Vom Blutopfer der Deutschen
Österreich-Ungarns im Weltkrieg
Die Darstellung des Ablaufes der Kämpfe vom Beginn der Feindseligkeiten
an der serbischen Grenze bis zum letzten Schuß des Weltkrieges an der
Südwestfront, mit der Schilderung der militärischen [272] Operationen, all der
großen Vormärsche, Rückzüge, der Schlachten und
Gefechte, hat ebenso, wie die Würdigung der Heerführer der
österreichisch-ungarischen Armee durch die Werke Berufener, Eingang in
die weitesten Kreise des deutschen Volkes gefunden. Stets wird jedoch der
Versuch, die Größe des Blutopfers des deutschen Soldaten der
Ostmark und des Sudetengaues während des Weltkrieges dem ganzen
Volke ins Bewußtsein zu bringen, ein nachhaltigeres Bild bei dem einzelnen
zurückzulassen, als dies Statistiken und Darstellungen des Verlaufes der
Feldzugskämpfe vermögen. So mag auch im folgenden die
Schilderung des Ausmaßes jenes Blutopfers der deutschstämmigen
Krieger im Völkerheer der k. u. k. Monarchie an die Stelle
einer chronologischen Aufzählung der kriegerischen Ereignisse vom Jahre
1914 - 1918 treten. Vor allem die Tragik, die den Einsatz nicht nur
der deutschen Regimenter Österreich-Ungarns, sondern des einzelnen
deutschsprachigen Soldaten inmitten tschechischer, polnischer, ruthenischer,
rumänischer und serbischer Verbände umwebt, verdient immer von
neuem des Hinweises, um Zeugnis von den Opfern, die oft genug "auf verlorenen
Posten" vollbracht wurden, abzulegen. Bildeten die Deutschen trotz ihrer
Minderzahl doch das Rückgrat der in den
Juli- und Augusttagen 1914 ins Feld rückenden Armee. Diese Tatsache
vermag dabei keineswegs die Leistungen und die Blutopfer der anderen Nationen
herabzusetzen. Auch sie haben, soweit sie nicht dem Einfluß der politischen
Strömungen in der Heimat, oder der Stimme des gleichen Blutes in den
Reihen der Gegner erlagen, tapfer und opferwillig bis zum letzten Tag des Krieges
gekämpft. Allein die Parole, die in den Augusttagen 1914 das Wort vom
"Existenzkampf" des deutschen Volkes in die Reihen der Kämpfenden
warf, erhob an sich schon die deutschen Soldaten zum moralischen Träger
des Kampfes. Um ihre "Existenz" kämpften neben den Deutschen
eigentlich nur noch die Magyaren. Daß neben diesen beiden Völkern
noch in erster Linie die Kroaten, aber auch die Slowaken, Slowenen und zum
großen Teil auch die Polen, ja selbst tschechische, rumänische,
serbische und italienische Soldaten treu bei der Fahne aushielten, bewies mit
jedem neuen Schlachttag wiederum die schon so oft gewürdigte Kampfkraft
des aus der Tradition und Führung zur unerschütterlichen Einheit
zusammengewachsenen Heeres. Behaftet mit allen Mängeln der
Ausrüstung, ohne Bereitstellung des erforderlichen Ersatzes durch
ausgebildete Reserven, mit dem Drucke der innerpolitischen Spannungen belastet,
trat dieses Heer, vom alten Opfergeist beseelt, den Weg zur letzten
Bewährung, aber auch zum Untergang an. Anderthalb Millionen Soldaten
stellte Österreich-Ungarn in den Mobilmachungstagen des Sommers 1914
ins Feld. Begeistert und umjubelt, nicht der unzureichenden [273] Stärke und
Ausrüstung gedenkend, sondern nur von dem unbeugsamen Willen
getragen, sich nach dem Vorbild der Väter zu schlagen, rückte
Regiment um Regiment, Division um Division in den anbefohlenen
Aufstellungsraum im Nordosten und Südosten.
[283]
Österreichische Kavallerie beim Vormarsch auf den
grundlosen Wegen Serbiens 1914.
