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Karte: Die deutschen Kolonien in Afrika und in der Südsee.
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I. Allgemeines

1. Die Erwerbung der Kolonien

Als Deutschland begann, Kolonialerwerbungen zu machen, war der größte Teil der Welt bereits vergeben. In den früheren Stadien kolonialer Entwicklung hatten die deutschen Staaten es nicht vermocht, sich einen Anteil an den neu entdeckten, bzw. in den Bereich der politischen Machtentfaltung gelangten Ländern zu sichern. Einmal, im Anfang des 16. Jahrhunderts, schien es, als wenn auch von deutscher Seite eine Beteiligung an der Erschließung überseeischer Gebiete stattfinden sollte. Das süddeutsche Kaufmannsgeschlecht der Welser unternahm auf Grund von Privilegien, welche Kaiser Karl V. erteilt hatte, in dem heutigen Venezuela verschiedene Versuche kolonisatorischer Art. Die von ihm entsandten Expeditionen waren allerdings hauptsächlich auf den Erwerb von Gold und auf die Entdeckung des Dorados, des Goldlandes, gerichtet. Als die erhofften Schätze nicht gefunden wurden, gaben die Welser ihre Versuche wieder auf, ohne daß es zu irgendwelcher wirtschaftlichen Entwicklung gekommen wäre.

Im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte wurde nur einmal noch der Versuch der Gründung von Kolonien gemacht, und zwar geschah dies durch den Großen Kurfürsten, welcher mit weitschauendem Blick die Wichtigkeit von Kolonien erkannte. Bald nachdem der Große Kurfürst mit der Bildung einer brandenburgischen Flotte unter Führung des holländischen Admirals Benjamin Raule vorgegangen war, entsandte er 1680/81 Schiffe nach der Westküste Afrikas und ließ mit Negerhäuptlingen Verträge abschließen, durch welche Gebiete in der heutigen englischen Goldküstenkolonie unter brandenburgische Oberhoheit gestellt wurden. Im Jahre 1683 wurde dort durch den Major Otto Friedrich von der Groeben der Grundstein zu dem Fort Groß-Friedrichsburg gelegt, dessen Ruinen heute noch vorhanden sind. Eine vom Großen Kurfürsten gegründete afrikanische Handelskompagnie sollte die neue Kolonie wirtschaftlich entwickeln. Doch kam das Unternehmen, welches viel durch die [8] Feindseligkeiten der Holländer zu leiden hatte, die zu jener Zeit nicht weit von den brandenburgischen Besitzungen Niederlassungen hatten, auf keinen grünen Zweig. Die brandenburgischen Kolonien, zu denen 1684 noch die Arguininseln, gleichfalls an der afrikanischen Westküste, hinzugekommen waren, prosperierten schon während der Lebenszeit des Großen Kurfürsten nicht recht, und als er 1688 gestorben war, verfielen sie unter seinen Nachfolgern bald vollständig. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. verkaufte schließlich im Jahre 1717 die brandenburgischen Besitzungen in Afrika für eine geringe Summe (7200 Dukaten) an die holländische Kompagnie. Damit hatte die brandenburgisch-preußische Kolonialgeschichte ihr Ende erreicht.

Auch in den späteren Jahren verhinderte die politische Zerrissenheit Deutschlands jede kräftige Entfaltung nach außen. Eine Beteiligung an der kolonisatorischen Entwicklung fremder Gebiete von deutscher Seite fand zwar in beträchtlichem Maße statt, doch geschah sie lediglich in der Form der Auswanderung Deutscher nach fremden Ländern und Kolonien. Ein sehr großer Teil dieser Auswanderer ist entweder direkt oder aber in der zweiten oder dritten Generation dem Deutschtum verlorengegangen und im fremden Volkstum aufgegangen. Besonders im 19. Jahrhundert sind Millionen von Deutschen meist nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in geringerem Maße auch nach Südamerika, nach Australien und nach anderen Gebieten ausgewandert.

