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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

  Kapitel 25: Der Zusammenbruch   (Forts.)
Staatsarchivar Oberstleutnant Edmund Glaise-Horstenau

10. Finis Austriae.

Die Truppen kehrten, soweit sie nicht in Gefangenschaft geraten waren, in höchster Eile heim. Alle Eisenbahnzüge waren voll besetzt, auf allen Straßen ratterten Personen- und Lastkraftwagen, mit Menschen und Gepäck beladen. Einzeln, in regellosen Haufen, wohl auch in geschlossenen Verbänden unter dem Kommando ihrer Offiziere trafen die Feldgrauen in ihrer Heimat ein. Von Südwesten kamen sie und von der Ukraina, wo mitunter bolschewikische Erscheinungen zutage getreten waren, und aus dem Südosten, wo Köveß längst seine zermürbten Streiter auf das Nordufer der Save - Donaulinie zurückgenommen hatte, indessen die Deutschen zu Mackensen in die Walachei abrückten. Die wüsteste Eisenbahnbewegung dauerte bis Mitte November, und es verdient angemerkt zu werden, daß sich der die verschiedensten Staatsgebiete berührende Zugverkehr trotz der allgemeinen Anarchie katastrophenfrei abwickelte. Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß diese rasche Demobilmachung dem Güterbesitz der neuen Staaten genutzt hätte. Was dadurch an Gütern verlorenging, belief sich schon nach dem damaligen Geldwert auf Milliarden. Vorräte aller Art wurden in unverantwortlicher Weise verschleudert, Uniformen, Waffen, Fuhrwerke, Kraftwagen, Sanitätsgerät an den meistbietenden [646] Landesbewohner verkauft, von berufenen und unberufenen Revolutionsorganen mit Beschlag belegt oder einfach als lästiger Ballast im Straßengraben liegen gelassen. Allein das Umkommen ungezählter, frei herumlaufender, von niemand begehrter Pferde in Kärnten und anderwärts bedeutete einen Millionenverlust am Volksvermögen.

Die slawischen Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches, die Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien, beeilten sich, aus den Trümmern des Kaiserlichen Heeres neue Truppenverbände zu bilden. In Jugoslawien übernahmen die Serben, in den beiden nördlichen Staaten zum großen Teil Legionsoffiziere die Organisationsarbeit.

In Ungarn, wo der Kriegsminister wirkte, der keine Soldaten sehen wollte, kehrten die bei den Ersatztruppen eingeteilten oder aus dem Felde kommenden Bauern in größter Hast heim, um den häuslichen Herd zu schützen und bei der von der Regierung Karolyi verkündeten Aufteilung des Großgrundbesitzes nicht zu kurz zu kommen. In den Städten bildeten sich Nationalgarden, deren Soldatenräte für den sozialistischen Geist in den neuen Verbänden Sorge trugen. Kriegsminister Linder sah sich alsbald vom obersten Chef aller Soldatenräte, dem übel beleumundeten Journalisten Pogany, in den Hintergrund gedrängt.

Der von General v. Weber in Villa Giusti unterzeichnete Waffenstillstand hatte für alle Fronten, also auch die südungarische, Geltung. Dies wurde dem General am 3. November mittags ausdrücklich mitgeteilt. Als Demarkationslinie für die einander gegenüberstehenden Heere galt von der Adriaküste nordostwärts die alte Grenze der Monarchie. Dessenungeachtet konnten es Karolyi und sein Anhang nicht erwarten, die Macht der von ihnen vertretenen Ideen, des pazifistischen und demokratischen Gedankens, an dem in Belgrad eingerückten Oberbefehlshaber der feindlichen Orientarmee, dem legitimistisch gesinnten General Franchet d'Esperay, zu erproben. Dieser Versuch brachte den magyarischen Volksbeglückern die erste große Enttäuschung. Franchet empfing die von Karolyi persönlich geführte Abordnung mit schrankenloser Verachtung. Die mitgekommenen Soldatenräte begrüßte er mit den Worten: "So tief sind Sie gesunken?" So oft Graf Karolyi von den Ungarn redete, berichtigte der in der ungarischen Nationalitätenfrage offenkundig nicht unbewanderte General diesen Ausdruck schroff mit "Magyaren". Entgegen den in Villa Giusti abgegebenen Erklärungen der Italiener forderte Franchet von Ungarn die ungesäumte militärische Räumung ganz Siebenbürgens und einer Reihe anschließender Komitate, außerdem die Abrüstung der Armee auf 6 Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen. Karolyi war so bestürzt, daß er mehrere Tage hindurch nicht wagte, die Forderungen Franchets der Öffentlichkeit mitzuteilen. Als aber die Serben in Südungarn einrückten, ließ sich die Sache nicht länger verbergen. Und das Unglück von Belgrad kam nicht allein. Die Nationalversammlung der Tschecho- [647] slowakei sprach in ihrer ersten Sitzung, in der Masaryk zum Staatspräsidenten erwählt wurde, die Eingliederung des slowakischen Ungarns in ihren Staat aus und erklärte nach berühmtem Muster, gegen den aus der Slowakei herüberdringenden Hilferuf nicht taub sein zu dürfen. Am gleichen 13. November forderte der rumänische Nationalrat Siebenbürgens 26 Komitate, die Hälfte aller des engeren Königreichs Ungarn. Kroatien-Slawonien und Teile Südungarns waren inzwischen längst von den Serben besetzt worden. Der 16. November, der Geburtstag der ungarischen Volksrepublik, konnte nach alledem nicht als Freudenfest gefeiert werden. Ein halber Monat hatte genügt, der Politik Karolyis Niederlage auf Niederlage zu bereiten. Verstümmelt und geknechtet, von schwerstem sozialen Fieber geschüttelt, lag das "verwundete Land" darnieder.