(Scherls Bilderdienst, Berlin)
|
Doch schon mit den ersten Schüssen begann der Soldat draußen mit
blutiger Schrift die Ziffern seiner Abrechnung in das Schuldkonto der
Verantwortlichen für die "Versäumnisse" einzutragen. Zählte
doch das Feldheer, dank dieser "Versäumnisse", bei Kriegsbeginn nur
48 Infanterie- und 11 Kavalleriedivisionen. Allein die Russen stellten
dieser Streitmacht in den Augusttagen 1914 bereits 80, dann 130 Divisionen
gegenüber, die sie bis zum Herbst bereits auf 150 Divisionen
erhöhten. Serbien warf den österreichisch-ungarischen Truppen 15
Infanteriedivisionen entgegen. Um den serbischen Gegner erfolgreich
bekämpfen zu können, mußten daher erst 8, dann später
aber sogar 11 Infanteriedivisionen an der Balkanfront bereitgestellt werden. So
blieben für den Aufmarsch in Galizien schon zu Beginn des Krieges nur
mehr 37 Infanteriedivisionen übrig. Zwei Landsturmdivisionen, die sofort
in die erste Linie vorgeführt wurden, mußten hier als erste den
Ausfall an Reservedivisionen ersetzen. Trotz dieser Unterlegenheit warfen sich
die Regimenter der Monarchie, unbeachtet ihrer nationalen Zusammensetzung,
neben den vielfach ohne jedes Maschinengewehr, vor allem aber ohne
entsprechende Artillerie angesetzten Landsturmformationen mit
allbewährter Todesverachtung gegen den überlegenen Feind. Der
wich anfänglich vor den vorstürmenden Armeegruppen Dankls und Auffenbergs eilig zurück und ließ sich auch durch Niederlagen, wie
bei Krasnik, in der Durchführung seiner längst vorbereiteten
Aufmarschpläne nicht stören. Erst als die russische Heeresleitung die
Gewißheit erlangte, daß die deutschen Korps aus Schlesien, Pommern
und Posen an die Westfront abgezogen wurden, drückte er nun Staffel um
Staffel seiner heranrollenden Divisionsmassen gegen die Österreicher. Das
Anwachsen des russischen Übergewichtes zwang nun die
k. u. k. Heeresleitung zum Rücktransport eines Teiles der
schon auf dem serbischen Kriegsschauplatz bereitgestellten Verbände.
Dadurch wurde wiederum die Stärke der Front in Serbien erheblich
geschwächt. Erst die geniale Vernichtung der Timokdivision durch die
sudetendeutschen Regimenter des Generals Krauß vermochte hier nach
einem kecken Vorstoß der Serben den Ausgleich der Kräfte auf dem
Balkankriegsschauplatz, wenigstens zur Verteidigung
österreichisch-ungarischen Gebietes, wiederherzustellen. Um so opfervoller
gestaltete sich dafür die Abwehr der jetzt mit aller Macht vorgetragenen
russischen Angriffe im Nordosten. Allen voran waren es die
alpenländischen, deutschmährischen, sudetendeutschen und Wiener
Regimenter, die sich [274] neben magyarischen
Verbänden überall dort, wo sich der furchtbare Mangel an
einsatzbereiten Reserven und eigener schwerer Artillerie fühlbar machte,
durch heroischen Einsatz und Blutopfer den Ausfall wettzumachen versuchten.
Die Schlachten im Raume von Lemberg und ihren niemals abbrechenden
Gefechten gegen die mit immer neuen und frischen Truppen ins Gefecht tretenden
Russen kostete, um einige der bekannten Beispiele zu nennen, dem
2. Regiment der Tiroler Kaiserjäger, dem Bozener Hausregiment, die
Fahne, den Oberst und fast den gesamten Bestand. Das "Blutregiment",
Kärntens Infanterieregiment Nr. 7, stemmte sich wie ein
unbezwinglicher lebendiger Damm dem vierfach so starken Gegner bei
Rawa-Ruska, Lemberg, Nowe Miasto Czyski, dann bei Przemysl und zuletzt am
Duklapaß entgegen. Die Wiener
"Hoch- und Deutschmeister" wurden bei Narol das Rückgrat der Armee,
die Steirer vom Regiment "Belgierinfanterie" deckten bei Zloczow und
Rawa-Ruska sechs Tage lang die Umgruppierung der Armee und das Regiment
"Hesseninfanterie" aus Linz verblutete bei Oserdow und später in der
wiederum siegreichen Schlacht bei Limanowa-Lapanow am Rande des Dorfes
Grabina. Mit dem gleichen Opfermut kämpften die Tiroler
Landesschützen an der Magierahöhe und in der Bukowina. Als sich
dann nach monatelangen verlustreichen
Rückzugs- und Abwehrkämpfen der harte galizische Winter des
Jahres 1914 über die Front niedersenkte und meterhoher Schnee die
inzwischen zur Front erstarrte Karpatenwand deckte, bezeugten die furchtbaren
Verlustziffern der deutschen Verbände den ersten großen Blutverlust
des deutschen Volkstums der Ostmark. So war die dritte und spätere
Edelweißdivision, in der Hauptsache aus Salzburgern und Truppen aus dem
heutigen Gau Oberdonau bestehend, im August 1914 mit 14 000 Gewehren
ins Feld gezogen, Mitte September, nach Abschluß der
Einleitungsschlachten, zählte sie jedoch nur mehr 4000 Gewehre.
Verstärkt durch herangeführte Marschbataillone, wurde sie Anfang
Oktober wieder auf einen Stand von 13 000 Gewehren gebracht. Am 30.
November bestand sie wiederum nur mehr aus 5000 Gewehren. Allein am 20.
Dezember 1914 belief sich ihre Zahl endgültig auf 1500 Gewehre!
Aber nicht nur im Nordosten, wo die Kämpfe des Karpatenfeldzuges mit
ununterbrochener Heftigkeit weitergingen und von deutschen wie von anders
nationalen Soldaten Österreich-Ungarns neue und schwere Opfer forderten,
standen die Deutschen der Armee im Mittelpunkt der Kämpfe. Auch an der
Südfront in Serbien waren es wieder in erster Linie deutschstämmige
Formationen, die den im Herbst 1914 erst glücklich begonnenen Vormarsch
abbrechen und nun einen überstürzten Rückzug vor allem im
Raume von Valjevo decken mußten. Das eine der beiden [275] Tiroler
Landsturmregimenter, dessen Schwesterregiment im Frühjahr 1915 noch in
der Festung Przemysl in Gefangenschaft geraten sollte, und sudetendeutsche
Regimenter zeichneten sich bei diesen verlustreichen Kämpfen durch
unerschütterliches Standhalten aus. Bald nach Ablauf der großen
Osterschlacht in den Karpaten erfolgte jedoch die schwerste Erprobung für
den Opfermut eines Teiles der deutschen und südslawischen Soldaten. Zur
selben Zeit, in der mit den ersten Maitagen die Durchbruchsschlachten in Galizien
geschlagen wurden, an denen gerade die deutschen Truppen der versunkenen
Habsburgermonarchie zusammen mit den Truppen der Armee Mackensen
hervorragenden Anteil hatten, und in einem Zeitpunkt, in dem das Versagen
mancher nordslawischer Truppenteile gerade den Einsatz der deutschen Soldaten
erst recht als Blutkitt für den Zusammenhalt des so buntgemischten
Völkerheeres forderte, erschien am Südsaum der deutschen
Alpenkette und an den Grenzgebieten des Südslawentums ein neuer und
doch so alter Feind des Habsburgerreiches: Italien!
Und nun erwies sich, wie nur selten in der Wehrgeschichte des deutschen Volkes,
gerade das deutsche Volkstum des Südens und des am weitesten nach dem
Westen vorgeschobenen Südostens in diesem Augenblick
allergrößter Gefahr als unbeirrbarer Verteidiger des deutschen
Lebensraumes. Man rief in Kärnten und vor allem im Heimatland der
Schützen, in Tirol, das letzte Aufgebot, die Standschützen, auf.
Diese Standschützen waren eine eigenartige Truppe. Aus den Listen der
Schießstände "gezogen", stellten sie tatsächlich das letzte
Aufgebot an Wehrfähigen dar, die nicht bereits in den
Marsch- und Landsturmformationen an die Fronten im Nordosten oder
Südwesten gebracht worden waren. Nach uraltem Wehrrecht wählten
die Kompanien ihre Offiziere aus den Reihen der angesehenen Männer
eines Ortes. Kühnheit mit Erfahrung und der Bewährung als guter
Schütze gepaart, waren die Anforderungen, die die Schützen an diese
Führer stellten. Die Kompanien der einzelnen Ortschaften wurden in den
Gerichtsbezirken zu Bataillonen vereinigt. Diese Bataillone waren allerdings
vielfach nur zwei Kompanien stark. Auch die Kompanien schwankten in ihrer
Stärke zwischen 40 und 200 Mann. Ausgerüstet mit deutschen
Mausern, oft aber auch noch mit einschüssigen Werndlgewehren, traten
diese Verbände nun zur Verteidigung ihrer Heimat an. 54
Standschützenbataillone neben anderen Freiwilligenformationen,
"Jungschützen"bataillonen aus Oberdonau, steirischen Schützen,
deutschen, südslawischen und ungarischen Landsturmeinheiten und
Marschbataillonen, übernahmen in der Stärke von zusammen 122
Bataillonen die Ver- [276] teidigung der Front.
Allein 35 Divisionen setzte der Gegner zu Beginn seines Kriegseintrittes gegen
diese klägliche Streitmacht an. Von den Tiroler Bergen längs der
Kärnter Grenze und am Isonzo bis zum Adriatischen Meer erstreckte sich
die neue Front. Erst als die Truppen des deutschen Alpenkorps wenigstens einen
Teil der Verteidigungslinien in Tirol übernahmen, erschien die Gefahr eines
feindlichen Einbruches vorläufig abgewandt. Dennoch entspannen sich
gerade nach dem Erscheinen der deutschen Truppen an verschiedenen Punkten der
Hochgebirgsfront erbitterte Kämpfe. So war es an der Tiroler Front vor
allem der Kampf um die Spitze des Col di Lana, der, erst noch von
Standschützen und Soldaten des deutschen Alpenkorps gehalten,
später dann, nach ihrer Rückkehr vom galizischen Kriegsschauplatz
in die Heimat, von Kaiserjägern verteidigt, wegen der Einzigartigkeit des
sich in über 2000 Meter Höhe abwickelnden Ringens in die
Kriegsgeschichte eingegangen ist.
[284]
Generalfeldmarschall
von Hindenburg und sein
Generalstabschef Ludendorff
im Hauptquartier der 2. Österreichischen Armee
(Böhm-Ermolli).
(Mit Genehmigung d. Österr. Lichtbild- u. Filmdienst,
Kriegsbildersammlung der Nationalbibliothek)
|
Während sich nun im Tiroler Hochgebirgskrieg und in den Kämpfen
an der Kärntner Grenze nicht nur der Mensch im Feuer, sondern oft genug
auch die Natur als Gegner des Menschen gegenüberstanden, tobten auf den
Hochflächen und in den ausgedörrten Steindolinen des Karstes die
Isonzoschlachten. Zum letzten Male seit ihrer ersten und eigentlichen
Gründung in "Wallensteins Lager" trat die kaiserliche Armee mit ihren
Landwehren, Honveds und Landsturmbataillonen als Spiegelbild der ganzen
Buntheit ihres Völkergemisches an dieser Front an. Und hier wetteiferten
alle Völker dieser Monarchie tatsächlich noch einmal in der
Austragung eines Kampfes, der die Geschichte jenes Heeres nicht ehrenvoller
abschließen konnte. Anschaulich erzählt Otto Gallian, der bekannte
deutsch-österreichische Militärschriftsteller, in seinem
Büchlein Der österreichische Soldat im
Weltkrieg - die Legende vom Bruder Schnürschuh von diesem
letzten großen Waffengang dieses Heeres.
"Am Tage des Kriegsausbruches
standen im Raume Karfreit - Triest 150 italienischen
29½ österreichisch-ungarische Bataillone gegenüber.
Rücksichtslos mußte die Balkanfront von Truppen
entblößt werden, die 5. Armee (XV. und XVI. Korps), später
das VII. Korps aus Rußland wurden zur notdürftigen Deckung der
Isonzolinie, die den Haupthafen der Monarchie, Triest, deckte,
herangeführt. Drei
Korps - das war aber auch alles, was aus den schwerringenden
anderen Fronten ausgespart werden konnte.
Nichts kann besser die ungeheure Leistung, aber auch das
Heldentum der österreichisch-ungarischen Isonzoarmeen
sinnfälliger aufzeigen als die nackten Zahlen, aus denen sich das
gegenseitige Kräfteverhältnis ergibt.
[277] Im Herbst 1915
kämpften im Görzer Brückenkopf 86 italienische gegen
30 österreichisch-ungarische Bataillone. Vierzehnmal griffen die
Italiener die Podgora, dreißigmal Oslavija, vierzehnmal den Monte Sabotino
innerhalb 47 Tagen an - vergeblich!
In der 6. Isonzoschlacht standen am Monte Sabotino bei
Görz 14 italienische Bataillone gegen 1
österreichisch-ungarisches Bataillon.
