SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917

Kapitel 2: Die militärischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
  (Forts.)

Oberst Gustav v. Bartenwerffer

[63] 2. Der Balkan vom April 1915 ab. Der Eintritt Italiens in die Entente und der Abschluß der Ostoffensive.

Am 19. Februar 1915 hatten mit der Beschießung der Gallipoli-Sperrforts gewaltige Anstrengungen der Engländer und Franzosen begonnen, in die Dardanellen einzudringen. Da alle derartigen Versuche ihrer Flotten fehlschlugen, versuchte die Entente, um sich der Hauptverteidigungsstellen auf Gallipoli zu bemächtigen, eine Landung ihrer Angriffstruppen zu erzwingen.2 Erst nach monatelangen umfangreichen Vorbereitungen glückte am 25. April diese Landung auf der äußersten Südwestspitze der Halbinsel; jede weitere Ausbreitung der Ententetruppen auf Gallipoli wurde durch die Tapferkeit der Türken unter dem Oberbefehl des deutschen Generals Liman v. Sanders verhindert. Daß die Entente den Weg über Gallipoli wählte und nicht den für sie leichteren von der asiatischen Seite her, war wohl in der Absicht begründet, mit dieser Landung und durch den Vormarsch auf dem europäischen Festland die noch neutralen Balkanstaaten zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Die deutsche Oberste Heeresleitung sah in dieser Zeit mit wachsender Sorge nach dem Balkan, wo infolge des fast gänzlichen Mangels an Verbindungsmöglichkeiten zwischen den Mittelmächten und der Türkei ernste Schwierigkeiten drohten. Nicht nur, daß Serbien als Riegel im Wege lag; auch Rumänien wollte deutsches Kriegsmaterial für die Türkei nicht ohne weiteres durchlassen, und die sonstigen Möglichkeiten, dem treuen Bundesgenossen am Marmara-Meer beizustehen, reichten nicht hin, um ihn in seiner Abwehrstellung wirksam zu unterstützen. Zwar war in Armenien nach dem für die Türken sehr verlustreichen Winterfeldzuge Ruhe und damit immerhin eine Entlastung für sie eingetreten. Trotzdem mußten sie den Nachschub für ihre auf dem asiatischen Kriegsschauplatz befindlichen Armeen zeitweilig ganz einstellen und konnten weder den langsamen, aber stetigen Vormarsch der Engländer gegen Bagdad aufhalten, noch die zur Bindung englischer Kräfte und zur Sperrung des Suez-Kanals erforderlichen Truppen auf der Halbinsel Sinai belassen.

Eine Möglichkeit, den Türken die notwendige Hilfe zu bringen, sah die deutsche Oberste Heeresleitung in der Eroberung wenigstens des Negotiner Kreises, der Nordostecke Serbiens, da alsdann der Zufuhrweg auf der Donau und weiter durch Bulgarien frei geworden wäre. Aber die Verfassung des österreichisch-ungarischen Heeres ließ keine Unternehmung gegen Serbien, nicht einmal eine solche zur Besetzung des Nordostzipfels zu. Ein diplomatischer Schritt der Mittelmächte im April, um Bulgarien auf ihre Seite zu ziehen - wobei sogar schon die militärischen Vorbereitungen zum Angriff auf Serbien verhandelt wurden -, blieb ohne Erfolg. Die gewaltsame Erzwingung der Durchfuhr durch [64] Rumänien konnte vorläufig nicht in Frage kommen. So vorteilhaft eine Besitzergreifung der rumänischen Kornkammer und die Beseitigung der Flankengefahr für die Doppelmonarchie gewesen wäre, so durften die Mittelmächte sich doch ohne zwingendsten Grund nicht neben den Italienern noch einen weiteren Feind auf den Hals laden.

Je wahrscheinlicher die Kriegserklärung Italiens wurde, desto mehr wuchs die Unruhe der Österreicher und Ungarn und ihr Verlangen, diesen ihnen immer höchst unsympathisch gebliebenen "Bundesgenossen" vor die Klinge zu bekommen. Vor der Gorlice-Offensive war allerdings die Aussicht, wenigstens eine, wenn auch dürftige, Abwehrarmee gegen Italien zusammenzubringen, nur schwach. Während bei General v. Conrad der Gedanke an die Vernichtung der in die Doppelmonarchie einfallenden Italiener im Mittelpunkt aller Erwägungen stand, beharrte General v. Falkenhayn bei seiner Auffassung, daß zuerst der Weg zur Türkei geöffnet werden müsse. Die Verhandlungen zwischen den beiden Heeresleitungen über Kräfteeinsatz und Operationsbeschluß sind schon bei Schilderung der Gorlice-Offensive (im 1. Kapitel) besprochen worden.

An der italienischen Grenze versahen in Tirol Standschützen und einige Gebirgsbrigaden, in Kärnten und Krain und im Küstengebiet 39 Bataillone Landsturm-Infanterie, 8½ Eskadrons und 26 Bataillone den Grenzschutz. Gemäß einer Vereinbarung zwischen den beiden Obersten Heeresleitungen vom 18. 5. wurden unter dem Oberbefehlshaber der k. u. k. 5. Armee, General v. Boroevic, fünf k. u. k. Divisionen aus Syrmien, an deren Stelle dort deutsche Truppen traten, nach Krain und zwei k. u. k. Divisionen aus Galizien nach Kärnten befördert, wo letztere den Grenzschutz unter General v. Rohr übernahmen. In Tirol befehligte General v. Dankl, dem auch das deutsche Alpenkorps unterstellt wurde. Der Gesamtoberbefehl gegen Italien wurde dem General Erzherzog Eugen übertragen mit der Weisung, in Rücksicht auf die geringe Stärke seiner Truppen vorerst den Italienern gegenüber defensiv zu bleiben und die Verteidigungslinie auf dem linken Flügel an den Isonzo vorzuverlegen.

Die Italiener marschierten, obwohl sie genügend Zeit zur Vorbereitung gehabt hatten, sehr langsam und vorsichtig auf, und zwar in zwei Hauptgruppen, die eine - bestehend aus zwei Armeen (der Masse des italienischen Heeres) - gegenüber der Isonzo-Front, die andere mit zwei schwächeren Armeen beiderseits der Etsch. Den italienischen Oberbefehl führte General Graf Cadorna. Aus seinen Maßnahmen zu schließen, legte er den Hauptwert auf den Besitz des Comen- (Karst-) Plateaus, um von dort aus an Triest und Fiume herankommen und die Front der Österreicher und Ungarn nach Norden aufrollen zu können. Das k. u. k. Südwest-Oberkommando war sich der Wichtigkeit des Karst-Plateaus voll bewußt und bestand auf Festhalten auch des kleinsten Geländestücks der österreichisch-ungarischen Stellungen. Auf der ganzen Front, die mit Ausnahme [65] des Isonzo-Abschnitts überall ausgesprochenen Gebirgscharakter hatte, fühlten die Italiener behutsam an die österreichisch-ungarischen Vortruppen heran; nur an der Isonzo-Front packten sie gewaltsam zu, um sich die notwendigen Ausgangsstellungen für große Angriffe zu schaffen. Aber bald bekamen sie dort die Energie des Oberbefehlshabers an der Isonzo-Front, General v. Boroevic, und die Faust seiner kroatisch-slowenischen Truppen zu spüren.3 Ihre, Ende Juni begonnenen und bis zum Oktober dreimal wiederholten großen Angriffe gegen das Karst-Plateau mißglückten völlig, auch die Nebenoffensive gegen die Krn - Mrzlich-Stellung, nordwestlich Tolmein, die Mitte August unternommen und hartnäckig fortgesetzt wurde, verlief erfolglos.

Für den serbischen Kriegsschauplatz konnte der k. u. k. Generalstabschef kein rechtes Interesse gewinnen, obwohl sich die deutsche Oberste Heeresleitung der Türken wegen dauernd mit dieser Front beschäftigte. Schon vor Monaten hatte sie eine deutsche Kommission an die Donau-Front entsandt, die alle Verhältnisse eines Donau-Überganges und die Möglichkeiten des Angriffs und eines überraschenden Aufmarsches der für eine Offensive gegen Serbien notwendigen Kräfte fortgesetzt genau zu prüfen hatte.

Das serbische Heer war mit einer Armee nordwestlich und westlich Valjewo an der unteren Drina, mit einer zweiten um Uzice und mit einer dritten an der Donau und Save zwischen Morawa und Kolubara gruppiert, während eine vierte Armee im Frühjahr 1915 von Djakowa - Prizren und dem Ochrida-See her in Albanien eingerückt war. An der Donau-Front herrschte im Sommer 1915 fast vollkommene Ruhe.

Auf Gallipoli dagegen blieb die Lage während des ganzen Sommers gespannt. Die Entente hatte sich die Inseln Lemnos und Mytilene als Operationsbasis eingerichtet und wiederholte ihre Angriffe gegen die türkischen Stellungen bis zum August ohne irgendeinen nennenswerten Erfolg. Sie beschloß daher, ihre Unternehmungen zu erweitern und bei Anaforta in der Sumla-Bucht eine zweite Landungsstelle zu erzwingen. Damit legte sie hier 15 Divisionen fest, die auf dem westlichen Kriegsschauplatz ausfielen, so daß die Türken mit der erfolgreichen Fesselung dieser Kräfte ihren Bundesgenossen immerhin indirekt einen nicht zu unterschätzenden Dienst erwiesen. Trotz Ansammlung von etwa 60 Kriegsschiffen, die die Operation unterstützten, gelang es den Engländer und Franzosen auch jetzt nicht, die beherrschenden und heldenhaft von den Türken verteidigten Höhen von Eltschi Tepe und Chodja Djemen Dag zu gewinnen. Die verschiedensten Oberbefehlshaber der Entente-Truppen haben sich mit dem Problem der Eroberung von Gallipoli vergeblich beschäftigt; die im Oktober einsetzende deutsch-österreichische Offensive gegen Serbien brachte die Entente von dem trotz schwerster Opfer ergebnislosen Versuch ab, zu den Russen den Weg [66] durch das Marmara-Meer zu öffnen. Mit ihrem erfolgreichen Widerstand hatte die Türkei ihre Bündnisfähigkeit bewiesen; im Spätherbst 1915 wurde die Verbindung zwischen ihr und den Mittelmächten durch die erfolgreiche Offensive nach Serbien hergestellt.

Die seit Juli wieder energisch betriebenen Verhandlungen mit Bulgarien näherten sich Ende August ihrem Ziel. Der bulgarische Bevollmächtigte traf im deutschen Hauptquartier zur Feststellung näherer Verpflichtungen ein. Dank dem Entgegenkommen der Türkei, die sich mit der von Bulgarien geforderten Rückgabe des Gebiets westlich der Maritza einverstanden erklärte, nahmen die Besprechungen einen schnellen und günstigen Verlauf; auch die großen Erfolge im Osten und die Mißerfolge der Italiener schienen das Vertrauen der Bulgaren zu den Mittelmächten erheblich gesteigert zu haben. Am 6. September erfolgte der Abschluß des Bündnisvertrages. Danach sollten innerhalb 35 Tagen unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls v. Mackensen sechs deutsche und sechs österreichisch-ungarische Divisionen zum Angriff gegen Serbien operationsbereit stehen. Für deutschen Schutz der bulgarischen Küsten gegen russische Angriffe wollte die Oberste Heeresleitung ausreichend sorgen, wie sie sich auch verpflichtete, den Bulgaren neben finanzieller Hilfe nach Kräften Kriegsmaterial zur Verfügung zu stellen. Ganz billig machten die neuen Bundesgenossen ihre Mitwirkung den Mittelmächten also nicht; immerhin kam Licht in die südöstliche Kriegslage und Österreich-Ungarn gewann die Aussicht, die serbischen Kriegsverbrecher züchtigen und die südslawische Gefahr ausschalten zu können. Die tatsächliche Beteiligung der Doppelmonarchie an dem Vergeltungsfeldzug gegen Serbien gestaltete sich aber nicht entsprechend den mit den Bulgaren gemeinsam gepflogenen Abmachungen. Denn das k. u. k. Armee-Oberkommando hatte sich unnötigerweise gegen Osten festgelegt und war nicht imstande, die geforderten sechs Divisionen bereitzustellen; Deutschland mußte mit stärkeren Kräften als vereinbart einspringen.

Fort 3 der russischen Festung Kowno, gefallen 18. August 1915.
Das durch deutsche Artillerie zerstörte
Fort 3 der russischen Festung Kowno,
gefallen 18. August 1915.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 387.
Die Offensive gegen Rußland hatte nur langsame Fortschritte gemacht, seitdem sich ein vernichtender Schlag gegen den frontal weichenden Feind als unmöglich herausgestellt hatte. Aber in diesen Tagen fielen die Festungen Kowno (17. 8. 15) und Nowo Georgiewsk (19. 8. 15) den Deutschen in die Hände; erheblich war die Beute, empfindlich wiederum die Schädigung der russischen Schlagfertigkeit. Auch standen die Verbündeten dicht vor der Einnahme von Brest-Litowsk. Der zähe russische Widerstand bei und westlich Brest-Litowsk veranlaßte die deutsche Oberste Heeresleitung zu der Mahnung an die Heeresgruppe Mackensen, jedenfalls zum Schutz gegen eine etwaige russische Gegenoffensive aus Brest-Litowsk heraus starke Staffeln hinter dem rechten Flügel und am oberen Bug zu halten, während sich der linke Flügel zum Nachstoß über den Bug unterhalb von Brest-Litowsk vorwärts an der Festung vorbei vorbewegte.

Der Fall der Festung Kowno hatte für den Oberbefehlshaber Ost eine neue [67] Lage geschaffen; der Augenblick der Ausgabe des allgemeinen Angriffsbefehls für seine Front schien ihm gekommen zu sein. Die Njemen-Armee hatte die linke Flanke des Angriffs der 10. Armee zu decken, die mit dem durch drei bei Nowo Georgiewsk freiwerdende Divisionen verstärkten linken Flügel in Richtung Wilna vorstoßen sollte. Der Entschluß des Oberbefehlshabers Ost, die 12. und 8. Armee innerhalb seines Befehlsbereichs konzentrisch in allgemein nordöstlicher Richtung anzusetzen, fand aber nicht die Billigung der Obersten Heeresleitung; sie hielt den Vorstoß dieser beiden Armeen in rein östlicher Richtung für wichtiger und ein Abbiegen nach Nordosten erst dann für möglich, wenn sich die Verhältnisse südwestlich des Bielowieser Forstes geklärt haben würden. Abgesehen hiervon aber war die Oberste Heeresleitung mit dem Angriffsbefehl einverstanden und stellte dem Oberbefehlshaber Ost auch die bei Nowo Georgiewsk am 20. 8. freigewordenen Divisionen zur Verfügung. Weitere Kräfte für die Offensive auf Wilna, wie sie der Oberbefehlshaber Ost für einen vollen Erfolg notwendig hielt und anforderte, glaubte die Oberste Heeresleitung im Augenblick aber nicht abgeben zu können. Sie wies darauf hin, daß eine Fortführung des Ostfeldzuges bis in den Winter und bis nach Rußland hinein leider nicht in Frage käme. Ebensowenig glaubte die Oberste Heeresleitung einer Anregung des k. u. k. Armee-Oberkommandos stattgeben zu können, die 10. Armee durch Kräfte der Heeresgruppe Mackensen und Prinz Leopold zu verstärken und diese Kräfte durch Truppen der k. u. k. 4. Armee zu ersetzen, welche letztere auf zu engem Raum zusammengedrängt wäre. Da das Abkommen mit Bulgarien sich dem Abschluß näherte und schon bald Truppen gegen Serbien freigemacht werden mußten, hielt die Oberste Heeresleitung es nicht für angängig, weitere Truppen im Osten festzulegen.

Die Besorgnis der Obersten Heeresleitung betreffs einer russischen Gegenoffensive aus Brest-Litowsk heraus zerstreute sich sehr bald; am oberen Bug wichen die Russen gegenüber dem Brückenkopf der Bug-Armee bei Wlodawa zurück; Teile der Bug-Armee folgten ihnen, begleitet vom Kavallerie-Korps Heydebreck der k. u. k. 1. Armee, das auf Kowel und nordwestlich angesetzt war, um die russischen Verbindungen nach dem Osten zu unterbrechen. Hartnäckig aber wehrten sich die Russen gegen Mackensen und Prinz Leopold am Bug unterhalb Brest-Litowsk sowie, nach Erzwingung des Bug-Überganges, am Pulwa-Abschnitt, den sie erst in der Nacht vom 23. zum 24. aufgaben und nunmehr in östlicher Richtung abbauten. Ohne Rücksicht auf die begonnene Operation des Oberbefehlshabers Ost, der seinen rechten Flügel nach Nordosten über Bialystok - Lida einschwenken ließ, wies die Oberste Heeresleitung die rechts anschließende Heeresgruppe Prinz Leopold aus taktischen Erwägungen heraus an, mit dem rechten Flügel südlich des Bielowieser Forstes über Horodysze in südöstlicher Richtung vorzustoßen, um Teile des noch östlich Brest-Litowsk kämpfenden Feindes abzuschneiden. Aber auch dort zogen die Russen, rechtzeitig am 26. 8. [68] Brest-Litowsk räumend, aus dem Dreieck zwischen Muchawiec und Ljesna längs der Bahn auf Baranowitschi zu ab. Die Oberste Heeresleitung hatte sich trotz mehrfacher Vorschläge des Armee-Oberkommandos Linsingen nicht frühzeitig genug entschließen können, mit starken Kräften über den Bug in Richtung Kowel und nördlich vorzustoßen. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg hätte noch zwischen Brest-Litowsk und Kobryn erzielt werden können, da größere Verbindungslinien von Wlodawa und Brest-Litowsk nach Osten den Russen nicht zur Verfügung standen, sie also gezwungen waren, hinter dem Brest- und Pulwa-Schutz ihre südlich stehenden Kräfte in Richtung Baranowitschi zurückzunehmen. Ein solcher Vorstoß hätte die Lücke zwischen der russischen Nordwest- und Südwestfront, um deren Schließung die Russen eifrig bemüht waren, erheblich erweitert.

Mit der Räumung von Brest-Litowsk seitens der Russen hatte die Ostoperation zwar nicht den ersehnten, immerhin aber einen großen Abschluß gefunden. Die Russen waren geschlagen, fast ganz Galizien war zurückerobert, die k. u. k. Front entlastet, der Türkei durch Abziehen der zur Öffnung des Bosporus angesetzten Truppen geholfen, die rumänischen Kriegsgelüste waren herabgedrückt, die der Bulgaren gehoben, und in der Bug-Linie hatten die Mittelmächte eine starke Stellung gewonnen, die leicht zu halten war und die Möglichkeit bot, erhebliche Kräfte für andere Aufgaben freizumachen. Ein großer Sieg war unbestreitbar errungen und Rückenfreiheit nach Osten gewonnen. Aber auch die eigenen Truppen waren stark mitgenommen. Unaufhörliche Märsche in Sand und Hitze, dauernd blutige Durchbruchskämpfe, dazu sehr große Nachschubschwierigkeiten hatten aus ihnen das Letzte herausgeholt. Sie brauchten Zeit und Ruhe, um sich für neue große Aufgaben wieder instandzusetzen.

Da trat das k. u. k. Armee-Oberkommando mit dem Wunsche an die deutsche Oberste Heeresleitung heran, seine Front bis östlich Lemberg vorzuverlegen, Galizien ganz zu säubern und die Linie Zbruz - Rowno zu gewinnen. Der Plan, mit starkem linkem Flügel von Luzk südlich des Stry-Sumpfgebietes auf Rowno vorzugehen und unter festem Anfassen der russischen Front Czortkow - Brody - Dubno war an sich zweckentsprechend; ob aber die österreichisch-ungarischen Truppen noch - und zwar ganz auf sich angewiesen - diese Offensive durchführen konnten, war zweifelhaft.

Auch der Oberbefehlshaber Ost glaubte für seine Front keinen vorteilhaften Anschluß an die von der Obersten Heeresleitung beabsichtigte Ostfrontlinie am Bug finden zu können. Er rechnete mit einem durchschlagenden Erfolg seiner Offensive auf Wilna, obwohl es sich schon am 29. 8. fühlbar machte, daß die Russen auf ihren günstig zur Front laufenden Bahnen starke Kräfte nach Wilna schoben, und hielt es nach der Einnahme von Grodno und Wilna für ungünstig, in der von der Obersten Heeresleitung empfohlenen Stellung Narewka-Mündung - Wilna - Njemen-Biegung - Mitau als Dauerstellung zu verbleiben. Die [69] Oberste Heeresleitung hielt ihm gegenüber an der Auffassung fest, daß genug erreicht sei.

Als aber die Heeresgruppe Mackensen im frontalen Nachdrängen östlich Kobryn auf eine neue feindliche Stellung stieß und die 11. Armee dem weichenden Feinde erheblichen Abbruch tat, glaubte die Oberste Heeresleitung durch scharfes Nachdrängen der Heeresgruppe Mackensen bis zum Jasiolda-Abschnitt dem Feinde doch noch großen Schaden zufügen zu können und befahl die Fortsetzung der Verfolgung. Da die 12. und 8. Armee vor ihrer Front stärkeren Widerstand fanden und nur langsam vorwärtsdrangen, beauftragte die Oberste Heeresleitung die Heeresgruppe Prinz Leopold, die den Bielowieser Forst hinter sich gelegt hatte, gegen die Eisenbahnstrecke Slonim - Zelwa vorzustoßen, in der Hoffnung, mit ihr in den Rücken des vor dem rechten Flügel des Oberbefehlshabers Ost weichenden Feindes zu kommen. Gleichzeitig zog sie nach und nach aus der Heeresgruppe Mackensen die für die serbische Offensive notwendig werdenden Divisionen heraus, die bis zu ihren Verladestationen noch ganz erhebliche Märsche zurückzulegen hatten, begann somit die Heeresgruppe Mackensen allmählich aufzulösen, machte das Oberkommando für die serbische Offensive frei und wies seinen Vormarschstreifen dem Prinzen Leopold zu. Die Bug-Linie wurde also erheblich überschritten. Dem Wunsche des Oberbefehlshabers Ost sich nunmehr anpassend, befahl die Oberste Heeresleitung in Abänderung des ersten Dauerstellungsbefehls am 9. 9. dem Oberbefehlshaber Ost, den Oginski-Kanal zu erreichen und die Linie Pinsk - Baranowitschi als endgültige Frontlinie einzurichten.

Bis zur Erreichung dieser Linie hatte die Heeresgruppe Prinz Leopold noch schwere Kämpfe zu bestehen. Die Unterbrechung der durch Baranowitschi gehenden Süd - Nord-Eisenbahnverbindung der Russen erforderte schnelles Zufassen, um den Transport russischer Kräfte nach Wilna und in Richtung Minsk auf dieser Bahn zu unterbinden und der ins Stocken geratenen Offensive des linken Flügels des Oberbefehlshabers Ost wieder Luft zu machen. Die weite Entfernung von den Eisenbahnendpunkten und die dadurch immer stärkere Behinderung des Nachschubs, die durch das jetzt anhaltend schlechte Wetter fast grundlos gewordenen Wege und der zähe Widerstand der Russen erschwerten die Kriegführung ungemein, konnten aber den Vormarsch der deutschen Truppen nicht aufhalten. Grodno, die letzte Westfestung der Russen, war am 8. 9. von der 8. Armee genommen worden, die 12. Armee hatte am 7. 9. Wolkowysk besetzt, die Offensive der inzwischen verstärkten 10. Armee auf Wilna hatte eingesetzt. Nördlich Wilna schritt der Angriff schnell vorwärts, am 12. 9. erreichte Kavallerie die Bahn Wilna - Dünaburg. Die zum Angriff mitgegebenen Kräfte der Njemen-Armee mußten aber nordwärts auf Dünaburg abgedreht werden und mit dem übrigen Teil der Njemen-Armee den linken Flankenschutz gegen dieses russische Ausfalltor übernehmen, wohin der Oberbefehlshaber Ost auch noch weitere Kräfte zu führen gezwungen war. Die Russen zogen andauernd Verstärkungen in [70] Richtung Dünaburg heran, drückten somit gegen den äußeren deutschen Flügel und beeinträchtigten die Offensive der 10. Armee außerordentlich, für die die Oberste Heeresleitung trotz dringlichster Vorstellungen des Oberbefehlshabers Ost keine weiteren Verstärkungen verfügbar machen konnte.

Der Oberbefehlshaber Ost rechnete noch immer mit einem großen Erfolg seiner Offensive in Flanke und Rücken der Russen, die vor der 12. und 8. Armee und vor dem rechten Flügel der 10. Armee starken Widerstand leisteten. Am 16. 9. gaben die Russen in Gegend Wilna, am 18. an der Schara und nördlich des Njemen nach. Die deutschen Truppen drängten scharf nach; da verlangte die Oberste Heeresleitung mit Entschiedenheit die Herauslösung von sechs Divisionen für die anderen Kriegsschauplätze. Der Oberbefehlshaber Ost hatte aus seiner eigenen Front für die Offensive noch fünf Infanterie- und zwei Kavallerie-Divisionen freigemacht, sie der 10. Armee zugeführt und hoffte auch am 20. 9. noch auf einen durchschlagenden Erfolg - eine Hoffnung, die die Oberste Heeresleitung angesichts des nur schrittweisen Zurückweichens der Russen vor der 12. und 8. Armee auf die Beresina und hinter die Olschanka nicht teilen konnte. Die Kämpfe der von Westen und Norden in Richtung Smorgon und bis Wileika reichenden 10. Armee wurden täglich schwerer, der äußere linke Flügel bei Wileika selbst wurde von Osten her stark angegriffen, weitere Reserven hinter dem Flügel fehlten. Die Offensive kam ins Stocken, die Umfassungsoperation war nicht geglückt. Die Oberste Heeresleitung befahl am 20. 9.:

      "Die Gruppe Mackensen4 richtet die von ihrem linken Flügel schon eingenommene Stellung nördlich des Pripjet bis ausschließlich Telechany am Oginski-Kanal zum dauernden Halten ein; die Heeresgruppe Prinz Leopold setzt mit dem Gros die Verfolgung nur bis in die ungefähre Linie Oginski-Kanal von Telechany ab - Oberlauf der Schara - Serwetsch - Mündung der Beresina in den Njemen fort, in der sie ebenfalls sofort mit der Einrichtung für die Dauer beginnt. Sobald als möglich sind starke Teile der zur Armee-Abteilung Woyrsch abgezweigten Kräfte der Bug-Armee wieder zuzuführen. Die Heeresgruppe Hindenburg sichert dauernd den Raum zwischen der Beresina-Mündung in den Njemen und der Küste. Außer den bereits mitgeteilten Verbänden sind von ihr später vermutlich noch fünf Divisionen für anderweitige Zwecke abzugeben."

Der Herbst war ins Land gegangen, die Offensive der Mittelmächte zur Zerschlagung Serbiens und zur Öffnung des Durchgangs zur Türkei stand nahe bevor; die großen Unternehmungen gegen Rußland mußten zum Abschluß kommen. Sie waren im Norden nicht, wie gehofft, verlaufen. Waren schon zum Narew-Stoß nicht hinreichend starke Kräfte eingesetzt worden, um der [71] Heeresgruppe Mackensen die notwendige schnelle Erleichterung zu verschaffen (Kräfte, die nach geborgenem Sieg unschwer zur Entscheidung bei Wilna hätten herangezogen werden können), hatten dann taktische Erfolgsaussichten wiederholt dazu verleitet, über das einmal gesteckte Ziel, den Bug hinauszugehen und dadurch die Truppen mehr in Anspruch zu nehmen, als es der Gesamtkriegslage nach geboten war, so fehlte auch bei dem großen Flankenstoß des Oberbefehlshabers Ost der notwendige rechtzeitige, starke Nachdruck, um den Russen die Angriffslust für dieses Jahr gänzlich zu nehmen. - Auch auf dem südlichen Teil des östlichen Kriegsschauplatzes endete der sonst an Erfolgen reiche Feldzug mit einem Mißlingen. Der südlich der Pripjet-Sümpfe angesetzte Stoß des k. u. k. Heeres, um Rowno zu nehmen und den letzten Streifen galizischen Bodens von den Russen zu säubern, verlief ergebnislos und sogar mit einem Rückschlag. Hinter Strypa und Sereth mußte die k. u. k. Armee vor den zum Gegenangriff schreitenden Russen Schutz suchen; ihr Ansehen hatte durch diesen Fehlschlag wieder erheblich gelitten. Die Folge war, daß sie die für Serbien bestimmten Kräfte nicht stellen konnte. Deutsche Truppen und deutsche Oberbefehlshaber mußten vielmehr die Front erneut widerstandsfähig machen, eine Aufgabe, die General v. Linsingen trotz beschränkter Mittel mit Energie und Geschick durchführte. Am 30. 9. befahl das k. u. k. Armee-Oberkommando das Beziehen einer Dauerstellung, die nach wechselvollen Kämpfen schließlich am Sereth entlang, westlich Krjemienjetz vorbei, westlich Rafalowka in Richtung Pinsk verlief.

Der Oberbefehlshaber Ost stellte seine Offensive am 27. 9. ein, und da er seinen jetzt selber stark angegriffenen bisherigen Angriffsflügel angesichts einer Anhäufung russischer Kräfte östlich der Linie Narocz-See - Dünaburg nicht bei Wileika stehen lassen konnte, vielmehr mit einem Durchbruch seitens der dort zusammengezogenen russischen Truppen rechnen mußte, befahl er das Beziehen einer Dauerstellung in der Linie Beresina-Mündung - Narocz-See - Gegend westlich Dünaburg - Mitau - Schlock. Dem Wunsche der Obersten Heeresleitung nach Abgabe von zwei Divisionen für den Westen glaubte Feldmarschall v. Hindenburg angesichts seiner Lage - trotz Frontverkürzung - zuerst nicht nachkommen zu können. Die Oberste Heeresleitung blieb aber fest, und noch fünf weitere Divisionen mußten im Verlauf des Oktobers vom Oberbefehlshaber Ost, der sämtliche Durchbruchsversuche der Russen zum Scheitern brachte, für den Westen abgegeben werden. Die Front der Heeresgruppe Hindenburg verlief von der Beresina östlich Olszany über Narocz-See - Mjadziol-See - Widsy - Illuxt nach der Düna nordwestlich Dünaburg, an ihr entlang bis Livenhof, dort einen russischen Brückenkopf umgehend, - halbwegs Friedrichstadt - Jakobstadt wieder an der Düna entlang, dann zwischen Riga und Mitau hindurch bis zum Rigaer Meerbusen bei Dumbe.

Am 6. 9. war der Schutz- und Trutzvertrag zwischen den drei Mächten Deutschland, Österreich-Ungarn und Bulgarien geschlossen worden, dem beizu- [72] treten der Türkei jederzeit freistand. Wie schon erwähnt (s. Seite 66), war aber das k. u. k. Armee-Oberkommando nicht imstande, die in diesem Vertrag geforderten Truppen zu stellen. Mit der deutschen Obersten Heeresleitung war es nach der mißglückten Rowno-Offensive dahin übereingekommen, die Dauerstellung südlich des Pripjet fest auszubauen, die deutschen Truppen in der k. u. k. Front zu behalten (um russische Durchbruchsversuche in Galizien und Wolhynien, die zwecks Gewinnung der rumänischen Waffenhilfe erwartet wurden, auf alle Fälle zu verhindern), dafür aber zwei österreichisch-ungarische Infanterie-Divisionen und eine Kavallerie-Division zur Front nördlich des Pripjet abzugeben und das deutsche Alpenkorps aus Tirol zu anderer Verwendung im Osten herauszuziehen. Vier k. u. k. Divisionen des galizischen Kriegsschauplatzes, die für die Offensive gegen Serbien bestimmt waren, wurden nicht verfügbar, so daß sich die deutsche Oberste Heeresleitung - trotz der gefährdeten Lage im Westen - gezwungen sah, statt der vereinbarten sechs Divisionen zehn für die Offensive gegen Serbien zu stellen.

Am 16. 9. erhielt Generalfeldmarschall v. Mackensen seine Weisungen. Seiner Heeresgruppe unterstanden die je aus sieben Infanterie-Divisionen bestehende deutsche 11. Armee und die k. u. k. 3. Armee unter dem Befehl des Generals der Artillerie v. Gallwitz und des Generals der Infanterie v. Köweß, sowie die aus vier Divisionen bestehende bulgarische Armee des Generalleutnants Bojadjew, ferner die Festung Peterwardein, die k. u. k. Donau-Flotille und die im Banat stehenden k. u. k. Sicherungstruppen.

Die Versammlung der Armeen geschah folgendermaßen: Die k. u. k. 3. Armee in Syrmien an der Save-Mündung, die deutsche 11. Armee im Banat nördlich der Donau und östlich der unteren Temes, die bulgarische Armee an der serbischen Grenze bei Belogradzik und Caribrod. Der Operationsplan der deutschen Obersten Heeresleitung leitete von vornherein eine kraftvolle Umfassung der serbischen Kräfte ein und lautete dahin, daß die k. u. k. 3. Armee mit Hauptkräften bei Belgrad, die deutsche 11. Armee mit Hauptkräften bei Ram, mit Teilen bei Semendria über die Donau gehen sollten. Nach dem Übergang sollte die k. u. k. 3. Armee über Topola nach Kragujewac, die deutsche 11. Armee die Morawa aufwärts vordringen, während die bulgarische Armee mit Hauptkräften über Knjazevac auf Nisch vorzustoßen und mit einer Division nach Eroberung von Zajecar und Öffnung des Stromweges bis Orsowa, mit einer anderen nach Fortnahme Pirots mit den Hauptkräften Fühlung zu suchen hatte. Andere bulgarische, der Heeresgruppe nicht unterstellte Truppen sollten ins Vardar-Tal vorstoßen. Die hauptsächlichen Operationsziele waren der Fall der Festung Nisch und die Besetzung der wichtigen Kriegsindustriestadt Kragujewac, womit die deutsche Oberste Heeresleitung die Hauptwiderstandskraft der Serben gebrochen zu haben hoffte. Den beutelustigen Bulgaren wurden die Hände durch einen Vertrag gebunden, in dem Bulgarien versprechen mußte, gegen Griechenland und [73] Rumänien unbedingte Neutralität zu wahren, falls diese Staaten sich verpflichteten, nicht zu mobilisieren, neutral zu bleiben und serbisches Gebiet nicht zu besetzen. Griechenland kam nur den beiden letzten Forderungen nach. Von einer bewaffneten Neutralität glaubte es nicht absehen zu können und gab den Mobilmachungsbefehl am gleichen Tage wie die Bulgaren. d. h. am 23. 9. 1915.

Als nach Eröffnung der Beschießung des südlichen Donau-Ufers immer noch nichts Ernsthaftes erfolgte, schwand bei Serbien der Glaube an eine größere Unternehmung seiner Gegner über die Donau und Save, und es trug sich seinerseits mit Angriffsgedanken, in der Hoffnung auf die Unterstützung der Ententemächte und auf weitere Zuführung russischen Kriegsmaterials, das andauernd in großen Mengen seinen Weg ungehindert durch Rumänien nahm.

Da begann am 7. 10 früh der Donau-Übergang und glückte in vollem Maße. Die Entente wurde völlig überrascht; sie hatte nur mit einem Bluff der Mittelmächte gegen Serbien gerechnet und nichts zu einer wirksamen Unterstützung der Serben getan. Die Serben, die ihre Hauptsicherungsmaßnahmen gegen Bulgarien getroffen hatten und ganz auf sich angewiesen waren, wurden zu Verschiebungen gezwungen, die zwar ziemlich planlos erfolgten, immerhin aber die unter sehr erheblichen Schwierigkeiten über die Donau gehenden angreifenden Truppen auf der Höhe von Obrenovac-Grocka und südlich Semendria bis zum 15. 10. ihren Widerstand fühlen ließen. Als an diesem Tage - vier Tage später als verabredet - die Offensive der Bulgaren einsetzte, war ein Fortziehen weiterer serbischer Kräfte aus dieser Front nach der Donau unterbunden. Dem deutschen Vorschlag auf Verstärkung der k. u. k. 3. Armee durch Truppen der Isonzo-Front konnte das k. u. k. Armee-Oberkommando nicht entsprechen, obwohl es einsah, daß eine schnelle Durchführung der Offensive angesichts der vorgeschrittenen Jahreszeit und der zu erwartenden Unterstützung Serbiens durch die Verbandsmächte dringend erwünscht war. Die deutsche Oberste Heeresleitung entschloß sich daher, am 20. Oktober selbst nachzuhelfen, zumal auch bei Orsova der Donau-Übergang noch nicht vollzogen und daher die dringend notwendige Verbindung mit den Bulgaren noch nicht hergestellt war, und sandte das soeben von Tirol auf dem westlichen Kriegsschauplatz eingetroffene Alpenkorps der 11. Armee nach. Trotz ungünstiger Witterungs- und Wegeverhältnisse gewannen die k. u. k. 3. und die deutsche 11. Armee Boden, auch der Übergang bei Orsova wurde nach Einsatz schwacher deutscher Kräfte schnell erzwungen. Die Hauptschwierigkeit lag im Nachschub, da die Donau-Brücken erst am 20. Oktober fertig waren.

Einen erfreulichen Erfolg konnten die Bulgaren am 20. 10. verzeichnen; sie hatten den Feind südlich von Strumitza über den Vardar geworfen, Veles besetzt und damit die Bahnverbindung nach Saloniki unterbrochen. Dort waren seit den ersten Oktobertagen von Gallipoli und Ägypten her Ententetruppen erschienen, offenbar in der Absicht, den Serben die versprochene Hilfe zu bringen. Dies war aber ohne Kampf nicht mehr möglich. Das k. u. k. Armee-Oberkom- [74] mando schlug vor, in einer gemeinsamen bulgarisch-türkischen Offensive die englisch-französischen Truppen aus dem griechischen Hafen Saloniki wieder hinauszuwerfen und den griechischen Neutralitätsbruch, den es darin erblickte, daß Griechenland die Landung stillschweigend geduldet hatte, zu sühnen. Dem konnte die deutsche Oberste Heeresleitung nicht beistimmen. Nach ihrer Auffassung durfte auch, solange Deutschland und Österreich-Ungarn den Griechen nicht unmittelbar helfen konnten, von letzteren nicht verlangt werden, daß sie die Einhaltung der völkerrechtlichen Bestimmungen von der Entente forderten, wenn sie dadurch Gefahr liefen, daß die letztere ihren Handel unterbinden und ihre Küstenorte beschießen könnte. Das k. u. k. Armee-Oberkommando setzte seine Bemühungen um die gemeinsame bulgarisch-türkische Unternehmung aber fort und forderte von der deutschen Obersten Heeresleitung einen Druck auf die sich ablehnend verhaltende bulgarische Regierung, um durch kräftiges Eingreifen der Bulgaren den Feldzug schneller zum Ende zu bringen. Die deutsche Oberste Heeresleitung lehnte ab mit der Begründung, daß die Bulgaren schon mehr täten, als sie nach ihrem Vertrag zu leisten hätten, und der bulgarische Oberbefehlshaber, General Jekow, versicherte selbst, daß sich Bulgarien durch keine Unternehmung der Entente beeinflussen ließe, von dem vereinbarten Plan abzuweichen, zumal auch er die Auffassung hätte, daß die Franzosen und Engländer mit ihrer Festsetzung in Saloniki nur die Schaffung einer neuen Flottenbasis bezweckten.

Am 5. 11 wurde Nisch von den beiden inneren Flügeln der bulgarischen Armeen genommen. Die Serben wichen in Richtung Pristina zurück und leisteten nur vor der südlichen Hälfte der 2. bulgarischen Armee stärkeren Widerstand, anscheinend, um sich den Weg nach Albanien offen zu halten. Auch nach Verstärkung durch Truppen der 1. bulgarischen Armee gewann die 2. bulgarische Armee keinen Boden. Der Nachschub war fast unmöglich. Das k. u. k. Armee-Oberkommando konnte sich nicht von der Befürchtung freimachen, daß die Bulgaren allein nicht imstande sein würden, eine Vereinigung der Serben mit den gelandeten Entente-Truppen zu verhindern. Die fast völlige Untätigkeit der ins Vardar-Tal vorgestoßenen 2. bulgarischen Armee ließ diese Befürchtung berechtigt erscheinen. Dem Wunsche des k. u. k. Armee-Oberkommandos, den rechten Flügel der 2. bulgarischen Armee mit den infolge Raummangels im Norden freiwerdenden deutschen Truppen zu verstärken, konnte die deutsche Oberste Heeresleitung wegen der Nachschubschwierigkeiten nicht entsprechen. Sie hielt die Bulgaren für stark genug, etwaige Durchbruchsversuche der Serben in Richtung Veles angesichts der Unterstützung durch die vordringende Heeresgruppe Mackensen allein abzuschlagen und drang vielmehr darauf, daß das k. u. k. Armee-Oberkommando von Norden her durchs Ibar-Tal und westlich davon stärkere Kräfte zur Verfolgung ansetzte, um die mehr und mehr in Auflösung geratende und in der Richtung auf das Amselfeld sich zusammenballende serbische Armee dort zu vernichten.

[75] Die erwähnten Nachschubschwierigkeiten steigerten sich bei der Engigkeit der Täler und der Anhäufung von Truppen nach Ineinanderschieben der 11. deutschen und der 1. bulgarischen Armee im Morawa-Tal in besorgniserregendem Maße. Ganze Divisionen mußte die Heeresgruppe auf Wunsch der Obersten Heeresleitung herausziehen und ihre Kolonnen zur Bewerkstelligung des Nachschubs für die weiter vordringenden Divisionen abgeben. Trotz dieser Schwierigkeiten glaubte die Heeresgruppe Mackensen, der Anregung der bulgarischen Heeresleitung folgend, schon jetzt eine Abschwenkung aus dieser Operation heraus in eine solche gegen die gelandeten Entente-Truppen vorbereiten zu müssen. Die Wiederherstellung der Bahnen bis Nisch konnte zwar nicht vor Anfang Dezember vollendet werden. Die Oberste Heeresleitung glaubte aber auch dann nicht im entferntesten, den erforderlichen Nachschub für eine zu entscheidender Offensive - 120 km vom Endpunkt der Bahn entfernt - einzusetzende starke Kampftruppe leisten zu können, noch dazu bei den fast grundlosen Wegen. Nach ihrer Auffassung war es erst nach Weiterführung der Bahn bis Uesküb möglich, diesem Offensivgedanken näher zu treten. Unter großen Anstrengungen setzte die Heeresgruppe die Verfolgung fort; auch aus der k. u. k. 3. Armee mußten wegen Verpflegungsschwierigkeiten Truppenteile herausgezogen und rückwärts geschoben werden. Am 19. 11. meldete Generalfeldmarschall v. Mackensen, daß er die Verfolgung in Richtung auf das Amselfeld nur noch mit vier deutsch-österreichischen und drei bulgarischen Divisionen fortsetze und diese Truppen für genügend halte, so daß die Oberste Heeresleitung am 22. 11. befahl, schon jetzt die künftige Unterbringung der Divisionen für die Zeit des bis zur Fertigstellung der Bahn bis Uesküb unvermeidlich erscheinenden Stillstandes vorzubereiten.

Das k. u. k. Armee-Oberkommando dagegen hielt eine Unterbrechung der Operation für nicht angängig, wies darauf hin, daß die bulgarische Armee nicht im Stich gelassen werden dürfe, wenn sie von den Entente-Truppen angegriffen würde und riet zur Fortsetzung der für die ganze Balkanlage entscheidenden Operation nach Süden. Die Oberste Heeresleitung hielt an ihrer Auffassung fest. Als aber am 24. November zuverlässige Nachrichten einliefen, daß die in Saloniki gelandeten feindlichen Kräfte einem energischen Vorgehen wahrscheinlich keinen Widerstand entgegensetzen würden, entschloß sie sich, auch auf die Gefahr vorübergehender Nachschubschwierigkeiten hin, den Vormarsch nach Süden zuzulassen. Am 27. 11. erhielt die Heeresgruppe Mackensen den Befehl, die Offensive gegen die Entente-Truppen unter Sicherung der Flanke gegen Westen und Besetzung der Becken von Ipek Djakowa und der Gegend von Bjelopolje auf montenegrinischem Gebiet, sowie des Beckens von Prizren fortzusetzen, wozu ihr mit Zustimmung des bulgarischen Oberbefehlshabers auch die 2. bulgarische Armee unterstellt wurde. Das Betreten griechischen Gebietes blieb auch für diese Operation verboten - die Neutralität dieses Staates sollte unbedingt geachtet werden.

[76] Südlich von Strumitza hatten die Bulgaren schon im Oktober den allzu siegessicheren Landungstruppen einen Denkzettel erteilt, der ihnen die Lust zu weiteren Angriffsversuchen in dieser Gegend genommen hatte. Dafür war die Entente im Vardar-Tal Mitte November bis über das linke Cerna-Ufer vorgedrungen, ohne die Niederwerfung der Serben durch diesen Vormarsch in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Das Schicksal der serbischen Armee, deren Verzweiflungsstoß gegen den rechten Flügel der 2. bulgarischen Armee erfolglos blieb, vollzog sich rasch; nur Reste der vor Jahresfrist siegreichen Truppen retteten sich in die albanischen Berge. Bulgarische Truppen erreichten den Ochrida- und den Presba-See und schwenkten auf Bitoly (Monastir) gegen den linken Entente-Flügel ein. Als sich auf diesem Flügel Rückzugsbewegungen bemerkbar machten, gab die bulgarische Heeresleitung der 2. Armee den Befehl, am 5. 12. den Angriff gegen die Entente-Truppen unverzüglich durchzuführen. Diese hielten nicht stand; in ziemlicher Auflösung gingen die Truppen in die Befestigungszone von Saloniki zurück, während die 2. bulgarische Armee die Neutralität Griechenlands achtete. Sie fügte sich damit dem Wunsche der deutschen Obersten Heeresleitung, die bei "nüchterner Abwägung der Kräfteverhältnisse" nicht unnötig noch mehr Feinde auf sich ziehen wollte. Das Eingreifen der Heeresgruppe Mackensen war unnötig geworden - erfreulicherweise, denn schon die 2. bulgarische Armee geriet auf ihrem kurzen Vormarsch in größte Verpflegungsschwierigkeiten, die sowieso ein weiteres Vordringen auf griechischem Gebiet ausschlossen.

Der Balkanfeldzug des Jahres 1915 hatte damit sein Ende gefunden. Eine serbische Armee gab es nicht mehr; das k. u. k. Heer hatte seine Rückenfreiheit erlangt und seine Ehre einigermaßen wiederhergestellt; der Verbindungsweg zur Türkei über Nisch war offen; Rumänien hatte sich nicht geregt, im Gegenteil hatte es sogar die auf der Donau befindlichen russischen Monitore entwaffnen müssen. Vor allen Dingen aber hatten Ansehen und Ruf der Entente schwer gelitten; zu den Mißerfolgen auf Gallipoli und nach prahlerischen Versprechungen an Serbien noch dieser Fehlschlag und der Völkerrechtsbruch gegen Griechenland, der nicht die geringste Berechtigung hatte!

Da mit einer großen Entente-Operation auf dem Balkan nicht mehr gerechnet zu werden brauchte, entschloß sich die Oberste Heeresleitung, hier auch nicht mehr Truppen festzulegen, als das Abkommen zwischen Deutschland und Bulgarien und die Aufrechterhaltung eines friedlichen Verhältnisses zwischen Griechenland und Deutschland erforderten.


2 [1/63]Vgl. hierzu Band 4, Abschnitt: "Die Kampfhandlungen in der Türkei". ...zurück...

3 [1/65]Vgl. hierzu Band 5: Der österreichisch-ungarische Krieg. ...zurück...

4 [1/70]Die Gruppe wurde aus taktischen Gründen noch so genannt, in Wirklichkeit hatte schon Prinz Leopold den Abschnitt übernommen. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte