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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern
im Jahre 1917
  (Forts.)

Generalmajor Rudolf v. Borries

5. Verfolgung der Ententetruppen und ihre neuen Angriffspläne. Deutsche Abwehrmaßregeln auf der Arrasfront.

Bei den Ententeheeren waren die Vorbereitungen für die Offensive des Generals Nivelle - über Vimy - Bapaume auf Cambrai, zwischen Avre und Oise auf St. Quentin, über die Aisne zwischen Soissons und Reims nach Norden5 - in vollem Gange, als Anzeichen auftauchten, daß die Deutschen [106] auf großen Strecken der zukünftigen Angriffsfront den Rückzug vorbereiteten. Gefangene berichteten von einer neuen rückwärtigen Stellung, und gelegentliche Brände wie Sprengungen ließen Maßnahmen vermuten, wie sie bei bevorstehender Räumung eines Geländeabschnitts üblich waren, um dem verfolgenden Gegner Aufenthalt zu bereiten. Auch Fliegererkundungen ergaben Veränderungen, als wichtigste das Vorhandensein einer neuen Linie nördlich und südlich von St. Quentin.

Das Hauptquartier des Generals Nivelle glaubte nicht an den deutschen Rückzug. Man war zwar überzeugt, die Deutschen demnächst über den Haufen rennen zu können, traute ihnen aber doch zu viel Standhaftigkeit zu, als daß sie erobertes Gelände freiwillig aufgeben sollten. Insbesondere meinte man, daß sie unbedingt die Linie Roye - Soissons halten würden, von der aus sie Paris bedrohten. Gegenvorstellungen, die von dem englischen Befehlshaber Haig und dem Führer der französischen Armeegruppe Nord Franchet d'Espérey erhoben wurden, fanden bei Nivelle keine Anerkennung; doch wurden häufige Unternehmungen angeraten, um das Verhalten der Deutschen festzustellen und die Verfolgung vorzubereiten, wenn sie nötig werden sollte.

Die Erkenntnis des kommenden deutschen Rückzugs setzte sich also nicht durch; er wurde tatsächlich zur Überraschung. Nur bei der Armeegruppe Nord standen die Truppen zur unmittelbaren Verwendung bereit, da General Franchet d'Espérey für den 17. März einen größeren Angriff geplant hatte.

Daß die Deutschen am 16. März abends abgezogen waren, wurde allgemein im Laufe des 17., vielfach auch erst am 18. März erkannt. Wohin und wie weit, wußte man nicht. Man vermutete Fallen und folgte daher gegenüber dem Widerstande deutscher Nachhuten sehr vorsichtig. Über diese bescheidene Tatkraft erhoben sich nur die kampfentschlossenen Franzosen zwischen Avre und Oise. Etwa vom 22. März an verstärkte sich der Gegendruck der Deutschen, als sie sich auf die von ihren Hauptkräften erreichte "Hindenburglinie" stützen konnten. Die von der Entente so betitelte Stellung erschien den Engländern und Franzosen, nach Fliegerbildern, als ein Befestigungssystem von gewaltiger Stärke und Tiefe und erfuhr auf diese Weise eine übertriebene Bewertung.

Es war aber vielleicht weniger die Scheu vor dieser kaum angreifbar erscheinenden Linie, als die offensive Tätigkeit der deutschen Außentruppen und die mangelhaften Lebens- und Kampfverhältnisse, die das Vorgehen der Ententetruppen hemmten. Nur Schritt für Schritt und unter vielen Rückschlägen kamen sie voran; ein Erfolg war es schon, wenn unterlegene deutsche Kräfte auswichen oder ihnen schwach verteidigte Punkte überließen. Allerdings waren jetzt bessere Übersicht, bessere Beobachtungsstellen, Deckungs- und Versorgungsmöglichkeiten auf deutscher Seite. Erst um den 10. April war das unmittelbare Vorgelände der Siegfriedstellung vom Gegner überall erreicht.

Nördlich der Linie Roye - Ham - St. Quentin folgten die englische 3., 5. [107] und 4. Armee, südlich von ihr die französische 3., 1. und 6. Armee. Infolge der Verkürzung der Kampflinie konnte die französische 1. Armee ausscheiden. Die neue Grenze zwischen der 3. und der 6. Armee bildete jetzt die Oise von La Fère bis Noyon. Auch die Engländer konnten Divisionen zurückziehen.

Die Tatsache des nicht erwarteten deutschen Rückzugs war für das Hauptquartier des Generals Nivelle höchst peinlich. Die Angriffspläne mußten zum größten Teil gegenstandslos geworden sein. Dem englischen Angriff hatten sich die Deutschen auf der südlichen Hälfte zwischen Arras und Bapaume, dem französischen zwischen Avre und Oise entzogen. Zwischen dem englischen Angriffsfelde und dem französischen klaffte jetzt eine gewaltige, unausfüllbare Lücke. Neue Entschlüsse mußten gefaßt werden. Äußere Einwirkungen traten hinzu, um die Lage zu erschweren. Dem russischen Umsturz Anfang März brauchte vorläufig allerdings noch keine wesentliche Bedeutung beigelegt zu werden, da der Osten nach wie vor starke deutsche Kräfte fesselte. Sehr viel wichtiger war der Sturz des französischen Kabinetts Briand und sein Ersatz durch das Ministerium Ribot am 19. März. Denn der neue Kriegsminister Painlevé war ein Gegner der Offensive Nivelles und nicht der einzige.

Am 3. April fand eine Besprechung statt, in der über die Offensive entschieden werden sollte. Nivelle verstand seine Absicht durchzusetzen, indem er mit großer Sicherheit behauptete, an der Aisne bis zur Serre in einem Schwunge durchstoßen zu können. Er wurde vom englischen Befehlshaber Haig lebhaft unterstützt. Man beschloß, an der Angriffsabsicht festzuhalten, und lehnte auch die Zumutung ab, den bevorstehenden Eintritt Nordamerikas in den Krieg abzuwarten, weil sich übersehen ließ, daß diese Hilfe erst spät zur Geltung kommen konnte.

Die bisherigen Angriffspläne Nivelles waren nicht mehr durchführbar. Er änderte sie wie folgt ab: Die englische 1. und 3. Armee sollten zwischen Souchez und Quéant, also beiderseits von Arras, durchbrechen mit den Zielen Douai und Cambrai. Mit Unterstützung der englischen 4. Armee hatte die französische 3. Armee einen Angriff auf die neue deutsche Stellung beiderseits St. Quentin zu richten. Die französische 6., 5. und 10. Armee, diese für den Nachstoß, wurden gegen die Front Soissons - Reims mit den Zielen Guise, Vervins, Hirson, die französische 4. Armee zwischen Reims und Suippes in Richtung Attigny und Vouziers angesetzt. Als Fernziele wurden Mons, Sedan und die Gegend südlich davon bezeichnet. Diesem großen Gesamtunternehmen sollten die Belgier und die englische 2. Armee im Norden Unterstützung durch einen Angriff über Dixmude - Ypern leisten.

Die Hauptstöße auf Douai - Cambrai und auf Guise - Vervins - Hirson sowie auf Attigny - Vouziers sollten zeitlich hintereinander erfolgen: die Engländer am 8. April beginnend, die Franzosen an der Aisne drei bis vier Tage später, die Franzosen in der Champagne einen Tag nach dem Aisnestoß. Daß [108] das Vorgehen gegen St. Quentin geraume Zeit erfordern würde, ließ sich voraussehen; auch die Hilfe im Norden war erst später zu erwarten.

So schien die große Offensive gesichert zu sein, als sich plötzlich neue Hinderungen einstellten. Stimmen sowohl aus der Armee wie aus den Parlamenten warnten den Ministerpräsidenten Ribot vor den Plänen Nivelles, die zu optimistisch seien und mindestens die gute Jahreszeit zur Unterstützung haben müßten. Es wurde ihm geraten, die beteiligten Armeeführer zu hören. Am 6. April fand deshalb ein neuer Kriegsrat in Compiègne statt, an dem auch die französische Regierung beteiligt war. Alle Generale waren für sofortigen Angriff, Nivelles Unterführer allerdings in der Auffassung, daß der erhoffte Durchbruch schwerlich sofort gelingen würde. Der Kriegsminister Painlevé sprach sich im Hinblick auf Rußland und Amerika gegen die Offensive aus. Nivelle drohte mit dem Rücktritt, und seine energische Anschauung schuf sich auch jetzt wieder Bahn, so daß der Angriff endgültig beschlossen wurde. In der Beurteilung der Aussichten blieb aber der Gegensatz zwischen dem Generalissimus und seinen Generalen bestehen. Als Termin wurden festgesetzt: der 9. April für den englischen Angriff, der 12. für das Vorgehen auf St. Quentin, der 16. für den Aisne- und der 17. für den Champagneangriff.

Die Offensive wurde nach alledem nicht von stolzer, allgemeiner Siegeszuversicht getragen. Der Siegfriedrückzug hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen. Es kamen nur zwei getrennte Hauptstöße zustande, und dazu mußte sich der englische gegen die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht auf der Front südlich Arras mit den neuen, durch die Zurückverlegung geschaffenen Verhältnissen abfinden.

Bei der deutschen Oberste Heeresleitung glaubte man nach Durchführung des Siegfriedrückzugs, daß die Engländer den auf dem alten Sommeschlachtfeld vereitelten Hauptstoß nunmehr bei Arras führen würden, wo ursprünglich nur eine Nebenhandlung gedacht war. Nördlich dieser Stadt hatte sich die Front auffällig stark verdichtet. Noch im März gewann man die Überzeugung, daß sich der Angriff nach Norden bis südwestlich Loos ausdehnen werde. Verstärkung des englischen Artilleriefeuers am 3. April auf der Linie von Angres bis Neuville Vitasse bezeichnete eine Front, die über Arras noch nach Süden hinausreichte; sie ließ den Stoß der feindlichen Infanterie als nahe bevorstehend erkennen.

Auch im Wytschaete- und vielleicht im Ypernbogen schien ein Angriff bevorzustehen, wenn auch nicht in der nächsten Zeit.

Die unvorsichtige Art, in der die Engländer den Angriff bei Arras vorbereiteten, gestattete der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, rechtzeitig Abwehrmaßregeln einzuleiten. Vom 19. März an wurden der 6. Armee Verstärkungs- und Rückhalt-Divisionen, Feld- und schwere Artillerie, Flugabwehrgeschütze, Maschinengewehrverbände, Luftstreitkräfte, Arbeitskräfte, Schießbedarf und Fernsprechgerät zugeführt. Weiter erhielt sie Befehl, sich nach den Er- [109] fahrungen der Sommeschlacht den Mehrbedarf an Truppen zu errechnen, falls es wieder zu einem langwierigen Durchbruchskampf kommen sollte. Was für diesen Fall von der Obersten Heeresleitung zur Verfügung gestellt werden konnte, war nicht allzu viel, da auch das an der Aisne drohende Gewitter Berücksichtigung erforderte. Es wäre aber ausgiebige Kräfteüberweisung an die 6. Armee überhaupt nicht möglich gewesen, wenn nicht der Siegfriedrückzug Mittel dafür freigemacht hätte. Die gesicherten Verhältnisse auf der zurückgenommenen Front gestatteten neben der Aussparung von Divisionen die Bereitstellung erheblicher schwerer Artillerie, soweit sie zu

Deutschlands bedeutendster Kampfflieger, Rittmeister Manfred von Richthofen, an der Spitze seiner Jagdstaffel.
Deutschlands bedeutendster Kampfflieger,
Rittmeister Manfred von Richthofen, an der Spitze
seiner Jagdstaffel.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 335.

Ein von der Staffel Richthofen in Brand geschossenes englisches Flugzeug.
Ein von der Staffel Richthofen in Brand
geschossenes und hinter den deutschen Linien
niedergegangenes englisches Flugzeug.
Oktober 1917.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 336.
bespannen war, für Abwehrzwecke an bedrohten Stellen, wobei freilich Zeit für die Umgruppierung in Ansatz gebracht werden mußte.

Mit dem Artilleriefeuer steigerte sich in den ersten Apriltagen die Streiftätigkeit der Engländer, so daß die Spannung stieg. Auch in der Luft war der Feind sehr rege mit starken Geschwadern, unter denen die deutschen Flieger, besonders die Jagdstaffel des Rittmeisters Frhrn. v. Richthofen, erfolgreich aufräumten. Am 6. April erhielt die 6. Armee Befehl, die zur ersten Ablösung von Frontdivisionen bestimmten Divisionen der Heeresgruppenreserve näher an die gefährdete Strecke Angres - Neuville Vitasse heranzuziehen. Am 7. April machte die Heeresgruppe den bevorstehenden Angriff allgemein bekannt, indem sie von den nicht durch ihn betroffenen Armeen Entsagung forderte, falls von ihnen Kräfte für den Angriffsraum verlangt werden sollten.

Wenn sich auch die feindliche Offensive zunächst auf die 6. Armee zu beschränken schien, war doch ihre spätere Verlängerung nach Süden bis vor die Front der 1. Armee nicht ausgeschlossen, da der Feind auch hier dichter geworden war, so daß die Einheitlichkeit der Gefechtsleitung die Verbreiterung der 6. Armee nach Süden erforderte. Am 8. April ordnete Kaiser Wilhelm an, daß sie die rechte Flügelgruppe der 1. Armee von Croisilles bis Moeuvres mitzuübernehmen habe. Die andern beiden Gruppen der letzteren traten zur 2. Armee über. Das Oberkommando der 1. Armee schied aus der Heeresgruppe aus und wurde zwischen der 7. und 3. Armee nördlich Reims eingesetzt. Diese Neueinteilung sollte am 12. April in Kraft treten.

Bis zum 8. April war bei der 6. Armee die seit dem 3. April betriebene Feuervorbereitung des Gegners gegen die Infanteriestellungen sehr weit gediehen; besonders zwischen Givenchy und Thélus waren sie völlig eingeebnet und in Trichter verwandelt. Die deutsche Infanterie zeigte sich jedoch der Lage gewachsen und wehrte zahlreiche kleine Vorstöße ab. Die deutsche Artillerie wies erhebliche Einbußen auf, da Batterien und Beobachtungsstellen dauernd auf das heftigste beschossen wurden; doch konnte das Material immer wieder ergänzt werden. Das englische Fernfeuer schlug bis zu 14 km hinter die vorderen Linien und war äußerst lästig für Unterkunft und Verkehr. Die mächtige Fliegertätigkeit hielt an und suchte die Ortschaften, besonders die großen [110] Städte, wie Cambrai und Douai, durch Bombenwürfe zu fassen. Die Zahl der deutscherseits zum Absturz gebrachten Flugzeuge betrug allein in der Zeit vom 1. bis zum 9. April 50.

Vor dem Nordflügel der 1. Armee hatte sich das Artilleriefeuer gleichzeitig verstärkt; mit starkem Druck des Gegners auf die dortige Siegfriedstellung wurde gerechnet, wenn auch ein nachhaltiger Angriff wegen der Nachschubschwierigkeiten des Gegners vorerst noch nicht in Frage kommen mochte.

Im voraussichtlichen Verteidigungsraume der 6. Armee hielt die Gruppe Loos (IV. Armeekorps; General v. Kraewel) mit 2 Divisionen die Strecke vom La Bassée-Kanal bis Loos, weiter nach links die Gruppe Souchez (VIII. Reservekorps; General Wichura) mit 3 Divisionen die Strecke bis Givenchy, die Gruppe Vimy (I. bayerisches Reservekorps; General v. Faßbender) mit 3 Divisionen den Abschnitt bis östlich Arras, die Gruppe Arras (IX. Reservekorps; General Dieffenbach) die Front von Arras bis Croisilles mit 4 Divisionen. Der am 12. April zu übernehmende Flügelabschnitt der 1. Armee (XIV. Reservekorps; General v. Moser) reichte mit 2 Divisionen bis westlich Moeuvres. Zur Verfügung standen hinter der 6. Armee zunächst 3, hinter der 1. Armee 2 Divisionen, welch letztere auch der 6. Armee zugewiesen waren.

So stand die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht in Aufbau und Gliederung bereit, den angriffslustigen Feind beiderseits von Arras zu empfangen. Auch in der Schulung der Führer und Truppen war in umfassender Weise an Hand der "Grundsätze für die Führung der Abwehrschlacht im Stellungskriege" gearbeitet worden, die am 1. Dezember 1916 von der Obersten Heeresleitung ausgegeben waren.

Es entsprach den Forderungen dieser Grundsätze, daß die Heeresgruppe den Ausbau der Wotanstellung Henin Liétard - Quéant hinter der Angriffsfront mit starken Arbeitskräften förderte. Sie sollte die Möglichkeit geben, die Abwehrschlacht abzubrechen, in die vorbereitete Linie zurückzugehen und die feindlichen Anläufe vorübergehend auszuschalten. Das konnte eintreten, wenn gleichzeitig Kämpfe an anderen Stellen die Zurückführung der zur Nährung der Abwehr nötigen Mittel verhindern sollten; selbstverständlich wurde er nicht etwa schon jetzt ins Auge gefaßt.

Ebenso entsprach es dem Sinne der Vorschrift, daß sämtliche Armeen - nicht nur die 6. - angewiesen wurden, in vorsorglicher Weise die für die Abwehr erforderlichen Maßnahmen durch Truppenbedarfsberechnungen und sonstige Vorarbeiten peinlichst genau unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Möglichkeiten festzulegen.

So trat die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht 1917 an die Kämpfe mit ganz anderem geistigen und taktischen Rüstzeug heran, wie 1916. Was geschehen konnte, um dem Druck der erwarteten feindlichen Stürme erfolgreich zu begegnen, war geschehen.


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Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte