SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

 
Von der Gründung Deutschösterreichs zum Anschluß 1918-1938.
Eine Dokumentensammlung.

1. Kundgebung für das Selbstbestimmungsrecht

Der deutsche Volksrat für Österreich hielt am 6. Oktober unter dem Vorsitz seines Obmannes, Universitätsprofessor Dr. Rudolf Geyer eine Vollversammlung ab, die von den deutschen Volksräten von Böhmen, Mähren, Ost- und Westschlesien, Wien und Niederösterreich, Ober-, Mittel- und Untersteiermark, Salzburg, Kärnten, Krain, Tirol, Triest und dem Küstenlande, ferner von Galizien und der Bukowina beschickt war. Außerdem nahmen an der Tagung Präsident Dr. Groß und eine Anzahl Mitglieder des Abgeordnetenhauses (u. a. [186] Dr. Lodgman und Dr. Waber) und Herrenhausmitglied Abt Helmer teil. Nach mehrstündigen Beratungen wurde ein Aufruf an das deutsche Volk in Österreich einstimmig beschlossen:

... In jedem Falle wird dieser Krieg eine völlige Veränderung in der Stellung unseres Volkes herbeiführen, die Zukunft unseres eigenen Volkes wird von nun an unsere ausschließliche Sorge sein. Einmütig und entschlossen fordern wir deshalb unser volles, uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht! Wir freuen uns, daß zur Durchsetzung dieser Forderung der Zusammenschluß aller deutschen Parteien angebahnt ist. Ein selbständiger deutschösterreichischer Staat soll entstehen; ihm sollen alle Deutschen Österreichs angehören. Keine deutsche Minderheit soll seines Schutzes entraten. Frei und nach eigenem Ermessen wollen wir die innere und äußere Gestaltung unserer Zukunft nunmehr selbst bestimmen...

In einer Entschließung wurden die Volksräte in den einzelnen Ländern aufgefordert, alle Vorkehrungen für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes der Deutschen in Österreich zu treffen.

(Nach der Ostdeutschen Rundschau vom 8. Oktober 1918.)



2. Die Gründung des Staates Deutschösterreich

Beschluß der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung der deutschen Abgeordneten im Wiener Landhaus.

21. Oktober 1918.        

Das deutsche Volk in Österreich ist entschlossen, seine künftige staatliche Ordnung selbst zu bestimmen, einen selbständigen deutschösterreichischen Staat zu bilden und seine Beziehungen zu den anderen Nationen durch freie Vereinbarung mit ihnen zu regeln.

Der deutschösterreichische Staat beansprucht die Gebietsgewalt über das ganze deutsche Siedlungsgebiet, insbesondere auch in den Sudetenländern. Jeder Annexion von deutschen Gebieten, die von deutschen Bauern, Arbeitern und Bürgern bewohnt werden, durch andere Nationen, wird sich der deutschösterreichische Staat widersetzen. Den Zugang des deutschen Volkes zum Adriatischen Meere wird er durch Vereinbarung mit den anderen Nationen sicherzustellen suchen.

[187] Das deutsche Volk in Österreich wird eine konstituierende Nationalversammlung wählen. Die konstituierende Nationalversammlung, auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes gewählt, wird die Verfassung des deutschösterreichischen Staates festsetzen.

Bis zum Zusammentritt der konstituierenden Nationalversammlung obliegt den Reichsratsabgeordneten der deutschen Wahlbezirke die Pflicht, das deutsche Volk in Österreich zu vertreten. Die Gesamtheit der deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrates bildet daher die provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich.

Die provisorische Nationalversammlung beansprucht das Recht, bis zum Zusammentritt der konstituierenden Nationalversammlung das deutsche Volk in Österreich in den Friedensverhandlungen zu vertreten.

Die Vollversammlung der Abgeordneten der deutschen Wahlbezirke beschließt daher:

1. Sich als provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich zu konstituieren;

2. einen Vollzugsausschuß von 20 Mitgliedern zu wählen, der der Nationalversammlung Anträge über die Verfassung des deutschösterreichischen Staates zu unterbreiten, bis zur Bildung der deutschösterreichischen Regierung das deutsche Volk in Österreich gegenüber der österreichisch-ungarischen und der österreichischen Regierung und gegenüber den anderen Nationen zu vertreten und die Stellung Deutschösterreichs bei den Friedensverhandlungen vorzubereiten hat.



2a. Erklärung des Abg. Hans Knirsch in derselben Sitzung

Wir nationale Sozialisten lehnen den Gedanken an eine Vereinigung Deutschösterreichs zu einem Staatenbunde mit den aus dem alten Österreich entstehenden, slawischen Staaten von vornherein ab. Im nationalen, sozialen und kulturellen Interesse fordern wir den staatsrechtlichen Anschluß Deutschösterreichs an das Deutsche Reich. Die Regelung der außenpolitischen und der Handelsbeziehungen zu den neu entstehenden Nachbarstaaten kann nur unter dem Gesichtspunkt der Interessen des Gesamt- [188] deutschtums erfolgen, muß also Sache der im Deutschen Reiche vereinigten Bundesstaaten sein.

Nur im deutschen Einheitsstaat können wir Ostmarkdeutsche die baldige Verwirklichung jener staatsrechtlichen Grundsätze erhoffen, welche die Wunden dieses Krieges heilen und unser 80-Millionen-Volk der Arbeit und Tätigkeit einer glücklichen Zukunft entgegenführen wird.

Es lebe das freie, soziale Alldeutschland!

(Nach der Ostdeutschen Rundschau vom 23. Oktober 1918.)



3. Deutschösterreichischer Appell um reichsdeutsche Waffenhilfe

Note an die Regierung Prinz Max von Baden.

30. Oktober 1918.        

Da das k. u. k. Armee-Oberkommando und das k. u. k. Kriegsministerium, beide durch befugte Vertreter, auf die im Auftrage des Vollzugsausschusses der deutschösterreichischen Nationalversammlung gestellte Frage erklärt haben, daß sie nicht in der Lage seien, die Unantastbarkeit des deutschösterreichischen Staatsgebietes zu sichern, und außerstande seien, für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung innerhalb des Staatsgebietes ausreichend zu sorgen, und daher Leib und Leben, Weib und Kind, Hab und Gut, Haus und Hof jedes deutschösterreichischen Bürgers der Willkür und dem Zugriff feindlicher Massen preisgegeben wären, richtet die deutschösterreichische Nationalversammlung an die Regierung des befreundeten Deutschen Reiches die dringende Bitte, im Einvernehmen mit dem deutschösterreichischen Staatsrate den Schutz des deutschösterreichischen Staatsgebietes zu übernehmen.



4. Anschlußverkündigung

Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich.

12. November 1918.        

Kraft Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung verordnet der Staatsrat wie folgt:

[189] Artikel 1.

Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.

Artikel 2.

Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Republik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der deutschen Republik auf Deutschösterreich.



4a. Aus der Erklärung des Staatskanzlers Dr. Renner

... Notwendig aber ist dieser Beschluß (- des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform -) besonders in seinem Artikel 2, welcher sagt, daß die deutschösterreichische Republik ein Bestandteil der deutschen Republik ist, notwendig ist er im Verhältnis zu unserem Stammvolke. Unser großes Volk ist in Not und Unglück. Das Volk, dessen Stolz es immer war, das Volk der Dichter und Denker zu heißen, unser deutsches Volk des Humanismus, unser deutsches Volk der Völkerliebe, unser deutsches Volk ist im Augenblick tief gebeugt. Aber gerade in dieser Stunde, wo es so leicht und so bequem und vielleicht auch so verführerisch wäre, seine Rechnung abgesondert zu stellen und vielleicht auch von der List der Feinde Vorteile zu erhaschen, in dieser Stunde soll unser deutsches Volk in allen Gauen wissen: Wir sind ein Stamm und eine Schicksalsgemeinschaft. (Die Versammlung erhebt sich. Stürmischer, lang anhaltender Beifall und Händeklatschen im Saale und auf den Galerien.)

Der Artikel 2 ist ein Bekenntnis. Er ist einstweilen eine sogenannte lex imperfecta, die erst durch besondere Gesetze ihren Inhalt bekommen muß. Wie er ausgefüllt wird, darüber werden wir uns mit unseren Brüdern im Deutschen Reiche beraten und darüber werden wir noch Beschlüsse fassen.



[190] 5. Staatserklärung über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich
22. November 1918.        

Die provisorische Nationalversammlung beschließt im Namen des deutschösterreichischen Volkes zur Sicherung seiner Wohnstätten wie seiner Stellung unter den anderen Staaten und Völkern die nachfolgende Erklärung:

1. Der Staat Deutschösterreich übt die volle Gebietshoheit über das geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen innerhalb der bisherigen im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder aus.

2. Die in den Siedlungsgebieten anderer Nationen eingeschlossenen, allein oder überwiegend von Deutschen bewohnten oder verwalteten Sprachinseln, Städte, Gemeinden und Ortschaften der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder bleiben bis zur verfassungs- und völkerrechtlichen Sicherstellung ihrer politischen und nationalen Rechte einstweilen unter der Hoheit des Staates Deutschösterreich und bilden dessen zeitweiligen Rechtsbereich.

Sie behalten ihre bisherige Vertretung in der provisorischen Nationalversammlung und bleiben den Gesetzen und Behörden von Deutschösterreich unterstellt.



6. Erneuerung des Anschlußgesetzes durch die neugewählte Nationalversammlung

12. März 1919.        

Die Konstituierende Nationalversammlung wiederholt, bestätigt und bekräftigt feierlich die im Gesetze vom 12. November 1918. StGBl. Nr. 5, über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, niedergelegten Beschlüsse der provisorischen Nationalversammlung wie folgt:

1. Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt.

2. Deutschösterreich ist ein Bestandteil des Deutschen Reiches.



[191] 6a. Erklärung des Staatssekretärs Dr. Otto Bauer (gekürzt)
12. März 1919.        

Nach jenem Beschluß vom 12. November regten sich manche Zweifel, ob die provisorische Nationalversammlung Beschlüsse von so großer Tragweite zu fassen befugt gewesen sei. Heute sollen diese Beschlüsse bekräftigt werden durch die Nationalversammlung, die berufen ist, die Verfassung, die staatliche Ordnung Deutschösterreichs festzusetzen, durch eine Nationalversammlung, die eben erst in freier und gesetzlicher Wahl von dem ganzen deutschösterreichischen Volke, von allen seinen Männern und Frauen, berufen worden ist.

.........

Wir haben der deutschen Reichsregierung im wesentlichen ein Verhandlungsprogramm vorgelegt. Der Zusammenschluß, der wirtschaftliche und der staatsrechtliche Zusammenschluß, erfordert ja eine umfassende gesetzgeberische und organisatorische Arbeit. Darüber müssen die beiden Teile zunächst Verhandlungen führen, Verhandlungen über eine Anzahl der verschiedenartigsten Einzelfragen. Wir haben also der deutschen Reichsregierung vorgeschlagen, wie diese Verhandlungen geführt werden sollen, und die deutsche Reichsregierung hat unseren Vorschlag ohne jede Änderung angenommen. Es ist in Aussicht genommen, daß eine große Reihe paritätisch zusammengesetzter Kommissionen in der nächsten Zeit zusammentritt, die diese Einzelfragen besprechen sollen. Kommissionen, die für jede Einzelfrage gebildet werden aus Vertretern der zuständigen Reichsämter in Deutschland und der zuständigen Staatsämter hier, unter der Leitung der beiden auswärtigen Ämter. Diese Kommissionen sollen zusammentreten, sobald die notwendigen Vorarbeiten dafür in den Reichsämtern im Reiche und in den Staatsämtern hier abgeschlossen sind, und wir hoffen, daß die wichtigsten dieser Kommissionen noch in diesem Monat werden zusammentreten können. Sie sollen zum Teile in Berlin, zum Teile in Wien, je eine auch in München und in Leipzig zusammentreten.

[192] Eine solche Kommission wird sich mit den rechtlichen Fragen, mit den Fragen der Rechtsangleichung, beschäftigen.

Eine zweite Kommission wird die Unterrichtsfrage behandeln.

Eine dritte Kommission wird sich mit der Übernahme der deutschösterreichischen Beamten in den deutschen Reichsdienst zu beschäftigen haben.

Eine weitere Kommission wird sich mit den sozialpolitischen Fragen zu beschäftigen haben.

Sehr ausführlich wurden in Berlin in den Verhandlungen, die unter dem Vorsitz des deutschen Staatssekretärs für Äußeres, Grafen Brockdorff-Rantzau, stattgefunden haben, die Fragen der Handelspolitik erörtert. Das Ziel ist selbstverständlich der Eintritt Deutschösterreichs in das deutsche Zollgebiet.

Wir haben gerade in diesen Fragen auch die größte Bereitwilligkeit in Berlin gefunden und ich bin voll überzeugt, daß die zoll- und handelspolitische Kommission in vergleichsweise kurzer Zeit und mit vergleichsweise geringen Schwierigkeiten ihre Verhandlungen so wird beenden können, daß Deutschösterreich die Beruhigung haben wird, daß seiner Industrie aus dem Zusammenschlusse mit dem deutschen Wirtschaftsgebiete kein Schaden erwachsen wird.

Mit ebensolcher Beruhigung sehe ich den Verhandlungen über die verkehrspolitischen Fragen entgegen, mit denen sich eine weitere Kommission beschäftigen soll.

Mit größeren Schwierigkeiten werden unleugbar zwei weitere Kommissionen zu kämpfen haben, die eine, die sich mit der Währungsfrage und die andere, die sich mit staatsfinanziellen Fragen beschäftigen wird. Die Schwierigkeiten liegen da in der Natur der Sache selbst. Sie sind um so größer, als ja weder das Deutsche Reich noch wir heute in der Lage sind, die Gestaltung unserer Staatsfinanzen in Zukunft mit Sicherheit zu beurteilen.

Eine besondere Kommission soll sich endlich mit den Fragen, die insbesondere die Hauptstadt Wien angehen, beschäftigen. Ich freue mich berichten zu können, daß ich gerade in [193] dieser Frage auf reichsdeutscher Seite eine ganz besonders herzliche Bereitwilligkeit uns zu helfen gefunden habe.

Auf diese Weise ist zunächst ein Verhandlungsprogramm festgestellt. Die Kommissionen sollen zusammentreten und ihre Arbeit möglichst bald beginnen, das Ergebnis der Verhandlungen, die da geführt werden, soll in dem Anschlußvertrag niedergelegt werden. Dieser Anschlußvertrag, von den Regierungen vereinbart, soll dann den gesetzgebenden Körperschaften im Deutschen Reich in der Nationalversammlung hier vorgelegt werden.

Nicht mehr als das Recht auf Selbstbestimmung fordern wir für Deutschböhmen und für das Sudetenland, für Deutsch-Südtirol, für Kärnten und Untersteiermark, für Südmähren und den Böhmerwaldgau.

(Wortlaut in Kurt Trampler, Deutschösterreich 1918/20.)



7. Teilnahme deutschösterreichischer Sachverständiger an der Verfassungsarbeit der Deutschen Nationalversammlung

Mitteilung des Staatskanzlers.1

24. April 1919.        
An das
Präsidium der deutschösterreichischen Nationalversammlung.

Die deutsche Reichsregierung hat an die deutschösterreichische Staatsregierung die Einladung ergehen lassen, fünf Mitglieder der deutschösterreichischen Nationalversammlung zu den Beratungen des deutschen Verfassungsausschusses zu entsenden; diese Abordnung hätte die Aufgabe, an den Verhandlungen des Ausschusses mit beratender Stimme teilzunehmen.

Der Kabinettsrat hat demgemäß in seiner Sitzung vom 22. April 1919 den Beschluß gefaßt, bei der Nationalversammlung die Wahl solcher Delegierter zu beantragen.

[194] Die Staatskanzlei beehrt sich daher, namens der Staatsregierung das Ersuchen zu stellen, die Wahl der fünf Delegierten auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Nationalversammlung zu stellen.

Dr. K. Renner.        


Seite zurückInhaltsübersichtnächste Seite


1Diese Delegierten, darunter Prof. Hugelmann, wurden gewählt, erhielten aber nicht mehr praktische Gelegenheit zur Mitarbeit. ...zurück...


Der Staat wider Willen
Österreich 1918-1938
Dr. Reinhold Lorenz