Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
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Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern
im Jahre 1917
Generalmajor Rudolf v. Borries
1. Lage bei der Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht um die Jahreswende 1916/17.
Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht (Chef des Generalstabes General
v. Kuhl; Hauptquartier Cambrai) dehnte sich um die Jahreswende 1916/17
von Warneton bis in die Gegend nördlich Reims aus, stieß rechts an
die 4. Armee, die die Nordseeküste bewachte, links in der Champagne an
die 3. Armee, den rechten Flügel der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz.
Ihre Frontlinie war auf der nördlichen Hälfte im allgemeinen nach
Westen gerichtet, auf der südlichen nach Südwesten; der Bruchpunkt
lag westlich Roye. Die Ausdehnung betrug 270 km. In die Besetzung
teilten sich die 6., 1., 2. und 7. Armee, und zwar waren der 6., 2. und 7. Armee
sehr viel breitere Räume zugefallen als der 1., eine Folgewirkung der
schweren Sommekämpfe des Jahres 1916, deren Ergebnis sich durch die
Einbuchtung beiderseits der Somme in einer Breite von 40 und in einer Tiefe von
höchstens 12 km andeutete (s. Skizze 1 S. 87) [Scriptorium merkt an: nachfolgend].
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Skizze 1: Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern im Winter 1916/17. [Vergrößern]
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Die gewaltige Materialschlacht wirkte auch noch in der Kräfteverteilung
nach, die sich nach der Mitte zusammenballte. Die 6. Armee (Generaloberst Frhr.
v. Falkenhausen, Chef des Generalstabes General Frhr. v. Nagel;
Armee-Hauptquartier Douai, später Tournay) sicherte von Warneton bis
südlich Arras 80 km mit fünf Gruppen: II. bayerisches
Armeekorps (General v. Stetten), III. bayerisches Armeekorps (General
Frhr. v. Gebsattel), IV. Armeekorps (General Sixt v. Armin,
später v. Kraewel), VI. Reservekorps (General
v. Goßler), XII. Reservekorps (General v. Kirchbach), und
zählte elf Divisionen und eine Landwehr-Brigade in der Front, eine
Division der Obersten Heeresleitung in der Reserve. Die 1. Armee, die die
Hauptlast der Kämpfe getragen hatte (General Fritz v. Below, Chef
des Generalstabes Oberst v. Loßberg;
Armee-Hauptquartier Bourlon bei Cambrai), dehnte sich von südlich Arras
bis nördlich Péronne über 45 km aus und
umfaßte gleichfalls fünf Gruppen: I. bayerisches Reservekorps
(General v. Faßbender), XIV. Reservekorps (General Fuchs),
Garde-Reservekorps (General Frhr. Marschall), XIII. Armeekorps (General Frhr.
v. Watter), VII. Reservekorps (General Frhr. v. Soden); in der Front
standen 16 Divisionen und eine Marine-Brigade, im Rückhalt acht
Divisionen, davon sechs als Reserve der Obersten Heeresleitung. Die 2. Armee
(General v. d. Marwitz, Chef des Generalstabes Oberst Wild;
Armee-Hauptquartier [86] St. Quentin)
zählte von südlich Péronne bis zur Oise südwestlich
Noyon auf 70 km vier Gruppen: IX. Armeekorps (General v. Quast),
XVIII. Armeekorps (General v. Schenck), XVII. Armeekorps (General
Fleck), Gardekorps (General Frhr. v. Plettenberg) mit elf Divisionen und
einer Landwehr-Brigade in der Front, zwei Divisionen in Reserve, davon eine der
Obersten Heeresleitung. Endlich die 7. Armee (General v. Schubert, Chef
des Generalstabes General v. Borries;
Armee-Hauptquartier Laon) hatte auf der von der Oise bis in Gegend Reims
reichenden Front von 75 km nur drei Gruppen: XXIII. Reservekorps
(General v. Kathen), XI. Armeekorps (General v. Plüskow),
verstärkte 47. Landwehr-Brigade mit sieben Divisionen, einer
Infanterie-Brigade und zwei Landwehr-Brigaden in der Front; dahinter eine
Division als Reserve der Obersten Heeresleitung. Im ganzen umfaßte die
Heeresgruppe 45 Divisionen und sechs Brigaden in der Front, zwölf
Divisionen im Rückhalt.
Von den schweren Stürmen des Jahres 1916 wurde die Heeresgruppe
Kronprinz Rupprecht durch die Somme-Schlacht am nachhaltigsten betroffen.
Wohl waren die feindlichen Anstürme nach geringfügigem und
strategisch bedeutungslosem Geländeverlust zum Erlahmen gebracht
worden; den riesigen Verlusten der Gegner standen aber auch eigene schwere
Einbußen gegenüber, und allgemein war der Eindruck, daß man
die deutsche Front nicht noch einmal einer solchen Gewaltprobe aussetzen
dürfe. Und doch zwang die allgemeine Lage dazu, sich für das Jahr
1917 abermals auf die Abwehr einzurichten. Um den Zusammenbruch der Front
zu verhüten, mußten Mittel gefunden werden, die die
erdrückende Macht der feindlichen Feuer- und Menschenstürme
weniger wirksam zu machen geeignet waren.
Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht führte in einer Denkschrift vom 15.
Januar 1917 aus, daß vor der Notwendigkeit entschlossener Abwehr alle
Wünsche für eigene Unternehmungen, sei es auch nur in engem
Rahmen und mit beschränktem Ziele, zurückzutreten hätten.
Die Verteidigung müßte so stark und mit soviel frischen Reserven
wie nur möglich ausgestattet sein. Es sei hierbei geplant, feindliche
Angriffe in den bisherigen Stellungen anzunehmen, deren Instandsetzung und
Verbesserung bis zum 1. Februar durchgeführt sein sollte.
Ende Januar ließ sich übersehen, daß diese Frist nicht
einzuhalten war. Infolge der besonderen Ungunst des Winterwetters war die 1.
Armee trotz der Zuwendung von Arbeitskräften außerstande
gewesen, brauchbare Verteidigungslinien zu schaffen. Namentlich im Bereich des
XIV. Reservekorps beiderseits der Ancre stürzten die Grabenwände
immer wieder ein; die Entwässerung versagte, der Schlamm stieg bis zur
Brusthöhe, die Unterstände wurden unbenutzbar. Der Verkehr ging
über das freie Feld und forderte Opfer. Die Truppe verzehrte sich in
nutzlosen Anstrengungen, unverbesserliche Verhältnisse zu ändern.
Ähnlich war es bei der 6. Armee in Gegend Armentières, wo die
dort stehenden Truppen allgemein schon als "Wasserkorps" bezeichnet wurden;
auch auf den [87=Karte]
[88] Vimy-Höhen beim VI. Reservekorps herrschten
unbefriedigende Zustände. Weniger ungünstig stand es bei der 2. und
7. Armee.
Da die Voraussicht feindlicher Angriffe nicht gestattete, für die Arbeiten
trockenes Wetter abzuwarten, mußte ein Ausweg gesucht werden, um die
Truppen verteidigungsfähig unterzubringen. Es blieb nichts übrig, als
die unbrauchbaren Linien aufzugeben und rückwärtige Stellungen zu
beziehen.
In einer Denkschrift vom 28. Januar 1917 wies die Heeresgruppe darauf hin,
daß der Verbleib in den bisherigen Linien die Verteidigung ungemein
erschwere, nicht nur wegen ihrer unzureichenden Verfassung, sondern auch
deshalb, weil alle Fronten gleichmäßig vom Gegner bedroht seien
und es schwer halte, ganze Fronten auszuscheiden, auf denen ein Angriff nicht zu
erwarten sei und man erheblich an Truppen sparen könne. Es ergebe sich
das unerwünschte Bild einer weiten, ziemlich gleichmäßig
besetzten Front vom Meere bis zur Schweiz.
Besserung könne bis zu einem gewissen Grade dadurch geschaffen werden,
daß die Verteidigung aus vorspringenden Frontteilen in abkürzende
Riegelstellungen verlegt werde. Das sei auch für die beiderseits der Ancre
eingesetzten Kräfte beabsichtigt; indes habe der Riegel noch nicht
fertiggestellt werden können. Gründliche Abhilfe schaffe solche
Maßregel nicht, weil zu wenig Kräfte gespart würden und die
Arbeit an mangelhaften Gräben weitergehen müsse. Weit
günstiger werde der Rückzug in eine der großen
rückwärtigen Stellungen sein, die im Bereich der Heeresgruppe seit
dem Herbst 1917 gebaut wurden, und zwar entweder in die Siegfriedstellung
(Linie Arras - Quéant - Havrincourt -
St. Quentin - La Fère - Condé an der
Aisne) oder in die Siegfried-Wotanstellung (Linie
Arras - Quéant - Sailly-Saillisel).
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