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I. Allgemeines

4. Die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der deutschen Kolonien

Knapp 30 Jahre sind die Kolonien in deutschem Besitz und deutscher Verwaltung gewesen. Aber in diesem Zeitraum sind Leistungen vollbracht und Werte geschaffen worden, die das deutsche Volk in die vorderste Reihe der kolonisierenden Nationen stellten. Ein Blick auf die Karten des deutschen Kolonialbesitzes, besonders des afrikanischen zur Zeit der Erwerbung 1884, und 30 Jahre später bei Beginn des Weltkrieges, ein Vergleich der damaligen und der späteren Zustände in jenen Ländern, ein Nebeneinanderstellen der wirtschaftlichen Werte in den deutschen Kolonien zu beiden Zeitpunkten, lassen so recht erkennen, was im Laufe jener kurzen Kolonialentwicklung geschaffen war. Wo früher auf den Karten umfangreiche weiße Stellen sich fanden, Gebiete bezeichnend, über die noch kein Forscher Auskunft gegeben hatte, waren jetzt genaue auf einer Fülle ausgezeichneter Aufnahmen beruhende Darstellungen gegeben; abgesehen von dem unwegsamen Neuguinea gab es kaum noch unbekannte Stellen in den deutschen Kolonien. Wo ehemals Raub und Mord Eingeborener untereinander wüteten, wo die Sklavenjagden und der Sklavenhandel das Land verwüsteten, war unter der deutschen Herrschaft Ruhe und Ordnung eingezogen. Wo früher die Wildnis, von dünnen Eingeborenenansiedlungen unterbrochen, sich erstreckte, fanden sich vielfach blühende Plantagen, auf denen unter europäischer Leitung und Aufsicht bedeutende Werte für den Weltmarkt erzeugt wurden. Vormals menschenleere Steppengebiete wurden von europäischen Farmen mit stetig wachsenden Viehbeständen eingenommen. Wo einst in wochen- und monatelangen mühevollen Karawanenmärschen einige wertvolle Produkte aus dem Innern an die Küste ge- [31] schafft wurden, wo der dichte Urwald ein Eindringen fast unmöglich machte, wo Dünen und Sand mit ihren Durststrecken kaum einen Ochsenwagenverkehr gestatteten, stellten am Ende jener Periode Eisenbahnen einen sicheren und schnellen Verkehr her und ermöglichten in stets wachsendem Maße die wirtschaftliche Erschließung des Innern und die Heranziehung der bisher ein abgeschlossenes Sonderleben führenden Völker des Binnenlandes zu dem kolonialen Kulturwerk. Küstenplätze, an denen zur Zeit der Flaggenhissung allenfalls kleinere Eingeborenendörfer lagen, entwickelten sich zu modernen Städten, die in zunehmendem Maße ihren Anteil am Weltverkehr und Welthandel nahmen.

Dabei stellte diese aufsteigende wirtschaftliche Entwicklung nur einen Anfang dar. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten der deutschen Kolonien konnten in der kurzen Spanne Zeit der deutschen Kolonialtätigkeit auch nicht entfernt ausgeschöpft werden. Ein großer Teil jener Zeit mußte zur Herstellung von Ruhe und Ordnung in den von den Fehden der Eingeborenen untereinander zerrissenen Ländern benutzt werden. Erst nach Herstellung des Friedens konnte eine größere wirtschaftliche Entwicklung einsetzen. Für die Einbeziehung der im Innern wohnenden Eingeborenenvölker in diese Entwicklung war zudem die Schaffung von Eisenbahnen notwendig, ohne welche ein Massentransport von Produkten aus dem Innern an die Küste und damit an den Weltmarkt nicht möglich war. Bei dem Fehlen von Erfahrungen über die Rentabilität solcher Bahnen in das Innere Afrikas ging man nur zögernd vor, bis die englische Ugandabahn dann die Möglichkeiten und Vorteile solcher Bahnen klar erkennen ließ. In den deutschen Kolonien waren an Eisenbahnen vorhanden:

Im Jahre 1892: 0 km, 1900: 234 km, 1913: 4176 km.

Erst nach Befriedung der Kolonien und Schaffung von Verkehrswegen konnte eine großzügige wirtschaftliche Entwicklung einsetzen. Der Aufschwung erfolgte im letzten Jahrzehnt vor Kriegsausbruch. Innerhalb dieses Zeitraums hat sich der Handel der deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee verfünffacht. Er stieg von 66 Millionen Mark im Jahre 1903 auf 320 Millionen Mark im Jahre 1913. Die Ausfuhr hat sich in diesen 10 Jahren sogar versechseinhalbfacht. Sie stieg von 25 Millionen Mark im Jahre 1903 auf 161 Millionen Mark im Jahre 1913.

Die Erzeugung kolonialer Produkte wie Kautschuk, Sisalhanf, Kopra, Palmöl und Palmkerne, Kakao, Kaffee, Erdnüsse, Baum- [32] wolle usw. nahm von Jahr zu Jahr zu. Die Einfuhr einzelner dieser Produkte aus den deutschen Kolonien fiel für den Bedarf der deutschen Volkswirtschaft schon wesentlich ins Gewicht. Der europäische Plantagenbau hatte in einigen unserer Kolonien nach anfänglichen Fehlschlägen zum Teil zu guten Erfolgen geführt. Die Produktion der Eingeborenen hatte sich überall dort, wo ihm durch Schaffung von Verkehrswegen eine Absatzmöglichkeit geboten wurde, zu einem für die Aus- und Einfuhr außerordentlich bedeutungsvollen Faktor entwickelt. Auch der Bergbau hatte in einzelnen Schutzgebieten zu guten Ergebnissen geführt, vor allem die Diamantengewinnung in Deutsch-Südwestafrika. Und schließlich hatte auch die deutsche Ansiedlung in Südwestafrika und in den Höhengebieten Deutsch-Ostafrikas gute Fortschritte gemacht. Zwar waren nicht alle Blütenträume gereift, wie sie jene deutschen Patrioten hegten, die sich drei Jahrzehnte vorher zur Gründung deutscher Kolonien und zur Pflege des Kolonialgedankens zusammengeschlossen hatten. Eine Ablenkung des Stromes deutscher Auswanderer in die deutschen Kolonien hatte sich nicht ermöglichen lassen, und die dauernde Niederlassung deutscher Volksgenossen hatte nicht den Umfang angenommen, die von jenen ersten Vertretern deutscher Kolonialexpansion und nachher von vielen erhofft wurde. Immerhin stellten jene Siedlungsgebiete mit ihren noch kleinen Zahlen von Ansiedlern ein wertvolles Stück deutschen Volkstums in jenen fernen Ländern dar und berechtigten zu der Hoffnung, daß mit der Erschließung und Inbesitznahme weiterer Grundflächen und der dichteren Besiedlung der besetzten Gebiete sich dort deutsche Volksgemeinschaften bilden würden, die auch der Kopfzahl nach für das deutsche Reich ins Gewicht fallen würden.

Die Kolonien, die anfänglich Zuschüsse für ihre Verwaltung erfordert hatten, erhielten sich in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch fast selbst. Den drei großen afrikanischen Kolonien wurde aus Reichsmitteln nur ein Zuschuß zu den Kosten der kleinen Schutztruppe gestellt. Die gesamten sonstigen Ausgaben deckten jene Kolonien aus ihren eigenen Einnahmen. Sonst erhielten nur noch Kiautschou und Deutsch-Neuguinea Zuschüsse vom Deutschen Reich. Togo und Samoa erhielten sich vollständig selbst.

Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Kolonien ging die friedliche Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit und zu christlicher Sitte. Wie die Raub- und Mordzüge der Stämme untereinander, so sind auch die Gewalttaten der einge- [33] borenen Machthaber gegen ihre Untertanen und jene Giftmorde und anderen Übeltaten der Zauberer und Fetischpriester mit starker Hand zum Aufhören gebracht worden. Die Sklaverei in ihren schlimmen Formen war beseitigt worden, Sklavenraub und Sklavenhandel ausgerottet. Die in einzelnen Kolonien einstweilen noch aufrechterhaltenen milden Formen der Hörigkeit (Haussklaven) waren durch die Bestimmung, daß die Kinder der Hörigen frei waren, und andere auf Freikauf und Freilassung gerichtete Vorschriften zum Aussterben verurteilt und Schritte in Aussicht genommen, welche eine gänzliche Abschaffung der vorhandenen Reste zu einem noch früheren Zeitpunkte herbeiführen sollten. In immer weiter sich ausdehnenden Gebieten erhielt der Eingeborene sein Recht vom unparteiischen deutschen Richter. Besondere Verordnungen waren zum Schutz der Eingeborenen gegen Bedrängung oder Ausbeutung durch Weiße wie Farbige erlassen worden, insbesondere auch zum Schutz derjenigen, welche als Arbeiter auf Plantagen oder bei Eisenbahnbauten tätig waren und dabei reichlichen Verdienst fanden. Der Eingeborene mußte seinerseits der Regierung eine mäßige Kopfsteuer zahlen, deren Erhebung dazu beitrug, ihn zur Arbeit zu erziehen. Ein mit den modernsten Hilfsmitteln ausgerüstetes, in beständiger Vermehrung begriffenes Ärztepersonal brachte den Eingeborenen Schutz und Hilfe gegen Krankheiten, denen sie früher wehrlos gegenüberstanden. Ungemein große Erfolge hat die deutsche Seuchenbekämpfung in den deutschen Kolonien erzielt. Es war unser großer Forscher Robert Koch selbst, welcher in persönlicher Wirksamkeit in Deutsch-Ostafrika, in Deutsch-Südwestafrika und in Deutsch-Neuguinea die Grundlagen für die Bekämpfung der Menschen- und Tierseuchen gelegt hat. Seine Mitarbeiter und weiter aus der Heimat herangezogene besonders vorgebildete Bakteriologen und Ärzte haben diese Arbeiten weitergeführt. Die furchtbare Schlafkrankheit, die Pocken und andere Seuchen, welche früher die Eingeborenen dezimiert hatten, wurden eingedämmt. Ebenso wurde der Kampf gegen die Rinderpest und andere Tierkrankheiten, welche unter den Viehbeständen der Eingeborenen gewütet und für die Existenz der letzteren selbst die verderblichsten Wirkungen entfaltet hatten, durch ein tropenwissenschaftlich ausgerüstetes Veterinärpersonal erfolgreich geführt. In der Einzelbehandlung kranker Eingeborener wurde durch Einrichtung ärztlicher Stellen, durch den Bau von Eingeborenenkrankenhäusern, durch unentgeltliche poliklinische Behandlung unter weitgehender [34] Anwendung der modernen Heilmittel Bedeutendes geleistet. Es ist nicht zu viel gesagt, daß gerade in der Seuchenbekämpfung und Gesundheitspflege der Eingeborenen in den deutschen Kolonien erheblich mehr geleistet worden ist, als in irgendwelchen auf gleicher Entwicklungsstufe stehenden Kolonien fremder Nationen.

Ähnliches läßt sich von der kulturellen Hebung der Eingeborenen im Erziehungs- und Unterrichtswesen sagen. Zahlreiche deutsche Missionen beider Konfessionen waren mit Erfolg bemüht, die Lehren des Christentums zu verbreiten. In einer großen Zahl von Missionsschulen wurde Unterricht erteilt. Es gab ferner in sämtlichen Kolonien eine ständig wachsende Zahl von Regierungsschulen, in welchen eingeborene Kinder von besonders dafür vorgebildeten deutschen Lehrern unterrichtet wurden. In besonderen Handwerker- und Ackerbauschulen wurden den Eingeborenen Kenntnisse und Fertigkeiten übermittelt, welche sie in den Stand setzten, ihr Fortkommen als selbständige Handwerker oder kleine Ackerbauer zu finden.

Wie die Kolonien in Afrika und der Südsee, so zeigte auch das Schutzgebiet Kiautschou eine schnell aufsteigende Entwicklung. Großartige Leistungen der Kaiserlichen Marine waren dort vollbracht worden. Die schöne deutsche Stadt Tsingtau war erbaut worden. Moderne bedeutende Hafenanlagen waren geschaffen worden. Tsingtau hatte sich in 1½ Jahrzehnten von einem unbedeutenden chinesischen Küstenort zu einem großen Hafen und Umschlagplatz für den Handel mit dem dicht bevölkerten Hinterland Schantung entwickelt, in dem 1913 bereits 936 Schiffe mit 1,3 Millionen Tonnen anliefen, während der Wert des Außenhandels sich 1912 auf 71 Millionen Taels (über 200 Millionen Reichsmark) belief. Auch in Tsingtau waren bedeutende kulturelle Leistungen vollbracht worden, besonders im Schulwesen, nicht zuletzt auch durch Gründung der Deutsch-Chinesischen Hochschule.

So gewährten die deutschen Kolonien 30 Jahre, nachdem das erste Schutzgebiet erworben worden war, das Bild friedlicher Entwicklung und schnellen wirtschaftlichen Aufblühens unter einer fähigen Verwaltung, gleichzeitig auch das Bild kult[u]rellen Fortschreitens der eingeborenen Bevölkerung unter deutscher Anleitung und Förderung. Diese Entwicklung, die ebenso jenen Kolonialländern selbst und ihren eingeborenen Bevölkerungen zum Heile gereichte wie dem Mutterlande, dem Deutschen Reich, wurde jäh unterbrochen durch den Ausbruch des Weltkrieges, den Deutschlands Gegner auch in die Kolonien hineintrugen.

[35] Es mag hier darauf hingewiesen werden, daß die deutschen Kolonien für keine der Deutschland feindlich gegenübertretenden Mächte einen Kriegsgrund bildeten. Insbesondere ergaben sich aus der deutschen kolonialen Tätigkeit in Afrika und der Südsee keine Reibungsflächen, die zu einem Kriege mit irgendeiner der fremden Mächte hätten führen können. Was England anbetrifft, so war dies im Gegenteil geneigt, Deutschland einen größeren kolonialen Anteil an Afrika zuzugestehen unter der Voraussetzung, daß Deutschland in seiner sonstigen Politik sich nicht in Gegensatz zu England setzte. Beweis dafür sind die noch kurz vor dem Kriege vereinbarten Abmachungen zwischen England und Deutschland betr. Übernahme portugiesischer Kolonialgebiete durch letzteres für den Fall, daß Portugal aus finanziellen Gründen zu deren Aufgabe schreiten würde.






Die deutschen Kolonien vor, in und nach dem Weltkrieg
Dr. Heinrich Schnee, Gouverneur i. R.