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Sie alle bauten Deutschland.
Ein Geschichtsbuch für die Volksschule.


Von 1841 bis Adolf Hitler (Teil 1)

Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Man schreibt das Jahr 1841. Über die Insel Helgoland flattert die englische Fahne. Ein schwacher Westwind treibt die Wellen gegen die Klippen. Die roten Felsen leuchten im warmen Schein der Mittagssonne. Im heißen Sand des Strandes spielen flachshaarige Kinder. Auf dem grünen Oberland stehen die Häuser der friesischen Fischer.

Vor einer kleinen Wirtschaft sitzen eine Anzahl Herren. Es sind zumeist englische Kaufleute und Offiziere. Doch auch einige Deutsche befinden sich in der Gesellschaft, unter ihnen Heinrich Hoffmann aus Fallersleben, der derzeitig Professor an der Universität zu Breslau ist. Er hört kaum zu, als die Engländer prahlerisch von ihrem Weltreich sprechen. In allen Erdteilen sind sie zu Hause.

Er aber, der geborene Hannoveraner, denkt mit tiefer Bitterkeit daran, daß er vor einigen Tagen innerhalb von vierundzwanzig Stunden seinen Geburtsort verlassen mußte. Noch klingen ihm die Worte des königlichen hannoverschen Beamten in den Ohren: "Auf Grund dreier Vergehen sieht sich Seine Majestät, der König von Hannover, gezwungen, Sie des Landes zu verweisen: Sie haben öffentlich für die sieben Professoren aus Göttingen, die die Regerung unseres Landesfürsten getadelt haben, Partei ergriffen; Sie haben aufreizende Spottlieder gedichtet auf die Regierungen, und endlich haben Sie in Wort und Schrift die Jugend für eine deutsche Einheit begeistert. Sie mußten als Professor wissen, daß dieses Ziel nur erreichbar ist, wenn die von Gott
Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Heinrich Hoffmann von Fallersleben
[Bilderarchiv Scriptorium]
eingesetzten Obrigkeiten, unsere Landesfürsten, verschwinden." Wie aus einem Traum wacht Hoffmann aus seiner Versunkenheit auf. Er kann die Reden der stolzen und selbstbewußten Engländer nicht mehr mit anhören. Mit einem kurzen Gruß verabschiedet er sich.

Bald sieht man den bisher schweigsamen Professor mit langen Schritten an der Steilküste entlang wandern. Heinrich Hoffmann redet laut mit sich selbst. Hier kann er sprechen von des Vaterlandes Not. Kein Polizist schnüffelt auf der stillen Nordseeinsel umher, um ihn wegen eines unbedachten Wortes ins Untersuchungsgefängnis zu schleppen, wie es überall in den vierunddreißig deutschen Ländern, den Königreichen, den Großherzog- und Herzogtümern, den Fürstentümern und Freien Städten, die seit dem verruchten Wiener Kongreß Deutschland bilden, geschieht.

Diese schmähliche Behandlung ist der traurige Dank der vielen "Landesväter" für den Einsatz im Freiheitskampf von 1813. Damals war das deutsche Volk zum Krieg gegen Napoleon angetreten, es hatte ein großes Deutschland erhofft, hatte für diese Sehnsucht ruhmreich gefochten, gelitten und geblutet. Nichts war aus diesen Hoffnungen geworden! Im Gegenteil, gleich nach der Niederringung des französischen Kaisers waren die Fürsten in Wien zusammengekommen und hatten das deutsche Land so verteilt, wie es ihren Wünschen entsprach. An das Volk wurde nicht mehr gedacht. Es wurde betrogen um die politische Einheit und um das einige, große und machtvolle Reich. Voller Zorn denkt der Breslauer Professor an den österreichischen Minister, den Fürsten Metternich, der sich der deutschen Einigung am schärfsten widersetzte. Auf sein Betreiben hin wurde jeder Deutsche, der den Gedanken der deutschen Einheit aussprach, verfolgt und ins Gefängnis geworfen. Doch in den Herzen der besten Männer brennt die Sehnsucht weiter, besonders bei dem aus seinem Heimatlande ausgewiesenen Professor Heinrich Hoffmann.

Klar und deutlich erkennt er das Grundübel seines Volkes: es fehlt die Einigkeit.

Da quillt es plötzlich aus seiner Seele hervor, und Worte formen sich wie von selbst zu einem Lied:

      "Deutschland, Deutschland über alles,
      Über alles in der Welt;
      Wenn es stets zu Schutz und Trutze,
      Väterlich zusammenhält..."

Vers reiht sich an Vers; und bald ist auch die letzte Strophe vollendet:

      "Einigkeit und Recht und Freiheit
      Sind des Glückes Unterpfand.
      Blüh im Glanze dieses Glückes,
      Blühe, deutsches Vaterland!"

 
Alfred Krupp

Während in den Häusern der Stadt Essen schon längst alle Lampen erloschen waren, brannte vor dem Limbecker Tor in der kleinen Eisengießerei, die der Familie Krupp gehörte, noch immer in einigen Räumen Licht.

In dem einen Raum saß die verwitwete Frau Therese Krupp über den Geschäftsbüchern, deren Führung ihr der sechzehnjährige Sohn Alfred überlassen hatte. Sie war todmüde, aber sie konnte diese Schreibarbeiten ihrem Ältesten nicht aufbürden. Es war ja ohnehin ein Wunder, wie tapfer und selbstverständlich der Junge vor zwei Jahren beim Tode des so früh verstorbenen Vaters die Leitung der Fabrik mit ihren sieben Arbeitern übernommen hatte. Vierzehn Jahre war er alt gewesen, vierzehn Jahre! Seine Kameraden hatten damals noch gespielt und sich ihrer Jugend gefreut. Alfred Krupp arbeitete. Ob er etwa noch im Werk steckte?

Sie schlug ein Wolltuch um die Schultern und ging hinüber zur Gießerei. Als sie die Tür öffnete, sprühten ihr aus den Schmelzkesseln glühende Funken entgegen. Eine erdrückende Hitze herrschte in dem Raum, und die Luft roch nach Gasen.

Richtig, vor einem Kessel, in dem die Metallmasse weißglühend brodelte, stand ihr Junge und wandte kein Auge von der Mischung. Es griff der Frau ans Herz, als sie sah, wie schmal ihr Sohn war, wie übernächtigt er aussah! Leicht legte sie die Hand auf seine Schulter; der junge Mensch fuhr herum, mit brennenden Augen schaute er die Mutter an. "Es wird, Mutter, es wird, die neue Gußprobe ist besser als alle früheren. Meine Mischungsberechnungen stimmen. Unser Stahl, glaub's mir, wird besser als alle anderen Sorten." - "Es ist wahr, Frau Krupp", bestätigte der alte Werkmeister, der hinzutrat. Die Frau gab ihm die Hand. "Ich glaube es; aber seid ihr nicht bange, daß die Arbeiter nicht manches verraten? Wir können ihnen doch nicht allzu hohe Löhne zahlen." - "Nein!" wie aus einem Munde klang ihr die Antwort entgegen, "unsere Arbeiter, Mutter, haben schon bei Vater gedient, nun ist es auch ihre Ehre, wenn unser Werk gelingt." - "Wird es dir auch nicht zu viel?" fragt besorgt die Mutter. "Lassen Sie nur, Frau Krupp", beruhigte der treue Werkmeister, "der junge Herr ist unverwüstlich wie unser Stahl."

Allmählich ging es mit der Fabrik aufwärts, zunächst allerdings nur langsam und schwer. Als ein Dutzend Jahre vergangen waren, stellten die Kruppschen Arbeiter die verschiedenartigsten Stahlwaren her. Um sie zu verkaufen, unternahm der jetzt achtundzwanzigjährige Fabrikherr Geschäftsreisen in viele Städte Deutschlands. Sogar die Hauptstädte Europas besuchte er, um seine Waren anzubieten. Stets kam er mit neuen und größeren Aufträgen zurück.


1851 fand in London die erste Weltausstellung statt, auf der auch die Stahl- und Eisenwerke aller Länder Proben ihrer Erzeugnisse zur Schau stellten.

Über einem der Ausstellungsstände hing ein Schild mit der Aufschrift: Alfred Krupp, Essen, Germany! Neben Eisenbahnschienen, Bandreifen und Schiffsschrauben befand sich dort eine Kanone aus blankem blitzendem Stahl. "Deutsche Waren", lächelten geringschätzig die Engländer, wenn sie die Aufschrift bemerkten. Denn sie hatten sich bislang eingebildet, nur England könne guten Stahl erzeugen. Wenn sie aber näher kamen und die ausgestellte Kanone eingehend betrachtet hatten, machten sie doch verdutzte Gesichter. Auch der Gußstahlblock auf dem Tisch erregte jetzt ihre Aufmerksamkeit. Er war so fein, so fest, wie sie noch keinen gesehen hatten, und die Platten und Schienen daneben schienen ebenfalls nicht aus Pappe zu sein. Immer mehr Besucher fanden sich ein. Die vornehmen Herren, unter ihnen der König von England und viele andere Fürsten, hielte ihr Stielglas vor die Augen, musterten das Geschütz und die einzelnen Stahlwaren, betrachteten den schlichten Mann, der daneben stand, und waren auf einmal lebhaft interessiert. Als dann die Gegenstände auf ihre Härte, ihre Festigkeit, ihre Haltbarkeit geprüft wurden, stellte es sich heraus, daß die Stahlwaren von Alfred Krupp aus Essen viel besser als alle anderen, fester sogar als die englischen Stahlgegenstände waren. Das Geschütz erhielt sogar den ersten Preis. Alfred Krupp war mit einem Schlage ein berühmter Mann.

Bei der Abschiedsfeier kam es mehrfach vor, daß reiche englische Hüttenbesitzer sich zu ihm setzten, sehr freundlich taten und auf einmal sagten: "Hören Sie einmal, Herr Krupp. Wollen Sie uns nicht verraten, wie Sie Ihren hochwertigen Stahl herstellen? Wir zahlen Ihnen sehr viel für Ihre Erfindung." Doch ruhig erwiderte der Deutsche: "Danke, meine Herren, das Geheimnis meiner Stahlbereitung verrate ich nicht." Mit langen Gesichtern entfernten sich die Herren.


Lange hielt es Alfred Krupp jedoch bei diesen Feierlichkeiten nicht aus. Er begab sich deshalb bald auf das Zimmer seines Hotels, bestellte eine Flasche Wein, um für sich allein den Erfolg seinen Fleißes zu feiern.

Seine Gedanken traten eine lange Reise in die Vergangenheit an. Da stand sein Vater vor ihm, der Kaufmann und Stahlfabrikant Friedrich Krupp, der wegen fortwährender Geldsorgen frühzeitig gealtert und mit seinen sechsunddreißig Jahren wie ein Fünfzigjähriger ausgesehen hatte. Die Geburtstagsfeiern der Kinderjahre wurden lebendig. Das schönsten Geschenk dieser Festtage war für Alfred, den ältesten von vier Kindern, stets gewesen, wenn ihm der unermüdlich schaffende Vater wieder etwas mehr von den vielen kleinen Geheimnissen und Künsten verraten hatte, die zur Herstellung eines echten und harten Stahles notwendig sind. Sorgfältig hatte er damals alles in einem schmalen Heft aufgezeichnet.

Nur mühselig war es zu Vaters Zeiten mit dem Werk vorwärts gegangen; mancher Rückschlag hatte den treuen Eltern viele sorgenvolle Stunden bereitet. Zeitweise flogen täglich Mahn- und Drohbriefe ins Haus. Freunde und Bekannte, die dem Vater Geld für die Weiterführung der Fabrik geliehen hatten, baten, verlangten und forderten es zurück.

Der schwerste Schlag für die Familie war aber gewesen, als gerade an seinem zwölften Geburtstage der uniformierte Gerichtsdiener erschienen war und dem Vater eine Urteilsverkündung des Essener Gerichtes überreicht hatte. Dem Großvater Wilhelmi mußten 14.500 Taler und die Zinsen für achtunddreißig Monate zurückbezahlt werden. Weil der Vater das Geld nicht zur Verfügung hatte, verkaufte das Gericht das stattliche Bürgerhaus am Flachsmarkt, und die Familie siedelte über in die unscheinbare Aufseherwohnung neben der Gießerei.

Wenn dieser neue Schicksalsschlag den Vater auch schwer getroffen hatte, so konnte er ihn doch nicht irre machen an seiner Arbeit. Im Gegenteil, mit noch größerem Eifer ging Friedrich Krupp an die Bereitung erstklassigen Stahls heran. Und diese Arbeit hatte er, Alfred, fortgesetzt. Heute war es geschafft! Die Engländer hatten ihm auf der Weltausstellung bestätigen müssen, daß sein Stahl der beste der Welt war. Tiefe Dankbarkeit erfüllte die Seele des Nachdenkenden.

Hochbefriedigt kehrte er am nächsten Tage in die Heimat zurück.

Alfred Krupp
Alfred Krupp, 1870.
[Bilderarchiv Scriptorium]
Das preisgekrönte Geschütz machte Krupp dem preußischen König zum Geschenk. Allerdings konnte sich das Kriegsministerium noch nicht so schnell entschließen, Kruppkanonen zu bestellen.

Erst als es sich 1859 bei einem Probeschießen herausstellte, daß die Kruppschen Geschütze weiter und besser schossen als die bislang aus England gekauften, bestellte der preußische Staat auf einen Schlag dreihundert Gußstahlrohre für die Feldartillerie.

Von jetzt ab entwickelte sich das Werk Alfred Krupps rasch zur Waffenschmiede des Reiches, in der heute Zehntausende von Arbeitern beschäftigt sind.

Doch über allen Erfolgen vergaßen Alfred Krupp und seine Nachkommen ihre treuen Arbeiter nicht. Für sie wurden mustergültige Siedlungshäuser mit schönen Gärten geschaffen.

 
Fürst Bismarck

Vor Sedan

Der Landwehrmann Friedrich Leimecke, der mit den vielen anderen deutschen Soldaten die französische Festung Sedan belagerte, winkte seinen Kameraden: "Kommt her, hier kann uns die Morgensonne schön braten."

Am Grabenrand strecken sie die langen Beine bequem aus. Zu tun gibt es augenblicklich nichts. Waffenrock und Gewehr sind geputzt. Die dicke Erbssuppe mit Speck ist auch schon im Magen, und zum Weitermarschieren wird heute auf keinen Fall geblasen, denn gestern, am 1. September 1870, ist da drüben in Sedan die weiße Fahne gehißt worden. Die Rothosen sind in der Festung gefangen wie die Maus in der Falle. Das sind genug Gründe, um in aller Gemütlichkeit erst einmal eine Pfeife zu rauchen.

Die vier Soldaten blinzeln behaglich in den blauen Himmel und qualmen dicke Rauchwolken in die Luft. "Kinder, Kinder", Leimecke drückt mit dem Daumen den Tabak fester, "es ist ein reines Wunder. Noch nicht mal sechs Wochen Krieg und schon einen französischen Kaiser gefangen!"

"Kunststück", brummte jetzt sein Nachbar Karle, der Berliner, "wo jetzt janz Deutschland jejen den Franzmann marschiert! Hast du denn nicht die Bayern und Schwaben jesehen? Die sind doch jetzt alle mit dabei. Die Sachsen blieben ebenfalls nicht zu Hause." - "Das ist ja das Wunder, worüber ich staune, Karle. Noch vor vier Jahren, als es gegen Österreich ging, haben die Süddeutschen und die Hannoveraner auf uns geschossen. Daß ganz Deutschland jetzt zusammensteht, haben wir wieder nur dem Bismarck zu verdanken. Was meinst du, Professor?" Leimecke gibt dem neben ihm liegenden jungen Lehrer einen Rippenstoß. Der richtet sich auf, und seine hellen, blauen Augen blitzen. "Hast recht, Kamerad. Das hat Bismarck, nur Bismarck fertigbekommen!"

Der riesige Pommer, der am Ende der Reihe liegt, seufzt: "Herrgott von Frankreich, wenn der Hellermann, der Schulmeister, erst mal von Bismarck erzählt, hört er stundenlang nicht auf. " "Halt's Maul, Hannes", rufen die anderen, "ohne Bismarck zankten sich Nord- und Süddeutschland heute noch; wir ständen jetzt nicht mitten in Frankreich, und die Österreicher meckerten noch fortgesetzt in jede Sache dazwischen." Der Pommer schweigt.

"Mensch!" ruft der junge Lehrer dazwischen und tippt vielsagend gegen die Stirne, "hast du denn ganz vergessen, wie es war, ehe unser Bismarck etwas zu sagen hatte? Erst mal bei uns in Preußen! Acht Jahre sind es nur her, seit ihn König Wilhelm zum Ministerpräsidenten gemacht hat." - "Ja, Hellermann", unterbricht ihn der Berliner, "det weeß ick noch janz jenau. Unser König Wilhelm mußte neue Rejimenter haben; aber unsere Volksvertreter, unser knickeriger Landtag, wollte ihm dat Jeld dazu nich jeben. Die feinen Herren hatten Angst, der König würde ihnen zu mächtig. Das jab damals einen jroßen Krach zwischen unserem Wilhelm und dem Landtag. Zweimal hat der König die Volksvertreter nach Hause geschickt. Der König wollte abdanken. Da kam Bismarck und munterte ihn tüchtig auf."

Der Landwehrmann Leimecke nickt ihm zu: "Bismarck hat sich um den Landtag nicht gekümmert und ohne Zögern die neuen Regimenter aufstellen lassen. Weißt du noch, was es damals für ein Geschrei in den Zeitungen gab?" Leimecke zieht an seiner Piepe, "ja, so schrieben sie: der Herr Bismarck wird noch einmal im Zuchthaus Wolle spinnen." Die vier Soldaten brachen in dröhnendes Gelächter aus. "So ein Dussel", bekräftigte der Pommer, "dafür haben schon zwei Jahre später, 1864, die neuen Regimenter die Dänen aus dem deutschen Schleswig-Holstein gejagt, das sie mit aller Gewalt dänisch machen wollten." - "Schade, daß ich damals nicht mit dabei sein konnte", ärgerte sich Hellermann.

"Da hättest du noch mit den Österreichern Seite an Seite gekämpft." - "Weiß ich, Friedrich. Die beiden Staaten zogen damals gemeinsam in den Krieg. Besonders gefährlich war es bei den Düppeler Schanzen. Aber gleich nach dem Friedensschluß ging für Bismarck der Ärger wieder los."

"Nach dem Kriege konnten sich Preußen und Österreich nicht wegen Schleswig-Holstein einigen. Der Kaiser in Wien redete uns dort oben in alle Dinge hinein. Zwei Jahre hat Bismarck sich das mit angesehen und dann", - Hellermann machte eine kleine Pause. - "Kam es zum Kriege!" riefen die anderen. "Da bin ich mit dabeigewesen", warf Leimecke dazwischen und blickte seine Kameraden stolz an, "das wißt ihr ja. Damals, das haben wir schon vorhin gesagt, standen die süddeutschen Staaten gegen uns. Die hatte Österreich gegen uns aufgehetzt. Heute dagegen kämpfen sie mit uns Schulter an Schulter."

Bismarck
Fürst Bismarck.
[Bilderarchiv Scriptorium]
Schweigend hingen die Männer ihren Gedanken nach. "Ist doch wirklich ein verteufelt kluger Kerl, dieser Bismarck", begann der Berliner nach einem Weilchen, "nachdem er die Länder alle besiegt hat, behandelt er sie wie mit Sammethandschuhen. Der aus vielen Völkern zusammengesetzte österreichische Staat schied endgültig aus dem Deutschen Bunde aus und wurde ein selbständiges Kaiserreich. Den meisten Staaten wurde kaum ein Haar gekrümmt." - "Ich finde das dumm", entgegnete Hannes, "mich hätte Bismarck den Frieden von 1866 machen lassen sollen. Ich hätte ihnen schon gründlich Land und Kriegsentschädigung abgeknöpft."

"So, Hannes!" fallen die Kameraden über ihn her, "da wären sie ewig deine Feinde geworden. Dafür sind jetzt alle deutschen Staaten auf unserer Seite, als Frankreich uns ans Leder wollte." - "Ihr habt recht", gibt Hannes zu, "die Franzosen werden über unsere Einigkeit gestaunt haben."

Die Sonne ist höher gestiegen. Da trabt auf der Landstraße, die von Doncherry nach Sedan führt, ein mächtiger Reiter heran. Er ist tief in Gedanken versunken. Er reitet dem französischen Kaiser entgegen, der mit ihm wegen günstiger Friedensbedingungen verhandeln will, denn er ist Bismarcks Gefangener. "Ja, so schnell ändern sich die Geschicke der Menschen! Vor zwei Monaten war dieser Kaiser Napoleon III. noch auf der Höhe seiner Macht", denkt Bismarck, "als die Spanier einen Hohenzollernfürsten als König haben wollten, mischte er sich ein."

Der Ministerpräsident ist heute noch empört darüber, was dieser übermütige Franzose verlangt hat. Sein geliebter Herrscher, sein König, sollte sich sogar noch entschuldigen. Nein, ihr Franzosen, das läßt die deutsche Ehre nicht zu. Aus des Königs Telegramm aus Ems hatte er die wichtigsten Sätze veröffentlicht - und ganz Deutschland, von Süd bis Nord - ist aufgestanden in heller Empörung gegen die französische Anmaßung.

Gleichmäßig trabt das Pferd. Dankbar gedenkt der Reiter seiner Mitarbeiter Moltke und Roon. Sie haben den Feldzug klug geleitet. Unten im Elsaß liegen deutsche Truppen; hier bei Sedan vernichten sie jetzt Frankreichs zweite Armee.

In der Ferne erscheint ein Wagen; französische Offiziere begleiten ihn. Einen Augenblick lang stutzt der Graf. Acht gegen einen? Aber dann richtet er sich hoch auf, seine durchdringenden Augen suchen den Kaiser der Franzosen.

Höflich grüßt er den Gefangenen, und bald sitzt er ihm in einem kleinen Weberhäuschen gegenüber; aber bei aller Höflichkeit muß der Preuße alle Bitten des Franzosenkaisers um milde Friedensbedingungen ablehnen; auch zu seinem König kann er ihn nicht bringen.

Dann sitzen die beiden Männer im Freien. Der Kaiser kann die Zimmerluft heute nicht vertragen. Aus der Ferne schauen deutsche Soldaten herüber. Auch die vier aus dem Graben sind dabei. "Ja, unser Bismarck! Ohne den stünden wir heute nicht hier", meint Hellermann. Alle stimmen ihm bei.

 
Die Gründung des Bismarckreiches

Das Bismarck-Reich
Das Bismarck-Reich.
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"Leutnant von Parchim!" Die scharfe Stimme des Bataillonskommandeurs klingt über den Platz. "Sie haben auf Grund Ihrer besonderen Tapferkeit vor dem Feinde die hohe Ehre, als Abordnung unseres Regiments an der Kaiserproklamation teilnehmen zu dürfen." Dem jungen Offizier, dessen Brust das Eiserne Kreuz schmückt, schlägt vor Freude das Blut flammend ins Gesicht. Nach Versailles, den Kaiser sehen - und Bismarck!

Am 18. Januar 1871 steht der erst zwanzigjährige Offizier in dem prunkvollen Spiegelsaale des Versailler Schlosses. Neben von Parchim stehen Abordnungen aller Regimenter aus allen Truppenteilen der Front. Manchmal schreitet ein General durch den Saal; dann reckt sich der blutjunge Leutnant auf. "Ist es Bismarck?" - "Da, Moltke, der Chef des Generalstabes!" Er sieht einen hochgewachsenen strammen Offizier mit energischem Mund und scharfgeschnittenem Kopf. Nach den Plänen dieses Heerführers siegten die deutschen Soldaten in Frankreich. Dankbar blicken die Offiziere dem Feldherrn nach.

Jetzt hallt ein harter und fester Schritt durch den weiten, festlich geschmückten Raum. "Da ist er, Bismarck!" Der junge Leutnant preßt vor Erregung die Hände zusammen und wendet kein Auge von ihm. Ja, so hat er sich ihn vorgestellt; so mächtig, so groß wie ein Riese aus der Vorzeit. Aber das Gesicht des Ministerpräsidenten ist undurchdringlich; Sorgenfalten sind eingegraben. "Das machen die schlaflosen Nächte, die Mühen und Sorgen", denkt der junge Mensch, "du hast es nicht leicht gehabt als Staatsmann."

Die Flügeltüren werden aufgerissen. Der preußische König erscheint, hinter ihm die deutschen Fürsten und, wie ein Wald, die Fahnen der Regimenter.

An den Stufen des großen Mittelfensters hält der König. Seine Begleiter stellen sich um ihn. An der einen Seite ragen blutgetränkte Fahnen und Standarten der deutschen Truppen empor; grüner Lorbeer schmückt ihren Schaft. Ihre Adler funkeln im Licht der Sonne.

Kaiserproklamation
Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles.
[Bildarchiv Scriptorium]
Eine kurze Predigt der Feldgeistlichen leitet die Feier ein. Ein Dankchoral erklingt. Atemlose Stille liegt dann in dem Saal, bis König Wilhelm zu reden beginnt. Er wendet sich zu den Fürsten: "Ich erkläre mich bereit, die Kaiserkrone, die die Fürsten Deutschlands mir angeboten haben, anzunehmen."

Er liest noch manche Worte von einem großen Blatt ab, das ihm Bismarck gereicht hat.

Nun tritt Bismarck vor und verkündet die Worte des Königs "An das deutsche Volk!" Die Männer im Saale lauschen atemlos, und in ihren Herzen wacht unbändiges Glück auf. Endlich ist Deutschland einig!

Als nach Bismarcks Worten der Großherzog von Baden einige Schritte vortritt und ausruft: "Es lebe die Majestät, der Kaiser Wilhelm!" brechen alle in brausende Jubelrufe aus, die kein Ende nehmen wollen.

Dem jungen Leutnant rollen ein paar Tränen, Freudentränen, über die Wangen. Verstohlen will er sie fortwischen; aber als er sieht, daß auch die Augen seiner älteren Kameraden feucht sind, schämt er sich nicht mehr. So eine Stunde erlebt man nur einmal in seinem Leben! Zu groß war die Sehnsucht, die in dieser Stunde eine Erfüllung fand.

Gespannt blickt der junge Offizier wieder hin zu Wilhelm, seinem Kaiser Wilhelm. Der greise Herrscher schreitet die Stufen hinab. "Ach, jetzt will er denen danken, die mithalfen, diese Stunde zu schaffen", denken alle. Ehrhard von Parchim möchte mit dabei stehen, möchte die guten Worte hören, die der Kaiser jetzt gleich zu Bismarck, dem Schmied des Reiches, sprechen wird. - Doch, was ist das? Kaiser Wilhelm gibt allen, die um ihn stehen, dankbar die Hand; nur Bismarck läßt er unbeachtet, ihn trifft nicht einmal ein Dankesblick. Es muß den mächtigen Mann in tiefster Seele getroffen haben. Ehrhard bemerkt wohl, wie seine Hand, die noch die Proklamation hielt, zuckte; aber schon hat sich der eiserne Kanzler wieder in der Gewalt.

Dann ist die Feier beendet. Tagelang grübelt der Soldat über dieses Erlebnis nach.

Bismarck selbst hätte es ihm erklären können: es war ihm nicht gelungen, für Wilhelm I. den Titel "Kaiser von Deutschland" durchzusetzen. Der Bayernkönig gestattete nur: "Deutscher Kaiser"! Darüber zürnte der Kaiser seinem Kanzler.

Aber bald merkte Leutnant von Parchim an vielen Dingen, daß der Kaiser sich wieder mit Bismarck ausgesöhnt hatte. Die beiden gehören zusammen, und Kaiser Wilhelm I. wußte genau, was sein Kanzler war:

der Schöpfer des neuen deutschen Kaiserreiches.



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