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Deutsche helfen Rußland
bauen. Der Beitrag der
Deutschen in der Geschichte Rußlands

Teil 11: Der Triumphzug
russischer Musik und Literatur

it ihren Bauern und Handwerkern und schon lange vor Katharina mit Ingenieuren, Ärzten, Wissenschaftlern, Soldaten und Diplomaten hatten die Deutschen zu Wohlstand und Größe Rußlands beigetragen. Ein einseitiges Geben der Deutschen zum Wohle Rußlands! Auf kulturellem Gebiet, namentlich in Musik und Literatur, sollte jedoch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine gegenseitige Beeinflussung und Befruchtung erfolgen. So wie maßgebende russische Kreise, nicht zuletzt wegen der deutschen Abstammung der höchsten Würdenträger, sich vorwiegend mit deutscher Kultur beschäftigt hatten, so begierig griffen die Deutschen nun nach der ihrem Volkscharakter offensichtlich so nahe stehenden neuen Musik und Literatur aus dem Osten. Besonders die Musik Glinkas brachte verwandte Seelenbereiche in beiden Völkern zum Schwingen.

Der 1804 geborene Michail Iwanowitsch Glinka war zunächst Pianist. Er gab eine gesicherte Stellung auf, um auf ausgedehnten Studienreisen durch die Weiten des Landes dem russischen Volkslied nachzuspüren. Dann findet man ihn in Italien und Deutschland, wo er besonders von der Musik der Romantiker beeindruckt ist. Der "Freischütz" von Carl Maria von Weber wird für ihn Vorbild für sein späteres Schaffen. In Berlin studiert er bei Siegfried Dehn - einem zum Musikwissenschaftler gewandelten Juristen - Komposition, Harmonie und Kontrapunkt. Hier holt er sich das Rüstzeug für seine volkstümliche Opernmusik. Berühmtheit erlangt er durch seine Oper "Ein Leben für den Zaren" (Iwan Sussanow), die zur russischen Nationaloper wird. Es ist die Geschichte eines russischen Volkshelden, das Selbstopfer eines einfachen Bauern aus der Zeit der Demütigung und Unterdrückung durch die verhaßte polnische Besatzung. Das Libretto hatte der deutsch-baltische Baron Georg von Rosen geschrieben, der Glinka auch Zugang zum Zarenhof verschaffte. Beide sprachen perfekt Deutsch, nicht gerade verwunderlich am Hofe Nikolaus I., der mit einer Tochter Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise, dem "Engel Preußens" vermählt war. Alle sieben Kinder aus dieser Ehe waren wieder mit Deutschen verheiratet.

Glinka hatte der volkstümlichen russischen Oper zum Durchbruch verholfen. Ihm folgten weitere bedeutende russische Komponisten wie Borodin, Mussorgsky, Rimski-Korssakow und Tschaikowsky, dessen Musik jedoch mehr westlichen Einfluß verrät. Mussorgsky hatte mit seinem "Boris Godunow", nach einem Text von Puschkin und Karamsin, die russische Oper zu einem weltweit anerkannten glanzvollen Höhepunkt geführt. In neuerer Zeit konnten hervorragende Sinfoniker wie Strawinsky, Schostakowitsch oder Chatschaturian im Westen und insbesondere wieder in Deutschland vor einem dankbaren Publikum eingeführt werden. Auch die russischen Volkslieder, von prachtvollen Bässen oder berühmten Kosakenchören vorgetragene oft schwermütige, ans Herz greifende Melodien, fanden in Deutschland begeisterte Zuhörer. Nicht unwesentlich trugen dazu die typisch russischen Instrumente bei, besonders die Balalaika mit ihrem eigentümlich-melancholischen Reiz.

Die Literatur Rußlands wurde durch seinen 1799 geborenen, vielleicht größten Dichter Alexander Sergejewitsch Puschkin bekannt. Das Interesse an seinen Werken war in Deutschland so groß, daß diese schon bald fast sämtlich in deutschen Übersetzungen erschienen. Puschkin, zu dessen Hauptwerken "Eugen Eunegin", "Boris Godunow" und "Poltawa" zählen, bediente sich eines poetischen Realismus. Er war der eigentliche Schöpfer der russischen Schriftsprache und Literatur, insbesondere der Lyrik. Als vielseitiger und genialer Künstler endete sein kurzes und oft tragisches Leben 1837 bei einem Duell in eisiger Winterkälte, nachdem er sich mit seinen beißenden Kritiken an den Höflingen erbitterte Feinde geschaffen hatte.

Neben Puschkin wirkte Nikolai Gogol mit seinen realistischen Novellen, darunter Der Zauberer oder der zu einem Hollywoodfilm verarbeitete Taras Bulba, den Kampf eines Kosakenhetmanns gegen arrogante und aggressive Polen verherrlichend. Spätere russische Schriftsteller übten gleicherweise eine faszinierende und bis auf den heutigen Tag anhaltende Wirkung auf den deutschen Leser aus, darunter Turgenjew, Tschechow und natürlich Tolstoi und Dostojewsky, deren Werke zur Weltliteratur zählen.

Doch auch der deutsche Einfluß auf das literarische Schaffen Rußlands blieb weiterhin wirksam. Einer der damals bekanntesten und meistgelesenen deutschen Dichter war der Theaterkritiker August von Kotzebue, der sein Leben lang zwischen Deutschland und Rußland hin und herpendelte und dessen Leben 1819 durch den Dolch eines Theologiestudenten ausgelöscht wurde, weil man ihn geheimer Machenschaften und des Verrats an seinem Vaterland beschuldigte.

Kotzebue schrieb in seinem bewegten Leben nicht weniger als 206 Theaterstücke. Er war zu seiner Zeit sogar populärer als Goethe oder Schiller. Mit Kotzebue zusammen fand sich eine ganze Palette von Katharina herbeigeholten Koryphäen aus dem deutschen Geistesleben in Petersburg, darunter auch der Oberst Maximilian von Klinger. Von ihm stammt das Drama "Sturm und Drang", wonach eine ganze Epoche ihren Namen erhielt. Katharina selbst hatte mehrere Theaterstücke geschrieben.

Unter der von Zar Pauls I. Polizeiapparat ausgeübten despotischen Zensur wurde Kotzebue gänzlich unerwartet und ohne Begründung nach Sibirien verbannt. Aber als der Zar Kotzebues Drama "Der alte Leibkutscher Peters III." gelesen hatte, war er so begeistert, daß er Kotzebue umgehend begnadigte und sogar mit einem Landgut in Estland beschenkte. Gleichzeitig ernannte er ihn zum Hofrat und Direktor des deutschen Theaters in Petersburg.

Kotzebues in Rußland verbleibende Kinder wußten das Ansehen ihres Vaters noch weiter zu erhöhen. Fünf seiner sieben Söhne leisteten dem Staat hervorragende Dienste als Generalstabschef, Entdecker, Seefahrer, Gesandter oder Kunst- und Geschichtsprofessor.

Noch ein berühmter Deutscher soll hier nicht unerwähnt bleiben. Es war schon zu Bismarcks Petersburger Zeit, als der Kaufmann Heinrich Schliemann in der russischen Hauptstadt lebte. Schliemann war ein Sprachgenie. Nach dem Erlernen von sieben Sprachen fügte er Schwedisch und Polnisch hinzu, dazu später noch Griechisch, Latein und Arabisch. Als reicher Mann wurde es nach dem Lesen von Homers "Ilias" sein brennender Ehrgeiz, die Feste Troja zu finden und auszugraben. Vorher löste er noch seine Petersburger Firma und dortigen Bekanntschaften auf und ging nach Paris, um Archäologie zu studieren. Nach Griechenland übergesiedelt, heiratete er eine Griechin und erfüllte dann den Traum seines Lebens. Was andere vor ihm über Jahrhunderte vergeblich gesucht hatten, fand Schliemann, darunter unter Bergen von Schutt auch den Schmuck der schönen Helena, den er seiner Frau um den Hals legen konnte.



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Teil 12: Deutsche und Russen
im Freiheitskampf gegen Napoleon
ie Petersburger Kadettenanstalt zur Ausbildung der jungen Offiziere war mit von deutschen Lehrkräften aufgebaut worden. So konnte es nicht ausbleiben, daß auch in Rußland nicht mehr der bullbeißige Haudegen, sondern wie in Preußen nach dem Vorbild von Clausewitz ein neuer Typ des Soldaten, der Offizier mit vielseitiger Bildung geformt wurde. Es sollte nicht lange dauern, bis diese Offiziere beweisen durften, was sie an militärischem Können aufzuweisen hatten. Napoleon hatte 1806 das auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen ausruhende veraltete preußische Heer bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen. Mit der Ausschaltung Österreichs lag ihm Europa zu Füßen, und so weit seine Macht reichte, "erstickte sie Handel und Wohlstand, die Freiheit der Rede und den Mut der Schriftsteller". (So wurde der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm auf Befehl Napoleons erschossen, weil er es gewagt hatte, die gegen die französische Unterdrückung gerichtete Schrift Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung herauszubringen.)

In den unterworfenen Landen, vor allem aus dem mit wohlwollendem Einverständnis deutscher Fürsten gegründeten Rheinbund, preßte der Eroberer massenweise Truppenkontingente, die ihm bei seinem letzten großen Schlag, der Niederwerfung Rußlands, zu dienen hatten. Aus dem besiegten und brutal unterdrückten Preußen waren etliche der edelsten Patrioten nach Petersburg ausgewichen, wo sie am Hofe des Zaren für die Befreiung ihres Landes und Resteuropas wirkten. Sie stellten u.a. aus deutschen Freiwilligen die deutsch-russische Legion auf. Der bedeutendste Kopf und von Napoleon wegen seiner glühenden Vaterlandsliebe und genialen Reformpläne gefürchtet, war der Freiherr von und zum Stein. Er wurde zum Berater des Zaren. Mit ihm als sein Sekretär war der feurige Freiheitsdichter Ernst Moritz Arndt. Auch der bedeutende Generalstäbler Gneisenau war nach Petersburg gegangen, um den Klauen Napoleons zu entweichen. Carl von Clausewitz, preußischer Generalstäbler und Verfasser des weltbekannten Standardwerkes Vom Kriege, arbeitete ein Neutralitätsabkommen aus, die spätere Konvention von Tauroggen.

Es war der preußische General von Yorck, der, die hirnlose Redensart vom "Kadavergehorsam" des preußischen Offiziers widerlegend, beim Gegenschlag des russischen Heeres entgegen dem Befehl seines Königs das Napoleon unterstellte preußische Korps aus dem aufgezwungenen Bündnis mit den Franzosen löste und damit Kopf und Kragen riskierte. Der russische General Hans von Diebitsch, mit dem er dieses Abkommen schloß, war gebürtiger Schlesier und in der Kadettenanstalt von Berlin-Großlichterfelde erzogen worden.4

Bei den nachfolgenden Befreiungskämpfen zogen wieder fremde Heere plündernd und brandschatzend durch die deutschen Lande, und Deutsche kämpften wie so oft in der Geschichte gegen Deutsche. Die Truppen des Rheinbundes hatten in Rußland entsetzliche Verluste erlitten. Was nicht fiel, kam beim Rückzug in den Eis- und Schneewüsten des russischen Winters vor Kälte und Hunger um. Von den rund 200.000 deutschen Zwangsverbündeten sahen nur wenige ihre Heimat wieder.

Im Zuge der Befreiungskämpfe lernten die jungen russischen Offiziere Deutschland aus erster Hand kennen. Geistig waren sie schon vorher von der Philosophie Hegels und Schellings beeinflußt. Im Kampf, im Biwak oder bei Einquartierungen in deutschen Häusern entwickelte sich vielfach eine echte Kameradschaft zwischen Deutschen und Russen. Sie einigte ein geistiges Band neben dem Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit vom fremden Tyrannen. Die Russen hatten dabei den Deutschen voraus, daß sie nicht mehr für ihre Einigkeit zu kämpfen hatten. Sie kamen aus einem mächtigen Reich, während Deutschland noch immer ein Flickenteppich zumeist lächerlich kleiner und oft rivalisierender Fürstentümer war. Die Jugend Deutschlands, die, zu jedem Opfer bereit, mit ebensolcher Tapferkeit und Begeisterung für ein freies und geeintes Deutschland gekämpft hatte, fühlte sich nach dem Kriege von den Fürsten betrogen und um die Früchte ihres Sieges gebracht. Engherzigkeit und Unterdrückung in den zahllosen "Hoheitsgebieten" bestanden weiter, sichtbar gemacht schon durch eifersüchtig überwachte Grenzpfähle und Schlagbäume!



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Teil 13: Bismarck
und sein Verhältnis zu Rußland
er Mann, der das große Einigungswerk vollbrachte, war ein unbekannter preußischer Junker, der sich nach Jura- und Landwirtschaftstudium als Landtagsabgeordneter durch seine intelligenten Reden und seinen praktischen politischen Instinkt alsbald einen Namen machte. Daß er - im Gegensatz zu heutigen Jammergestalten - ein ganzer Kerl war, bewies er schon als Abgeordneter beim Frankfurter Bundestag, wo es nach heiligem Brauch nur dem österreichischen Gesandten erlaubt war, zu rauchen. Bismarck hatte den Schneid, eben diesen Gesandten, den Grafen Thun, um Feuer für seine Zigarre zu bitten, was dieser ihm auch tief bestürzt reichte.

Über Bismarck urteilt Johannes Haller in seinen Epochen der deutschen Geschichte: "Hier ist er erschienen, der rechte Mann zur rechten Zeit... Die Nation hat ihren Erlöser nicht erkannt; wäre es auf sie angekommen, man hätte ihn ans Kreuz gschlagen und verbrannt. Er mußte sie bezwingen, wie er einst seinen Reitknecht vom Ertrinken gerettet hatte, indem er ihm die Kehle zudrückte... Schwerlich hat jemals ein Staatsmann, ausgenommen vielleicht Richelieu, mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt... Er stand allein. Von denen, die dazu berufen gewesen wären, half ihm keiner, die meisten widerstrebten... Nicht einmal aussprechen durfte er, was er vorhatte. Hätte er es getan, der alte König, sein Herr und einziger Rückhalt, wäre vor so viel Kühnheit erschrocken und hätte ihn fallen gelassen."

Nach acht Jahren Erfahrung im Frankfurter Bundestag, im "Parlament der Professoren", wurde Bismarck im Frühjahr 1859 als preußischer Gesandter nach Petersburg beordert. Er sollte abgeschoben werden, weil der kraftvolle Hüne neidischen und kleinlichen Geistern unbequem war. Bismarck hatte das Glück, den Fürsten Alexander Gortschakow, den führenden Staatsmann Rußlands, von Frankfurt her zu kennen, wo Gortschakow Bevollmächtigter beim Bundestag gewesen war. Der Fürst schätzte Bismarck und führte ihn, obwohl dieser weder hohen Adels- noch militärischen Rang innehielt, in die Petersburger Gesellschaft ein.

Bismarck, der fließend Englisch und Französisch sprach, lernte auch bald Russisch hinzu. Wegen seines Witzes und seiner Schlagfertigkeit öffneten sich ihm als amüsantem Unterhalter bald Tür und Tor bis in die höchsten Kreise. Auch den Zaren hatte er durch sein offenes Wesen bald für sich gewonnen. Alexander II. zeichnete Bismarck betont vor den anderen Vertretern der 39 Staaten des Deutschen Bundes aus, und Bismarck fühlte sich wohl in der warmherzigen Gastfreundschaft der Russen, obwohl er schon damals bei der jüngeren Generation eine gewisse Abneigung gegen Deutschland feststellen mußte.

Schon unter Alexanders Vater, Zar Nikolaus I., hatte es Anzeichen gegeben, daß der seit Peter dem Großen aus Deutschland rührende, stets als Bereicherung empfundene Einfluß einem neu erwachenden russischen Nationalbewußtsein zu weichen begann. Die Partei der "Slawophilen", die sich später sogar in eine förmliche Religion des Panslawismus auswachsen sollte, wollte, losgelöst von westlicher Kultur, nur noch das bodenständige Slawentum gelten lassen. Gar mancher spätere fanatische "Slawophiler", so Leo Sievers, "holte sich an deutschen Universitäten das Rüstzeug für spätere panslawische Polemiken."

Bezeichnend für die den Deutschen eigene, bei anderen Völkern unbekannte Fremdenliebe, war die neue Bewegung auf den Einfluß des deutschen Theologen Johann Gottfried Herder aus Mohrungen in Ostpreußen zurückzuführen. Herder, der ob seiner vielseitigen Bildung von Goethe hoch geschätzt war, wurde weithin bekannt durch seine Stimmen der Völker, was ihn zum "Erwecker der Slawen" machte. Es war Herder, der sich unentwegt für die Emanzipation und eigene nationale Identität der Ostvölker einsetzte, ob Russen, Letten, Esten oder Finnen.

Der von ihm angeregte russische Dichter Chomjakow schrieb: "Rußland, welch wunderbare Erscheinung auf dem Schauplatz der Welt! Welches Land kann sich an Größe mit ihm messen... O Rußland, o mein Vaterland! Dir ist es beschieden, die Entwicklung der Menschheit zu krönen." Chomjakow begnügte sich jedoch nicht mit der sprichwörtlichen Vaterlandsliebe des russischen Menschen. Er forderte weiterhin, daß Rußland sich klugerweise der schöpferischen Kräfte des Westens bedienen solle, um eben diesen Westen beherrschen zu können!

Auch Deutschenhaß und Großmannssucht der Polen dürften nicht zuletzt auf die "selbstlosen", merkwürdig weltfremden Anregungen deutscher Dichter und Denker zurückgehen. Der polnische Haß auf alles Deutsche ist umso unverständlicher, als die Polen, die von den Russen nach den Teilungen offen und brutal unterdrückt wurden, von den Deutschen bzw. von Preußen nur Vorteile erfahren hatten. In typisch deutscher Gutherzigkeit hatte Preußen neue Schulen gebaut, in denen die polnischen Kinder in ihrer Sprache unterrichtet wurden. Die Preußen schafften auch die in Polen noch übliche Leibeigenschaft im Großherzogtum Posen ab, womit sie sich allerdings den unversöhnlichen Haß des polnischen Adels zuzogen. Während Polen in den russischen Teilen unter der Knute seufzten, konnten ihre Umstürzler in Preußen ungehindert und unbespitzelt ihr Wesen treiben.

Um der Ausweisung nach Sibirien zu entgehen, hatten sich Tausende von Polen nach Deutschland gerettet, das sie mit offenen Armen aufnahm. Liberale und Katholiken wetteiferten in ihren Bemühungen um das Wohl der Armen. Die Polenfreundlichkeit wurde zur Polenschwärmerei, überschwappend sogar in Kunst und Musik wie etwa in Millöckers "Bettelstudent". Die Folge war, daß die polnischen Insurgenten, denen die Russen das Handwerk gelegt hatten, unter der ihnen von den Deutschen entgegenbrandenden naiven Sympathiewelle anfingen, neue Aufstände zu organisieren. Über ein von einer Pariser Zentrale ferngesteuertes Unternehmen versuchten sie nun ihr Glück unter den wohlwollenden Augen des preußischen Regimes. Statt sich um eigene Belange zu kümmern, feierte schon damals die deutsche Affenliebe und Bewunderung alles Fremden ihre tragikomischen Erfolge.

Bismarck schrieb dazu: "Die Berliner haben die Polen mit ihrem Blute befreit und dann eigenhändig im Triumph durch die Stadt gezogen. Zum Dank dafür standen die Bewaffneten bald darauf an der Spitze von Banden, welche die deutschen Einwohner einer preußischen Provinz mit Plünderung und Mord, mit Niedermetzelung und barbarischer Verstümmelung von Weibern und Kindern heimsuchten. So hat deutscher Enthusiasmus wieder einmal zum eignen Schaden fremde Kastanien aus dem Feuer geholt."

Der Lyriker Georg Herwegh schrieb seinen Landsleuten ob ihrer schläfrigen Verträumtheit ins Stammbuch:

Laß jede Freiheit dir rauben,
setze dich nicht zur Wehr,
du behältst ja den christlichen Glauben:
Schlafe, was willst du mehr?

Und ob man dir alles verböte,
doch gräme dich nicht zu sehr,
du hast ja Schiller und Goethe:
Schlafe, was willst du mehr?

In den drei Jahren seines Petersburger Aufenthaltes lernte Bismarck Land und Leute kennen. Er verstand es, Beziehungen anzuknüpfen, die ihm später als preußischer Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler so nützlich werden sollten. "Er lebte mit den Russen," schreibt Leo Sievers, "und lernte mit den Russen zu denken.und sie zu verstehen."

Am 24. Mai 1862 holte König Wilhelm Bismarck aus Petersburg zurück und ernannte ihn zum Gesandten in Paris. Dort verbrachte er nur vier Monate, bis ihn der König am 24. September zum Staatsminister ernannte. Damit hatte er die Ausgangsbasis gewonnen, um aus dem preußischen Kernland den Jahrhunderte alten Traum der Deutschen zu verwirklichen: Die Schaffung eines einigen und starken, in der Welt geachteten deutschen Reiches. Es war nicht die von den Streitern der Freiheitskriege ersehnte großdeutsche Lösung. Aber in Anbetracht der vielen damals zu Österreich gehörenden Fremdvölker wäre dem Realpolitiker die Erfüllung dieses Wunsches unmöglich gewesen.


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Anmerkung

4Wolfgang Strauß berichtet in der DMZ vom 19/99, daß von den russische Offizieren und Generalen, deren Gemälde in der Petersburger Galerie hingen, nicht weniger als 332 deutsche Namen trugen. ...zurück...


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