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Fels im Chaos

Die Grenzpfähle, die erst 1866 und dann, nach der Gründung des Zweiten Reiches, 1871 zur nunmehrigen Unterscheidung von "Reichsdeutschen" und "Österreichern" inmitten des geschlossenen deutschen Siedlungsraumes in die ebenfalls uralte deutsche Erde gerammt wurden, glichen wirklichen Pfählen in dem lebendigen Fleische des Volkskörpers. Es schien, als breite sich von den Wunden, die durch sie diesem Volkskörper geschlagen worden waren, ein Krankheitsherd aus, der allmählich die Zufuhr frischen Blutes aus den Kraftquellen des Körpers unterband und die abgesonderten Glieder mehr und mehr dem Absterben nahebrachte. Und das während eines Zeitlaufes, da diese Glieder zur Abwehr von Gefahren, die gegen den ganzen Volkskörper herandrängten, gerade das ganze volle Ausmaß einer ständigen Blutzufuhr notwendig hatten. Vermochten doch die Deutschen Österreichs von dem Tage ab, da ihre enge politische Verbindung mit dem Deutschen Reiche nicht mehr bestand, sogar ihrer Mittlerrolle zwischen der Nation und den Völkern des Südostraumes nicht mehr vollauf gerecht zu werden. Über die Tatsache konnte auch die später erfolgende Schaffung des Zweibundes mit ihrer Festigung des "freundschaftlich nachbarlichen Verhältnisses" und den vielen schönen Worten von der Nibelungentreue und den sich auch weiterhin gleichbleibenden Aufgaben des "Brudervolkes" in Österreich nicht hinwegtäuschen. Das sich seit 1866 von Jahr zu Jahr steigernde Erwachen der anderen Völker innerhalb [255] des Habsburgerstaates zwang die in Österreich verbliebenen Deutschen jetzt selbst zur Abwehr und zur Verteidigung ihres im Rücken vom großen Volkskörper abgetrennten und an den Außenfronten von allen Seiten immer enger geschnürten Lebensraumes. Allein auf sich selbst gestellt, hatten sie wohl als "zuverläßlichstes Staatsvolk" alle Verpflichtungen und Belastungen treuer Untertanen im weitesten Ausmaße zu tragen, fanden aber keine Unterstützung in der Sicherung ihrer eigenen völkischen Interessen, besonders dann, wenn das ewige Ausgleichsspiel zwischen den Völkern zum Nutzen des Habsburgerstaates die Vertreter eines anderen Volkes zeitweilig zu Trägern der Staatsidee machte.

"Ausgleich" war nach 1866 überhaupt die neue Parole, von der sich das Haus Österreich eine endliche Stabilisierung des Nationalitätenproblems im Sinne seiner Hausmacht versprach. Da die Lockerung der Zügel nach der absolutistischen Regierungsperiode Schwarzenbergs nur ein neuerliches Aufbäumen der niedergehaltenen nationalen Leidenschaften gebracht hatte, versuchte man es jetzt mit einer Art Sättigung des Begehrlichsten unter den Unzufriedenen im Völkerreiche. Diese Sättigung war der sogenannte "Ausgleich" vom Jahre 1867. Aus der Not geboren - hatte doch Bismarck durch eine Verständigung mit den Magyaren diesen und nicht den Deutschen Österreichs auch für die Zukunft die Rolle einer Art von Gendarmen zur Verhinderung reichsfeindlicher Strömungen am Wiener Ballhausplatze zugedacht - kam 1867 durch den von Kaiser Franz Josef berufenen österreichischen Reichsrat der "Ausgleich" mit den Magyaren zustande. Dieser Ausgleich brachte eine grundlegende Veränderung der Verfassung des Habsburgerstaates. Das Kaisertum Österreich wurde von nun ab in zwei durch das Flüßchen Leitha voneinander geschiedene Reichshälften geteilt. Als "im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder" hatte der österreichisch verbliebene Teil mit den "Ländern der ungarischen Krone" nur mehr den Herrscher, die Vertretung der außenpolitischen Interessen, die Verwaltung der Finanzen und das Heer gemeinsam. So entstand aus dem bisherigen Block des zentralistischen Österreichs die dualistische Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. "Österreicher" waren von nun ab Deutsche, Tschechen, Polen, Ruthenen, Rumänen, Slowenen, Italiener und Ladiner, "Ungarn" aber Magyaren, Slowaken, Kroaten und Serben, zu welchen noch die Angehörigen der deutschen Volksgruppen in den Ländern der ungarischen Krone hinzuzurechnen waren. Die wirklichen großen Gewinner dieses Ausgleiches waren in erster Linie die 8 Millionen Magyaren. Brachte ihnen doch die Zuerkennung der staatlichen Eigenständigkeit die volle Souveränität [256] über 3,5 Millionen Rumänen, 2 Millionen Slowaken, 500 000 Serben und 2,5 Millionen Kroaten. Geeint in einem unnachgiebigen Nationalgefühl, verstanden sie es von nun ab, nicht nur die anderen Völker der ungarischen Reichshälfte mit härtesten Mitteln niederzuhalten, sondern sie trieben als gleichberechtigter Partner der österreichischen Reichshälfte jetzt eine Forderung nach der anderen im eigenen, aber keineswegs im Interesse des Gesamtstaates ein. In der österreichischen Reichshälfte hingegen herrschte machtpolitisch das Chaos. Dem geschlossenen Magyarentum standen hier einmal die Deutschen, dann wieder die Polen, zeitläufig sogar die Tschechen als Vertreter Österreichs gegenüber. Daß sich die Slawen dieser Reichshälfte, die sich natürlich mit den Slawen der ungarischen Länder im Kampfe gegen das Magyarentum verbanden, nicht als Verfechter des Habsburgischen Machtgedankens, sondern als Vorkämpfer ihrer eigenen Freiheit betrachteten, lag auf der Hand. Diese Freiheit war ursprünglich noch als eine Art Autonomierecht ohne Sprengung des österreichischen Staatsgedankens gedacht. Das wirkliche Ziel einer Selbständigkeit der slawischen Staaten brachte erst die letzte Entwicklung vor und zum Teil sogar noch während des Weltkrieges, nicht zuletzt als Folge der rücksichtslosen Politik der Magyaren gegen die unter ihrer Herrschaft verbliebenen und ihrem Hoheitsgebiet benachbarten Südslawen.

Vom Stande des Deutschtums aus betrachtet, erwuchsen diesem aus den Autonomie- und Selbständigkeitsbestrebungen der mit ihm in dem gleichen Staatsverbande zusammenlebenden Völker Gefahren. Die Tschechen verfochten seit der Erweckung ihres Nationalbewußtseins im Achtundvierzigerjahr den Gedanken des tschechischen Großstaates als Vorposten des panslawistischen Blockes, der den Umfang der späteren Benesch-Tschechoslowakei erreichen und damit 3,5 Millionen Deutsche aus ihrem Siedlungsgebiet abdrängen sollte.

Die Südslawen, unter sich durch Sprache, Kultur, Schrift und Religion selbst noch uneins, erhielten ihren Auftrieb zur Verfechtung eines gemeinsamen südslawischen Einigungsgedankens einmal durch den Abwehrkampf gegen das Magyarentum, andererseits ebenfalls durch das Vorantragen des von Rußland entrollten panslawistischen Banners. Erst noch für Habsburg als Vollstrecker seiner Staatsautorität gegen die Magyaren vereint, trennten sich Serben und Kroaten dann aber seit dem Aufkommen des großserbischen Gedankens. Als Träger einer höheren Kultur und einer bewährten soldatischen Tradition lehnten die Kroaten eine serbische Bevormundung ab und hofften, besonders seit der Einflußnahme des späteren Thronfolgers Franz Ferdinand auf die Gestaltung der Innenpolitik, eine Sonderstellung als drittes "Staats- [257] volk" neben den Deutschen und Magyaren zu erhalten. Erst die völlige Uferlosigkeit der von Karl von Habsburg eingeschlagenen Politik in den letzten Entscheidungsjahren des Weltkrieges brachte das endgültige Umschwenken der kroatischen Volksführer in die Reihen der durch die Serben und Slowenen vertretenen südslawischen Staatsgegner. Die Slowenen aber waren die gefährlichsten Gegner des Deutschtums. Rings um die Sprachinsel der Gotschee, dann an den Randgebieten der südlichen Steiermark und Kärntens siedelnd, breitete sich ihr Volkstum mit großer Schnelligkeit aus. Fruchtbar, arbeitsam und intelligent verstanden sie es nicht nur, sich immer tiefer in das deutsche Siedlungsgebiet vorzuschieben, sondern sie bildeten gleichsam auch eine Art Kitt, der die Gegensätze zwischen den Serben und Kroaten überbrückte. Im Gegensatz zu den Kroaten und Serben war ihre politische Haltung scharf gegen das Deutschtum ausgerichtet. Es bestand kein Zweifel, daß sie bei der Verwirklichung der südslawischen Einigungsidee ihre Hand nach deutschem Volksboden ausstrecken würden.

Magyaren also, Tschechen und ein gewichtiger Teil der Südslawen reichten sich bei aller sonstigen Gegnerschaft in ihren Absichten zur Vernichtung des Deutschtums getreulich die Hände. Da in Galizien eine deutsche Frage im Kampf zwischen den Polen und Ruthenen nicht in den Vordergrund trat, die Rumänen Siebenbürgens aber, selber noch über ihre Zukunft im unklaren, sich mit den benachbarten Siebenbürger Sachsen im Widerstande gegen die Magyaren verbanden, mußten die Deutschen in den drei genannten Völkern ihre Hauptgegner sehen. Auch die immer wieder zutage tretende Absicht Italiens, seine Staatsgrenze bis auf den Brenner vorzuschieben, brachte auch dem tausendjährigen Deutschtum Tirols ernste Gefahren.

Dennoch verzichtete ein großer Teil des Deutschtums noch durch viele Jahre hindurch auf eine entschlossene Abwehr der seinem Volkstum drohenden Gefahren. Im Gegenteil, es schien tatsächlich, als ob die seit 1816 erfolgte Abschnürung vom großen Volkskörper jenes langsame Absterben seiner Glieder vorwärtstrieb, das in der Bereitschaft bestimmter Kreise der Deutschen, auf die übrigen Völker im Sinne einer staatsbejahenden Haltung einzuwirken, seinen tragischen Ausdruck fand. Bis dann der systematische Vernichtungskampf gegen alles Deutsche, der hauptsächlich von den Tschechen ausging und der in Ministern vom Schlage eines Hohenwart und Taaffe noch überdies wohlwollende Förderer fand, endlich doch eine Abwehrfront bei den Deutschen aufrichtete. Allerdings hafteten dieser Front bereits die Spaltpilze römische Kirche, Liberalismus und Sozialdemokratie an. Gerade die römische Kirche machte sich in der protschechischen Haltung der deutschen Klerikalen zum [258] böhmischen Wahlgesetz zur ausgesprochenen Verräterin an der deutschen Sache. Die Aufhebung der deutschen Amtssprache, jener weitschauenden Einrichtung Maria Theresias, die Abtrennung einer tschechischen Universität von der uralten deutschen Alma mater Prags, das Verschwinden der deutschen Inschriften von den Ämtern, Kommunalverwaltungen, Schulen und Straßenschildern zwangen aber wenigstens die volksbewußten Kreise der Deutschen zum Widerstand. Ein leuchtendes Vorbild in diesem Kampfe war Georg von Schönerer mit seinen Forderungen des Linzer Programmes. Aufbauend auf den völkischen Grundsatz der Schaffung eines gesunden Bauern- und Gewerbestandes, forderte er eine grundlegende Änderung in der Verfassung und sagte der Regierung, vor allem aber auch den judendurchseuchten Liberalen schärfsten Kampf an. Zuletzt brachte aber die berüchtigte Sprachenverordnung des Polen Badeni doch eine gemeinsame Haltung der Deutschen zustande. Als bekannt wurde, daß Minister Badeni, um tschechische Stimmen für den ungarischen Ausgleich zu gewinnen, neuerliche Sprachenverordnungen für Böhmen erlassen hatte, die für sämtliche nichtmilitärische Behörden auch in rein deutschen Gebieten die Doppelsprachigkeit anordneten, ging das deutsche Volk auf die Straße. In allen Städten des deutschen Siedlungsgebietes kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen dem Volke und den Behörden. Auch die deutschen Abgeordneten legten die Tätigkeit des Reichsrates lahm. Erst als Blut floß und slawische Truppen auf Deutsche schossen, griff Franz Josef ein und enthob Badeni von seinem Posten. Ausschreitungen der Tschechen waren daraufhin die Antwort. Als jetzt auch die Sprachenverordnungen Badenis aufgehoben wurden, rotteten sich in Böhmen und Mähren die Tschechen zu Gewalttaten gegen die Deutschen zusammen. Während Franz Josef den Volksvertretungen durch Auflösung des Parlaments jede Möglichkeit weiterer "nationaler Obstruktionen" entzog, verweigerten tschechische Reservisten bei den Kontrollversammlungen zum ersten Male die Meldung in deutscher Sprache. Ungeschminkt erhob tschechischer Meuterergeist jetzt öffentlich das Haupt. Diejenigen, die soeben erst als slawische Soldaten auf Deutsche zum Schutze des Habsburgerstaates geschossen hatten, sagten dem einzigen bisher noch unberührt gebliebenen Bollwerk der Ordnung inmitten des Chaos, dem Heere, jetzt offen den Kampf an.

Das Heer glich während all der 1866 folgenden Jahre tatsächlich einem Fels, das die Brandungen der politischen Sturmfluten, unermüdlich nach einem geeigneten Punkt zur Unterhöhlung suchend, umbrandeten. Auch für das Heer hatte das Entscheidungsjahr des deutschen Bruderkampfes endlich den längst notwendig gewordenen grundlegenden [259] und die ganze bisherige Wehrverfassung des Staates umwälzenden Neuaufbau gebracht. Aus der Niederlage von Königgrätz erwuchs dem im Ausgleich neu zusammengefügten Staatsgebilde endlich die allgemeine Wehrpflicht. Sie wurde erst im Dezember 1866 vom Kaiser Franz Josef dekretiert und zwei Jahre später, nach Überwindung bedeutsamer durch die politischen Wehrausschüsse in Wien und Budapest erhobenen Schwierigkeiten, auch zum Gesetz erhoben. Doch schon in ihrer äußeren Konstruktion glich diese Wehrverfassung einem Spiegelbilde des innerstaatlichen Zwiespaltes. Es wurden drei selbständige Körper gebildet. Das dem Schutze beider Reichshälften zur Verfügung stehende gemeinsame kaiserlich und königliche (k. u. k.) Heer und die k. u. k. Kriegsmarine, die kaiserlich-königliche (k. k.) österreichische Landwehr und die königlich-ungarische Honved (Landwehr). Die Landwehren gehörten somit zu den stehenden Heereskörpern, unterschieden sich jedoch von der k. u. k. Armee dadurch, daß ihre ursprüngliche Aufgabe nur im Schutze der Grenze der eigenen Reichshälfte bestand. Diese die Wehrkraft des Völkerreiches immerhin einigende Bestimmung fiel erst im Jahre einer zeitweisen Annäherung der Regierung an die Deutschen, 1893. Ursache der Dreiteilung des Heeres in die gemeinsame Armee, die österreichische Landwehr und ungarische Honved, war lediglich die Obstruktion der Magyaren. Unentwegt hielten sie an dem 1848/49 so blutig verwirklichten Gedanken eines ungarischen Nationalheeres fest. "Die gemeinsame Armee mit deutscher Kommandosprache, die den Einheitsgedanken verkörperte, sahen sie zunächst noch als notwendiges Übel an. Eine ungarische Landwehr, die, von der Armee getrennt und dem Reichskriegsministerium nicht unterstellt, die Tradition des alten Landesaufgebotes, die Insurrektion, glanzvoll pflegte, entsprach ihren nationalen Hoffnungen, machte freilich gerechterweise auch eine österreichische Landwehr nötig." (G. Nitsche.) Es sprach immerhin für das Geschick der mit der Organisation der neuen Wehrmacht betrauten Männer wie Erzherzog Albrecht, den beiden Kriegsministern Freiherr von John und Feldzeugmeister Freiherr von Kuhn sowie dem Leiter der Abteilung für Heeresorganisation Freiherr von Horst, daß sie es einerseits verstanden, den Magyaren durch Ernennung der ehemaligen Revolutionsgenerale Klapka, Vetter und Percgel zu Honveddistriktskommandanten entgegenzukommen und andererseits in besonderer Heranziehung des alpenländischen deutschen Elementes zum Landwehrdienst ein bewährtes Fundament der österreichischen Wehrkraft zu schaffen.

Die Honved wurde unter Einbeziehung der nunmehr gänzlich der Auflösung verfallenden Grenzverbände in 28 Infanterie- und 10 Husarenregimenter gegliedert. Zu den Truppenteilen dieser ungarischen [260] Landwehr mit ungarischer Kommandosprache gehörten aber jetzt ebenso deutsche (westungarische, siebenbürgisch-sächsische) wie kroatische, serbische, slowakische, karpatoukrainische und rumänische Verbände. Es konnte sich daher jenes, von Otto Gallian in seinem Büchlein Der österreichisch-ungarische Soldat im Weltkrieg als so bezeichnend geschilderte Bild ergeben, daß z. B. auf dem Exerzierplatz einer westungarischen Stadt ein aus magyarischen Mannschaften bestehendes Infanterieregiment des gemeinsamen Heeres unter deutscher Kommandosprache exerzierte, während ein daneben aufmarschierendes, aus deutschen Burgenländern bestehendes ungarisches Honvedbataillon mit magyarischen Kommandoworten ausgebildet wurde. Aus der Schilderung dieser Zusammensetzung der "ungarischen" Honved mag es vielleicht manchem Kriegsteilnehmer aus dem Altreich erklärlich erscheinen, warum auch Verbände der sonst so zuverlässigen ungarischen Honved - gerade während der russischen Einbruchsschlachten des Sommers 1917 - verschiedentlich versagten. Diese "Ungarn" waren eben keine Magyaren, sondern Rumänen, Karpatoukrainer, Serben oder Hannaken.

Für den Ausbau der Honved bewilligte die Volksvertretung in Budapest ungeschmälert die eingebrachten Etatsvorlagen. Der magyarische Nationalstolz schmiedete damit seiner ungarischen Landwehr bedeutsamer und vollkommener die Waffe, als er dies für das gemeinsame Heer zu tun bereit war. In der österreichischen Reichshälfte hingegen hing die Bewilligung des Landwehretats überhaupt vom guten Willen der Polen, Ruthenen, Tschechen und Italiener ab. Es war also kein Wunder, daß die eigentliche Stärke der österreichischen Landwehr hauptsächlich in der Wehrkraft des Deutschtumes wurzelte. Erst nur in Bataillonen formiert, wuchs sie, allerdings in engster Anlehnung an das gemeinsame Heer, aber dennoch unter vielfacher Berücksichtigung althergebrachter Wehreinrichtungen in den Ländern zu Regimentern heran. In ihrer Ausbildung und Verwendung dem gemeinsamen Heere durchaus gleichwertig, wurden 36 Landwehrregimenter geschaffen, die erst in der zweiten Hälfte des Weltkrieges in Schützen umbenannt wurden. Tirol aber, dessen Wehrverfassung noch immer besondere Berücksichtigung verlangte, stellte drei der besten Regimenter des österreichischen Heeres, die Tiroler Landesschützenregimenter als alpine Spezialtruppe und eine Division berittener Landesschützen auf. Landesschützen zu Fuß und zu Pferd gab es ebenfalls in Dalmatien. Die Kavallerie formierte außerdem 6 Landwehr-Ulanenregimenter in den übrigen österreichischen Kronländern, deren Mannschaften jedoch hauptsächlich aus Polen bestanden. Der Gesamtstand der k. k. Landwehr betrug 1892 10 000 Mann, der der Honved 12 500 Mann. (Nach [261] G. Nitsche.) Das gemeinsame Heer gliederte sich in der Hauptsache in 102 Heeresinfanterieregimenter, 4 Regimenter der Tiroler Kaiserjäger, 22 Feldjägerbataillone, dann nach 1878, vier bosnisch-herzegowinische Infanterieregimenter, 15 Dragoner-, 16 Husaren- und 12 Ulanenregimenter. Die Artillerie entwickelte sich bis 1894 zu 14 Feldartillerie-, 42 Divisionsartillerie- und mehreren in der Zahl wechselnden Gebirgsartillerieregimentern. Außerdem gab es noch 6 Festungsartillerieregimenter und 3 selbständige Festungsartilleriebataillone. Von den technischen Truppen seien nur die im Weltkriege hervorragend bewährten 15 Pionier- und Sappeurbataillone, das Eisenbahn- und Telegrafenregiment genannt. Der Gesamtstand der gemeinsamen k. u. k. Armee betrug 1892 103 100 Mann. Die Korpseinteilung blieb dieselbe wie 1859. Sie wurde lediglich nach der Annexion Bosniens durch die Errichtung eines 15. Korpskommandos in Sarajewo und ein gleiches besonderes Kommando für Dalmatien erhöht. An der Spitze der österreichischen Landwehr stand das Landwehroberkommando in Wien, das dem Landesverteidigungsministerium unterstellt wurde. In Budapest bildete das Honvedministerium und Honvedoberkommando die oberste Landwehrbehörde. Höchste Instanz des gemeinsamen Heeres blieb das Wiener Kriegsministerium.

Der wehrpflichtige österreichisch-ungarische Staatsbürger wurde nach dem neuen Wehrgesetz erst 3, dann 2 Jahre zur Dienstleistung bei der Fahne herangezogen. Nach Ablauf der aktiven Dienstzeit stand er erst 7, dann später 10 Jahre in der Reserve. Wehrpflichtige, die auf Grund besonderer Bestimmungen für einzelne Berufszweige oder Mindertauglichkeit vom aktiven Dienst freigingen, gehörten der sogenannten Ersatzreserve an. Für die Landwehr bestand eine Präsenzpflicht von 2 Jahren. Außerdem gehörten ihrem Ergänzungsstand sämtliche Reservisten des gemeinsamen Heeres für 2 Jahre an, deren zehnjährige Wehrpflicht abgelaufen war. Auch die Reservisten der Landwehr blieben durch 10 Jahre im Wehrpflichtverhältnis zum stehenden Heere. Neu war die Einführung des Landsturmes in beiden Reichshälften, "durch ein entsprechendes in beiden Reichshälften 1886 beschlossenes Gesetz".

Landsturmpflichtig waren alle wehrfähigen Staatsbürger vom 19. bis zum 42. Lebensjahre, die in keinem Dienstpflichtverhältnis zum gemeinsamen Heere oder den Landwehren standen. (Sämtliche Angaben nach G. Nitsche.) Für Tirol, Vorarlberg und Kärnten bestand außerdem noch die Wehrverpflichtung aller wehrfähigen Stand- (vom Schießstand) schützen, die im Alter vom 16. bis zum 55. Lebensjahre in die Stammrollen der Schießstände eingetragen und die ebenfalls, wie die Land- [262] stürmer, nicht zu Dienstleistungen bei anderen Truppenkörpern bestimmt waren. Gerade der österreichische und ungarische Landsturm sollte sich im Weltkriege hervorragend bewähren. Zur Ergänzung der Abgänge bei der im Felde stehenden Armee eingesetzt, haben die Landstürmer des Volksheeres nicht allein bei Heeres- und Landwehrverbänden, sondern vor allem als selbständige Bataillone, bei denen sich durch die Heraufsetzung des Landsturmpflichtalters während des Weltkrieges oft 46- und 50jährige Männer befanden, ganze Frontabschnitte heldenmütig gehalten und sind während der Offensiven mit vormarschiert. Ostgalizien, die Bukowina, die Karpaten, Tirol, Kärnten, der Isonzo, Siebenbürgen, Bosnien und Süddalmatien, auf allen diesen Kriegsschauplätzen hat sich der Landsturm ebenso verblutet wie die Verbände der Landwehren und des gemeinsamen Heeres.

Inmitten der sich von Jahr zu Jahr steigernden innerpolitischen Wirrnisse hatte das Heer somit den allein schon organisatorisch an jedermann höchste Anforderungen stellenden Übergang vom "stehenden" Heere zur Völkerarmee zu vollziehen. Daß es seiner inneren Haltung nach trotz der Schaffung dreier getrennter Wehrmachtskörper, von denen einer als Zugeständnis an die Gegner des Staatsgedankens zu betrachten und ein zweiter einem politischen wie militärischen Gegengewicht gleichkam, jetzt noch keine Zersetzungserscheinungen aufwies, sprach für die schier unerschöpfliche Kraft des seinem Soldatentum innewohnenden Geistes. Nicht zu Unrecht haben viele der besten österreichischen Soldaten die Armee der Jahrzehnte von 1866 bis 1914 als die "große Schweigerin" bezeichnet. Diese Schweigerin war sie wirklich. Nicht allein deshalb, weil es nicht Soldatenart war, über die Unsumme an harter aufopfernder Arbeit viel Aufhebens zu machen, die angewandt werden mußte, um Soldaten von 12 Nationen, die sich zu mehr als wie einem halben Dutzend Religionen bekannten und ebenso viele verschiedene Schriften wie Schriftzeichen schrieben, zu Waffenträgern eines Staates zu erziehen, sondern die Armee glich auch einer Schweigerin in ihrer Unnahbarkeit gegenüber den Versuchen, sie in den Strudel des innerpolitischen Kampfes hineinzuziehen. Nur in einem hat die Armee zu Unrecht und in der Sorge, durch zu scharfes Vorprellen die politische Situation noch zu erschweren, zwar nicht immer geschwiegen, aber sich doch viel zu oft schweigend beschieden. In der Duldung all der Abstreichungen durch die heeresfeindlichen Etatsausschüsse, die eine volle Ausschöpfung der österreichisch-ungarischen Wehrkraft verhinderten. Zu spät und unter ungeheuren Blutopfern mußten die Völker dann während des Weltkrieges dieses Sichbescheiden bezahlen.

