Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Bearbeitet von
Generalmajor Ernst v. Wrisberg, Generalmajor Hans Föst,
Generalmajor Ludwig Wurtzbacher, Oberstleutnant Friedrich
Augustin,
Hauptmann Rudolf Schmidt, Oberst Stefan v. Velsen,
Hauptmann Walter Sußdorf, Oberstleutnant Siegfried Boelcke,
Oberst Walter Nicolai
[v]
Einleitung
Gewiß! Das Ringen im Kriege entscheidet sich letzten Endes immer auf
den Schlachtfeldern der Kampffront. So war
es - und so wird es in alle Zukunft bleiben. Aber die dort die
Entscheidung bringenden Kräfte haben im Lauf der Zeiten oft
entscheidende Änderungen erfahren. Zu der Kunst des Feldherrn, zu
der physischen und seelischen Kraft der Truppen haben sich, besonders in
den letzten 50 Jahren, neue Mächte gesellt, die jene
ursprünglichen Grundlagen kriegerischen Geschehens empfindlich
beeinflußten.
Es wäre ein Irrtum, wollte man bestreiten, daß sich das
Ingenium des Feldherrn nicht habe anpassen müssen den ungeheuren
Fortschritten, die der gewaltige Aufschwung der Technik für alle
Lebenserscheinungen zur Folge hatte. Es ist vielmehr ein Kennzeichen
ebendieses Ingeniums, wenn es die in den technischen Errungenschaften
liegenden Möglichkeiten des Erfolgs schneller als andere erkennt und
ihre Vorteile klar bewußt in seinen Dienst
zwingt. - Es wäre ein Fehler, wenn man leugnen wollte,
daß die körperlichen und seelischen Kräfte der Truppen
teils auf das stärkste fördernd, teils auf das schwerste hemmend
durch technische Fortschritte beeinflußt werden. Ist es
schließlich doch die Waffenwirkung auf dem Schlachtfelde, die einen
der Gegner veranlaßt, auf weitere Gegenwehr zu verzichten, indem sie
seine körperliche Kraft vernichtet, seinen seelischen Willen
zerbricht.
Die Entwicklung ging aber auch noch in anderer Richtung. Das bekannte
Wort, daß Gott immer mit den größten Bataillonen sei, hat
im Weltkriege einen erweiterten Sinn bekommen: auch die Zahl der
Kämpfer und die Menge der Kampfmittel haben im Weltkriege ihre
brutale Herrschaft erwiesen, indem sie die anderen Erfolgsfaktoren auf der
einen Seite auf das höchste steigerten und der Gegenseite die
Unterstützung versagten, deren sie zur Erreichung des Erfolgs
bedurfte. Die außerordentlich gewachsene Masse der Kämpfer
und der Kampfmittel stellt aber auch wieder Voraussetzungen und
Bedingungen auf, deren Erfüllung ihre Wirkung bestimmt.
Alle diese Kräfte zur vollsten Wirkung zu bringen gelingt nur einer
sachgemäßen, einwandfrei arbeitenden Organisation. Kann eine
solche auch jene Kräfte nicht bis ins ungemessene vervielfachen, so
kann sie doch der Unterlegen- [vi] heit einen Zuwachs
an Kraft geben, der sie zu ungeahnten, für unmöglich
gehaltenen Taten befähigt. Wie wäre es sonst möglich
gewesen, daß die Mittelmächte Europas mehr als vier Jahre
hindurch gegen eine erdrückende Übermacht den Kampf so
hätten durchführen können, daß ihnen zeitweise
der Erfolg sicher schien! Und wenn schließlich allem Opfermut des
deutschen Volkes der Erfolg versagt blieb, so darf es doch von sich
rühmen, daß kein anderes Volk der Welt gegen eine solche Zahl
von Gegnern, von Kampfmitteln und gegen einen derartig
rücksichtslosen, brutalen Einsatz derselben, gegen derartig perfide,
alle Moral zerstörenden seelischen Einflüsse seinen
Verzweiflungskampf in dieser heldenhaften Weise hätte führen
können. Nur unter der Fülle und der Wucht der Masse ist
schließlich der Wille zur Fortführung des Krieges zuerst in der
Heimat und dann an der Front zusammengebrochen.
Verschieden und doch wieder in mancher Hinsicht ähnlich geartet
waren die Folgen, die sich aus der Steigerung der Massen und aus den
Fortschritten der Technik ergaben. Die Waffen und sonstigen Kampfmittel
waren früher so einfach, daß man von
einer - gegenüber heute - großen
Bedürfnislosigkeit des Heeres sprechen konnte. Was es bedurfte, trug
es in der persönlichen Ausstattung des Soldaten oder führte es
in den pferdebespannten Kolonnen mit sich. Die Hauptmasse der
nachzuführenden Vorräte umfaßte damals die
Verpflegung; aber auch diese war bei der Kleinheit der Heere und der
Möglichkeit, im Bewegungskriege aus dem Lande zu leben, nur ein
unbedeutender Teil dessen, was im Weltkriege als normaler Bedarf erschien.
Die an Kaliber und Feuergeschwindigkeit außerordentlich
verbesserten Waffen haben heute den Munitionsnachschub an die erste Stelle
treten lassen, der durch die dauernd steigende Vielfältigkeit der
Waffen neue Kampfmöglichkeiten, aber auch neuen Bedarf schuf. Zu
den eigenartigen Bedürfnissen der neuen Waffen traten solche
für die neuen, aus dem gesteigerten Nachschub geborenen
Verkehrsmittel.
Was der Krieg forderte, erfand die Wissenschaft, verwirklichte die Technik
und machte kampfverwendungsfähig die Organisation. Was
Deutschland auf diesem Gebiet im Kriege geleistet hat, verdient eine um so
höhere Bewertung, als darin im Frieden eigentlich alles
versäumt war. Der töricht-kindliche Glaube von der
Unmöglichkeit eines Krieges, der in den maßgebenden Stellen
der Reichsregierung und erleuchteter Volksvertreter sein die Hirne
umnebelndes Wesen trieb, hat es verhindert, daß schon im Frieden alle
im deutschen Volke lebenden Kräfte und Mittel rücksichtslos
für den Waffengang zur Abwehr geschult und vorbereitet wurden, zu
dem die Nachbarn offen und heimlich rüsteten. Er hat es aber auch
verhindert, daß alle diese Machtfaktoren, wenn man sie auch nicht
sofort ausbilden wollte, nicht wenigstens nach der Möglichkeit ihrer
Verwertung im Kriege untersucht, ihr wirksamer Einsatz
vorbereitet - aber auch alle ihre eigenen Lebensbedürfnisse
geprüft wurden.
[vii] Fast an ein
Verbrechen gegen Volk und Vaterland streift die Harmlosigkeit, die diesen
Ansprüchen gegenüber gezeigt wurde, und die nur
erklärlich ist aus dem Kinderglauben gleicher Harmlosigkeit bei den
anderen Völkern und Regierungen. Was das Volk dann aber an
Leistungen aufbrachte, um die Sünden der Vorkriegszeit zu
sühnen, den gewaltigen Vorsprung der Gegner einzuholen und sie zu
übertreffen, ist so großartig, daß es in gleicher Weise, wie
die Heldentaten der Front, der Nachwelt aufbewahrt zu werden verdient.
Ohne sie - das sei besonders hervorgehoben - wäre
Deutschlands Kampf schon mit Ausgang des Jahres 1914 zu Ende gewesen.
Wenn in späteren Zeiten eine wiedergewonnene nationale Gesinnung
das ganze Volk mit Stolz auf sein Heldentum in seinem Daseinskampf
zurückschauen lassen wird, dessen Schilderung die ersten
Bände dieses Werkes versuchen, so mag es wohl in erster Linie der
Männer gedenken, die ihr Leben zu seiner Verteidigung und zu
seinem Heil opferten; es muß in gleicher Weise vollberechtigt aber
auch der Männer gedenken, die in unermüdlichem Sinnen und
Schaffen dem Heere die Mittel materieller und geistiger Art zu gewinnen und
in ausreichender Menge zuzuführen wußten, die es zu seinem
Heldenkampfe befähigten.
Die Gegner haben einen solchen Widerstand des deutschen Volkes nicht
für möglich gehalten; daß es vier Jahre dem Hunger
Trotz bot und für den Kampf anscheinend Unentbehrliches aus dem
Nichts zu schaffen wußte, war ein Mißerfolg der
völkerrechtswidrigen Blockade, die den deutschen Widerstand in
kurzer Zeit brechen sollte. Ihr Erstaunen, ihre widerwillige Bewunderung
dieser Organisationskraft haben die Feinde wiederholt schon während
des Krieges ausgesprochen. Das Bewußtsein dieser
Überlegenheit des deutschen Volkes zwingt ihnen heute noch jene
bedrückende Sorge auf, die sie durch blöde
Zwangsmaßregeln zu beseitigen
suchen - und doch nie werden beseitigen können.
Unerschöpflich, wie im Kriege, werden auch in Zukunft die Quellen
des Wissens, des Könnens und des Wollens fließen, aus denen es
seine gewaltige Kraft sog. Wenn es dann frei von hemmenden Schranken
kriegerischen Zwangs Außerordentliches wird leisten können, so
wird es mit besonderem Stolz sehen, wie es auch in schwerster Zeit, in
bitterster Not, in drückendster Enge, vielfach aus dem Nichts
Kampf- und Widerstandsmittel zu schaffen verstand, die seinen
Heldenkampf ermöglichten.
Erschütternder vielleicht noch, als in der Todesbereitschaft, kommt
des Volkes Opferwille zum Ausdruck in dieser Anspannung aller geistigen
und körperlichen Kräfte hinter der Front, in diesem stillen,
durch kein Heldenlied besungenen, und daher im Volke fast unbekannten
Lebenswillen. Hier tritt etwas völlig Neues vor die Augen der
Mitwelt - eine Größe des Schaffens und Handelns,
unerhört in der Vergangenheit und aufstiegversprechend für
die Zukunft.
[viii] Wenn in diesen
Bänden über die großen Organisationen berichtet werden
soll - im ersten Bande über die den eigentlichen
Kampfhandlungen dienenden, in den anderen Bänden über die
die Lebensbedingungen körperlicher und seelischer Art des Heeres
erfüllenden Organisationen - so lösen sie gleichzeitig eine
Pflicht der Dankbarkeit ein gegen alle, die an ihrem Entstehen und an ihrem
Wirken Anteil genommen, die ihre beste Kraft an sie gewandt haben. Den
Kindern und Enkeln aber mögen sie sagen, welch großen
Heldentums der Arbeit ihre Väter fähig gewesen sind.
M. Schwarte
[ix - xii] [Anm. d. Scriptorium:
im Original findet sich auf den hier folgenden Seiten die Inhaltsübersicht
für Bd. 6, welche wir in diesem unserem Online-Nachdruck hier wiedergegeben
haben.]
|