Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 9: Die höchsten
Kommando-
und Verwaltungsbehörden
(Forts.)
[494] C. Die obersten Behörden der
Marine.
Von Korvettenkapitän Otto Groos
Es ist im Inlande wie im Auslande selbst in Fachkreisen vielfach die Meinung
verbreitet gewesen, daß Großadmiral v. Tirpitz einen ebenso
entscheidenden Einfluß auf die Seekriegführung gehabt habe, wie ihn
etwa der Chef des Generalstabes des Feldheeres und später die Oberste
Heeresleitung zu Lande ausübte. Bei der überragenden Stellung,
welche der Großadmiral Jahrzehnte hindurch eingenommen hatte, ist diese
Annahme auch durchaus verständlich. In Wirklichkeit trat aber mit dem
Ausbruch des Krieges der Staatssekretär des Reichsmarineamts
gegenüber dem Chef des bis dahin stiefmütterlich behandelten
Admiralstabes in den Hintergrund, ohne daß letzterer genügende
Vollmacht erhielt, um nun in seiner Hand eine straffe Zusammenfassung der auf
viele einzelne Immediatbehörden verteilten Kommandogewalt
herbeizuführen.
Schon im Jahre 1889 war der Grundsatz der Vereinigung von Kommando und
Verwaltung in der Hand eines Admirals, eines "Chefs der Admiralität",
verlassen worden. An seine Stelle war durch kaiserlichen Erlaß vom 30.
März ein "Oberkommando der Marine" und ein "Reichsmarineamt"
getreten. Ersteres wurde von einem Kommandierenden Admiral (mit den
Pflichten und Rechten eines Kommandierenden Generals), letzteres unter
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers von einem Staatssekretär mit den
Befugnissen einer obersten Reichsbehörde geleitet. Gleichzeitig wurde
parallel der entsprechenden Einrichtung der Armee ein besonderes Kabinett
für Marineangelegenheiten errichtet.
Sehr bald führte diese "Trennung der Gewalten" zu "Unsicherheiten,
welche den gesunden Gang in der Fortentwicklung der Marine
beeinflußten". Es wurden immer neue Ausführungsbestimmungen
über den Geschäftskreis der drei oberen Behörden und ihren
Verkehr mit anderen erforderlich. Reibungen dieser Art machten sich nicht nur
auf dem Gebiet der operativen Vorarbeiten für den Krieg und der
Überleitung der Marine vom Friedens- zum Kriegszustand, sondern auch
auf anderen Gebieten der Verwaltung und des Zusammenwirkens mit der Presse
in unangenehmster Weise fühlbar. Zwar wurde der dringende Wunsch nach
einer wesentlichen Umgestaltung dieser Beziehungen wiederholt
geäußert, aber noch im Jahre 1892 wurde eine veränderte
Abgrenzung der Befugnisse durch kaiserlichen Erlaß abgelehnt. Erst als der
damalige Konteradmiral Tirpitz im Jahre 1897 Staatssekretär des
Reichsmarineamts wurde, nahm dieser Zustand ein Ende.
Eine Rückkehr zur alten Admiralität, wohl die beste Lösung,
kam allerdings nicht in Frage, weil der Kaiser kaum geneigt war, eine
Zwischeninstanz von derartigen Vollmachten, wie sie der Chef der
Admiralität besessen hatte, von neuem zwischen sich und seine
Lieblingsschöpfung zu stellen. Auf seinen Antrag erhielt [495] aber der neue
Staatssekretär des Reichsmarineamts durch kaiserlichen Erlaß vom 5.
Mai 1898 innerhalb der Marine dieselben Befugnisse, wie sie der
preußische Kriegsminister innerhalb der Armee besaß. Ihm allein fiel
von nun an die Förderung der allgemeinen Seeinteressen, die Vertretung
der Marine nach außen, sowie der alleinige Verkehr mit den obersten
Reichs- und Staatsbehörden zu. Versuchsweise ging auch das
Nachrichtenwesen sowie die politische Verwendung und die Vorbereitungen
für die kriegerische Verwendung der Schiffe im Auslande vom
Oberkommando auf das Reichsmarineamt über. Diesem Schritt folgte auf
eine Denkschrift des Konteradmirals Tirpitz hin ein kaiserlicher Erlaß vom
14. März 1899, der die Grundlage zu der bis zum August 1918 fast
unverändert beibehaltenen Organisation der obersten Behörde der
Marine bildete.
Das Oberkommando der Marine kam in Fortfall. Alle Abteilungen und Dezernate
desselben wurden aufgelöst bis auf die Admiralstabsabteilung. Diese wurde
unter der Bezeichnung "Admiralstab der Marine" selbständig. Außer
den Admiralstabsgeschäften fiel der neuen Behörde die Bearbeitung
der militär-politischen Angelegenheiten der im Auslande befindlichen
Schiffe zu. Der Chef des Admiralstabes wurde dem Kaiser unmittelbar unterstellt,
ebenso die Chefs der Marinestationen in Kiel und Wilhelmshaven, der Inspekteur
des Bildungswesens, der Chef des I. Geschwaders (später der Chef der
Hochseeflotte) und der Chef des Kreuzergeschwaders. Alle diese Befehlshaber
erhielten die gerichtsherrlichen, Disziplinar- und Urlaubsbefugnisse, wie sie
bisher dem Kommandierenden Admiral zugestanden hatten. Die Inspektionen des
Torpedowesens und der Marineinfanterie wurden dem Kommando der
Marinestation der Ostsee, die Inspektion der Marineartillerie der Marinestation
der Nordsee unterstellt, jedoch blieben die bisherigen Beziehungen dieser
Behörden zum Reichsmarineamt unberührt. Der Kaiser behielt sich
vor, nach Ausspruch der Mobilmachung sowie alljährlich für die
Dauer der Herbstmanöver einen Flottenchef zu ernennen, sowie einen
Generalinspekteur, der von ihm in jedem Einzelfalle den Befehl zur
Ausführung von Inspizierungen im Bereich der gesamten Marine erhalten
sollte.
Die im Ausland befindlichen selbständigen Schiffskommandos wurden in
allen militär-politischen Angelegenheiten dem Kaiser unmittelbar
unterstellt. Die Mobilmachungsbestimmungen waren vom Staatssekretär
des Reichsmarineamts zu bearbeiten.
Als Zweck des Fortfalls des Oberkommandos und der Schaffung dieser
großen Zahl von Immediatbehörden wurde angegeben, daß
S. M. der Kaiser, nachdem er sich entschlossen habe, den Oberbefehl
über die Marine ebenso wie über die Armee selbst zu führen,
es nicht für zweckmäßig erachte, wenn zwischen ihm und den
einzelnen Befehlshabern eine zentrale Kommandobehörde stehe, die
lediglich die kaiserlichen Befehle zu übermitteln haben würde.
Dem- [496] gemäß
waren auch die Befehlsbefugnisse des neugeschaffenen Admiralstabes
außerordentlich gering. Ihm waren a) die
Admiralstabsgeschäfte der Marine, b) die Bearbeitung der
militär-politischen Angelegenheiten der im Auslande befindlichen Schiffe
und Verbände von Schiffen zugewiesen. Kommandogewalt besaß er
nur insofern, als ihm "die Herbeiführung der allerhöchsten Befehle in
militär-politischen Angelegenheiten für die Auslandschiffe" zustand.
Sinn und Zweck der neuen Organisation war ohne Zweifel die von Konteradmiral
Tirpitz bewußt herbeigeführte Vorherrschaft der technischen und
Verwaltungsbehörde des Reichsmarineamts. Hierfür waren nach dem
Wortlaut seiner Denkschrift vom 10. März 1899 folgende Gründe
maßgebend:
"Ehe der Schaffung einer großen
Flotte nähergetreten werden konnte, mußte zunächst die Frage
gelöst werden, wie diese Flotte beschaffen sein sollte. Das klarzustellen und
zu klaren Anschauungen über die taktische und strategische Verwendung
der Seestreitkräfte zu gelangen, um daraus die richtige Zusammensetzung
und organisatorische Gliederung der Flotte herleiten zu können, war die
große Aufgabe des vergangenen Jahrzehnts. Zur Lösung dieser
Aufgabe mußten die Kräfte der Marine auf diesen einen Punkt
konzentriert und Schul- sowie Versuchsaufgaben zeitweise der Hauptaufgabe
untergeordnet werden. Dazu war eine starke zentrale Kommandobehörde
erforderlich. Bevor das Flottengesetz möglich war, mußte das
Oberkommando der Marine die große Arbeit der neunziger Jahre leisten,
eine Flottentaktik zu schaffen. Nachdem dies geschehen, wird dem
nächsten Jahrzehnt als Hauptaufgabe zufallen, auf Grund der Erkenntnisse
und Erfahrungen der neunziger Jahre das Flottengesetz weiter auszubauen und
diejenige Flotte zu schaffen, welche Euere Majestät erforderlich halten, um
im kommenden Jahrhundert Deutschlands politische und wirtschaftliche
Machtstellung weiter emporzuheben.
Die »großen« Aufgaben der
nächsten Entwicklungsperiode liegen daher nicht auf dem Gebiet einer
zentralen Kommandobehörde, sondern werden von derjenigen
Behörde zu lösen sein, welcher Euere Majestät die
Beschaffung der Schiffe und des Personals sowie den organisatorischen Ausbau
des bisherigen kleinen Rahmens für eine große Marine
übertragen haben.
Um diese Arbeit leisten zu können, bedarf die
Behörde einer größeren
Bewegungsfreiheit."
Diese Organisation sollte aber, wie in der Denkschrift ausdrücklich betont
wurde, nicht etwas für alle Zeit Feststehendes sein, sondern nur eine
Anpassung an die großen Aufgaben bedeuten, welche die nächste
Entwicklungsperiode der Marine stellten, nämlich die Durchführung
der Gesetze zum Ausbau der Flotte. In dieser Richtung hat sie sich, geleitet von
einem Manne wie Tirpitz, glänzend bewährt, mit ihr ist in einem
Jahrzehnt nachgeholt worden, was in Jahrhunderten vom deutschen Volke
versäumt worden war, die Schaffung einer achtunggebietenden Seemacht.
Daß dies nicht ohne gewisse Opfer möglich war, liegt auf [497] der Hand. Daß
diese Opfer aber gerade dem Admiralstab, der geistigen Vorbereitungsstelle
für den Krieg, auferlegt wurden, hat sich bitter gerächt. Sehr bald sah
der Admiralstab, wie aus einem Schreiben seines Chefs an den
Staatssekretär im März 1900 hervorgeht, daß er mit den ihm
zugestandenen personellen und materiellen Mitteln nicht imstande sei, seine
Aufgabe zu erfüllen und "Seiner Majestät für die
Entscheidungen über die von der Flotte im Kriege durchzuführenden
Operationen die Grundlagen jederzeit zuverlässig und erschöpfend
zur Verfügung zu halten." Das Nachrichtenwesen des Admiralstabes sei
nicht genügend entwickelt. Auch die Durchführung der Operationen
sei nicht ausreichend sichergestellt, solange in der Flotte nicht eine
größere Anzahl von Seeoffizieren vorhanden sei, die durch
Ausbildung und Tätigkeit im Admiralstabe mit den strategischen und
allgemein militärischen Anschauungen vertraut wären. Auch die
Marineakademie müsse mehr als bisher in den Dienst des Admiralstabes
gestellt und parallel den Methoden des preußischen Generalstabes ein
besonderes Korps von Admiralstabsoffizieren geschaffen werden.
Der Staatssekretär war anderer Ansicht. Zwar lag auch ihm die
intellektuelle Vorbereitung der Marine auf den Krieg durchaus am Herzen, das
vom Admiralstab vorgeschlagene Tempo der Entwicklung schien ihm jedoch zu
schnell. Auch hatte er gegen die beabsichtigte Methode erhebliche Bedenken. Wie
er in einem Immediatvortrag am 13. Februar 1901 ausführte, war trotz der
größtmöglichen Offiziersvermehrung noch im Jahre 1908 mit
einem Fehlbetrag von 300 Offizieren zu rechnen. Der bezeichnete Offiziersbedarf
begreife aber nicht nur die erforderliche Zahl und Chargen in sich, sondern vor
allen Dingen auch die Qualität. Während der intensivsten Zeit der
Schaffung der Flotte müßten die "Qualitäten" sogar bevorzugt
für den Prozeß der Schaffung selbst angelegt werden. Die
Verwendung der Flotte und damit die Vergrößerung der Aufgaben
des Admiralstabes folge hinterdrein. Als natürlicher Zeitpunkt für
eine erste wesentliche Vergrößerung des Admiralstabes ergebe sich
daher das Jahr 1904.15
Soviel über das Tempo. Was aber die Methode anbelange, so sei die
Übertragung der für die Bedürfnisse der Armee
mustergültigen Einrichtungen des Generalstabes auf die Marine bedenklich,
weil die Verhältnisse der Kriegführung zur See und zu Lande zu
verschieden und erstere noch nicht durch die Geschichte geklärt
wären. Die Verhältnisse anderer Marinen böten hier die
richtigere Anlehnung als die der Armee. Für Generalstabsoffiziere
läge die Ausbildung viel stärker im Spezialgebiet der
Truppenführung, der Admiralstabsoffizier müsse aber nicht
bloß in jeder Charge, sondern auch in jeder Funktion des komplizierten
Bordbetriebes "experter Kommißoffizier" bleiben und dürfe daher
nicht [498] in einem besonderen
Korps abgesondert werden. Die Wertschätzung der Eigenschaften des
Frontoffiziers dürfe nicht sinken. Besonders wurde auch in diesem
Immediatvortrag darauf hingewiesen, wie notwendig es gerade im
Entwicklungsstadium der Flotte sei, dem Reichsmarineamt besonders gute
Kräfte zuzuführen. Wörtlich lauten die Ausführungen
darüber folgendermaßen:
"Es ist unerläßlich, an
dieser Stelle einmal zu betonen, daß die Marine nicht nur in
Admiralstabsstellungen Qualitäten braucht. Ja, es muß direkt
ausgesprochen werden, daß in dem Stadium der »Schaffung der
Flotte« das Wohl und Wehe Euerer Majestät zukünftiger
Flotte viel stärker beeinflußt wird, wenn die Qualitäten an den
Stellen fehlen, wo speziell die Flotte organisiert und geschaffen wird. Die
allgemeine Anerkenntnis dieses Bedürfnisses ist deshalb schwieriger, weil
die Leistungen auf diesen Gebieten nicht so in die oberflächliche
Erscheinung, namentlich auch nicht so als persönliche Leistung in die
Erscheinung treten wie bei anderen Stellen."
In einem weiteren Schreiben des Staatssekretärs vom 1. März 1901
wurde daher auch bestimmt, die Marineakademie müsse ihre jetzige
Organisation und Zweckbestimmung beibehalten, "die ihr nicht nur die
Heranbildung geeigneter Seeoffiziere zum Admiralstabsdienst, sondern auch zu
anderen Stellungen im Bereich des Reichsmarineamts auferlegt und
ermöglicht, die eine besondere Schulung nach der technischen und
organisatorischen Berufsseite verlangen".
Die Notwendigkeit, den Flottenbau und damit die technische Seite und
Verwaltung für die nächsten Jahre stärker in den Vordergrund
zu stellen, fand schließlich in einem kaiserlichen Erlaß vom 24. Juni
1901 in folgenden Worten erneut Ausdruck:
"So sehr ich das Streben des
Admiralstabes der Marine anerkenne, für jeden einzelnen Zeitpunkt der
Ausführung des Flottengesetzes die größtmögliche
Leistungsfähigkeit der Marine sicherzustellen, so müssen solche
Bestrebungen doch zurücktreten gegen die Notwendigkeit der baldigen
Erreichung des großen Endzieles selbst. Der Admiralstab der Marine hat
daher während der Ausführung des Flottengesetzes bei Lösung
der ihm zufallenden taktischen und strategischen Aufgaben nur mit dem
vorhandenen Personal und Material sowie mit den vorhandenen organisatorischen
Formationen und Indiensthaltungen zu rechnen, für die Bereitstellung der
Streitmittel aber sowie für die Art der Ausführung des
Flottengesetzes das Reichsmarineamt als zuständige und mir
verantwortliche Behörde zu betrachten. Es muß
demgemäß der Admiralstab der Marine eine weitgehende
Zurückhaltung in bezug auf das Arbeitsgebiet des Reichsmarineamts
üben, indem sich derselbe im wesentlichen auf Herbeiführung von
Informationen beschränkt und nur in dringenden Fällen meine
Entscheidung unmittelbar anruft."
Als der Admiralstab nach dem Etat für 1908 auf 27 aktive Seeoffiziere
angewachsen war, fanden - mit veranlaßt durch Personalmangel an
anderer [499] Stelle - bereits
Erwägungen statt, seinen Aufgabenkreis wieder einzuschränken. Die
Entwicklung des Admiralstabes entsprechend der des Großen Generalstabes
der Armee als besonderes, die Marine durchsetzendes Nervensystem schien dem
Staatssekretär nicht richtig, da für die Marine die Verhältnisse
anders lägen. Außerdem falle zur Zeit der Schwerpunkt auf den
Aufbau. Erst wenn dieser fertig, würden der Verwendung der Marine
größere Kräfte gewidmet werden können. Unter diesen
Umständen sei es angängig, die Zahl der Offiziere des Admiralstabes
einzuschränken und die direkten Beziehungen desselben zu den
Admiralstäben der Front fallen zu lassen. Die Sorge für die richtige
Auswahl und weitere Verwendung der Admiralstabsoffiziere könne dem
Marinekabinett übertragen werden. Innerhalb der angegebenen Grenzen
aber sei es richtig und wichtig, den Admiralstab bestehen zu lassen und
existenzfähig zu erhalten, zunächst deswegen, damit ein Chef des
Admiralstabes als verantwortlicher Berater S. M. des Kaisers für die
Befehlserteilung im Kriege vorhanden sei, ein Berater, der auf Grund der
Tätigkeit seiner Behörde alle auf die Strategie zur See
bezüglichen Fragen beherrsche, und ferner, damit ein Sammelplatz
für alle Erfahrungen auf seestrategischem Gebiete vorhanden wäre.
Als solcher sei das Flottenkommando nicht geeignet, da es Partei sei und zu dicht
vor den zu behandelnden Fragen stände. Eine Behörde an Land, die
einen weiteren Überblick hätte und auch die einschlägigen
Fragen bei den fremden Marinen studierte, wäre besser dafür
geeignet. Eine solche Behörde sei der Admiralstab.
Die Zahl der Seeoffiziere des Admiralstabes wurde danach auf einen Flaggoffizier
als Chef, 13 Stabsoffiziere, 7 Kapitänleutnants und etwa 5 inaktive
Offiziere festgesetzt, während das Reichsmarineamt etwa über die
doppelte Anzahl verfügte. Diese Maßnahme wie die Stellungnahme
des Staatssekretärs zeigt, daß die schwierige, sorgfältigste
Vorbereitungen erfordernde Aufgabe des Admiralstabes in einem Kriege und die
Notwendigkeit gründlicher Ausbildung einer ausreichenden Zahl von
Admiralstabsoffizieren von den ausschlaggebenden Stellen nicht erkannt oder
nicht anerkannt wurde. Im Kriege war dies Versäumnis nicht wieder
gutzumachen.
Die Vorherrschaft der Verwaltungsbehörde, die Schaffung einer
großen Zahl anderer Immediatbehörden an Stelle des
Oberkommandos war von Großadmiral v. Tirpitz
ausgesprochen als
Übergangsorganisation während des Aufbaues der Flotte gedacht
gewesen. Die Schwächen einer solchen Organisation für den Fall
einer kriegerischen Verwicklung lagen auf der Hand. Als diese 1914 eintrat, war
es daher der Großadmiral selbst, der in dem sicheren Gefühl,
daß auch die Marine nunmehr eine einheitliche Spitze erhalten
müßte, den Kaiser schon am 29. Juli bat, die Leitung derselben in
eine Hand zu legen. Es schwebte ihm hierbei nicht etwa das Wiederaufleben des
alten Oberkommandos vor, das bei sehr beschränkter Befehlsgewalt nichts
mit der ganzen Material- und Personalbeschaffung zu tun gehabt hatte, sondern
die Vereinigung des [500] Admiralstabes und
Reichsmarineamts unter einem Oberbefehlshaber mit voller Verantwortung und
weitestgehenden Vollmachten.
Aus dieser Vereinigung hätte sich alles andere von selbst ergeben. Sie
hätte die sofortige Beseitigung der bei dem Regierungsantritt des Kaisers
hergestellten Zweiteilung der beiden obersten Marinebehörden bedeutet
und damit erst die Möglichkeit einer vollen Ausnutzung der in beiden
angehäuften Kräfte im Kriege eröffnet. Welchen Namen man
für diese Funktion wählte und durch welche äußere
Form man den Übergang zur Wiederherstellung der alten Admiralität
gefunden hätte, war Nebensache, wenn nur mit der Mobilmachung an Stelle
des Nebeneinanders einer ganzen Anzahl von Immediatbehörden ein
Oberbefehlshaber trat, unabhängig von jedesmal einzuholenden
Entscheidungen, ein "Chef der Admiralität". Organisatorisch war es dabei
nach Ansicht des Großadmirals völlig belanglos, ob der Chef des
Admiralstabes oder der Staatssekretär des Reichsmarineamts hierzu ernannt
wurde. Es handelte sich lediglich um die Frage, wer von beiden die geeignetere
Persönlichkeit sei. Unter den obwaltenden Verhältnissen allerdings
konnte der Großadmiral pflichtmäßig und in
Übereinstimmung mit dem Urteil des Seeoffizierkorps nur sich selbst in
Vorschlag bringen. Der Kaiser war jedoch nicht geneigt, diesem Antrage Folge zu
geben, andererseits aber wollte er ebensowenig der Mitarbeit des
Großadmirals entraten. Das Ergebnis, wie es in einem Kabinettschreiben an
Admiral v. Pohl festgelegt wurde, blieb eine "unglückselige
Halbheit".
Das Schreiben lautete folgendermaßen:16
Berlin, den 30. Juni 1914.
"Seine Majestät der Kaiser und König
wünschen, daß Ew. Exzellenz sich in dieser sehr ernsten Zeit
über das, was Ew. Exzellenz Seiner Majestät vorzutragen
haben, vorher mit dem Staatssekretär des Reichsmarineamts in Verbindung
setzen und im Vortrage selbst auf etwaige abweichende Ansichten des
Staatssekretärs aufmerksam machen. Seine Majestät wollen,
daß Ew. Exzellenz das nicht als Mißtrauen auffassen, sondern
nur als den Ausdruck des durch den Ernst der Lage gegebenen Bedürfnisses
Seiner Majestät, möglichst Nutzen aus dem bewährten Urteil
eines auf allen Gebieten des Marinewesens erfahrenen langjährigen
Beraters zu ziehen."
Die Berufung des Großadmirals zur obersten Leitung der Marine wurde
sicherlich auch verhindert durch die zwischen ihm und dem Kanzler bestehenden
Gegensätze. Die Ablehnung seines Antrages wäre aber zweifellos
schwerer gewesen, wenn er sich auf mobilmachungsmäßig
niedergelegte Vorüberlegungen hätte stützen können.
So aber kam dieser Antrag, der in Wirklichkeit ja nichts Geringeres bedeutete als
die Wiederherstellung der alten Admiralität, so richtig [501] er war, zu unerwartet,
als daß im Drange aller übrigen Geschäfte der Mobilmachung
die verhängnisvollen Folgen einer Ablehnung gleich in ganzer
Schärfe empfunden worden wären.
Infolge der Ablehnung trat aber die eigenartige Lage ein, daß nunmehr der
Schwerpunkt in der Führung der Marine plötzlich auf eine
Behörde überging, die dieser Aufgabe keineswegs voll gewachsen
sein konnte. Infolge der Entwicklung, welche der Admiralstab in den letzten
Jahrzehnten genommen hatte, fehlte ihm die überragende Stellung den
anderen Immediatbehörden gegenüber, wie sie sich in der Armee bei
dem Chef des Generalstabes des Feldheeres seit den Erfolgen von 1866 und 1870
stillschweigend herausgebildet hatte und auch im Weltkriege, wenigstens nach der
Marneschlacht, von neuem und immer stärker in Erscheinung trat. Eine
solche Stellung im Bereich der Marine sofort für sich in Anspruch zu
nehmen, wäre unter diesen Umständen wohl nur dem
Großadmiral v. Tirpitz als Chef des Admiralstabes möglich
gewesen. Wie die Dinge aber lagen, verblieb nunmehr der Oberbefehl über
die Marine ausschließlich bei der Person des Kaisers selbst. Ihm fiel auch
der Ausgleich der Meinungen der großen Zahl von
Immediatbehörden zum größten Teile persönlich zu.
Da für den Kaiser neben der Verantwortung als Oberster Kriegsherr die als
Staatsoberhaupt stand, traten auf diese Weise auch politische Erwägungen
allzu unmittelbar in ihrem Einfluß auf seestrategische Entscheidungen in
den Vordergrund, um so mehr, als bereits gegen Schluß des Jahres 1914 die
Anschauungen über das zweckmäßigste Vorgehen bei
Flottenkommando, Admiralstab und Staatssekretär weit auseinandergingen.
Bei der räumlichen Trennung einer ganzen Anzahl der
Marinebehörden von der Person des Kaisers erlangte damit das
Marinekabinett und sein einflußreicher Chef, Admiral
v. Müller, eine weit über das organisatorisch vorgesehene
Maß hinausgehende Einwirkung auf die Seekriegführung, die sich
ebenfalls in erster Linie nach der Seite politischer Hemmungen geltend machte.
Dazu kam, daß Admiralstab und Reichsmarineamt im Großen
Hauptquartier nur durch die Chefs dieser Behörden mit einem ganz
unzulänglichen Stab vertreten waren, während der eigentliche
Kommando- und Verwaltungsapparat unter Stellvertretern in Berlin geblieben
war.
Noch verwickelter wurde die Lage dadurch, daß zu den zahlreichen
bisherigen Immediatstellen nach Ausbruch des Krieges sehr bald weitere
hinzutraten, und zwar außer dem Chef der Mittelmeerdivision und
später dem Chef des Sonderkommandos in der Türkei, insbesondere
der Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte und der Chef des Marinekorps
in Flandern. Beide Stellen waren mobilmachungsmäßig nicht
vorgesehen gewesen. Erstere wurde - entgegen der ursprünglich
beabsichtigten Regelung, die eine strenge und dauernde Abhängigkeit vom
Nordseekriegsschauplatz und den dort zu vereinigenden [502]
Hauptseestreitkräften vorgesehen
hatte - im letzten Augenblick geschaffen, letztere infolge der Entwicklung
in Flandern, die nicht rechtzeitig durch operatives Zusammenarbeiten von Armee
und Marine vorbedacht worden war, erforderlich. Beide waren als
Seebefehlshaber, von den geringen Kräften abgesehen, die ihnen dauernd
zugeteilt werden konnten, je nach der Kriegslage auf die Zuteilung von
Streitkräften der Hochseeflotte angewiesen. Zwischen Flotte, Marinekorps
und Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte in diesen Fragen ausgleichend
und entscheidend zu wirken und die Verteilung der Streitkräfte schnell
genug der stets wechselnden Lage anzupassen, war bei der geschilderten
Organisation kaum möglich.
Dies trat besonders in der Führung des U-Bootskrieges in Erscheinung. Ein
Teil der U-Boote unterstand dem Chef der Hochseestreitkräfte, ein Teil
dem kommandierenden Admiral des Marinekorps in Flandern, und nur die im
Mittelmeer befindlichen, wie die U-Kreuzer, wurden schließlich dem
Admiralstabe unmittelbar unterstellt. Eine Verlegung des Schwerpunktes des
U-Bootseinsatzes von einem zum anderen Kriegsschauplatz erfolgte daher
vielfach nicht mit der Schnelligkeit und Zielsicherheit, welche die stets
wechselnde militärische Lage erforderte. Dazu wären andere
Vollmachten bei der Zentralstelle notwendig gewesen. Die Gründe sind
aber bereits genannt worden, warum der Chef des Admiralstabes nicht von
Kriegsbeginn an unter Übernahme der Gesamtverantwortung für die
Seekriegführung nach den Richtlinien des Obersten Kriegsherrn den
Frontbefehlshabern gegenüber klar zum Ausdruck gebracht hatte, daß
"in straffer Befehlsform der Krieg von ihm strategisch geleitet und den
Befehlshabern auf den einzelnen Kriegsschauplätzen nur in der
Ausführung der von der Seekriegsleitung erteilten Befehle
Selbständigkeit gelassen würde".17 Wie
wenig dies der Fall war, geht daraus hervor, daß noch im Oktober 1917 ein
kaiserlicher Erlaß notwendig wurde, "solche Anordnungen, welche im
Rahmen der von Seiner Majestät dem Chef des Admiralstabes gegebenen
allgemeinen Richtlinien lägen, unmittelbar von Seiner Majestät
kommenden Befehlen gleichzuachten".
Alle Vorstellungen, die von verschiedenen Seiten, auch der Front, wiederholt
erhoben wurden, diesen unklaren Verhältnissen ein Ende zu machen,
scheiterten in erster Linie immer wieder an dem Widerstand des Chefs des
Marinekabinetts. Dieser Widerstand wurde erst mit der Ernennung Admiral
Scheers zum Chef des Admiralstabes überwunden, der hierfür das
Schwergewicht seines Sieges vor dem Skagerrak in die Wagschale werfen konnte.
Seiner Ansicht nach18 kam zwar eine dauernde Leitung der
Kriegshandlungen, wie es zu Lande durch die Oberste Heeresleitung geschah, auf
dem Wasser nicht in Frage.
"Wenn die Flotte eine Schlacht verlor,
würde niemand daran gedacht haben, den [503] Admiralstabschef
dafür verantwortlich zu machen, sondern nur den Flottenchef. In der
Seekriegführung mußten die in der Ostsee, Nordsee, in Flandern, im
Mittelmeer und sonst im Auslande eingesetzten Befehlshaber ihrer allgemein
bezeichneten Aufgabe entsprechend selbständig handeln. Dennoch
mußte eine Stelle vorhanden sein, welche mit der Regelung der
Kräfteverteilung auch auf ein bestimmtes strategisches Ziel hinarbeitete,
statt den Erfolg der Leistungen den auf den einzelnen Kriegsgebieten
kommandierenden Admiralen zu überlassen." "Eine oberste
Kommandostelle, deren Weisungen unbedingte Folge zu leisten war, wurde
vermißt. Dies galt auch für das Gebiet des Reichsmarineamts." "Je
schwieriger es bei der Verlängerung des Krieges wurde, Material und
Personal für alle neuhinzukommenden Erfordernisse zu schaffen,
während sich die Kriegsaufgaben auf weit entlegene Gebiete ausdehnten,
um so häufiger traten Beschwerden in bezug auf Instandsetzungsarbeiten
der Schiffe und U-Boote und der Ablieferung von Neubauten auf." "Große
Mühe machte es, von der Heeresverwaltung dringend benötigte
technische Arbeiter zu erlangen. Dringender Heeresbedarf hatte natürlich
den Vorzug. Aber eine überzeugende Vertretung der
Marineforderungen - Großadmiral v. Tirpitz hatte im
März 1916 den Abschied genommen - hätte in vielen
Fällen einen besseren Erfolg haben können, denn am guten Willen
und Einsicht fehlte es der Schwesterwaffe zweifellos nicht. Um nur einen Punkt
herauszuheben, hatte es eines halbjährigen Drängens, vom Juli 1917
bis zum Dezember desselben Jahres, bedurft, bis eine vom Flottenkommando
vorgeschlagene Zentralstelle für alle U-Bootsangelegenheiten, das
U-Bootsamt, geschaffen wurde."
Daher war nach Ansicht des Admirals auch ein Wechsel des Staatssekretärs
des Reichsmarineamts notwendig, damit sich der neue für die
Durchführung der zu machenden Vorschläge rückhaltlos
einsetzen könnte. Das Bedenken des Chefs des Marinekabinetts, der Kaiser
würde niemals darein willigen, die oberste Leitung aus der Hand zu geben,
was ja in diesem Sinne auch gar nicht verlangt wurde, rechtfertigte sich nicht. Der
Kaiser willigte anstandslos ein. In einem Schreiben des Chefs des Marinekabinetts
vom 11. August wurde den Immediatstellen daher folgendes mitgeteilt:
"Auf Grund des heutigen Vortrages
des Chefs des Admiralstabes wollen Seine Majestät der Kaiser diesem
größere Gerechtsame als bisher in bezug auf die
Seekriegführung einräumen, indem ihm im Rahmen der
Allerhöchst befohlenen Richtlinien für die Seekriegführung
die Befugnis erteilt wird, direkte Befehle mit der Unterschrift »von seiten
der Seekriegsleitung« an die Verbände oder an einzelne
Befehlshaber usw. zu geben. Hierzu soll vom Admiralstab der Marine ein
besonderer Stab der Seekriegsleitung im Großen Hauptquartier mit einem
Chef des Stabes an der Spitze gebildet werden. In Berlin soll der Stellvertretende
Chef des Admiralstabes die laufenden Geschäfte des Admiralstabes nach
den Weisungen der Seekriegsleitung führen."
[504] Eine Rückkehr
zu dem vor 1899 bestehenden Oberkommando der Marine bedeutete diese
Organisationsänderung nicht, vielmehr würde sie sich bei noch
längerer Dauer immer mehr zu einer ähnlichen Organisation, wie die
alte Admiralität, ausgewachsen haben. Von einer zunächst
beabsichtigten Gegenzeichnung von Befehlen der Seekriegsleitung durch den
Staatssekretär des Reichsmarineamts wurde daher auch abgesehen. Auch
dieser wurde ersterer stillschweigend unterstellt. Einen besonderen Wert erhielt
die Organisationsänderung aber dadurch, daß die Seekriegsleitung
ihren Sitz im Großen Hauptquartier in unmittelbarer Nähe des
Obersten Kriegsherrn und der Obersten Heeresleitung nahm und dem Chef der
ersteren auch ein entscheidender Einfluß auf die Besetzung der
Kommandostellen und Stäbe eingeräumt und damit der bisher
überwältigende Einfluß des Chefs des Marinekabinetts
gebrochen wurde. Die Etatsstärke der Seekriegsleitung wurde auf 21
Seeoffiziere festgesetzt, ohne daß eine Vermehrung der Gesamtstärke
des Admiralstabes eintrat.
Mit einer Verfügung vom 16. September 1918 wurde der Admiralstab der
Marine "in Würdigung seiner Aufgaben und Verdienste in der
Rangordnung den Zentralbehörden gleichgestellt".
Die Schaffung der Seekriegsleitung kam leider zu spät, um sich noch in
entscheidenden militärischen Erfolgen auswirken zu können.
Inzwischen war aber im Laufe des Krieges eine Fülle von Energie und
Arbeitskraft in inneren Reibungen verlorengegangen, die man sich angesichts der
unendlich schweren Aufgabe, vor welche der Weltkrieg die noch in der
Entwicklung befindliche Marine gestellt hatte, hätte sparen müssen.
Wie vielfältig und kompliziert der Apparat von Kampfmitteln
schließlich war, der in der Marine organisatorisch bewältigt werden
mußte, wird am besten aus einer Aufzählung der im September 1918
vorhandenen Seestreitkräfte deutlich.
In der Nordsee befanden sich zu dieser Zeit unter dem Befehl des Chefs der
Hochseestreitkräfte 3 Linienschiffsgeschwader mit insgesamt 18
Großkampfschiffen unter der Führung von Geschwaderchefs,
außerdem 5 Schlachtkreuzer, 12 kleine Kreuzer unter dem Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte, 7 Torpedobootsflottillen mit 2
Führerkreuzern und 77 Booten unter dem Befehlshaber der Torpedoboote,
sowie 4 U-Flottillen mit 1 Führerkreuzer, 10
Torpedo- und etwa 70 U-Booten unter dem Befehlshaber der
U-Boote, schließlich 7 Luftschiffe, 1 Flugzeugkreuzer und 2
Flugzeugmutterschiffe. Auf Schiffen und Flugstationen standen 152 Flugzeuge
zur Verfügung. Für den Vorposten und Geleitdienst zum
Heraus- und Hereinbringen der U-Boote gab es unter dem Befehlshaber des
Sicherungsverbandes der Nordsee 2 Geleitflottillen und 1
Nordseevorpostenflottille mit 186 Fischdampfern, 40 Torpedobooten und
12 Sperrbrechern sowie 14 Halbflottillen mit über 190 Fahrzeugen
der verschiedensten Art für den Minensuch- und Räumdienst, dazu
einen Park von Troß- und Lazarettschiffen.
[505] Außerdem
verfügte die Station der Nordsee auch noch ihrerseits über 85
Fahrzeuge für den Vorposten- und Sperrdienst in den
Flußmündungen. Dieser Konzentration von Streitkräften in der
Nordsee gegenüber traten die übrigen Kriegsschauplätze in
den Hintergrund. In der Ostsee stand unter dem Kommando der Marinestation in
Kiel ein Befehlshaber der westlichen Ostsee und ein solcher der baltischen
Gewässer. Der erstere verfügte über 1 Kreuzer, 4
Hilfsstreuminendampfer, 1 Flugzeugmutterschiff, 1 Torpedobootsflotille von 12
Booten, 1 Vorpostenflottille von etwa 70 Fischdampfern und 30 Motorbooten,
sowie einen besonderen Netzsperrverband für das Auslegen von Netzen
gegen U-Boote. Unter dem Befehlshaber der baltischen Gewässer, der seine
Flagge auf dem Küstenpanzer "Beowulf" gesetzt hatte und von Libau aus
operierte, waren die Streitkräfte des Führers der Minensucher die
zahlreichsten. Sie bestanden aus 4 deutschen und 5 finnischen
Minensuch- und Räumverbänden mit 2 großen Mutterschiffen
für Motorboote und 145 Fahrzeugen. Dazu verfügte der
Befehlshaber der baltischen Gewässer noch über
1 Torpedobootshalbflottille mit 5
Booten, 12 Kohlendampfern, Heizöl- und Proviantdampfern, 4
Lazarett- und 2 Transportschiffen. Dazu kamen im Bereich der Ostsee 63
Front-und 229 Übungsflugzeuge.
Ein gewaltiger Park von Schiffen stand für die Schul- und Versuchsbetriebe
in Kiel zur Verfügung. Dort befand sich unter der Inspektion des
U-Bootswesens ein U-Bootsbergungs- und Jagdverband sowie die
U-Schule. Diese verfügte über 25
U-Boote, ebenso viele Torpedoboote und (abgesehen von Wohnschiffen)
über eine Reihe von Dampfern, Fischerfahrzeugen und einem Kreuzer
für die kriegsmäßige Darstellung feindlicher Geleitzüge
bei Angriffsübungen.
Außerdem befand sich in Kiel eine wechselnde Zahl von bis zu 20
U-Booten in der Abnahme.
Die Torpedoinspektion, das Torpedoversuchskommando, die Mineninspektion,
die technische Versuchskommission, die Artillerieschule und Marineschule
verfügten ebenfalls über eine ganze Anzahl von Fahrzeugen
für ihre Zwecke, vom Linienschiff bis zum älteren Torpedoboot,
Fischdampfer und Tender. Dem kommandierenden Admiral des Marinekorps
waren 3 Torpedobootsflottillen mit 33 Booten und unter dem Führer der
U-Boote Flandern 2 U-Bootsflottillen mit 20 Booten fest zugeteilt. An
Minensuchern, Vorpostenbooten, Fernlenk- und Motorbooten verfügte er
über 72 Fahrzeuge, dazu kamen etwa 100 Flugzeuge.
Die Mittelmeerdivision in Konstantinopel bestand aus dem Schlachtkreuzer "Goeben" und 3 U-Booten mit einer entsprechenden Anzahl von Hilfsschiffen.
Dagegen waren die beiden deutschen
U-Bootsflottillen im Mittelmeer ebenso wie zeitweise der
U-Kreuzerverband als einzige schwimmende Seestreitkräfte dem Chef des
Admiralstabes militärisch unmittelbar unterstellt. Sie bestanden [506] aus etwa 24
U-Booten, die sich auf Pola und Kattaro verteilten, und wurden von einem
Befehlshaber der U-Boote des Mittelmeeres geleitet.
Auch in der Krim (Sewastopol) befand sich am Schluß des Krieges eine
Marineabteilung, die über 36 Minensucher, Motorboote und
Dampfer verfügte und bemüht war, die in ihre Hände
gefallenen russischen Kriegsschiffe in Dienst zu stellen. Schwach besetzte
Marineflugstationen befanden sich auch in Konstanza und Xanthi,
Sonderkommandos der Marine selbst hinunter bis zum Euphrat.
Welches Maß von technischer und organisatorischer Leistung erforderlich
war, um diese Streitkräfte zu schaffen und zu erhalten, geht aus den Tabellen
1 bis 4 hervor, welche die Entwicklung des beweglichen Kriegsmaterials
der Marine im Weltkriege enthalten. Bei der Bindung der Hauptkräfte der
Nation im Landkriege war der Zuwachs während des Krieges an
Linienschiffen und Schlachtkreuzern natürlich äußerst gering.
Der Bestand an kleinen Kreuzern weist trotz der Neubauten infolge der eintretenden
Verluste eine ständige Verringerung im Lauf der Kriegsjahre auf. Die
verhältnismäßig große Zahl an älteren
Linienschiffen ist, abgesehen von denen des II. Geschwaders, in der Nordsee kaum
in Erscheinung getreten. Sie erwiesen sich als zu wenig widerstandsfähig
gegen die Wirkungen moderner Torpedos und Minen. Schon Anfang 1916 wurde es
infolge des gewaltigen Personalbedarfs
für U-Boote und Minensuchbesatzungen erforderlich, diese Schiffe
außer Dienst zu stellen. Ihre Geschütze fanden an den Landfronten
Verwendung. Ähnlich ging es den älteren größeren
Kreuzern, nachdem sie vor der Außerdienststellung, vornehmlich in der
Ostsee, Verwendung gefunden hatten.
Eine ständige Steigerung erfuhr dagegen die Zahl der Torpedoboote, deren
Bestand sich von 100 Fahrzeugen bei Kriegsbeginn bis Mai 1917 auf 194 hob. Dann
aber trat infolge großer Verluste auch bei diesem Typ ein starker Abfall
ein.
Außerordentlich gering war die Zahl der Luftschiffe und Flugzeuge bei
Kriegsbeginn, wie aus Tabelle
3 ersichtlich. Erstere erreichte im Juli 1917 mit 21 Schiffen ihren
Höchstbestand, um dann schnell abzufallen, während die
Fliegerwaffe, die mit 6 Land- und 6 Wasserflugzeugen begonnen hatte, im
September 1918 über 775 See- und 360 Landflugzeuge verfügte.
Die weitaus interessantesten Zahlen bietet die Entwicklung der U-Boote. Der
Bestand hat sich im Laufe der vier Kriegsjahre trotz aller Verluste etwa
verzehnfacht.
Aus dem Gesamteindruck dieser Tabellen ergibt sich mit großer Deutlichkeit,
welche gewaltigen Anstrengungen gemacht worden sind, um den wechselvollen
Forderungen des Seekrieges trotz der Bindung der Hauptkräfte der Nation im
Landkriege und der geschilderten organisatorischen Schwierigkeiten zu
entsprechen. Ein besonderes
U-Bootsamt, ein Luftamt, eine Fabrikenabteilung wurden im Reichsmarineamt
geschaffen.
[507] Die Entwicklung zum
ausgesprochenen Materialkrieg hat dem Großadmiral v. Tirpitz recht
gegeben, wenn er zur Vereinigung aller Kräfte der Marine auf das Endziel
für die Zusammenlegung von Admiralstab und Reichsmarineamt in einer
Hand, also für die Schaffung einer
Zentralkommando- und Verwaltungsstelle eingetreten ist. Da dieser Gedanke
jedoch organisatorisch zu wenig vorbereitet und festgelegt war, um sich gleich bei
Kriegsausbruch durchzusetzen, hat sich letzten Endes die von dem
Staatssekretär geschaffene Friedensorganisation im Kriege gegen ihren
eigenen Schöpfer gewendet. Dies ist jedoch nur eine Teilerscheinung des
Gesamtproblems. Auch die Armee hat trotz der überragenden Stellung des
Chefs des Generalstabes des Feldheeres und später der Obersten
Heeresleitung unter der Zweiteilung in Generalstab und Kriegsministerium gelitten.
Noch bedenklicher aber war, daß weder für das Zusammenwirken von
Armee und Marine noch für das Zusammenarbeiten dieser Faktoren mit
Politik, Finanz und Wirtschaft Vorbedingungen geschaffen waren, welche die
reibungslose und zweckmäßigste Zusammenfassung aller Kräfte
der Nation zur Erreichung des Endzweckes gewährleistet hätte.
Für eine derartige Behandlung des Organisationsproblems hatte man in
Deutschland, sonst "dem Lande der Organisation", keine Lösung gefunden. In
anderen Ländern, wo man innerhalb und außerhalb der
militärischen Kreise den Krieg sicherer hatte kommen sehen und in der
Verfassung vielleicht günstigere Vorbedingungen fand, ist dies besser
gelungen. So besaß England schon bei Kriegsausbruch einen
Reichsverteidigungsausschuß, in welchem alle den Krieg betreffenden Fragen
unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten und in Gegenwart des gesamten
Kabinetts nach entsprechenden Vorarbeiten von Unterausschüssen
regelmäßig und eingehend beraten und die zu ergreifenden
Maßnahmen mobilmachungsmäßig in den Hauptzügen
festgelegt wurden. Letzten Endes führte dann der Ministerpräsident
unter voller Mitverantwortung sämtlicher übrigen Minister den Krieg.
In den Vereinigten Staaten sind ähnliche Grundsätze heute bereits noch
viel schärfer organisatorisch festgelegt.
Auch andere Völker wenden diesem Problem des Zusammenfassens und
Zusammenwirkens aller Kräfte der Nation im Kriege unter einheitlicher
Leitung ihre besondere Aufmerksamkeit zu. Wichtiger allerdings als das Suchen
nach der besten Organisation wird stets die Auswahl der leitenden
Persönlichkeiten sein. Aber auch diese wird um so besser gelingen, je mehr
in Verfassung und Organisation die Vorbedingungen hierzu geschaffen sind.
Daß dies vor dem Weltkriege nicht erkannt und durchgeführt worden
war, gehört zu den Ursachen des Zusammenbruchs.
[Scriptorium merkt an: im Original erscheinen auf
den hier folgenden Seiten 508 - 510 die Tabellen
1 bis 4.]
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