[13]
Zehn Jahre Freie Stadt Danzig.
Einleitende Gedanken
über ihre Entstehung und gegenwärtige
Lage.
Wenige Städte dürfte es geben, die im letzten Jahrzehnt so oft
im Vordergrunde des tatsächlichen Geschehens und der politischen
Erörterung gestanden haben wie gerade Danzig, dessen Name heute
auch besonders in der ganzen politisch interessierten Welt bekannt ist und
gar häufig genannt wird, während er früher
außerhalb Deutschlands nur in gewissen Handelskreisen näher
bekannt war. Erklärlich, denn die neueste Zeit hat so manche
Umschichtung auch in wirtschaftlicher und namentlich in politischer
Hinsicht gebracht; und man kann gerade nicht sagen, daß dabei alles
natur- und vernunftgemäß zugegangen ist, ja nicht einmal
politisch klug und zweckmäßig, sondern vielmehr aus dem
Augenblick geboren, ohne genaue Kenntnis der Verhältnisse und der
Geschichte, ohne reifliche Überlegung der praktischen Wirklichkeit und der
wirtschaftlichen Zusammenhänge, ohne Achtung auf die kulturellen
und nationalen Bedingtheiten, auf die Folgen der
Widernatürlichkeiten, der Kämpfe, Streitigkeiten und
Gefahren, die dadurch heraufbeschworen worden sind.
Nichtsdestoweniger hat man auch hierfür eine
Begründung gesucht und gefunden, und man bildete sich
weitab am grünen Tisch, völlig noch beeinflußt durch die
Kriegspsychose und eine überaus geschickte und nachhaltige, aber
auch ebenso unwahrhaftige und gewissenlose Propaganda, vielleicht sogar
ein, eine gerechte und sogar besonders kluge Lösung
einer verwickelten Situation gefunden zu haben. Man hat dabei nicht
gemerkt, erkennt es vielleicht heute noch nicht, daß man
gründlich betrogen worden ist und einen Zankapfel
geschaffen hat, durch den die Öffentlichkeit nicht zur Ruhe kommt, bei dem
die durch eine solche Entwicklung betroffene Bevölkerung
selbst aber in erster Linie der Leidtragende, der geradezu
Vergewaltigte ist. Ja man erkennt vielleicht heute noch nicht einmal,
daß so Herde [14] politischer Beunruhigung und
künftiger kriegerischer Verwicklungen angelegt worden sind, auf
denen das Feuer geheim und verborgen glimmt, bis es, von einem
günstigen Winde getroffen, zu heller Flamme entfacht wird, die wieder
ganz Europa ergreifen und Unglück und Verderben bringen
kann.
Diese Kennzeichnung der durch den Friedensvertrag von Versailles
geschaffenen Lage trifft wie auf einige andere Gebiete, so in ihrem vollsten
Ausmaß namentlich auf Danzig zu, das an einem der
geographisch, wirtschaftlich und politisch bedeutsamsten Punkte liegt, dort,
wo Höhe, Niederung und Meer an der Mündung eines
großen Stromes mit langgestrecktem, weit entwicklungsfähigem
Hafen zusammenstoßen, um dessen Besitz und Beeinflussung
Völker verschiedenen Stammes und verschiedener Kultur ringen, seit
Jahrhunderten gerungen haben. Heute so wie ehedem, nur daß man es
heute, in einer Zeit, in der man so viel von Menschenrechten, von
Freiheit und Selbstbestimmung der Völker, von dem
Rechte der Nationalität u. s. w. redet, wo alles
auf die Bildung von Nationalstaaten und die Zusammenfassung der national
Gleichgerichteten wenn nur irgend möglich hindrängt, zum
Schacherobjekt1 gemacht hat ganz ohne
Rücksicht auf die
Kultur- und Stammeszugehörigkeit, auf die Lebensnotwendigkeiten,
die Wünsche und Forderungen der Bewohner, die wirtschaftliche
Verbundenheit. Man könnte es geradezu eine Ironie der
Weltgeschichte nennen, daß die Mächte der einstigen
Entente, die so laut und feierlich das Recht der Selbstbestimmung der
Völker verkündeten und dieserhalb gerade gegen Deutschland
die allerschwersten Vorwürfe erhoben, ja die sogar vorgaben, gerade
für diese Ideale den Krieg geführt zu haben, im gleichen
Augenblick diese Grundsätze mit Füßen traten und im
Osten Staatsgebilde und Grenzen schufen, die geradezu ein Hohn auf sie
sind.
Eine der Grundforderungen der berühmten, durch ihre Auslegung
und Anwendung heute schon berüchtigten vierzehn Punkte des
Präsidenten Wilson war ja die These vom
Selbstbestimmungsrecht der Völker. Aber wie bald war diese
Grundforderung für die Beilegung des Weltkrieges, die Deutschland
sich zu eigen gemacht hatte, bei der praktischen Arbeit beim Abschluß
des Weltkrieges vergessen, wie verhältnismäßig schnell
hatte Wilson sich den Einflüssen und Drohungen2 der polnischen Agitatoren in den
Vereinigten Staaten und dem französischen Machtstreben gebeugt, so
daß er selbst ganz Danzig zu opfern und an Polen auszuliefern bereit
war.
[15] Um Danzig hat in
Versailles ein überaus schweres Ringen stattgefunden, da sich
England diesen Plänen widersetzte und es zeitweilig den Anschein
hatte, als sollte die ganze Friedenskonferenz der Entente daran scheitern.
Nur das Eintreten Lloyd Georges in den Pariser Zirkeln verhinderte,
daß Danzig, wie es der Wunsch und das Streben der weitgehenden
polnischen, von Frankreich unterstützten Pläne war, an Polen
ausgeliefert wurde. So kam nach schweren Kämpfen und langem
Feilschen das Kompromiß zustande, durch das Danzig eine
"Freie Stadt" wurde, eine geradezu unglückliche Schöpfung, in
der Polen weitgehende Rechte zugestanden wurden,3 durch die Danzig wirtschaftlich
Polen sozusagen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert worden ist. Als
einziges Wiegengeschenk gab man dem jungen Staat eine ungeheure
Schuldenlast mit auf den Weg und einen Nachbarn, dem, um mit den Worten
des Danziger Residenten in Warschau aus dem Jahre 1454 zu reden, "die
Lunge stark auf Danzig hängt". Und das alles tat man in Versailles,
ohne den so feierlich verkündeten Grundsatz vom
Selbstbestimmungsrecht der Völker zu beachten, ohne zu beachten,
daß man Danzig wohl aus dem Verbande des Deutschen Reiches
herausriß, es aber in seinen Grenzen von ihm nicht trennen konnte, so
daß man nicht einmal die Ausrede hat, Danzig sei eine Enklave,
rundum von einer Bevölkerung anderer Nationalität umgeben.
Das alles, ohne die Danziger Bevölkerung irgendwie selbst zu
befragen, ja gegen den nachdrücklichsten Protest der Danziger
Bevölkerung, der sich in ganz gewaltiger Weise besonders kundtat am
23. März 1919, wo gegen 100 000 Danziger Bewohner in den
Straßen und auf den Plätzen Danzigs öffentlich gegen die
ihnen angetane Vergewaltigung Einspruch erhoben. Vergebens! Der alleinige
Wille der Diktatoren von Versailles bestimmte.
Doch durch diese in Versailles getroffene "Regelung" der Danziger Frage ist
tatsächlich erst der Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung in die
Lande an der Weichselmündung getragen worden, und dieser Kampf
wird so lange unerbittlich fortdauern, als diese unnatürliche
Grenzziehung bestehen bleibt. Ruhe wird es hier nicht geben, solange nicht
eine Revision eingetreten ist. Hier lebt ein zähes,
entschlossenes und kerndeutsches Geschlecht, das schon
ärgere Stürme hat um sich brausen sehen als die
gegenwärtigen, das ihnen aber stets mannhaft widerstanden hat,
widerstanden, wenn es sein mußte, selbst mit der Waffe in der Hand.
Denn es gibt wenige deutsche Städte, deren Werden und Wachsen sich
in den Jahrhunderten mit solch
drama- [16] tischer Spannung und solch heftigen
Entladungen vollzogen hat, wie gerade dasjenige Danzigs, und wenige haben
in früheren Jahrhunderten so heftig und zähe um Freiheit,
Kultur und Deutschtum ringen müssen und haben so erfolgreich
gerungen, wie gerade unsere alte Hansestadt an der
Weichselmündung. Heute wiederholt sich nur, zwar unter etwas
anderen und schwereren Verhältnissen und Bedingungen und in
einem ganz anders gearteten Zeitabschnitt, was sich hier bereits in anderer
Form vor Jahrhunderten abgespielt hat. Und wieder sind es
dieselben Rivalen, die sich in der Kampfarena
gegenüberstehen. Damals galt es für Polen, sich Danzig
willfährig und zu einem Teile des polnischen Reiches zu machen, ihm
deutsche Sprache, deutsche Sitte, deutsche Kultur zu nehmen und es zu
polonisieren, heute gilt es ebenso für Polen, das Wort wahr zu machen,
das der polnische Nationaldichter Mickiewicz seinen Helden
sprechen läßt: "Danzig, einst das uns'rige, wird auch wieder
unser werden!" Das ist der Traum aller Polen, das ist das Ziel der gesamten
polnischen Politik auf allen Gebieten. Und doch hofft und vertraut die kleine
Danziger Bevölkerung auf ihren Sieg, weil sie überzeugt ist,
daß Recht und Gerechtigkeit schließlich doch den Sieg
davontragen müssen, und weil sie weiß, daß beide auf
ihrer Seite stehen und der Herrgott noch lebt.
Es kann ja gar nicht anders sein! Wer einen Blick in die
tausendjährige Geschichte Danzigs tut, der findet auch in ihr diese
Wahrheit nur bestätigt. Nie ist es gelungen, irgendwie den deutschen
Charakter Danzigs zu verwischen, da Danzigs Bevölkerung sich
allezeit ihrer Kraft und ihres Deutschtums, aber auch der Notwendigkeit
geschlossenen Zusammenstehens bewußt war, und selbst Danzigs
Steine und Danzigs Landschaft rufen es weit in alle Welt hinaus, daß es
jeder, der seine Ohren und seine Sinne nicht absichtlich verschließt,
vernehmen muß: Wir und Danzigs Bewohner sind deutsch seit
Anbeginn; deutscher Geist, deutsche Arbeit, deutsche
Kultur haben geschaffen und erhalten, was heute so herrlich vor uns steht,
kerndeutsch sind Danzig und seine Bewohner bis auf den heutigen
Tag. Und Danzigs Bevölkerung leistet den Schwur: Mag kommen was
da will, mögen uns die Stürme noch so sehr umbrausen, mag die
Not an unsere Türe pochen, mögen uns verführerische
Lockrufe umschmeicheln, wir sind deutsch und bleiben
deutsch, wir bieten alles auf, um die Polonisierung unserer Stadt und ihre
Angliederung an Polen zu verhindern, wir wollen kämpfen und ringen
bis zu dem heiß ersehnten Tage, da wir wieder mit unseren deutschen
Stammesbrüdern in einem Reiche [17] vereinigt sein werden, in einem einigen,
großen, besseren Deutschland.
Danzigs Deutschtum ist eine so unumstößliche Wahrheit,
daß sie selbst die ehemaligen Feindbundmächte haben
anerkennen müssen, wenn auch nur gezwungen und widerwillig und
in abgeschwächter bzw. verschleierter Form. Ausdrücklich
erklären sie in ihrer Antwortnote auf die Gegenvorschläge der
deutschen Friedensdelegation vom 16. Juni 1919 im elften Abschnitt:
"Die Danziger
Bevölkerung ist der großen Mehrzahl nach deutsch und ist
dies seit langer Zeit gewesen."
Nicht nur der "großen Mehrzahl nach" ist die Danziger
Bevölkerung deutsch, sondern in ihrer gewaltigen Überzahl.
Das haben nicht nur die Volkszählungen in der
Vor- und Nachkriegszeit bewiesen, sondern auch alle politischen
Wahlen, die völlig geheim geschahen, so daß von
irgendeinem Druck auf die Bevölkerung und von einem Zwange nicht
im entferntesten die Rede sein kann.
So ergab die Volkszählung für die ganze Freie Stadt
Danzig vom 1. November 1923 unter 335 921 Danziger
Staatsangehörigen nur 6 788 Personen, die ihre Muttersprache als
polnisch, kassubisch oder masurisch angegeben, und 1 108 Personen, die sie
als deutsch und polnisch bezeichnet hatten, wobei aber noch zu
beachten ist, daß Kassubisch sowohl wie Masurisch wesentlich
verschieden vom Polnischen ist, daß weiter diejenigen, die deutsch
und polnisch als Muttersprache angegeben haben, noch lange nicht
sämtlich Polen, im Gegenteil, meist völlige Deutsche sind, die
beide Sprachen von Jugend auf geläufig sprechen. Aber selbst wenn
man diese alle zusammenzählt und den Polen zurechnet, so ergibt das
Resultat, daß unter den 335 921 Danziger
Staatsangehörigen 1923 7 896, d. h. nur 2,35 Prozent
Personen mit nicht rein deutscher Muttersprache waren. Und diese Zahlen
beruhen auf den eigenen, unbeeinflußten Angaben der betreffenden
Personen selbst.
Ähnlich war es vor dem Kriege. Nach der Volkszählung vom 1.
Dezember 1910, der letzten vor dem Kriege, hatten wir in Danzig Stadt 3,5%,
im Kreise Danziger Niederung 1%, im Kreise Marienburg, von dem ein Teil
heute zum Gebiet der Freien Stadt Danzig gehört, 3%, im Kreise
Danzig Höhe, von dem durch den Versailler Vertrag gleichfalls ein
Teil losgerissen und zu Polen geschlagen worden ist, 11% Polen.
Nicht minder klar sind die Zahlen der Wahlen für das Danziger
Parlament, den Volkstag, die geheim stattfinden. [18] Bei diesen Wahlen brachten die Polen trotz
allerlebhaftester und rücksichtslosester Agitation im Jahre 1920
insgesamt 9 321 d. h. 6,08% der Gesamtheit der
abgegebenen Stimmen auf und erhielten von 120 Abgeordnetensitzen
nur 7, d. h. 5,8%. Im Jahre 1923 brachten sie nur 7 212 von
164 714 abgegebenen Stimmen, d. h. 4,37%; auf und
erhielten somit von 120 Sitzen nur 5, d. h. also nur 4,16%. Bei der
nächsten Wahl im Herbst 1927 erhielten sie von 182 836
abgegebenen Stimmen nur 5 764, d. h. 3,16% und erhielten von
120 Mandaten nur drei, d. h. 2,5%. Bei der letzten Wahl im
November 1930 erhielten sie von 197 871 abgegebenen Stimmen nur
6 377 oder 3,23%, infolgedessen von den 72 Mandaten, auf die der
Volkstag inzwischen verringert worden war, nur zwei, d. h.
2.78%.
Man sieht, die Zahlen sind sich im wesentlichen immer gleich geblieben, sie
sind sogar von Wahl zu Wahl gefallen. Und dabei ist zu
berücksichtigen, daß unsere Zahlen, bei denen wir die Zahl der
tatsächlichen Wähler, nicht der
Wahlberechtigten zu Grunde gelegt haben, für Polen noch
sehr günstig sind, weil ihre Agitation mit polnischen staatlichen
Mitteln geführt wurde, teilweise mit moralischen Druckmitteln, soweit
es sich um Bedienstete namentlich der Eisenbahn handelte, teilweise mit
Geld, mit Kleidungsstücken und dergl. Aber klarer kann die geradezu
verschwindende polnische Minderheit in Danzig nicht zum Ausdruck
gebracht werden, als es durch diese amtlichen Zahlen und die eigenen
geheimen Kundgebungen der Bewohner selbst geschehen ist.
Es zeugt auch von einer schlechten Kenntnis der Danziger Geschichte, wenn
in dem oben angeführten Satz der alliierten und assoziierten
Mächte behauptet ist, daß Danzigs Bevölkerung "seit
langer Zeit" deutsch ist, womit ganz zweifellos zum Ausdruck gebracht
werden soll, daß sie nicht immer deutsch gewesen ist, wie es ja
auch durch die polnische These behauptet wird. Diesem Satz stellen wir den
andern entgegen: Danzigs Bewohner sind allezeit deutsch
gewesen, Polen hat es unter ihnen auch in der sogenannten polnischen Zeit
nur vereinzelte gegeben, und sie besaßen zudem kaum welche Rechte,
sie waren Ausländer, standen unter
Ausländerrecht und wurden dementsprechend behandelt.
Wir erkennen in dieser angeführten Wendung der alliierten und
assoziierten Mächte sehr deutlich die Wirkung der polnischen
Propaganda, die da ständig behauptete und auch heute noch
behauptet, die ursprünglich polnische Danziger
Bevölkerung sei in der preußischen Zeit zwangsweise
germanisiert und eingedeutscht worden. Die Fassung des amtlichen
Dokuments erinnert sehr stark an die Worte [19] der von Dmowski, dem polnischen
nationaldemokratischen Führer und Hauptvorkämpfer
für die Einverleibung ganz
Ost- und Westpreußens in den neu errichteten polnischen Staat unter
dem 8. Oktober 1918 für Wilson verfaßten
Denkschrift, die da lauten: "Die offiziellen Zahlen, welche Danzig
betreffen, stellen die Stadt als rein deutsch dar, indessen erweisen private
Untersuchungen, auf polnischen Wegen geführt, daß fast die
Hälfte der Bevölkerung polnisch ist, wenn auch
oberflächlich eingedeutscht." Wir werden in dieser Arbeit
später an einem Beispiel zeigen, auf welche Weise diese "privaten
Untersuchungen auf polnischen Wegen" geführt worden sind und was
von ihnen zu halten ist. Aber es ist angesichts dieser Behauptung Dmowskis
dem Präsidenten Wilson gegenüber nicht uninteressant
zu sehen, was er etwa ein Jahr vorher gesagt hatte. In seiner 1917 für
den englischen Ministerpräsidenten Balfour verfaßten
Denkschrift sagt er: "Das heutige Danzig ist deutsch", damit allerdings auch
wieder andeutend, daß es ehemals anders gewesen sei.4
Ähnliche Behauptungen werden auch aufgestellt in einer 1919
veröffentlichten Denkschrift5, an der polnische
Universitätsprofessoren wie u. a. Konopczynski, Buyak,
Romer, Nitsch u. a. mitgearbeitet haben und die bestimmt
war für die Kommission der alliierten und assoziierten Mächte,
die mit der Festsetzung der Grenzen hier im Osten beauftragt war. In dieser
Denkschrift heißt es nicht nur, daß Danzig schon seit dem Jahre
997 eine "polnische Stadt" sei, sondern in ihr wird auch erklärt:
"Die Germanisierung Danzigs ist
oberflächlich, und sobald die Polen das Recht haben werden,
sich in der Stadt niederzulassen, wird sie wieder polnisch werden, wie
Krakau und andere Städte in Polen... Danzig wird bald eine
vorwiegend polnische Stadt werden, und das ohne irgend einen Druck und
ohne quälende Maßnahmen von Seiten der polnischen
Autoritäten."
Doch nichts ist unrichtiger als alle diese Behauptungen, die sich auch heute
noch ständig wiederholen. Man erkennt aber ohne weiteres, daß
die Väter des Versailler Vertrages von diesen falschen
Voraussetzungen ausgegangen sind. Es wird ja Aufgabe dieser Arbeit
sein, dies im Einzelnen noch näher darzulegen.
In der angezogenen Antwortnote der alliierten und assoziierten
Mächte heißt es in diesem ganzen Zusammenhange:
[20] "Die für Danzig
vorgeschlagene Lösung (d. h. Danzig zu einer Freien Stadt zu
machen. Der Verf.) ist mit genauester Sorgfalt ausgearbeitet worden und
wird den Charakter bestätigen, den die Stadt Danzig durch
Jahrhunderte bis zu dem Tage gehabt hat, an dem sie durch Gewalt und
entgegen dem Willen ihrer Bewohner dem Preußischen Staate
einverleibt worden ist. Die Danziger Bevölkerung ist der großen
Mehrzahl nach deutsch und ist dies seit langer Zeit gewesen. Gerade aus
diesem Grunde geht der Vorschlag nicht dahin, die Stadt dem polnischen
Staate einzuverleiben. Aber als Danzig eine Hansestadt war, befand es sich,
wie viele andere Hansestädte, außerhalb der politischen Grenzen
Deutschlands und war mit Polen vereinigt, bei welchem Staate es sich
jahrhundertelang weitgehender örtlicher Unabhängigkeit und
einer großen Handelsblüte erfreut hat. Es wird sich nun von
neuem in einer Lage befinden, die der während so vieler Jahrhunderte
von ihm eingenommenen ähnlich ist. Die wirtschaftlichen Interessen
Danzigs und Polens sind identisch. Danzig, der größte
Weichselhafen, bedarf dringend engster Beziehungen zu
Polen."
Man kann nur die Geschichtsunkenntnis - und man ist geneigt zu
sagen die Weltfremdheit oder den grenzenlosen Zynismus jener Leute
bewundern, die diese Sätze ausgedacht und niedergeschrieben haben,
niedergeschrieben haben im 20. Jahrhundert. Man kann nur erstaunt sein,
wie leicht die Väter des Versailler Vertrages der polnischen Agitation,
Geschichtsfälschung und Überredungskunst zum Opfer gefallen sind,
denn auch diese Sätze sind polnischen Geistes und Ursprungs
und natürlich gleichfalls unwahr. Was in obigen
Sätzen geschrieben steht, ist, soweit es die Vergangenheit betrifft,
nicht nur eine einzige große geschichtliche Schiefheit und Unwahrheit,
sondern es hat, nach obigen Sätzen zu urteilen, den Anschein, als ob
die Staatsmänner von Versailles sich sogar die Kraft zugetraut haben,
nicht nur das Rad der Geschichte, sondern auch der tatsächlichen
praktischen politischen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklung um
eine Reihe von Jahrhunderten zurückzudrehen. Sie geben sich den
Anschein, als wüßten sie nichts davon, daß in den
verflossenen zwei bis drei Jahrhunderten ein grundlegender Wandel
eingetreten ist nicht nur im Staatsleben, sondern auch ebenso im
Wirtschaftsleben, in der Gestaltung der politischen Dinge und auch der
[21] gesamten Verhältnisse; als wollten sie
hier an der Mündung der Weichsel ein Staatswesen schaffen,
für das noch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
des 15. und 16., nicht aber des 20. Jahrhunderts maßgebend sind.
Überall in der Welt, und namentlich auch in Deutschland, ist man
glücklich, daß die üble Kleinstaaterei verschwunden ist
und die ungezählten Schlagbäume der Grenzen gefallen sind,
die Leben, Wirtschaft und Verkehr in der schlimmsten Weise lahmten und
behinderten, die in dieser modernen Zeit der Eisenbahnen, Autos, Flugzeuge,
Schnellschiffe, des Telegraphs, Fernsprechers und Radio ja auch
völlig unmöglich sind. Den Männern von Versailles aber
scheint - entgegen allen tatsächlichen Verhältnissen und
jeder praktischen
Vernunft - eine solche Kleinstaaterei hier an der Weichsel als Ideal
vorgeschwebt zu haben, und sie haben es fertig
gebracht - in der Theorie wenigstens -die Verhältnisse
von vor zweihundert und mehr Jahren auf die heutige Zeit zu
übertragen. Das hindert sie andererseits aber heute wieder nicht, den
praktischen Bedürfnissen für ihre eigenen Länder
Rechnung tragen zu wollen, eifrig von einem Paneuropa zu reden und es zu
erstreben.
Es scheint tatsächlich so, daß man bei der Schaffung der Freien
Stadt Danzig jeden Wirklichkeitssinn ausgeschaltet gehabt hat und unter
völliger Unkenntnis der Geschichte und unter ebensolcher
Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse und
Bedürfnisse der Gegenwart mitten im 20. Jahrhundert ein
mittelalterliches Staatsgebilde hat schaffen wallen. Daß das eine
Utopie gewesen ist, sehen, so glauben wir, diese klugen
Männer heute auch schon ein und sie mögen wohl heute schon
wünschen, damals auf die geschickte Irreführung und eigene
Unkenntnis nicht hereingefallen zu sein, aber sie bringen immer noch nicht
den Mut auf, dies einzugestehen und die notwendige Korrektur
vorzunehmen. Von einer "mit genauester Sorgfalt ausgearbeiteten
Lösung" kann hier wirklich nicht die Rede sein.
Es wird Aufgabe dieser Schrift sein, die in der oben angeführten
Auslassung enthaltenen geschichtlichen Unwahrheiten und
Fehlschlüsse aufzuzeigen und durch Tatsachen das Gegenteil zu
beweisen. Aber die Staatsmänner von Versailles haben sich auch als
sehr schlechte Propheten für die Zukunft erwiesen, denn auch
die von ihnen nach dieser Richtung gezogenen Schlußfolgerungen
haben sich schon in diesen verflossenen zehn Jahren als grundfalsch
erwiesen, und sie mußten sich als verfehlt erweisen. Denn die
heutige Stellung der Freien Stadt Danzig ist ja grundverschieden von
der, die sie einstens eingenommen hat, und [22] noch mehr verschieden sind ihre
Lebensbedingungen und Lebensnotwendigkeiten.
Danzig war nie mit dem polnischen Staate vereinigt gewesen in dem
Sinne, daß es etwa einen Teil von ihm bildete, und gerade auf
wirtschaftlichem Gebiete bildete es den Schlüssel für Polen,
den es aber selbst in der Hand hatte, und zwar ganz allein,
wie wir noch ausführlich darlegen werden, während es heute,
wo es in wirtschaftlicher Hinsicht Polen auf Gedeih und Verderb geradezu
ausgeliefert ist, umgekehrt der Fall ist. Danzig ist nicht einst
emporgeblüht und zu Reichtum gelangt, weil es mit Polen
vereinigt war, sondern trotzdem es in einer gewissen losen
Verbindung mit ihm stand, aber weil es allein zu bestimmen hatte,
was in seinem Hafen geschah, wer in Danzig sich niederließ und
Handel trieb.
Von einer Handelsblüte, die man Danzig jetzt verheißen hat, ist
wirklich nichts zu spüren, das gerade Gegenteil ist der Fall,
wie heute schon aller Welt klar sein dürfte und wie der ständige
wirtschaftliche Niedergang Danzigs und die steten Verhandlungen vor den
Völkerbundsinstanzen beweisen, wie auch die immer
umfangreichere Verlegung der polnischen
Ein- und Ausfuhr von Danzig nach dem neu errichteten, kaum zehn
Kilometer weit entfernten polnischen
National- und Konkurrenzhafen Gdingen beweist; ebenso der nun mit
französischem Gelde in der Vollendung begriffene Eisenbahnbau
Kattowitz-Gdingen, der nicht nur strategischen Zwecken dient, sondern
vornehmlich mit dazu, den Umschlag bequemer von Danzig nach Gdingen
abzuleiten und Danzig wirtschaftlich noch mehr zu knebeln.
Die Gegenwart hat bewiesen, daß gerade die enge wirtschaftliche
Verbindung Danzigs mit Polen Danzigs Niedergang
bedeutet - entgegen der Annahme der Schöpfer des Versailler
Vertrages - und es ist auch grundfalsch, daß Danzig und Polen
ein einheitliches Wirtschaftsgebiet bilden. Derartige wirtschaftliche
Gemeinsamkeiten lassen sich nicht durch ein Diktat oder durch einen
Federstrich herstellen, auch wenn sie von interessierter Seite noch so sehr
gewünscht werden. Sie lassen sich auch nicht dadurch schaffen,
daß man ein Gebiet dem
andern - wie hier Danzig Polen - wirtschaftlich unbedingt
ausliefert und dem Stärkeren die Befugnis gibt, die notwendigen
Gesetze ganz allein und einseitig zu schaffen. Einheitliche Wirtschaftsgebiete
müssen organisch verbunden und gewachsen sein, sie müssen
organisch ineinander greifen, eins muß das andere bedingen und die
gleichen Bedingtheiten zeigen. Das aber ist hier ganz und gar nicht der
Fall.
[23] Danzig bildete und
bildet vielmehr mit Deutschland ein gemeinsames, einheitliches
Wirtschaftsgebiet. Die Fäden liefen nicht von Norden nach
Süden und umgekehrt, sondern von Westen nach Osten und von
Osten nach Westen. Die Danziger Wirtschaft in Handel und Industrie, in
Bank- und Kreditwesen war mit der gesamten deutschen Wirtschaft aufs
engste verflochten und von ihr durchaus abhängig. Danzig war in der
neueren Zeit wohl noch nach wie vor wichtiger
Umschlags- und
Handelsplatz, aber es war auch bereits eine nicht
unbedeutende Industriestadt. Man denke nur an die große
Werftindustrie, die Tausenden und Abertausenden Beschäftigung und
Brot gab, und die ausschließlich von Deutschland gespeist wurde; man
denke an die Eisenbahnwerkstätten und an die Gewehrfabrik, die
gleichfalls ausschließlich von Deutschland die Aufträge
erhielten. Deutschlands Geld pulsierte hier, und Danzig wie ganz
Westpreußen waren allzeit ganz bedeutende Zuschußgebiete, die
aus dem Reiche gespeist wurden und die darum nur so emporblühen
konnten, weil das Reich bzw. Preußen allezeit helfend eingriff. Man
denke an die Landwirtschaft des Danziger Gebietes, die eine
außerordentliche Höhe und Rentabilität und darum auch
einen Wohlstand auf wies, weil sie in Deutschland gute Absatzgebiete hatte
und gute Preise erzielte. Demgegenüber ist unsere Danziger Industrie
heute sozusagen vernichtet und unsere Danziger Landwirtschaft steht
gerade infolge der wirtschaftlichen Verkuppelung Danzigs mit Polen vor
dem völligen Ruin, da sie ihre hochwertigen Produkte weit unter
Selbstkostenpreis abstoßen muß, da gerade die infolge niederer
Löhne u. s. w. weit billiger produzierende polnische
Landwirtschaft, die zudem noch durch die polnische Regierung finanziell
gestützt wird, der gefährlichste Feind der Danziger
Landwirtschaft ist. Man denke ferner an die hochstehende soziale
Gesetzgebung Danzigs, die ja der deutschen vollkommen entspricht, und
dementsprechend auch an das wesentlich höhere
Lohn-und Kulturniveau der Danziger Arbeiterschaft, die gerade durch die
Verkuppelung Danzigs mit Polen immer weiter zurückgeworfen wird.
