Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 10: Das deutsche
Volksheer (Forts.)
Generalleutnant Constantin v. Altrock
2. Das Heer im Weltkriege.
An seiner Ausbildung hat das preußisch-deutsche Heer immer mit
stärkster Hingabe und größtem Eifer gearbeitet. Daß
dabei Fehler und Übertreibungen nicht ausblieben, ist das Schicksal
menschlicher Unvollkommenheit. Gewiß ist zeitweise dem Drill für
Friedenszwecke ein übertriebener Wert beigelegt worden. Sehr lange
dauerte es auch, bis die im Kriege 1870/71 gemachten Erfahrungen
reglementarisch ausgewertet worden sind. Erst 1889 kam ein auf der Höhe
der zeitgemäßen Gefechtsausbildung stehendes Reglement heraus.
Als Ziel aller Ausbildung forderte es, Frische und Entschlußfähigkeit
der Führer aller Grade auf der Höhe zu halten. Das geschah durch die
sich alljährlich erneuernden Ausbildungsperioden, durch
Felddienstübungen und Manöver, bei welchen von allen Offizieren
Urteil, selbständige Entschlüsse und selbsttätiges Handeln
verlangt wurden. Das belohnte sich tausendfältig im Kriege durch frisches,
erfolgreiches Zugreifen bei allen Gelegenheiten. Die außerordentliche
Kräfteanspannung im Frieden war außerdem eine vortreffliche
Vorbereitung für alle Kriegsanforderungen, wie die anstandslose
Bewältigung der ungeheueren [520] deutschen
Marschleistungen im Jahre 1914 bewies. Marschall Foch und viele
unverdächtige Zeugen haben dieser deutschen Armee von 1914
glänzende Zeugnisse ausgestellt. Bei richtigem Aufmarsch und Einsatz
hätte sie gegen die feindliche Überlegenheit 1914 die siegreiche
Entscheidung bringen können, besonders dann, wenn das deutsche
Volk sich dauernd zu den gleichen Opfern wie die Franzosen
(französischer General Buat) hätte entschließen
können.
Für die Richtigkeit der deutschen Ausbildung spricht es, daß auch die
Reserve- und Landwehrtruppen an Leistungen kaum hinter den aktiven
zurückgeblieben sind.
Bewundernswert sind die vielen während des Krieges aufgestellten
Neuorganisationen, die im wahrsten Sinne des Wortes ein deutsches
Volksheer schufen. Nach den Erfahrungen mit den im Herbst 1914 neu
aufgestellten Flandernkorps vermied man die dabei gemachten Fehler und gab den
künftigen Neuformationen einen Stamm im Frieden geschulter,
kriegserfahrener Führer, Unterführer und Mannschaften. Durch diese
bewährten Stämme getragen, entwickelten diese Neuformationen von
Anfang an eine hervorragende Kriegstüchtigkeit und vielseitige
Verwendbarkeit. Der staunenswerte Umfang dieser deutschen Neuformationen ist
an anderer Stelle gekennzeichnet.2 Auch den
dauernd steigenden und dabei ständig wechselnden Anforderungen des
Krieges paßte sich das Heer bewundernswert an. Als aus dem opfervollen,
aber frischen Bewegungskrieg der mühselige, arbeitsreiche, abstumpfende
Stellungskrieg wurde, führte es ihn mit der gleichen Hingabe. Das
Aushalten in der Hölle von Verdun und der Sommeschlacht sind Beispiele
unübertroffenen Heldentums.
Im Stellungskampfe hatten sich die bisherigen deutschen Auffassungen
über die Führung der Verteidigung in nur einer Stellung als irrig
erwiesen. Nicht in einer Linie mußte die Verteidigung geführt
werden, sondern nur durch Kampf aus der Tiefe versprach die Abwehr Erfolg.
Angesichts dieser Wandlung ist es auffallend, daß unter Falkenhayns
Kommandoführung niemals eine Auswertung der veränderten
Kampfverhältnisse stattgefunden hat, keine Richtlinien an die Truppen
gegeben wurden, wie sie sich im Stellungskampf und bei Durchbruchsversuchen
feindlicher überlegener Angriffe zu verhalten hätten. Nach
Kommandoübernahme von Hindenburg-Ludendorff setzte sofort eine
umfassende Tätigkeit ein, um den Truppen Gesichtspunkte für die
Kampfführung, besonders für die Abwehrschlacht gegen die an
Truppenzahl und Material stark überlegenen Feinde zu geben. Dadurch
wurde verhindert, daß immer wieder die gleichen Fehler blutfordernd
gemacht wurden. Durch die ständige Steigerung der feindlichen
Machtmittel mußten sich naturgemäß diese Richtlinien dauernd
wandeln. Notgedrungen verließ man oft alte Erfahrungssätze, um das
Neue zu bestehen und sich den veränderten Kampfforderungen
anzupassen.
[521] 1917 glückte es,
durch sogenannte Eingreiftruppen den mächtigen Angriffen der
weit überlegenen Gegner an der Westfront mit Erfolg zu begegnen, indem
zurückgehaltene Reserven dem eingebrochenen Feinde entgegengeworfen
wurden. Dieses oft verlustreiche System der Eingreiftruppen erstarrte aber bald
zum Schema und kennzeichnete sich schließlich häufig als falscher
Einsatz der Reserven, nicht unähnlich dem unglücklichen Beispiel
des zersplitterten Reserveeinsatzes von Auerstädt. Statt die neu eintreffende
frische Truppe an kritischer Stelle mit ihrem gut arbeitenden Befehlsmechanismus
und ihrer frischen Gefechtskraft unter ihrem eigenen Führer einheitlich
einzusetzen, wurden sie oft vereinzelt und zersplittert verwendet. Manche der
Divisionen, die als Eingreiftruppe verbraucht worden sind, haben durch falschen
Einsatz keinen Erfolg gehabt, weil dabei alte, erprobte taktische Grundwahrheiten
verletzt wurden. Die Erhaltung der Verbände ist ein Element des Sieges;
auf ihr allein fußt der Einfluß des Führers auf den Geist seiner
Soldaten.
Die Verwendung und der Einsatz der deutschen Offiziere im Kriegsfalle
ist vor dem Kriege nicht richtig eingeschätzt worden. Wer aber hätte
sich wohl die männermordende Wucht und Dauer des Weltkrieges vorher
zutreffend vorstellen können? Wie sich schon bald schwer fühlbar
machen sollte, war die Einteilung der Offiziere nicht glücklich. Die
große Masse der aktiven Offiziere war in die planmäßig mobil
gemachten aktiven, Reserve- und Landwehrtruppen eingestellt, so daß es
schon für die im August 1914 neu aufgestellten Reservekorps an
Stämmen wie an Offizieren aller Grade fehlte. Trotz alles begeisterten
Opfermuts vermochten deshalb diese neuen Formationen die schwierigen
Verhältnisse der Ypernschlacht nicht zu meistern. Erst als den
späteren Neuformationen kriegsgeübte Stämme von Offizieren
und Mannschaften zugrunde gelegt wurden, hoben sich auch sofort die Leistungen
jener neuen Truppen. Bei der ersten Einteilung und dem späteren Ersatz der
Offiziere hätte man haushälterischer mit dem schwer zu ersetzenden
Material umgehen sollen. Wieder ist aber darauf hinzuweisen, daß man die
Länge und die Riesenverluste dieses Krieges nicht voraussehen konnte.
Sonst hätte es vielleicht nahe gelegen, von Anfang an die Offiziere in
fünf Staffeln einzustellen: in die aktiven,
Reserve-, Landwehrtruppen, Etappe und Heimat. Dann wären die
außerordentlich schweren Verluste an aktiven, also am sorgfältigsten
geschulten Offizieren in der vordersten kämpfenden Truppe Anfang 1914
wohl gemildert worden und die auf vier weitere Staffelungen verteilten Offiziere
zur Auffüllung der Lücken verfügbar und damit ihr
stärkerer Einfluß auf lange Zeit gewahrt geblieben.
Noch schwieriger war die Frage des Offizierersatzes. Wohl hat man
anfangs versucht, die vielen begeisterten jungen Männer von Bildung sofort
zu Offizieren auszubilden; aber die Ergebnisse waren nicht befriedigend. Die
[522] Truppe forderte,
daß nur diejenigen jungen Leute Offiziere würden, die mindestens
eine Zeit von etwa 6 Monaten im Felde Dienst getan hatten. Dadurch kam es,
daß diese besonders geeigneten jungen Männer häufig nutzlos
einem schnellen Schlachtentode preisgegeben wurden, wie das ergreifende
Beispiel der begeisterten deutschen Freiwilligen in der Ypernschlacht zeigt.
Zweifellos wäre eine planmäßige Ausbildung dieser Elemente
trotz jenes begreiflichen Verlangens der Truppe vorzuziehen gewesen.
Schließlich hätte sich in dem vortrefflichen deutschen
Unteroffizierkorps wohl ein geeigneter Offizierersatz gefunden. Wohl ist
mancher tüchtige Unteroffizier zum Offizier befördert worden. Im
großen aber ist das Unteroffizierkorps nicht genügend ausgewertet
worden, obwohl mancher kriegserprobte Unteroffizier dem gegen Ende des
Krieges eingestellten unerfahrenen Offizierersatz, welchem Lebenserfahrung und
die Fähigkeit der Menschenbehandlung vielfach mangelten, vorzuziehen
gewesen wäre.
Wenn trotz dieser ernsten Behinderungen sich das deutsche Heer allen
wechselnden Formen des Weltkrieges anzupassen verstand, so dankt es dies der
Nachwirkung der langen sorgfältigen Friedensschulung. Sie
befähigte es dazu, sich nicht nur mit dem Stellungskrieg abzufinden,
für den es nicht genügend ausgebildet war, sondern auch alle Formen
des Bewegungskrieges (das eigentliche Ausbildungsziel) zu beherrschen, und sich
dem Krieg im Hochgebirge, Mittelgebirge, in Sumpfgebieten, Waldzonen bis zum
Flachland und über See anzupassen. Nie hat der Stellungskrieg dahin
geführt, daß der Angriffsgeist Schaden gelitten hätte. Nicht nur
die großen Offensiven aller Kriegsjahre zeigen das, sondern auch die
unzähligen kleineren Unternehmungen auf allen Fronten. Aus dem
Stellungskrieg heraus wurden Sturmbataillone und Stoßtrupps geschaffen,
die sich als Mustertruppen kriegerischen Angriffsgeistes unter schwierigsten
Verhältnissen bewährt haben.
Als das deutsche Heer 1914 in den Krieg zog, als eine Kriegserklärung der
anderen folgte, hatten das deutsche Volk und das Heer keine "Nerven",
wenn auch fast die ganze Welt sich gegen Deutschland wandte. Am besten wird
die zuversichtliche Stimmung durch jenen Unteroffizier gekennzeichnet, der an
seinem Verschlag in der Mannschaftsstube die Worte anheftete: "Hier werden
Kriegserklärungen entgegengenommen!" Der deutsche Ansturm war 1914
überall überwältigend. Jeder feindliche Widerstand zerbrach.
Es ist nicht Schuld des deutschen Heeres, daß Schlieffens wohlerwogener
Plan nicht ausgeführt wurde, wie ihn der große Mann den Nachfahren
noch in der Todesstunde zugerufen hatte: "Macht mir nur den rechten
Flügel stark!" Warum mußten die 6. und die 7. Armee auf dem
äußersten linken deutschen Heeresflügel vor den
Drahthindernissen vor Epinal und Belfort Luxusschlachten schlagen, anstatt
westlich um Paris herum die von Schlieffens Genius ersonnene gewaltige
Ent- [523] scheidung zu bringen?
Auch das folgenschwere seelische Versagen im
Armee-Oberkommando 2, das dem Heere 1914 den Rückzugsbefehl
aufzwang, kann ihm nicht zur Last gelegt werden. Seine Folgen aber hatte es
auszukosten. Ohne starke seelische Erschütterungen können derartige
Mißerfolge auch an der Truppe nicht vorübergehen; sie hat ein
außerordentlich feines Empfinden für das Versagen der Führer.
Dazu kam nun der Stellungskrieg, der allmählich die Nerven
entkräftete, der vor allem England und Amerika gestattete, ihre
Millionenheere aufzustellen und die Neutralen gegen Deutschland
allmählich mobil zu machen, bis schließlich die Menschenkraft und
das Material der ganzen Welt gegen Deutschland eingesetzt wurden. König
Friedrich der Große3 hat in dieser Beziehung
geäußert, "daß unsere Kriege kurz und vives seyn
müssen, maßen es uns nicht conveniret, die Sachen in die
Länge zu ziehen, weil ein langwieriger Krieg ohnvermerkt Unsere
admirable Disciplin fallen machen und das Land depeupliren, Unsere Ressources
aber erschöpfen würde". Auch über manchem anderen
Wendepunkte des Weltkrieges waltete keine glückliche Hand, wie bei der
vorzeitigen Entsendung der Korps vom westlichen nach dem östlichen
Kriegsschauplatz, deren die Oberste Heeresleitung sogar sechs ausersehen hatte.
Schließlich genügte der Ausfall jener zwei Korps, um die Krise an
der Marne mit herbeizuführen. Es war die erste Nervenprobe, die man nicht
bestand! Rußland wäre 1915 niederzuwerfen gewesen, wenn man mit
mächtigem linken deutschen Flügel von Wilna her die russischen
Linien aufgerollt und ein Ende mit Rußland gemacht hätte, anstatt
durch frontales Anrennen "ordinäre Siege" im Schlieffenschen Sinne zu
erfechten. Die trotz allem immer wieder erkämpften und in der Geschichte
beispiellosen Siege offenbaren Kraft und Opfermut ohnegleichen. Sie
verkünden das hohe Lied vom deutschen Volksheer, aber anfangs
unmerklich wurde durch sie die immer spärlicher fließende deutsche
Menschenkraft aufgebraucht und zermürbt. Die Nerven ließen
schließlich nach.
1914 zerbrach der feindliche Widerstand überall vor dem gewaltigen
Angriff. Auch als jener unbegreifliche Rückzugsbefehl 1914 langsam
durchdrang, verlor anfänglich niemand die Nerven. Wenn höhere
Führer Tränen vergossen, weil sie aus dem Siegeslauf
zurückgehen mußten, so war das ein Zeichen innerer Wut, die
glänzend stehende Lage nicht ausnutzen zu dürfen, aber kein Zeichen
verlorener Nerven; und die Truppe betrachtete den Rückzug nur als eine
Umgruppierung, fühlte sie sich doch als Sieger. Auch die Folgen dieses
Rückzuges mit ihrem Verlust
zahlreicher deutscher Gefangener durch die in
Feindeshand fallenden Lazarette u. a. m. konnten das moralische
Gefüge des Heeres nicht erweichen. Erst die aufreibenden
Stellungskämpfe, die sich durch das 2. und 3. Kriegsjahr in verlustreichem
Ringen hinschleppten, und dem Heere die alten kampferprobten Offiziere und
Mannschaften raubten, konn- [524] ten bei ständig
fallender mangelhafter Ernährung und Versorgung (der Folge der
englischen Hungerblockade) allmählich zermürbend auf Nerven und
Seelen wirken.
Trübe war es, daß das Riesenmaß des Krieges es verhinderte,
die verwundeten, wieder geheilten Krieger ihren alten Truppenteilen
zurückzugeben. Wie viele der zurückzutransportierenden
Verwundeten baten beim Abschiede flehentlich ihre Vorgesetzten, doch für
ihren Rücktritt nach Heilung zum Truppenteil zu sorgen. Vergeblich! Die
gewaltigen Anforderungen des großen Krieges waren mächtiger als
der Wille des Kriegsministeriums, den Truppen ihre eigenen geheilten
Verwundeten zurückzugeben. Es mußte den dringenden und
plötzlichen Ersatzanforderungen, die oft in wenigen Stunden zu befriedigen
waren, immer wieder genügen. Dem konnte oft nur durch sofortigen
Einsatz aller Verfügbaren entsprochen werden. Die Treue zum alten
Truppenverband war ein vielleicht nicht immer richtig gewerteter Faktor im
seelischen Leben der Mannschaften. Dazu kam aber, daß der neue Ersatz
vielfach der alten kampferprobten Mannschaft und ihren Offizieren nicht mehr
ebenbürtig war; die Truppe4 wurde
langsam verwässert. Mit der Länge der Kriegsdauer schwand
allmählich auch der gute Wille und oft die innere Energie, den
Ansprüchen an Willenskraft und Nerven des Frontkämpfers zu
genügen.
Die Hungerblockade
hat Nerven und Geist mehr zerstört als den Leib.
Daß Nerven, Wille und Seele auch über den ausgemergelten
Körper gebieten können, hat dieser Krieg an unzähligen
Beispielen erhärtet. Wer beugt sich nicht in Ehrfurcht vor den vielen meist
unbekannt gebliebenen stillen Helden, die ihren zermürbten Körper
durch eine Heldenseele zu unerhörten Leistungen befähigten? Als
aber 1918 schließlich die Hoffnung auf Erfolg immer mehr schwand, als die
Überlegung allgemeiner wurde: "Es nützt doch alles nichts", da
ließ auch die Spannkraft der Seele nach. Krieg und Nerven hatten einst die
wunderbare Kraft der Truppe geschaffen. Als es aber dauernd "über die
Kraft" ging, da wurde die Nervenkraft der Truppe schließlich zerbrochen.
Das muß unabhängig von allen politischen Einflüssen
festgestellt werden.
[525] Wenn man sich mit den
Ursachen des endgültigen Niederbruchs der Stimmung beschäftigt,
so darf ein Moment nicht außer Betracht bleiben: das Herausbringen des
Friedensangebotes am 1. Oktober 1918 mit der am 2. Oktober 1918
eingeschlossenen Waffenstillstandsforderung durch die Oberste Heeresleitung.5 War auch die Einleitung von
Friedensverhandlungen schon Monate vorher durch die Oberste Heeresleitung
angeregt worden, so wurden doch durch diese unvermittelt wirkende Forderung,
deren Wirkung wohl falsch eingeschätzt oder anders beabsichtigt war,
Regierung, Reichstag und Volk, besonders aber
Regierungs- und parlamentarische Kreise, der Ansicht, daß Deutschland
militärisch ohnmächtig geworden wäre. Dieses Bekenntnis
militärischer Schwache wirkte lähmend in einem Augenblick, als alle
vaterländischen Kräfte zur einigen Auflehnung gegen die
Bedingungen des Feindbundes zusammengefaßt werden mußten. Die
Mitteilung dieser verhängnisvoll wirkenden Forderung
erfolgte - in Abwesenheit des nicht hinzugezogenen
Kriegsministers - durch einen Offizier der Obersten Heeresleitung vor dem
engeren Ausschuß des Reichstages (Vorsitz: Vizekanzler v. Payer,
Graf Westarp, v. Gamp, Stresemann, Groeber, Seyda [Pole], Fischbeck,
Ebert, Haase). Dazu kam, daß auch die Form der Mitteilung nicht
glücklich war. Der Verlauf der Ereignisse hat die in ihr zum Ausdruck
kommende, momentan pessimistische Auffassung nicht bestätigt, auch die
spätere Literatur6 hat dies bekräftigt. Die Wirkung
des Schrittes auf Regierung und Abgeordnete war aber nicht mehr zu beseitigen,
zumal von einer Geheimhaltung leider keine Rede sein konnte. Die Nachricht
gelangte tatsächlich auch schnell zur Front, die spätere
Abschwächung konnte ihren tiefen Eindruck nicht wieder ausgleichen. Der
Inhalt der Forderung mußte bei den Truppen die Hoffnungslosigkeit
weiteren Kämpfens steigern.
Früh setzte mit Beginn des Stellungskrieges die Fürsorge
für das geistige und gesellige Leben im Heere ein. War im
Siegessturm von 1914 eine solche Fürsorge unnötig gewesen, da der
Sieg die Seelen voll erfüllte und beflügelte, so mußten doch
mit beginnendem Stellungskrieg Seele und Geist sorgsam gepflegt werden. Das
wurde von den Truppenführern schnell erkannt und mit raschem
Entschluß in die Tat umgesetzt.
Unermüdlich waren sie bestrebt, für ihre Truppen Mannschaftsheime
zu schaffen. In der öden, wohnungsarmen sogenannten Lausechampagne
mit ihrem unergründlichen Kalkschlamm und in den Argonnen waren
solche Heime [526] ebenso nötig wie
in den öden Sumpfgegenden Rußlands und auf den anderen
Kriegsschauplätzen. In solchen Heimen konnten Mann und Offizier im
Trocknen lesen, schreiben, Karten spielen und einfache Genußmittel zu sich
nehmen. Das fröhliche Leben, das sich in diesen Erholungsstätten
entwickelte, bewies ihre Notwendigkeit. Auch dicht am Feinde gelang es vielfach,
behaglichere Lebensbedingungen zu schaffen.7
Die Heimat schenkte dem Heere Bücher, Zeitungen und anderen Lesestoff;
Feldzeitungen entstanden; Schreibgerät stand für jedermann zur
Verfügung, und auch für Musik wurde gesorgt. Mit längerer
Kriegsdauer wurden diese Wohlfahrtseinrichtungen allmählich an allen
Fronten planmäßig weiter ausgestaltet und zum Teil unter weiblicher
Leitung zu wahren Erholungsstätten. Buchhandlungen, Kinos, sogar
Theateraufführungen, Konzerte, alles konnten die Truppen in den kurzen
Erholungszeiten in den rückwärtigen Quartieren genießen.
Als die Divisionen immer mehr zu selbständigen Kampfeinheiten wurden,
ging die Pflege für diese Einrichtungen an die in den Gefechtsabschnitten
ortsständig verbleibenden Generalkommandos über. Damit wurde
der Divisionskommandeur die letzte und höchste Stelle, welche für
die körperliche wie die geistige und seelische Pflege der Truppe
allein verantwortlich blieb. An kritischen Kampffronten forderten die dort
befehligenden Generalkommandos schließlich nur noch taktische
Leistungen, nur dem Kampfzweck folgend, gezwungenermaßen vielfach
ohne Rücksicht auf den Zustand der Truppen. Es wurde fortab eine der
ernstesten Aufgaben des Divisionskommandeurs, der mit seiner Truppe von einer
Kampffront zur anderen zog, mit den unterstellten Truppenführern immer
wieder das innere Gefüge der Truppe wiederherzustellen und sie
kampffähig zu erhalten.
Schon Anfang 1916 waren die Anforderungen an Ersatz durch die Steigerung der
Verluste außerordentlich groß. So kam es, daß die
verfügbaren Ersatztransporte vornehmlich an die kritischen Fronten geleitet
werden mußten und für einzelne, nicht bedachte Stellen das Fehlen
des Ersatzes aus der Heimat empfindlich fühlbar wurde. Während
der Feind infolge seiner zahlreichen Formationen eine regelmäßige
Ablösung seiner Truppeneinheiten aus der Kampffront [527] ermöglichen
konnte, gab es für die deutschen Kampftruppen nur höchst selten
Ruhepausen. Nach schweren Kämpfen oft kaum flüchtig
aufgefüllt, eilten sie - vielfach ohne die Möglichkeit dringend
erwünschter Ausbildung - immer wieder zu neuer Verwendung an
kritischer Stelle.
Die Nachrichten über das immer schwieriger werdende Wirtschaftsleben in
der Heimat, die Sorge um die Angehörigen, Familien, verlassenen
Geschäfte bedrückten die Gemüter. Jeder neue Kampftag
nahm bewährte Kämpfer hinweg und lockerte damit das
Gefüge der Truppe. Daß trotzdem die Truppen bis zum Ende tapfer
aushalten, beweist, mit wie hohem Verständnis alle Kommandostellen von
der Division einschließlich abwärts für die Erhaltung der
Truppe zu sorgen verstanden. Als aber vom Sommer 1918 ab die
Hoffnungslosigkeit zunahm, da war es wohl schon zu spät, durch
Aufklärungsarbeit und vaterländischen Unterricht die Geister
erheben zu wollen. Miesmacherische, aus der Heimat zurückkehrende
Urlauber und besonders der schlechte Einfluß des jungen Ersatzes, der
keinen Kampfwillen mehr mitbrachte, gewannen allmählich an
Einfluß. Dabei war es in den Folgen gleichgültig, ob dieser Ersatz,
planmäßig für den erstrebten Umsturz vorbereitet,
bewußt werbend vorging, oder ob er durch die lang andauernde schlechte
Ernährung der Heimat und ihre große Müdigkeit angesteckt,
von Waffenniederlegung und Versöhnungsfrieden fabelte. Der alte Geist
getreuer Kampfgemeinschaft, der noch einmal bei den Angriffen 1918 zu hohem
Schwunge aufgeflammt war, begann
langsam - bis zur vollen Zermürbung ganzer
Truppenverbände, je nach dem Zufall der ihnen auferlegten schweren
Kampfaufgaben - nachzulassen. Dennoch muß festgestellt werden,
daß bis in die letzten Tage des Krieges die Kampffront unendlich viel
gesunder geblieben ist als Heimat und Etappe. Das beweist die Aufopferung und
der heldische Geist, die gerade in den letzten Kampfwochen zu Taten
befähigten, die mit den Höhepunkten kriegerischer Leistungen des
ganzen Krieges durchaus wetteifern konnten. Es hat viele Truppenteile gegeben,
die buchstäblich bis zum Einsatz ihres letzten Mannes auch in den
trostlosesten Endkämpfen getreu ihre Schuldigkeit getan haben. Das hat
niemand mehr anerkannt als die Feinde selbst.
Der feindliche Werbedienst hatte schon jahrzehntelang vor dem Kriege,
besonders im Kulturbereich des englischen Weltreichs und in den neutralen
Staaten, erfolgreich gegen Deutschland gewirkt, ohne daß die Regierung
dieser Werbearbeit durch geeignete Gegenmaßregeln begegnet wäre.
Dem deutschen Volke und Volksheere gegenüber hat diese feindliche
Werbetätigkeit allerdings niemals Wirkung gehabt, solange beide innerlich
gesund waren. In Deutschland fehlte leider völlig das Verständnis
für eine großzügige Werbearbeit und deren Abwehr vor und
während des Krieges. Nur sehr allmählich und nicht immer
glücklich setzte der deutsche Werbedienst ein. Aber trotz des Einsatzes sehr
erheblicher Mittel blieb eine Wirkung im großen aus. Vollkommen versagt
hat die [528] Heimat bei der Abwehr
der feindlichen Werbearbeit. So konnte es kommen daß diese unmittelbar
auf die Kampffront wenig wirksame Werbearbeit auf dem Wege über
Heimat und Etappe schließlich auch dem deutschen Heere gefährlich
wurde. Ein Volksheer kann auf die Dauer nur gesund bleiben, wenn es sich auf
ein gesundes Volk und gesunde rückwärtige Verbindungen
stützt. Frühzeitig gelang es dem feindlichen Werbedienst, mit den
Elementen, die in Deutschland den Umsturz der bestehenden Verhältnisse
erstrebten, Fühlung zu gewinnen und Hand in Hand zu arbeiten.
Wechselseitig stützte man einander und beschleunigte den
Auflösungsprozeß der deutschen Heimat, Etappe und gewann so
schließlich auch Einfluß auf das Heer. An dieser wechselseitigen
Erweichung von innen und außen ist es weit früher zugrunde
gegangen, als es die erschütternden Einflüsse des furchtbaren
Kriegsdramas an sich wohl vermocht hätten.
Nur skizzenhaft kann das Riesengebiet der feindlichen Werbearbeit8 berührt werden.
Ein lockendes Ziel für den feindlichen Werbedienst war die Entzweiung der
deutschen Bundesstaaten untereinander, insbesondere Preußens und
Bayerns, dem eine ganze Anzahl von Flugschriften und Blättern gewidmet
wurde (Wittelsbach gegen Hohenzollern!) und der tatsächlich bis zu
partikularistischer Beeinflussung bayerischer Regimenter geführt hat.
Gegen die Kaiserdynastie und alle deutschen Fürstenhäuser gingen
die feindlichen Sirenenklänge, denen der deutsche Michel nur zu
bereitwillig lauschte. Und tatsächlich hat er sein Tun und Lassen [529] ganz nach
Feindeswunsch eingerichtet: die vom Feinde bekämpften Dynastien sind
verschwunden; aber der versprochene Dank der Feinde, die Liebe und Segen
über Deutschland ausschütten wollten, blieb aus. An ihre Stelle
traten brutale Knechtschaft ohne Ende und Zerreißung des Reiches.
Unkenntnis der feindlichen Psyche, die sich in diesen Dingen auswirkte,
gehört zu den Merkmalen des deutschen Volkes einschließlich seiner
Staatslenker und Volksvertreter. Kitcheners Wort gibt zu denken: "Das deutsche
Heer werden wir nie besiegen. Wir verlassen uns auf den deutschen
Reichstag."
Außerordentlich umfangreich wirkte der amerikanische Werbedienst. Vom
Mittel- und Arbeitspunkt Paris aus bearbeiteten die Amerikaner über 100
Schweizer Einzelstellen Handel und Industrie und übertrafen hierin sogar
die Engländer. Das "gerechte Eingreifen" Amerikas wurde der Welt so
lange aufgedrängt, bis sie und selbstverständlich ein großer
Teil des deutschen Volkes daran glaubte. In Deutschland und Österreich
wurden die Volksteile gegeneinander und gegen die Regierung aufgehetzt.
Broschüren dieser Art in großer Zahl aus der deutschen Schweiz
wurden in Deutschland verbreitet. Mit Erfolg wurde der junge
österreichische Kaiser gegen Deutschland ausgespielt.
An das deutsche Volksheer wandte sich von 1917 ab offen die feindliche
Werbearbeit. Flugblätter gelangten mit Flugpost über die deutschen
Linien, wie die amerikanische Flugschrift Nr. 5 (November 1917): "An die
deutschen Soldaten!" Amerika kämpft nicht mit dem deutschen Volke,
sondern nur mit der autokratischen (?) Regierung; es schützt die
Freiheit (!) und Demokratie gegen den Kaiser und seine Junker. "Narren
erwacht! Millionen haben euere Kaiser euch ausgesaugt. Kämpft nicht
für Autokratie und Militarismus, gegen Freiheit und Demokratie. Kommt
zu uns. Amerika kämpft auch für eure Freiheit (!), gegen euere
Regierung, den Feind der Freiheit. Fahnenflucht aus einer Armee, die gegen
Menschlichkeit und die wahren Interessen des deutschen Volkes kämpft, ist
keine Unehre. Seid willensstark und hört auf, Sklaven zu sein." Das waren
die Schlagworte, die in den Tagen des deutschen Umsturzes erschütternden
Widerhall auch im deutschen Heere fanden. Die feindliche Werbearbeit konnte
zufrieden sein mit dieser Wirkung. - Auch an die deutschen Internierten
wandte man sich. Viele Tausende von Flugzetteln und Broschüren fanden
durch diese und andere Weise ihren Weg von der Schweiz nach Deutschland.
Werbeleute und Entsandte mit erheblichen Geldmitteln gelangten vom feindlichen
Ausland über die Schweiz nach Deutschland. Angriffsziele blieben der
Kaiser, die Fürsten, deren Apanagen und die Herbeiführung eines
Friedens ohne Entschädigungen und Einverleibungen. Von Beginn 1918
wandte sich die Werbetätigkeit insbesondere gegen die deutsche Oberste
Heeresleitung, vor allem gegen Ludendorff, gegen die Führer und Offiziere,
als allein verantwortlich für Beginn und Fortsetzung des Krieges. In
Deutschland, Österreich und den neutralen Staaten wurde die Losung
ausgegeben: "Weg mit Ludendorff - und wir haben Frieden." [530] Die Entente
müsse "leider notgedrungen den Krieg fortsetzen, weil der deutsche
Generalstab den Frieden verhindere". Hierzu wurden die über das Ziel
hinausschießenden Kundgebungen der Alldeutschen und der
Vaterlandspartei geschickt ausgenutzt. Widerhall und emsige Mitarbeit fanden
sich besonders in Österreich. Briefe deutscher Gefangener wurden
gefälscht, revolutionäre Schriften in Massen eingeschmuggelt. Der
Brest-Litowsker Friede wurde als Gewaltakt ausgeschlachtet, die deutsche
Regierung für unfähig zu Verhandlungen erklärt, weil sie unter
der Faust des Generalstabs stehe. Dieser Gärungsstoff sollte auch an die
deutsche Kampffront gebracht werden.
Wichtige Glieder des feindlichen Werbestoffes waren die Reden der
Ententeminister; sie priesen den Edelmut der herausgeforderten unschuldigen
Entente, beklagten das geknechtete unglückliche deutsche Volk,
verurteilten dessen autokratische Regierung und prägten es ihren
Völkern ein, weshalb Deutschland bestraft werden müsse. Je weniger
die deutschen Waffen besiegbar erschienen, desto mehr mußte die innere
deutsche Front erschüttert, Unruhe hervorgerufen und Deutschland von
seinen Bundesgenossen getrennt werden. Als Wilsons leitende Grundsätze
erschienen, sah man sie meist als annehmbar an; aber seine Sonderbedingungen
machten sie unannehmbar. Deutschland aber ist auf den plumpen Schwindel der
14 Punkte ebenso hineingefallen wie auf
alle anderen feindlichen Schlagworte!
Von Anfang 1918 drang der feindliche Werbestoff auch über Schweden
und Holland nach Deutschland. Außer den alten Zersetzungsbestrebungen
der Entente ließ sich eine international-sozialistische Werbearbeit in ganz
Europa, wie eine ausschließlich gegen die Mittelmächte, besonders
gegen Deutschland gerichtete, auf Umsturz ausgehende Wühlarbeit
unterscheiden. Mächtig setzte überdies von 1918 ab die
bolschewikische Werbearbeit ein, die durch den anfänglich sogar
begünstigten Verkehr und Gedankenaustausch der vordersten Linien schon
1917 in verhängnisvoller Weise eingeleitet worden war. Gefördert
wurde die Ausdehnung dieser Arbeit in der Front, als die aus der russischen
Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden zum Truppendienst herangezogen wurden.
Kamenew und Genossen brachten Millionenbeträge für
bolschewikische Werbearbeit nach Deutschland; auch Ententegeld floß den
anarchistischen Gruppen zu. Ganz im Sinne der Ententeforderungen arbeiteten die
Führer des Umsturzwerbedienstes.
Die - doch nur durch die Blockade notwendig
gewordene - Rationierung, ferner Luftangriffe, Unterseebootkrieg,
Kriegsverlängerung usw. wurden dazu ausgeschlachtet. Als
besonders wirksam wurde der Kampf gegen Ludendorff und gegen die deutschen
Führer und Offiziere empfohlen, nicht nur politisch, sondern auch
militärisch. Der mit staunenswerter Vielseitigkeit geführte Kampf
gegen Ludendorff gipfelte immer wieder in der Forderung: "Weg mit Ludendorff
und der Militärdiktatur!" Besonders stark war das Bestreben des feindlichen
Werbedienstes, die schwarz-weiß-roten Farben in den Schmutz zu
ziehen, [531] wehten sie doch
über den größten Erfolgen, die Deutschland seit Barbarossas
Zeiten gesehen hatte. Entwertet mußten auch die deutschen Kriegsorden
werden, vom Pour le mérite bis zum Eisernen Kreuz, dem
"Blutmal". "Rückläufer" wurden aus der Gefangenschaft
wohlvorbereitet zurückgesandt; amtlich zu Vorträgen zugelassen,
entfalteten sie ihre verhetzende Tätigkeit und bereisten das deutsche Land
als verkappte Hochverräter.
Welche verheerenden Wirkungen diese Werbearbeit ausgeübt hat, zeigt die
Tatsache, daß in Deutschland fast alle feindlichen, in ihr ausgesprochenen
Forderungen gewissenhaft ausgeführt worden sind. Der Kaiser und die
Fürsten sind ausgetrieben, die
schwarz-weiß-roten Farben beseitigt, der
"Militarismus" - d. h. die deutsche Wehrkraft, die einzige
zuverlässige Stütze des von Feinden umringten
Vaterlandes - ist vernichtet, mit ihm Freiheit und Sicherheit; Ludendorff
und die Offiziere wurden beschimpft, die Kriegsorden und Ehrenzeichen
unehrlich gemacht. Fürwahr, die feindliche Werbearbeit kann mit hoher
Befriedigung auf ihre Erfolge blicken. Erst der bitteren Erfahrungen der
Nachkriegszeit bedurfte es, um dem betörten Volke die Augen zu
öffnen. Bisher tobte Deutschland mit der Raserei des Selbstmörders
gegen sich und seine höchsten Werte. Neuerdings erst lehrt die harte Not
wieder klarer denken über das, was die Feinde an Lug und Trug ihm
angetan.
In innerer Verbindung mit der feindlichen Werbearbeit stehen die Schlagworte
Dolchstoß und Dolchstoßlegende. Von einer
"Legende" zu sprechen, ist angesichts der umfangreichen radikalen Belagsliteratur
nicht angängig. Die politischen Richtungen, welche die Erweichung der
Heimat und Unterwühlung des Heeres ins Werk setzten, haben eingehend
und geschichtlich überzeugend von ihrer erfolgreichen Tätigkeit
berichtet. Emil Barth gibt genaue Unterlagen in seinem Buche: Aus der
Werkstatt der deutschen Revolution. Zwei Mitglieder der
3. Internationale belegen sie durch das Buch: Unterirdische Literatur im
revolutionären Deutschland während des Weltkrieges.9 Schon die Gliederung des Buches
beweist den Zusammenhang der Auslandsarbeit mit der revolutionären
Arbeit in Deutschland: I. Die revolutionäre Propaganda in
Deutschland; II. Die revolutionäre Propaganda vom
Ausland her. Beide gingen Hand in Hand. Das Buch bringt neben der Entwicklung
der revolutionären Arbeit vom 4. August 1914, dem "Todestage der
2. Internationale" ab, zahlreiche Beispiele aus jenen "verborgenen
Seltenheiten, die während des Krieges in Fabriken von Hand zu Hand
gingen, als Flugblatt an die Front und, vorsichtig durch die Türspalte
geworfen, ihren Weg in die Wohnung des deutschen Arbeiters fanden, oder aus
der Luft herabglitten und dem ersten besten zugeweht wurden". Der Wortlaut
dieser revolutionären Dokumente wiederholt sich seitenweise immer
wieder - kein Zeichen für Geistesfülle, wohl aber für
das richtige [532] Erfassen der
Massenseele, der dieselben Gedanken immer wieder eingehämmert
wurden.
Mit der Kriegserklärung begannen Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und
Franz Mehring die Werbearbeit. Liebknecht erfaßte schnell die
Jugendorganisationen und gewann damit Einfluß, besonders auf die
jüngeren, demnächst dienstpflichtig werdenden Jahrgänge. Im
Frühjahr 1915 griff die Regierung zu. Liebknecht wurde Armierungssoldat,
Rosa Luxemburg verhaftet und Mehrings Wochenschrift verboten. Trotzdem
betätigten sich alle weiter. "Die Technik ihrer (als hektographierte
Spartakusberichte) illegalen Verbreitung scheint sehr gut gewesen zu sein, denn
bald waren die Spartakusbriefe selbst in kleinen Provinzstädten in allen
Teilen des Reiches bekannt" und wurden durch mündliche Werbung
weiterverbreitet. Die Saat, die damals gesät wurde, ging später bei
Einstellung dieser Jugend ins Heer unheilvoll auf.
Im März 1916 folgte die Bildung der "Sozialdemokratischen
Arbeitsgemeinschaft" der 18 Abgeordneten, die im Reichstage den Notetat nicht
bewilligt hatten, und damit auch den Feinden die gebrochene Einheitlichkeit des
Kampfwillens eindringlich offenbarten. Dadurch gewann die revolutionäre
Organisation erheblich an Kraft. "Von nun an folgen die Flugblätter in
immer kürzeren Abständen und mit Befriedigung wird der
eintretende Erfolg bestätigt." Weiter wirkte der Sturz der zaristischen
Regierung "klärend und revolutionierend" auf die Massen in Deutschland.
Anfang April wurden die "Unabhängige Sozialdemokratische Partei
Deutschlands" und der "Spartakusbund" gegründet. Mitte April 1917
folgten große, den Heeresnachschub beeinflussende Streiks in den
Industriezentren, und im Sommer wurde "infolge revolutionärer Agitation
in der Marine zum erstenmal von dem Mittel der Gehorsamsverweigerung
Gebrauch gemacht". Ende August trat die "Sozialdemokratische Jugendbewegung
Deutschlands" öffentlich in Tätigkeit. Nach dem Siege der
proletarischen Revolution in Rußland vom 7. November 1917 dehnte sich
die bolschewikische Werbearbeit aus und führte Mitte Januar 1918 zu
Massenstreiks in Wien und am 18. Januar auch in Deutschland, welche letztere
Bewegung indessen durch die Regierung unterdrückt wurde. Damals traten
auch "Arbeiterräte" als neue Errungenschaft auf den Plan.
Im März 1918 wurde wieder für einen großen Streik geworben
und eine Masse von revolutionären Schriften und Flugblättern
verteilt. Nun machte die revolutionäre Agitation auch unter den
Frontsoldaten immer größere Fortschritte. Das Flugblatt vom Juli
1918 "Kameraden, wer wagt?" wurde an der Front massenhaft verbreitet, "dessen
Einfluß auf das deutsche Heer deutlich in desorganisierender Tendenz, im
Nachlassen der Disziplin und Kampfenergie sichtbar wurde,"... "um so mehr, als
gleichzeitig große amerikanische Truppenteile (!) an der Westfront in
Aktion traten" (also ein planmäßiges Zusammenwirken des deutschen
Umsturzes mit dem Feinde!)... "Die Erkenntnis, daß die [533] Erhebung des
deutschen Proletariats allein die russische Revolution und damit die proletarische
Weltrevolution retten könne, bricht sich immer mehr Bahn."
Im II. Abschnitt (Die revolutionäre sozialistische Propaganda vom
Auslande her) wird klargelegt, daß diese von außen kommende
Bewegung erst in den beiden letzten Kriegsjahren Einfluß gewann, aber sie
wird verächtlich als "überspannter Partikularismus und
demokratischer Pazifismus" abgetan. "Oppositionelle" Auslandsdeutsche waren
die Träger. Von 1917 ab vereinigten sich die revolutionäre
Werbearbeit von Westen und die bolschewikische von Osten her. Die "fieberhafte
Tätigkeit" der deutschen Revolutionäre wird gelobt, welche auf der
demokratisch-pazifistischen Werbearbeit die rein revolutionäre aufbauten.
Auch der Deutsche Revolutions-Almanach für 1919 von
E. Drahn und Dr. E. Friedegg bringt vielseitige geschichtliche
Unterlagen. Weiteres Material findet sich in der Tagespresse, in
Flugblättern und Broschüren aller Art.
Durch diese und andere Einflüsse ließ allmählich die
Stimmung bei den in der Ausbildung begriffenen Ersatztruppen nach. Die in die
Heimat gelangenden Nachrichten über die hohen Verluste dämpften
die Begeisterung und den Kampfwillen. Mißmutig ging man zum Dienst.
Unbotmäßige mußten bestraft werden, die Zucht ließ
nach, der Waffendienst wurde unbeliebt. Stetig wuchs die Zahl der
Drückeberger. Auch zur Bestechung nahm man seine Zuflucht, um sich der
Gefahr der Front zu entziehen. Kriegsverwendungsfähige drückten
sich hinter der Front oder in der Heimat in Stellungen herum, die mit
Garnisonverwendungsfähigen zu besetzen gewesen wären. Nur
vorübergehend schufen die
"Heldengreifer-" und "Gesundbeter"-Kommissionen in den Etappen,
Ersatztruppen und Lazaretten Wandlung. Wer rechtzeitig krank wurde, versuchte
sich immer wieder in das alte "Pöstchen" zurückzuschwindeln.
Erwies sich der garnisondienstfähige Ersatzmann als unzulänglich,
so schlüpfte wohl der alte kriegsverwendungsfähige Inhaber wieder
in seine Stelle, sobald die Heldengreifer abgereist waren. Das Geschlecht der
"Unabkömmlichen" saß in den Schreibstuben, Kriegsgesellschaften
und Kriegsbetrieben und bezog Riesenlöhne oder Kriegsgewinne in
"Nummer Sicher", während draußen Blut über Blut floß.
Schon vor dem Marneangriff 1918, also im Juni, Juli, bröckelten viele
Leute der Ersatztransporte unterwegs ab und die wirklich Eintreffenden waren
vielfach minderwertig und widerwillig. Sie wollten nicht mehr mitmachen! Not,
Entbehrungen und Unterernährung der Angehörigen der
Frontkämpfer bildeten den Hauptinhalt der an die Kampffront gelangenden
Briefe. In dieser Stimmung der Erweichung fand das revolutionäre Gift
einen guten Nährboden. Die radikale und revolutionäre
Wühlarbeit hat wesentlich dazu beigetragen, die Widerstandskraft und den
Siegeswillen der Heimat zu lähmen, das Heer planmäßig
anzubröckeln und schwer zu schädigen. Dadurch trifft die
Revolutionäre die "Schuld an diesem Frieden". Diese
ungeheuerliche Tat [534] des Zerbrechens des
deutschen Kampfwillens im Ringen um Sein oder Nichtsein des Reiches bleibt ein
Fluch für kommende deutsche Geschlechter.
Angesichts der völligen Absperrung Deutschlands von aller Welt ist es ein
unvergängliches Verdienst der deutschen Technik, den Kampf gegen die
Materialerzeugung der ganzen Welt erfolgreich aufgenommen zu haben.
Es konnte aber nicht ausbleiben, daß letztere sich schließlich
überlegen auswirkte. Wenn sich schon bei den Gegnern der Ruf nach mehr
Munition gebieterisch geltend machte, so naturgemäß noch mehr im
deutschen Heere. Wenn anfangs Munition bei den Kämpfen des deutschen
Heeres zuweilen fehlte, so lag dies in dem ungeheueren, nicht vorauszusehenden
Bedarf begründet. Aber auch dann, wenn Munition später
schmerzlich vermißt wurde, wie z. B. bei den Sommekämpfen
im Sommer 1916, lag dies nicht am Fehlen der Munition, sondern an ihrem durch
unzählige Rücksichten beschränkten Einsatz. So standen
z. B. im Juni und Juli 1916 an Munitionszügen zur
Verfügung:
Monat |
Inf.-Mun. |
|
Feldart.-Mun. |
|
schw. F.H.-Mun. |
|
Mörser-Mun. |
|
10-cm-Mun. |
vor-
handen |
ver-
braucht |
vor-
handen |
ver-
braucht |
vor-
handen |
ver-
braucht |
vor-
handen |
ver-
braucht |
vor-
handen |
ver-
braucht |
|
Juni |
277 |
48 |
350 |
306,7 |
303 |
167 |
122 |
89 |
58 |
23,7 |
Juli |
185 |
75 |
490 |
318 |
456 |
186 |
248 |
105 |
59 |
27 |
Bei dieser Bereitstellung war der Mangel nur in der Art des Einsatzes
begründet. Die Oberste Heeresleitung hatte gleichzeitig für Verdun
und die Sommefront zu sorgen. Der feindliche Angriff erfolgte am 1. Juni 1916 an
der Somme10 in einem Abschnitt, wo ihn die
Oberste Heeresleitung trotz aller Meldungen der unterstellten
Kommandobehörden nicht erwartet hatte; die an anderer Stelle
bereitgestellte Munition wie die Reserven aller Waffen mußten erst an die
Angriffsfront verschoben werden. So kam es, daß an der Somme zuerst die
Infanterie mit Blut bezahlen mußte, was an Artillerie und Eisen fehlte. Was
in der ersten Kriegszeit verhältnismäßig leicht getragen wurde,
wirkte jetzt niederdrückend auf die schwer leidende Infanterie.
Durch die ungeheuere Überspannung aller Anforderungen in den letzten
beiden Kriegsjahren wird auch die Unterlegenheit an Kampfwagen
(Tanks)11 [535] 1918 erklärlich;
immerhin hatte man den Wert und die Gefährlichkeit der Kampfwagen
wohl unterschätzt; im Bau von Kampfwagen blieb Deutschland jedenfalls
im Hintertreffen.
Diese feindliche Überlegenheit an wirkungsvollen technischen
Kampfmitteln jeder Art machte sich je länger desto mehr geltend und stellte
die Moral der deutschen Kämpfer auf ständig schwerere Proben. Mit
fortschreitender Kriegsdauer wuchsen sich die Kämpfe immer mehr zu
Materialschlachten aus, in denen die deutschen Truppen grundsätzlich mit
überlegener feindlicher materieller Kraft zu rechnen hatten und dafür
Blut einsetzen mußten. General Frhr. v.
Freytag-Loringhoven12 schildert die Überlegenheit des
Feindes an Material, besonders im Luftkampf, trotz hervorragenden Opfermutes
und glänzender Leistungen der deutschen Flieger.
"Welche Massen von Flugzeugen
unsere Feinde zu Beobachtungszwecken, zu Bombenabwürfen in und hinter
unserer Front und zur Unterstützung ihrer angreifenden Infanterie durch
Maschinengewehre von oben einzusetzen vermochten, ergibt sich z. B.
daraus, daß der amerikanische Angriff gegen den Bogen von
St. Mihiel am 12. September 1918 durch 550 französische und 610
amerikanische und englische, im ganzen sonach 1160 Flugzeuge,
unterstützt worden ist. 2500 Geschütze und 250 Tanks haben
außerdem den amerikanischen Einbruch in unsere Linien gelingen helfen.
Die zuletzt massenhaft an den feindlichen Fronten auftretenden Tanks waren uns
vor allem dort gefährlich, wo sie überraschend erschienen. Ihr
moralischer Eindruck war um so weniger zu unterschätzen, als die
deutschen Truppen zum Teil 1918 an innerem Gehalt eingebüßt
hatten."
Von starkem Einfluß auf die seelische und geistige Stimmung im deutschen
Heere mußten auch die Verhältnisse in den verbündeten
Heeren sein, mit denen deutsche Verbände Schulter an Schulter
kämpften, mit deren Schicksal sie das eigene zusammenhängend
wußten. Den Niedergang des Kampfwillens bei ihnen mußten sie als
Augenzeugen mit erleben und mit eigenen Opfern ausgleichen. Wenn sie trotzdem
ihre Pflicht im fremden Heere bis zum Schluß erfüllten, so muß
das um so höher bewertet werden, als sie sahen, daß sie für
eine verlorene Sache kämpften.
[536] An dem
Zusammenbruch des österreichisch-ungarischen Heeres
trägt das Deutschland der Vorkriegszeit zweifellos einen Teil der Schuld.
Es war ein großer Fehler des deutschen Generalstabs, sich um die
Kriegsbereitschaft seines Verbündeten nicht mehr gekümmert zu
haben.
Schon 1886 hatte der Generalfeldmarschall Graf Dr. Waldersee13 am 2. Juni geschrieben:
"Es stellt sich immer mehr heraus, wie
verworren und auf die Dauer unhaltbar die Verhältnisse in Österreich
sind. Die Armee, die bisher das Reich zusammenhielt, wird gewaltsam
nationalisiert, verliert an innerem Halt und kann den totalen Zusammenbruch
nicht mehr abwenden. Ich fürchte, wir haben in Österreich einen
recht geringwertigen Bundesgenossen."
Hierüber urteilte Falkenhayn:14
"Dreierlei haben wir aus dem Kriege
gelernt: 1. Die Militärattachés haben vielfach
versagt. 2. Wenn man einen Bundesgenossen hat, muß man
sich mehr um ihn kümmern. Eine enge Verbindung zwischen beiden
Verbündeten muß bestehen, damit der eine die Eigenarten des
anderen, seine Stärken und Schwächen kennenlernt.
3. Das militärische Haupt muß im Frieden der
Kriegsminister sein, dem der Generalstab untersteht."
Hierzu bemerkt General v. Wrisberg:
"Was die geforderte enge Verbindung
anlangt, so war diesem Punkt rückhaltlos zuzustimmen. Vieles wäre
sicherlich anders gekommen, wenn man die
österreichisch-ungarischen Verhältnisse mehr gekannt und die
Bestrebungen von Conrad
v. Hötzendorff, die Wehrmacht der
Monarchie zu verstärken, verständnisvoll durch den Reichskanzler
unterstützt hätte. Meiner Überzeugung nach hatte der
Generalstab den österreichischen Verbündeten
überschätzt. Hierauf bezog sich auch wohl die Äußerung
Falkenhayns."
Hätte man sich hiernach nicht genaue Kenntnis über die
österreichische Armee verschaffen müssen? Wäre dies
geschehen und fand man die Minderwertigkeit des Bundesgenossen
bestätigt, so hätte Deutschland, d. h. der Reichskanzler, alles
daransetzen müssen, den österreichischen Chef des Generalstabs in
seinen Forderungen um Besserung zu unterstützen. Daß sich im
österreichischen Heere sehr wohl Männer von gewichtigem
Einfluß gefunden hätten, um solche deutschen Forderungen
kräftig zu unterstützen, darüber gibt das grundlegende
Quellenwerk des Feldmarschalls Conrad v. Hötzendorff
erschöpfende Auskunft.
Nach seinen Ausführungen liegt - wie für Deutschland - so auch
für Österreich-Ungarn die Hauptursache des Zusammenbruchs vor
allem in einer völlig unzulänglichen Politik vor dem Kriege,
während des Krieges und bis zum Zusammenbruch. Klar und weitblickend
hat Conrad die Lage stets richtig
durch- [537] schaut und
militärisch rücksichtslos die nötigen Forderungen daraus
gezogen. Daß ihm die Politik der Donaumonarchie nicht gefolgt ist, wurde
ihr Verhängnis, daß die deutsche Regierung in falscher
Zurückhaltung nicht für seine Bestrebungen eintrat, ihr
Schicksal.
Wie auch General Alfred Krauß15 sagt, lag
die
"... größte Schwäche Österreichs in
der Unfähigkeit seiner Herrscher und Regierungen, die
Nationalitäten mit Staatsgefühl und einem Staatsgedanken zu
erfüllen.... Im Gegensatz zu Deutschland waren die inneren
Verhältnisse Österreich-Ungarns in vollstem
Maße verfahren.... Die staatlichen Verhältnisse machten
natürlich auch Schule im Heere. Auch in diesem fehlte daher die wahre
Männlichkeit, der Mut der eigenen Meinung und der Mut, sie nach oben zu
vertreten.... Jede Armee habe die Generale, die der Staat durch seine
Verhältnisse und Grundsätze heranziehe und somit verdiene. Nur
dort konnten Generale wie Hindenburg und Mackensen aufwachsen,... wo der
Soldatenstand der anerkannt erste Stand im Staate war. Die Hälfte der
Einnahmen Österreichs ging für die Bezahlung der Staatsangestellten
auf. Das Beamtentum sah in der Armee den gefährlichsten Gegner seiner
Geltung.... Im öffentlichen Leben herrschten überall nur
persönliche Rücksichten.... Sachliche Tüchtigkeit und
Arbeitskraft waren Nebensache, Name, Familienbeziehungen, Bekanntschaften
waren wertvoll.... Tüchtigkeit reichte nur hin, als Zugkraft in niederen
Stellungen ausgenützt zu werden.... In
Österreich-Ungarn, wo der Kaiser gelegentlich der Kronlandsreisen einem
jungen gräflichen Beamten, der den Bezirkshauptmann vertrat, die Hand
reichte, dem danebenstehenden, im Dienste ergrauten General aber kaum ein paar
Worte widmete,... wo sich der verantwortliche Beamte hinter dem
unverantwortlichen Monarchen versteckte - »der Kaiser will nicht
oder will « - war es kein Wunder, daß sich die
unfähigsten Männer bedenkenlos zur Leitung des Staates berufen
fühlten, wurden sie doch nie zur Verantwortung gezogen, fanden sie doch
immer Deckung hinter dem Kaiser.... Nicht einmal die deutsche Staatssprache
vermochte man durchzusetzen und stützte dadurch die allgemeine nationale
Hetzarbeit. So konnte das Gift der deutschfeindlichen nationalen Verhetzung und
Zersetzung weiterwirken und bei der immer geringeren Auswahl des
Offizierersatzes immer mehr in das Offizierkorps und damit in die Armee
eindringen.
Um die maßgebenden Personen, den Kriegsminister
und den Chef des Generalstabs, bildeten sich Gruppen, die nur für ihre
persönlichen Belange sorgten. Sachlich denkende, fühlende und
handelnde Personen waren diesem System um so gefährlicher, je
tüchtiger sie in ihrem Beruf waren. Sie wurden bekämpft,
ferngehalten, an maßgebenden Stellen verschwärzt und in
üblen Ruf gebracht, um sie unschädlich zu machen. So konnten die
unfähigsten Personen in leitende Stellen kommen; dort galt ihr ganzes
Sinnen dem langen Ver- [538] bleiben im Amt. Trotz
dieser krankhaften Verhältnisse gab es in der Beamtenschaft und im Heere,
besonders im Generalstab, zahlreiche hervorragende tüchtige
Männer, die nur nicht zur Geltung kommen konnten, weil sie der richtigen
Führerschaft ermangelten, die sie zu einer zweckmäßigen, zum
Erfolg führenden Arbeit vereinigte.
So waren die inneren Verhältnisse der Monarchie,
als der Krieg losbrach. Daß sie den Kampf der Monarchie namenlos
erschweren mußten, war klar, um so mehr als die österreichische
Regierung auch während des Krieges vollkommen untätig blieb. Sie
wurde nur eifrig, wenn es sich darum handelte, dem Heere bei der Gesundung
dieser Verhältnisse in den Arm zu fallen."
Diese unglücklichen Verhältnisse mußten sich um so
schlimmer auswirken, weil das tragende Element im Staate die Deutschen, das
einigende Band allein das Heer war. Auf das Heer erstreckten sich deshalb die
gegenseitigen Nationalitätenkämpfe. Nach General Krauß war
die Verweigerung der Heeresbedürfnisse das beliebteste Druckmittel der
Ungarn. "In blinder Beschränktheit übten in dieser
Beziehung die ungarischen Politiker Selbstmord an ihrem Volk und Staat. Das
stärkste Stück dieser Art, dessen Wirkung sich lange im Kriege
blutfordernd geltend machte, war die Verweigerung der Verstärkung der
Artillerie... Als diese endlich erkauft war, verweigerte Ungarn die
Erhöhung der Rekrutenzahl, die nötig war, um die neuen
Artillerieformationen aufzustellen." Österreich beugte sich dem und
verzichtete auch in den acht österreichischen Korps darauf, die Artillerie zu
verstärken.
Das mußte mit ungeheueren Verlusten bezahlt werden. Während die
deutsche Division von 12 Bataillonen 72 leichte Geschütze hatte,
verfügte die österreichische von
12 - 16 Bataillonen nur über 36 leichte Geschütze.
Noch während des Krieges sprach Ungarn der Militärverwaltung das
Recht ab, ohne die Zustimmung der ungarischen Regierung die nötigen
Geschütze usw. aus den Kriegsmitteln zu bestellen. "Diese Haltung
wurde nicht geändert, als der Krieg die Zurückstellung aller
Teilinteressen erforderte."
General Auffenberg-Komarow16 berichtet:
Erst im 3. Kriegsjahre unter Kaiser Karl "wurde die so lange und unter den
schwersten Kämpfen bewahrte Einheitlichkeit der Armee endgültig
preisgegeben, trotz des gegenteiligen Rates bewährter Generale. Es war
dies eine der ersten, doch auch der tiefgründigsten Ursachen, die zum
Zerfall der Armee führte."
Während in fast allen Ländern die breite Masse der Völker
vaterländisch eingestellt war, war in Österreich das Gegenteil der
Fall. "Da kamen die Rekruten oft national verhetzt, der Reichsidee diametral
entgegengesetzt orientiert, zu den Fahnen, und was dem einen als Heldentum
demonstriert wurde, galt dem anderen als brutale Unterdrückung, und jene,
die von der einen Seite als
glor- [539] reiche Märtyrer
gepriesen, wurden von der anderen Seite als treulose Verräter
bezeichnet."
Diesen zerreißenden Strömungen setzte sich nur das
österreichische Offizierkorps entgegen, welches im besten Sinne
"anational" gewesen sei. Nur hierdurch gelang es, die Armee bis zum letzten Ende
unpolitisch zu erhalten. So wurde das Offizierkorps zum Segen des bunt
zusammengewürfelten Nationalitätengemisches, genannt
Österreich. Auch General Hugo Kerchnawe17 bezeichnet die alte
österreichische Armee als "einzig verläßliche, jedenfalls aber
verläßlichste Stütze" dieses Staatswesens. Herzbewegend ist
das Geständnis von Auffenberg-Komarow: "Und wer immer die Geschichte
des altkaiserlichen und späteren
österreichisch-ungarischen Heeres einst schreiben wird, müßte
als Motto setzen: »Vierhundertjährige Leidenszeit eines
Offiziers«."
Je länger der Krieg dauerte, desto unzuverlässiger wurden auch die
(nichtdeutschen) Ersatzmannschaften einschließlich Offizieren, bis sie
schließlich ganz offen mit dem Feinde verhandelten und zu ihm
übergingen. "Es war die Auflösung von innen, die unsere Reihen
zerbrach." Heiß hatte Allösterreich auf die jugendstarke Hand Kaiser
Karls gehofft. Vergeblich! "Erst als das Reichspanier weggeworfen wurde und
ganz unverständliche, völlig herostratische Verfügungen alle
Bande zerrissen, zerbrach auch das eherne Gefüge, und ein stolzer alter Bau
lag mit einemmal in Trümmern." So haben sich am letzten Habsburger die
Sünden der Väter gerächt, daß er selbst
blindwütend den Pechkranz in das brennende Staatsgebäude
schleudern mußte und damit sein und seines Volkes Geschick furchtbar
erfüllte.
Wenn man den Niedergang des österreichischen Heeres von hoher
geschichtlicher Warte betrachtet, die Ursachen des Zusammenbruchs und die
zerstörenden Kräfte wägt, kann man nicht zu einer
Verurteilung der braven Männer deutschen Stammes unter Waffen18 kommen, die einem ungeheueren
Schicksal erlagen, weil es ihnen an überragender Führung durch die
Jahrhunderte hindurch und in den Entscheidungsstunden des Staates gefehlt
hat. - Furchtbar aber mußte die wachsende Erkenntnis dieser Dinge
auf die unmittelbaren Augenzeugen, auf die mit und neben ihnen
kämpfenden deutschen Truppen wirken.
Aus ähnlichen Gründen, wie in Österreich-Ungarn, brachen
auch die deutschen Fronten in der Türkei und Bulgarien
zusammen, obwohl dort deutsche Truppen bis zum letzten Augenblick ihre volle
Pflicht und Schuldigkeit getan haben. In der Türkei lag der wirkliche Grund
des Zusammenbruchs "in der inneren Zersetzung des ganzen türkischen
Staatsorganismus, einem bis an die Wurzeln faulen Verwaltungssystem, jener
Paschawirtschaft, die, allen
Re- [540] formen abhold, die
reichen Schätze des Landes verwerflichem Eigeninteresse nutzbar machte,
statt sie zum Wohle des Ganzen zu verwenden.... Machtlos stand General
v. Falkenhayn (ebenso wie Liman v. Sanders) dem Versagen der rückwärtigen türkischen Verbindungen gegenüber. Der
rechtzeitige Einsatz deutscher Truppen gegen den feindlichen Ansturm war
unmöglich geworden."19
Unausrottbare Fahnenflucht fraß am Mark des türkischen Heeres. Die
bewaffneten Fahnenflüchtigen stürzten sich auf die
Verpflegungsstellen und lieferten den Truppen auf den rückwärtigen
Verbindungen vollkommene Gefechte. Während der Transporte liefen die
türkischen Rekruten davon und verkauften Waffen und Kleidung.
Arabische Regimenter versagten oder liefen über. Überall herrschte
Mangel, fehlte es den Türken an aller für den Feldkrieg
unentbehrlichen Ausrüstung und jedem Gerät.
"Dem konnte sich selbst eine
Kerntruppe wie das deutsche Asienkorps nicht ganz entziehen.... Die deutschen
Kompagnien vermochten zu Anfang im Höchstfall 70 Mann ins Gefecht zu
bringen, auch das nur, wenn der Führer mit größter Sorgfalt
und Strenge darauf achtete, daß jede nicht unbedingt erforderliche
Verwendung eines Mannes außerhalb der Kampftruppe vermieden wurde....
Schon am Tage nach der Ankunft in Damaskus konnte man an den
Straßenecken gedruckte Anschläge sehen, in denen von ungenannten
Hetzern das Volk aufgefordert wurde, die Deutschen totzuschlagen, solange sie
noch nicht über die nötigen Truppen in der Stadt
verfügten."
Wenn es galt, den überlegenen Feind zurückzuwerfen, mußten
die Deutschen einspringen; aber es kostete viel deutsches Blut und blieb oft
erfolglos, weil die türkischen Anschlußtruppen häufig
versagten. Immer aber boten die deutschen Truppen bei feindlichen Angriffen als
granitene Pfeiler der Front dem Sturme heldenmütigen Widerstand.
"Es war eine tragische Fügung,
daß Deutschland, seinem osmanischen Bundesgenossen die Treue haltend,
in die Katastrophe hineingezogen wurde, daß deutsche Truppen fern der
Heimat auf dem heißen Boden Asiens Gesundheit und Leben opfern
mußten, um der Türkei den vertraglich zugesicherten Besitzstand zu
erhalten.... Nicht als Sieger kehrten die deutschen Palästinakämpfer
aus dem fernen Osten in die Heimat zurück; aber sie brachten das stolze
Bewußtsein mit heim, daß sie auf dem Boden des heiligen Landes
auch dann, als alles um sie herum zusammenbrach, die deutsche Waffenehre
hochgehalten haben."
Heute ist die Türkei unter den besiegten Staaten der erste, der sich wieder
für die Freiheit erhebt. So darf Deutschland hoffen, daß auch die
Fäden, die Deutschland mit der Türkei verknüpften, einst
wieder enger gezogen werden, daß die deutschen Toten, die auf heiligem
Boden ihr Leben für ihre Verbündeten und ihre Waffenehre
dahingaben, nicht vergeblich gebracht sind.
Den inneren Zusammenbruch Bulgariens kennzeichnen folgende Worte:20
"Die Dürftigkeit unseres
sozialen Fühlens und Nationalgefühls ist der [541] Grund des
Zusammenbruchs. Versagt haben alle: das Volk, die Intellektuellen, die
politischen Führer und Gewalthaber; es ist falsch und eine
Irreführung, nach einzelnen Schuldigen zu suchen. Zur Zeit der Befreiung
ging unter dem Einfluß des allgemeinen Unglücks das
Nationalgefühl hoch. Doch gleich nach der Befreiung dachte keiner daran,
die Ansätze des Nationalgefühls zu entwickeln. Jeder kleine und
große Führer der verschiedenen Parteien suchte bloß die
allerniedrigsten Gefühle im Volk für seine eigenen Zwecke
auszubeuten. Sie frönten den materiellen Volksinstinkten. Demagogie,
Furcht, Eitelkeit, Strebertum wurden Hauptäußerungen und Mittel
unseres politischen und staatlichen Lebens."
Diese Verhältnisse übertrugen sich auch auf die bulgarische Armee.
Mangel an Ausrüstung, Bewaffnung, Bekleidung, Ernährung und
völliges Versagen des Nachschubs, allgemeine Drückebergerei und
schließlich offene Meuterei brachen das Heer zusammen. Hinzu trat aber
auch Bestechung durch die Entente, deren Organ der in Sofia auch nach der
Kriegserklärung verbliebene amerikanische Gesandte war. Im bulgarischen
Volke selbst war die "Partei des Friedens um jeden Preis" emsig am Werke und
hat zum schweren Schaden des Landes schließlich die Oberhand
gewonnen.
Auch hier ist festzustellen, daß die in die bulgarische Front eingesprengten
deutschen Truppen21 bis zum letzten Augenblick ihre
Schuldigkeit getan haben. Das beim Rückzuge in den mazedonischen
Bergen erduldete Martyrium und alle unerhörten Leiden auf dem
Rückzüge wurden mit Ehren bestanden.
Es war nötig, auf die Zusammenbrüche von Bulgarien und der
Türkei einzugehen, denn gerade die Folgen der über die
Südostfront schnell hereinbrechenden Katastrophen haben an der Festigkeit
der deutschen Fronten erheblich gerüttelt und dort schneller zum traurigen
Abschluß gedrängt.
Die bulgarische Regierung hat Deutschland den Vorwurf gemacht, sie an
Bewaffnung, Ausrüstung und Bekleidung nicht genügend
unterstützt zu haben. Diesen Vorwurf hat sie als Grund des Versagens
hingestellt. Der Vorwurf ist eine glatte Erfindung. Deutschland hat, wie Zahlen22 beweisen, unterstützt, [542] wie es nur konnte. Die
bulgarische Regierung aber hat das, was ihr für die Armee gesandt wurde,
dieser nicht zukommen lassen, sondern für einen künftigen Krieg
zurückgehalten. Als dann die Bekleidung der bulgarischen Armee derart
wurde, daß es so nicht mehr weiter ging, wurden Bekleidung und
Ausrüstung direkt an die Oberkommandos gesandt. Das nahm die
bulgarische Regierung übel.
Hauptschuld an dem Verhalten der bulgarischen Regierung trug der
Ministerpräsident Malinoff. Er stand innerlich auf seiten der Entente. Das
beweist seine Erklärung in geheimer Sobranjesitzung am 30. September:
"Sie wissen meine Herren, daß ich stets gegen diesen Krieg gewesen bin."
Gegen den Erwerb Morawiens und der Dobrudscha war er gleichgültig.
Seine Reise zur Front kurz vor dem Zusammenbruch soll keineswegs dazu
beigetragen haben, die Truppen zum Durchhalten zu begeistern, sondern
Stimmung für einen Waffenstillstand und Frieden zu machen.
Auch der Chef des bulgarischen Generalstabs, General Lukow, hat aus seiner
Zuneigung zur Entente kein Hehl gemacht.
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