In der 10. Isonzoschlacht traten 30 italienische gegen 18
österreichisch-ungarische Divisionen an, das Kräfteverhältnis
in der 11. Isonzoschlacht war zum Schluß 51 zu
20!"
[293]
Deutsche und österreichische Truppen an der
Isonzo-Front.
Rast vor dem gestürmten Santa Lucia.
(Scherls Bilderdienst, Berlin)
|
Deutsche Truppen der Monarchie waren es, die auch hier während aller
Schlachten an den Ufern dieses blutgetränkten Flusses zusammen mit
Ungarn und Südslawen die Hauptlast der Verteidigung bis zur
Durchbruchs- und damit 12. Isonzooffensive trugen. Burgenländer vom 76.
Regiment kämpften neben den Steirern der Regimenter 27 und 47. Dann
zeichneten sich wiederum das Linzer Infanterieregiment 14, die Neunundvierziger
aus St. Pölten, Deutschmeister und sudetendeutsche Regimenter
neben Landwehr und Landsturmbataillonen aus. Auch Kaiserjäger und
Kaiserschützen aus Tirol, Gebirgsschützen aus Kärnten,
deutschböhmische Grenadiere vom Regiment 42 und
niederösterreichische Vierundachtziger, die immer wieder an den
gefährdetsten Frontabschnitten eingesetzt wurden, gehörten zu den
unerschüttertsten Verteidigern der Front. Und ebenso wie sie am Isonzo den
Kern der Verteidigung bildeten, so stellten die
deutsch-österreichischen Regimenter wieder bei Offensiven auf anderen
Frontabschnitten die Spitze der Stoßtruppen.
Im Herbst 1915/16 standen in Serbien und Montenegro die Egerländer an
der Spitze der zum Vormarsch antretenden verbündeten Heere und
erstürmten das gewaltige Felsmassiv des Lovcen. Im Frühjahr 1916
wiederum waren es neuerdings sudetendeutsche und alpenländische
Bataillone, die den Hauptstoß des Durchbruchs auf den Sieben Gemeinden
an der italienischen Front führten. Die Kaiserjäger eroberten
während jener Junioffensive allein 17 starke befestigte und zäh
verteidigte Bergkuppen und brachten damit Felsmassive in ihre Gewalt, deren
Höhen zwischen 1700 und 2300 Meter schwankten.
Die Namen Monte Cimone, Pasubio, Monte Meletta, Asiago und Asiero
verkündeten stolz die Taten eines im Jahre 1916 noch immer ungebrochen
erscheinenden Soldatentums. Aber nicht nur in der Abwehr und im Angriff,
sondern auch in der schwersten Aufgabe für den Soldaten, der den Sinn
seines Kampfes sonst nur in der Niederringung des Gegners sehen durfte,
nämlich in der Sicherung eigener unzuverlässiger Truppenteile, hatte
der deutsche Soldat Österreich-Ungarns eine schwere Pflicht zu
erfüllen. Auch hier ist es wiederum Otto Gallian, [278] der in der Schilderung
des Grabendienstes deutscher Wiener und südmährischer Soldaten
aus der Zeit der unglücklichen Brussilow-Offensive im Sommer 1916 ein
Bild von den Schwierigkeiten gibt.
Mit dem Verbluten der in den Sommer- und Herbstmonaten gegen Rußland
ins Feld gerückten Verbände wuchs aus den Reihen des politischen
Einflüssen in der Heimat versteckt und offen zugänglichen Ersatzes
als gefährlicher Verbündeter des
Gegners - der Verrat. An Stelle der in der Treue in einer Staatsidee in sich
gefestigten Offizierkorps war vielfach ein Führertum, das sich aus dem
Reserve- und Landsturmoffizierkorps ergänzte, getreten. Politisch verhetzte
tschechische, polnische, ruthenische, slowenische und serbische Lehrer, sonstige
Intellektuelle und politische Führer der Nationalitäten trugen jetzt die
Offizierssterne. Hatte es da und dort, vor allem bei tschechischen und
ruthenischen Ersatzformationen, bereits vereinzelte Fälle von Fahnenflucht
und Versagen gegeben, so wuchs die Unzuverlässigkeit mancher
Truppenteile gerade aus der politischen Haltung pflichtvergessener Führer
jetzt zur offenen Gefahr. Schon waren ganze Regimenter, wie das Prager
Hausregiment 28 und das Jungbunzlauer Infanterieregiment 36, zu
den Russen übergelaufen. Nun versuchte man es mit der "Vermischung"
bewährter Regimenter. Die Folge davon war, daß sich die
zuverlässigen deutschen, ungarischen und kroatischen Regimenter
plötzlich in ihrer Einsatzgeschlossenheit bedroht sahen. Neben der
Aufgabe, dem Gegner gegenüberzutreten, sahen jetzt die Soldaten dieser
Regimenter plötzlich auch versteckte Feinde innerhalb der eigenen
Verbände, die gerade durch das Versagen nichtdeutscher, meistens
nordslawischer Truppenteile die Widerstandskraft auch zuverlässiger
Truppenteile in Gefahr brachten.