So ließen sich noch viele Momente aufzeigen, die dartun, wie
grundverschieden beide Gebiete sind und wie alle bestehenden
Fäden, Organisationen und Zusammenhänge ganz
plötzlich zerrissen worden sind und Danzig in ein ihm
wesensfremdes, ja wesensfeindliches Wirtschaftsgebiet eingegliedert
worden ist, dessen
Lebens- und Kulturgestaltung von dem Danziger grundverschieden ist.
Wir unterlassen es, auf alle diese Dinge hier im einzelnen näher
einzugehen, sie sind überaus bedeutsam und [24] vielgestaltig und auch bereits in einer
größeren Anzahl neuerer Schriften in allen ihren Einzelheiten,
Zusammenhängen und Folgerungen untersucht und aufgezeigt
worden. Wir begnügen uns darum, zur weiteren Orientierung auf
diese Danziger Schriften zu verweisen.6 Uns kommt es hier nur darauf an,
die Tatsachen zu betonen und in diesem Kapitel der
Einführung die Zusammenhänge kurz aufzuzeigen, ohne
Einzelheiten zu behandeln, da das nicht Aufgabe dieser Schrift ist. Wir
unterlassen es hier auch, näher die von den alliierten und assoziierten
Mächten zur Begründung der Schaffung der Freien Stadt
Danzig angeführte Behauptung zu untersuchen, diese Regelung
hätte getroffen werden müssen, weil dies der einzig
mögliche Weg gewesen sei, Polen den ihm zugesicherten "freien und
ungehinderten Zugang zum Meere" zu verschaffen. Das ist nicht wahr! Es
gab genug andere Möglichkeiten. Präsident Wilson
selbst hatte ja diese andere Möglichkeit vorgeschwebt, als er seinen
vierzehn Punkten in seiner Ansprache an den Senat in Washington am 22.
Januar 1917 die Auslegung gab, in der er u. a. sagte:
"Außerdem sollte,
soweit wie irgend durchführbar, jedem Volke.... ein direkter
Zugang zu den Verkehrsstraßen des Meeres zugebilligt werden. Wo
dieses durch Abtretung von Territorien nicht geschehen kann, kann es
zweifellos durch die Neutralisierung direkter Wegerechte unter der
allgemeinen Friedensbürgschaft
geschehen."
Damit hatte also Wilson selbst den Weg gewiesen, auf dem Polen
einen ungehinderten Zugang zum Meere erhalten konnte, auch ohne
Losreißung Danzigs vom Deutschen Reiche. Und die deutsche
Friedensdelegation hatte in ihrer am 29. Mai 1919 den alliierten und
assoziierten Mächten überreichten Antwortnote dazu noch
besonders ausgeführt:
"Die Deutsche Regierung ist
nach diesen Grundsätzen zur Erfüllung der von ihr
übernommenen Verpflichtung, Polen einen freien und sicheren
Zugang zum
Meere zu geben, bereit, die Häfen von Memel,
Königsberg und Danzig zu Freihäfen auszugestalten
und in diesen Häfen Polen weitgehende Rechte einzuräumen.
Durch eine entsprechende Vereinbarung könnte dem polnischen
Staatswesen jede Möglichkeit zur Errichtung und Benutzung der in
Freihäfen erforderlichen Anlagen (Docks, Anlegestellen, Schuppen,
Kais u. s. w.) vertraglich zugesichert werden. Auch ist die
Deutsche Regierung [25] bereit, durch ein besonderes Abkommen mit
dem polnischen Staat hinsichtlich der Benutzung der Eisenbahnen zwischen
Polen und anderen Gebieten des ehemaligen russischen Reiches einerseits
und den Häfen von Memel, Königsberg und Danzig
andererseits jede erforderliche Sicherheit gegen Differenzierung in den
Tarifen und der Art der Benutzung zu geben....
Ferner würde die Deutsche Regierung bereit
sein, die von Polen, Litauen und Lettland durch
Ost- und Westpreußen zur Ostsee führenden
Wasserstraßen unter weitgehenden Sicherungen zur freien Benutzung
und zum freien Durchgangsverkehr den Polen zur Verfügung zu
stellen. Die Gegenseitigkeit der Leistung von polnischer Seite ist ebenfalls
Voraussetzung."
Hier waren die Möglichkeiten und Wege aufgezeigt, mit denen man zu
einer vernunftgemäßen, allen Teilen gerecht werdenden
Regelung hätte kommen können. Die Mächte von
Versailles aber lehnten es ab, diese Wege zu beschreiten. Einmal weil sie
noch völlig in der Kriegspsychose befangen waren und ihnen alles
daran lag, Deutschland so weit wie möglich zu demütigen und
zu schwächen, dann aber vor allem, weil
sie - vielleicht mit Ausnahme Englands - völlig unter
dem Einfluß der polnischen Propaganda standen, deren Behauptungen
und Darlegungen sie als bare Münze hinnahmen, ohne daß
sie - vielleicht mit Ausnahme
Frankreichs - die wahren Ziele und Absichten Polens durchschauten
oder aber sie verkannten, und weil sie ihren neuen Verbündeten und
ungestümen Drängern, zu deren Schützern sie sich
aufgeworfen hatten, gern zu Willen sein wollten. So wurde die "Freie Stadt
Danzig" geschaffen.
Polen hat trotz eifrigster Anstrengungen nicht erreicht, was es erstrebt hatte.
Sein Ziel ging ja, wie aus allen Auslassungen unzweideutig hervorgeht, auf
den Besitz Danzigs, ja auch auf den Besitz Ostpreußens etwa
bis Königsberg hin. Dies Ziel ist in den polnischen Reden und
Schriften, in den von Polen gezeichneten Karten der damaligen Zeit immer
wieder zum Ausdruck gekommen, das ist von ihnen auch in der Folgezeit,
mehr oder weniger deutlich betont worden, wenngleich die amtlichen Stellen
sich nach dieser Richtung im Gegensatz zur ersten Zeit eine starke Reserve
auferlegt haben. Dafür wird von den amtlichen Stellen aber um so
nachhaltiger eine Politik getrieben, die ganz zielklar der Verwirklichung
dieser Pläne zustrebt. Polen hat auch bis zur Stunde die Hoffnung
noch nicht aufgegeben, daß in [26] nicht allzu ferner Zeit der Tag erscheinen
werde, an dem Danzig einen Teil des polnischen Staates bilden wird. Auf
dies Ziel geht Polens ganzes Streben, auch wenn es offiziell geleugnet wird,
und zu seiner Erreichung ist ihm jedes Mittel recht, dazu vor allem sucht es
die wirtschaftliche Verbindung und die wirtschaftliche Abhängigkeit
Danzigs von Polen und auch besonders die ihm durch den Versailler Vertrag
eingeräumten weitgehenden Rechte in Danzig zu benutzen. Die
gesamten polnischen Stellen in Danzig sind die eifrigsten Träger
systematischer Polonisierungsversuche, wobei der unmoralische Druck auf
die Untergebenen nicht verschmäht wird, so daß sich Danzig
wiederholt genötigt gesehen hat, sich beschwerdeführend an die
Instanzen des Völkerbundes zu wenden. In skrupelloser Ausnutzung
der Polen in Danzig gegebenen Rechte, ja in ihrem Mißbrauch, hofft es,
daß die Zeit für es arbeiten und es seinem Ziele näher
bringen wird. Denken wir an das bereits angeführte Wort der
polnischen Gutachter für die Grenzfestsetzungskommission aus dem
Jahre 1919: "Sobald Polen das Recht haben wird, sich in der Stadt (Danzig)
niederzulassen, wird es (Danzig) wieder polnisch werden".
Und dieses Niederlassungsrecht ist den Polen leider uneingeschränkt
durch den Versailler Vertrag, wie ihn Polen auslegt, gegeben. Auf Grund der
Vertragsbestimmung:
"Die alliierten und assoziierten
Hauptmächte verpflichten sich, ein Übereinkommen zwischen der
polnischen Regierung und der Freien Stadt Danzig zu vermitteln, das... den
Zweck haben soll... 5. Vorsorge zu treffen, daß in der Freien Stadt
Danzig kein Unterschied zum Schaden der polnischen
Staatsangehörigen und anderer Personen polnischer Herkunft oder
polnischer Zunge gemacht wird."
Dieser von den alliierten und assoziierten Hauptmächten zwischen
Danzig und Polen vermittelte, d. h. Danzig aufgezwungene
Vertrag ist der sogenannte Pariser Vertrag7 vom 9. November 1920, der seine
Ergänzung gefunden hat im sogenannten Warschauer
Abkommen8 vom 24. Oktober 1921. Polen legt
diese Bestimmungen so aus, daß Danzig verpflichtet sei, alle polnischen
Staatsangehörigen nicht nur ungehindert nach Danzig hereinzulassen
und ihnen zu gestatten, hier Wohnung zu nehmen, sondern auch, daß
Danzig verpflichtet sei, sie genau wie seine eigenen
Staatsangehörigen zu behandeln, d. h. also, um nur ein paar
Beispiele herauszugreifen, ihnen Wohnungen zuzuweisen wie den Danzigern,
ihnen zu gestatten, überall und in unbegrenzter [27] Zahl Arbeit aufzunehmen, für ihren
Schulunterricht zu sorgen u. s. w. Man beachte, daß es
sich nicht etwa um Danziger Staatsangehörige polnischer
Nationalität handelt, sondern um Polen polnischer
Staatsangehörigkeit.
Diese Bestimmungen haben sich geradezu grotesk ausgewirkt, sie
liegen aber ganz im polnischen System und dienen der Polonisierung
Danzigs, der Überflutung Danzigs mit Polen nichtdanziger
Staatsangehörigkeit. Da in Danzig ganz andere
Kultur- und vor allem weit bessere Lohnverhältnisse sind, in Polen
zudem auch Arbeitslosigkeit herrscht, streben zahlreiche Arbeitnehmer
polnischer Staatsangehörigkeit nach Danzig, und die polnischen
Stellen fördern diese Einwanderung. So ist es gekommen, daß
wir gegenwärtig in Danzig gegen 20 000 polnische
Staatsangehörige in Arbeit und Brot haben, während
gleichzeitig rund 24 000 Arbeitnehmer Danziger
Staatsangehörigkeit arbeitslos sind, die den Danziger Staat finanziell
ungeheuer belasten, da jeder Arbeitslose ihn durchschnittlich jährlich
mindestens 1 000 Gulden kostet. Danzig aber hat nicht die
Möglichkeit, von Staatswegen gegen diesen Irrsinn etwas zu
unternehmen, es muß tatenlos zusehen, wie seine eigenen
Angehörigen arbeitslos sind und körperlich und seelisch der
Verelendung anheimfallen, wie seine Finanzen zerrüttet werden,
während Ausländer Beschäftigung und Brot haben. Man
nenne uns einen einzigen Staat auf der Welt, wo etwas Derartiges zum
zweiten Male vorkommt! In anderen Ländern werden die
Einwanderungen beschränkt, je nachdem es die Bedürfnisse des
Landes erheischen, nur bei uns ist das nicht möglich. Das ist eine der
vielen Widersinnigkeiten der Danzig aufgezwungenen "Verträge". Sie
sind, wie dies Beispiel erhellt, ganz absichtlich darauf angelegt, das polnische
Element in Danzig immer mehr zu stärken, ja systematisch ein
Polentum hier großzuziehen.
Noch eine zweite Widersinnigkeit, die abermals zeigt, was Polen im Schilde
führt. Auf Grund der angezogenen Vertragsbestimmungen bzw. deren
Auslegung durch Polen hat letzteres beim Hohen Kommissar des
Völkerbundes vor einiger Zeit beantragt, daß Danzig
verpflichtet sein soll, polnische Schulen aller Grade zu errichten und zu
unterhalten, und zwar
Volks-, Mittel- und höhere Schulen. Und zwar nicht nur etwa
für die polnischen Kinder von Danziger
Staatsangehörigen, sondern auch für alle Polen
nichtdanziger Staatsangehörigkeit, gleichviel, woher sie
kommen, und diese Schulen sollen den Danziger deutschen Schulen
vollkommen gleichwertig sein und von Danzig natürlich ausgestattet
und unterhalten werden. Das ist geradezu eine
Ungeheuer- [28] lichkeit. Man denke, daß es
gemäß dieser Forderung dahin kommen könnte und
würde, daß Danzig dann die Unterrichtsanstalten schaffen und
unterhalten müßte für einen Großteil der
Ausländer, zumindest für weiteste polnische Kreise aus
Pommerellen, die heute ja schon ihre Kinder in die Danziger polnischen
Privatschulen schicken, um die nötige Schülerzahl zu haben,
um sie überhaupt aufrecht erhalten zu können. Auch diese
Forderung, die darauf hinausläuft, daß das kleine Danzig dem
polnischen Staate einen Teil seiner Schullasten abnehmen soll, dürfte
sonst nirgends in der Welt zu finden sein.
Polen geht in seinen kulturellen Forderungen namentlich in der letzten Zeit
noch weiter. So hat es in der gleichen Note an den Hohen Kommissar des
Völkerbundes gefordert, daß die polnische Sprache in
Danzig der deutschen völlig gleichgestellt werden müsse, was
der vom Völkerbund garantierten Danziger Verfassung
zuwiderläuft, die als Amtssprache nur die deutsche Sprache kennt. Es
fordert, gleichfalls im Gegensatz zur Danziger Verfassung, Mitwirkung bei
der Einbürgerung u. s. w. Die Forderungen
Polens werden von Tag zu Tag weitgehender, und es sucht sie durchzusetzen
durch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Danzig in der
mannigfachsten Form. Das alles beweist, worauf Polen in Danzig hinaus will.
Es ist das System der sogenannten "friedlichen Durchdringung", es ist der
Versuch der Verwirklichung des angeführten Satzes der polnischen
Denkschrift: "Sobald Polen das Recht haben wird, sich in der Stadt (Danzig)
niederzulassen, wird es (Danzig) wieder polnisch werden."
Diesem Zweck dient auch die ganze polnische Wirtschaftspolitik,
ihm wird die Eisenbahn, die gemäß dem Versailler
Vertrag Polen ausgeliefert werden mußte, und die polnische
Post, die es gemäß dem gleichen Vertrage neben der
Danziger Post einrichten durfte, dienstbar gemacht; ihm dienen die reichen
geldlichen Propagandamittel, in seinem Dienst steht die polnische
diplomatische Vertretung in Danzig, wie namentlich die Vorgänge
der letzten Zeit, die sich um das Rücktrittsgesuch des Ministers
Strasburger gruppieren, beweisen; ihm dient der polnische Einfluß im
Hafenausschuß, dienen die mit großen Geldmitteln
unterhaltenen Schulen, Kleinkindergärten und
Kinderhorte, dienen die "Liebesgaben" als Köder der armen
Bevölkerung, dient der Druck auf die von polnischen
amtlichen und nichtamtlichen Stellen, namentlich von der
Eisenbahnverwaltung abhängigen Personen, sich polnischen
Organisationen anzuschließen und ihre Kinder in polnische Schulen
und [29] Kindergärten zu schicken, dient die
mit großen Mitteln unterhaltene polnische Presse in Danzig, die
bis vor wenigen Monaten zum Teil in deutscher Sprache erschien, sich als
Danziger Blatt ausgab, ihren wahren Charakter verschleierte und
überall hin unentgeltlich versandt wurde, namentlich an die
maßgebenden Stellen des Auslandes, nur um Propaganda im rein
polnischen Sinne zu treiben, und nicht selten wird der Charakter dieser
Blätter im Auslande nicht erkannt, man hält sie für
Danziger Blätter. Diesem genannten Zweck dienen tausenderlei offene
und versteckte andere Maßnahmen neben der finanziellen und
wirtschaftlichen Abdrosselung. So hofft Polen, nach und nach in Danzig
Einfluß zu gewinnen und es mürbe zu machen, es "friedlich zu
durchdringen", um es eines Tages als reife Frucht sich zufallen zu lassen.
Das ist, mit kurzen Strichen gezeichnet, die Lage und der Kampf Danzigs. Es
geht hier
nicht - wie es vielleicht manchmal den Anschein
hat - um Kleinigkeiten, es geht um Sein und Nichtsein des deutschen
Danzig und seiner deutschen Bewohner; es ist auch ein Kampf für die
junge Generation, um deren Freiheit und Recht, um deren Deutschtum,
schließlich auch um die wirtschaftliche Existenz. Denn darüber
muß sich jeder klar sein, daß Polens Streben auf die
systematische Zurückdrängung und die schließliche
Ausrottung der Deutschen und des Deutschtums in Danzig gerichtet ist.
Zunächst auf die völlige Abschneidung Danzigs von seinem
deutschen Mutterlande, von der Verbindung mit ihm, die polnischerseits
immer wieder und wieder in der Vergangenheit geleugnet wird. Darum ist es
für alle Danziger, nicht minder aber für alle, die sich mit den
Danziger Fragen beschäftigen oder für sie Interesse haben,
gerade jetzt, gerade in diesem sehr heftigen und sehr ernsten Ringen
erforderlich, daß sie den wahren Charakter Danzigs und der Danziger
kennen, daß sie wissen, ob und wie Danzig und die Danziger mit
Deutschland und dem Deutschtum verbunden sind. Dieser Erkenntnis soll
diese Arbeit dienen, die sich nach dieser kurzen orientierenden Einleitung
wohl ausschließlich mit der Vergangenheit befaßt, die zu wissen
aber für jeden unerläßlich ist, der sich mit der Gegenwart
Danzigs beschäftigt und sie verstehen will.
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