Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern
im Jahre 1917 (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
2. Entschluß zum Rückzug in die
Siegfried-Stellung. Kräfteeinteilung der
Entente.
Als sich die Oberste Heeresleitung im August 1916 zum Bau großer
rückwärtiger Stellungen entschloß, arbeitete die Heeresgruppe
Kronprinz Rupprecht für ihren Bereich durch Planung der
Wotan-, Siegfried-, Hunding- und Aisne-Stellung ein netzartiges System aus, das
die Sicherheit gegen feindliche Durchbrüche erhöhen und für
eine Reihe von eigenen Operationen die Grundlage schaffen sollte. Damit fiel ihr
eine gewaltige Leistung zu, die nur allmählich bewältigt werden
konnte. Sie ging ungesäumt an die Herstellung der am wichtigsten
erscheinenden Siegfriedlinie, der die Wotanlinie folgen sollte. Im Oktober 1916
wurden die ersten Spatenstiche getan.
Obwohl die Nutzung der rückwärtigen Stellungen für
absehbare Zeit noch nicht in Aussicht stand, begann die Heeresgruppe doch
gleichzeitig Erwägungen anzustellen, wie sie zu sichern und
durchzuführen sei. Ihre Überlegungen
er- [89] gaben, daß der
Fortgang des Siegfriedbaues es nicht gestattete, die neuen Linien vor Anfang
Februar 1917 zu beziehen, und daß zwischen Rückzugsbefehl und
Rückzug ein zeitlicher Zwischenraum von fünf Wochen anzusetzen
war, um das aufzugebende Gebiet vom deutschen Eigentum zu räumen und
mit Hemmnissen für den verfolgenden Gegner zu versehen. Die
Rückzugsvorbereitungen wurden unter dem Decknamen "Alberich" in Art
der Mobilmachungsterminkalender mit allen Einzelheiten ausgearbeitet. Dies
brachte eine weitere außerordentliche Mühewaltung, die sich nach
unten fast auf sämtliche Dienststellen erstreckte.
Es war nicht ganz leicht, Führer und Truppen mit dem
Rückzugsgedanken vertraut zu machen. Der Widerstand dagegen
gründete sich auf die Abneigung, schwer erkämpftes und behauptetes
Gelände wieder herauszugeben, und auf die Befürchtung, daß
die Bewegung von den Gegnern als Schwäche ausgelegt und von den
eigenen Truppen als eine Art von Niederlage empfunden werden könne.
Immer wieder mußte die Heeresgruppe bei Besprechungen auf die
strategische Bedeutungslosigkeit des aufzugebenden Geländes, auf den
Vorteil kürzerer Linienführung und der Gewinnung besserer
Stellungen hinweisen. Als sie in ihrer Denkschrift vom 28. Januar 1917 der
Obersten Heeresleitung den Rückzug entweder in die
Siegfried- oder in die Siegfried-Wotanstellung vorschlug, waren die
mobilmachungsmäßigen Alberichvorarbeiten schon beendet, die
Kommandostellen und Truppen bereits einigermaßen in die
Möglichkeit eingelebt, die Stellungen nach rückwärts
wechseln zu müssen.
Bei sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile des
Rückzuges erblickte die Heeresgruppe die ausschlaggebenden Momente in
der Kräfteersparnis, die bei Siegfried auf 13, bei
Siegfried-Wotan auf 6 Divisionen zu veranschlagen war, und in der
Hineinlockung des Gegners in ein von ihm nicht bearbeitetes Gebiet, das ihm die
Angriffsführung auf Wochen hinaus erschwerte. Diese Vorteile waren bei
Siegfried wesentlich gesteigert gegen Siegfried-Wotan.
Die Entscheidung blieb der Obersten Heeresleitung vorbehalten. Um ihr die
Freiheit des vollen Entschlusses zu wahren, beschloß die Heeresgruppe
ihrerseits nur das Ausweichen in die Siegfried-Wotanstellung vorzubereiten, das
jederzeit leicht in den ausgedehnteren Rückzug in die Siegfriedstellung
umgestellt werden konnte.
Die Oberste Heeresleitung hatte eine Reihe von Bedenken zu überwinden,
die vorzugsweise auf dem moralisch-politischen, zum Teil auch auf
wirtschaftlichem Gebiet lagen. Es war das Verdienst der Heeresgruppe, daß
sie demgegenüber die operativen und taktischen Vorteile des
Rückzugs in den Vordergrund stellte. Die Oberste Heeresleitung
schloß sich schließlich der Anschauung der Heeresgruppe an, und es
entsprach dem tatkräftigen Charakter der deutschen Führung,
daß sie die größer gestaltete Lösung durch die Wahl der
Siegfriedstellung zur Tat machte.
[90] Am 4. Februar 1917
erging folgender Befehl: "Se. Majestät hat Zurückgehen in
Siegfriedstellung Alberich befohlen. Erster und letzter Alberichtag ist zu melden.
Auf strengste Geheimhaltung bei allen beteiligten Stellen und Truppen ist mit
allen Mitteln hinzuwirken."
Hiernach setzte die Heeresgruppe den ersten Alberichtag, d. h. den ersten Tag der
endgültigen Rückzugsvorbereitungen auf den 9. Februar, den letzten
auf den 15. März 1917 fest. Am 16. März sollte die Loslösung
vom Feinde auf der ganzen Front von Arras über Péronne und Roye
bis Soissons beginnen.
Von der Obersten Heeresleitung wurden Vorkehrungen getroffen, um den Feind
über die nächsten deutschen Absichten irrezuführen und die
öffentliche Meinung in Deutschland und bei den Neutralen über die
Tatsache des Rückzugs und seine Vorteile rechtzeitig
aufzuklären.
Als der Rückzugsentschluß gefaßt wurde, waren die geplanten
Angriffe des neuen französischen Generalissimus Nivelle bereits in der
Vorbereitung begriffen. Die Wahl der Angriffsfronten zwischen Arras und der
Oise einerseits, zwischen Soissons und Reims anderseits machte Verschiebungen
der Kräfte und, um die Franzosen zu vermehrtem Truppeneinsatz zu
befähigen, Verbreiterung der englischen Front von der Somme bis zur
Straße Amiens - Roye nötig. Bis Mitte Februar ergab
sich folgendes Bild:
Von der Nordseeküste bis Nieuport stand das französische 36. Korps.
Es folgten die Belgier bis zum Ypernbogen ausschließlich, die
Engländer bis zum Schnittpunkt der Straße
Amiens - Roye mit der deutschen Stellung bei Bouchoire, die
französische Armeegruppe Nord bis westlich Soissons, die Armeegruppe
der Reserve bis südöstlich Reims. Die übrige Front bis zur
Schweiz hielten die Armeegruppen des Zentrums, die 8. und 7. Armee
besetzt.
Gegenüber der 4. Armee standen das französische 36. Korps, die
Belgier und die nördliche Hälfte der englischen 2. Armee. Deren
südliche Hälfte, die englische 1. und die nördliche
Hälfte der englischen 3. Armee deckten die Front der 6. Armee. Die 1.
Armee hatte vor sich die südliche Hälfte der englischen 3. und die
englische 5. Armee, die 2. Armee die englische 4. und südlich von Roye die
französische 3. Armee der Armeegruppe Nord. Vor der 7. Armee standen
Franzosen: die 1. Armee der Armeegruppe Nord, die 6. und die 5. Armee der
Armeegruppe der Reserve, hinter der sich die 10. Armee befand, die bei dem
geplanten Stoß zwischen Soissons und Reims den Durchbruch vollenden
sollte.
Das französische Große Hauptquartier war am 10. Januar von
Chantilly nach Beauvais verlegt worden; General Haig mit seinem Stabe lag noch
in Hesdin.
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