Auch das Geschick Deutschösterreichs hatte sich unterdessen erfüllt. Mit einer fast noch größeren Hast war hier die Auflösung des alten Heeres betrieben und unterstützt worden. Von den Ersatztruppen hatte sich schon in den ersten Novembertagen alles entfernt. Die in der Nationalversammlung vertretenen politischen Parteien machten nur schüchterne Versuche, dagegen zu wirken. Die bürgerlichen Abgeordneten wollten es sich mit ihren Wählern nicht verderben oder waren wohl selbst von jenem Gefühl der Abneigung gegen alles Feldgraue erfüllt, dem Bela Linder so drastisch Ausdruck geliehen hatte. Als die Wiener Regimenter in anerkennenswerter Geschlossenheit aus dem Felde in ihre Heimatstadt zurückkehrten, war es neben anderen ein christlichsozialer Volksmann, der sie so eilig als möglich nach Hause gehen hieß. Er besorgte damit die Geschäfte der anderen großen Partei, der Sozialdemokraten, denen der Zerfall der alten Truppenkörper im allgemeinen sehr willkommen war. Diese zielbewußten Politiker stellten unterdessen eine ausschließlich aus Industrieproletariern gebildete, von Soldatenräten geführte Volkswehr auf, die dem Einflusse des bürgerlichen Teiles der Nationalversammlung völlig entzogen blieb und der Sozialdemokratie die ihr zugefallene Führerschaft im Staate verläßlich sicherte. Die Gerechtigkeit gebietet aber, ein unzweifelhaftes Verdienst dieser Partei nicht zu vergessen. Wenn sich die Umwälzung in Österreich in vollster Ruhe, ohne nennenswerte Ausschreitung vollzog, so war dies, abgesehen von der Gutmütigkeit des Volkes, vor allem dem Wirken der Sozialdemokraten zu danken. Denn die bürgerlichen Parteien hatten sich jeglichen Einflusses auf die Entwicklung begeben.

Dabei war anfänglich auch die Vertretung der Arbeiterschaft durch den Eilschritt der Begebenheiten überrascht worden. Manch einer der Führer mochte vor der Verantwortung gebangt haben, die plötzlich an die bisher ausschließlich in der Opposition tätig gewesene Partei herantrat. Noch bei der Übernahme der Staatsgeschäfte durch die Nationalversammlung gaben die Sozialdemokraten gerne nach, als man beschloß, die Frage der Staatsform [648] offen zu lassen. Bald aber sahen sich auch die Bedächtigeren in den Wirbel der Geschehnisse hineingerissen, und die Revolution in Bayern (7. November), namentlich aber die Abdankung des deutschen Kaisers (9. November), stellten auch in Deutschösterreich den letzten Markstein auf dem Wege zur Republik dar.

Zu einem Thronverzicht in aller Form war der Kaiser und König Karl nicht zu bewegen. Er widersetzte sich allen dahin zielenden, von Renner und Viktor Adler vertretenen Bestrebungen mit größter Hartnäckigkeit. Da zunächst geplant war, über die Frage Republik oder Monarchie erst die gesetzgebende Nationalversammlung abstimmen zu lassen, begnügte man sich schließlich damit, daß der Kaiser in einer am 11. November verlautbarten Kundgebung erklärte, auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften zu verzichten und die Entscheidung Deutschösterreichs über die künftige Staatsform im vorhinein anzuerkennen. Die monarchistisch gesinnten Politiker dachten sich: Zeit gewonnen, alles gewonnen. Auch der Kaiser selbst und seine Umgebung gaben sich der sicheren Erwartung hin, daß das deutschösterreichische Volk, erst aus dem Umsturztaumel erwacht, durch die Wahlen in die gesetzgebende Nationalversammlung dem Wunsch nach der monarchischen Staatsform bestimmten Ausdruck verleihen werde.

Aber die Macht der Tatsachen war stärker. Schon die kaiserliche Kundgebung vom 11. November war unter dem Druck der ihre gemäßigten Führer vorwärts treibenden Straße zustande gekommen. Dieser Druck wurde nun auch in der Volksvertretung wirksam, wo übrigens der monarchistische Gedanke gegenüber dem 21. Oktober schon stark an Boden verloren hatte. Bei den radikaleren Deutschnationalen hatte Andrassys Friedensschritt die seit der Amnestie und der Sixtusaffäre ohnehin geringe Zuneigung zum Herrscher in Haß verwandelt. Die Erklärung Deutschlands zur Republik zog - schon im Hinblick auf den sehnlichst herbeigewünschten Anschluß an das Reich - auch die grundsätzlich monarchistisch denkenden Parteimitglieder in das Lager der Radikalen. Die Christlichsozialen hatten es bis in die letzten Tage nicht an Loyalitätskundgebungen für die Dynastie fehlen lassen. Aber den Bauernvertretern unter ihnen war es nicht unbekannt geblieben, daß Kriegsmüdigkeit und Umsturzpsychose in ihrer Wählerschaft eine der Monarchie vielfach sehr ungünstige Stimmung erzeugt hatten. Der deutschösterreichische Bauer war aus Abneigung gegen Krieg und allgemeine Wehrpflicht jedenfalls nicht mehr gesonnen, auch nur einen Finger für die Erhaltung des Systems zu rühren. Angesichts dieser Erscheinung gingen die geistlichen und weltlichen Führer der Bauernschaft ohne Zögern ins republikanische Lager über. Es blieb auch für die meist städtischen konservativen Christlichsozialen nur der eine Ausweg, sich unter schüchtern vorgebrachten Verwahrungen dem Drucke von links zu fügen. Die immer wiederkehrende Drohung der Sozialdemokraten, aus der Regierung auszutreten, bot [649] allen bürgerlichen Parteien eine willkommene Entschuldigung vor sich selbst und gegenüber jenen Kreisen, die ihr Tun verurteilten.

So kam es am 12. November nachmittags zur Verkündung der Republik Deutschösterreich. Wenn etwas in den trüben, von bangen Sorgen erfüllten Tag Sonne und Licht bringen konnte, so war dies der Artikel 2 des die Staatsform festlegenden Gesetzes: "Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik." Wohl sagten sich auch da Bedächtige, die mit den wirklichen Kräfteverhältnissen in der Welt zu rechnen gewohnt waren, daß vom Wunsche bis zur Tat ein weiter Schritt sei, und das kühle, kaum hörbare Echo, das Deutschösterreichs Sehnsuchtsschrei in dem von schweren Wirren erschütterten Reiche fand, war ein bitterer Wermutstropfen in dem Kelch der großen Hoffnungen. Aber wie dem auch sei: der in aller Not erhebende Gedanke, alsbald in das große deutsche Vaterland zurückkehren zu können, hielt in diesem Augenblick Tausende aufrecht. War schon eine vielhundertjährige Vergangenheit in Trümmer gesunken, so leuchtete doch ein verheißungsvoller Stern hinein in die Zukunft!

Der letzte österreichische Kaiser weilte an diesem Tage nicht mehr in der Residenz seiner Väter. Schon unmittelbar nach der Rückkehr aus Budapest waren verschiedene Übersiedlungspläne zur Sprache gekommen. Das Ansinnen, ins Ausland zu flüchten, wies der Herrscher von sich. Dagegen erwog er vorübergehend, sich nach dem Beispiele Ferdinand des Gütigen nach Innsbruck zu begeben. General v. Verdroß wurde angewiesen, aus seinem Edelweißkorps - jener Truppe, die der Kaiser als Thronfolger bei der italienischen Offensive befehligt hatte - ein verläßliches Wachbataillon zusammenzustellen. Doch wurden die Innsbrucker Pläne bald wieder aufgegeben, ebenso die Absicht, in des Kaisers Geburtsschloß Persenbeug Aufenthalt zu nehmen. Die Sicherheitsverhältnisse in Schönbrunn ließen unterdessen schon alles zu wünschen übrig. Die Wache mußten, da sich die Heimattruppen verlaufen hatten, Zöglinge der Neustädter Militärakademie und anderer Militäranstalten übernehmen. Sie taten es mit jugendlicher Begeisterung, aber ihre Zahl war zusammengeschmolzen, da auch unter ihnen die Nichtdeutschen längst den Weg in ihre Nationalstaaten eingeschlagen hatten. Der kaiserliche Hofstaat und die Hofgarden wurden in den Umsturz hineingerissen. Es gab Stunden, in denen man unbehelligt bis in die Gemächer des Kaisers gelangen konnte, der es übrigens auch da - wie sonst immer - an persönlicher Unerschrockenheit nicht fehlen ließ. Die Kaiserin fragte den Generalstabschef, ob nicht ein zur Schloßbewachung geeignetes Regiment zur Verfügung stehe; der General mußte verneinen. In dieser Lage drangen schließlich auch die Behörden der Republik in den Kaiser, seine inmitten der Großstadt liegende, schwer bewachbare Residenz zu verlassen. In früheren Zeiten konnte man den unglücklichen jungen Fürsten mit schmerzlichem Humor mitunter sagen hören: "Wenn mir nach dem Kriege nur Wien, [650] Eckartsau und Reichenau bleiben - dann bin ich's zufrieden." Er wählte nun das im Marchfeld liegende Jagdschloß Eckartsau an der Donau zu seinem Aufenthalt.

Am Sonntag den 10. November wurde Karl im Hoforatorium der Schönbrunner Schloßkapelle zum letztenmal von der Öffentlichkeit gesehen. Er war bleich, ergraut, verweint. Ein schwer unterdrücktes Schluchzen ging durch die Andächtigen, als die Orgel das "Gott erhalte" anstimmte. Haydns wundervoller Hymnus wurde in diesem Augenblick einem großen, vielhundertjährigen Reiche zum Grablied.

Zwei Tage später, an einem nebelschweren, düstren Novemberabend, hielten in dem kaum beleuchteten Hofe des Schönbrunner Schlosses, der in vergangenen Zeiten so oft der Schauplatz prächtiger Auffahrten gewesen war, ein paar Autos. Der Kaiser verließ, in Zivil gekleidet, mit Gemahlin und Kindern und dem nötigsten Hausrat, das Schloß seiner Ahnen. Die Fahrt ging, kaum von jemand beachtet, quer durch Wien. Die Straßen der einst so lichtfrohen Kaiserstadt waren von der trübseligen Dunkelheit umhüllt, die die Not des furchtbaren Krieges über sie verhängt hatte. Dunkel lag auch die Zukunft vor ihr.

Kaiser Karl blieb den Winter über in Eckartsau. Am 23. März 1919 mußte er, da er sich nach wie vor weigerte, einen förmlichen Thronverzicht auszusprechen, das Land seiner Väter verlassen. Von der Schweiz aus versuchte er im Jahre 1921 zweimal, sein Königtum in Ungarn wieder aufzurichten, dessen staatsrechtlich anerkannter Träger er war. Aber beide Versuche scheiterten an dem feindseligen Verhalten der "Kleinen Entente", dem die Budapester Regierung und der Reichsverweser v. Horthy Rechnung trugen.

Am 1. April 1922 erlag, noch nicht 35jährig, Kaiser Karl den Aufregungen der letzten Monate und dem ungewohnten Klima der ihm von den Herren der Welt als Exil zugewiesenen Insel Madeira. Strenge Kritiker, die auch an der Bahre des unglücklichen Herrschers nicht zum Schweigen kamen, hoben die mittelbare Schuld hervor, die der Tote auch an dem Ausgang seines Schicksales hatte. Wie immer man darüber denken mag, es sei nicht vergessen, daß der Beschluß des Hohen Rates, der den Unbequemen auf das ferne, von Fieberdünsten erfüllte Eiland gebannt hatte, demselben Geiste des Hasses und der Rechtsfeindlichkeit entsprungen war, dem das deutsche Volk die Unheilsdiktate von Versailles und Saint Germain dankt. Wie der Oheim Franz Ferdinand als Erster auf der blutigen Walstatt des Weltkrieges geblieben war, so ist Karl von Habsburg-Lothringen als das letzte Opfer der furchtbaren Menschheitskatastrophe ins Grab gesunken...

Erst im Jahre 1916 schrieb der norddeutsche Geschichtschreiber Dietrich Schäfer26 über das habsburgische, Geschlecht das Wort nieder:

      "Unter dem Ein- [651] fluß der Auseinandersetzung, die im vorigen Jahrhundert in Deutschland nötig wurde und sich vollzog, ist manches herbe und abfällige Urteil über Habsburg als Leiter deutscher Geschicke gefällt worden. Bedürfnisse der Gegenwart beeinflussen geschichtliches Urteil nur zu leicht. Ruhige Erwägung muß zur Erkenntnis kommen, daß das Haus Österreich Deutschland zwar seine Macht, aber dieses jenem fast noch mehr, seinen Bestand verdankt. Durch die Erwerbung des burgundisch-niederländischen Gebietes wurde Habsburgerbesitz wie eine schirmende Wand zwischen Frankreichs geschlossene Macht und das morsche, in sich zerfallene Reich gelegt. Gegen das Andrängen der Franzosen im Westen, der Türken im Osten, hat keine Herrscherfamilie so nachhaltigen und wirksamen Widerstand geleistet wie die der Habsburger. Einzelne Verfehlungen können an diesem Gesamturteil nichts ändern..."

Diese Worte seien hier wiederholt, nicht so sehr der Dynastie zuliebe, die nun von der Bühne der Weltgeschichte abgetreten ist, als vielmehr des deutschösterreichischen Volkes wegen, das - unters Maß fallende Minderheiten ausgenommen - durch sechshundert Jahre dem Hause Habsburg in deutscher Treue auf allen Wegen, auf der Walstatt und in den fruchtbaren Gefilden kultureller Arbeit, Gefolgschaft leistete und nun, da sich das Geschick dieses Hauses in so tragischer Weise erfüllte, Gefahr läuft, auch den kostbarsten Schatz, den Glauben an die Größe seiner Vergangenheit, seiner geschichtlichen Sendung zu verlieren. Ansätze dazu waren gerade in der Revolutionszeit genug vorhanden. Wohl spielte da überall der realpolitische Gedanke mit hinein, für den Friedensschluß belastende Nachfolgeschaft abzulehnen. Aber auch der Ideologen, die sich bloß in wilder Selbstzerfleischung nicht genug darin tun konnten, die Vergangenheit des eigenen Volksstammes zu verleugnen, gab es viele und gibt es noch. Sie taten und tun Unrecht damit. Zu den kostbarsten Schätzen eines Volkes gehört seine Geschichte. Und anknüpfend an Dietrich Schäfers Wort darf der Deutschösterreicher sagen, daß die Geschichte seines Stammes, über alle Wirrsale hinweg, wie kaum die eines anderen Zweiges der Nation, deutsche Geschichte war. Dies gilt bis herauf in jene furchtbar schweren vier Jahre, die in diesem Buche dargestellt werden und in denen die Deutschösterreicher noch einmal das Wunderwerk vollbrachten, Hunderttausende von Söhnen anderer Völker, deren Führer zum nicht geringen Teil ihr Heil schon im gegnerischen Lager suchten, fast bis zum letzten Tage mit dem großen deutschen Volk in einer Front zu erhalten. So dürfen denn die deutschösterreichischen Autoren diesen Band, in welchem sie Dank dem großzügigen Entgegenkommen von Herausgeber und Verleger die letzten Schicksale ihres alten Vaterlandes schildern konnten, mit den Worten schließen, die Heinrich Friedjung, Großösterreicher und Großdeutscher zugleich, wie wir es vor dem Zusammenbruch mehr oder minder alle waren, an die Spitze seiner 1919 erschienenen Historischen Aufsätze stellte:

[652]      "Dieses Buch beschäftigt sich mit einer versunkenen Welt... Die Monarchie ist in ihre Teile zerschlagen und durch eine Totenklage nicht zum Leben zu erwecken. Wir alten Österreicher sind besiegt, aber nicht erschüttert in unserer Überzeugung, daß dieses Reich seinen unendlich schwierigen Beruf zwar unvollkommen, aber - bis zur kläglichen Selbstpreisgabe im Oktober 1918 - in Ehren erfüllt hat. Dies zu bekennen, ist mir ein Bedürfnis: gleichgültig, ob neuer Hohn und Haß sich zu dem gesellen, was die Aufrechten und sich selbst Getreuen in den Tagen des Unglücks über sich mußten ergehen lassen. Die zu einer verlorenen Sache gestanden haben, sind nur dann gedemütigt, wenn sie die Reihen verließen, nicht wenn die Fahne den ermatteten Verteidigern im Kampfe entsunken ist."


26 [1/650]Dietrich Schäfer, Der Krieg 1914/16, Berlin 1917, Bd. I, S. 46. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte