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Polnische Thesen und deutsche Antworten

 
K. Memelfrage und Korridor

97. Polenthese:
Litauen und Memelland als Korridorersatz?

Die Polen sagen: Die Berliner Wilhelmstraße habe 1925 den Plan lanciert, den polnischen Korridor auszutauschen gegen Litauen und Memel. Für Polen sei dieser Plan - von politischen und moralischen Gründen abgesehen - schon deshalb unannehmbar, weil Memel für Polen als Hafen nicht genüge.

Antwort: Zunächst hat der Plan nichts mit der Wilhelmstraße zu tun. Außerdem lehnt Deutschland den Plan ab. Wir wollen Litauens Selbständigkeit nicht antasten. Wir wollen nicht ein so deutsches Land wie das autonome Memelgebiet der polnischen Willkür ausliefern. Wir wünschen auch nicht, daß Ostpreußen ringsum von polnischem Gebiet umklammert wird.

Der Austauschplan in England. Im Mai 1925 wurde nicht in der Wilhelmstraße, sondern im englischen Parlament ernstlich eine für Chamberlain hergestellte Denkschrift des englischen Auswärtigen Amts erörtert, die den Danziger Korridor durch einen Memel-Korridor ersetzen wollte. (Vgl. Murawski in Deutschland und der Korridor S. 223.) ***[Scriptorium merkt an: bitte Zusatz zu Teil 1 Anm. 1 beachten!]

Im Folgenden das Notwendigste zum Verständnis der Memelfrage.1

a) Keine litauischen oder polnischen geschichtlichen Ansprüche. Der deutsche Schwertbrüder-Orden (Sitz Riga) besetzt Memelgebiet, vereinigt sich bald mit dem Deutschen Orden, der 1252 die Stadt Memel begründet. Seitdem gehört Memelland ununterbrochen zu Ostpreußen. Grenze von 1422 (Friede am Melnosee) bis 1920 5 Jahrhunderte unverändert. Litauer als Siedler vom Deutschen Orden seit 15. Jahrhundert geduldet.

b) Abtretung des Memellandes ohne Volksbefragung laut Artikel 99 des Versailler Vertrages. Falsche Argumente in der a. und a. Note vom 16. Juni 1919: angeblich litauische Vergangenheit und Bevölkerung, Memel Litauens einziger Seeausgang (Litauen könnte Polangen zum Seehafen ausbauen). Stürmische Proteste der Bevölkerung. - Das Memelgebiet umfaßt 2657 qkm.

[131] c) Memelland Litauen angegliedert. Von Frankreich als Mandatar der 4 alliierten Hauptmächte besetzt. 10. Januar 1923 Einmarsch bewaffneter Litauer, 16. Januar Stadt Memel besetzt; Abzug der französischen Besatzung, Protestbewegung der Bevölkerung mit Waffengewalt niedergeschlagen. Memelabkommen vom 24. März 1924 zwischen Litauen und den 4 alliierten Hauptmächten gliedert das Land Litauen an, und zwar mit gesetzgebender, richterlicher, verwaltungsmäßiger und finanzieller Autonomie, festgelegt im Memelstatut vom 14. März 1924. Völkerbundskontrolle über Einhaltung der Autonomie, deren Einschränkung und Beseitigung immer wieder von Litauen versucht, so im Januar 1931 durch gewaltsame Absetzung des memelländischen Regierungschefs und Einsetzung einer verfassungswidrigen Regierung. Streit endet mit Neuwahl des Memellandtags (deutsche Parteien erhielten 24 von 29 Sitzen) und Wiederherstellung einigermaßen verfassungsmäßiger Zustände.

d) Der deutsche Charakter des Memellandes und das verletzte Selbstbestimmungsrecht der Memelländer. Einwohner bei Besetzung durch den Deutschen Orden Kuren, Preußen, Letten, nicht aber Litauer oder Polen. Später Litauer eingewandert; nach 1525 evangelisch. Memelländische Litauer stets treue preußische und deutsche Staatsbürger, durch Kultur, Konfession und Gesinnung von den Bewohnern des ehemals russischen Litauen getrennt. Seit Erschließung für den modernen Verkehr ständiges Vordringen der deutschen Sprache. Der memelländische Litauer liest deutsche Zeitungen, ist in deutschen Verbänden organisiert usw., bekennt sich zur deutschen Kultur. Darum geben Sprachenzählungen falsches Bild. Sprachenzählung 1910: 141 000 Einwohner, davon 72 000 deutsch, 67 000 litauisch, 126 polnisch. Sprachenzählung 1920: 141 000 Einwohner, davon 71 000 deutsch, 67 000 litauisch, 129 polnisch. Volkszählung 1925, unter litauischem Druck, gefragt nicht nach Sprache, sondern nach Nationalität: nur 26,5% litauisch, 45,2% deutsch, 24,2% "memelländisch" (im wesentlichen terrorisierte Deutschgesinnte), 4,1% sonstige. Landtagswahlen: von 29 Sitzen erhielt die litauische Partei 1925 2, 1927 4, 1930 5, 1932 5 (vor Wahl von 1932 massenweise Einbürgerung von Litauern). Elternbefragung bei der Landbevölkerung des Memelgebiets durch die Besatzungsbehörde (von 1921): für die 16 510 ländlichen Volksschüler des Memellandes wurde nur für 1894 Schüler (11%) Religionsunterricht in litauischer Sprache und nur für 395 Schüler (2%) Lese- und Schreibunterricht in litauischer Sprache verlangt. Fast 90% der Kinder verstanden also von Hause aus so gut deutsch, daß die Eltern für sie deutschen Religionsunterricht wünschen. Der sogenannte Kownoer Dialekt ist im Memelland nahezu unverständlich.

e) Memels wirtschaftliche Bedeutung: Holzverschiffung und -verarbeitung für das den Memelstrom herabkommende Holz. Von diesem Holz stammte vor dem Kriege nur etwa ein Fünftel aus dem Gebiet des heutigen Litauen.2 Landwirtschaft, deren natürlichen Markt nicht das Agrarland Litauen, sondern Deutschland bildet.

f) Aus dem Bericht der Sonderkommission der alliierten Botschafterkonferenz vom 6. Mai 1923:3 "Die Ostgrenze des Memelgebiets, die [132] frühere deutsch-russische Grenze, stellt eine wirkliche Scheidung ohne Übergang zwischen zwei verschiedenen Kulturen und Zivilisationen dar. Mindestens ein Jahrhundert trennt sie voneinander. Es ist eine richtige Grenze zwischen Ost und West, zwischen Europa und Asien...
      Ein großer Teil der Litauer memelländischen Stammes fürchtet einen Anschluß an Litauen ohne genügende autonome Garantien."

g) Polens Interesse an Memel. Polen hat sich durch die Einverleibung des Wilnagebiets (s. Teil 5) eine Verbindung mit Lettland geschaffen, und zwar durch einen Gebietsstreifen, der Litauen von Rußland trennt (sogenannter Wilna-Korridor). Darüber hinaus mehrfache Bestrebungen, sich durch Angliederung Litauens und des Memelgebiets einen zweiten Zugang zum Meere zu schaffen. Dabei wird betont, daß das Hinterland Memels polnisch sei, daß aber Memel nur ein Hilfshafen,4 niemals ein Ersatz für die Häfen an der Weichselmündung sein könne.

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1Vgl. hierzu Borchardt in v. Loesch und Boehm; v. Leers, Memelland; Schierenberg. ...zurück...

2v. Leers, Memelland, S. 19.. ...zurück...

3Vgl. v. Leers, Memelland, S. 17 und v. Loesch-Boehm, S. 294. ...zurück...

4Vgl. Baginski, Zugang, S. 78 (Original S. 298). ...zurück...

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100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen

Dr. Arnold Zelle