Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 2: Die militärischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
(Forts.)
Oberst Gustav v. Bartenwerffer
5. Die k. u. k. Offensive in Tirol16 und die
Sommer-Offensive der Entente.
Die erneute Niederlage der Russen bei ihrer Entlastungsoffensive im März
1916 (siehe S. 93)
bestärkte Generaloberst
v. Conrad in seinem Entschluß, nunmehr endlich gegen Italien
loszuschlagen, obwohl die Länge der k. u. k. Ostfront nicht
gestattete, die für diese schwere Operation notwendige Mindestzahl an
Divisionen freizumachen. Die Warnungen des Generals v. Falkenhayn
hinsichtlich der Schwierigkeiten und der verhältnismäßig
geringen Erfolgsaussichten der Offensive waren unbeachtet geblieben. Schon im
Dezember wurde mit den Vorbereitungen begonnen, da die ganze Operation auf
die einzige Bahnlinie über Bozen angewiesen war, auf der die gesamte
Aufmarschbewegung laufen, alles Angriffsmaterial und alle Verpflegung
rechtzeitig vorgeführt werden mußte; Ende März standen die
Angriffstruppen bereit.
Generaloberst v. Conrad wollte, wie schon erwähnt, zwischen Etsch und
Brenta mit seinen besten Truppen aus dem Gebirge in die oberitalienische Ebene
hervorbrechen, die feindlichen Hauptstreitkräfte an der
Isonzo-Front von ihren Verbindungen abschneiden und sie im Rücken
fassen. An und für sich war dieser Plan ausgezeichnet und einleuchtend.
Unbedingte Voraussetzung für sein Gelingen wäre aber gewesen,
daß der Angriff den Italienern überraschend kam; und das war
ausgeschlossen, da die Vorbereitungen infolge der mißlichen
Bahn- und Witterungsverhältnisse zu lange Zeit in Anspruch nahmen, als
daß sie dem Feind hätten verborgen bleiben können. Der
unerwartet starke Schneefall in Tirol zwang zum Abwarten der besseren
Jahreszeit; erst sechs Wochen nach vollendetem [95] Aufmarsch, am 15. Mai, konnte der Angriff
einsetzen. Die ausgeruhten k. u. k. Truppen zeigten großen
Schwung und kamen schnell vorwärts; mehrere schon im Frieden stark
ausgebaute italienische Forts und Werke, die die Gebirgsstraßen sperrten,
wurden von der k. u. k. schweren und schwersten Artillerie rasch
zerstört. Ende Mai waren die ersten Angriffsziele, Arsiero und Asiago,
erreicht. Aber noch bevor der Ausgang aus dem Gebirge erkämpft war,
erwies sich die verfügbare Truppenzahl als unzureichend für die
Durchführung der
Offensive - nur 19 Divisionen hatte Generaloberst v. Conrad
zusammenbringen können, während General v. Falkenhayn 25
Divisionen als die unbedingt notwendige Mindestzahl bezeichnet hatte! Die Kraft
der tapferen Angreifer erlahmte, da eine Ablösung durch frische Truppen
unmöglich war; bereits nach vierzehn Tagen setzten italienische
Gegenstöße mit Truppen von der
Isonzo-Front und von der Reserve
ein - der österreichisch-ungarische Angriff stockte!
In diesem für Österreich-Ungarn besonders bedenklichen Augenblick
begann die große gemeinsame Gegenbewegung der Entente gegen die
Mittelmächte in Ost und West. Während die k. u. k.
Truppen gegen Italien, die Deutschen bei Verdun ihre Hauptkraft konzentrierten,
hatte der Feindbund, um die Wirkung seiner Operationen durch Einheitlichkeit zu
verstärken, Ende März einen gemeinsamen Ausschuß
sämtlicher Ententemächte eingesetzt. Dieser Ausschuß
beschloß zunächst große Entlastungsoffensiven für die
bei Verdun bedrängten Franzosen, wobei die Riesenüberlegenheit an
Truppenzahl und an Material von vornherein sehr günstige Aussichten bot.
Besonders die Engländer hatten ihre Kräfte auffrischen und ihre
neuen Divisionen in Ruhe an die Westfront gewöhnen können.
Die Mittelmächte waren auf große Unternehmungen im Osten nicht
gefaßt. Seit dem Mißlingen ihrer Märzoffensive hatten die
Russen sich auf räumlich begrenzte Unternehmungen zur Feststellung von
Stärke und Kampfkraft des Gegners beschränkt. Irgendwelche
Umgruppierungen für einen großen russischen Angriff waren Ende
Mai noch nicht vorgenommen; im Gegenteil standen trotz der Märzverluste
noch mächtige, weit überlegene russische Massen der deutschen
Front besonders bei Baranowitschi gegenüber, während
südlich des
Pripjet-Gebietes nur knapp ein Drittel der russischen Heeresmacht eingesetzt war.
So konnte General v. Falkenhayn bei einer
Chef-Besprechung im Westen am 26. Mai 1916 noch erklären, daß
ein großer russischer Angriff vorläufig wohl nicht zu erwarten sei.
Dies war auch die Ansicht des Generaloberst v. Conrad, mit dem General
v. Falkenhayn drei Tage vorher in Berlin eine Besprechung gehabt und
verabredet hatte, daß, falls Verschiebungen der Russen nach der
k. u. k. Front in Galizien bemerkbar würden, rechtzeitig
deutsche Unterstützung vom nördlichen Teil der Ostfront
gewährt werden sollte. Nur an vereinzelten Stellen waren räumlich
beschränkte Angriffsarbeiten der Russen und näheres Heranschieben
von Kräften an ihre Front beobachtet worden, so in Gegend Czernowitz,
vor dem Nordflügel der deutschen Südarmee und nordwestlich
Rowno, nirgends [96] aber Anzeichen für eine große
Offensive. Die am 4. Juni einsetzenden Erkundungsvorstöße des
Generals Brussilow gegen die südliche Fronthälfte kamen also
größtenteils ganz überraschend; sie erstreckten sich, zeitlich
zusammenfallend, auf die ganze Front vom
Pripjet-Sumpfgebiet bis zur rumänischen Grenze und trafen auf keinen
einheitlichen Widerstand. Die besten k. u. k. Truppen waren in Tirol,
die in Galizien zurückgelassenen Divisionen (vielfach Truppen der
politisch unzuverlässigsten Volksteile der
Donau-Monarchie) hatten meistens nur geringe Kampfkraft; auch war
unverhältnismäßig viel Artillerie von hier nach Tirol
abgegeben worden. Die k. u. k. Front brach an mehreren Stellen
zusammen.17 Besonders schwere Niederlagen erlitten
die k. u. k. 7. Armee südlich des Dnjestr und die
k. u. k. 4. Armee an der Luzker Front trotz ihrer gut ausgebauten
Stellungen und obgleich die k. u. k. Heeresleitung noch Reserven
hinter ihre 4. Armee geschoben hatte, da sie selbst ihr nicht allzuviel
Widerstandskraft zutraute. Vier Divisionen der 4. Armee wurden östlich
Luzk vernichtet, und ein leerer Raum von etwa 50 km klaffte zwischen
dem rechten Flügel der k. u. k. 1. und dem linken
Flügel der k. u. k. 4. Armee.
Der Durchbruch war gelungen! Hätten die Russen genügend
Kräfte zur Stelle gehabt, nichts hätte ihren Vormarsch aufgehalten.
Aber sie selbst waren von ihrem Erfolg völlig überrascht und zogen
jetzt erst schleunigst Reserven zur Fortsetzung ihrer Offensive herbei. Inzwischen
konnten auch die Mittelmächte Truppen von anderen Frontstellen an den
gefährdeten Punkt werfen und wenigstens das Durchbruchsloch
schließen, das für die weitere Kriegführung
verhängnisvoll werden konnte, wenn es dem Russen gelang, das galizische
Erdölgebiet zu besetzen. Auch ein Einbruch der Russen in die Bukowina
war nicht ungefährlich. Einerseits bekamen dadurch die Rumänen in
ihrer Hinneigung zur Entente wieder Oberwasser, anderseits mußte eine
erneute Bedrohung Ungarns durch die Russen von unabsehbaren Folgen
sein. - Mitten zwischen den Durchbruchsstellen der k. u. k.
Front stand die deutsche Südarmee fest; sie wies die russischen Angriffe
vor ihrer Front ab; aber ihre Flanken waren bei etwaigem Ausweichen ihrer
unmittelbaren Nachbarn (rechts k. u. k. 2., links k. u. k.
7. Armee) gefährdet.
Die Lage war also für die Mittelmächte höchst kritisch. Die
österreichisch-ungarische Offensive in Tirol mußte abgebrochen
werden, um Kräfte von dort nach dem Osten zu schieben. Die Deutschen
waren bei Verdun stark in Anspruch genommen; die Kämpfe um das Fort
Vaux und die Fortsetzung der Offensive in Richtung
Thiaumont-Ferme sowie die Kämpfe am "Toten Mann" erforderten dauernd neue oder mindestens ausgeruhte Truppen. Ein größerer
Gegenschlag im Osten, den das k. u. k.
Armee-Oberkommando dringend empfahl, war also zur Zeit unmöglich, um
so mehr als auch die Verhältnisse vor der Front der Heeresgruppe Prinz
Leopold und Hindenburg keineswegs geklärt waren.
[97] Die deutsche Oberste Heeresleitung, der
Truppen für große Schläge nicht zur Verfügung standen,
mußte zu Aushilfen greifen. Sie gab den Plan eines Offensivstoßes
gegen die Engländer, deren Angriffsabsichten von Tag zu Tag
fühlbarer wurden, aus Mangel an Kräften auf und sandte zur
Abdämmung der russischen Flut drei Divisionen von ihren Reserven nach
Galizien, zu denen noch zwei Divisionen der deutschen Ostfront und einige
k. u. k. Truppenteile traten. Diese Armeegruppe des Generals der
Kavallerie von der Marwitz wurde mit der k. u. k. 1. Armee dem
Oberbefehl des Generals der Infanterie v. Linsingen unterstellt und erhielt
den Auftrag, von Norden her einen Flankenstoß gegen die durchbrechenden
Russen zu führen. Zugleich schlug die deutsche Oberste Heeresleitung dem
k. u. k.
Armee-Oberkommando vor, die ganze Front vom Pripjet bis zum Dnjestr dem Generalfeldmarschall v. Mackensen zu unterstellen und forderte, daß
das k. u. k.
Armee-Oberkommando in Zukunft jede Operation zuvor eingehend mit der
deutschen Obersten Heeresleitung bespräche. Letzteres wurde zugesagt; auf
die Übertragung des Oberbefehls an Generalfeldmarschall
v. Mackensen glaubte sich das k. u. k.
Armee-Oberkommando aus Prestige-Rücksichten nicht einlassen zu
können.
Die Angriffe der Heeresgruppe v. Linsingen hatten nicht den erhofften Erfolg;
denn die Russen stießen nicht in das Durchbruchsloch nach, sondern liefen
gegen die Eckpfeiler Sturm, um die gegnerischen Fronten aufzurollen. Die
Offensive Marwitz traf also nicht die Flanke, sondern die neue russische Front
und brachte die Russen nur zum Halten. Diese hatten bis zum Beginn der
Gegenoffensive am 16. Juni schon erhebliche Kräfte von ihrer Front gegen
den Oberbefehlshaber Ost in das Loch bei Luzk geworfen; gegen den Bug aber
hatten sie kein Gelände gewonnen. Zu ihrer eigenen Entlastung und um den
Abtransport deutscher Kräfte nach der Durchbruchsstelle zu verhindern,
wohl auch, um den wichtigen Bahnknotenpunkt zu gewinnen, ließen sie bei
Baranowitschi ihre dort noch ungeschwächt stehenden Massen angreifen,
erreichten aber nur, daß die Heeresgruppe Prinz Leopold keine Truppen
für die Abwehr der
Brussilow-Offensive abgeben konnte, während nach Klärung der
Lage an der Front des Oberbefehlshabers Ost dort nun doch erhebliche
Kräfte für den Kampf bei Luzk frei wurden. Die
beiden Eckpfeiler des Loches bei Luzk
blieben dauernd unter starkem russischen Druck, aber sie hielten; auch die
k. u. k. 2. Armee, unterstützt von ihrem rechten Nachbarn, der
deutschen Südarmee, konnte nach Räumung ihrer Stellungen an der
Ikwa die rückwärts gewählte Front bei
Solotsche - Werben gegen wiederholte Angriffe halten. Da
Brussilow in westlicher Richtung nicht durchstieß, begann sich das
Durchbruchsloch nach Heranführung weiterer k. u. k. Truppen
wieder zu
schließen - zuerst allerdings nur in großem Bogen. Nach dem
mißlungenen Vorstoß aus nördlicher Richtung wurde die
Armeegruppe Marwitz nunmehr auf den Südflügel der dem Befehl
des Generaloberst v. Tersztyanszky unterstellten k. u. k. 4.
Armee in die Gegend nördlich Berecsteczko verschoben, um von
Süd- [98] westen her auf Luzk vorzustoßen. General
v. Linsingen hoffte, die Russenfront westlich Luzk abkneifen zu
können, wobei General v. d. Marwitz von Südwesten,
General v. Bernhardi, der die Abwehrfront nordwestlich Luzk
übernommen hatte, von Nordwesten her angreifen sollte. Mitten in der
vorschreitenden Offensive versagte aber nördlich der erfolgreich
kämpfenden Armeegruppe Bernhardi ein k. u. k. Korps, so
daß Truppen beider Heeresgruppen zur Abwehr benötigt wurden. Es
blieben nur Aushilfen, mit denen die Front wieder gefestigt wurde. Die Niederlage
der Österreicher und Ungarn war aber zu gewaltig gewesen; sie ließ
sich gegenüber dem rücksichtslosen Einsatz russischen
Menschenmaterials zur Erzwingung eines Dauererfolges nicht mit unzureichenden
Kräften in eine erfolgreiche Offensive umwandeln. Schwerer noch machten
sich die Folgen des übertriebenen Optimismus des
österreichisch-ungarischen Generalstabschefs in der Bukowina
fühlbar. Die k. u. k. 7. Armee war außerstande, einem
ernsthaften russischen Druck zu widerstehen. Die innere Zermürbung der
k. u. k. Truppen war zu weit fortgeschritten, sie konnte nur noch
durch Einschub kleiner deutscher Verbände in die k. u. k.
Formationen einigermaßen gebessert werden. Die Bukowina ging verloren,
erst die
Karpathen-Eingänge, teilweise sogar erst die
Karpathen-Pässe gaben einige Widerstandsmöglichkeit.
Durch dieses Versagen der k. u. k. Truppen kam die deutsche
Südarmee auf ihrem Südflügel in sehr unangenehme Lagen.
Zu ihrer eigenen Sicherheit wurde ihr Befehlsbereich bis an den Dnjestr
ausgedehnt; sie mußte, dem Nachlassen der südlich des Dnjestr
ausweichenden k. u. k. 7. Armee folgend, allmählich ihre
Front von der Strypa zurückverlegen; deutsche Kräfte aus
Mazedonien, wo ein Angriff auf Saloniki endgültig aufgegeben worden
war, und sogar Truppen der Westfront wurden schleunigst herbeigeführt,
um den nur noch notdürftig gehaltenen Anschluß zwischen der
k. u. k. 7. Armee und der deutschen Südarmee zu sichern.
Wieder nur Aushilfen, die aber noch keine dauernde Festigung der Front
herbeiführen konnten! Ein stärkeres Mittel mußte dem Druck
der Russen entgegengesetzt werden. General v. Falkenhayn schlug vor, eine
neue Gruppe aus Abgaben aller Fronten zusammenzustellen und mit dieser die
Russen anzugreifen. Die durch Räumung der Bukowina fast um das
Doppelte verlängerte Front der drei
Armeen - k. u. k. 7., die neu gebildete k. u. k. 3. und
die deutsche Südarmee - wurden zu einer besonderen Heeresgruppe
unter dem Oberbefehl des
Erzherzog-Thronfolgers zusammengefaßt, dem der deutsche General
v. Seeckt als Generalstabschef beigegeben wurde. Dadurch wurde die
Befehlsgliederung an der Ostfront klarer, besonders, nachdem es auch trotz
vielfachen Widerstrebens des k. u. k.
Armee-Oberkommandos am 28. Juli gelungen war, die ganze Front
nördlich der Heeresgruppe
Erzherzog-Thronfolger dem Generalfeldmarschall
v. Hindenburg zu
unterstellen; wäre das schon Anfang Juni geschehen, so hätte sich die
Abwehr im Osten erheblich einfacher und nachdrücklicher gestalten lassen.
Die Russen ließen aber noch nicht locker; unter Anfassen immer neuer
Frontstellen drängten sie [99] hauptsächlich gegen die ungarische
Grenze vor. Einen Trumpf hatten sie schon so gut wie sicher: Rumänien
war für sie gewonnen. Ließ auch die offizielle rumänische
Kriegserklärung an die Mittelmächte noch auf sich warten, so war
doch die Haltung Rumäniens schon beinahe eine feindliche; der Abbruch
der Beziehungen schien unvermeidlich. Das mußte bei den
Maßnahmen auf der äußersten Karpathenfront
berücksichtigt werden.
Die Russen hatten also ihre Verpflichtungen gegenüber der Entente
reichlich erfüllt. Auch die Westmächte hatten zum angesetzten
Termin ihre Vorbereitungen zu der verabredeten Offensive getroffen. Da
Deutschland auf den uneingeschränkten
U-Boot-Krieg verzichtete, konnte England seine neuen Divisionen nach Belieben
über den Kanal setzen; ungefährdet schwammen gewaltige
Munitionsmassen aus aller Welt herbei, um dem großen
Entscheidungsschlag gegen Deutschland die nötige Kraft zu
verleihen. - Bei Verdun verbissen sich inzwischen Deutsche und Franzosen
immer erbitterter ineinander; auf beiden Seiten wurden die Verluste in blutigen
Kämpfen immer schwerer. Am 23. Juni gelang den Deutschen wieder ein
größerer Vorstoß; das Dorf Fleury und das Panzerwerk
Thiaumont wurden in glänzendem Schwunge genommen. Derartige Erfolge
bestärkten natürlich die deutsche Oberste Heeresleitung in ihrem
Vorsatz, Zug um Zug der Festung Verdun näher zu rücken. Auf die
Bitten der 2. Armee, ihr zur Abwehr der voraussichtlichen großen Offensive
im Somme-Gebiet rechtzeitig reichliches Geschützmaterial von Verdun,
Munition und vor allem starke Reserven zuzuführen, ging die Oberste
Heeresleitung nur zaudernd und unzureichend ein. Die Stimmen, die schon seit
Wochen zum Aufgeben der
Verdun-Offensive rieten, blieben ungehört. Der deutschen Obersten
Heeresleitung kam es auf ein Zerschlagen der französischen Heeresmacht
an, das sie bei Verdun zu erreichen hoffte. Sie übersah aber, daß
dabei die eigenen Kräfte unverhältnismäßig stark
verbraucht wurden, während die Franzosen sich mit immer wachsender
Verwendung der im Sommer voll leistungsfähigen Farbigen halfen und ihre
Divisionen in erstaunlich kurzer Zeit immer wieder auf genügende
Kampfstärke brachten.
Am 24. Juni eröffnete der Feind beiderseits der Somme zwischen
Gommecourt und Chaulnes seinen Angriff. Sieben Tage und Nächte
hindurch lagen 40 km deutscher Front unter unaufhörlichem
Geschütz- und Minenfeuer; niemals haben
Entente-Truppen sich in einer derartigen Hölle bewähren
müssen, denn die beschränkten Mittel der Deutschen gestatteten
immer nur eine Artillerievorbereitung von einigen
Stunden - die Entente setzte ihr Trommelfeuer an der Somme
ununterbrochen eine ganze Woche hindurch fort! Zum Trichtergelände
wandelten sich die deutschen Stellungen, viele Unterstände wurden
zerschlagen. Die Überlegenheit des feindlichen Materials zeigte sich auch
sonst in auffallendster Weise; die deutsche Lufterkundung war bald völlig
ausgeschaltet, die deutschen Fesselballone wurden vernichtet und eine gewaltige
Überzahl feindlicher Flieger verhinderten jeden Einblick in das
Gelände jenseits der vordersten [100] Entente-Linien. Das schwere Flachbahnfeuer
leiteten die feindlichen Flieger auf die Straßenkreuzungen, so daß der
Verkehr hinter der deutschen Front außerordentlich behindert wurde. Auch
das Feuer ihrer Batterien gegen die deutschen Artilleriestellungen
unterstützten sie in einem Maße, das den Ausfall der deutschen
Geschütze sehr empfindlich machte. Wohl wurden noch in den Tagen der
Angriffsvorbereitungen einige Batterien an die
Somme-Front gebracht, sie konnten aber einen Ausgleich mit der feindlichen
Artillerie nicht erzwingen.
Am 1. Juli brach endlich auf 40 km Breite der Sturm los. Trotz der ungeheuren
Artillerievorbereitung glückte der feindliche Einbruch nur an einigen
Stellen, auffallenderweise hauptsächlich durch die Leistung der Franzosen;
die Engländer konnten nur bei
Mametz - Montauban in die vordersten deutschen Stellungen
eindringen. Die Franzosen brachen südlich der Straße
Péronne - Albert in die deutsche Front ein, tiefer nur
unmittelbar südlich der Somme, wo sie die ganze erste Stellung und Teile
der zweiten zu nehmen vermochten, so daß der Kommandeur der dort
kämpfenden deutschen Division diese Stellung aufgab und bis dicht an die
Maisonette-Höhe zurückging. Er übersah bei diesem
Entschluß, daß er dem Feind eine günstige Gelegenheit
bereitete, das Nordufer der Somme zu flankieren und die Lage der dortigen
deutschen Nachbargruppen ganz wesentlich zu
verschlechtern. - Diese freiwillige Aufgabe umstrittenen Geländes
gab der Obersten Heeresleitung Veranlassung zu dem ausdrücklichen
Befehl, daß in Zukunft kein Gelände ohne Kampf aufgegeben werden
dürfe.
Über den Anfangsgewinn hinaus drang die Entente-Offensive an der
Somme nicht mehr weit vor. Der Durchbruch war mißglückt, der
siebentägige Munitionseinsatz stand in keinem Verhältnis zum
Erfolg. Deutscherseits wurden jetzt alle entbehrlichen Batterien an die
Somme-Front abgegeben, nachdem an Stelle des bisherigen dortigen
Generalstabschefs nunmehr Oberst v. Loßberg, der sich bei der
Herbstschlacht in der Champagne als Abwehrchef seinen Namen gemacht hatte,
zur 2. Armee berufen worden war. Auch erhielt die 2. Armee den notwendigsten
frischen Ersatz für die abgekämpften und teilweise hart
mitgenommenen Truppen, so daß bald ein regelmäßiger
Ablösungsturnus innerhalb der
Generalkommando-Abschnitte einsetzen konnte. Die Entente suchte ihr Ziel nun
durch Zermürbung und durch Ausnutzung für einen Durchbruch
günstiger Augenblicke zu erreichen. Einige Vorteile brachte ihr noch die
flankierende Wirkung ihrer Artillerie aus dem am ersten Angriffstag von den
Deutschen freiwillig aufgegebenen Gelände südlich der Somme. Mit
ungeheurem Aufwand von Artilleriefeuer bereitete sie wieder und wieder neue
Angriffe vor, die jedoch meistens nur geringe Ergebnisse, wenn nicht
Mißerfolge zeitigten, da die deutsche Artillerie mit der Zeit
außerordentlich verstärkt wurde und in mustergültigem
Zusammenwirken in der Abwehr unter Oberst v. Loßbergs starker
Hand den Angreifer gebieterisch zum Halten
zwang. - Die Ausdehnung des Kampfgebiets und der Einsatz der
großen Artilleriemassen machten Mitte Juli den Einschub eines neuen
deutschen
Armee- [101] Oberkommandos notwendig; der Raum
nördlich der Somme verblieb der 2. Armee, während die 1. Armee,
deren Oberbefehlshaber zugleich Heeresgruppenführer für die 1. und
2. Armee wurde, den Raum südlich der Somme zugewiesen erhielt.
Neben der Somme-Defensive führte die deutsche Oberste Heeresleitung die
Angriffe auf Verdun noch bis Anfang August durch. Es waren also zwei Fronten,
an denen sich die französische Überzahl nahezu vergeblich gegen
den beispiellosen Heldenmut der deutschen Truppen abmühte und ihre
schon stark verbrauchten Truppen weiter aufrieb, während die
Engländer im
Somme-Gebiet nach und nach fast ihre ganze Heeresmacht ergebnislos einsetzten;
denn was bedeutet auf einer solchen Front ein Einbruch von höchstens
7 km Tiefe bei 20 km Breite als Erfolg eines zweimonatigen
Ringens!
Aber es war und blieb Defensive auf seiten der Mittelmächte überall!
Die Überlegenheit der Entente an Truppenzahl und Material legte der
deutschen Obersten Heeresleitung starke Schranken auf. Von den
Angriffsoperationen der Mittelmächte, die das Jahr 1916 hatte bringen
sollen, war keine Rede mehr; deutsche und k. u. k. Truppen waren
überall gefesselt, stark mitgenommen und ruhebedürftig. Dabei war
an Ruhe nicht zu denken; alle Kräfte wurden in Anspruch
genommen, - bei der deutschen Südarmee hatten sogar
türkische Truppen aushelfen müssen. Die Italiener zogen ihre
zeitweilig nach Tirol geworfenen Kräfte wieder an den Isonzo zurück
und bereiteten ihre sechste
Isonzo-Offensive18 vor, die am 4. August begann und den
k. u. k. Truppen gleich in den ersten Tagen schwere Verluste
brachte. Der hartumstrittene Monte Sabotino am Nordende des Görzer
Brückenkopfes ging am 7. August verloren; am 8.
August mußte das Westufer des Isonzo aufgegeben werden;
am 9. wurden Görz und das Görzer Becken samt der Stellung
vorwärts der Vallone geräumt und die zweite Stellung eingenommen,
gegen die sich die Angriffe der Italiener noch bis zum 16. August hinzogen. Die
österreichisch-ungarischen Verbände waren nach ihrer Tiroler
Offensive, die auch Geschützmaterial von der
Isonzo-Front beansprucht hatte, hier noch nicht wieder zu ihrer früheren
Widerstandskraft zurückgekehrt.
Weniger Schwierigkeiten bereitete die Entente den Mittelmächten auf dem
Balkan. Nachdem der Gedanke einer Offensive gegen Saloniki fallen gelassen
war, versuchte Generalfeldmarschall v. Mackensen, die Stellungen seiner
Armee wenigstens so weit zu verbessern, daß sie etwaigen
Entente-Offensiven erfolgreich widerstehen konnten. General
v. Falkenhayn, im Frühjahr 1916 noch entschiedener Gegner einer
Überschreitung der griechischen Grenze, stimmte ihr im Hochsommer zu,
da die griechische Armee größtenteils demobilisiert war und ein
Zusammenstoß zwischen Bulgaren und Griechen nicht mehr in Frage kam.
Am 17. August trat also die 1. bulgarische Armee beiderseits Monastir an,
besetzte Flo- [102] rina und die
Höhenzüge südlich Florina und westlich des
Ostero-Sees. Gleichzeitig ging die 2. bulgarische Armee östlich der Struma
über den Vrundi Balkan vor und bemächtigte sich der Hafenstadt
Kavala. Damit hatte das
Armee-Oberkommando Mackensen seine Ziele auf dem Balkan nach Süden
zu im allgemeinen erreicht und konnte seine Aufmerksamkeit nun dem
Nordosten - Rumänien - widmen. Am 27. August hatte,
gleichzeitig mit der italienischen Kriegserklärung an Deutschland, der
rumänische Gesandte in Wien der k. u. k. Regierung die
Kriegserklärung der Bukarester Regierung überreicht, die das
Deutsche Reich am 28. August seinerseits mit der Kriegserklärung an
Rumänien beantwortete.
Der Augenblick für diese Kriegserklärungen Italiens und
Rumäniens (zu denen vielleicht auch Frankreich angesichts des
Mißerfolges an der Somme getrieben hatte) war geschickt gewählt; die
Aussichten der Entente waren günstiger als je. Der deutsche
Generalstabschef sah die Lage der Mittelmächte angesichts des
österreichisch-ungarischen Zusammenbruchs in Galizien und in der
Bukowina keineswegs rosig an. Schon bei einer
Chef-Besprechung im Westen am 14. August drückte er sich dahin aus:
Deutschland stehe vor der Notwendigkeit, seinen Bundesgenossen zu helfen und
sie zu stützen, vor allem die k. u. k. Truppen moralisch zu
heben, um sie gegen die russischen Anstürme widerstandsfähig zu
machen. Aber Hilfe sei nur möglich, wo Mittel dazu vorhanden, und diese
ständen der deutschen Obersten Heeresleitung nicht zur Verfügung.
Die Lage sei also nicht ganz einfach für Deutschland, besonders angesichts
des wahrscheinlichen Eintritts Rumäniens in den Feindbund. Mit einer Art
"Krümpersystem" hoffe er nach Wiederfestigung der Front im Westen
wenigstens die Kräfte flüssig zu machen, die auf den anderen
Kriegsschauplätzen gebraucht würden; jede Armee müsse
Truppenteile verfügbar halten, auf die die Oberste Heeresleitung im Notfall
zurückgreifen könne.
Viel Vertrauen auf die Zukunft lag in seinen Worten nicht; große
Operationen der Mittelmächte waren aus Mangel an Kräften
ausgeschlossen. Der rumänischen Armee von 750 000 Mann konnte
nur herzlich wenig entgegengestellt werden. Allerdings war, wie erwähnt,
Generalfeldmarschall v. Mackensen schon Anfang August auf die
bevorstehende rumänische Kriegserklärung aufmerksam gemacht.
Bulgarien sollte eine Armee gegen Rumänien zur Verfügung stellen,
zu der auch deutsche Truppen, die in Bulgarien die Küste sicherten, und
türkische Truppen stoßen sollten, die Enver Pascha bereitwilligst
zugesichert hatte. Wie die deutsche, so hatte auch die k. u. k.
Oberste Heeresleitung jetzt an eine Kriegserklärung Rumäniens nicht
geglaubt. Sie hatte nur ungenügende Abwehrmaßregeln und
überhaupt keine Vorbereitungen zum Entscheidungskampf getroffen. Es
standen in Siebenbürgen, in dem Gebiet, auf das sich die Rumänen
sicher zuerst stürzen würden, nur einige in Galizien
abgekämpfte k. u. k. Divisionen und ein Haufe neuformierter
Marschbataillone,
Landsturm-, Etappen- und Arbeitsbataillone, die dem General v. Arz als
k. u. k. 1. Armee unterstellt wurden. Diese [103] Armee erhielt vom k. u. k.
Armee-Oberkommando Befehl, sich zunächst auf die Verteidigung der
Maros - Kokel-Front einzurichten und im übrigen die rechte
Flanke der in den Karpathen kämpfenden k. u. k. 7. Armee zu
stützen.
Daß er den Ausbruch des Krieges mit Rumänien nicht vorhergesehen
und entsprechende Vorbereitungen getroffen hatte, wurde dem General
v. Falkenhayn zum Vorwurf gemacht. In der Erwartung des Ausgleichs
dieser mißlichen Lage berief der deutsche Kaiser den Generalfeldmarschall
v. Hindenburg und dessen Berater, den General Ludendorff, zu sich nach
Pleß und stellte sie an die Spitze der Obersten Heeresleitung. Ihre erste
Sorge war die offensive Abwehr des neuen Feindes Rumänien.
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