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I. Allgemeines

3. Die Befriedung und Verwaltung der deutschen Kolonien

Als Deutschland an die Erwerbung seiner Kolonien ging, waren die als besonders wertvoll betrachteten Kolonialgebiete, vor allem die der gemäßigten Zone, bereits in fremdem Besitz. So kam es, daß nur Länder der tropischen und subtropischen Zone Deutschland zufielen, welche ganz überwiegend noch unentwickelt und in ihrem Innern großenteils noch unbekannt waren. Mannigfache natürliche Hindernisse standen ihrer Erschließung entgegen. Dichte Urwälder erschwerten in Kamerun und Deutsch-Neuguinea das Eindringen in das Innere, wasserlose Einöden sperrten das Innere von Südwestafrika vom Meere ab. Das Vorkommen der Tsetsefliege schloß in weiten Gebieten der übrigen afrikanischen Kolonien die Verwendung von Zugtieren aus und machte, solange Eisenbahnen fehlten, den Verkehr von der Benutzung von menschlichen Trägern abhängig. Die Tropenkrankheiten, vor allem Malaria und Dysenterie, behinderten in den tropischen Tiefengebieten die Tätigkeit der Kolonialpioniere und rissen Lücken in deren Reihen.

Ein noch stärkeres Hindernis aber als diese Umstände bildete das Verhalten der Einwohner jener Länder. Es herrschte fast allenthalben ein Kampf der Eingeborenenstämme gegeneinander. In den afrikanischen Kolonien fielen wilde Erobererstämme über friedliche Völker her und mordeten und raubten. Die beständigen Fehden der Eingeborenen untereinander ließen das Land nicht zur Ruhe kommen. In manchen jener Gebiete, besonders in Ostafrika, drangen von der Küste her die Karawanen der Sklavenjäger und Sklavenhändler in das Innere vor, überfielen die Negerdörfer und schleppten die eingefangenen Opfer, in die Sklavengabel gespannt, zur Küste, um das "schwarze Elfenbein" auf den Sklavenmärkten abzusetzen. In der Südsee herrschten in der größten Kolonie Deutsch-Neuguinea noch schlimmere Zustände. Die dortigen Ureinwohner lebten auf tiefster Stufe in dem Zustand der Anarchie und waren ganz überwiegend Kannibalen. Die Horden der Eingeborenen überfielen einander zu dem Zweck, Menschenfleisch zu erlangen.

Es bedurfte einer bedeutenden Arbeit, um in den deutschen Kolonien den Frieden herzustellen, die Vorbedingung einer jeden wirtschaftlichen Entwicklung. Das ging nicht ohne Kämpfe ab. Jene [26] Stämme, deren Existenz bisher auf Kriegsführung und Beutemachen beruht hatte, ließen nicht ohne weiteres von ihren Gewohnheiten. Es erforderte eine Reihe von kriegerischen Expeditionen und die Niederwerfung verschiedener Aufstände, bis die Befriedung der Kolonien erfolgt war (s. darüber S. 67, 91/92, 112).

Diese Aufgabe war aber bereits eine Reihe von Jahren, ehe der Weltkrieg ausbrach, in allen Schutzgebieten in der Hauptsache gelöst. Die Mord- und Raubzüge der Stämme untereinander waren zum Aufhören gebracht, sowie Sklavenraub und Sklavenhandel ausgerottet. Es herrschte allenthalben Frieden. Die Eingeborenen besaßen das, was sie in den weitaus meisten Gegenden bisher nie gekannt hatten: Sicherheit für Leib und Leben und für ihr Eigentum. Allmählich wußten diesen neuen Zustand der Dinge auch diejenigen zu schätzen, welche sich gegen seine Herbeiführung am meisten gewehrt hatten. Nicht selten sind es gerade die früher gefürchtetsten kriegstüchtigen und raubgierigen Erobererstämme gewesen, die nach ihrer manchmal unter schweren Opfern erfolgten Niederwerfung sich am vollständigsten in die neue Ordnung hineingefunden und die besten Arbeiter für das deutsche Kolonisationswerk gestellt haben.

Diese Wandlung wurde einerseits dadurch hervorgerufen, daß auch die kriegerischen Erobererstämme die größere Macht der deutschen Regierung erkannt hatten, andererseits dadurch, daß die deutsche Verwaltung in ihrem Wirken die Anschauungen der Eingeborenen in weitgehendem Maße berücksichtigt und sich sowohl des persönlichen Schutzes wie der wirtschaftlichen und kulturellen Hebung der Eingeborenen in tatkräftiger Weise annahm. Daß wir Deutschen in der Eingeborenenbehandlung richtige Wege gegangen sind, dafür ist der beste Beweis die Treue, mit der die Eingeborenen, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, im Weltkriege zu uns standen, besonders in Deutsch-Ostafrika (s. S. 41 ff.) und die Anhänglichkeit an die deutsche Sache, die noch weit darüber hinaus in mannigfachen Zeichen zutage trat.

Mit zunehmender Befriedung dehnte die Verwaltung ihre Tätigkeit in den Kolonien aus. Allmählich wurden auch die großen afrikanischen Kolonien in ihrem gesamten Bereich von der Verwaltung erfaßt.

Was die Organisation der deutschen Kolonialverwaltung anbetrifft, so ist bereits oben (s. S. 10) erwähnt, daß der Bismarcksche Gedanke, den Interessenten der Kolonie zugleich das Regieren zu überlassen, sich von vornherein nur zum Teil verwirklichen ließ. [27] In Ostafrika wurde zwar zunächst die Ausübung der Rechte der Landeshoheit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft übertragen. Aber der 1888 ausbrechende Araberaufstand zwang zur Sendung einer Truppe unter Wißmann von Reichs wegen und zur darauffolgenden Übernahme des Schutzgebiets durch das deutsche Reich. In Deutsch-Südwestafrika mußte gleichfalls das Reich die notwendigen Maßnahmen zur Befriedung und Verwaltung der Kolonie treffen da die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika keineswegs die ausreichenden Kräfte dafür besaß. In Kamerun war es von vornherein nicht zur Bildung einer Gesellschaft mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen gekommen. Nur in der Südsee stand das "Schutzgebiet der Neuguinea-Compagnie" eine Reihe von Jahren unter deren Verwaltung, bis 1899 die Landeshoheit auch über diese nunmehr Deutsch-Neuguinea genannte Kolonie vom Reich zurückgenommen wurde.

Die Schutzgewalt über die Kolonien stand nach dem Schutzgebietsgesetz (Reichsgesetz) dem Kaiser zu und damit auch die Gesetzgebungsgewalt unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers, soweit nicht durch Reichsgesetz unmittelbar Bestimmungen getroffen waren, wie dies insbesondere hinsichtlich der Gerichtsbarkeit und des Eheschließungsrechts für die weiße Bevölkerung der Fall war. Die Verwaltung unterstand dem Reichskanzler. Die Bearbeitung der kolonialen Angelegenheiten erfolgte anfänglich durch ein Referat der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, seit 1. April 1890 von der damals neugebildeten Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Sie unterstand zunächst einem Dirigenten, seit 1. April 1894 einem Direktor. Die Kolonialabteilung wurde 1894 abgesehen von außenpolitischen Angelegenheiten unmittelbar dem Reichskanzler unterstellt. 1907 trat an die Stelle der Kolonialabteilung das Reichskolonialamt. Leiter der Kolonialabteilung waren bis 1894 Kayser, bis Ende 1897 Freiherr von Richthofen, 1898 bis 1900 von Buchka, 1900 bis 1905 Stübel, 1905 bis 1906 Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg, dann Dernburg, von 1907 bis 1910 Staatssekretär des Reichskolonialamts, 1910 bis 1911 von Lindequist, 1911 bis 1918 Solf. Dem Staatssekretär des Reichskolonialamts unterstand auch das Kommando der Schutztruppen, in welchem die militärischen Angelegenheiten in den drei afrikanischen Kolonien mit Schutztruppen bearbeitet wurden.

Die Verwaltung von Kiautschou unterstand – unter dem Reichskanzler – dem Staatssekretär des Reichsmarineamts.

[28] Mit der Übernahme der Kolonien in die Verwaltung des Reichs wurde in diesen eine im großen gesehen einheitliche Regelung vorgenommen. An der Spitze der Kolonie stand ein Gouverneur (in manchen Kolonien wurde der leitende Beamte im Anfang Kommissar, später Landeshauptmann genannt, bis schließlich die zuerst 1890 für Deutsch-Ostafrika verwandte Bezeichnung "Gouverneur" in allen Kolonien Anwendung fand) mit dem notwendigen Beamtenstab der Zentralverwaltung. Ihm wurde im Laufe der Entwicklung als beratendes Organ ein Gouvernementsrat zur Seite gestellt, teils aus ernannten, teils aus gewählten Mitgliedern bestehend. In Deutsch-Südwestafrika wurde mit wachsender Zunahme der deutschen Farmerbevölkerung daraus ein Landesrat mit beschließender Stimme in gewissen Angelegenheiten.

In den drei großen afrikanischen Kolonien wurde je eine militärische Schutztruppe eingerichtet, in Deutsch-Ostafrika und Kamerun aus Farbigen unter deutschen Offizieren und Unteroffizieren, in Deutsch-Südwestafrika ausschließlich aus Deutschen bestehend. Die Schutztruppen waren nur so stark bemessen, wie für die Schaffung und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den betreffenden Kolonien notwendig war. Dem Gouverneur stand die oberste militärische wie zivile Gewalt zu, im Kriege ebenso wie im Frieden. Außer den Schutztruppen gab es der Zivilverwaltung unterstehende Polizeitruppen, in den beiden erstgenannten Kolonien aus Farbigen unter deutscher Führung bestehend; in Deutsch-Südwestafrika war eine aus Deutschen bestehende Landespolizei gebildet.

In Togo und in den Südseekolonien gab es nur kleine Polizeitruppen, aus Farbigen bestehend, unter deutscher Führung.

In Kiautschou war unter einem Seeoffizier als Gouverneur die Verwaltung in Militär- und Zivilverwaltung gegliedert.

Für die Verwaltung waren die afrikanischen und Südseekolonien in Bezirke eingeteilt mit Bezirksamtmännern an der Spitze. Diese Regelung erfolgte im Innern der großen afrikanischen Kolonien jedoch erst mit fortschreitender Befriedung. Zunächst wurden sowohl in Deutsch-Ostafrika wie in Kamerun Militärstationen im Innern eingerichtet, in welchen der Führer der betreffenden Kompanie oder sonstigen Abteilung der Schutztruppe gleichzeitig die Verwaltungsgeschäfte wahrnahm. An die Stelle dieser Militärstationen traten dann allmählich die Bezirksämter. In Deutsch-Ostafrika war, als der Weltkrieg ausbrach, diese Entwicklung fast vollendet. Dagegen waren im Innern Kameruns noch eine Anzahl von militärisch ver- [29] walteten Bezirken vorhanden. Daneben gab es in beiden Kolonien je drei Residenturen bei den großen Eingeborenenvölkern des Innern, welche eine staatliche Organisation unter eigenen Sultanen besaßen. Diese Residenten waren dazu bestimmt, durch ihren persönlichen Einfluß bei den eingeborenen Sultanen die deutschen Interessen wahrzunehmen und sich einer eigentlichen Verwaltungstätigkeit zu enthalten.

Auch in den unter die eigentliche Verwaltung gestellten Bezirken wurden dort, wo angestammte Häuptlinge oder sonstige eingeborene Machthaber vorhanden waren, diesen, soweit irgend angängig, Verwaltungsbefugnisse belassen, bzw. sie selbst zu Organen der Verwaltung gemacht. Dort, wo es gar keine Häuptlingsgewalt gab, wie in großen Teilen der Eingeborenenbevölkerung des Schutzgebiets Deutsch-Neuguinea, und anarchische Zustände mit Selbsthilfe des einzelnen Eingeborenen herrschten, wurden Häuptlinge aus der Eingeborenenbevölkerung vom Gouverneur eingesetzt und mit beschränkten Verwaltungsbefugnissen bekleidet.

Die Gerichtsbarkeit über die Weißen wurde von Bezirksrichtern und Bezirksgerichten, in zweiter Instanz von Oberrichtern ausgeübt, wobei im wesentlichen die in Deutschland gültigen Gesetze galten.

Die Eingeborenengerichtsbarkeit wurde dagegen nicht den für die Weißen zuständigen ordentlichen Gerichten übertragen, sondern den Verwaltungsbehörden. Man ging dabei davon aus, daß die Eingeborenenbevölkerung in den Schutzgebieten in Anbetracht ihres geringen Kulturzustandes im allgemeinen noch nicht reif war, mit den Europäern auf eine Stufe gestellt zu werden und ferner nach Möglichkeit die angestammten Sitten und hergebrachten Rechtsanschauungen1 der Eingeborenen zu schonen seien. Die Leiter der Verwaltungsbezirke übten ihre Gerichtsbarkeit im öffentlichen Verfahren und in der Regel unter Zuziehung von farbigen Beisitzern aus. Strafurteile in schweren Fällen bedurften der Bestätigung durch den Gouverneur. Im übrigen stand der Weg der Verwaltungsbeschwerde an den Gouverneur offen, der befugt war, nochmalige [30] Verhandlung anzuordnen, sowie Strafen zu erlassen oder zu mildern. Daneben gab es vielfach noch eine Gerichtsbarkeit der eingeborenen Häuptlinge, denen sie kraft Herkommens in gewissem Maße überlassen blieb. Ganz in der Hand der eingeborenen Herrscher und der bestehenden Eingeborenengerichte lag die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen in den vorerwähnten Residenturbezirken in Deutsch-Ostafrika und Kamerun. In Deutsch-Südwestafrika übten noch einzelne "Kapitäne" die Gerichtsbarkeit über ihre Stammesleute auf Grund der seinerzeit abgeschlossenen Schutzverträge aus.


1In welchem Maße sich deutsche Beamte und Forscher bemüht haben, in die Rechtsanschauungen der Eingeborenen einzudringen, läßt u. a. das von dem früheren Gouverneur von Samoa, Dr. Schulz-Ewerth, und Dr. Leonhard Adam herausgegebene große Werk erkennen: Das Eingeborenenrecht. Sitten und Gewohnheitsrechte der Eingeborenen der ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee. 2 Bände, Stuttgart 1929. ...zurück...







Die deutschen Kolonien vor, in und nach dem Weltkrieg
Dr. Heinrich Schnee, Gouverneur i. R.