Dieser Geist jedoch, der die Armee unbeschadet aller politischen Ein- [263-266=Illustrationen] [267] wirkungsversuche und trotz der Schaffung der Honved als national-ungarischer Landwehr in unerschütterlicher Festigkeit noch weiterhin zusammenhielt, schöpfte seine Kraft aus drei bedeutungsvollen Faktoren. Aus der großen Tradition, dem Offizierkorps und der Persönlichkeit des Monarchen. Alle drei Faktoren bildeten eine unlösbare Einheit. Dies erschien wohl im Hinblick auf die Waffentaten der Armee und ihr Offizierskorps als eine Selbstverständlichkeit. Dafür waren aber verschiedene habsburgische Fürsten durchaus nicht das tragende Symbol für die Unerschütterlichkeit des Heeres gegenüber äußeren Einwirkungen gewesen. Man erinnere sich dabei bloß der Absplitterung magyarischer Kontingente zur Regierungszeit des unfähigen Ferdinand. Um so bedeutungsvoller prägte jedoch Franz Joseph, von dessen unermüdlichen Einsatz um die Armee bereits einmal gesprochen wurde, dem Heere in allen seinen drei Wehrmachtskörpern den Stempel seiner Persönlichkeit auf. "Die Offiziere sollten sich nicht als Deutsche, Ungarn, Polen, Tschechen, sondern schlechthin als kaiserlich fühlen und so die Wehrmacht gesund und frei von nationalem Zwiespalt erhalten. Als bloßes Symbol konnte das Wort kaiserlich in der Zeit des nörgelnden Liberalismus nicht zünden, es mußte eine greifbar gefüllte, überlegene Persönlichkeit dahinterstehen. Dies war der Soldatenkaiser Franz Joseph I. Jung in den Wirren der Revolutionsjahre auf den Thron gelangt, erlebte er Österreich im Lager der Wehrmacht, bewies beim Eindringen in die Stadt Raab den persönlichen Mut des Offiziers und nahm von da ab bis in sein Greisenalter die Überzeugung mit, daß ohne eine gesunde Armee und einen soldatischen, von Härte und unpopulären Maßnahmen nicht zurückschreckenden Willen Österreich nicht zu regieren sei. Als Feldherr hatte er kein Glück, aber sein militärisches Urteil war klar und sicher. Wenn Österreich Großmacht und die deutsch kommandierte Armee das kaiserliche Instrument blieb, das treu und schweigsam der völkischen und parteipolitischen Zersetzung trotzte, dann war sein Anteil daran groß." (G. Nitsche.)

Kaiser Franz Josef I. bei den Manövern 1890.
[265]      Kaiser Franz Josef I. bei den Manövern 1890.
Nach einem Gemälde von Thadeus Ajdukiewicz. (Österreichische Lichtbildstelle, Wien)

Franz Joseph warf auch oft genug das ganze Gewicht seiner eigenen Persönlichkeit, nicht nur als Oberbefehlshaber über Heer und Flotte, sondern als Monarch in aller Öffentlichkeit in die Waagschale politischer Entscheidungen, die sich mit dem Aufbau des Heeres befaßten. Dies kam besonders in seiner Haltung gegenüber den Volksvertretungen zum Ausdruck, die, in beschämender Abhängigkeit von den billigen Einflüssen eines jüdisch verseuchten Sozialismus und Liberalismus, dem Staat gegenüber ihre "Gewichtigkeit" eines Einspruchsrechts gegen den "militaristischen" Heeresetat in Anwendung brachten. Gemeinsam mit Tschechen, Polen und Italienern versündigten sich zuletzt auch die Abgeord- [268] neten der deutschen Linken durch ihre Streichungs"erfolge" am Heeresetat am höchsten Gut ihres Volkes, nämlich am Leben der deutschen Soldaten, die dann im Jahre 1914 infolge der unzureichenden Heeresstärke auch in erster Linie verbluten mußten. Dabei erbrachte die Armee gerade während großer innerpolitischer Spannungen den Beweis, wie sehr die Heeresreform und der Einsatz der in der allgemeinen Wehrpflicht zum Ausdruck gebrachten militärischen Kraft das Ansehen Österreich-Ungarns wieder nach außen hin stärkte. Einmal warf die neue Armee schon 1869 einen blutigen Aufstand in Süddalmatien nieder. Im Jahre 1878 aber besetzte Feldzeugmeister Freiherr von Philippovich in einem äußerst schwierigen und dabei doch glänzend geführten Feldzug Bosnien und die Herzegowina und verankerte damit die Macht Österreich-Ungarns im Sinne des Berliner Kongresses auf dem Balkan. Als dann 1882 in Bosnien nochmals ein Aufstand ausbrach, wurde auch dieser tatkräftig niedergeschlagen. Die beiden Reichslande erholten sich rasch unter einer geschickt arbeitenden Militärverwaltung und erbrachten in den sich rasch bewährenden bosnischen Soldaten wiederum den Beweis, daß es dem Heer sehr bald gelang, was die politischen Parteien niemals zustande brachten: den Ausgleich der nationalen Strömungen in der harten Zucht des Soldatenstandes.

Besetzung Bosniens und der Herzegowina 1878. Gefecht bei Jajce.
[264]      Besetzung Bosniens und der Herzegowina 1878. Gefecht bei Jajce.
Nach einem Gemälde im Wiener Heeresmuseum. (Österreichische Lichtbildstelle, Wien)

Der Kampf der Staatsführung und der verantwortlichen Wehrmachtsministers mit den Vertretungen der Nationen, zu denen sich mit den Jahren auch die parteipolitisch gebundenen Interessenten hinzugesellten, belastete die erweiterte Durchführung der Heeresergänzung der Armee jedoch derart, daß er "Erfolge" zeitigte, die erst immer einen verhängnisvollen Stillstand aufzeigten, später sogar "Rückschritten" gleichkamen. "In Österreich-Ungarn aber war es 1888 nach Ablauf der 20jährigen Gültigkeit des Wehrgesetzes nicht möglich, der Volksvertretung trotz der erheblich gestiegenen Bevölkerungszahl ein höheres Retrutenkontingent als 1868 abzuringen. Die einzige Verbesserung bestand darin, daß man aus dem beibehaltenen Kriegsstande von 800 000 das Rekrutenkontingent nach anderen Methoden errechnete und auf 103 100 Mann kam - gegen 1868 ein Plus von nur 8100 Mann. Ein kleiner Lichtblick war das Wachsen der Landwehr, deren Rekrutenkontingent 1908 in Cisleithanien, das erst so zögernd vorgegangen war, auf 19 240 Mann kam, in Transleithanien bei 12 500 Mann blieb." (G. Nitsche.) Die Wehrvorlage des Jahres 1903 forderte eine Zahl von 125 000 Rekruten von den Volksvertretungen bei den Reichshälften. Das österreichische Parlament bewilligte sie dieses Mal, dafür gebärdete sich die magyarische Opposition als Stoßtruppe ihrer Regierung derartig über diese neue Belastung, daß das Verhalten des ungarischen [269] Parlaments offenem Landesverrat gleichkam. Zweimal versagte der Ungarische Reichstag die Stellung von Rekruten für das gemeinsame Heer. Die Antwort Franz Josephs war erstens ein denkwürdiger Armeebefehl, in welchem er in klaren und scharfen Worten den Versuch, die Einheitlichkeit des Heeres anzutasten, brandmarkte, und als zweites ließ er die ungarische Volksvertretung durch ein rumänisches Bataillon der "ungarischen" Landwehr auseinandersprengen. Das weitere Verharren in der Opposition gegen die Rekrutenvorlage, das die ungarische Volksvertretung nach dem Wiederzusammentritt des Parlaments an den Tag legte, zeichnete nur die eigene Blindheit der Magyaren. In einer Zeit, da sie sich durch ihre Entnationalisierungs- und Wirtschaftspolitik alle Völker im Umkreise zum Feinde machten, wanden sie dem einzigen Kameraden, der stets auch ihre Sache zu vertreten gewillt war, die Waffe aus der Hand.

Graf Conrad von Hötzendorf, der letzte große Feldherr
der alten K. u. K. Armee.
[266]      Graf Conrad von Hötzendorf,
der letzte große Feldherr der alten K. u. K. Armee.

(Bildersammlung im Heeresmuseum, Wien)
Inzwischen hatte die Armee durch einen neuen Generalstabschef, Franz Freiherrn Conrad von Hötzendorf, nicht minder aber in dem seit dem Tode Kronprinz Rudolfs zur Thronfolge bestimmten Generalinspekteur der gesamten bewaffneten Macht, Erzherzog Franz Ferdinand, zwei Männer an ihre Spitze gestellt erhalten, die sowohl im Hinblick auf ihre Führereigenschaften als auch durch ihre außerordentliche Tatkraft die einzigen Persönlichkeiten waren, die die Härte besaßen, die Sache des Heeres gegebenenfalls auch ohne Sanktion durch die Volksvertretungen zum notwendigen Erfolge zu führen. Als im Jahre 1907 die Forderung Conrads nach 212 000 - für die Durchführung neuer Reformen, besonders bei der Artillerie und den technischen Truppen - notwendiger Rekruten mit der Genehmigung von nur 191 000 Mann beantwortet wurde, ließ sich der Generalstabschef nicht abschrecken, sondern arbeitete unbeirrt nochmals, und nun nicht mehr mit der bescheidenen Fassung der Wehrvorlage von 1907, ein völlig neues Wehrgesetz aus. Als er dieses 1912 einbrachte, betrug das Rekrutenkontingent (nach dem Stande von 1910) bei 50 Millionen Einwohnern 126 000 Köpfe. Im Jahre 1870, also 40 Jahre vorher, hatte es bei 36 Millionen Einwohnern 100 000 Mann betragen. Demnach war, dank der in erster Linie von den Magyaren geführten parlamentarischen Obstruktion, der Hundertsatz der Wehrerfassung von 0,28 auf 0,25 vier Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges gefallen. Da gelang es Conrad tatsächlich, das neue Wehrgesetz durchzudrücken. Obgleich sich im ungarischen Parlament Szenen abspielten, die den greisen Kaiser Franz Joseph veranlaßten, mit seinem sofortigen Rücktritt zu drohen - was den Magyaren übrigens die äußerst unsympathische großkroatische Gegenkonstellation unter der Herrschaft Franz Ferdinands eingebracht hätte -, vermochte [270] der königstreue Stephan Tisza auch in Budapest das neue Wehrgesetz durchzubringen. Damit erhöhte sich das Rekrutenkontingent endlich auf rund 220 000 Mann, und zwar 159 000 Mann für das Heer einschließlich der Flotte, 28 000 Mann für die österreichische, 25 000 Mann für die ungarische Landwehr und 7500 Mann für Bosnien und die Herzegowina. Durch eine weitere Wehrgesetznovelle vom Jahre 1914 sollte das jährliche Rekrutenkontingent bis zum Jahre 1918 mit einer Aushebung von rund 253 000 Mann eine neuerliche Erhöhung erfahren. Doch da rief der Mord von Sarajevo die Völker Österreich-Ungarns in ihrer breiten Masse zum ersten Male zur blutigen Bewährung unter die Fahnen. Wenngleich auch Österreich-Ungarns genialer Generalstabschef alles nur erdenklich mögliche darangesetzt hatte, um die Wehrmacht auf einen Stand zu bringen, die den Anforderungen eines modernen Krieges sowohl nach ihrer Stärke als auch nach ihrer Ausbildung, Bewaffnung und technischen Ausrüstung entsprach, so hatte jener schon zur tragischen Überlieferung in der österreichischen Wehrgeschichte gewordene Mangel an Mitteln eine dem Gegner ebenbürtige allgemeine Bewaffnung unmöglich gemacht und vor allem die Aufstellung einer genügenden Anzahl von Reserveverbänden ausgeschlossen. So bestanden die Infanteriekompanien, als die Mobilmachung angeordnet wurde, nur zu einem Viertel aus aktiv dienenden Mannschaften. Diese Kompanien mußten deshalb nicht allein durch Reservisten und Landstürmer kriegsmäßig aufgefüllt werden, sondern sie erhielten ihre Ergänzung vor allem noch durch Mannschaften der Ersatzreserve, die nur eine achtwöchige Ausbildung erhalten hatten. Reservekorps oder Reservedivisionen wie im Altreiche gab es überhaupt nicht. Die Ergänzung der im Felde stehenden Verbände wurde durch "Marsch"-Formationen bewerkstelligt, die, aus Landstürmern, Ersatzreservisten und neueingezogenen Mannschaften bestehend, nach einer kurzen Ausbildung dieser Mannschaften zur Auffüllung der Feldtruppenverbände "auf den Marsch" gebracht oder, wenn es nötig war, auch ohne Geschütze und Maschinengewehrabteilungen als selbständige Marschbrigaden bzw. Bataillone in die Front geworfen wurden. "Die Zeit von zwei Jahren, von 1912 bis zum Kriegsausbruch, war eben zu kurz, der Bedarf an Mannschaften für dringende Neuaufstellungen an Batterien, Maschinengewehr- und technischen Abteilungen und Sonstigem zu groß, um der Infanterie, dem Stiefkind, helfen zu können. Dem theoretischen Grundsatz, daß die Wehrmacht nie stark genug sein, nie genug voll ausgebildete Reserven haben könne, war also bei uns gewiß nicht entsprochen," (C. v. Bardolff.) Nur die Feldartillerie erhielt noch rechtzeitig moderne Kanonen. Die Haubitzen aber, vielen Kriegsteilnehmern aus dem Altreich sicherlich noch [271] durch ihr altertümliches Rückwärtsrollen in Erinnerung, konnten erst während des Weltkrieges durch modernere Typen ersetzt werden.

Abfeuern eines Motormörsers.
[283]      Abfeuern eines Motormörsers.
(Scherls Bilderdienst, Berlin)

Die berühmten österreichischen 30,5-Motor-Mörser hatte der Reichskriegsminister Auffenberg ohne Wissen des Etatsausschusses anfertigen lassen und war darüber beinahe gestolpert. Die 24 Geschütze dieses Kalibers, die Österreich-Ungarn zu Kriegsbeginn besaß, hätten jedoch niemals für die Erfordernisse der Front ausgereicht. Die Infanteriedivision aber war mit 13 Bataillonen und 44 Geschützen jeder ihr gegenübertretenden feindlichen Division sowohl mit der Anzahl ihrer Bataillone als auch an Geschützen (6 - 20 Rohre) unterlegen. Ihre Stärke beruhte allein im vorzüglichen Geiste der in den Juli- und Augusttagen 1914 ins Feld rückenden Mannschaften. Denn solange die aus aktiv dienenden Soldaten, Reservisten, Landstürmern und Ersatzreservisten bestehenden Verbände, deren Mannschaften alle noch durch die Friedensschule der Armee gegangen waren, in der Hand des aktiven Offizierskorps vor den Feind traten, bewiesen auch die später so unzuverlässigen nordslawischen Verbände eine hervorragende Haltung. Es schien fast, als zollten selbst die Staatsgegner unter den Völkern der großen Erzieherin all dieser Nationalitäten der Armee durch diesen tapferen Einsatz einen längst geschuldeten Dank. Dem unabwendbaren Untergang geweiht, sollte sie wenigstens im stolzen Bewußtsein einer erfüllten Aufgabe und als Vorbild einer unvergeßlichen Überlieferung die Flagge streichen.

Als gemeinsames Heer mit den Landwehren von 12 Millionen Deutschen, 10 Millionen Magyaren, 8,4 Millionen Tschechen und Slowaken, 5 Millionen Polen, nicht ganz 4 Millionen Ruthenen, 5,5 Millionen Serben und Kroaten, 1,3 Millionen Slowenen, 3,2 Millionen Rumänen und 0,8 Millionen Italienern und Ladinern hat diese Armee im Geschützdonner der ersten Schlachttage des Jahres 1914 ein Erbe in den Kampf getragen, das zerbrach, wo es Symbol einer für Habsburg zum Einsatz gebrachten Macht war, das aber nicht unterging, wo sein deutscher Kern wieder zu jenen Aufgaben zurückfand, die Prinz Eugen dem Heere der Ostmark gestellt hatte.

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Österreichs Blutweg
Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland
Anton Graf Bossi Fedrigotti