"Unsere Sturmkompanie", so
erzählt Otto Gallian, "wurde im Jahre 1916 zur Absperrung eines
tschechischen Stellungsabschnittes eingesetzt. Ich hatte mit einem Sturmzug des
niederösterreichischen Infanterieregiments 49 einen zwei Kilometer
breiten Abschnitt von zwei Kompanien zu überwachen;
befehlsgemäß waren alle Ausgänge zum Feind zu sperren, kein
Mann, auch kein Offizier durfte ohne meine Erlaubnis und Begleitung eines
meiner Leute die Stellung feindwärts zu den Horchposten und Feldwachen
verlassen.
Mit welchen Gefühlen der erste
Kompaniekommandant, ein junger deutscher Oberleutnant, mit dem ich dazu gut
befreundet war, meine Eröffnung aufnahm, kann sich jeder Soldat leicht
vorstellen. Er wurde blaß, bekam nahezu einen Tobsuchtsanfall, ging mich
an, ob ich ihn denn auch für einen »Überläufer«
halte. Die Maßnahme war ja nur zu seinem Schutz getroffen. Ausnahmen
konnte ich auch keine machen, da sonst der zweite Kompaniekommandant, ein
hochausgezeichneter tsche- [279] chischer
Reserveoberleutnant, der den Befehl wohl blaß, aber gefaßt
entgegennahm, berechtigterweise sich zurückgesetzt fühlen
mußte. Schließlich - ich hatte Befehl und als Soldat den Befehl
durchzuführen.
Zwölf Stunden dauerte dieser unerquickliche
Dienst. Die Leute meines Sturmzuges hatten als
Einzel- und Doppelposten die feindwärtigen Ausgänge besetzt, ich
selbst patrouillierte mit einem Unteroffizier und den verbliebenen zwei Mann
zwölf Stunden lang Stellung und Posten ab. Eine Ablösung war
unmöglich. Im Graben die Tschechen, die offenen Haß zur Schau
trugen, drüben - stellenweise kaum zehn Schritt von unseren
Feldwachen - die Russen."
In diesem schlichten Bericht eines deutsch-österreichischen Offiziers
spiegelt sich die ganze seelische Erschütterung wieder, die das
Weltkriegskämpfen des deutschen Soldaten
Österreich-Ungarns so oft beeinflussen mußte. Nichts zeigt deutlicher
die ungeheure Einsamkeit dieses Kämpfers, der in solchen Stunden immer
ausgeprägter die Erkenntnis in sich aufleben sah, daß er nicht als ein
Soldat des Staates auf seinem schweren Posten stand, dessen Uniform er trug,
sondern daß er nur mehr als deutscher Soldat für sein ganzes,
großes Volk, nämlich das deutsche, ausharren mußte, das ja um
nichts anderes als um seinen Lebensraum rang. Daß ihm diese Aufgabe von
seiten schlecht unterrichteter und den "Kamerad Schnürschuh" nur nach
dem Versagen nichtdeutscher Truppenteile des k. u. k. Heeres
beurteilender reichsdeutscher Kameraden oft bitter schwergemacht wurde, hat
seine Treue in dieser einmal erkannten Pflicht dennoch niemals erschüttert.
Sagt doch Gallian in seinem weiteren Bericht über die
Brussilow-Offensive:
"Die dort eingesetzte, ohnehin wenig
widerstandsfähige 2. Infanteriedivision (Jaroslau), aber auch das
vielbewährte Szekler Infanterieregiment Nr. 82 ging in dem Chaos
unter. Die einzige vorhandene Reserve, das brave Wiener
Schützenregiment, warf sich den russischen Massen in geradezu
heldenmütiger Weise entgegen, opferte sich
buchstäblich bis zur Vernichtung auf - ohne das Schicksal wenden
zu können."
Und nun schreibt Gallian noch weiter:
"Eine zweite (ruthenische)
Landwehrdivision des Przemysler Korps hatte bei Kolki nach der durch den
Durchbruch bei Luck erzwungenen Rücknahme der Front den Styrabschnitt
zu decken. Ihr Kampfwert war ihrer nationalen Zusammensetzung entsprechend
gering. Man konnte aber schließlich von den nur mit Widerwillen gegen
ihre Stammesbrüder kämpfenden Ruthenen nicht viel erwarten.
Für uns brachte diese Nachbarschaft eine schwere
Zeit. Immer wieder russische Einbrüche, die verlustreiche Gegenangriffe
erforderten, in deren Verlauf das ganze Regiment verblutete. Als wir dann mit
deutschen [280] Truppen
zusammenkamen, waren wir die »Österreicher, die schlappgemacht
hatten« und die »aus der Patsche gezogen werden
mußten«. So wurde die Zusammenarbeit mit unseren eigenen
deutschen Stammesbrüdern, die für uns ein Aufatmen bedeutete, zur
Demütigung und zu der bittersten Erinnerung des
Weltkrieges."
Der Aufbruch des deutschen Volkes hat auch diese Wunde, die in der Erinnerung
der deutschen Frontsoldaten der Monarchie noch ab und zu einmal aufbrach, zu
schließen vermocht. Heute weiß das deutsche Volk von jenem stillen
Kämpfen und Sterben dieser deutschen Männer und weiß auch,
wie sie nach den dunklen Tagen der Russenoffensive im Sommer 1916, dann in
den Schlachten der Südfront in Rumänien und am Balkan die
anderen Völker immer wieder zu Leistungen mitrissen, die in den
Offensiven vom Isonzo bis zum Piave im Herbst 1917, in den Gebirgsschlachten
der Angriffsarmee Conrad
von Hötzendorfs in den Wintertagen von 1917
auf 1918 und dann noch im Sommer und Herbst 1918 am Piave und im Westen,
im Abschnitt Verdun, ihr Soldatentum im hellsten Licht erstrahlen ließen.
Immer unerbitterlicher forderten diese letzten entscheidenden Kämpfe das
Blut dieser Deutschen. Aber weil man aus der Heimat auch das Letzte heranholte,
was das Volkstum an Waffenfähigen hergeben konnte, reichte dieser Ersatz
eines Tages dann nicht mehr aus, um nur mit Deutschen die Lücken der
längst zu Landsturmregimentern gewordenen Feldregimenter
auffüllen zu können. Die Folge war, daß die Truppen
draußen an der Front mit nichtdeutschen Ersatzmannschaften immer
stärker untermischt werden mußten, was die noch in den Regimentern
verbliebenen Deutschen selber vor neue, immer schwerer zu bemächtigende
Aufgaben stellte. Allein die Namen Monte Santo, Monte San Gabriele, Krun,
Doberdo und die Hermada und dann später der Montello, der Monte
Pertica, Asolone, das Melettamassiv, der Col Rosso, der Monte Grappa und vor
allem der "Kaiserjägerberg", der Monte Pasubio, auf dem die Tiroler die
größte Minensprengung des Weltkrieges mit
51 000 Kilogramm Sprenggelatine durchführten, bedeuten
unvergängliche Namen in der Geschichte des deutschen Soldatentums.
Nicht nur wegen den mit ihnen verknüpften militärischen
Leistungen, sondern weil sie ein geschichtliches Beispiel für die
erzieherischen Fähigkeiten deutscher Soldaten geworden sind, die in diesen
Kämpfen die vielfach überwiegenden nichtdeutschen
Angehörigen ihrer Regimenter, die keine Magyaren oder Südslawen
waren, zu einer Aufopferung mitrissen, die ihrer eigenen Leistung durchaus
ebenbürtig war.
Im November 1918 waren die deutschen Truppenkörper der untergehenden
k. u. k. Armee die letzten, die vielfach nur auf wiederholten [281] Befehl die Stellungen
am Piave, zwischen der Brenta und Etsch und in den südwesttiroler Alpen
räumten. Viereinhalb Jahre hatten die Völker
Österreich-Ungarns, darunter am meisten die Deutschen, für den
Erhalt des Habsburgerstaates geblutet. Durch den Verrat des letzten Habsburgers
Karl, dessen "Friedensbereitschaft" auf Kosten des deutschen
Kampfgefährten gleichzeitig auch ein Dolchstoß in den
Rücken der eigenen Frontkämpfer war, brach eine Front, die die
Armee noch immer, zwar längst schwer erschüttert, aber doch bis
zum letzten einsatzbereit, gehalten hatte, im Chaos des niederbrechenden
Habsburgerreiches zusammen. Mit 300 000 Feuergewehren hatte die letzte
Armee Österreich-Ungarns gegen 700 000 Feuergewehre der Entente
noch die Südwestfront im Sommer 1918 gehalten. Da enthob die Bildung
der Nachfolgestaaten die im Felde stehenden Soldaten von ihrer Eidespflicht.
Unaufhaltsam strömten jetzt Tschechen und Polen, Ruthenen, Slowaken,
Slowenen, Serben, Kroaten, Rumänen und Magyaren von der Front weg in
die Heimat. Nur die Deutschen vermochten die Härte des
Schicksalsschlages noch nicht ganz zu erfassen. Ja, es gab Regimenter, so wie das
schon erwähnte "Blutregiment" der Kärntner, die noch im
Bekanntwerden des Waffenstillstandes zum Angriff antraten, nur um dem Gegner
nicht die Ehre der Besitzergreifung einer wichtigen Stellung vor der Einstellung
der Feindseligkeiten zu lassen. Als die aber zuletzt nun auch heimmarschierten
und statt des erhofften größeren Vaterlandes ein zerstückeltes
Heimatland und ein niedergebrochenes Reich
fanden - da begann in ihnen auch schon das Bewußtsein Wurzel zu
fassen, daß ihr Kampf nicht ausgekämpft und ihre Opfer um das
Deutschtum in den vier Jahren des Weltkrieges noch lange nicht ausreichend
gewesen waren. Ihre Totenlisten zeigten wohl furchtbare Ziffern. Von je tausend
Seelen der Bevölkerung hatten gegenüber dem
Gefallenendurchschnitt im Reiche 33 auf tausend in den deutschen Gebieten der
Habsburgermonarchie verloren: Die deutschen Mähren 33, die
Kärtner 37, die Sudetendeutschen 34, die Tiroler, Salzburger, Steirer und
Vorarlberger 34 bis 30 Männer. Und wenn man unter den 28 von tausend
Seelen, die auf die Magyaren fielen, und auf die 23 der Rumänen noch die
gefallenen Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben mit einbezieht und
man weiß, daß sich die Verlustziffer der Deutschen in den
Grenzgebieten bereits im Jahre 1917 auf 197 von tausend Einwohnern belief, so
erkennt man, was die Deutschen des Südostraumes in diesem Weltkrieg
geopfert haben.
Oftmals, als dann in den schweren Jahren der Nachkriegszeit unter den alten
Frontsoldaten Österreich-Ungarns die Rede auf diese Opfer kam, lag diesen
Gesprächen der bittere Gedanke zugrunde, daß alle diese [282] Opfer umsonst
gewesen seien. Ein Blick auf die Landkarte der Nachfolgestaaten des versunkenen
Habsburgerstaates, die Kunde von der Bedrückung des deutschen Volkstums in fast allen
diesen Nutznießerstaaten des Zusammenbruchs von 1918 schien
diese Erkenntnis zu bestärken. Da stand in München ein Mann auf,
ein Mann, der selbst
ein unbekannter Frontsoldat war, und der mit unerbitterlicher
Folgerichtigkeit erst im Reiche Schlag um Schlag gegen diejenigen führte,
die dem Weltkriegsopfer aller deutscher Frontsoldaten Sein und Inhalt genommen
zu haben schienen. Bis er dann, nachdem er das Reich wieder groß und
stark gemacht hatte, auch der Heimat dieser
deutsch-österreichischen und sudetendeutschen Frontsoldaten wieder die
Freiheit brachte und ihnen selbst damit auch wieder den Stolz und die Ehre um
ihre Waffentaten zurückgab, die nicht nur sie während des
Weltkrieges vollbracht hatten, sondern die gleichzeitig der Dank des deutschen
Vaterlandes an alle großen Taten der Väter jenes herrlichen Heeres
war, das im Zusammenbruch der Front von 1918, selbst unbesiegt, als
ruhmreiches Vorbild für die Waffenträger des großdeutschen
Heeres seinen ehrenvollen Untergang gefunden hat.
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