Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
[104]
Kapitel 3: Die Obersten Heeresleitungen bis zum
Herbst 1916
Oberstleutnant Paul Fleck
Die Vereinbarungen, die mit der Donaumonarchie für den Kriegsfall
getroffen worden waren,
hatten - ohne auf Einzelheiten des Aufmarsches und der
Kräfteverteilung
einzugehen - die große Richtlinie festgelegt:
möglichst schnelle Entscheidung im Westen durch
Einsatz der Masse des deutschen Heeres, Abwehr im Osten durch die
österreichisch-ungarische Armee und schwache deutsche Kräfte in
Ostpreußen, bis nach entsprechender Verstärkung auch dort die
Entscheidung würde gesucht werden
können.
In der sicheren Erwartung eines zeitlichen Vorsprungs im Aufmarsch wurde auch
für die Abwehr im Osten eine offensive Lösung und in diesem
Zusammenhange ein Vorgehen der ostpreußischen Gruppe nach Polen
hinein in Aussicht genommen. Eine gemeinsame Oberste Kriegsleitung war nicht
vorgesehen.
Bei Kriegsbeginn wurden zur Verbindung zwischen den beiden Heeresleitungen
im Austausch Generalleutnant Frhr.
v. Freytag-Loringhoven zum k. u. k.
Armee-Oberkommando, Feldmarschalleutnant Graf Stürgkh zur deutschen
Obersten Heeresleitung kommandiert und ihnen die derzeitigen
Militärattachés Graf Kageneck und Freiherr Bienerth zugeteilt. Bei
derartigen Stellungen lassen sich Umfang und Art der unmittelbaren Teilnahme an
den Arbeiten der betreffenden Dienststelle wohl überhaupt nicht durch
Vereinbarungen regeln; in die Tätigkeit spielen unendlich viele Fragen
hinein, deren Lösung nur von den Beteiligten selber gefunden werden kann.
Es bedarf auch einer gewissen Zeit, um sich in die Eigenarten einer anderen
Armee hineinzufinden und von reiner Berichterstattung zu einem vermittelnden
Gedankenaustausch zu kommen, der den Ereignissen vorausgreifend die
Entschlüsse und Anordnungen an den verschiedenen Fronten miteinander
in Einklang bringt.
Im Westen bei der deutschen Obersten Heeresleitung waren die
Verhältnisse in operativer Hinsicht bei Kriegsbeginn klar und wenig
kompliziert; der Plan stand fest, Ereignisse, die eine Änderung erzwangen,
waren nicht eingetreten und das Gesamtbild daher sehr übersichtlich.
Dagegen war es für die dorthin kommandierten Offiziere
einigermaßen schwierig, bis zur eigentlichen Werkstatt der
Operationsabteilung vorzudringen und unmittelbar an deren Arbeit teilzunehmen.
Die Gründe waren gewiß nicht persönlicher Art, sondern die
Folge grundsätzlicher Auffassungen.
[105] Im Osten beim k. u. k.
Armee-Oberkommando1 lagen die Dinge wesentlich anders. Es
war nicht ganz leicht, sich in einer Armee zurechtzufinden, die in ihrer
Zusammensetzung das bunte Bild der Doppelmonarchie
widerspiegelte und deren einzelne Teile nach ihrem inneren Verhältnis zum
Reichsgedanken bewertet werden mußten. Es kam hinzu, daß der
Aufmarsch gegen Rußland sich teilweise aus den gegen Serbien bereits
eingeleiteten Maßnahmen entwickelte, daß die Kräfteverteilung
daher nicht als bekannte Größe eingestellt werden konnte und
für die ersten Operationen kein alle Einzelheiten umfassender Plan vorlag.
Hieraus ergab sich mit Notwendigkeit ein Gesamtbild, das in allen seinen Teilen
zu übersehen schwierig war. Es lag nicht an mangelnder Fühlung mit
der Operationsabteilung, sondern es war eine Folge der allgemeinen
Ungewißheit, daß die kommandierten deutschen Offiziere
verhältnismäßig spät über die tatsächliche
Kräfteverteilung unterrichtet wurden und an der Entstehung der
Entschlüsse und Anordnungen zunächst nicht teilzunehmen
vermochten.
Die beiden Heeresleitungen sind somit in den ersten Kriegswochen in
verhältnismäßig nur loser Verbindung gewesen. General
v. Moltke hatte nicht den Ehrgeiz, Chef des Generalstabes einer Obersten
Kriegsleitung zu werden; General Conrad
v. Hötzendorff war eine
viel zu selbständige Natur, um seine Entschließungen ohne Zwang
von anderen abhängig zu machen. Beide
sahen - wenn auch aus verschiedenen Motiven - in ihrem
vertrauensvollen persönlichen Verhältnis zueinander und in der
Verbindung der beiden Heeresleitungen durch ältere Generalstabsoffiziere
eine ausreichende Gewähr für die Einheitlichkeit.
Der Krieg begann im August 1914 für die Mittelmächte mit einer
versäumten Gelegenheit.
Österreich-Ungarn hatte, in der Erwartung, den Konflikt mit Serbien allein
austragen zu können, kostbare Zeit verloren. Es wäre ihm ein leichtes
gewesen, durch rasches Zugreifen die Angriffskraft des serbischen Heeres
nachhaltig zu schwächen, bevor andere Mächte hindernd eingreifen
konnten. Ein Mißerfolg war so gut wie ausgeschlossen, da die
Donaumonarchie mit starker Überlegenheit hätte auftreten
können. Ihr Ansehen auf dem Balkan war gering; man wußte, wie
sehr innere Schwierigkeiten die Schlagkraft nach außen hemmten. Um so
tiefer wäre der Eindruck gewesen, wenn das bereits tot gesagte Reich die
Serben kurz entschlossen für ihre planmäßige
Hetz- und Wühlarbeit bestraft hätte. Bulgarien wäre sehr viel
früher Bundesgenosse der Mittelmächte geworden, wenn seiner
ersehnten Abrechnung mit Serbien in dieser Weise wirksam vorgearbeitet worden
wäre. Militärische Erwägungen, die auf rasches Zugreifen
drängten, haben sich außenpolitischen Rücksichten
unter- [106] ordnen müssen. Eine verlogene
Propaganda hat es später fertiggebracht, den Wunsch, den Weltfrieden zu
erhalten, in die Schuld am Kriege umzufälschen.
Die Auseinandersetzung mit Belgrad war eine rein
österreichisch-ungarische Angelegenheit und dem Einfluß des
deutschen Generalstabs entzogen. Auch die Kräfteverteilung gegen Serbien
und Rußland ist Aufgabe allein des k. u. k.
Armee-Oberkommandos geblieben; deutscherseits wurde lediglich der Wunsch
geäußert, gegen Rußland möglichst stark aufzutreten.
Die operative Lage forderte ein sofortiges Aufgeben der Offensive gegen Serbien,
politische Erwägungen und an sich durchaus begreifliche Stimmungswerte
ließen es erwünscht erscheinen, gerade auf dem Balkan den Krieg mit
einem eindrucksvollen Beweis der Leistungsfähigkeit zu beginnen. Die
Folge war ein Überspannen der Kräfte an beiden Fronten und eine
empfindliche Schlappe gerade gegen Serbien. Die gemeinsame Oberste
Kriegsleitung, die für den notwendigen Kräfteausgleich gesorgt
hätte, fehlte eben.
Gegen Serbien waren Heeresteile aufmarschiert, die nach dem Eingreifen
Rußlands im Osten verwendet werden sollten. Sie mußten umgeleitet
werden und
blieben - zum Teil für die durch ungünstige
Transportverhältnisse bedingte
Wartezeit - zur Verfügung gegen Serbien. In Galizien stieß die
österreichisch-ungarische Offensive nach großen Erfolgen, die sich
aber operativ nicht auswirkten, früh auf überlegene russische
Kräfte. Der erwartete zeitliche Vorsprung im Aufmarsch war nicht erreicht,
weil Rußland die Periode der Vorkriegszeit und der diplomatischen
Verhandlungen bereits zu Aufmarschbewegungen benutzt hatte. Anderseits
verzögerte sich die Verwendungsbereitschaft des k. u. k.
Heeres eben durch Teilaufmarsch gegen Serbien. Der aus Ostpreußen nach
Polen hinein zugesagte Entlastungsstoß deutscher Truppen mußte
unterbleiben, weil auch dort die Russen früher als erwartet alle
vorhandenen Kräfte zu unmittelbarer Abwehr banden. Vor Tannenberg war
der Entlastungsstoß unmöglich und auch nach Tannenberg erst
durchführbar nach zuverlässiger Sicherung gegen die Armee Rennenkampf; es durfte nicht angenommen werden, daß diese zum zweiten
Male müßiger Zuschauer bleiben würde.
Wer die Ansicht vertritt, das k. u. k. Heer hätte
überhaupt auf die Offensive gegen Rußland verzichten sollen,
übersieht, daß dann dem Großfürsten Nikolai
Nikolajewitsch völlig freie Hand gelassen worden wäre, die
zahlenmäßige Überlegenheit an einer Stelle entscheidend zur
Geltung zu bringen. Der offensive Kriegsbeginn entsprach als wirksamste
Abwehrmaßnahme durchaus den Erwartungen der deutschen Obersten
Heeresleitung und erreichte seinen Zweck in vollem Umfange. Völlig
unabhängig hiervon bleibt zu erwägen, ob der Entschluß, die
Offensive einzustellen, nicht frühzeitiger hätte gefaßt werden
müssen. Die Operationen im Westen reiften der Entscheidung entgegen; die
Absicht, ihr den gemeinsamen Kampf im Osten folgen zu lassen, war noch nicht
als undurchführbar erwiesen. Es hat also kein zwingender Grund
vorgelegen, die aus
Abwehr- [107] absichten gegen vermeintlich noch nicht voll
verwendungsbereite russische Armeen beschlossene Offensive auch gegen eine
inzwischen klar erkannte, schlagfertige Überlegenheit allein
weiterzuführen, - zumal die Krisis in Ostpreußen durch
Tannenberg gelöst worden war. Die Entschlußkraft, mit der General
v. Conrad den Offensivgedanken gegen eine täglich schwieriger
werdende Lage durchzusetzen sich bemüht hat, ist ganz gewiß ebenso
zu bewundern, wie die Leistungen und der Opfermut der Truppe. Die
Notwendigkeit, sich aufzuopfern, lag nicht vor, und ein entscheidender Erfolg
nicht mehr innerhalb der Wahrscheinlichkeit. Auch hier fehlte eine gemeinsame
oberste Kriegsleitung, um den Operationen in Galizien die Grenzen zu ziehen, die
durch die Gesamtlage gegeben waren und vom k. u. k.
Armee-Oberkommando übersehen wurden.
Die ersten Ereignisse im Osten und Südosten haben trotz aller Spannung
niemals zwingend auf den Kampf im Westen eingewirkt. Die Schwächung
des deutschen Angriffsflügels zugunsten der Befreiung Ostpreußens
war ein Entschluß in Augenblicksstimmung. Ganz abgesehen von seinen
sonstigen Folgen hat er dem Gedanken, die deutsche Oberste Heeresleitung als
oberste Kriegsleitung anzuerkennen, die Anziehungskraft in erheblichem Umfang
genommen.
Nach der Marne-Schlacht wuchsen die beiden großen Kampffronten, die
eigentlich nacheinander Hauptkriegsschauplatz hatten werden sollen, zu einer
Gesamtfront zusammen. Der bisher Richtung gebende Operationsplan war
unausführbar geworden; es kam nunmehr darauf an, die Abwehr
überall sicher und zuverlässig auszubauen und alles
Verfügbare in Offensivunternehmen zur Wirkung zu bringen. Diese Lage
forderte mit zwingender Notwendigkeit den einheitlichen Oberbefehl. Der
Gedanke war an sich so naheliegend, daß den Gründen nachgegangen
werden muß, die ihn nicht Tatsache werden ließen.
Der österreichisch-ungarische Bundesgenosse empfand die deutsche
Überlegenheit und die Überzeugung, doch immer nur der Zweite sein
zu können, als schweren Druck. Die Armee
war - besonders in ihren älteren Offizieren, in denen die Erinnerung
an den "Kampf um die Vorherrschaft" wach geblieben
war - hiervon keineswegs frei. Die Selbständigkeit des
Armee-Oberkommandos und die Unabhängigkeit im Entschluß galt
ihr als Restbesitz vergangener Machtstellung, den man aus Gründen der
Selbstachtung und aus Rücksicht auf die stolzen Traditionen des
Habsburger Reiches nicht preisgeben durfte. In nichtdeutschen Volksteilen hatte
zudem die feindliche Propaganda der Ansicht Eingang zu verschaffen verstanden,
des Krieges Zweck und Endziel wäre die Machterweiterung des Deutschen
Reiches; das
österreichisch-ungarische Heer hätte zunächst diesem Endziel
zu dienen; der Oberbefehl in der Hand des deutschen Generalstabes würde
das letzte Hemmnis beseitigen, das sich diesen Absichten entgegenstellte. Es
waren also keineswegs sachliche Gründe, die sich dem einheitlichen
Oberbefehl widersetzten. Ein starker Wille hätte sie beiseite
geschoben - um so eher, weil Kaiser Franz Joseph nicht zu denen
gehörte, die mit
Empfind- [108] lichkeiten gegen sachliche Notwendigkeiten
ankämpften. Bei der deutschen Obersten Heeresleitung unter General
v. Moltke fehlte dieser Wille. Die
Marne-Schlacht untergrub dann das Ansehen der deutschen Führung, und
zu dem neuen deutschen Chef des Generalstabes bestand weder engere
persönliche Beziehung noch aus Leistungen erwachsenes Vertrauen. Die
Frage des einheitlichen Oberbefehls blieb demnach offen; an seine Setelle traten
auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittene zeitlich und räumlich
begrenzte Abmachungen über die Befehlsgliederung.
Das Ausbleiben einer starke deutsche Kräfte
freimachenden Entscheidung im Westen hatte die Ansprüche, die an die
österreichisch-ungarische Armee gestellt werden mußten, erheblich
gesteigert; sie hatte sich stark verausgabt und stand vor neuen Belastungsproben,
denen sie ohne deutsche Unterstützung kaum gewachsen war. Verschiedene
Besprechungen zwischen den Chefs der beiden Generalstäbe
beschäftigten sich mit dieser Frage. General v. Conrad vertrat den
Gedanken einer großzügigen gemeinsamen Angriffsoperation im
Osten. General v. Falkenhayn
hielt die Lage im Westen noch nicht
für genügend gesichert, um stärkere Kräfte für
längere Zeit in anderer Richtung festlegen zu können; nur die
Aussicht auf einen entscheidenden Erfolg und nicht auf Geländegewinn
allein würde das Unternehmen rechtfertigen; diese Aussicht bestünde
aber zur Zeit noch nicht. Das deutsche Oberkommando Ost teilte im wesentlichen
die Ansicht des Bundesgenossen; die bisherigen Kämpfe gegen die Russen
hatten in ihm die Überzeugung geweckt, daß der Ausgleich des
zahlenmäßigen Mißverhältnisses im Osten den Weg zu
Erfolgen von entscheidender Bedeutung öffnen würde.
Unter Hinweis auf Gorlice-Tarnow und seine Auswirkungen hat man vielfach
für die von den Kommandostellen des Ostens vertretene Ansicht Stellung
nehmen zu müssen geglaubt. Man übersieht dabei, daß die
russische Armee sich im Herbst 1914 keineswegs in dem Zustand der
Zermürbung befand wie im Mai 1915; dazu bedurfte es noch einer ganzen
Reihe von Verlusten und Fehlschlägen in Angriff und Abwehr.
Im Lauf der letzten Monate des Jahres 1914 hatte sich die Lage an der
österreichisch-ungarischen Front zunehmend verschärft; die
Unterstützung durch deutsche Truppen wurde immer mehr zur
Notwendigkeit. Von maßgebender Bedeutung für die Einzelheiten
dieser Unterstützung war die Rücksicht auf die Festung Przemysl,
deren Schicksal sich entscheiden mußte, wenn nicht bald Hilfe kam. Eine
gemeinsame Offensive gegen den russischen Südflügel aus der
Bukowina heraus blieb außer Betracht, weil die Bahnverhältnisse zu
ungünstig waren. Trotz aller Bedenken mußte der Weg über
die Karpathen gewählt werden. Zur Verstärkung der Angriffsfront
trat die neugebildete deutsche Südarmee (General v. Linsingen) unter
den Befehl des k. u. k.
Armee-Oberkommandos mit der Einschränkung, daß die deutsche
Oberste Heeresleitung vor allen wichtigen Entscheidungen um ihr
Einverständnis gefragt werden mußte. Ein deutscher Angriff [109] gegen den russischen Nordflügel sollte
den Kämpfen des Bundesgenossen mittelbar Entlastung bringen.
Die Offensive über die Karpathen führte zu keinem nennenswerten
Erfolg, weil die Angriffskraft der Truppen im unwirtlichen winterlichen Gebirge
erlahmte. Die Offensive im Norden zerschlug zwar den russischen Flügel,
blieb aber ohne entlastende Rückwirkung auf die
österreichisch-ungarische Front. Als dann in den Karpathen der russische
Gegenangriff einsetzte und Boden gewann, mußte die Front erneut
unmittelbar unterstützt werden; das Beskidenkorps (General
v. der Marwitz) half den Feind von der ungarischen Ebene fernhalten
und die Donaumonarchie vor einer von Budapest her drohenden Panik bewahren.
Die Abwehrfront auch weiterhin unmittelbar zu verstärkte, zeigte die
deutsche Oberste Heeresleitung wenig Neigung. Die Folgezeit hat ihr recht
gegeben; die Truppen, die
Gorlice-Tarnow schlugen, wären sonst nicht verfügbar gewesen.
Die Entwicklung der Dinge beim k. u. k. Heere hatte die Stellung
des "Deutschen Generals beim k. u. k.
Armee-Oberkommando" zunehmend bedeutungsvoller werden lassen. Oberst
v. Cramon, der im Februar 1915 General Frhr.
v. Freytag-Loringhoven abgelöst hatte, konnte das
Vertrauensverhältnis, das zu seinem Vorgänger bestanden hatte,
weiter ausbauen. Immer mehr hatte sich auch die deutsche Oberste Heeresleitung
daran gewöhnt, ihren Vertreter vor ihren Entscheidungen und
Entschlüssen anzuhören.
Anfang April hatte General v. Conrad durch Oberst v. Cramon erneut um
deutsche Truppen
gebeten - sei es zur unmittelbaren Verstärkung in den Karpathen, sei
es zur mittelbaren Entlastung durch einen Angriff gegen den nördlich
anschließenden Abschnitt
Gorlice-Tarnow. Dem Hinweis auf diesen Abschnitt war ein Bericht der
Nachrichtenabteilung vorausgegangen, der auf Grund mitgelesener russischer
Funksprüche darlegen konnte, daß die Angriffsbedingungen dort
besonders günstig wären. Die deutsche Oberste Heeresleitung war
auf die Anregung Conrads um so entschiedener eingegangen, weil sie die gleiche
Frage von sich aus bereits erwogen hatte. Während Conrad den Angriff im
Raum Gorlice-Tarnow zunächst nur als eine Entlastung seiner Karpathenfront in
Vorschlag gebracht hatte, legte ihm General v. Falkenhayn von Anfang an
sehr viel weitergehende Bedeutung bei: der Gesamtosten sollte entspannt werden,
um in einer durch Italiens Haltung immer schwieriger werdenden Gesamtlage der
Sorge um ihn wenigstens zeitweilig enthoben zu sein. Als dann die Absicht eines
Offensivunternehmens grundsätzlich feststand, griffen General
v. Conrad und das Oberkommando Ost den Gedanken, im Osten die
Entscheidung anzustreben, wieder auf, vermochten sich aber gegen Falkenhayn
nicht durchzusetzen. Sie wollten den weit nach Westen gewölbten Bogen
der russischen Front in Polen an seinen Bruchpunkten einstoßen, so
daß er, seiner Stützen beraubt, in sich zusammenbrechen
mußte. Das Oberkommando Ost schlug daher eine Offensive auch auf
Kowno und weiter auf Wilna vor. Die [110] Oberste Heeresleitung blieb aber bei ihren
weniger weitgesteckten Zielen, und im Norden wurde gegen den Narew
vorgegangen.
Es wurde aus den beiden Unternehmungen auch keine einheitlich geleitete
große Operation, sondern ein Nebeneinander ohne jenen engen
feinfühligen Zusammenhalt, der nur dann möglich ist, wenn die
Zügel wirklich in einer Hand liegen. Die deutsche Heeresleitung war in
diesen Tagen tatsächlich die oberste Kriegsleitung; sie allein stellte die
notwendigen Kräfte zur Verfügung, von ihrem Willen hing die
Durchführbarkeit aller Pläne
ab - sie allein war also maßgebend. Der letzte Schritt, der aus dieser
Vorrangstellung den Oberbefehl entwickelt hätte, wurde aber nicht
getan.
Der Angriffsabschnitt Gorlice-Tarnow lag im Befehlsbereich des
k. u. k.
Armee-Oberkommandos; es beanspruchte daher den Oberbefehl. Die
Angriffstruppen waren vorzugsweise deutsche, der Führer im Angriff ein
deutscher General; die deutsche Oberste Heeresleitung forderte dementsprechend
das Befehlsrecht. Man einigte sich endlich dahin, daß die Armee
Mackensen ihre Befehle vom k. u. k.
Armee-Oberkommando erhielt, ihm also, äußerlich betrachtet,
unterstand; die Befehle aber bedurften der vorherigen Zustimmung der Obersten
Heeresleitung; Teschen war demnach eigentlich nur Vermittlungsstelle.
Außer den Fäden, die von Mackensen über das
k. u. k.
Armee-Oberkommando nach Pleß liefen, bestand naturgemäß
unmittelbare Verbindung zwischen der Armee und der Obersten Heeresleitung
und damit auch ein unmittelbarer Einfluß der letzteren auf die Armee. Es
war ein ganz besonderes Verdienst des Generals v. Mackensen und seines Stabes, daß aus dieser heiklen Lage nicht ernsthafteste Reibungen und
Hemmungen erwuchsen. "Unter der Führung des Generals
v. Mackensen und im Beisein des Erzherzogs Friedrich, des
Oberkommandierenden des k. u. k. Heeres", in dieser Form meldete
der Heeresbericht den Sieg von
Gorlice-Tarnow. Diese, nach langem Hin und Her gewählten Worte zeigten
deutliche, daß der Oberbefehl de facto in Pleß, honoris
causa in Teschen lag. Daß derartige Nebenwege beschritten wurden, hat
immer wieder daran gelegen, daß der Wille zur Einheitlichkeit vor dem
Widerstand Conrads haltmachte und daß Conrad in menschlich vielleicht
begreiflicher Überzeugung in der Selbständigkeit des
k. u. k.
Armee-Oberkommandos ein unveräußerliches Gut und ein Sinnbild
für die völlige Gleichberechtigung der Donaumonarchie erblickte. Es
war für die weitere Entwicklung fast zu bedauern, daß die
künstliche Befehlsgliederung für die
Mai-Offensive nicht Schiffbruch erlitt und die Größe des Erfolges
alle Reibungen nebensächlich erscheinen ließ. Dadurch wurde
scheinbar der Beweis erbracht, daß der gemeinsame Oberbefehl sehr wohl
durch Vereinbarungen ad hoc zu ersetzen war.
Den operativen Möglichkeiten, die sich nach dem glänzend
gelungenen Durchbruch von
Gorlice-Tarnow eröffneten, standen starke Hemmnisse gegenüber,
die sich aus der Gesamtlage ergaben. Der bisherige Kriegsverlauf hatte das
Ansehen [111] der Donaumonarchie nicht gehoben; es waren
mancherlei Erscheinungen zutage getreten, die das innere Gefüge als nur
bedingt widerstandsfähig erkennen ließen. Der unglückliche
Feldzug gegen Serbien im Winter 1914 und der Fall von Przemysl im
Frühjahr 1915 hatten ermunternd auf Italien und Rumänien
eingewirkt, sich ihren Anteil an der Beute durch Anschluß an die Entente zu
sichern.
Auf dringendes Anraten Deutschlands hatte
Österreich-Ungarn versucht, die italienischen Wünsche durch
freiwilligen Verzicht auf bestimmte Gebiete zu befriedigen. General
v. Falkenhayn war in gleichem Sinne beim k. u. k.
Armee-Oberkommando vorstellig geworden und hatte es auch erreicht, daß
General v. Conrad seinen Widerspruch aufgab. Das Eintreten der deutschen
Regierung und Obersten Heeresleitung für möglichste Befriedigung
der italienischen Ansprüche auf Kosten der Donaumonarchie hatte
verstimmend gewirkt; es berührte Empfindungen, die auch durch den
Hinweis auf den Zwang der Lage nicht zum Schweigen gebracht werden
konnten.
Wenn Italien mit seinem völlig unverbrauchten Heer tatkräftig
eingriff, dann war es nicht unwahrscheinlich, daß auch Serbien sich wieder
regte, mochte es auch die Folgen der letzten Kämpfe noch nicht
überwunden haben.
Auch Rumäniens Haltung war durchaus unsicher. Ernsthaft kämpfen
und bluten wollte es für keine der beiden Mächtegruppen, wohl aber
mit denkbar geringsten eigenen Opfern einen möglichst großen
Gewinn einstreichen. Die verlockendste Beute war Siebenbürgen, das bei
der unverrückbar ablehnenden Haltung der ungarischen Regierung nur
gegen die Mittelmächte zu erwerben war. Nach dem Fall von Przemysl und
der kritischen Lage an der
Karpathen-Front schien der geeignete Zeitpunkt gekommen. Es gingen allerlei
Nachrichten um, daß sich Italien und Rumänien über
gleichzeitiges Losschlagen geeinigt hätten.
Alle diese Möglichkeiten richteten sich nicht unmittelbar gegen
Deutschland. Es war aber mit Gewißheit vorauszusehen, daß die
Donaumonarchie die unendlich gesteigerte Belastung unter keinen
Umständen allein würde tragen können und unbedingt der
Waffenhilfe bedurfte. Daher kam auch ein Teil der Bedenken der
deutschen Obersten Heeresleitung , sich gegen Rußland mit starken
Kräften für lange Zeit operativ festzulegen.
Alle Bemühungen, Italien neutral zu halten, scheiterten: die Entente bot
ihm mehr, als
Österreich-Ungarn freiwillig zugestehen konnte. Am 23. Mai
erklärte es der Donaumonarchie den Krieg. Serbien aber und
Rumänien sahen sich nicht veranlaßt, diesen Machtzuwachs der
Entente für eine Wiederaufnahme der Offensive oder zum Raubzug nach
Siebenbürgen hinein auszunutzen. In Belgrad hatte man keine Neigung, den
Italienern zu einer der eigenen Interessen abträglichen Machterweiterung zu
verhelfen; in Bukarest war nach dem Siege bei
Gorlice-Tarnow der Mut zum Eingreifen verflogen. So blieb also Italien
zunächst allein neuer Gegner.
[112] Die innere Stellung der Mittelmächte
diesem neuen Feinde gegenüber war sehr verschieden. Für
Österreich war Italien der Widersacher aus vielen Kriegen, der nie aus
eigener Kraft, sondern stets in der Gefolgschaft siegreicher Bundesgenossen dem
Habsburger Reiche Stück für Stück seines Besitzes entrissen
hatte und auch jetzt wieder unter dem Schutz mächtiger Freunde auf Raub
auszog. Man wußte sich ihm überlegen und hatte ihn doch zu
fürchten, weil man ihm mit gebundenen Händen
gegenüberstand; man haßte ihn und verlangte danach, ihm nicht nur
sein Spiel, sondern ihn selber zu verderben. Deutschland und Italien waren
früher gemeinsame Wege gegangen; die Gegnerschaft war eine
künstliche und entsprang nicht wirklichen Gegensätzen, sondern
einer politischen Konstellation. Man beantwortete das Vorgehen Italiens aus
politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht mit sofortiger
Kriegserklärung; und während in Österreich Führer wie
Truppe einen raschen entscheidenden Waffengang ersehnten, sah man bei der
deutschen Obersten Heeresleitung nüchtern und ohne Stimmungseinschlag
die Dinge lediglich in ihrer Einwirkung auf die Gesamtlage. Dieser ganz
natürliche Unterschied der Einstellung wurde in
Österreich-Ungarn und auch im Kreise des k. u. k.
Armee-Oberkommandos nicht überall verstanden und in Erinnerung an die
Bemühungen, Wien zum Eingehen auf die italienischen Ansprüche
zu bewegen, als Eigennutz auf Kosten des Verbündeten gedeutet. Trotz
aller Erfolge gegen Rußland und der dadurch erreichten Entlastung gerade
des
österreichisch-ungarischen Frontteils blieben Verstimmungen
zurück, die, wie noch darzulegen sein wird, tiefergehende
Gegensätze vorbereiteten. Der österreichischen Einstellung
gegenüber Italien war der Plan entsprungen, dem Feind den Weg nach
Kärnten offen zu lassen, um ihn dann, mit dem Gebirge im Rücken,
unter Mitwirkung deutscher Truppen anzugreifen und zu
schlagen, - ein Plan, der alle Rücksichten auf die anderen Fronten
beiseite schob und darum undurchführbar war.
Es hat sich im Laufe des Krieges wiederholt gezeigt, daß die tiefsten
Interessen der beiden verbündeten Mächte in verschiedener Richtung
liefen, und es hat bis zum
Ende - und nicht nur äußerlich - ausgesprochen deutsche
und österreichisch-ungarische Fronten gegeben. Ansätze dazu, alle
Kräfte zu einem großen gemeinsamen Heere zusammenzuschmelzen,
waren wiederholt zu verzeichnen; sie wurden aber nie zu einem Dauerzustand und
haben daher auch nie die inneren Gegensätze zu überbrücken
vermocht. Auf seiten der Entente waren diese Gegensätze noch sehr viel
größer, und doch hat bei ihr schließlich eine Stelle alle Fronten
beherrscht. Sie ist durch schwerste Mißerfolge zu dieser Lösung
gelangt; die Mittelmächte haben Erfolge gemeinsam durchgeführter
Einzeloperationen glauben gemacht, daß es ausreichend wäre, wenn
sich die Einheitlichkeit von Fall zu Fall verabreden ließe. Darum hat bei
ihnen jede Front innerlich wie äußerlich ihr eigenes Leben
geführt und ihr eigenes Schicksal gehabt; die Mittelmächte bestanden
bis zum Ende aus Teilen und waren niemals eine Front.
[113] Um die ausgedehnte Grenze gegen Italien
einigermaßen zuverlässig zu sichern, mußten Truppen frei
gemacht werden. Sie waren der Ostfront zu entnehmen auf die Gefahr hin, das
Offensivunternehmen dort über das zulässige Maß hinaus zu
schwächen, oder der Abwehr gegen Serbien auf die Gefahr hin, daß
die Lage dort bei erneutem Vorgehen der Serben schnell unhaltbar wurde. General
v. Conrad entschied sich für letzteres, vertrat auch weiterhin den
Gedanken der großen Offensive gegen Rußland, verschob nur ein
Korps aus dem Osten gegen Italien und verringerte die Sicherung gegen Serbien
auf nicht viel mehr als einen einfachen Grenzschutz. Die deutsche Oberste
Heeresleitung entsandte das Alpenkorps (eine Division) nach Tirol; es sollte
eingreifen, sobald die Gefahr eines italienischen Einbruchs dort Tatsache zu
werden drohte.
Es war demnach nicht Italien, das durch sein Eingreifen im Sommer 1915 das
russische Heer vor einer vernichtenden Niederlage bewahrt hat. Abgesehen von
den bereits erwähnten Gegensätzen, die in operativer Hinsicht
zwischen der Obersten Heeresleitung und den Kommandostellen im Osten
bestanden, war es letzten Endes die Rücksicht auf die Türkei und im
Zusammenhang hiermit auf Bulgarien, die den Blick von Rußland ablenkte.
Die Türkei war im April 1915 unmittelbares Angriffsziel der Entente
geworden; kam der Zugang zum Schwarzen Meer in deren Besitz und damit die
Verbindung mit Rußland zustande, so waren die Rückwirkungen auf
die Lage im Gesamtosten gar nicht abzusehen. General v. Falkenhayn
versuchte dieser möglichen Entwicklung mit allen Mitteln
entgegenzuarbeiten und erwog schon vor Beginn der Russenoffensive den
Gedanken, die verfügbaren Reserven dazu zu verwenden, um Serbien
völlig niederzuwerfen und auf dem Balkan die Oberhand zu gewinnen.
Dadurch wäre nicht nur der Weg zur Türkei geöffnet, sondern
auch Bulgarien wahrscheinlich auf die Seite der Mittelmächte
herübergezogen worden. Sofia hatte nach der österreichischen
Schlappe gegen Serbien eine ausgesprochene Schaukelpolitik verfolgt und sich
von beiden Mächtegruppen den Preis nennen lassen. Sein Anschluß
an die Mittelmächte lag an sich näher als sein erneutes
Zusammengehen mit Serbien. General v. Falkenhayn hatte daher die
Fäden immer wieder neu zu knüpfen vermocht und sowohl die
Reichsregierung wie das verbündete Österreich in gleichem Sinne
vorzugehen veranlaßt. General v. Conrad war ihm hierbei nicht
widerspruchslos gefolgt. Er sah in dem Bundesverhältnis mit der
Türkei eigentlich nur ein Hemmnis auf dem Wege zu einer
Verständigung mit Rußland und wäre geneigt gewesen, sie um
den Preis dieser Verständigung ihrem Schicksal zu überlassen. Den
Bulgaren traute er ebensowenig wie den anderen Balkanstaaten und hielt ihren
Anschluß an die
Mittelmächte - wenn überhaupt - erst dann für
wahrscheinlich, wenn es eigentlich nur noch die Früchte des Sieges zu
verteilen galt. Die Bemühungen der Obersten Heeresleitung hat er trotzdem
unterstützt und auch auf das Ministerium des Auswärtigen in Wien
in diesem Sinne eingewirkt. Sein wirkliches Interesse setzte aber erst dann ein, als
sich [114] mit dem Siege über Serbien die
Möglichkeit eröffnete, die zahlreichen Balkansorgen der
Donaumonarchie einer Lösung zuzuführen.
Als im Sommer 1915 der Anschluß Bulgariens zunehmend
wahrscheinlicher wurde, nahm der Gedanke der gemeinsamen Offensive gegen
Serbien greifbarere Gestalt an. Bulgarien sollte mitwirken und der neue Bund
tunlichst rasch durch einen gemeinsam erkämpften Erfolg besiegelt und
gefestigt werden. Durch die unmittelbare Verbindung zum nahen Orient erhielten
dann auch alle die Pläne eine gesichertere Grundlage, die die Macht
Englands auch dort niederzukämpfen trachteten.
Alle diese Absichten ließen sich aber mit einer großzügigen
Weiterführung der Offensive gegen Rußland aus Mangel an
Kräften nicht vereinigen. Gleichzeitig waren die Aufgaben nicht zu
lösen; einem ruhigen Nacheinander stand die bedrängte Lage der
Türkei ebenso im Wege wie der Zweifel in die Zuverlässigkeit der
Bulgaren. Im Herbst 1914 hatten Rücksichten auf den Osten die
großen Operationen in
Frankreich - Belgien aus ihrem der Entscheidung zustrebenden
Gleise gelenkt; im Sommer 1915 zog die Türkei die Stoßkraft der
verbündeten Truppen von Rußland fort. Am Ende der Entwicklung
stand im Jahre 1914 die
Marne-Schlacht, hinter der Offensive von 1915 die schwere Ostfrontkrise durch
die
Brussilow-Offensive des Jahres 1916.
Die Offensive gegen Serbien verlief äußerlich sehr erfolgreich,
vermochte aber nicht, das serbische Heer wirklich vernichtend zu treffen. Die
Umfassung durch die Bulgaren war nicht tief genug angesetzt und wirkte daher
mehr taktisch als operativ. Conrad hatte rechtzeitig darauf hingewiesen, war aber
mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen.
Da eine oberste Kriegsleitung fehlte, hatte (wie vor Gorlice) die
Befehlsgliederung ad hoc vereinbart werden müssen. Hierbei wie
bei dem Bündnisvertrag überhaupt hatten sich die Bulgaren in aller
Form geweigert, ihre Truppen dem k. u. k.
Armee-Oberkommando oder einem österreichisch-ungarischen General zu
unterstellen. Es war die Antwort auf das Scheitern der ersten Offensive gegen
Serbien und auf eine Bulgarien gegenüber wenig geschickte Politik. Da
General v. Conrad es aus Prestigegründen für ganz
unmöglich erklärte, daß das
Armee-Oberkommando bei einem Feldzug gegen Serbien ausgeschaltet
würde, wurde nach langem Verhandeln ein Ausweg gefunden; von wem er
seine Weisungen erhielt, wurde offen gelassen. Ergänzend vereinbarten
dann die Oberste Heeresleitung und das
Armee-Oberkommando, daß letzteres die Weisungen anzufertigen
hätte. Die Bulgaren taten zum mindesten so, als wüßten sie
von dieser Vereinbarung nichts!
Nach der Beendigung des eigentlichen Feldzuges gegen Serbien war zu
entscheiden, ob er gegen die inzwischen in Saloniki gelandeten Ententetruppen
fortgeführt werden sollte. Anfänglich waren beide Heeresleitungen
dafür. Erst [115] als sich herausstellte, welche Schwierigkeiten
der Nachschub von Munition und allem Nötigen zu überwinden
haben würde, so daß an eine schnelle Durchführung der
Operation gar nicht zu denken war, gab General v. Falkenhayn den Plan
auf; für unabsehbar lange Dauer wollte er stärkere deutsche
Kräfte auf dem fernen Kriegsschauplatz nicht festlegen und die Sicherung
gegen Saloniki um so mehr den Bulgaren überlassen, weil deren Truppen
nach dem Vertrage nur auf dem Balkan verwendet werden durften. Auch die
Besorgnis, Griechenland der Entente vollends in die Arme zu treiben, hat ihn in
seinem Entschluß bestärkt.
General v. Conrad vertrat den entgegengesetzten Standpunkt; er wollte "ganze
Arbeit" machen. Sein tiefgehendes Mißtrauen gegen alle Balkanstaaten
ließ ihn, wie bereits erwähnt, an der Zuverlässigkeit auch der
Bulgaren zweifeln.
Außerdem - und das ist wohl der treibende
Grund - hatte die Donaumonarchie das größte Interesse daran,
im Zusammenhang mit der Niederwerfung Serbiens alle die Balkanfragen zu
erledigen, die dauernd eine schwere Sorge für die Wiener Politik gebildet
hatten. Der Verlauf der Dinge und der Zusammenbruch der bulgarischen Front
gaben ihm recht.
Anderseits ist unendlich zu bedauern, daß der Bündnisvertrag mit
Bulgarien sich auf den Balkan beschränkte; es wurde dadurch auf die
Mitarbeit der bulgarischen Verbände an der großen Entscheidung
verzichtet; Bulgarien erlebte den Krieg immer nur in Beziehung auf das eigene
Land und niemals in seinen großen Zusammenhängen. Gegen die
deutsche Westfront stürmten Kämpfer aus aller Herren
Länder, die den modernen Krieg zum Teil sehr viel weniger kannten als die
Bulgaren, und ihn erst lernen mußten, um ihm gewachsen zu sein. Die
Deutschen blieben im Westen im wesentlichen allein. Es sind auf Seite der
Mittelmächte die Interessen und Kräfte aller Verbündeten
niemals in einem Strom zusammengeflossen; man ging nach
vorübergehend gemeinsamem Tun auseinander und seinen Sonderaufgaben
nach. Entstand dann hieraus bei einem der Verbündeten Not und Gefahr,
dann mußten die Deutschen, deren
Last - weiß Gott - groß genug war, helfen. Das
Gefühl des Überlegenseins, das sich ganz naturgemäß
hieraus entwickelte und sich ebenso naturgemäß in Ansprüche
umsetzte, wurde ihnen dann noch als Überheblichkeit ausgelegt. Und
immer wieder muß betont werden, daß der Ausgangspunkt für
alle diese Unklarheiten das Fehlen einer obersten Kriegsleitung war, die
über die Verwendung der Truppen zu bestimmen und nicht lange zu
verhandeln hatte.
Die Armee des Generals v. Mackensen war gebildet worden für die
gemeinsame Operation gegen Serbien und gegebenenfalls weiter gegen die
Ententetruppen bei Saloniki. Als Serbien niedergeworfen und die gemeinsame
Weiterführung des Feldzuges bis zum Meere aufgegeben war, sah das
k. u. k.
Armee-Oberkommando die Unterstellung seiner Divisionen unter den deutschen
General für beendet an und verfügte selbständig über
sie, um sich nunmehr allein gegen Montenegro zu wenden. Da dieses
Unternehmen ohne Wissen der deutschen [116] Obersten Heeresleitung vorbereitet worden war,
mußte das ohne jede Ankündigung überraschend erfolgende
Ausscheiden der Österreicher aus der serbischen Armee als Mangel an
Aufrichtigkeit empfunden werden. Gegen den Angriff auf Montenegro
hätte die deutsche
Heeresleitung - um ihre Ansicht befragt - sicher nichts eingewendet,
da er ja sozusagen am Wege lag. Gegen die Form, die das
Armee-Oberkommando angewandt hatte, mußte sie mit Recht Einspruch
erheben. General v. Conrad beharrte auf seinem Schein, und der
Zwischenfall wuchs sich trotz aller Vermittlungsversuche zu einer tiefgehenden
persönlichen Entfremdung zwischen den beiden Generalstabschefs aus; der
persönliche Verkehr und der unmittelbare Gedankenaustausch wurden
für längere Zeit vollständig unterbrochen.
War das an und für sich schon bedauerlich, so wurde es dadurch
verhängnisvoll, daß der Gegensatz gerade in eine Zeit fiel, in der
nach dem Abschluß der Operationen im Osten und auf dem Balkan
über die Weiterführung des Krieges zu entscheiden war. Ich glaube
nicht zu viel zu sagen, wenn ich in diesem Zerwürfnis den Ausgangspunkt
für die schweren Rückschläge des Jahres 1916 und damit
für das unglückliche Kriegsende überhaupt erblicke. Die
Verbündeten sind trotz der gemeinsam errungenen Siege wieder ihre eigenen
Wege gegangen, und erst die Not hat sie wieder zusammengeführt.
Deutsche Führung und deutsche Truppen hatten einen tiefen Eindruck
zuverlässiger Tüchtigkeit hinterlassen, in dem jüngeren
Offizierskorps wie bei den Regimentern des k. u. k. Heeres das
Verlangen nach dauernder enger Waffenbrüderschaft wachgerufen und so
ein wirksames Gegengewicht gegen Strömungen anderer Art geschaffen;
man konnte den Wunsch hören, an der Westfront eingesetzt zu werden, um
dem deutschen Bundesgenossen den unsagbar harten Kampf dort zu erleichtern
und dadurch selbst als vollwertig anerkannt zu werden. Es war ein
Höhepunkt nicht nur der militärischen Lage, sondern auch der
Stimmung und des
Gemeinschaftsgefühls - da schlugen Verdun und die
Brussilow-Offensive den Heeren unheilbare Wunden, und die Deutschen blieben
auch weiterhin im Westen so gut wie allein.
Die Stelle des schwächsten Widerstandes der Ententefront war Italien. Es
hatte am Isonzo so gut wie nichts erreicht, und der
österreichisch-ungarische Soldat fühlte sich mit Recht
überlegen. Volk und Heer wurden von dem sehnlichsten Wunsche
beherrscht, den "Beschützer der unerlösten Provinzen" und den
Verkündiger des "heiligen Egoismus" nicht immer nur abzuwehren.
General v. Conrad regte dementsprechend an, den nächsten
gemeinsamen Schlag gegen Italien zu führen und den weiten Bogen der
feindlichen Front von Tirol her zu durchstoßen. Als Krönung und
Endziel des ganzen Krieges sollte dann der gemeinsame Kampf gegen
Frankreich-England folgen. Daß die Operation gegen Italien gelingen
würde, war kaum zweifelhaft. Umstritten war eigentlich nur die Frage, ob
der Erfolg zur vernichtenden Entscheidung gesteigert werden könnte.
General v. Conrad hat dies für möglich gehalten und Italien
durch eine Nieder- [117] lage völlig ausschalten zu können
geglaubt. General v. Falkenhayn hat daran gezweifelt und, wie
Rußland gegenüber, nur den Geländegewinn, nicht die
Niederwerfung für möglich erachtet. Beide waren innerlich wohl
nicht ganz frei von Einflüssen, die außerhalb des rein sachlichen
Urteils lagen; Conrad trieb es mit allen Fasern seines Herzens gegen Italien,
Falkenhayn war bereits zu sehr mit Verdun beschäftigt, um sich noch leicht
umstellen zu können.
Die österreichische Asiago-Offensive hat dann bewiesen, daß ein
durchschlagender Erfolg möglich war; der Einsatz deutscher Truppen dort
hätte die ganze Front umgeworfen; auf Gorlice, Serbien und Montenegro
wäre unmittelbar ein weiterer Sieg gefolgt. Mochte sich die Entente
für eine unmittelbare Unterstützung der Italiener entscheiden oder
gegen die Westfront anstürmen, um mittelbare Entlastung zu
bringen - in jedem Falle war sie außerstande, ihre eigenen
Pläne in Ruhe ausreifen zu lassen.
Wenn die deutsche Oberste Heeresleitung Verdun nicht zugunsten eines Angriffs
auf Italien aufgeben wollte, mußte sie die verfügbaren
österreichisch-ungarischen Verbände an die Westfront holen; damit
war die Einheitlichkeit im Kräfteeinsatz auch für das Jahr 1916
gesichert und jedem Sonderunternehmen ein Riegel vorgeschoben. Sie hat sich
hierzu erst entschlossen, als es zu spät und der Aufmarsch gegen Italien
bereits vollendet war. General v. Conrad mußte ablehnen.
Man mag über die österreichische Asiago-Offensive und das
deutsche Verdun-Unternehmen urteilen wie man will, den Angriff auf Italien oder den
Stoß an der Westfront für zweckentsprechender
halten, - außer jedem Zweifel steht, daß nur eins von beiden
unternommen werden durfte. Daß man eigentlich nur die deutschen
Verbände als für den Kampf im Westen verwendbar erachtete, wurde
bereits erwähnt. Auf die Gesamtheit der
österreichisch-ungarischen Armee angewendet, war das ablehnende Urteil
falsch. Die eigenartigen inneren Verhältnisse der Donaumonarchie und die
unglückseligen Nationalitätengegensätze machten es
unmöglich, die Truppen unter den
schwarz-gelben Fahnen einheitlich zu werten; hellstes Licht stand neben tiefstem
Schatten. Deutsche, magyarische und kroatische Regimenter schlugen sich mit
einer Opferfreudigkeit, die jeden Vergleich aushielt, während Truppenteile
mit tschechischem, ruthenischem und polnischem Ersatz versagten.
Vorkommnisse der letzteren Art wurden dann verallgemeinernd als
österreichisch angesehen und damit die Zuverlässigkeit des ganzen
Heeres in Zweifel gestellt. Hieraus entwickelte sich dann Schritt für Schritt
die irrige Überzeugung, daß die großen Entscheidungen des
Krieges nur mit deutschen Truppen erkämpft werden könnten, und
bei dem Bundesgenossen der heimliche Wunsch, bei irgendeiner Gelegenheit den
Ruhm des Siegers für sich allein zu erringen.
In deutschen Übungslagern vorbereitet und in die Eigenart des Kampfes im
Westen eingeführt, hätten
österreichisch-ungarische Divisionen neben deutschen [118] Verbänden bestimmt ihre Pflicht getan,
sich als Gebende und nicht immer nur als Nehmende empfunden, eine
unschätzbare Steigerung ihres Selbstbewußtseins und ihres
Kampfwillens erlebt und Schulter an Schulter mit deutschen Kameraden gelernt,
daß nicht um irgendein Grenzgebiet, sondern um beider Staaten Existenz
gefochten wurde. Das Erzieherische des gemeinsamen Kämpfens um das
gleiche Ziel wurde leider außer acht gelassen.
Österreich-Ungarn konnte Italien nur dann allein angreifen, wenn die
Abwehr im Osten auf ein Mindestmaß von Kräften beschränkt
wurde. Es war nicht leicht, hierbei die richtige Mitte einzuhalten. Von Conrad war
strenge Sachlichkeit nicht zu erwarten; sie widersprach seiner ganzen Natur, die
den Kampf zwischen Führerphantasie und nüchternem Alltag gern
zugunsten der ersteren entschied; zudem war er gerade Italien gegenüber zu
sehr von dem Wunsche nach Abrechnung erfüllt.
Rein zahlenmäßig waren die an der Ostfront stehenden Kräfte
den Russen stets unterlegen; den Ausgleich schuf ihre moralische und technische
Überlegenheit. Entzog man dem Osten diese Stützen, dann wurde
eben die Zahl an sich ausschlaggebend. Das k. u. k.
Armee-Oberkommando hat sich zu diesem Wagnis entschlossen: in ihrem inneren
Wert besonders zuverlässige Infanterie, Artillerie, Munitionsreserven und
ausgebildete Ersatzmannschaften wurden aus dem Osten nach Tirol geschoben.
Alle diese Vorbereitungen haben sich in ihren Einzelheiten der Kenntnis der
deutschen Obersten Heeresleitung entzogen; diese hatte auf eine gemeinsame
Operation verzichtet und war nicht berechtigt, vollen Einblick zu fordern. Man
war aufrichtig nur bis zu jener Grenze, die eine Einmischung des einen in die
Pläne des anderen verhinderte.
Unglücklicherweise standen an den Frontstellen, die der Russe zum Angriff
gewählt hatte, Führer, die besonders gesteigerten Anforderungen
nicht gewachsen waren. Weder Erzherzog Joseph Ferdinand noch General
v. Pflanzer-Baltin waren Armeeführer größeren Formats.
An der nördlichen Angriffsstelle, an der Luzker Front, lag die oberste
Befehlsgewalt in der Hand eines deutschen
Armee-Stabes. General v. Linsingen
befehligte dort, war also letzten Endes
dafür verantwortlich, daß die Abwehr nicht unter das zulässige
Maß geschwächt wurde. Nach den großen Erfolgen der
Gorlice-Offensive war man aber anscheinend geneigt, die Angriffskraft der
Russen zu unterschätzen oder zum mindesten anzunehmen, daß sie
sich erst nach sehr viel weiter gehenden Vorbereitungen in bedrohlichem Umfang
würde äußern können. Tatsächlich hat der
russische Ansturm mit Rücksicht auf die Lage Italiens früher
eingesetzt, als russischerseits zuerst beabsichtigt war, und daß er trotzdem
im ersten Anlauf gelingen konnte, ist nur dadurch zu erklären, daß
die angegriffene Truppe innerlich völlig versagte. Dieser Umstand leitet auf
die bereits erwähnte Tatsache zurück, daß dem Osten
zugunsten der Offensive gegen Italien gerade die Elemente entzogen waren, die
das
Miß- [119] verhältnis der Zahl auszugleichen
vermocht hätten: zuverlässige Infanterie mit ausreichendem Ersatz,
Artillerie mit genügender Munitionsreserve. Demnach bleibt die letzte
Verantwortung doch beim k. u. k.
Armee-Oberkommando.
Als die russische Offensive einsetzte, hatte der
österreichisch-ungarische Angriff aus Tirol seinen Höhepunkt bereits
überschritten. Der große Anfangserfolg war aus der Hand gegeben,
weil man beträchtliche Kräfte für den Kampf in der
nord-italienischen Ebene zurückhielt und aus diesem Grunde die Truppen
der vordersten Linie zu lange auf sich selbst angewiesen sein ließ; um
Großes zu erreichen, scheiterte man auf einer Zwischenstufe. Es ist nicht
zutreffend, in dem Eingreifen der Russen den Grund hierfür zu sehen.
An der deutschen Westfront waren trotz der Kämpfe bei Verdun
Angriffsvorbereitungen der Entente auch an der
Somme-Front zu erkennen. Es war durchaus berechtigt, daß die Oberste
Heeresleitung unter diesen Umständen den ersten Hilferuf des
Verbündeten nicht sofort mit einer Verschiebung deutscher Divisionen
nach dem Osten beantwortete. Sie war um so weniger dazu geneigt, als das
k. u. k.
Armee-Oberkommando anfänglich glaubte, den eigenen Angriff gegen
Italien fortsetzen zu können, statt dem Osten in erster Linie von dort her
Unterstützung zu bringen. Die Lage wurde aber sehr bald derart bedrohlich,
daß wohl oder übel die hohe Gefährdung auch der Westfront in
den Kauf genommen werden mußte.
Die stärkste Gegenwirkung gegen den russischen Angriff wäre der
Gegenstoß planmäßig versammelter und bereitgestellter
Kräfte gewesen. Die Truppenmenge, die im Lauf der Zeit nach dem Osten
geschoben wurde, hätte dazu auch ausgereicht. Die Truppen wurden aber
nur nach und nach zur Verfügung gestellt, und das gelockerte Gefüge
der Ostfront erzwang dann ihre Verwendung zu unmittelbarster taktischer
Abwehr. So oft auch die beiden Heeresleitungen einen operativen Gegenzug
vereinbarten, jedesmal haben Ereignisse an der Front die Durchführung
unmöglich gemacht.
Die Folgen des russischen Sieges waren sehr schwere Verluste bei den
österreichisch-ungarischen Verbänden und ein weiteres Sinken ihrer
Widerstandskraft gegenüber den Russen. Hieraus ergab sich mit
Notwendigkeit eine erneute Steigerung der militärischen Belastung
Deutschlands. Die Ereignisse hatten aber auch zur Folge, daß immer weitere
Kreise an Conrad und dem
Armee-Oberkommando zu zweifeln begannen und in
Österreich-Ungarn selbst die Unterstellung der
Gesamt-Ostfront unter deutschen Oberbefehl als unumgänglich notwendig
gefordert wurde. Da überall deutsche Divisionen als Rückgrat der
Verteidigung eingeschoben werden mußten, ließ die deutsche Oberste
Heeresleitung durch den deutschen General beim k. u. k.
Armee-Oberkommando die Übernahme des Befehls über die
Ostfront durch Generalfeldmarschall
v. Hindenburg in Vorschlag bringen.
Conrad lehnte rundweg ab; erst durch das persönliche Eingreifen [120] des Deutschen Kaisers kam eine Lösung
derart zustande, daß nur der Südteil der Ostfront unter dem
Erzherzog-Thronfolger dem Armee-Oberkommando unmittelbar unterstellt blieb,
daß diesem Abschnitt in der Person des Generals v. Seeckt ein
deutscher Generalstabschef beigegeben und die ganze übrige Front dem
Befehlsbereich des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg angegliedert
wurde. Daß trotz des bitteren Ernstes der Lage wieder nur eine
Teillösung, nicht einmal ein klarer Oberbefehl im Gesamtosten, geschweige
denn eine oberste Kriegsleitung durchgesetzt werden konnte, beweist, wie stark
die Widerstände waren und wie gering immer noch der Wille, sie zu
brechen.
Die militärische Mehrbelastung Deutschlands nahm einen bedrohlichen
Umfang an, als der russische Sieg Rumänien zum Eingreifen
veranlaßte und
Österreich-Ungarn dem neuen Feind so gut wie nichts entgegenzustellen
hatte. Der rumänischen Kriegserklärung folgte unmittelbar der
Rücktritt Falkenhayns; er hatte bis zum letzten Augenblick nicht an die
Beteiligung Rumäniens am Kampfe geglaubt, obwohl gerade über
diese Entwicklung sehr zuverlässige Nachrichten vorgelegen haben. General v. Falkenhayn und General v. Conrad sind sich gegenseitig
niemals sehr sympathisch gewesen; rückhaltlose Offenheit hat niemals
zwischen ihnen bestanden. Die Lage brachte es mit sich, daß General
v. Conrad in den meisten Fällen der Abhängige war; das
Schwierige und bisweilen persönlich Peinliche dieser Lage wurde durch
Schärfen und Spitzen im mündlichen wie schriftlichen Verkehr noch
vertieft. Der weiter oben erwähnte Zwischenfall am Ende des serbischen
Feldzuges hat nur deshalb zu einer Entfremdung führen können, weil
die beiden Führer sich an und für sich schon innerlich fremd
gegenüber standen; Conrad als der schwächere Teil ging dann seine
eigenen Wege, obwohl die Macht, über die er verfügte, ihn dazu
nicht berechtigte; Falkenhayn als der stärkere Teil ließ das
Armee-Oberkommando nur noch insofern an seinen Plänen teilnehmen, als
sie sich außerhalb der Westfront bewegten. Den einen führte die
Überschätzung seiner Kraft über Asiago nach Luzk, der andere
verzichtete im Westen freiwillig auf die Teilnahme des Bundesgenossen,
erreichte sein Ziel dort nicht und kam erst unter dem Zwang der Ereignisse zur
Gemeinsamkeit
zurück - freilich nicht mehr zu siegreicher Offensive, sondern zur
mühevollen Abwehr.
Generalfeldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff übernahmen
die Oberste Heeresleitung. Was bisher nicht hatte gelingen wollen, wurde
nunmehr erreicht: eine oberste Kriegsleitung. Bulgarien und die Türkei
forderten sie; die Umgebung des k. u. k. Oberkommandierenden und
weite Kreise im k. u. k. Heere unterstützten diese Forderung,
die beiden Herrscher wurden mit dieser Frage befaßt und auf diesem Wege
endlich geschaffen, was schon vor Kriegsbeginn hätte geregelt sein
müssen. Das Schicksal hat es dann gewollt, daß Kaiser Franz Joseph
bald darauf dahinschied und den Thron einem Manne hinterließ, [121] unter dessen Einfluß sich das
Bundesverhältnis zum Deutschen Reich von Grund aus verschob.
Die erste große Aufgaben der Obersten Kriegsleitung war der Kampf gegen
Rumänien. Zum Glück hatte Bratianu über dem Kuhhandel
mit der Entente den günstigsten Zeitpunkt für das Eingreifen
verpaßt; die Front gegen Rußland stand bereits wieder, als die
Rumänen die Berge Siebenbürgens zu überschreiten begannen.
Sie stießen dabei auf keinen ernsthaften Widerstand. Es waren einfach keine
Truppen der Mittelmächte verfügbar; einige völlig
abgekämpfte Divisionen, ungarischer Landsturm,
Marsch-, Etappen- und aus Bergarbeitern gebildete Bataillone mit völlig
unzureichender Artillerie sollten eine Armee abwehren, die unverbraucht in den
Kampf trat. Wie schon erwähnt, hatte Rumänien den
günstigsten Zeitpunkt verpaßt. Die Besorgnis vor einem bulgarischen
Einbruch in die Dobrudscha hatte Bratianu die Forderung an die Entente stellen
lassen, die bulgarische Armee durch einen Angriff von Saloniki her zu binden.
Die Verhandlungen hierüber hatten Zeit gekostet. Als dann die Bulgaren
der Entente-Offensive durch eigenen Angriff zuvorkamen, hielt Bratianu sie hierdurch
für abgelenkt und entschloß sich, von Rußland stürmisch
gedrängt, endlich zum Losschlagen. Der Kampfpreis war
Siebenbürgen; daher wurden die rumänischen Hauptkräfte
dorthin angesetzt, in der Dobrudscha sollte russische Waffenhilfe den Kampf
führen.
Den Operationen der Mittelmächte - es gingen zum ersten Male auf einem
Kriegsschauplatz alle vier Verbündete
zusammen - mußte das offensive Zusammenwirken der
siebenbürgischen und bulgarischen Front zugrunde liegen. Bulgarien aber
wollte Rußland gegenüber nicht als Angreifer auftreten; je gewisser
es wurde, daß die Offensive in der Dobrudscha auf russische Truppen
stoßen würde, desto ausgesprochener wurde der Wunsch, ihnen die
Rolle des Angreifers zu überlassen. Der rumänische Einmarsch in
Siebenbürgen konnte daher nicht sofort durch einen Vorstoß im
Süden ablenkend beeinflußt werden. Als es sich dann
übersehen ließ, daß an eine Offensive in Siebenbürgen
so bald noch nicht würde gedacht werden können, mußte auch
der von Conrad vorgeschlagene Angriff über die Donau in Richtung auf
Bukarest abgelehnt werden; er lief Gefahr, ohne Unterstützung von
Siebenbürgen her gegen eine Überlegenheit zu scheitern. Der
ursprünglich nur als Flankensicherung für das Vorgehen auf Bukarest
gedachte Vorstoß in die Dobrudscha hinein wurde dadurch zum
Hauptunternehmen. Der
Donau-Übergang und das Vorgehen auf Bukarest sollten sich hieraus
entwickeln, sobald die Flanke durch Erfolge in der Dobrudscha ausreichend
gesichert war und von Siebenbürgen her offensiv mitgewirkt werden
konnte. Da sich in keiner Weise übersehen ließ, wann und in
welchem Umfange ohne Gefahr für die Gesamtlage Truppen für
Siebenbürgen frei gemacht werden könnten, ist die in [122] ihrer späteren Entwicklung so
erfolgreiche Operation mit recht unsicheren Faktoren begonnen worden.
Ähnlich wie Italien im Jahre 1915 hat sich auch Rumänien seine
besten Trümpfe selbst aus der Hand gegeben. Es hatte an den Grenzen
Siebenbürgens wirklich so gut wie nichts zu schlagen und operierte
trotzdem mit einer Langsamkeit und Unentschlossenheit, die kostbare Zeit an den
Feind verlor und über sehr kritische Wochen hinweghalf. Rumänien
sollte das schwer beladene Schiff der Mittelmächte zum Kentern bringen;
das Schiff blieb nicht nur flott, sondern brachte den neuen Feind zum Sinken. In
Europa war damit die Kunst der Entente an ihrem Ende angelangt; die Waffen
waren zum mindesten gleich, und der Augenblick für eine
Verständigung gekommen. Sie wurde von der Entente abgelehnt.
Eine etwas abseits liegende Folge des Verlaufs der Operationen im Jahre 1916
und der damit verbundenen außerordentlich schweren Belastung der
Mittelmächte muß hier noch erwähnt werden: die Hoffnung
auf eine polnische Armee und die Selbständigkeitserklärung Polens.
Es war an sich ganz gewiß begreiflich, daß ein Kräftezuwachs
durch polnische Divisionen als Ausgleich für die schweren Verluste im
Westen und Osten von den Heeresleitungen freudig begrüßt wurde.
Im k. u. k.
Armee-Oberkommando und beim deutschen Generalgouvernement Warschau war
man fest davon überzeugt, daß die Polen mit Begeisterung gegen
Rußland marschieren würden. Beiden Stellen war Erfahrung in der
Beurteilung der Polen oder die Möglichkeit, sich ein zutreffendes Urteil
über sie zu bilden, nicht abzusprechen. Daß sie sich tatsächlich
geirrt haben oder von verschlagenen Ratgebern irregeführt worden sind,
kann niemals die Schuld derjenigen sein, die sich auf ihre Angaben
verließen. Als dann die Polen ein militärisches Aufgebot gegen
Rußland von einer Selbständigkeitserklärung ihres Landes
abhängig machten, wurde die ganze Frage auf ein Gebiet geschoben, auf
dem die politische Leitung und nicht der Soldat zu entscheiden hat. Hierbei war
außer der Rolle, die ein selbständiges Polen bei einem Frieden mit
Rußland spielen würde, auch der Einfluß zu überlegen,
den dieses Land auf das spätere Verhältnis zwischen dem Deutschen
Reich und
Österreich-Ungarn ausüben konnte. Mit anderen Worten: die
politische Leitung der beiden Kaisermächte mußte sich vor
einer Selbständigkeitserklärung Polens über das spätere
Schicksal dieses Landes einigen oder, falls eine derartige Einigung zur Zeit noch
unmöglich war, die polnische Forderung
ablehnen, - selbst auf die Gefahr hin, dadurch einer wertvollen
militärischen Unterstützung verlustig zu gehen. In jedem Falle aber
durfte die Politik das größte Geschenk, das sie für Polen
überhaupt besaß, nicht aus der Hand geben, bevor die
Gegenleistung, d. h. das polnische Heer, gesichert war. In jeder Lage
werden sich militärische und politische Erfordernisse widersprechen
können und in jeder Lage ist der Soldat berechtigt, seine Ansprüche
mit allem Nachdruck zu vertreten. Aber nur eine schwächliche Politik wird
sich [123] beeilen, ihm auch dann recht zu geben, wenn
eine gewissenhafte Prüfung der politischen Verhältnisse gegen seine
Wünsche spricht. Daß man hinterher als militärischen Zwang
deutet, was letzten Endes doch nur eigene Energielosigkeit gewesen ist, kann an
diesen Tatsachen nichts ändern. General v. Conrad hat
persönlich der Aussicht auf eine polnische Armee durchaus skeptisch
gegenüber gestanden, den Dingen aber ihren Lauf gelassen, weil auch er auf
jeden Kraftzuwachs Wert legen mußte.
Im November 1916 beendete ein sanfter Tod das ereignisreiche Leben des Kaisers
Franz Joseph. Still wie er gelebt hatte, ist er gestorben. Die Welt machte nur
für kurze Zeit an seinem Sarge Halt und ahnte noch nicht, welche
tiefgehenden Wirkungen dieser Tod auf die Verhältnisse in der
Donaumonarchie und auf das Bundesverhältnis zum Deutschen Reich
ausüben sollte.
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