Eine Erwerbung von Kolonien für Deutschland konnte erst erfolgen, als die Kleinstaaterei beseitigt und ein einheitliches deutsches Reich geschaffen war. Aber auch nach der Errichtung des Deutschen Reiches hatte die Regierung soviel mit dem Ausbau im Innern zu tun, daß sie zunächst nicht an eine koloniale Betätigung nach außen dachte. Bei der ersten Gelegenheit, die Anlaß zu einer geringen kolonialen Betätigung hätte werden können, zeigte sich auch, daß in dem deutschen Volke der Gedanke einer kolonialen Ausbreitung noch keine Stätte gefunden hatte. Im Jahre 1880 war es, als Fürst Bismarck dem Reichstage seine erste Vorlage kolonialen Charakters unterbreitete, die sogenannte Samoa-Vorlage. In Samoa, dem Inselgebiet der Südsee, hatte bereits seit den 1850er Jahren die Hamburger Firma Godeffroy & Co. eine weitausgedehnte Handelstätigkeit entwickelt. Apia war das Zentrum geworden, von welchem aus die Firma zahlreiche Handelsschiffe nach den verschiedenen Inselgruppen der Südsee entsandte und einen ertragreichen Handel [9] mit Kopra (dem geschnittenen und getrockneten Kern der Kokosnuß) betrieb. In jenem Jahre war die Firma infolge von Verhältnissen, welche nicht in dem gut gehenden Südseegeschäft ihren Grund hatten, in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Damit das, was deutscher Fleiß und deutscher Unternehmungsgeist in jenen fernen Weltgegenden geleistet hatten, nicht verloren geben sollte, beantragte der Reichskanzler Fürst Bismarck bei dem Reichstage die Gewährung einer Zinsgarantie an eine Gesellschaft, welche das Geschäft der Firma Godeffroy übernehmen und weiterführen sollte. Doch die Majorität des Reichstages lehnte, besonders auf Betreiben des liberalen Abgeordneten Bamberger, die Vorlage ab. Das hatte zwar nicht zur Folge, daß der Besitz der Firma in Samoa für Deutschland verloren ging, denn die alsbald gegründete "Deutsche Handels- und Plantagengsellschaft der Südsee-Inseln" in Hamburg führte auch ohne Zinsgarantie das Geschäft der Firma weiter. Doch war zutage getreten, daß die Majorität des Reichstages kein Verständnis für Kolonialpolitik hatte, und Fürst Bismarck, welcher von der Überzeugung ausging, daß eine Kolonialpolitik ohne Rückhalt bei der Masse des Volkes ein Unding sei, hielt sich für die nächsten Jahre von jeder kolonialen Betätigung fern.

Jedoch bald nach der Ablehnung der Samoa-Vorlage begann der koloniale Gedanke im deutschen Volk Wurzel zu fassen. Es wurde von immer weiteren Kreisen die Notwendigkeit erkannt, daß Deutschland, wenn es nicht auf überseeische Kolonien für alle Zeiten verzichten wollte, die Erwerbung solcher betreiben mußte. 1882 wurde unter Leitung des Fürsten Hermann zu Hohenlohe-Langenburg der "Deutsche Kolonialverein" gegründet, der sich 1887 unter Vereinigung mit der von Dr. Karl Peters 1884 gegründeten "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" in die "Deutsche Kolonialgesellschaft" umwandelte. Diese Gesellschaft, an deren Spitze 1895 bis zu seinem 1920 erfolgten Tode der Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg stand, 1920 bis 1930 Gouverneur i. R. Dr. Seitz, seit 1930 Gouverneur i. R. Dr. Schnee, hat eine umfangreiche Wirksamkeit besonders in der Verbreitung des kolonialen Gedankens im Volke entfaltet.

Der Anstoß zum Erwerb von Kolonien wurde durch private Initiative gegeben. Hanseatische Kaufleute, welche in Afrika Unternehmungen, verbunden mit Landerwerb, begonnen hatten, traten an die Regierung mit dem Antrag auf Reichsschutz heran. Fürst Bismarck ging, wie er verschiedentlich, insbesondere in seiner Reichs- [10] tagsrede vom 26. Juni 1884 ausführte, mit einem gewissen Zögern an die Sache heran, da er eine Abneigung gegen die Anlegung von Kolonien nach französischem System hatte. Seine Absicht ging dahin, "die Verantwortlichkeit für die materielle Entwicklung der Kolonien, wie ihr Entstehen, der Tätigkeit und dem Unternehmungsgeiste unserer seefahrenden und handeltreibenden Mitbürger zu überlassen, und weniger in der Form der Annektierung von überseeischen Provinzen an das Deutsche Reich vorzugehen, als in der Form der Gewährung von Freibriefen nach Gestalt der englischen Royal Charters, im Anschluß an die ruhmreiche Laufbahn, welche die englische Kaufmannschaft bei Gründung der ostindischen Kompagnie zurückgelegt hat, den Interessenten der Kolonien zugleich das Regieren derselben zu überlassen, und ihnen nur die Möglichkeit europäischer Gerichtsbarkeit und Rechtsprechung für Europäer und desjenigen Schutzes zu gewähren, den wir ohne ständige Besatzung dort leisten können". "Unsere Absicht ist es nicht," wie Fürst Bismarck in der erwähnten Rede fortfuhr, "Provinzen zu gründen, sondern kaufmännische Unternehmungen... zu schützen, in ihrer freien Entwicklung sowohl gegen die Eingriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft, als auch gegen Bedrückung und Schädigung von seiten anderer europäischer Mächte."

Diese Gedanken ließen sich bereits bei Erwerbung der Kolonien nur zum Teil verwirklichen. Lediglich in Deutsch-Ostafrika und Neu-Guinea kam es zur Gründung von Gesellschaften, welche ähnlich den englischen Chartered Companies die Rechte der Landeshoheit über die erworbenen Gebiete verliehen erhielten. In Kamerun und Togo zeigten die hanseatischen Kaufleute, deren Handelsunternehmungen die Ursache für die Erklärung der deutschen Schutzherrschaft über jene Gebiete bildeten, keine Neigung, die Rechte der Landeshoheit zu übernehmen, so daß von vornherein in diesen Kolonien von Reichs wegen eine Verwaltung eingesetzt werden mußte. In Südwestafrika erwies sich gleichfalls die Einsetzung eines Kaiserlichen Kommissars und später einer Verwaltung und Schutztruppe von Reichs wegen als notwendig, da gegenüber dem gewaltigen Gebiet die finanziellen Kräfte des ersten Erwerbers, des Kaufmanns Lüderitz, wie seiner Rechtsnachfolgerin der "Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika" sich als nicht genügend erwiesen. Aber auch in den Kolonien, in welchen die Gedanken des Fürsten Bismarck zunächst verwirklicht erschienen, zeigte sich bald, daß die Gesellschaften nicht imstande waren, den Aufgaben, die die [11] Wahrnehmung der Landeshoheitsrechte an sie stellte, gerecht zu werden. Als 1888 in Ostafrika der Araberaufstand ausbrach, mußte das Deutsche Reich zum Schutze der deutschen Interessen eintreten und sah sich gezwungen, die Landeshoheitsrechte zurückzunehmen. Auch in dem Schutzgebiete der Neu-Guinea-Kompanie trat, wenngleich dort keine umfangreichen Aufstände niederzuschlagen waren, im Laufe der Zeit hervor, daß die Wahrnehmung der Landeshoheitsrechte durch eine im wesentlichen eine Erwerbsgesellschaft darstellende Kompanie, sowohl für die übrigen Interessenten im Schutzgebiet, wie für die Kompanie selbst Mißstände und Schwierigkeiten im Gefolge hat. So wurde auch dort 1899 die Landeshoheit vom Deutschen Reiche zurückgenommen.

Zuerst wurde afrikanisches Land an der Küste von Südwestafrika unter deutschen Schutz gestellt. Im Jahre 1883 schloß der Kaufmann Lüderitz an der südwestafrikanischen Küste mit eingeborenen "Kapitänen" Verträge ab, durch welche er zunächst die Bucht Angra-Pequena und weiterhin bedeutende Landstrecken längs der Küste erwarb. Von englischer Seite, besonders aus der Kapkolonie, erfolgten Proteste dagegen. Doch sandte am 24. April 1884 Fürst Bismarck ein Telegramm an den deutschen Konsul in Kapstadt, wodurch er ihn benachrichtigte, daß die Erwerbungen Lüderitz' unter deutschem Schutz ständen. Von seiten Englands wurde, obwohl es früher abgelehnt hatte, das Protektorat über jene Gegenden zu übernehmen, Anspruch auf das unter deutschen Schutz gestellte Gebiet erhoben. Die diplomatischen Verhandlungen führten jedoch schließlich zur Anerkennung der deutschen Rechte. Von deutscher Seite mußten lediglich die englischen Ansprüche auf die Walfischbai und zwölf kleine Guanoinseln an der südwestafrikanischen Küste anerkannt werden, von welchen die britische Regierung schon früher auf Betreiben der Kapkolonie Besitz ergriffen hatte. Eine genauere Festsetzung der Grenze des deutschen Gebietes erfolgte durch den Vertrag vom 1. Juli 1890, welcher als Sansibar-Vertrag bekannt geworden ist. Danach bildet im Süden das rechte (deutsche) Ufer des Oranjeflusses, im Osten der 20., bzw. 22° östlicher Länge die Grenze, mit Ausnahme des nordöstlichen Teils, in welchem ein schmaler Streifen Landes, bis zum Sambesifluß heranreichend, dem deutschen Schutzgebiet zugeteilt wurde. Dieser schmale Streifen ist als "Caprivizipfel" bekannt geworden, welchen Namen er nach dem, für den Abschluß jenes Vertrages verantwortlichen zweiten Reichskanzler erhielt. Als Nordgrenze der Kolonie war schon durch Ver- [12] trag mit Portugal vom Jahre 1886 der Kunenefluß, bzw. im Osten der Okavangofluß festgelegt worden.

Im Jahre 1884 erwarb Deutschland weitere Gebiete an der tropischen Westküste Afrikas. Dort hatten bereits seit längeren Jahren Hamburger und Bremer Kaufleute mit den Eingeborenen Handel getrieben. Um jene Gebiete, in denen hauptsächlich diese kaufmännische Betätigung erfolgte, für Deutschland zu sichern, wurde der berühmte Afrikaforscher Nachtigal, welcher damals deutscher Generalkonsul in Tunis war, auf dem kleinen Kriegsschiff "Moewe" nach der afrikanischen Westküste entsandt und schloß Verträge mit eingeborenen Häuptlingen in Togo ab, durch welche ihre Gebiete unter deutschen Schutz gestellt wurden. Am 5. Juli 1884 wurde in Togo die deutsche Flagge gehißt. Sodann fuhr Nachtigal weiter nach Kamerun und hißte dort gleichfalls im Juli 1884 die deutsche Flagge. Während sich in Togo keine Schwierigkeiten gezeigt hatten, trat in Kamerun bald englische Konkurrenz zutage, unter deren Einfluß es zu einem Aufstandsversuch der Eingeborenen in Victoria kam, welcher aber bald durch die deutschen Kriegsschiffe "Olga" und "Bismarck" unterdrückt wurde.

Während sich bis dahin England wie auch Frankreich in der Erwerbung neuer Kolonialgebiete in jenen Weltgegenden zurückhaltend gezeigt hatten, war das Eintreten Deutschlands in die Reihe der Kolonialmächte für sie das Signal zum intensiven Vorgehen. An Stelle des passiven Verhaltens, welches besonders England bis dahin an den Tag gelegt hatte, trat das Bestreben, möglichst alle noch freien Länder mit Beschlag zu belegen, damit der Konkurrent Deutschland dieselben nicht erhielte. Schon bei den Erwerbungen an der Küste und den Verhandlungen über die Abgrenzung der Interessensphären gegenüber den englischen oder französischen Nachbarn, trat dies zutage. In Togo konnte Deutschland nur einen geringen Küstenbesitz von etwa 50 km Länge erhalten, während ihm in Kamerun zwar ein erheblich größerer Küstenstrich zuteil wurde, jedoch die Ausdehnung nach dem Innern infolge der Konkurrenz der fremden Mächte bei den späteren Verhandlungen beeinträchtigt wurde. Eine feste Grenze wurde durch Verträge mit England und Frankreich 1885 und 1886 zunächst nur bezüglich der Küstenstriche festgestellt. Eine Abgrenzung der deutschen und englischen Interessensphären erfolgte dann durch den erwähnten Sansibarvertrag vom 1. Juli 1890. Wie weit das Hinterland der Küstenstriche in Togo und Kamerun zu Deutschland gehörte, blieb jedoch noch in [13] verschiedener Hinsicht eine offene Frage. Die Erwerbungen der verschiedenen Nationen in den Inlandsgebieten erfolgten zum Teil erst in den 1890er Jahren, und zwar übertrafen dabei die Franzosen ihre deutschen und englischen Konkurrenten erheblich. Ihr Augenmerk war von Anfang an auf die Schaffung eines großen zusammenhängenden Kolonialreichs gerichtet, welches von Algier in Nordafrika ununterbrochen bis zum Golf von Guinea herabreichen sollte. In Verfolgung dieser großzügigen Politik sandten die Franzosen Expeditionen weit in das Innere, während Deutsche wie Engländer zwar gleichfalls im Hinterland ihrer Küstengebiete festen Fuß zu fassen suchten, dabei jedoch lediglich die Erwerbung einer geschlossenen Kolonie, nicht in Zusammenhang stehender, umfangreicher Gebiete im Auge hatten. Die Folge war, daß bei den Verhandlungen über die Abgrenzung des Hinterlands der westafrikanischen Kolonien Frankreich Verträge mit eingeborenen Fürsten und Häuptlingen im Innern aufweisen konnte, in deren Gebiete die Expeditionen der anderen Mächte nicht gedrungen waren, und Anerkennung für die erworbenen Ansprüche erlangte. So hat Frankreich jenes gewaltige Kolonialreich erworben, welches einen großen Teil der Nordhälfte Afrikas umfaßt, und von welchem die französischen Kolonien an dem Golf von Guinea lediglich Ausläufer oder Verbindungskanäle nach dem Meere bilden, während Deutschland und England nur mehr oder minder große, in sich abgeschlossene Kolonien erhielten.

Die Abgrenzung Togos im Innern gegen französisches Gebiet fand durch Vertrag vom Jahre 1897 statt, durch welchen Togo als Ostgrenze den Monufluß erhielt. Die Abgrenzung nach Westen war zum Teil bereits durch den Vertrag mit England vom 1. Juli 1890 erfolgt, durch welchen in dem mittleren Teil das linke, deutsche Ufer des Voltaflusses die Grenze wurde, ohne daß Deutschland das Recht der Schiffahrt auf jenem Fluß erhielt. In jenem Vertrage war noch ein erhebliches Stück der Westgrenze offen gelassen, und an dessen Stelle ein neutrales Gebiet geblieben, in welchem besonders die wichtige Handelsstadt Salaga sich befand. Im Jahre 1899 wurde dieses neutrale Gebiet schließlich durch den weiter unten erwähnten sogenannten Samoavertrag aufgeteilt, wobei England Salaga erhielt, während Deutschland die Stadt Nendi zufiel.

Die Abgrenzung des Hinterlandes von Kamerun erfolgte durch die Verträge vom Jahre 1893 mit England und vom Jahre 1894 mit Frankreich. Diese Abgrenzung, besonders nach dem französi- [14] schen Gebiet hin, gab Kamerun in seinem nördlichen Gebiet eine sehr merkwürdige Gestalt; der nördlichste bis zum Ts[ch]adsee hingestreckte Zipfel (Entenschnabel) erinnerte in seiner Einschnürung geradezu an den südwestafrikanischen Caprivizipfel. Einige Abänderungen sind durch Grenzabkommen zwischen Deutschland und Frankreich vom Jahre 1908 erfolgt. Durch das Marokko-Kongo-Abkommen vom 4. Nov. 1911 wurde Kamerun um mehr als die Hälfte seiner bisherigen Fläche vergrößert durch Teile des französischen Kongo. Dieses Neukamerun erreichte mit zwei ziemlich breiten Zipfeln die beiden großen Ströme, den Kongo und den Ubangi. Auch der "Entenschnabel" erhielt durch dieses Abkommen eine veränderte Gestalt.

Im gleichen Jahre, in dem Kamerun und Togo deutsch wurden, 1884, wurde auch die Grundlage für Deutschlands vierte und größte Kolonie in Afrika, Deutsch-Ostafrika, gelegt. Der Erwerb dieser Kolonie ist lediglich privater Initiative zu verdanken. In dem genannten Jahre hatte Dr. Karl Peters die "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" gegründet, und war im Auftrage der Gesellschaft mit einigen Europäern nach Sansibar und von dort nach Ostafrika gefahren. Er schloß im November 1884 mit den Häuptlingen von Usagara, Nguru, Ukami und Useguha im Innern Ostafrikas Verträge ab, wodurch dieselben ihre Gebietsrechte auf ihn übertrugen und kehrte alsbald nach Deutschland zurück. Unter dem 27. Februar 1885 wurde der Gesellschaft, an deren Stelle die im gleichen Jahr gegründete "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft" trat, ein kaiserlicher Schutzbrief erteilt. Der Sultan von Sansibar, welcher bis dahin Rechte an der ostafrikanischen Küste ausgeübt hatte und auch Ansprüche auf das Innere erhob, machte zwar Widerspruch gegen diese Erwerbungen geltend, doch genügte eine Flottendemonstration, um ihn zum Nachgeben zu bewegen. Die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft" begann alsbald ihre Tätigkeit in Ostafrika von den ihr zur Verfügung gestellten Häfen Daressalam und Pangani aus. 1888 pachtete die Gesellschaft vom Sultan von Sansibar die Zollstätten an der Küste. Doch kaum hatte sie an den Küstenplätzen die Zollstationen übernommen, als im Jahre 1888 der Aufstand der Araber ausbrach, welche sich in ihrer Existenzgrundlage, dem Sklavenhandel und den Sklavenjagden bedroht fühlten. Die Gesellschaft erwies sich als zu schwach, um den Aufstand niederzuwerfen. Das Deutsche Reich mußte eintreten. Bismarck beauftragte den berühmten Afrikadurchquerer Wissmann [15] mit der Niederwerfung des Aufstands. Wissmann warb in Ägypten eine Sudanesentruppe an und warf 1889 mit dieser und mit Hilfe von Kriegsschiffen der Kaiserlichen Marine den Aufstand nieder. Die Gesellschaft übertrug im Jahre 1890 gegen Zahlung von 45 Jahresraten von 600 000 M. ihre Rechte, mit Ausnahme einiger Privilegien, auf das Deutsche Reich. Am 1. Juli des gleichen Jahres wurde der mehrfach erwähnte Sansibarvertrag geschlossen, durch welchen Deutsch-Ostafrika seine letzte Begrenzung erhielt. Deutschland verzichtete in diesem Vertrag auf seine Ansprüche auf die Inseln Sansibar und Pemba, sowie auf das Sultanat Witu, mit dessen Herrscher die Gebrüder Denhard Verträge über umfangreiche Gebiete abgeschlossen hatten (im heutigen Britisch-Ostafrika). Damit ging auch das Hinterland Uganda verloren, mit dessen Herrscher Karl Peters Verträge abgeschlossen hatte, und die noch weiterreichenden innerafrikanischen Pläne Peters wurden von der deutschen Regierung fallen gelassen. England trat die Insel Helgoland an Deutschland ab, erkannte das deutsche Gebiet auf dem afrikanischen Festlande an und versprach seinen Einfluß auf den Sultan zur Abgabe seiner Hoheitsrechte gegen eine Geldentschädigung geltend zu machen. Der Sultan verzichtete auch alsbald auf seine Rechte gegen die Zahlung einer Summe von vier Millionen Mark. Die Abgrenzung Deutsch-Ostafrikas war damit vollendet. Es fanden später noch kleinere Grenzregulierungen bei Feststellung der Grenzen durch gemischte Expeditionen statt.

Im Jahre 1884 wurde schließlich noch das bedeutendste Südseeschutzgebiet erworben, Neuguinea. Es hatte sich schon früher ein Syndikat für Verfolgung kolonialer Pläne in der Südsee unter Leitung des Geheimen Kommerzienrats von Hansemann gebildet. Im Verfolg dieser früheren Pläne wurde 1884 der bekannte Südseeforscher Finsch nach Neuguinea und dem Archipel von Neubritannien gesandt und erwarb dort durch Verträge mit Eingeborenen Landgebiete. Deutsche Kriegsschiffe hißten die Reichsflagge. Auch diese Erwerbungen gingen nicht ohne englischen Widerspruch vor sich. Bereits im Jahre vorher, 1883, hatte die englische Kolonie Queensland in Australien auf eigene Faust Neuguinea zu annektieren gesucht, indem sie einen Kommissar dahin sandte, der die englische Oberhoheit erklärte. Doch war dieser Akt von der Regierung in London nicht anerkannt worden. Als nun die deutschen Flaggenhissungen in Australien bekannt wurden, entstand ungeheure Empörung, da die Australier jene Südseegebiete als natür- [16] lichen Annex von Australien anzusehen gewohnt sind und jede fremde Nation als unberufenen Eindringling dort betrachten. Jedoch verhallte diese Erregung erfolglos. In Verhandlungen mit England wurden 1886 die beiderseitigen Interessengebiete in dem westlichen Stillen Ozean festgestellt, wonach der nordöstliche Teil Neuguineas, nunmehr Kaiser Wilhelmsland, ebenso wie der "Bismarckarchipel" benannte Neubritannienarchipel und die nördlichen Salomonsinseln an Deutschland fielen, während der südöstliche Teil der Hauptinsel, sowie die dazugehörigen Inselgruppen und die südlichen Salomonsinseln England verblieben.

In dem auf die Erwerbung Neuguineas folgenden Jahre, 1885, wurde auf den Marshallinseln die deutsche Flagge gehißt, desgleichen auf den Karolineninseln. Auf die letzteren glaubte jedoch Spanien bereits alte Ansprüche zu besitzen. Es entstand deshalb in diesem Lande große Aufregung, welche zu Tumulten und feindseligen Kundgebungen der Menge gegen die deutsche Botschaft in Madrid führte, als die Nachricht von dem deutschen Vorgehen bekannt wurde. Nachdem Genugtuung für jene Unbill gegeben war, erklärte sich Fürst Bismarck zu einem Ausgleich bereit. Die Angelegenheit wurde dem Schiedsspruch des Papstes unterbreitet, welcher ein Abkommen dahin vorschlug, daß die Oberhoheit Spaniens auf das Inselgebiet anzuerkennen, jedoch Deutschland das Recht auf eine Kohlenstation und freien Handel vorzubehalten sei. Somit fiel diese Inselgruppe an Spanien. Nach dem spanisch-amerikanischen Kriege erwarb dann Deutschland 1899 das Inselgebiet der Karolinen, Palau und Marianeninseln von Spanien gegen Zahlung einer Summe von 16⅔ Millionen Mark.

In der Folgezeit wurden dann 1897 Kiautschou, der Flotten- und Handelsstützpunkt an der chinesischen Küste erworben. Als im November 1897 in der Provinz Shantung zwei deutsche Missionare ermordet worden waren, besetzten drei deutsche Kriegsschiffe die Bucht von Kiautschou und die an ihrem Eingang gelegene Stadt Tsingtau und hißten dort die deutsche Flagge. Am 6. März 1898 wurde das Gebiet von Kiautschou mit Tsingtau, insgesamt etwa 550 qkm umfassend, an Deutschland auf 99 Jahre von China verpachtet. Deutschland erhielt Eisenbahn und Bergwerksrechte in der das Hinterland von Tsingtau bildenden stark bevölkerten Provinz Shantung zugestanden.

1899 wurde dem deutschen Kolonialbesitz Samoa hinzugefügt. Die kleine Inselgruppe in der Südsee, Samoa, hatte bereits seit [17] langen Jahren einen Zankapfel zwischen den drei großen Mächten Deutschland, England und Amerika gebildet. Zwar war ursprünglich durchaus deutscher Einfluß auf den Inseln maßgebend gewesen, da als einziges größeres europäisches Unternehmen seit den 1850er Jahren dort die Hamburger Firma Godeffroy & Co. tätig war. Doch hatten sich allmählich auch Angehörige fremder Nationen, besonders Engländer, dort niedergelassen, wie auch die englische Mission, die London Missionary Society, bereits seit 1830 dort tätig war und einen bedeutenden Einfluß auf die Eingeborenen erlangt hatte. Die Wirren, welche seit Menschengedenken immer wiederkehrend, durch die Eifersucht der samoanischen Häuptlinge untereinander und durch die Kämpfe um die Königswürde auf den kleinen Inseln veranlaßt wurden, komplizierten sich allmählich dadurch, daß die Angehörigen der fremden Nationen für oder gegen die verschiedenen samoanischen Prätendenten Partei nahmen. 1886 versuchte der "König" Tamasese, welchem der Deutsche Brandeis, ein ehemaliger Offizier, zur Seite stand, eine geordnete Verwaltung einzurichten. Er vermochte jedoch nicht seiner Widersacher, unter denen besonders der Häuptling Mataafa hervorragte, Herr zu werden. Der Versuch des deutschen Konsuls Knappe, Ende 1888 mit Hilfe der im Hafen von Apia liegenden deutschen Kriegsschiffe, eine friedliche Entwaffnung der samoanischen Gegner herbeizuführen, mißlang. Es kam zu Kämpfen zwischen einer deutschen Landungstruppe und den Leuten des Mataafa, wobei zwei deutsche Seeoffiziere und eine Anzahl Matrosen getötet wurden. Das Vorgehen des Konsuls Knappe, welches in England und Amerika erheblichen Widerspruch erregte, wurde vom Fürsten Bismarck im deutschen Reichstage als ohne seine Genehmigung erfolgt, gemißbilligt. 1889 wurde ein Vertrag zwischen Deutschland, England und den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlossen, durch welchen die Inseln unter den gemeinsamen Schutz der drei Mächte gestellt wurden. Doch zeigte sich bald, daß die Abmachungen der sogenannten Samoa-Akte den Keim des Unfriedens in sich trugen. Es kam wiederholt zu Wirren in Samoa, in deren Verlauf Mataafa 1893 von deutschen Kriegsschiffen gefangen genommen und nach den Marshallinseln deportiert wurde. 1898 starb der von den Vertragsmächten anerkannte bisherige König Malietoa; zu seinem Nachfolger wurde alsbald von der Majorität der Samoaner der eben nach Samoa zurückgekehrte Mataafa ernannt, während die Minorität sich für den jungen Malietoa, den Sohn des bisherigen [18] Königs, aussprach. Als der nach den Bestimmungen der Samoa-Akte für diesen Fall zur Entscheidung berufene amerikanische Oberrichter in Apia zugunsten des letzteren entschied, kam es Anfang 1899 wiederum zum Kampf zwischen den samoanischen Parteien, welcher ein Vorgehen der englischen und amerikanischen Kriegsschiffe gegen die Mataafapartei im Gefolge hatte. Es kam zum Bombardement Apias, wobei deutsches Eigentum in beträchtlichem Maße zerstört wurde. Die Verhandlungen zwischen den drei beteiligten Mächten führten schließlich dahin, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die Insel Tutuila, woselbst sie eine Marinestation in Pagopago (sprich Pangopango) errichteten, mit einigen kleinen Inseln erhielten. England verzichtete auf seine Ansprüche auf die Samoagruppe, wogegen Deutschland auf seine Anrechte an den Tongainseln verzichtete, die beiden südlichen Salomonsinseln Choiseul und Nsabel nebst den Shortlandinseln an England abtrat und letzterem eine günstige Grenzfestsetzung in Togo gewährte. Durch diesen Vertrag vom 14. November 1899 erhielt Deutschland seinerseits die beiden größten Inseln Upolu und Savaii nebst den dazwischenliegenden kleinen Inseln Manono und Apolima.






Die deutschen Kolonien vor, in und nach dem Weltkrieg
Dr. Heinrich Schnee, Gouverneur i. R.