Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
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Kapitel 2: Die Oberste Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
Oberstleutnant Paul Fleck
Kaiser Karl war bei seinem Regierungsantritt ein ziemlich unbeschriebenes Blatt.
Bei Lebzeiten des Erzherzogs Franz Ferdinand hatte er im Hintergrund gestanden.
Als ihn dann der Mord von Serajewo an die erste Stelle neben dem Throne
gerückt hatte, brach sehr bald der Weltkrieg aus und nahm ihm die
Möglichkeit, sich in ruhiger Arbeit in sein verantwortungsvolles Amt
hineinzufinden.
Den Krieg erlebte der junge Thronfolger zunächst beim
Armee-Oberkommando in Teschen. Wie sich später erwies, hat er sich dort
ein Urteil über Personen und Verhältnisse gebildet, das, von mehr
äußerlichen Eindrücken und Beobachtungen ausgehend, vieles
Bestehende verwarf, ohne doch zu wissen, wie es
ziel- und zweckbewußt durch Besseres hätte ersetzt werden
können. Der Generalstabschef Conrad
stand nach seiner Ansicht zu sehr im
Vordergrunde, achtete in dem Armee-Oberkommandierenden zu wenig die
Kaiserliche und Königliche Hoheit, schloß sich und das
Armee-Oberkommando zu sehr gegen Wien und die Front ab und war alles andere
eher, denn ein gehorsamer Sohn der Kirche. Der künftige Herrscher wie der
strenggläubige Katholik fühlten sich in gleicher Weise verletzt.
Für die Offensive gegen Italien im Frühjahr 1916 übernahm
der Thronfolger die Führung des Edelweiß-Korps und erntete dort
seine ersten kriegerischen Lorbeeren. Nur zu schnell folgte die
Enttäuschung. Nach Ansicht des Thronfolgers und seiner Umgebung
verdarb allein die Brussilow-Offensive die großen Aussichten gegen Italien;
die Schuld an dem Zusammenbruch bei Luzk schoben sie auf Conrad und das
Armee-Oberkommando, die nicht für eine genügend starke
Rückensicherung gesorgt hätten.
Erzherzog Karl ging dann nach dem Osten. Er sollte eine Armee
übernehmen, die im Gegenangriff die Lage entscheidend wenden sollte. Aus
dem Gegenangriff wurde nichts, weil die Verbände, die ihn tragen sollten,
dort festgehalten wurden, wo sie zur Abwehr der unmittelbaren Gefahr hatten
eingesetzt werden müssen. Daher unterstellte man dem Thronfolger die
Armeen des rechten Flügels und später die nach Siebenbürgen
hinein gegen die Rumänen verlängerte Heeresfront. Zu
größeren Operationen kam es hier nicht; wohl aber wurde Erzherzog
Karl Zeuge, wie sich Abwehr und Angriff, sowie die Hoffnung der
Bevölkerung im Kampf gegen Rumänien vorzugsweise auf
deutsche [76] Truppen
gründete. Die so anerkannte Überlegenheit des Verbündeten
verstimmte den Habsburger in ihm. Anlaß hierzu gab auch der Umstand,
daß ihm, als dem Führer
österreichisch-ungarischer wie deutscher Truppen, ein deutscher
Generalstabschef beigegeben war. Auf seiten der Obersten Heeresleitung hatte
hierbei durchaus berechtigt der Wunsch mitgesprochen, die Führung im
Osten endlich einheitlich zu gestalten. Ausschlaggebend aber war die Absicht
gewesen, den künftigen Träger der Krone des verbündeten
Reiches persönlich dem deutschen Heere näher zu bringen und die
Waffenbrüderschaft wirksam zu betonen. Dieser Zweck wurde
gründlich verfehlt. Der Erzherzog empfand den deutschen Generalstabschef
als Armutszeugnis für die eigene Armee und grollte dem
Armee-Oberkommando, daß es dieser Stellenbesetzung nicht
entgegengewirkt hatte; er sah in der deutschen militärischen
Überlegenheit immer mehr nur die Grundlage für die deutsche
Vorherrschaft überhaupt und den Ausgangspunkt für seine eigene
Abhängigkeit. Da sich diese Empfindungen nur in ganz vertrautem Kreise
äußerten, war eine ruhige, verständige Gegenwirkung fast
unmöglich.
Der Kaiser Karl beeilte sich dann, aus dem, was er als Thronfolger erkannt zu
haben glaubte, die Folgerungen zu ziehen. Er beseitigte zunächst
Persönlichkeiten, die seiner Auffassung der Verhältnisse nicht
entsprachen. Sein Eingreifen wurde anfangs als die Betätigung eines
kraftvollen Willens mit Genugtuung begrüßt, weil die Person des
Herrschers gerade auf militärischem Gebiet unter dem alten Kaiser Franz
Joseph wenig in die Erscheinung getreten war. Erst die Wahl der neuen
Männer gab zu denken und wies deutlich auf die Abneigung,
selbständig und in ihrem Urteil von Nebengründen
unabhängige Naturen zu Mitarbeitern zu haben. Daneben trat der
Einfluß der Frauen mehr und mehr zutage. Des Kaisers Mutter, die Kaiserin
und deren Mutter waren teils aus Glaubens-, teils aus Gegensätzen des
Blutes und der Erziehung dem deutschen Herrscherhaus und dem deutschen Volk
innerlich fremd und abgeneigt; Kaiserin Zita und ihre Familie standen den
Feinden, von denen das Haus Bourbon-Parma die Erfüllung dynastischer
Hoffnungen erwartete, näher als dem verbündeten Deutschland. Die
Frauen haben dazu beigetragen, den jungen Kaiser vom Bundesgenossen
fortzuziehen, ihm das Schreckensgespenst deutscher Hörigkeit in allen
Farben gemalt und seine nach Anlehnung suchende, innerlich schwache Natur mit
der Zeit ganz unter ihren Willen gezwungen. Kaiser Karl hat schließlich
keinen Entschluß ohne seine Gemahlin gefaßt und sogar
Entscheidungen auf militärischem Gebiet nach Rücksprache mit ihr
abgeändert.
Trotz allem wäre Kaiser Karl nicht derart in Wege eingelenkt, die von
Deutschland fortführten, wenn er selbst deutsch empfunden hätte.
Die Schwäche des Hauses Habsburg, daß es als Herrscher über
ein buntscheckiges Nationalitätengemisch und als dessen
übernationale Spitze sein Schicksal nicht mit dem eines Volkes
verknüpfte, sondern in ständig wechselndem Ausspielen einer
Nationalität gegen die andere das Gleichgewicht suchte, hatte sich bei
Kaiser Karl [77] bis zu völligem
Losgelöstsein von jedem nationalen Empfinden gesteigert und eine
Vielfarbigkeit erzeugt, die ihm letzten Endes die Absage aller eintrug. Auch
Deutsch-Österreich ließ ihn später - als letztes
Land - fallen; nicht weil es in seiner Masse die Republik wünschte,
sondern weil es ihn als Herrscher über Deutsche nicht mehr anerkennen
wollte.
Zu den Persönlichkeiten, die Kaiser Karl aus ihren Ämtern entfernte,
gehörte auch der Generalstabschef Conrad. Dieser hatte vorausgesehen,
daß der junge Kaiser nicht lange würde mit ihm zusammenarbeiten
wollen, seinerseits aber nichts getan, um den Bruch zu verhindern. Die Trennung
vollzog sich nicht auf Grund eines besonderen Anlasses, sondern war die
natürliche Folge ständig zunehmender Entfremdung; beide Teile
konnten sich nicht ineinander fügen und gingen deshalb auseinander.
Conrad ist nach dem Kriege sehr heftig angegriffen und begeistert anerkannt
worden. Dieser schroffe Gegensatz in der Beurteilung ist gar nicht so
unverständlich. In Conrad steckte ohne Zweifel die Anlage und Kraft zu
einem großen Führer mit seltenem Reichtum an Gedanken und
niemals rastender Führerphantasie. Je größer die
Verhältnisse, desto größer der Anreiz, sie zu meistern; auch die
Fähigkeit hierzu war vorhanden. Es fehlte aber die Gabe, sich selbst
Zügel anzulegen, wenn das Ziel außerhalb des Erreichbaren und
Möglichen lag. Daher sind die Operationen, die Conrad leitete, trotz
glänzender Anlage an Kräftemangel gescheitert. Conrad hatte die
besten Jahre seines Lebens daran gesetzt, das k. u. k. Heer
möglichst stark gerüstet ins Feld führen zu können. Was
auf diesem Gebiet überhaupt erreicht wurde, ist sein Verdienst. Er kannte
die Mängel und Lücken besser als andere und verlangte trotzdem im
entscheidenden Augenblick von der Armee sehr viel mehr, als sie bei allem
Opfermut und aller Kampffreudigkeit zu leisten vermochte. Dieses
Mißverhältnis zwischen Wollen und Können schlug dem
Heere schon im ersten Kriegsmonat schwere Wunden und wiederholte sich
besonders stark rückwirkend im Sommer 1916. Auch im Verhältnis
zum Deutschen Reich zeigte sich ein Mangel an Augenmaß. Es war nun
doch einmal der militärisch und wirtschaftlich Stärkere und trug
dementsprechend den weitaus schwersten Teil der gemeinsamen Last. Diese
Tatsache anerkennen und sich trotzdem gegen die Folgerungen daraus
sträuben, war ebensowenig miteinander vereinbar, wie die Gemeinsamkeit
betonen und eine Oberste Kriegsleitung ablehnen, weil sie nicht ihm, sondern
Deutschland zukam. Es wirft fraglos einen Schatten auf die sonst so
verehrungswürdige Person des
österreichisch-ungarischen Generalstabschefs, daß er sich dieser
einfachsten Notwendigkeit verschloß, selbst wenn man zugibt, daß
mancherlei Umstände die militärische Unterstellung unter
Deutschland erschwerten.
Die deutsche Oberste Heeresleitung hat Conrad trotz allen Schwierigkeiten, die er
ihr bereitet hatte, mit aufrichtigem Bedauern scheiden sehen und später nur
zu oft Veranlassung gehabt, ihn zu vermissen. Nachfolger Conrads wurde General
Arz v. Straußenberg, der sich als Truppenführer innerhalb [78] deutscher höherer
Befehlsverbände hohes Ansehen erworben und in treuester
Waffenbrüderschaft erfolgreich gemeinsam mit deutschen Korps gegen die
Russen gekämpft hatte. Dem Ausscheiden Conrads war die Verlegung des
Armee-Oberkommandos von Teschen nach Baden bei Wien vorausgegangen; sie
erfolgte auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers gegen den Willen des
Generalstabschefs. Der junge Herrscher wollte militärisch und politisch die
Zügel in der Hand behalten und die auf diesen beiden Gebieten
maßgebenden Stellen in der Nähe haben. Rein äußerlich
betrachtet, hat die Verlegung mancherlei Erleichterungen im Verkehr gebracht,
anderseits aber das Armee-Oberkommando sehr zu seinem Nachteil in das wenig
durchsichtige Getriebe hineingezogen, das sich sehr bald um den Kaiser
entwickelte. Dieses Getriebe kennzeichnete sich mehr und mehr als ein Streben
nach Frieden, an und für sich nicht nur berechtigt, sondern Pflicht, in seiner
Form jedoch eine Gefahr für den Krieg und das Interesse Deutschlands. Die
Quellen dieses Strebens lag weniger in tatsächlichen Verhältnissen
als in der Person des Kaisers; er fühlte sich nicht berufen, Führer im
Felde zu sein, und empfand auf diesem Gebiet dauernd Deutschlands
Überlegenheit als Last und Schädigung des eigenen Ansehens; er
griff daher nach der Rolle des Friedensbringers, um nicht nur dem Kriege sondern
auch der militärischen Abhängigkeit von Deutschland ein Ende zu
bereiten.
Im Jahre 1917 entschied sich das Schicksal Rußlands. Aus tiefgehender
Enttäuschung über das Vergebliche aller Opfer erwuchs die das
Zarentum stürzende Revolution und aus der dem Russen eigenen
Empfänglichkeit für angeblich menschenbeglückende und
befreiende Ideen der Glaube an die Verständigung von Volk zu Volk. Nur
vorübergehend gelang es Kerenski, die kampfmüden Truppen durch
das Märchen von der Weltfeindschaft und Weltgefährlichkeit
Deutschlands zu einer Offensive aufzurütteln, die mit dem Ausbleiben
größerer Erfolge sehr bald in sich zusammenbrach und unter ihren
Trümmern den letzten Rest von Kampfwillen begrub. Als Feind hatte
Rußland ausgespielt.
Amerika trat als Ersatz für Rußland auf den Plan - in seiner
unerschöpften Kraft unendlich gefährlich, infolge der
räumlichen Entfernung zunächst nur eine Drohung. Es griff zu einem
Zeitpunkt ein, als das Glück sich den Mittelmächten zuneigte, und
ohne jeden Versuch, den Frieden durch Vermittlung herbeizuführen. Es
rettete die Entente vor der Niederlage und sich selbst vor dem Verlust der auf
deren Sieg gesetzten Gelder. Gleichzeitig nahm es aber der ganzen Welt die
einzige noch neutrale Großmacht und sich selbst die Möglichkeit,
eine Rolle zu spielen, wie sie vor ihm niemals einem Staate geboten worden ist.
Amerika wurde Partei und hätte Herr sein können.
Wenn die Mittelmächte noch auf Sieg rechnen wollten, so mußte die
Entscheidung fallen, bevor Amerika unmittelbar eingreifen konnte. Diesen
Zeitpunkt zu bestimmen, war letzten Endes Rätselraten. Der bisherige
Kriegsverlauf hatte die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit
unberechenbar ver- [79] schoben. Man tat gut,
auch hinsichtlich Amerikas an Wunder zu glauben, um nicht im Vertrauen auf
errechnete Wahrscheinlichkeiten die Zeit für den letzten großen
Kampf zu verpassen. Die Entscheidung lag im Westen. Daß der feindliche
Widerstandswille dort innerlich zusammenbrach an unerschütterlicher,
Hoffnungslosigkeit weckender Abwehr war weniger wahrscheinlich. Es blieb also
nur der eigene Angriff mit versammelter Kraft und der Sieg auf dem
Schlachtfeld. Die anderen feindlichen Fronten mußten zum mindesten
derart niedergekämpft sein, daß sie zuverlässig gehalten
werden konnten. Diese Sicherheit fehlte noch, und damit die Möglichkeit
zu sofortiger höchster Kraftentfaltung im Westen.
Zwar war Rußland erledigt, Rumänien als Angreifer kaum noch zu
fürchten und die bulgarische Front im Zustand des Gleichgewichts. Italien
dagegen hatte im ständigen Anrennen gegen die Sperrmauer am Isonzo
manches gelernt und die Abwehr schrittweise derart erschüttert, daß
eine letzte große Anstrengung den Riegel durchbrechen konnte. Ein
derartiger Erfolg hatte weit mehr als örtliche Bedeutung und mußte
unbedingt verhindert werden. Die schnellste und wirksamste Abhilfe war der
eigene Angriff, aber die österreichisch-ungarische Armee konnte ihn allein
nicht mehr durchführen. Die Truppe selbst erhoffte die Teilnahme
deutscher Verbände und die bis in alle Kleinigkeiten hinein sorgsame
Vorbereitung durch deutsche Führung. Auch das
Armee-Oberkommando und Kaiser Karl verschlossen sich dem nicht. Hieraus
entwickelte sich der Entschluß, Italien gemeinsam niederzuringen. Der Plan,
die feindliche Front bei Tolmein zu durchstoßen und später auch aus
Tirol offensiv zu werden, griff auf frühere Entwürfe zurück.
Die deutsche Oberste Heeresleitung ließ die Aussichten eines Angriffs und
die Höhe des Kräfteeinsatzes an Ort und Stelle nachprüfen,
stellte die notwendigen Truppen zur Verfügung und überließ
die Führung auf Grund gemeinsam aufgestellter Richtlinien dem
Armee-Oberkommando. Ähnlich wie bei
Gorlice-Tarnow brachte der Durchbruch von Tolmein die ganze feindliche Front
in Bewegung, und ähnlich wie damals rettete sich der
Feind - wenn auch schwer geschlagen - vor der Vernichtung. Der
Südflügel ließ sich die Einkreisung der Italiener diesseits des
Tagliamento entgehen, weil die Führer an der Front nicht die notwendige
Entschlußkraft aufbrachten; der Angriff aus Tirol erfolgte zu spät und
mit ungenügender Kraft, weil der Überschuß an Truppen vom
Isonzo nicht rechtzeitig nach Tirol verschoben wurde. Die Italiener retteten sich
hinter die Piave-Front; die Fortführung des Angriffs hätte eine
vollkommen neue Operation bedeutet, die von der Obersten Heeresleitung mit
Rücksicht auf ihre Absichten im Westen nicht mehr zugestanden werden
konnten. Es mußte genügen, den Feind derart geschlagen und in
seinem inneren Gefüge erschüttert zu haben, daß er für
absehbare Zeit ausgeschaltet war. Der gemeinsame Sieg über Italien gab der
Volksstimmung in Österreich-Ungarn einen sehr starken Auftrieb und
festigte die Waffenbrüderschaft. Das Heer erwartete mit Sicherheit den
gemeinsamen Kampf im Westen.
[80] Die deutsche Oberste
Heeresleitung hatte dort auf jede größere Unternehmung verzichtet
und war dabei bis zur freiwilligen Preisgabe bisher heiß umstrittenen
Bodens gegangen. Sie hatte ihren Zweck erreicht, Zeit gewonnen und die Entente
sich in verlustreichen Angriffen erschöpfen lassen. Die nutzlos gebrachten
Opfer verursachten besonders in der französischen Armee ein tiefgehendes
Nachlassen der Spannkraft und des Kampfwillens. Die Mittelmächte
standen vor einer Wendung, die eine glückliche, ehrenvolle Beendigung des
Krieges immer näher rückte.
Ein verhängnisvoller Schritt des Kaisers Karl unterbrach diese
günstige Entwicklung. Eine Denkschrift des Grafen Czernin, die die Lage
der Donau-Monarchie im Sinne völliger Hoffnungslosigkeit schilderte und
die Möglichkeit weiteren Durchhaltens verneinte, kam unter
Umständen, die noch nicht geklärt sind, zur Kenntnis der Entente
und bewirkte dort einen vollständigen Stimmungsumschwung; einem
Feinde, der sich selbst dem Zusammenbruche derart nahe fühlte, hatte sie
keine Veranlassung mehr, die zunehmende eigene Erschöpfung
zuzugeben.
Es soll keineswegs bestritten werden, daß im Laufe der Zeit in der
Donau-Monarchie viele Werte zerstört worden waren, die für ein
Durchhalten unerläßlich sind; es wäre immerhin begreiflich
gewesen, wenn Kaiser Karl seinem Bundesgenossen offen erklärt
hätte: so und so stehen die Dinge, wir müssen zu einem Ende
kommen; richte dich also darauf ein, darüber hinaus ohne uns
weiterzukämpfen. Statt einer derartigen Erklärung wurde dauernd
geklagt und das soeben als unmöglich Hingestellte doch geleistet, der
unvermeidliche Zusammenbruch verkündet und gleichzeitig eine neue
Offensiv-Unternehmung vereinbart. Mit vollem Recht wurden die Klagen von der
deutschen Obersten Heeresleitung allmählich nur noch als Schwarzmalerei
und moralische Kraftlosigkeit gewertet. Die
Donau-Monarchie war ganz gewiß in mancher Hinsicht von Deutschland
abhängig, niemals aber in einem Umfange, der ihren eigenen Willen
ausschaltete. Eine derartige Abhängigkeit behaupten heißt nach
Entschuldigungsgründen für die eigene Schwäche suchen. Als
deutsche Truppen dem Verbündeten gegen Italien halfen, wurde als
Gegenleistung - falls die Umstände es
erlaubten - Waffenhilfe im Westen zugesagt. Mit Rußland war es im
Winter 1917 zu einem Waffenstillstand gekommen, dem sich
Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk anschlossen. Es kam dabei weniger
darauf an, das künftige Verhältnis zu Rußland in allen
Einzelheiten zu regeln, als dem Kriegszustand derart verläßlich ein
Ende zu bereiten, daß die Mittelmächte jeder militärischen
Sorge um den Osten enthoben waren. Die spitzfindige Verhandlungskunst der
Bolschewiken zeigte sich den Vertretern der Mittelmächte überlegen.
Es trat fast ganz in den Hintergrund, daß Rußland geschlagen war;
wie zwischen völlig gleichberechtigten Parteien wurde verhandelt und
Recht und Würde des Siegers nicht gewahrt. Die Russen verloren sehr bald
die innere Hochachtung vor der gegnerischen Macht, verwandelten die
Friedensverhand- [81] lungen in eine
Versammlung zur Propagierung ihrer politischen Glaubenssätze und
verstanden es schließlich doch, den Mittelmächten das Odium eines
"Gewaltfriedens" anzuhängen. Dem fast unentwirrbaren Gemisch
langatmiger Auseinandersetzungen über politische, wirtschaftliche und
militärische Dinge folgte dann ein Zustand, der zwischen Krieg und Frieden
hin und her pendelte, Kräfte verbrauchte und nach außen wie nach
innen schädlich wirkte.
Sehr ähnlich verliefen die Verhandlungen mit Rumänien. Bevor
deutsche Truppen gegen Italien zogen, hatte die deutsche Oberste Heeresleitung
erwogen, die völlig unter Entente-Einfluß stehende rumänische
Regierung durch verstärkten militärischen Druck einem raschen
Friedensschluß gefügig zu machen. Mit Rücksicht auf die Lage
am Isonzo wurde davon Abstand genommen. Als dann die Verhandlungen in
Bukarest beginnen sollten, ließ Kaiser Karl ohne Wissen Deutschlands dem
König Ferdinand versichern, es würde ihm der Besitz der Krone
gewährleistet werden, falls er den Friedensschluß beschleunigen
hülfe. Da das Königshaus der ausgesprochene Träger aller
feindlich gerichteten Pläne und Gedanken war, bedeutete diese Zusicherung
ein Eingeständnis der eigenen Schwäche und eine Unklugheit. Auch
die anderen Elemente, die bei günstiger Gelegenheit die Wiederaufnahme
des Kampfes betreiben konnten - das rumänische Heer und die
Ententevertreter - wurden nicht lahm gelegt. Daher hat der Bukarester
Frieden dem geschlagenen Feind alle Mittel in der Hand gelassen, um zu
geeigneter Stunde den Kampf zu erneuern; er brachte nur äußerlich
Ruhe, aber keine völlige Entlastung.
In Brest-Litowsk wie in Bukarest fand das Friedensbedürfnis der
Donau-Monarchie in dem Grafen Czernin einen Vertreter, der zu jedem Opfer
bereit war, um nur ja zu einem Frieden zu kommen. Man mag sein Ziel als
berechtigt anerkennen und wird doch unter allen Umständen die Art
verurteilen müssen, wie er es zu erreichen trachtete. Er ließ sich aus
einer Stellung in die andere drängen, wechselte seine Haltung
abhängig von den Wünschen des Feindes und machte dem
Bundesgenossen Schwierigkeiten, um den Feind zufriedenzustellen. Mag auch die
Drohung, nötigenfalls ohne das Deutsche Reich weiterzuverhandeln, letzten
Endes nur eine Geste gewesen sein, so hat sie doch mit erschreckender
Deutlichkeit gezeigt, wessen man gewärtig sein konnte. Der Sonderfrieden
mit Italien im Jahre 1918 steht am Ende dieser Entwicklung, die mit dem
Hinscheiden des Kaisers Franz Joseph ihren Anfang genommen hat. Da
sie - abgesehen von allem anderen - auch die volle Entfaltung der
militärischen Kräfte lähmte, kann man mit Recht behaupten,
daß sie den Frieden zur Niederlage wandeln half. Die deutsche Oberste
Heeresleitung hat in diese Entwicklung nicht hemmend einzugreifen vermocht;
sie lag außerhalb ihrer Macht und ihrer Verantwortlichkeit. Sie fand zudem
nach dem Ausscheiden Conrads
im Armee-Oberkommando keine
Persönlichkeit, die stark genug und willens gewesen wäre, von der
politischen Leitung Rücksicht auf den Kampf an der Front zu fordern.
General v. Arz, der [82] neue Generalstabschef,
war ein anerkannt tüchtiger und erfolgreicher Truppenführer
gewesen; wohl verdient schmückte ihn der Orden pour le
mérite. Als Generalstabschef verzichtete er bewußt auf jede
Betätigung außerhalb des militärischen Aufgabenkreises. Die
Folge war, daß wichtige Entscheidungen, bei denen sein Urteil unbedingt
hätte gehört werden müssen, ohne ihn getroffen wurden. Diese
freiwillige Zurückhaltung schadete der Sache, wurde aber von dem jungen
Herrscher um so mehr als Erleichterung empfunden, weil Conrad sich nicht hatte
beiseite schieben lassen und wiederholt recht lästig geworden war.
Unmerklich und unaufhaltsam verlor die Stellung des Generalstabschefs die
Bedeutung, die ihr in einem Kampf um Sein oder Nichtsein unter allen
Umständen zukommt, und damit der Generalstabschef selbst die
Möglichkeit, die Erfordernisse der gemeinsamen Kriegführung im
Einvernehmen mit der deutschen Obersten Heeresleitung wirksam gegen anders
gerichtete Einflüsse zu vertreten. Hieraus ergab sich ein Zustand, der
Reibungen und innere Kämpfe vermied, das Schwergewicht aber immer
mehr vom Armee-Oberkommando fort und zur politischen Leitung hin verschob.
Da die politische Leitung an einen Waffenerfolg nicht
glaubte - auch nicht, als er noch durchaus im Bereich des Möglichen
lag - war die fast völlige Ausschaltung des militärischen
Elements von besonders nachhaltiger Wirkung. Daß General v. Arz
sich dem nicht rechtzeitig und tatkräftig widersetzt hat, hat ihn der
Möglichkeit beraubt, in entscheidender Stunde maßgebend eingreifen
zu können; die Ereignisse sind über ihn hinweggegangen.
Als die Offensive gegen Italien am Piave zum Stehen gekommen und in
beiderseitigem Einvernehmen auf ihre Fortführung verzichtet worden war,
weil der Westen weiteren Zeitaufschub nicht vertrug, war die Frage der
Verwendung österreichisch-ungarischer Truppen gegen die
Westmächte zur Entscheidung zu bringen. Daß sie nicht nur
militärisch, sondern auch politisch zu bewerten war, ist verschiedentlich
hervorgehoben worden. Hier hat dann eine Unterlassung eingesetzt, an der beide
Teile schuld waren. Kaiser Karl zögerte, sein Heer zur Verfügung zu
stellen, um die Brücke zu den Westmächten, besonders Frankreich,
nicht endgültig abzubrechen. Um seine ablehnende Haltung zu
rechtfertigen, versteckte sich sein Nichtwollen hinter allerlei Ausflüchten.
Das Armee-Oberkommando beteiligte sich daran, obwohl einzelne seiner
Offiziere die Absage als unwürdig empfanden und weite Kreise des Heeres
die Teilnahme am letzten großen Kampf sehnlichst erhofften. Die deutsche
Oberste Heeresleitung sah einer Verwendung
österreichisch-ungarischer Truppen im Westen mit innerer Besorgnis
entgegen, ob sie den gewaltigen Anforderungen dieser Front gewachsen und ein
mehr als nur zahlenmäßiger Kräftezuwachs sein würden.
Daß General v. Arz, um die ablehnende Haltung seines Kaisers zu
decken, auch seinerseits Zweifel in dieser Hinsicht äußerte,
erhöhte die Bedenken. So ist es gekommen, daß die deutsche Oberste
Heeresleitung die zugesicherte Waffenhilfe nicht mit dem Nachdruck anforderte,
der alle Widerstände überwunden hätte.
[83] Es ist heute zwecklos,
sich ein Bild zu malen, wie der letzte Kampf im Westen ausgegangen wäre,
wenn Österreich-Ungarn mit allen verfügbaren Kräften den
Deutschen zur Seite gestanden hätte. Auf eins aber muß hingewiesen
werden: man wußte in Deutschland, daß die Wege des Kaisers Karl
vom Bündnisgedanken fort führten. Es gab gar kein wirksameres
Gegenmittel als einen gemeinsamen Erfolg im Westen; er verriegelte alle
Türen, die von Wien zur Entente führten. Es ist daher nur schwer
verständlich, warum Deutschland sich diese Gelegenheit entgehen
ließ. Nicht ohne deutsche Schuld ist
Österreich-Ungarn im wesentlichen Zuschauer geblieben, als sich das
Schicksal des ganzen Krieges entschied; er hatte mit einer versäumten
Gelegenheit begonnen und sollte mit einer solchen enden.
Da eine unmittelbare Unterstützung im Westen nicht mehr in Frage kam,
griff das k. u. k. Heer zur Entlastung der Westfront die Italiener an.
Der Angriffsentwurf wurde von der deutschen Obersten Heeresleitung als
Kriegsleitung gebilligt, gelangte aber in abgeänderter Form zur
Durchführung. Die Offensive sollte ursprünglich in schmaler Front
angesetzt werden; Rücksichten auf die Sonderwünsche der
verschiedenen Armeeführer machten aus einem örtlich begrenzten
und daher innerlich kräftigen Stoß einen Angriff fast an der ganzen
langen Front, der überall zu schwach, an keiner Stelle zu einem dauernden
Erfolg führte. Er hat anderseits bewiesen, welche Summe von Opfermut
und Angriffsfreudigkeit trotz allen Entbehrungen und Verlusten noch im
österreichisch-ungarischen Heere lebte; auf die falsche Karte gesetzt und
nutzlos vertan, bleiben sie doch ein Ruhm für die alte kaiserliche
Armee.
Die Ereignisse im Westen sind an anderer Stelle im einzelnen dargelegt. Wie nahe
die Deutschen einem Erfolge waren, beweisen die nach dem Kriege
bekanntgewordenen Ausführungen feindlicher Heerführer; sie
beweisen aber auch, daß die
österreichisch-ungarische Armee sehr wohl das Zünglein an der
Waage hätte sein können.
Als der Große Krieg begann, stand ein Mann an der Spitze des deutschen
Generalstabes, dessen Wesensart es widersprach, alle Fäden der
militärischen Leitung entschlossen in seiner Hand zu vereinigen. Der
große Plan im Westen brach zusammen; der Wille, ihn gegen alle
Widerstände durchzusetzen, hatte gefehlt.
Nach der Marneschlacht unter General v. Falkenhayn
wurde das Ziel enger
gezogen: "ohne Überspannung der inneren und äußeren
Kräfte" sollten nach seinem Willen die Mittelmächte durch den
Beweis ihrer Unbesiegbarkeit die Feinde zum Einlenken zwingen. Diese
Umstellung war für die Zeit unmittelbar nach der Marneschlacht durchaus
berechtigt, darüber hinaus aber ein verhängnisvoller Verzicht. Die
Überspannung der Kräfte erwuchs weniger aus der
Größe der geforderten Leistung als aus deren zeitlicher Dauer. Hinter
der Absicht, die Feinde mutlos zu machen, lauerte stets die Gefahr, selbst
mürbe zu werden. General v. Conrad hat jene Auffassung des
damaligen deutschen Generalstabschefs nicht geteilt. Im Osten, wie nach dem
Sieg über Serbien ist er für den [84] Kampf um die
Entscheidung eingetreten und zu gleichem Zweck für die gemeinsame
Offensive gegen Italien. Er hat sich nicht durchzusetzen vermocht.
Als dann Generalfeldmarschall
v. Hindenburg und General Ludendorff die
Oberste Heeresleitung übernahmen, mußte Conrad, der innerlich mit
ihnen übereinstimmte, sein Amt niederlegen. Auf österreichischer
Seite fehlte damit für die Zusammenarbeit der geeignete Mann.
Außerdem traten dort Erwägungen in den Vordergrund, die von
einem Kampf um die Entscheidung nichts wissen wollten. Die
Überspannung der inneren und äußeren Kräfte ist dann
tatsächlich eingetreten, weil die Mittelmächte zur rechten Zeit nicht
nach dem Sieg gegriffen und später nicht gewagt hatten, alle
überhaupt vorhandenen Kräfte einheitlich an den Sieg zu setzen. Als
größtes Versäumnis beider Heeresleitungen aber zieht sich
durch den ganzen Krieg: das Fehlen einer Obersten Kriegsleitung.
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