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[Bd. 5 S. 287]
Annette Freiin von Droste-Hülshoff, 1797-1848, von Hans Franck

Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
Gemälde von Hermann Sprick, 1838.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 301.]
Annette von Droste-Hülshoff ist Westfälin. Das besagt mehr als die üblich gewordenen, vielfach billig ausgemünzten Heimatzuweisungen. Denn hier handelt es sich nicht um eines jener mittleren, bodengebundenen Talente, bei denen zweifelhaft bleibt, wie sehr die Heimat für sie dichtet, sondern um Deutschlands größte Dichterin. Während bis zu ihren Tagen bei allen Großen unserer Dichtkunst das Heimatliche nur den Malgrund der gesamten Lebensleistung ausmachte, lieferte es der Droste die entscheidenden Farben. In einem solchen Ausmaße geschah dies, daß sie bis auf unseren Tag als die höchste und reinste Verkörperung des Westfalentums gelten muß.

Die Familie Annette von Droste-Hülshoffs hieß ursprünglich Deckenbrock. Sie saß während des elften und zwölften Jahrhunderts auf einem mäßig großen Erbhof des Münsterlandes. Im dreizehnten Jahrhundert waren aus den freien Besitzern westfälischer Erde Dienstmannen des Bischofs zu Münster geworden. Engelbert I. von Deckenbrock wurde damals Drost(e), will sagen: Amtmann, Truchseß des Domkapitels und Kämmerer des Klosters Überwasser, dem sein Hof gehörte. Seine Nachfahren legten das durch Handelsgeschäfte schnell sich mehrende Geld in ländlichem Grundbesitz an. Als Johann IV. im Jahre 1412 die "Burg auf dem Hülshove" erwarb, begann das Geschlecht sich von Droste-Hülshoff zu nennen.

Clemens August II., Freiherr von Droste-Hülshoff, dem als zweites Kind Annette geboren wurde, war eine grundgütige Natur, in dessen zartem Körper eine zarte Seele wohnte. Pflanzen und Tiere standen ihm innerlich weit näher als Menschen. An die Pflege der Blumen, vor allem der Orchideen, verwandte er einen großen Teil des Tages. Ein Zimmer des Schlosses war als Wohnstatt für Vögel hergerichtet. Auch Steine sammelte Clemens August, war ein ausgezeichneter Spieler auf der Geige und dem Spinett, verehrte Bücher. Die Empfindelei des ungewöhnlichen Mannes wußte freilich die Grenze zur Empfindlichkeit nicht immer zu wahren; das Wundersame artete in manchem zur Wunderlichkeit aus. So legte er, der das "gedruckte Blutvergießen" liebte, ein Buch an, das den seltsamen Titel trug: "Liber mirabilis, sive collectio prognosticorum, visionum, revelationum et vaticiniorum etc." und zur Sammlung von Merkwürdigkeiten aller Zeiten und Länder diente.

Dieser gemütvolle, aber blutmüde Mann, dem die erste abgöttisch geliebte Frau Rosina von Böselager nach halbjähriger Ehe starb, heiratete die Freiin [288] Maria Theresia von Haxthausen aus dem Hause Abbenburg im Paderborner Land, die vierzehn Geschwister ihr eigen nannte. Die Familie Haxthausen hat eine Reihe hochbegabter Söhne hervorgebracht, die den Romantikern, insbesondere den Brüdern Grimm, nahestanden und als Mitbegründer des "Tugendbundes" leidenschaftlich ebensowohl für alles betont Deutsche wie gegen Napoleon kämpften. Trotz ihrer außerordentlichen Begabung aber hat es keiner von ihnen zu überzeitlichen Leistungen gebracht, weil sie ihre staunenswerten Kräfte nicht auf ein einziges Ziel zu richten vermochten. Therese von Droste-Hülshoff, eine stolze, stattliche Frau, deren unverwüstliche Natur dazu neigte, ins Herrische auszubrechen, hat sowohl die Gefahren, welche Annette von den überempfindsam gewordenen Drostes wie von den zerfahrenen Haxthausern her drohte, klar erkannt und ihnen unbeirrbar entgegengewirkt. Deswegen zu behaupten – wie vielfach geschehn –, daß sie durch Unverständnis und Unduldsamkeit die freie Entfaltung des Dichtertums der Droste verhindert hat und Schuld daran trägt, daß betrüblich vieles von ihrem Schaffen unvollendet und unausgeglichen blieb, geht nicht an. Die Mama war keineswegs der Widersacher Annettens, wohl aber die schicksalentscheidende Gegenkraft, an der sie die Berechtigung und Eigenart ihres Dichtertums zu erweisen hatte. Gewiß, Therese von Droste-Hülshoff stand dem Dichten ihrer Tochter sehr lange ablehnend gegenüber, aber dieselbe Frau, welche sich gegen das Versemachen ihres vielgefährdeten Kindes wehrte, hat doch heimlich die allerersten Gedichte Annettens aufgeschrieben, so daß wir einzig ihr die Kenntnis dieser rührenden Zeugnisse frühreifer Kindlichkeit verdanken.

Diesem ungleichen Paar, der fünfundzwanzigjährigen Frau aus Haxthausenschem Geschlecht und dem um ein Jahrzehnt älteren Freiherrn von Droste wurde am 10. Januar 1797 als zweites Kind abermals ein Mädchen geboren. Das hatte sich einen Monat vor der Zeit eingestellt. Annette hat unter dem Schicksal des "zu früh geboren!" körperlich und seelisch bis an ihr Lebensende gelitten. Mit Melisse, Kamille und Zuckerwasser mußte das Würmchen am Leben erhalten werden, bis es die Kraft zum Trinken besaß. Zur Nahrung des kümmerlichen Achtmonatskindes, dem jedermann baldigen Tod voraussagte, wurde eine Amme angeworben.

Mit dieser Amme, der Webersfrau Anna Katharina Pettendorf (nach neueren Forschungen: Plettendorf) trat der dritte Mensch in das Leben Annettens, der für das Dichtertum der Droste wesensbestimmend geworden ist; denn die Pettendorf war eine Geistesverwandte jenes alten Mütterchens, dem die Brüder Grimm ihre schönsten Märchen verdanken. Sie sang ihrem Brustkind die alten Lieder des Volkes, sprach die von den Vorvätern überkommenen Sprüche, erzählte die vergangenheitumraunten Geschichten. Die Pettendorf, welche in der Tat jene Gabe besaß, die durch einige auch Clemens August zugesprochen wurde, das Zweite Gesicht, wurde von Annette "Mutter" genannt.

[289] Das zu früh geborene Kind empfing in der Taufe die Namen Anna, Elisabeth, Franziska, Adolphine, Wilhelmine, Louise. Man rief es "Annette"; wollte man seiner Vertraulichkeit Ausdruck geben, "Nette" oder auch "Nettchen".

Auf der düsteren Wasserburg Hülshoff und in seiner blühenden Umgebung – einer abgegrenzten Welt innerhalb der Welt – verlebte Annette ihre Kindheit. Spielgefährte war neben der älteren ausgeglichenen Schwester, der lieblichen Jenny, ihr jüngster kränklicher Bruder Ferdinand, ein zarter Schwärmer, während zu dem älteren Bruder, dem urgesunden, nüchternen, lebenstrotzenden Werner Konstantin, sich mancherlei Gegensätze ergaben. Denn Annette war ein sehr empfindliches, reizbares, von Krankheiten, insbesondere von Kopfschmerzen, vielgeplagtes Kind. Ihr ungewöhnliches Wesen muß schon früh offenbar geworden sein. Man sah – wohl unter dem Einfluß der Amme – eine "Sternenjungfrau" in ihr; ein Wesen, das nach dem Volksglauben "weder lieben noch sich lieben lassen mag, durch seine unantastbare Keuschheit geheime Kräfte in sich birgt und in verzweifelten Krankheitsfällen Heilung bringen kann".

Ursprünglich unterrichtete Therese von Droste-Hülshoff ihre beiden Töchter Jenny und Annette selber. Weil sie aber zum Unterrichten nur sehr geringes Geschick und nicht die mindeste Geduld hatte, so mußte sie bald auf Abhilfe bedacht sein. Die fand sich in der Gestalt Bernhard Wenzelos. Diesem Hauslehrer verdankt Annette einen großen Teil ihrer außerordentlichen Kenntnisse. Sie brachte es insbesondere bei dem Lernen fremder Sprachen, mit Ausnahme des Griechischen, zu ungewöhnlichen Leistungen. Den anderen, äußerlich und innerlich bedeutsameren Teil erwarb sie sich selber durch unermüdliches Lesen, an dem auch die starke Kurzsichtigkeit ihrer übergroßen, seltsam weit vorgewölbten blauen Augen sie nicht zu hindern vermochte.

Gedichtet hat Annette, deren lebhafter Phantasie sich immer wieder die Grenzen zwischen Wirklichem und Überwirklichem verwischten, von frühester Kindheit an. Wir besitzen, wie gesagt, durch Aufzeichnung der Mama eine Reihe von Versen der noch nicht Zehnjährigen, die gerade dadurch echt wirken, daß sie ungetrübt kindlich sind und keine Gefühle von Erwachsenen vortäuschen. Auch komponiert hat Annette, die von ihrem Vater Musikunterricht erhielt und schon mit zwölf Jahren den Organisten des Kirchdorfes Roxel beim Gottesdienst vertreten konnte, bereits im Kindesalter. Von Anbeginn war sie sich ihrer Mission, eine Dichterin zu werden, bewußt. Eines Tages wickelte sie zwei ihrer frühesten Gedichte in Goldpapier, bestieg den Hülshoffer Turm und versteckte sie im Gebälk, damit dereinst, wenn die Burg der Droste verfallen war, in dem Schutt ein vergoldetes Blatt gefunden werde, das der Nachwelt verkünde, wo das Leben der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff begann.

Trotz dieses frühesten Wissens um ihre Aufgabe und des unbeirrbaren Willens, das ersehnte Ziel zu erreichen, ist bei kaum einem Dichter der Weg so lang und mühselig gewesen wie bei der Droste. Die Gründe dafür sind mannigfacher [290] Art. Sie liegen in der Gebrechlichkeit ihres Körpers und in ihrem Frauentum, in den Widerständen der Familie und in dem vom unmittelbaren Leben abgeschlossenen, mauergeschützten, wasserumwehrten Burgdasein.

So war es nur zu begreiflich, daß Annette nach Verbindungen mit geistigen Menschen in dem nahen Münster Ausschau hielt. Erster Berater, Kritiker und Förderer der wegunsicheren Kunst Annettens wurde Anton Matthias Sprickmann zu Münster. Dieser mehr als sechzigjährige Jurist war in seiner Jugend ein Dichter gewesen. Während seiner Studienzeit in Göttingen standen ihm alle Poeten des Hainbundes nahe. Mit Bürger verband ihn innige Freundschaft. Als Berufung und Beruf in Gegensatz gerieten, entsagte er "dem holden Mädchen auf dem Parnasse". In ungewöhnlich jungen Tagen wurde er Professor des Staatsrechtes und der Rechtsgeschichte an der Universität Münster. Sprickmann hat der um fast fünfzig Jahre jüngeren Annette sowohl durch seine unbestechliche Kritik ihrer verfehlten Jugenderzeugnisse wie durch Anregungen zu weiter ausgreifendem Schaffen mannigfach genützt. Der glühende Patriot wies sie auf vaterländische Stoffe hin. Der ehemalige Hainbunddichter legte ihr die großen Formen, Epen und Trauerspiele, ans Herz. Obwohl von dem allen, was Annette unter dem Zuspruch ihres väterlichen Freundes dichtete – dem Fragment gebliebenen Trauerspiel "Berta", dem von der Mama gepriesenen, von der Dichterin später verworfenen Epos "Walter", dem ebenfalls nie vollendeten Roman "Ledwina" –, kaum noch etwas lebendig ist, so kann doch der Einfluß Sprickmanns auf die werdende Dichterin keinesfalls überschätzt werden. Auch als dieser nach Breslau und später nach Berlin berufen wurde, blieben brieflich beide in Verbindung.

Nachdem Sprickmann Münster verlassen hatte, las, spielte, sang Annette noch mehr als früher. Außerdem schrieb sie an ihren "großen" Dichtungen, den Dramen, den Epen. Das konnte nur mit langen Pausen geschehen. Die Augen litten keine zusammenhängende Arbeit. Ihre Brust schmerzte. Husten quälte sie. Im Jahre 1815 brach Annettens schwacher Körper unter der Überlast des Geistes zusammen. Sie hustete Blut. Es schien so, als ob auch sie der Krankheit verfallen würde, die ihren Bruder Ferdinand nicht mehr aus den Krallen ließ, der Schwindsucht. Während des ganzen Winters konnte sie das Haus nicht verlassen. Aber im Frühjahr gesundete Annette langsam. Und der Dichterin wurde bewußt, daß neben dem Lehrmeister Mensch noch eine Lehrmeisterin für sie ebenso große, wenn nicht größere Bedeutung hatte: die Natur.

Ehe Annette von dem Leben, das auch bei ihr wie bei allen wahrhaften Frauen Liebe hieß, gepackt und gerüttelt wurde wie eh und je eine ihrer Geschlechtsgenossinnen, führte das Schicksal ihr, wenigstens für kurze Zeit, einen schöpferischen Menschen zu, der alle ihre Hoffnungen zu erfüllen schien. Auf Veranlassung des als Künstlerin völlig unbekannten Burgfräuleins fand Westfalens berühmte Dichterin Sibilla Katharina Busch den Weg nach Hülshoff. Die glückverwöhnte Schriftstellerin, deren Verse in allen Almanachen gedruckt wurden, und die hilflose, [291] unbeachtete Versschreiberin verstanden sich beim ersten Blick. Aber die Wege der beiden Dichterinnen kreuzten sich nur. Die Buschin war mit dem Juristen Paul Modestus Schücking verlobt, und sie brachte ihrer Liebe, ihrer – wie sich späterhin erwies – unglücklichen Ehe sowie ihrem Muttersein das künstlerische Schaffen zum Opfer. Annette aber, die an die Begrenzung der Frau nicht glaubte, vermeinte Künstlertum und Muttertum vereinen, aus der Liebe heraus, kraft der Liebe Dichterin sein zu können.

Da die Gesundheit der Dichterin noch immer viel zu wünschen übrig ließ, wurde sie auf Wunsch des Arztes im Sommer 1820 zu den Verwandten ins Paderbornsche geschickt, und zwar nach Bökendorf, wohin der Großvater sich samt seiner zweiten Gattin und seinen vielen Kindern zurückgezogen hatte. Mit dieser Stiefmutter ihrer Mama, einer leidenschaftlichen, geistvollen und frommen Frau, verband Annette seit längerem echte Herzensgemeinschaft. Auch den meisten der Onkel und Tanten, die an Jahren zum Teil gleichaltrig, ja jünger waren als sie, stand Annette innerlich nahe. Der bedeutendste unter den Söhnen des Hauses, ihr kaum fünf Jahre älterer Oheim August von Haxthausen, brachte zu Beginn des Sommersemesters zwei Studienfreunde aus Göttingen mit, August von Arnswaldt und Heinrich Straube. Arnswaldt war ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle: im Besitz untadeliger Formen, wohlgewachsen, feinsinnig, hochgebildet, innerlich ausgeglichen. Straube, der Sohn unbegüterter Eltern, war in allem sein Gegenteil: ungelenk, häßlich, formlos, ohne Haltung, aber voller dunkler dämonischer Kräfte. Sehr bald gewahrte Annette, daß Arnswaldt sie liebe. Da sie für ihn eine innige Neigung empfand, schien ihr weiterer Lebensweg völlig geebnet. Aber zu gleicher Zeit entbrannte Straube in heftiger Leidenschaft zu dem westfälischen Edelfräulein. Annette verfiel, trotz ihrer Neigung zu dem Standesgenossen, dieser in jeder Hinsicht anders gearteten Liebe. Als Arnswaldt, infolge eines Eingreifens August von Haxthausens, Annette zur Rede stellte, gab sie eine unklare Antwort. Da infolgedessen beide Männer sich von ihr betrogen glaubten, reisten sie ohne Abschied von Bökendorf fort und schrieben der gemeinsam Geliebten aus Göttingen gemeinsam den Scheidebrief, den sie ihr durch Anna von Haxthausen überreichen ließen.

Annette stürzte aus dem Himmel der Glückseligkeiten in die Hölle der Verzweiflung. Da sie keinen Laut der Klage, kein Wort des Vertrauens über ihre Lippen kommen ließ, hielten alle Verwandten sie nicht nur für eine verworfene, sondern obendrein für eine verstockte Seele. In Wahrheit kämpfte Annette drei Monate lang einen Kampf auf Leben und Tod; wider sich selbst, der sie an allem die Schuld zuschrieb, wider die Menschen, die kein Recht hatten, sie zu verurteilen, wider Gott, der ihr keinen Ausweg aus der Wirrnis zeigte, in die er sie hineingeführt hatte. Dann erst, nach drei Monaten, fand sie als Mensch die ersten Worte. Sie schrieb an die jugendliche Tante Anna jenen herzzerwühlenden Brief, der eines der erschütterndsten Liebesdokumente nicht nur der [292] deutschen Sprache ist. Wer dieses Schreiben, das lange verborgen blieb und der Öffentlichkeit erst sehr spät Kunde von der Doppelliebe der Dichterin gab, unbefangen liest, für den kann es keinen Zweifel geben, daß Annette, die jetzt maßlos unglücklich war, liebend über alle Maßen glücklich gewesen ist. Liebe ist der Inhalt des gewaltigen Briefes. Um den geliebten Mann geht der Kampf. Erst mittelbar betrifft er Gott, der das Widersinnige, das die Dichterin zu vernichten drohte, in seinem Weltenplan zuließ. Als dieser Brief geschrieben war, berührte Annette das Erlebnis ihrer Liebe mit Worten nicht wieder. Sie hat, nach Hülshoff zurückgekehrt, geschwiegen. Fünf Jahre ihres Lebens ging, außer einem inhaltlosen, kein Brief in die Welt hinaus. Kein Drama, kein Epos, kein Roman, keine Novelle, kein Gedicht wurde geschaffen. Von Annettens Liebe kündet in dem Lebenswerk der Droste nur hie und da eine scheu versteckte Verszeile, eine verhüllte Szene.

Der Kampf mit Gott wurde auf Jahre hinaus der ungeheuerliche Inhalt des Daseins der Droste. Waffe während dieses wilden Kampfes war ihr das Wort. Schon vor längerer Zeit hatte die Großmutter ihre liebste Enkelin gebeten, ihr einige geistliche Lieder zum Gebrauch an festlichen Tagen des Kirchenjahres zu verfassen. Annette war auf diesen Plan eingegangen. Als aber das Leben sie betrog, die Liebe ihr log, da begann Annette von Droste-Hülshoff ihr "Geistliches Jahr in Liedern auf alle Sonn- und Festtage" von neuem. Sie veränderte die bereits für die Großmutter geschriebenen Gedichte völlig. Wo durch Veränderung nicht auszudrücken war, was sie um ihrer selbst willen dem Ewigen mit Versen sagen mußte, vernichtete, zerriß, verbrannte sie das Vorhandene. Für die Bökendorfer Großmutter war mit der neuen Fassung dieses Buch geistlicher Gedichte unbrauchbar geworden; wohl auch, wie Annette tapfer eingestand, für alle "frommen" Menschen. Denn es ging bei dem Kampf ihres "vielfach gepreßten und getrübten Gemütes" bedingungslos um das Letzte. Mit einer Inbrunst, die immer wieder Gefahr lief, zur Wollust zu werden, bekannte Annette ihre Schuld, rang um Gnade, gestand ihren Unglauben, griff nach dem ihr zugeworfenen Rettungsring des Glaubens. Bis an die Grenze des Wahnsinns riß es die unerbittlich hellsichtige Dichterin. Gerettet hat Annette aus der geistigen Nacht, die durch Ringen um Entsühnung ihrer Liebessünden und um Erlösung von ihrem Trotz wider Gott über sie hereinzubrechen drohte, nicht die Tröstung der Kirche, nicht die festgelegte Glaubenslehre, nicht Zuspruch der Menschen, nicht Gott, der seine Gnade verhielt, sondern dies: daß sie jetzt zur wahrhaften Dichterin wurde und ihrem persönlichen Leid überpersönliche Form, ihrem einmaligen Ringen um Gott gültige Gestalt geben konnte.

In der Zeit der Erschöpfung, die folgen mußte, wandte Annette von Droste-Hülshoff sich mit leidenschaftlicher Ausschließlichkeit der Musik zu. Sie spielte, sang, komponierte ohne Aufhören. Sie studierte die Generalbaßlehre ihres Kölner Komponistenonkels Max von Droste-Hülshoff. Es schien so, als werde ihr verstummtes, schwergeprüftes Herz der Dichtkunst untreu werden und sich [293] ihrer trostreicheren Schwester, der Musik, für immer zuwenden. Doch die Abirrung von dem vorbestimmten Lebensweg endete auch hier mit körperlichem Zusammenbruch. Wochenlang verließ das Kopfweh Annette nicht. Fieber schüttelte ihren schmächtigen Körper. Der Husten verschlimmerte sich. Sie warf wieder Blut aus. Nur noch eines schien der Dichterin bevorzustehen: unter dem Sturmwind ihrer inneren Erregung körperhaft zu verflackern. In diesem Zustand traf sie im Herbst 1825, fünf Jahre nachdem sie Bökendorf mit den ersten Blättern ihres "Geistlichen Jahres" verlassen hatte, ihr Onkel Werner von Haxthausen. Kurz entschlossen nahm er die Kranke mit sich.

So weilte denn Annette seit dem Oktober des Jahres 1825 plötzlich am Rhein. Ohne Widerstand überließ sie sich dem Strom des Lebens. Sie wurde von den Kölner Verwandten verhätschelt. Zu den Bonner Verwandten führte sie immer wieder der Weg. Eine Freundin aus münsterischen Tagen, die Gräfin Thielmann, hochbegabt, aber gemütskrank, wurde in Koblenz besucht. Eine neue, nicht minder gefährdete Freundin hinzugewonnen: die reiche, unglückselig verheiratete Sibylle Mertens, Meisterin auf dem Klavier, Kennerin aller Literaturen, Sammlerin unübersehbarer Kunstschätze. Mehr denn je wurde komponiert. Weder das "Geistliche Jahr" noch die Erzählung "Ledwina", in der Annette ein erschütterndes Abbild ihres eigenen Innern gab und zum ersten Male ihren Stil als Epikerin fand, wurden ernsthaft gefördert. Doch vollbrachte das freudige Leben am Rhein, was die Ärzte zu Hülshoff nicht vermochten: das westfälische Wasserburgfräulein gesundete.

Im Frühling 1826 wurde Annette heimgerufen. Ihr Bruder Werner Konstantin hatte sich mit einer Verwandten der Großmutter verlobt. Im Mai sollte die Hochzeit sein. Der Heimgekehrten schien Hülshoff wie verwandelt. Jenny, trotz ihrer einunddreißig Jahre noch immer unverheiratet, war beglückt durch das Glück des Bruders. Der Papa führte Annette verklärt zu seinen Orchisbeeten. Die Mama zeigte sich aufgeräumter und nachsichtiger als je. Werner, der ältere Bruder, überbot sich an Rücksicht und Aufmerksamkeit gegen die oft verhöhnte Schwester. Ferdinand, der jüngere Bruder, machte trotz aller Voraussagen der Ärzte einen gesunden Eindruck. Wieder schienen Glück und Gleichmaß für Annette gekommen. Da starb, bald nach der Hochzeit seines Ältesten, Clemens August II. von Droste-Hülshoff unvermutet an den Folgen einer Erkältung. Auch die Hoffnung, daß Ferdinand gesund werde, erwies sich als trügerisch. Er erlag der Krankheit seines Lebens, der Schwindsucht. Da Therese von Droste-Hülshoff aus Rücksicht auf das Ganze die Erbteilung, welche sie hätte fordern können, zurückwies, so bezog sie das in der Nähe Münsters gelegene Rüschhaus als Witwensitz. Außer ihren beiden Töchtern begleitete sie Maria Katharina Pettendorf, die in die Familie aufgenommene Amme, dorthin.

Mit der Übersiedelung von Hülshoff nach dem Rüschhaus endete die Jugend Annettens. Wie stand es jetzt um sie? Niemand kannte, da sie ungedruckt [294] blieben, die Verse der fast Dreißigjährigen. Für die mündliche Verbreitung ihres Epos "Walter" hatte die Mama durch unablässige Vorlesungen freilich gesorgt; aber Annette schämte sich dieser unzulänglichen Arbeit. Ihr Trauerspiel "Berta": unvollendet, ohne Möglichkeiten einer gedeihlichen Entwicklung. Ihr Roman "Ledwina": voll reicher, vielverheißender Keime, doch auch unvollendet. Versprechen ohne Maß und Zahl, aber keines eingelöst. Blieb nur das durch die Mutter verurteilte und zurückgehaltene "Geistliche Jahr": wenn man auf den verwegenen Plan des Ganzen sah, auch das ein Fragment, wenn man aber die Gedichte einzeln nahm, eine Leistung, durch die sie sich als große Dichterin erwiesen hatte.

Das Rüschhaus bei Münster.
[295]      Das Rüschhaus bei Münster,
erbaut von J. C. Schlaun.

[Bildquelle: Gerda Becker, Berlin.]
In dem durch den großen münsterischen Baumeister Johann Conrad Schlaun ursprünglich zum eigenen Sommersitz errichteten schönen Rüschhaus, wurde Annette zu der Dichterin, die Deutschland kennt und liebt. Da sich Therese von Droste-Hülshoff viel auf Reisen befand, so war sie jetzt viel allein. Ihr Bruder nannte die Einsamkeit das größte aller Übel auf Erden. Annette aber wußte sich nichts Lieberes, als im Rüschhaus ihre Tage träumend zu verbringen. Ob sie viele Stunden erzählend mit ihrer alten "Mutter", der einstigen Amme, beisammen war oder mit wachen Augen sinnend zu Bett lag, ob sie mit untergeschlagenen Beinen auf dem schwarzen Sofa ihres Stübchens, des Schneckenhäuschens, lesend, schreibend saß oder in vermeintlichem Nichtstun stundenlang, an den Stamm einer Eiche gelehnt, wie erstarrt hockte, ob sie sich verlangend mit ausgebreiteten Armen ins blühende Heidekraut warf oder bei Tag, bei Nacht mit Wind und Wetter um die Wette jagte, ob sie sittsam in die Mergelgrube ging, Steine loszuklopfen, die von vergangenen Erdzeiten kündeten oder den Dorfkindern Geschichten erzählte, ob sie, das Grenzenlose ersehnend, die Nacht im Freien verbrachte oder als Kranke wieder einmal das Bett hüten mußte: was Annette auch tat und litt, so weit sie den Weg nach innen vortrieb, so sehr sie sich zerspaltete und ihr bewußtes Ich drangab, nun kam alles ihren Dichtungen zugute. Im Rüschhaus war Annette Dichterin auch dann, wenn sie es nicht wollte und wußte. Sie hatte begriffen, daß man – um es zu erreichen – Natur sein muß, unverfälschte Natur. Was sie über Tag mit wachen Augen träumte, was sie während der Nacht in sich einströmen ließ – sie brauchte es späterhin zur schicksalsbestimmten Stunde nur sich ent-träumen, sich ent-strömen zu lassen, und Gedicht nach Gedicht, das in Seligkeit und Schmerzen jahrelang, jahrzehntelang ausgetragen war, mußte als unvergängliches Lebewesen das Licht der Welt erblicken.

Zu dieser Dichtereinsiedelei wanderte von Münster her Anfang 1830 ein fünfzehneinhalbjähriger Gymnasiast mit seinem Lehrer, einem Vikar, hinaus. Es war Levin Schücking, der Sohn Katharina Buschs. Die Mutter, auf deren Wunsch er nach dem Heiligen Lebuin, dem Apostel Westfalens benannt wurde, hatte sich, um seiner Bildung und mancherlei unliebsamer Dinge willen, die durch den Vater geschahen, von ihrem Lieblingskinde getrennt. Levin überbrachte ein Schreiben [295] der ehemals berühmten Dichterin Westfalens an die noch immer unbekannte Droste durch das sie ihren Jungen der ehemaligen Freundin an das mütterliche Herz legte. Annette, fünfzehn Jahre älter als ihr Schützling, nahm Levin mit offenen Armen auf. Sie zeigte ihm ihre Sammlungen, fütterte ihn, tollte mit ihm. Sie nannte ihn: "Mein Junge! – Mein Pferdchen! – Mein Prinz! – Mein liebes Herz!" und mit manchen anderen Kosenamen noch. Er nannte sie: "Mein Mütterchen!" Innig schloß Annette den bald nachher verwaisten Levin ins Herz. Eine Urkraft ihres Wesens, das Mütterliche, hatte den Ausweg zum Menschlichen hin gefunden.

Als Levin Schücking Münster um seiner Studien willen verließ, verschaffte Therese von Droste, die zu dem Verkehr mit dem Sohn des unruhigen, aufrührerischen Justizmannes Paul Modestus Schücking scheel gesehen hatte, ihrer dichtenden Tochter einen neuen Lebensfreund: den blinden, gottseligen, sanften Privatdozenten der Philosophie Christoph Bernhard Schlüter, von dessen Gleichmut sie sich die besten Einflüsse auf das wilde, trotzige Herz Annettens versprach. Diese betrat den von der Mama gewiesenen Weg nur zögernd, und auch Schlüter sah der ersten Begegnung mit Mißtrauen entgegen. Denn das vielgerühmte Epos "Walter", welches die Mutter ihm als Beweis des Dichtertums ihrer Tochter übersandt hatte, gefiel ihm in keiner Weise. Dennoch fanden die siebenunddreißigjährige Dichterin und der dreiunddreißigjährige Philosoph schneller zu einander, als man vermuten konnte. Zunächst freilich verband sie nur die Musik. [296] Dann erschien Annette eines Tages bei Schlüter mit ihrem "fuchsigen Buch", einer rotbraun gebundenen Mappe, darin sie ihre Verse eintrug, und las ihm den Anfang ihres Epos "Das Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard" vor. Dessen kraftvolle, lebensstrotzende Verse bezwangen den neuen Schicksalsfreund. Als das Eis gebrochen war, teilte Annette dem blinden Schlüter durch Vorlesen auch ihre Epen: "Die Schlacht im Loener Bruch", das mit großartiger Wucht um den tollen Christian herumgedichtet ist, und das dunkle, aufwühlende "Vermächtnis des Arztes" sowie ihre Gedichte mit. Das "Geistliche Jahr" hielt sie lange zurück. Denn für Schlüter war Gott das grenzenlos Gute, dessen Tun nicht in Frage gestellt werden, sondern demütig und dankbar hingenommen werden muß. Annette aber wies diese Anschauung des Weichmütigen weit von sich. Sie erkannte auch bei dem Kampf um und mit Gott keine Grenzen an. Trotzdem wurde Schlüter von keiner Dichtung seiner Hülshoffer Freundin so überwältigt wie von dem "Geistlichen Jahr". Er wurde nicht müde, sie um Vollendung des erhabenen Werkes zu bedrängen. Nun hatte Annette wenigstens einen geistigen Lebensfreund, der sie verstand; aber dieser eine verstand sie falsch. Für Schlüter ist Annette eine "fromme" Dichterin gewesen. Er machte zwischen ihr und Louise Hensel, der Verfasserin des "Müde bin ich, geh zur Ruh", keinen wesentlichen Unterschied. Schlüter selber hat es später öffentlich eingestanden, daß er zu den Lebzeiten der Annette das Eigentliche des dichterischen Wesens seiner Freundin nicht begriffen hat. So schrumpfte der persönliche Verkehr immer mehr auf den Austausch von Büchern und Briefen über Bücher zusammen.

Um Anschluß an die Dichtung der Zeit zu gewinnen, geriet Annette von Droste-Hülshoff in das Literarische Kränzchen der Elise Rüdiger hinein. Es war eine wunderliche Gesellschaft, die sich Sonntag für Sonntag in dem Hause der jungen Regierungsrätin traf. Auf der einen Seite dilettierende, unbefriedigte Frauen, auf der andern schöntuende Männer; darüber schwebend eine haltlose, zerfahrene, zeitberühmte Literatin. Für ihre Dichtung konnte Annette, von der noch immer kein Buch erschienen war, in diesem Kreise – außer negativen Erkenntnissen – nichts gewinnen. Aber sie fand hier die Lebensfreundin, welche ihr bis über das Grab hin treu blieb und entscheidenden Anteil an dem Nachruhm der Droste hat: Elise Rüdiger, ihr "Lieb Lies".

In diesem "Literarischen Kränzchen" sah Annette nach fünf Jahren der Trennung Levin Schücking wieder. Er hatte inzwischen Jura studiert, die Dichtung nicht vergessen und mancherlei aussichtsreiche Verbindungen zu den journalbeherrschenden Männern des Jungen Deutschlands angeknüpft. Inzwischen war aus dem tumben Toren ein schöner, gepflegter, von den Frauen verwöhnter junger Mann geworden. So mißfiel er Annette tief. Sie fand ihn gefallsüchtig und eitel, weibisch und aufgeblasen, spielerisch und lapsig. Seine mittelmäßigen Gedichte gefielen ihr ebenso wenig wie seine schwachen Dramen. Nur seine erzählenden und vor allem seine kritischen Arbeiten fanden Gnade in ihren Augen.

[297] Als aber Levin Schücking zum ersten Male wieder ins Rüschhaus hinausgewandert war, änderte sich dieses Bild völlig. Annette erkannte die äußere und innere Not des Bedrängten. Noch weiter als bisher tat sie ihm ihr Herz auf. Sie war wieder sein liebes Mütterchen und er ihr lieber heimgekehrter Junge. Jahre der Gemeinsamkeit folgten, über denen der Schimmer des Märchens lag. Neben der Freundschaft ging berufliche Kameradschaft her. Unübersehbar ist, was die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff dem unbestechlichen, gescheiten, weitblickenden Kritiker Levin Schücking an Anregungen und Förderungen, an Zielsetzungen und Bestätigungen verdankt. Wie auf der anderen Seite Schücking durch Annettens Unbedingtheit lange vor dem Versinken in seichte Tagesgewässer bewahrt wurde. So hatte also endlich Annette den Mann gefunden, der beidem in ihr gerecht wurde: dem Menschentum und dem Dichtertum.

Die Wendung ins Weite kam für die Droste, der das Rüschhaus zur eigentlichen Heimat geworden war, durch ihre Schwester Jenny. Diese hatte sich auf einer Schweizer Reise mit dem einundsechzigjährigen Freiherrn Joseph von Laßberg verlobt. Erst nach einer Reihe von Jahren gab Therese von Droste ihre Einwilligung zu der Ehe mit dem urlebendigen, allzeit fröhlichen Manne, der nach einem bewegten Leben zu dem größten Handschriftensammler Deutschlands geworden war und mit allen Germanisten der Zeit, bis zu den Brüdern Grimm hinauf, lebhaften persönlichen Verkehr pflegte. Um ihr Versprechen einzulösen, nicht weil sie noch wie einst am "Hinaus-Weh" litt, reiste Annette im Sommer 1835 nach Eppishausen, dem Sitz der Schwester. Länger als ein Jahr weilte sie auf fremdem Boden, inmitten einer ihrem Wesen ungemäßen Natur, unter Menschen, deren Art und Sprache sie nur mühsam verstand, neben einem Manne, der ihre Dichtung ebensowenig begriff, wie sie seiner Gelehrsamkeit und seiner Sammelwut gerecht werden konnte. Obwohl Annette sich den einzigartigen Schönheiten der Natur nicht verschloß, in der Umgegend von Eppishausen verständnisvolle Freunde fand, durch die Geburt des Zwillingspaares, das die Schwester ihrem betagten Gatten schenkte, tief beglückt wurde – die Schweiz blieb ihr fremd. Jene fünfzehn Monate, welche sie dort verlebte, waren ein Martyrium; bedeutungsvoll allerdings dadurch, daß sie der Dichterin nachdrücklich offenbarten, wo die Wurzeln ihrer Kraft lagen: in der westfälischen Heimat. Ende Oktober 1836 verließ sie das "ungeliebte Land" und kehrte nach frohem Aufenthalt am Rhein, bei dem sie sich Adele Schopenhauer als Freundin gewann, in das Rüschhaus zurück.

Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
[296a]   Annette Freiin von Droste-Hülshoff.
Gemälde, 1840. Familie Schücking, Pyrmont.
Mehr als vierzig Jahre war Annette von Droste-Hülshoff jetzt alt, und noch immer lag nicht das kleinste Gedichtbändchen von ihr vor. Aus der Schweiz waren, nachdem die Mama endlich ihre Einwilligung dazu gegeben hatte, zwar Verhandlungen mit dem Verleger du Mont in Köln angeknüpft, aber sie zerschlugen sich. Als nach einem Jahr Schlüter meldete, daß ein münsterischer Verleger einen Band Verse von ihr bringen wolle, willigte die Dichterin ein und übertrug dem [298] blinden Freunde nicht nur die Auswahl, sondern auch die Korrekturen und die äußere Herstellung des Buches. So erschienen 1838 in der Aschendorfschen Buchhandlung Gedichte von Annette Elisabeth von D.... H.... Das zweihundertundzwanzigseitige Bändchen war ein völliger Mißerfolg. Verkauft wurden keine hundert Exemplare. Dieser Mißerfolg war nicht ganz unverdient. Schlüter hatte seine Sache schlecht gemacht. Außer den Epen, acht Kosthappen aus dem "Geistlichen Jahr" und den Schweizer Versen enthielt der Band als einzig wahrhafte Dichtung nur die Ballade "Der Graf von Thal", von ihren westfälischen Gedichten aber nicht eines. Annette war entsetzt. Die Familie erklärte das Ganze für Plunder, nannte es unverständlich, verworren und begriff nicht, wie eine vernünftige Person den Namen Droste-Hülshoff, der trotz der Auslassung erkennbar war, dadurch besudeln konnte. Von fern aber kamen, namentlich aus dem Kreise der Romantiker, bedeutsame anerkennende Stimmen. Sogar drei oder vier lobende Besprechungen erschienen.

Aber weder dieser Fehlschlag, noch der Unverstand überheblicher Menschen, weder die Schwächlichkeit des eigenen Körpers, noch das Gerede ihrer Umgebung vermochten Annetten ernsthaft etwas anzuhaben. Sie hatte zwei helfende Kräfte um sich: die Heimat und den Freund. Jene erwies sich als unerschöpflich beim Wundenheilen. Dieser kam ihr immer näher. Als Therese von Droste-Hülshoff während des Winters 1840 bis 1841 im Süden weilte, wanderte Schücking fast täglich zum Rüschhaus hinaus. Damals hatte die Verbindung Annettens und Levins jenen Grad erreicht, für den nur das Wort Liebe umfassend genug ist. Damals stellte sich als selbstverständlich das "Du" bei ihnen ein, das später so viel Verstellung, Unaufrichtigkeit und Kampf erzeugen sollte. Ungehemmt von Menschen, lebten Annette und Levin einen Winter lang ihrer Liebe. In welchen Formen – welchen Unformen, in welchen Grenzen – in welcher Unbegrenztheit, wie weit in Unschuld – wie weit in Schuld: niemand hat es bis zur Stunde ergründet, niemand wird – wie zu hoffen steht – je den Schleier zu lüften vermögen, der über dieser Liebe der größten deutschen Dichterin liegt.

Holzstich nach einer Zeichnung von Theobald v. Oer.
Annette Freiin von Droste-Hülshoff auf Schloß Meersburg am Bodensee.
Holzstich o. J. nach einer Zeichnung von Theobald v. Oer.
[Bildarchiv Scriptorium.]
Bald nachdem Annette von Droste-Hülshoff die Schweiz verlassen hatte, war ihr Schwager Joseph Freiherr von Laßberg Besitzer der Meersburg geworden. Dort fanden die Liebenden Zuflucht vor den Bedrängnissen der Heimat. Da der verwegene Plan, sich von der Familie zu trennen und auf dem Gute der Freundin Sibylle Mertens eine freie Künstlerkolonie zu gründen, nicht ausgeführt wurde, legte Annette ihrer Schwester Jenny, die mit den Zwillingen in das Rüschhaus eingekehrt war, nahe, ihren Mann zu veranlassen, daß er Schücking als Bibliothekar berufe. Im September 1841 reiste Jenny von Laßberg mit ihren beiden gesunden Kindern und ihrer kränkelnden Schwester nach Süden. Am Bodensee hat Annette ihre zweite Heimat gefunden. Nicht eigentlich die Heimat ihrer Seele, die sich im Wachen und Träumen immer wieder nach Westfalen aufmachen mußte, wohl aber die zweite Heimat ihres Leibes, der sich in dem milden Klima schnell kräftigte. Die [299] Herrlichkeit der gewaltigen Berge am anderen Ufer, die unermeßlichen Wunder des Sees zu ihren Füßen, die Schönheit der Erde ringsum wetteiferten, Annettens Kräfte zu stählen. Sie begann planvoll zu arbeiten. Der zweite Teil des "Geistlichen Jahres" wurde vorgenommen. Ein Buch über Westfalen, zu dem Schücking die Anregung gegeben hatte, galt es zu vollenden. Die Erzählung "Friedrich Mergel", von einem Mörder handelnd, den es zum Selbstgericht an den Ort des Mordes zurücktrieb, versprach ungewöhnlich gut zu werden.

Ende September war Annette am Bodensee eingetroffen. Bereits Anfang Oktober kam Levin Schücking, der geliebte Freund, von Laßberg zum Bibliothekar berufen, nach Meersburg. Annettens Versuch, der Mama dieses Beieinandersein als zufällig hinzustellen, mißlang. Sie brauchte in einem Brief an ihre älteste Tochter das Wort "bestelltes Rendezvous". Einen zweiten Winter lang lebten Annette und Levin ihrer Liebe. Und der Arbeit. Dieser gehörte der Vormittag. An den Nachmittagen aber machten beide weite einsame Spaziergänge, dabei geflissentlich den Schein wahrend, daß sie nicht mehr als literarische Kameraden seien, welche die verwandte Lebensaufgabe zusammenführte. In Wahrheit wußte Annette jetzt, daß sie Levin Schücking liebte; nicht nur als sein Mütterchen, seine Freundin, seine Schicksalsschwester, sondern so, wie eh und je die Frau den Mann liebte: mit ihrem ganzen, unzertrennlichen Sein. Aber sie wußte auch und machte es sich unerbittlich klar, daß über dieser Liebe das flammende Gebot "Verzichten!" stand und weder eine Verbindung vor der Welt noch eine sich um die Welt nicht kümmernde Vereinigung möglich war. Nicht nur der siebzehn Jahre jüngere Geliebte muß frei bleiben, sondern auch sie selber. Denn über allem, auch über der Liebe, stand ihr das schöpferische Lebenswerk.

Annette arbeitete also mit großem Eifer an ihren Prosaschriften. Sie führte das Buch über Westfalen Bei uns zu Lande auf dem Lande weiter – eine der kraftvollsten Schilderungen deutschen Volkstums – sie half Schücking, wenn er mit seiner Buchfolge Das malerische und romantische Westfalen nicht zurechtkommen konnte; sie schrieb große Stücke seiner Romandichtungen; sie führte mit letzter Hingabe ihre Novelle von dem Judenmörder Mergel weiter. Alle diese Arbeiten galten der herrlichen Heimat. Nie ist Annette von Droste-Hülshoff westfälischer gewesen als dann, wenn sie fern von Westfalen weilte.

Eigenhändige Niederschrift des Gedichtes ‘Am Turme'.
[288b-c]            [Vergrößern]

Annette von Droste-Hülshoff:
Eigenhändige Niederschrift des Gedichtes
"Am Turme".

(Münster, Westfälisches Literaturarchiv.)

Das Gedicht ist 1842 in Meersburg entstanden und im gleichen Jahre im "Morgenblatt für die gebildeten Stände" veröffentlicht worden. Eine erste Niederschrift mit zahlreichen Korrekturen befindet sich im sogenannten "Meersburger Nachlaß" im Besitz des Frhrn. Clemens von Droste-Hülshoff auf Schloß Stapel.
Am Turme

Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und laß' gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!

Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
Wie spielende Doggen, die Wellen
Sich tummeln rings mit Gekläff und Gezisch
Und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht' ich hinein alsbald
Recht in die tobende Meute,
Und jagen durch den korallenen Wald
Das Walroß, die lustige Beute!

Und drüben seh' ich ein Wimpel weh'n
So keck wie eine Standarte,
Seh' auf und nieder den Kiel sich dreh'n
Von meiner lustigen Warte;
O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
Das Steuerruder ergreifen
Und zischend über das brandende Riff
Wie eine Seemöve streifen.

Wär' ich ein Jäger auf freier Flur,
Ein Stück nur von einem Soldaten,
Wär' ich ein Mann doch mindestens nur,
So würde der Himmel mir raten;
Nun muß ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
Und darf nur heimlich lösen mein Haar
Und lassen es flattern im Winde!

So sehr Levin Schücking die Hilfe Annettens erfreute, so unbedenklich er ihre Kräfte nützte – er verkannte darum ihre eigentliche Begabung nicht. Denn was man gegen seine weltzugewandte, gefügige Natur auch immer sagen mag, niemals ist er der Gefahr erlegen, vorteilsüchtig zu werden. Eines Tages behauptete er mit Nachdruck: nicht in der Prosa, so stark und eigenwüchsig sie sei, liege die tiefste Begabung der Freundin. Annette, die überschätzte, was ihr, wie die Erzählform, Mühe machte, und unterschätzte, was ihr, wie Verse, leicht fiel, widersprach. Sie machte sich anheischig, in den nächsten Wochen einen neuen Gedichtband zu schreiben. Angestachelt durch den Widerspruch des geliebten Freundes, stieg sie in [300] ihr Turmzimmer hinauf und kam gegen Abend mit einem großen Gedicht herunter. So blieb es auch fortan: Tag für Tag entstand ein großes Gedicht; an manchen Tagen genügte eines nicht; zwei, drei Gedichte brachte Annette am Abend Levin Schücking. Eine wahre Springflut von Versen brauste über Annette hin. In wenigen Wochen schrieb sie mehr als ein Halbhundert Gedichte: eines herrlicher denn das andere, das nachfolgende immer wieder das voraufgehende an Großartigkeit, Naturseligkeit und Wortgewalt überbietend; unvergängliche Gebilde, die nun in Tagen, in Stunden nach einem mehr als vierzigjährigen Leben voller Sehnsucht und Entsagen, voller Verlangen und Verzichten, voller Suchen und Irren Annette zur größten Dichterin Deutschlands machten. Da sind einmal die westfälischen Gedichte, Hymnen an die ferne, erste und eigentliche Heimat: "Die Lerche", "Der Weiher", "Die Mergelgrube", "Das Hirtenfeuer", "Das Haus in der Heide", "Der Knabe im Moor", "Im Moose" und manche andere noch. Da sind des weiteren Bodenseegedichte, Rufe, Entrückungen, Verzückungen eines durch das Frauentum beseligten und bewegten Herzens: "Am See", "Am Turm", "Das alte Schloß", "Mondesaufgang" und andere. In einigen Monaten war, wie die Dichterin vorausgesagt hatte, der schicksalentscheidende Gedichtband Annette von Droste-Hülshoffs fertig.

Man hat immer wieder gefragt, wie solches möglich sein konnte. Sofern man bei einem Wunder, das jedes schöpferische Werk bleibt, diese Frage stellen darf, ist zunächst zu sagen: Was Annette jetzt in Wochen aus sich herausdichtete, war vom Schicksal jahrzehntelang in sie hineingedichtet. Sie hatte nicht viel mehr nötig, als alle Türen ihres Herzens weit aufzumachen und die gefangenen Lebewesen, die schon oftmals mit den Ketten geklirrt hatten, in die Freiheit hinausgehen zu lassen. Weil dadurch aber nur die Fülle der westfälischen Heimatgedichte begreiflicher – wenn auch nicht begreiflich – gemacht ist, keineswegs jedoch die überwältigende Zahl der Bodenseegedichte, ist weiter zu antworten: Wenn es eine Menschenmacht war, die Annette über sich hinaushob, dann war es die Liebe. Im Wettstreit, im Widerstreit mit dem Geliebten wurde Annette wie nie zuvor Dichterin. Sie hat es eines Tages zu Levin Schücking gesagt: "Mein Talent steigt und stirbt mit deiner Liebe; was ich werde, werde ich durch dich und um deiner willen." Der erste Teil dieses Wortes hatte sich erfüllt: Annettes Dichtertum war durch die Liebe in ungeahnte Höhen gestiegen.

Es erfüllte sich aber auch der letzte, schmerzliche Teil dieser Vorhersage. Die Liebenden lebten in dem zweiten Winter ihrer Gemeinsamkeit nicht mehr wie im Rüschhaus auf einer einsamen Insel, sondern inmitten der Menschen. So mußten sie das "Du" und "Dein" der vertrauten Stunden verbergen. Schücking war der "Herr Bibliothekar", der Angestellte Laßbergs, Annette das "gnädige Reichsfräulein". Der Frau fiel die Verheimlichung leichter als dem Mann. Levin jedoch fühlte sich zurückgesetzt, verkannt, verleugnet. Da er unter dem Schicksal, als Paria der Liebe behandelt zu werden, je länger desto mehr litt, Schwäche sah, wo Rücksicht waltete, Feigheit vermutete, wo Festigkeit die Haltung bestimmte, Heuchelei [301] nannte, was Überlegenheit war, Freiheit forderte, wo Achtung vor dem Gesetz geübt wurde, so kam es zu Auseinandersetzungen, bei denen harte Worte fielen. Da letzte Vereinigung nicht sein konnte, weil der Weg Annettens in andere Richtung, zu größeren Höhen führte als der Schlängelpfad Levins, war die Trennung unvermeidlich. Im Frühling 1842 nahm Schücking eine Stelle als Hauslehrer an. Er ging nicht fort, weil er eine bessere Stellung gefunden hatte, sondern er hatte sich eine andere Stellung verschafft, weil er von Annette fortgehen wollte. Nach sechs Monaten verließ Levin Schücking die Meersburg.

Annette brach zusammen. Erst einen Monat später schrieb sie dem entflohenen Geliebten den ersten Brief; nicht einen Brief der Verzweiflung und der Anklage, sondern der Herzlichkeit und der Hoffnung. Damit hob der Briefwechsel zwischen Annette und Levin an: uferlos, unendlich, häufig die Briefe von ihrer Seite, Berichte über Arbeit, Bekannte, Verwandte, und immer wieder Liebe, lautere Liebe; abgegrenzt, karg, selten von seiner Seite, Mitteilungen über literarische Verbindungen und Erfolge die Hauptsache, kaum je Worte der Freundschaft, geschweige denn der Liebe.

Im Frühling 1842 hatte Levin die Meersburg verlassen; im Frühling 1843 schrieb er der zurückgebliebenen Geliebten, daß er sich verlobt habe, und zwar mit Louise von Gall, einer Waise aus freiherrlichem Geschlecht, die er nie gesehen, sondern sich durch einen Briefwechsel erschrieben hatte. Levin erwartete, daß die verlassene Freundin an seinem Liebesglück durch Mitfreude teilnähme. Und Annettens großes Herz leistete, was von ihr gefordert wurde. Als freilich im Mai des Jahres 1844 Schücking mit seiner Gattin an den Bodensee reiste, da begegnete ihr der Freund zwar immer wieder einmal, wenn auch nur für Minuten und Sekunden, in alter Weise. Zu der Frau des Geliebten aber führte sie kein Weg. Da Levin auf die Seite seiner Lebensgefährtin trat, wurde das Wiedersehen zum eigentlichen Scheiden.

Der Trennung folgte die Trübung, dem Meiden das Mißverstehen. Weil beim Erscheinen von Schückings Roman Die Ritterbürtigen sich in Westfalen ein noch größerer Sturm der Entrüstung einstellte als bei Annettens Bilder aus Westfalen und diese beschuldigt wurde, ihm das Material für seine "Schmähschrift" geliefert zu haben, erhob sie sich wider ihn und schlug – nun ebenso maßlos in ihrem Haß wie einst in ihrer Liebe – mit Briefworten in überharter, ungerechter Weise zu.

Schücking ließ sich jedoch weder in seiner Verehrung für den Menschen noch in seiner Hilfe für die Dichterin beirren. Durch seine Vermittlung erschienen im Jahre 1844 in dem größten Verlage Deutschlands, bei J. G. Cotta in Stuttgart, die Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff. Da bereits durch die Erzählung von dem Totschläger Friedrich Mergel in Cottas weitverbreitetem Morgenblatt – jener zu der allerdichtesten deutschen Prosa gehörigen Novelle, welcher der Redakteur Hauff eigenmächtig den Titel Die Judenbuche gegeben hatte – der Bann ge- [302] brochen war, so machte diese, allerdings ungewöhnlich reichhaltige Verssammlung Annette mit einem Schlage berühmt. Sogar die Familie, eingeschlossen die Mama, fing an, auf die "Schreibereien" einer Droste-Hülshoff stolz zu werden. Der Ruhm war da. Aber er kam auch zu dieser Dichterin, nach ihren eigenen Worten, als Leichenhuhn geflogen.

Denn fortan ging Annette als lebendig Tote über die Erde. Zwar konnte sie sich von dem Honorar Cottas das Fürstenhäusle, ein vor den Toren Meersburgs gelegenes Rebhäuschen, kaufen. Niemals waren die äußeren Bedingungen fürs Dichtenkönnen so günstig gewesen wie jetzt. Aber das Dichterherz hatte seine Antriebskraft verloren. Wohl schrieb Annette noch manche Gedichte, sogar einige gute. Aber alles war jetzt Nachklang, Widerklang, Echo aus einem früheren Leben. Wohl nahm Annette ihre Prosaarbeiten wieder auf. Aber sie führte nichts mehr zu Ende, nicht die "Ledwina" aus langvergangenen Tagen, nicht die angefangenen jüngeren Erzählungen. Wohl bemühte sie sich um das Werk ihrer Werke "Das Geistliche Jahr". Aber sie vollendete auch dieses nicht. Zwei Gedichtbände – ein schmaler, ungeschickt zusammengestellter und ein umfänglicher, der eine Fülle unvergänglichen lyrischen Gutes enthält – das ist alles, was Annette der Öffentlichkeit übergab. Drei Jahre nach ihrem Tode ließ Schlüter das Fragment des "Geistlichen Jahres" hinausgehen. Erst zwölf Jahre nach dem Tode folgte, durch Schücking herausgegeben, die Nachlaßsammlung Letzte Gaben. Der verstoßene, später milder beurteilte Freund veranstaltete 1878 auch die erste der Gesamtausgaben, deren Zahl heute unübersehbar ist.

Annette war während der letzten Lebensjahre fast immer krank. Der Kopfschmerz verließ sie kaum mehr. Die Brust schmerzte wie in der Jugend, da sie die Auszehrung hatte und der Tod schon vor der Türe stand. Ihre Empfindsamkeit steigerte sich oft bis zur unerträglichen Gereiztheit. Mehrere Male weilte sie trotzdem noch in Westfalen. Als sie selber todkrank im Rüschhaus und zu Hülshoff daniederlag, ließ sie sich an den Bodensee bringen. Dort flackerte ihr Lebenslicht noch einmal auf. Aber es war das letzte Erglühen vor dem völligen Erlöschen.

Am 24. Mai des Revolutionsjahres 1848, das seine Wellen bis in die Meersburg warf, ist Annette verschieden. Allein – von keinem Menschen betreut, beweint, bebetet – hat das leidenschaftliche Herz der größten deutschen Dichterin seinen letzten Schlag getan. Zwei Tage darauf wurde, was sterblich an ihr war, auf dem hochgelegenen Friedhof zu Meersburg, der – um ihres Werkes und ihres beispielhaften Seins willen – heute ebenso eine deutsche Wallfahrtsstätte ist wie ihr Fürstenhäusle und die Meersburg, dem ewigen Frieden übergeben. Was sie – der Heimat getreu, ihrem Werk leidenschaftlich ergeben, Gott dienend, zu unermeßlichen Opfern bereit – geschaffen hat, wird, solange Deutschland besteht, nicht vergehen.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz