Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
[197]
Kapitel 5: Die
Nachrichtenmittel
Hauptmann Rudolf Schmidt
Gewaltige technische Entwicklungen hat der Weltkrieg hervorgerufen. Die
verzweifelte Kraft eines zu Tode gehetzten Volkes schuf sich Hilfsmittel, an die
man vor dem Kriege kaum zu denken wagte. Neue Kampfwaffen, Chemie und
Physik, wurden in ungeahntem Umfang in den Dienst des Kampfes gestellt. Aus
den kleinsten Anfängen erwuchs eine mächtige Luftflotte, die an
allen Fronten erfolgreich ihren Mann gegen den übermächtigen Feind
stand und das schwer arbeitende Heimatland vor feindlichen Fliegern
schützte. Wohl die größte Entwicklung unter all den
technischen Kampfmitteln und Waffen nahmen die Nachrichtenmittel.
Die vorher nie geahnte Ausdehnung der Kriegsschauplätze und
Hartnäckigkeit der Kämpfe stellte die Führung vor ungeheure
Aufgaben, schnelle Entschlüsse und verlangte ein blitzartiges
Hin- und Herwerfen der Kräfte. Nur ein weitverzweigtes engmaschiges,
sicherarbeitendes Nachrichtennetz konnte dies ermöglichen.
Die Entwicklung der Nachrichtentruppen und der übrigen für den
Nachrichtendienst eingesetzten Verbände aller Waffen im Verlauf des
Krieges spricht am besten für den Aufschwung, den das Nachrichtenwesen
nahm.
Vor dem Kriege war die damalige Telegraphentruppe stark:
550 Offiziere und 5 800 Mann, nur unwesentliches Fernsprechpersonal bei
den übrigen Truppen.
Nach vollendeter Mobilmachung:
800 Offiziere und 25 000 Mann, bei jedem Truppenteil etwa 20 bis
60 Fernsprecher.
Bei Kriegsschluß betrug die Stärke der
Nachrichtentruppe:
4 381 Offiziere, 185 000 Mann.
Dazu bei allen übrigen Waffen: zusammen etwa die gleiche Zahl an
Nachrichtenpersonal. Die nachfolgenden Zeilen sollen den Werdegang dieser
staunenswerten Entwicklung schildern.
1. Der Stand des militärischen
Nachrichtenwesens im Frieden.
Die Nachrichtentechnik.
In dem Zeitraum von 1871 - 1914 setzte in der gesamten Technik und besonders
in der Entwicklung der technischen Nachrichtenmittel (Fernsprecher, Telegraph,
drahtlose Telegraphie) ein gewaltiger Aufstieg ein.
[198] Aus dem bis dahin als
einziges elektrisches Nachrichtenmittel bewunderten und benutzten
Morse-Telegraphenapparat entwickelte sich der Fernschreibapparat, nach seinem
Erfinder Hughes benannt, der in Druckschrift allen lesbar die Telegramme gab
und aufnahm. Ihm folgte kurz vor dem Kriege der Siemens-Schnelltelegraph,
der eine bisher ungeahnte Schnelligkeit des
Telegraphierens zuwege brachte.
Der primitive Telephonapparat von Graham Bell, den Ideen des Deutschen
Philipp Reiß nachempfunden, entwickelte sich zu dem eleganten,
handlichen und praktischen Fernsprechapparat, der bald jedem unentbehrlich
wurde.
Ein dichtmaschiges Netz von Fernsprech- und Telegraphenleitungen verband
Länder, Städte, Dörfer und in den Ortschaften Tausende von
Menschen miteinander, gestattete die persönliche Aussprache über
Hunderte von Kilometern und das Telegraphieren durch den ganzen Kontinent;
mit Hilfe der Unterseekabel sogar zwischen den einzelnen Erdteilen.
Seit 1902 sich immer mehr vervollkommnend begann auch die drahtlose
Telegraphie, der Funkentelegraph, seine Rolle im Verkehrsleben zu spielen. Er
wurde bald ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Schiffahrt.
Während das Fernsprech- und Telegraphenwesen durch die
Reichspostverwaltung monopolisiert wurde, blieb der Betrieb der
Funkentelegraphie in den Händen von Privatgesellschaften.
Den Wellen der hochmastigen Großfunkstellen Nauen, Eilvese, Norddeich
erschlossen sich immer mehr die anderen Erdteile.
Kurz vor dem Kriege konnte sogar mit den Kolonien in Verbindung getreten
werden, wobei besonders
die Station Kamina in Togo Hervorragendes
leistete.
Auch das Heer nahm an dieser Entwicklung teil. Da jedoch jede Ausgabe
für technische Neuerungen den die Gelder bewilligenden und verwaltenden
Staatsstellen abgerungen und mancher Widerstand bei den höheren
Dienststellen überwunden werden mußte, ging die technische
Entwicklung im Heere etwas bedächtiger und langsamer vor sich.
Im Jahre 1914 wurde eigentlich nur noch zwei Nachrichtenmitteln im Heere Platz
gegönnt, dem Fernsprecher und dem Funkentelegraphen. Das
Signalgerät war als angeblich für moderne Kriegführung
ungeeignet abgeschafft worden; Brieftauben waren auf die Festungen
beschränkt und den Privatvereinen überlassen; der Winkerdienst mit
Flaggen wurde zwar bei der Truppe viel geübt, über seine Bewertung
im Ernstfalle hatte man jedoch meist nur unklare Vorstellungen.
Der Fernsprecher sollte im Kriegsfalle die gesamte
Nachrichtenübermittlung von der Front bis in die hinterste Etappe
übernehmen. Jeglichem Telegraphieren auf dem bis 1910 noch im Heer
gebräuchlichen
Morse-Telegraphenapparat, sowie mittels des Klopfers war nach langem heftigen
Kampf unter den Berufenen in der Telegraphentruppe das Todesurteil gesprochen
worden. Man konnte [199] es sich nicht vorstellen,
daß jemals der Nachrichtenverkehr von den oberen
Kommandobehörden nach rückwärts derart ins Ungemessene
wachsen würde, daß er durch Übermittlung mittels des
Fernsprechers nicht bewältigt werden könnte.
Der im deutschen Heere vor dem Kriege leider noch, trotz vieler Einwirkungen
von oben her, verbreiteten Neigung der einzelnen Waffen sich voneinander
abzuschließen, entsprach die Art der Ausstattung mit
Fernsprechgerät. Modelle mannigfaltigster Art kamen bei den einzelnen
Waffen zur Anwendung.
An die Notwendigkeit der Verbindung der einzelnen Waffen unter sich im
Ernstfalle war anscheinend nicht gedacht worden; auch kam es bei
Übungen nicht zu derartigen praktischen Versuchen. Sonst hätte man
bald den Schaden der verschiedenen Geräteausstattung erkannt und sich
manche Schwierigkeiten im Krieg erspart.
Auch waren die Nachteile, die darin bestanden, daß jede Waffe ihr
Fernsprechgerät selbst beschaffte und dafür besondere Normen
aufstellte, erheblich. Abgesehen von der Buntscheckigkeit der Ausstattung
mußte dieses Verfahren bei einem Kriege und der dann einsetzenden
Massenfabrikation für die Industrie unendlich viele unnötige
technische Schwierigkeiten herbeiführen, für das Heer die
gegenseitige Verbindung und Aushilfe erschweren, die Kosten der Herstellung
steigern und den Nachschub schwieriger machen.
Die Widerstände im Heer gegen eine Vereinheitlichung waren zu
groß; es blieb bei der Buntheit der Ausstattung.
Infanterie, Kavallerie, Feldartillerie und die Telegraphentruppe verfügten
über den aus dem ehemaligen Patrouillenapparat hervorgegangenen
Armee-Fernsprechapparat, der aber je nach der Waffengattung, die ihn
besaß, Unterschiede im Bau und der Kraftquelle (Batterie) aufwies.
Die Telegraphentruppe besaß außerdem in dem Feldfernsprecher, der
Anschluß an das Leitungsnetz der Reichstelegraphie gestattete, ein
modernes Fernsprechgerät. Die Fußartillerie liebte ihren
Lautfernsprecher abgöttisch, wenn er auch keinerlei
Vermittlungsmöglichkeit zuließ, und trennte sich erst im Laufe des
Krieges von ihm, nachdem seine geringe Brauchbarkeit sich vielfach
schädigend fühlbar gemacht hatte.
Jede Truppengattung hatte außerdem noch besondere Verpackungsarten
für ihr Fernsprechgerät im Gebrauch.
Ein Feldsignalwesen gab es 1914 nicht mehr. Lediglich für Zwecke der
Manöverleitung im Kaisermanöver wurde noch Signalgerät
verwendet. Die Erfolge des Lichtsignalgeräts in Südwestafrika und
die Pflege, die ihm die Engländer auch in ihrem Heimatheer angedeihen
ließen, vermochten die leitenden Stellen nicht von seiner
Kriegsbrauchbarkeit zu überzeugen. Neben den elektrischen
Nachrichtenmitteln hielt man das Signalgerät für
überflüssig.
[200] Für den
Funkentelegraphendienst verfügte das Heer nur über eine kleine Zahl
fahrbarer Stationen leichter und schwerer Art. Ihre Kriegsbewährung hatten
diese schon in den Kolonialkämpfen dargetan. Für den allein
für möglich gehaltenen Bewegungskrieg sollten sie in erster Linie
den Kavallerie-Divisionen zugeteilt werden, und zwar mit einer schweren Station
bei dem Kavallerie-Divisionskommando, den leichten bei den
Aufklärungs-Eskadrons oder vorgeschobenen Brigaden. Sonst war die
Verwendung von schweren Stationen außer bei der Obersten Heeresleitung
nur noch bei den
Armee-Oberkommandos vorgesehen.
An der Entwicklung der Funkentelegraphie, an der Vervollkommnung des
Funkgeräts wurde von den militärischen technischen Stellen eifrig
gearbeitet, und wenn auch damals aus Ersparnisgründen eine vermehrte
Ausstattung des Heeres nicht erzielt werden konnte, so boten doch die
hierfür geleisteten Arbeiten eine wertvolle Grundlage, auf der im Kriege
gefußt wurde.
Die Nachrichtentruppe.
Die Telegraphentruppe bestand im Jahre 1914 aus 9 Bataillonen, darunter 2
bayerischen, 1 sächsischen, zu je 3 Fernsprechkompagnien,
1 - 2 Funkerkompagnien, ferner 8
Festungs-Fernsprechkompagnien mit insgesamt 550 Offizieren, 5800 Mann.
Der Geist der Telegraphentruppe, die zum größten Teil aus
Freiwilligen bestand, war vorzüglich. Ihre Ausbildung für den Dienst
in vorderer Linie war gut; für Bauten an festen Leitungsgestängen
reichte dagegen die Ausbildung nicht aus. Überhaupt fehlte es an den
notwendigen Wechselbeziehungen zur
Reichs-Telegraphenverwaltung, deren Einrichtungen in der Armee
größtenteils nur wenig bekannt waren. Der Drang aller Offiziere, im
Kriegsfall möglichst weit vorn Verwendung zu finden, ließ das
nötige Interesse für die Einrichtungen der
Reichs-Telegraphenverwaltung nicht aufkommen.
Ein gewisser Nachteil in der Zusammensetzung des Offizierkorps machte sich
dadurch bemerkbar, daß die Offiziere der Telegraphentruppe innerhalb der
ganzen Verkehrstruppe, die auch Eisenbahner, Kraftfahrer und Luftschiffer
umfaßte, ausgetauscht wurden. Hierbei spielten weniger Eignung für
den betreffenden Spezialzweig als formelle Gründe eine Rolle. Ein oft recht
störendes Moment trat so in die technische und besonders in die taktische
Ausbildung der Telegraphentruppe.
Erst in den letzten Jahren vor dem Kriege wurden Verbände der
Telegraphentruppe (Fernsprechzüge) zu den Manövern und
Generalstabsreisen, Funkenstationen zu den großen
Kavallerie-Aufklärungsübungen herangezogen und hierdurch ganz
wesentlich das Verständnis der Telegraphentruppe für die
Bedürfnisse der anderen Waffen und der Führung gefördert,
sowie die Führung auf den Wert der Nachrichtenmittel aufmerksam
gemacht.
[201] Sonst führten die
Telegraphentruppen im großen und ganzen in der Armee ein
zurückgezogenes Dasein, traten kaum hervor und wurden vielen
Truppenführern erst während des Krieges bekannt. Begründet
war dies in der Hauptsache durch die zentrale Unterstellung unter die
Generalinspektion des
Militär-Verkehrswesens, unter der wiederum die Inspektion der
Feldtelegraphie und die Inspekteure der Telegraphentruppen standen.
In technischer Beziehung hat diese Zentralisierung sicherlich große Vorteile
gehabt, in taktischer und allgemein militärischer Hinsicht hatte sie viele
Nachteile im Gefolge. Jede Spezialtruppe, die ohne dauernde lebendige
Fühlung mit der übrigen Armee bleibt, führt leicht ein
Sonderdasein als "Blümchen rühr mich nicht an" und neigt zur
Eigenbrödelei.
Nur die richtige Eingliederung in den pulsierenden Organismus des übrigen
Heeres kann davor bewahren. Auch innerhalb der Telegraphentruppe selbst traten
gewisse Spaltungen zwischen den verschiedenen Spezialgruppen, Fernsprechern
und Funkern, auf, die zwar von der Liebe zu jedem dieser Dienstzweige zeugten,
doch nicht zum Wohle des Ganzen dienten.
Von den übrigen Waffen verfügte die Kavallerie über
zahlreiches, am Fernsprecher gut ausgebildetes Personal. Eine große Zahl
von Offizieren und Mannschaften war auf der
Kavallerie-Telegraphenschule gut durchgebildet. Auch war die Truppe seit
langem mit Fernsprechgerät reichlich ausgestattet.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei der Fußartillerie, die ihren
Lautfernsprecher gut bedienen konnte und über genügend
Gerät verfügte.
Dagegen stand die Ausbildung im Fernsprechdienst bei der Feldartillerie auf recht
niedriger Stufe, obwohl die Ausrüstung hinreichend war. Die Bedeutung
dieses - für die Feuerleitung
wichtigsten - Nachrichtenmittels war anscheinend nicht voll erkannt
worden, und da jedes technische Nachrichtenmittel beim Einsatz bis zu seiner
Inbetriebnahme eine gewisse Zeit erfordert, gelangte der Fernsprecher bei den sich
unnatürlich schnell abwickelnden Friedensübungen nie voll zur
Geltung.
Bei der Infanterie befand sich die Ausrüstung mit Fernsprechgerät
erst in den Anfängen. Eifer für diesen neuen Dienstzweig war jedoch
vorhanden.
Viel Wert wurde bei der Infanterie und Artillerie auf das Winken mit Flaggen
gelegt, dessen Anwendung im Kriege nur kurze Zeit im Anfang geschah; man
lernte sehr bald darauf verzichten, da die Winker in der Schützenlinie
abgeschossen wurden und selbst diese Linie dem Gegner kenntlich machten.
So mühten sich die einzelnen Waffen mit mehr oder weniger Geschick mit
dem Fernsprechdienst ab. Ein Zusammenarbeiten mit der Telegraphentruppe war
noch unbekannt.
Die im zweiten Dienstjahr zu den Telegraphen-Bataillonen kommandierten
Mannschaften der Infanterie wurden hier planmäßig gleich den
übrigen Telegraphisten im Fernsprechdienst ausgebildet. Sie sollten im
Kriegsfall als [202] Ergänzung und
Stamm für die aufzustellenden Feldformationen dienen, für welche
der Ersatz durch die Telegraphentruppen nicht ausreichte. Sie kamen also
für die Nachrichtenzwecke der Infanterie nicht in Frage.
Die Nachrichtenverbindungen.
Besser aber noch als der Stand der Nachrichtentechnik und ihrer Organisation im
Heere zeigte die Gestaltung der Nachrichtenverbindungen, sowohl derjenigen der
Reichs-Telegraphenverwaltung als auch der heereseigenen, daß ein Krieg
von Deutschland nicht geplant war, ja nicht einmal für möglich
gehalten wurde.
In den großen Grenzfestungen Königsberg, Graudenz, Thorn, Posen,
Metz, Straßburg, sowie in Köln und Mainz befanden sich die
Festungs-Fernsprechnetze nur teilweise betriebsfertig und in kleinem Umfange
angelegt. Die Umstellung des bisherigen, vorhandenen Telegraphenbetriebs auf
den reinen Fernsprechverkehr hatte in ihnen beim Ausbau hemmend gewirkt und
völlig neue Anlagen erfordert. Alles war noch im Anfang der
Umgestaltung, als der Krieg begann.
Dagegen waren in den genannten Festungen Funkengroßstationen in vollem
Betrieb und bildeten zusammen mit den in den Kasernen der
Telegraphen-Bataillone befindlichen festen Funkstellen unter Leitung der
militärischen Großstation Königswusterhausen ein sich
über das ganze Reich erstreckendes Funknetz.
Als besonderes Nachrichtenmittel der Festungen waren dort noch seit alters her
Brieftauben vorhanden, die zusammen mit den Brieftauben der Privatvereine im
Reich für Verteidigungszwecke ein Verkehrsnetz bildeten.
Auf die Gestaltung und den Betrieb der Fernsprech- und Telegraphennetze der
Reichs-Telegraphenverwaltung hatte die Heersverwaltung keinen Einfluß
und legte auch nicht sonderlich Gewicht darauf. Die
Reichs-Telegraphenverwaltung blieb im allgemeinen ohne die für die
Landesverteidigung und einen Aufmarsch nötigen Richtlinien seitens der
Heeresstellen; vielmehr verließen sich diese auf das zweckentsprechende
Arbeiten und die Dispositionen der Reichs-Telegraphenverwaltung, ohne aber
Weisungen dafür zu geben. Der ungeheure wirtschaftliche Aufschwung
Deutschlands verlangte dringend zahlreiche Nachrichtenverbindungen. Hier kam
Geld ein, und als Folge standen für die Reichs-Telegraphenverwaltung
wirtschaftliche Zwecke beim Neubau von Fernsprech- und Telegraphenanlagen in
erster Linie; militärische Rücksichten traten völlig
zurück.
Ganz besonders hemmend auf die Heeresausstattung mit Nachrichtenmitteln
wirkte die Bestimmung in dem Reichstagsbeschluß, welche die
Umorganisationen und den Ausbau auch der technischen Einrichtungen aus
Sparsamkeitsrücksichten auf eine Zeitspanne bis zum Jahre 1920 verteilte.
Nur tropfenweise kam hierdurch die dringend nötige Erneuerung und
Umänderung in Fluß.
[203] Die Ursachen
dieser Gestaltung des militärischen Nachrichtenwesens.
Betrachtet man kritisch den geschilderten Stand der Nachrichtentechnik im Heere,
die Stärke, Gliederung und Verwendung der Telegraphentruppe im
Friedensheere, die Bewertung der Nachrichtenverbindungen innerhalb der
Truppen, so kommt man zu dem Schlusse, daß zwar die Notwendigkeit der
Verbindung zwischen den
Front-Kommandostellen durch besondere Telegraphentruppen erkannt, die
ungeheure Wichtigkeit der technischen Nachrichtenübermittlung innerhalb
der einzelnen Waffen und der Waffen untereinander aber auch nicht
annähernd erfaßt worden war.
Ganz und gar vermißt man jedoch die Erkenntnis, daß jede
kriegerische Operation und jeder Aufmarsch genau so auf einer Basis von
planmäßig vorbereiteten festen Nachrichtenverbindungen
(Telegraphen-, Fernsprechlinien, Funksystem) in der Heimat beruhen muß,
wie das bei den Eisenbahnen schon lange erkannt und sorgsam
durchgeführt war.
Zu dieser irrigen Auffassung vom Nachrichtenwesen trug sicher der Umstand bei,
daß bei den meisten Operationsstudien und Generalstabsreisen die
Schwierigkeiten der Nachrichtenverbindung nicht annähernd so zum
Ausdruck kamen, auch wohl nicht gebracht werden konnten, wie sie sich nachher
in der Wirklichkeit herausstellten.
Die Reichs-Telegraphenverwaltung war technisch auf der Höhe und
wäre vollauf in der Lage gewesen, den Wünschen des Generalstabs
in der Anlage der
Fernsprech- und Telegraphenlinien für die Zwecke der Landesverteidigung
gerecht zu werden. Nur hätten ihr die erforderlichen militärischen
Richtlinien mitgeteilt und ihre Durchführung nachgeprüft werden
müssen. Beides geschah nicht; die Folge war der Ausbau des
Reichs-Telegraphennetzes vorzugsweise nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten.
In der Denkschrift des Generals Ludendorff vom Dezember 1912 wurde innerhalb
der Heeresvermehrung - wie schon in früheren
Anträgen - auch eine Vermehrung der Telegraphentruppe und des
Telegraphengeräts gefordert. Leider machte das Kriegsministerium,
welches unter dem Druck des Reichsschatzministers Wermuth und des lediglich
auf Sparsamkeit, nicht auf andere Notwendigkeiten blickenden Reichstags stand,
auch für den Bereich der Nachrichtenverbindungen nicht die erforderlichen
Anstrengungen, um die für den Schutz Deutschlands gegen die
offenkundigen feindlichen Absichten anderer Mächte nötigen
Sicherungen im Parlament durchzusetzen. Wesentlich gekürzt gelangten
nur Bruchstücke der Vorlage zur Durchführung.
Für die Telegraphentruppe sollte auf Grund der Vorlage im Oktober 1914
das 8. preußische
Telegraphen-Bataillon in Breslau gebildet werden; außerdem war
Neuausstattung mit
Funk- und Fernsprechgerät, insbesondere mit Fahrzeugen, für die
Telegraphentruppe vorgesehen; auch das Fernsprechgerät der übrigen
Waffen sollte vermehrt werden.
[204] Traurig war es,
daß selbst in dieser politisch hochgespannten Zeit falsche Sparsamkeit
über die Lebensinteressen des deutschen Volkes triumphierte. Dabei war
das Parlament zu großen Bewilligungen bereit. Die Kriegsgefahr stand zu
drohend vor der Tür!
Leider fehlte den verantwortlichen Stellen im Kriegsministerium das
Rückgrat, um die berechtigten Forderungen des Generalstabs beim
Reichsschatzministerium durchzudrücken. Vielleicht mag dabei auch hier
und da die klare Erkenntnis für die Wichtigkeit der technischen Hilfsmittel
in einem Kriege nicht vorhanden gewesen sein.
Die bei jedem technischen Mittel hohen Anschaffungskosten schreckten derart ab,
daß man gern zu dem Glauben der Väter an das völlig
ausreichende Vorhandensein der drei Hauptwaffen, Infanterie, Artillerie und
Kavallerie, zur Kriegführung und Schlachtentscheidung
zurückkehrte.
So wie nach Schlieffens Tode dem Generalstab, seit Roons Zeiten dem
Kriegsministerium eine wirklich führende, großzügige
Persönlichkeit fehlte, vermißte man auch innerhalb der
Verkehrs- und insbesondere der Telegraphentruppe einen führenden Kopf,
der vor allem die Energie besessen hätte, seine Ansichten gegen die
Kurzsichtigkeit der übrigen Stellen durchzusetzen. Die von anderen Waffen
stammenden Generalinspekteure waren ganz neu in diesem technischen Gebiet,
ihre Generalstabsoffiziere befanden sich in der gleichen Lage. Trotzdem verdankt
die Telegraphentruppe einem Manne, wie dem Generalinspekteur General
v. Lynker, viel.
In den höheren Stellen der Telegraphentruppe herrschte eine gewisse
Unsicherheit und Vorsicht, die als Folge der dauernden Versetzungen zwischen all
den ganz verschiedenen Waffengattungen der Verkehrstruppe erklärlich
war.
Frischer Geist war dagegen unter den jüngeren Offizieren der
Telegraphentruppe vorhanden. Zwar brachte das Vorwärtsstreben auf den
verschiedenen Spezialzweigen der Nachrichtenmittel innerhalb der Bataillone eine
gewisse Eifersüchtelei zustande. Hemmend sollte das aber erst dann
werden, als der Gedanke des sich gegenseitigen Ergänzens aller
Nachrichtenmittel infolge des Versagens der bisher allein angewandten
Nachrichtenmittel auftrat und an diesem alten Spezialistenstolze manchmal
Widerstand fand.
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