da sich inzwischen das Zahlenverhältnis allzusehr zu Ungunsten Deutschlands verschoben hatte und die Abwehrmittel des Feindes so gewaltig geworden waren, daß die Ententetruppen im Falle einer siegreichen deutschen Offensive über kurz oder lang in einem rückwärts gelegenen geeigneten Abschnitt unter dem Schutz von Artilleriemassen eine neue Front bilden konnten, die umfassende neue Angriffe erfordert hätte. Für diese Angriffe hätte dann erste wieder eine neue Basis geschaffen werden müssen durch Bereitstellung neuer angriffsfähiger Truppen, durch neuen Artillerieaufmarsch und Nachführung des ganzen riesigen Apparats, den eine moderne Truppe zum Angriff braucht, nach Ausbau der hierfür notwendigen rückwärtigen Verbindungen. Unter diesen Umständen war im Hinblick auf die beschränkte Zahl der deutschen Heeresreserven eine Angriffsbewegung über weite Strecken kaum noch zu ermöglichen.

Die einzige andere Möglichkeit für das deutsche Westheer, wieder in den Bewegungskrieg zu kommen, indem es die eigenen Stellungen räumte und zunächst durch rückgängige Bewegungen die ganze erstarrte Front wieder in Fluß brachte, konnte angesichts der deutschen zahlenmäßigen Unterlegenheit 1916 nicht mehr in Betracht kommen. Ein Aufgeben mühsam erkämpften feindlichen Bodens, dessen Ausnutzung für die Mittelmächte von unschätzbarem Wert für die Fortführung des Krieges war, konnte nicht gewagt werden.

So war es, obgleich die deutsche Oberste Heeresleitung zur Zeit keine Gefahr von dem russischen Heer befürchtete - das noch unter den Schlägen von 1915 zu leiden schien - und also verhältnismäßig freie Hand im Westen hatte, doch schwer, die richtige Wahl für eine entscheidende Unternehmung im Westen zu treffen. Der Hauptfeind, das Rückgrat des Ententewiderstandes, war England, das infolge der Inanspruchnahme der deutschen Hauptkräfte gegen Rußland im Jahre 1915 Zeit zu gewaltiger Verstärkung seines Landheeres gefunden hatte. Die jetzt rund 1 100 000 Mann starken englischen Truppen standen nördlich der Scarpe bis zum Meer auf verhältnismäßig schmalem Raum stark nach der Tiefe gegliedert. Günstige Angriffsstellen bot die englische Front nur wenig. Die Lys-Niederung ist bis in das späte Frühjahr hinein wenig gangbar; nur [89] südlich des Loretto-Massivs war ein tiefer Einbruch zu erzwingen. Hier war die Naht zwischen Engländern und Franzosen, die an und für sich einen vorteilhaften Angriffspunkt geboten hätte. Konnten die deutschen Truppen hier die feindliche Front sprengen, so wurden die Engländer im Nordwesten gegen das Meer, die Franzosen im Südosten gegen und hinter die Somme gedrückt. Bei der angewachsenen Stärke der Engländer war es aber mindestens fraglich, ob sie völlig vom Festland verdrängt werden konnten. Eine Niederlage Englands wäre überdies auch niemals vollständig gewesen, solange nicht auch die englische Flotte besiegt war; denn auf dem Festlande stritten Franzosen, Russen und Italiener weiter für England, das auch nach Vernichtung seines Landheeres noch ein starker Pfeiler der Entente geblieben wäre. - Die Franzosen aber hätten, an der Scarpe geschlagen, hinter der Somme jedenfalls eine vorteilhafte Verlängerung ihrer Front gefunden, zwar Boden verloren, dafür aber günstige Nachschubverhältnisse zur neuen Front gewonnen. - Schließlich aber waren für den Erfolg einer deutschen Loretto-Offensive nach dem Urteil der Obersten Heeresleitung mindestens 30 Divisionen erforderlich, und soviel stand nicht zur Verfügung. Denn dem deutschen Ostheer konnte nichts entzogen werden; die Bulgaren waren nur zum Kampf auf dem Balkan verpflichtet, die Türken im Westen nicht verwendbar und die k. u. k. Reserven als Stützen ihrer eigenen Fronten unentbehrlich. Somit konnte die deutsche Oberste Heeresleitung nur mit ihren eigenen Reserven, d. h. mit etwa 20 Divisionen, rechnen und durfte unter diesen Verhältnissen nur ein beschränktes Angriffsziel ins Auge fassen, für dessen Verteidigung der Feind aber auch seine Kräfte bis zur Neige einsetzen würde.

Die deutsche Oberste Heeresleitung ließ also die englische Front zunächst aus ihren Erwägungen heraus und suchte nunmehr an der französischen Front nach einer Angriffsstelle, die eine entscheidende Rolle spielen konnte. Sie ging dabei von dem Gedanken aus, daß das französische Heer, das schon stark geblutet hatte, zu noch stärkeren Opfern gezwungen werden müsse, bis im französischen Volke allmählich die Überzeugung Platz greifen würde, daß es militärisch nichts mehr zu hoffen hatte. Dazu mußten, wie gesagt, erreichbare Angriffsziele dicht hinter der französischen Front ausgewählt werden, für deren Verteidigung Frankreichs Volk und Heer die letzte Kraft einsetzen würden. Solche Ziele waren Belfort und Verdun. Mit der Eroberung Belforts konnte auf die Säuberung des einzigen vom Feinde besetzten deutschen Bodens gerechnet werden. Wichtiger für die französische Kriegführung aber war Verdun, das im Jahre 1914 um ein Haar in deutsche Hand gefallen wäre und seitdem in bedrohlicher Nähe der deutschen Hauptverbindungsadern lag.

Der Plan einer Verdun-Offensive wurde um die Weihnachtszeit dem Obersten Kriegsherrn unterbreitet und fand dessen Billigung. Allerdings hoffte der deutsche Generalstabschef bei diesem Unternehmen auf erneute Eröffnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, der nach der festen Zuversicht der Marine- [90] Sachverständigen imstande sein sollte, England bis zum Herbst 1916 durch Abschneiden seiner Zufuhr zum "Einlenken" zu bringen. Zwar mußte alsdann mit Amerikas Eintritt in den Feindbund gerechnet werden; doch konnten sich die Folgen erst in vielen Monaten fühlbar machen, so daß inzwischen wohl Hunger und Not, die durch Englands Blockade das deutsche Volk zermürben wollte, nun die englischen Inselbewohner selbst zur Vernunft bringen würden. - Das Nichteinsetzen des uneingeschränkten U-Boot-Krieges war die erste Enttäuschung, die die Oberste Heeresleitung bei der Verdun-Offensive erleben mußte. Der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, zur Verhandlung mit Amerika bereit, verhinderte den U-Boot-Krieg und war durch alle schwerwiegenden Gegengründe der Obersten Heeresleitung nicht umzustimmen.13

Der Beginn des Angriffs auf Verdun wurde trotzdem für die erste Februarhälfte in Aussicht genommen. Da er umfangreiche Vorbereitungen erforderte, auf die der Feind nicht unnötig aufmerksam gemacht werden sollte, so wurden für mehrere andere Frontstellen gleichfalls Angriffsarbeiten befohlen. Besonders auffällig wurden diese Täuschungarbeiten innerhalb der Armee-Abteilung Gaede gegenüber der Festung Belfort betrieben, um Feind und Freund irrezuführen. Neben diesen Angriffsarbeiten wurden den Armeen sorgsam vorbereitete Teilunternehmungen befohlen, die im Januar zu einer lebhaften, für die Deutschen sehr erfolgreichen Tätigkeit an ihren Fronten führten.

Um die Geheimhaltung des ganzen Planes zu wahren, erhielt die Heeresgruppe Kronprinz Wilhelm im Dezember den Angriffsbefehl nur mündlich. Zu ihrer Entlastung wurde ihr die Oberleitung über die 3. Armee, die ihr seit Beginn der Champagne-Schlacht anvertraut war, abgenommen, während sie die Armee-Abteilungen links von der 5. Armee unter ihrem Befehl behielt, weil deren Aufgaben mit denen der 5. Armee verknüpft waren und Auswirkungen der Offensive sich bei ihnen unmittelbar fühlbar machen mußten.

Am 11. Februar 1916 unterrichtete sich der Chef des Generalstabes des Feldheeres in einer Besprechung mit den Chefs der Westfront über die Haltung des Feindes und über die Stimmung der eigenen Truppen und legte auch den anderen Armeen des Westheeres seine Absichten dar. Er betonte ausdrücklich, daß die Westfront nunmehr in eine Periode der Operationen einträte, die hoffentlich die Entscheidung bringen würden. Verdun sei als Angriffsziel gewählt; es frage sich, wie die Entente auf diesen Angriff reagieren würde. Hätten die Franzosen die Nerven, Entlastungsoperationen zu unterlassen, in der Überzeugung, daß Verdun sich allein halten würde, so wäre das für die Mittelmächte der ungünstigste Fall. Nach den bisherigen Kriegserfahrungen sei aber anzunehmen, daß die Entente von anderen Fronten Kräfte herbeiziehen würde, schon, weil es sich um das Palladium "Verdun" handle. Am besten wäre es für das [91] deutsche Heer, wenn die Entente, in der Annahme, daß Verdun allein hielte, an anderen Stellen selbst zu größeren Angriffen ausholen würde, etwa in Artois, in der Champagne oder in der Woëvre-Ebene. Dann könnten die deutschen Truppen nach Abschlagen der Angriff an mürben Stellen durchstoßen und auf diese Weise wieder in den Bewegungskrieg kommen. - General v. Falkenhayn schloß die Besprechung mit der Mahnung, daß ein einheitlicher Wille, ein gemeinsames Ziel alle Handlungen an der Front bestimmen und leiten müsse.

Für die Führung des Angriffs auf Verdun kamen nur wenige Möglichkeiten in Frage. Bei den deutschen Friedensüberlegungen war der Angriff von Norden beiderseits der Maas für den aussichtsreichsten gehalten worden. Aus der Woëvre-Ebene heraus gegen die Côtes und dann im dichten Unterholz weiter gegen die Werke galt er als aussichtslos. Auch 1916 war der Angriff nur zwischen den Argonnen und der Woëvre-Niederung möglich; um der Festung von Westen her beizukommen, hätte erst ein Durchbruch in den Argonnen oder in der Champagne erzwungen werden müssen, wozu die deutschen Kräfte nicht ausreichten. Sie reichten nach Ansicht der Obersten Heeresleitung nicht einmal hin, um den Angriff von vornherein beiderseits der Maas zu führen. Die Oberste Heeresleitung glaubte, sich die sehr unliebsamen Beschränkungen auferlegen zu müssen, die durch den Angriff auf nur einem Maas-Ufer eintraten. Der Angriff auf dem rechten (östlichen) Maas-Ufer wurde dem auf dem linken Ufer vorgezogen, obwohl eine starke Flankierung vom Westufer her erwartet werden mußte. Die vorspringende Ecke nordöstlich des Panzerforts Douaumont bot aber eine gute Umfassungsmöglichkeit, die der konzentrischen Wirkung des deutschen Artilleriefeuers gute und schnelle Erfolge versprach und für die Fortsetzung des Angriffs günstig war.

Derartige Vorteile bot das westliche Ufer nicht; hier hätte der Angriff rein frontal geführt werden müssen und wäre vom Ostufer aus unangenehm flankiert worden. Deshalb wollte die Oberste Heeresleitung den Angriff auf dem Westufer erst in dem Zeitpunkt aufnehmen, wo die Höhen des Ostufers deutscherseits zur Artillerieunterstützung ausgenutzt werden konnten. Die Oberste Heeresleitung war der Ansicht, daß der Angriff auch dann auf eine durch Abgaben an die bedrohte Nordostecke geschwächte Front stoßen und leichter sein würde. Dem stand freilich entgegen, daß der Einsatz starker, schon allein zur Flankierung bestimmter Artillerie und entsprechend starker Infanterie gerade auf dem Westufer zu erwarten war. Der schon im Frieden als zweckmäßiger anerkannte, unter Ausnutzung der Überraschung gleichzeitig beiderseits der Maas einsetzende Angriff hätte den Vorteil gehabt, daß jede Flankierungsmöglichkeit fortgefallen wäre. Truppen für einen Angriff beiderseits der Maas waren ausreichend vorhanden, wurden doch zum ersten Ansturm auf dem östlichen Ufer nur neun Divisionen eingesetzt, deren Angriffskraft erlahmte, als die Flankierung vom linken Ufer stärker wurde. Auch an Artillerie hätte zugunsten des Angriffs auf [92] dem westlichen Ufer eine größere Anzahl von Batterien ausgespart werden können, deren Wirkung, wie sich später herausstellte, vollkommen ausgefallen war.

Die Schlacht bei Verdun, Februar 1916.
Die Schlacht bei Verdun.
Einschläge auf den Höhenzügen des
Forts Douaumont, Februar 1916.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 285.

Die französische Festung Verdun unter deutschem Feuer.
Die französische Festung Verdun
unter deutschem Feuer. Die brennende Stadt.
Aufgenommen am 3. April 1916.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 302.

Flugzeugaufnahme vom 22. Mai 1916.
Die Festung Verdun mit ihren östlichen
Außenforts. Flugzeugaufnahme
vom 22. Mai 1916.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 303.
Der für den Beginn der Feuereröffnung festgesetzte Tag (12. Februar 1916) ließ sich nicht innehalten, da das Wetter andauernd unsichtig und regnerisch war und die Wege sich trotz fleißiger Verbesserungsarbeiten in einem Zustand befanden, der Truppen- und Kolonnenbewegungen fast ausschloß. Erst in der zweiten Februarhälfte klärte sich der Himmel, so daß am 21. Februar der Feuerbefehl gegeben werden konnte. Der erste Einbruch in das französische Verteidigungssystem gelang vollständig; am 25. Februar wurde die Linie Louvemont - Bezonvaux erreicht und das Fort Douaumont genommen; gleichzeitig gab der Feind in der Woëvre bis südlich der Straße Metz - Verdun nach, so daß diese Front sich gegen die Côtes Lorraines in Bewegung setzen konnte. Anderseits machte sich schon der Beginn der Flankierung vom linken Maas-Ufer gegen die Angreifer auf den Côtes fühlbar, so daß der Einsatz starker deutscher Artillerie zur Bekämpfung dieser Flankierungsartillerie auf dem westlichen Ufer nötig wurde. Um die genügenden Reichweiten für die Artillerie zu erzielen, mußte die Infanterielinie durch Angriff weiter vorgeschoben werden und hinter ihr der Aufmarsch der gegen sie bestimmten Batterien bewerkstelligt werden. Für diesen Angriff, der am 6. März begann, standen schon einige Divisionen der Heeresreserve mehr zur Verfügung, da größere Entlastungsstöße des Feindes ausblieben, eine Verschiebung der feindlichen Reserven nach Verdun erkannt wurde und Frontstrecken, die bisher von den Franzosen besetzt gewesen waren, plötzlich von Engländern eingenommen wurden. Der Zweck, die französischen Kampfdivisionen bei Verdun vor die Klinge zu bekommen, schien also erreicht. Besonders das langsame, aber stetige Vordringen der deutschen Truppen auf dem Westufer, die Bedrohung der beiden Forts Marre und Bois Bourrus, zwang die Franzosen zum Einsatz immer frischer Divisionen, und der stetige Druck auf dem Ostufer, das schrittweise Vordringen der Deutschen in Richtung auf "Kalte Erde" und auf das Dorf Fleury erforderten dauernde Ablösung der nach kurzer Zeit zermürbten französischen Truppen. So wurden bis Ende März 29, bis Anfang Mai 50, bis Mitte Juni 70 französische Divisionen zum Kampf um den Besitz von Verdun eingesetzt und zum großen Teil aufgerieben. Verlor Frankreich doch bis zum Juni über 300 000 Mann in diesem blutigen Ringen, das freilich auch für das deutsche Heer verlustreich war. Etwa wie 2 zu 5 verhielten sich die Verluste der Deutschen zu denen der Franzosen. Auch die deutschen Division büßten einen großen Teil ihrer Gefechtskraft ein. Die Hoffnungen, die die Oberste Heeresleitung auf die Wirkung der Artillerie gesetzt hatte, verwirklichten sich nicht; besonders die ständigen Werke und die kleinen Bauten boten stärkere Hindernisse, als erwartet, da die schwerste Artillerie sie nicht so fassen konnte, daß sie beim Sturm gänzlich ausgeschaltet worden wären.

So kamen die Deutschen der Stadt Verdun nur langsam näher. Die Hoff- [93] nung, dieses Palladium doch noch unter Zertrümmerung der französischen Armee in die Hand zu bekommen, gab die Oberste Heeresleitung aber auch Ende Mai noch nicht auf, fest überzeugt von der ungeheuren moralischen Wirkung, die der Fall dieses wichtigen Waffenplatzes haben mußte.

Trümmer des Forts Douaumont.

[240b]
      Angriff auf Verdun: Trümmer des Forts Douaumont.

Die Tätigkeit an den anderen Teilen der Westfront war infolge der starken Inanspruchnahme der französischen Truppen in der Verdun-Zone und der Übernahme französischer Frontteile auch südlich der Scarpe durch die Engländer eine verhältnismäßig geringe. Nur kleine Unternehmungen zu Aufklärungszwecken - größtenteils deutscherseits zur Feststellung des gegenüber befindlichen Gegners -, stellenweise starkes feindliches Artilleriefeuer und umfangreiche Sprengungen waren an der Tagesordnung.

Während größere Entlastungsangriffe im Westen zunächst ausblieben, erfolgten sie durch die Russen an der Hindenburg-Front und durch die Italiener am Isonzo. Der Oberbefehlshaber Ost hatte den Winter ausgenutzt und seine Front nach Kräften ausgebaut, die rückwärtigen Verbindungen, die im Herbst 1915 in traurigstem Zustand gewesen waren, nach Möglichkeit gebessert, ohne jedoch den anfangs ganz ungenügenden Nachschub völlig sicherstellen zu können. Sein Hauptquartier hatte der Oberbefehlshaber Ost in Kowno aufgeschlagen und lag somit hinter der Mitte seiner 500 km langen Front zwischen Njemen und dem Rigaischen Meerbusen. Die Russen beabsichtigten, den deutschen Nordflügel in Richtung Lowno abzuschnüren und gegen die Küste zu drängen. Stellenweise zu Trommelfeuer anschwellendes Artilleriefeuer leitete am 16. März die am 18. März beginnenden Angriffe zwischen Wischniew und Narocz-See und bei Postawy und Widsy ein, die sich am 21. März auf die Gegenden südwestlich Dünaburg und südlich und westlich Jakobstadt erweiterten. Das Gelände war infolge Tauwetters tief aufgeweicht, die Wege grundlos. In diesem Schlamm führten die Russen ungeheure Menschenmassen, in mehreren Wellen hintereinander, gegen das Feuer der deutschen Artillerie, Maschinengewehre und Gewehre. Nicht ohne Krisen ging es ab, Tag auf Tag dasselbe Bild: immer neue russische Massen stürmten an, stellenweise durch das Feuer ihrer eigenen Maschinengewehre vorangetrieben. Die deutsche Front hielt. Größte Anstrengungen auf beiden Seiten noch vom 26. bis 28. März, dann war die russische Angriffskraft gebrochen. Nach einer Atempause bis zum 5. April setzte am 6. und 7. April nochmals ein allgemeiner, aber erfolgloser Angriff ein, dann flaute die Kampftätigkeit ab. In "Sumpf und Blut" war der russische Angriff erstickt. Die Erwartung, daß die Russen nach der schweren Niederlage von 1915 für längere Zeit nicht operationsfähig sein würden, hatte sich jedenfalls nicht erfüllt; die Oberste Heeresleitung mußte auch im Osten die Augen offen behalten.

Gegen die Entlastungsoffensive der Italiener am Isonzo14 Mitte März blieben [94] die k. u. k. Truppen siegreich. Sie hielten sowohl auf dem Doberdo-Plateau wie auch bei Görz restlos ihre Stellungen und errangen sogar am 17. März am Tolmeiner Brückenkopf und am Rombon südlich Flitsch beträchtliche Vorteile. Um die gleiche Zeit stießen von Österreichern geführte albanische Banden am Vojusa-Fluß auf ausgebaute italienische Stellungen.

Franzosen, Russen und Italiener hatten das Jahr 1916 unglücklich begonnen; auch den Engländern blieb ein herber Schlag nicht erspart, der ihr Prestige wesentlich heruntersetzte. Ihre Lage am Irak gegenüber den Türken hatte sich trotz großer Anstrengungen der Entsetzungstruppen dauernd verschlechtert. Der anfangs nicht ungünstig stehende Angriff beiderseits der Tigris zum Entsatz von Kut el Amara am 17. April schlug in eine empfindliche Niederlage südlich des Trigris um. General Townshend kapitulierte am 21. April und lieferte seine Armee von über 13 000 Mann den Türken aus.15


10 [1/86]Vgl. hierzu Band 5: Der österreichisch-ungarische Krieg. ...zurück...

11 [1/87]Vgl. hierzu Band 4, Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei. ...zurück...

12 [2/87]Vgl. hierzu Band 5: Der österreichisch-ungarische Krieg. ...zurück...

13 [1/90]Vgl. hierzu Band 4, Abschnitt: Der Seekrieg. ...zurück...

14 [1/93]Vgl. hierzu Band 5: Der österreichisch-ungarische Krieg. ...zurück...

15 [1/94]Vgl. hierzu Band 4, Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte