Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
Kapitel 3: Die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von
Bayern
im Jahre 1917 (Forts.)
Generalmajor Rudolf v. Borries
[111] 6. Die
Arrasschlacht.
Hierzu Skizze 3 (S. 113).
Am 7. April versuchten die Engländer, durch Vorstöße gegen
die 4. Armee die Aufmerksamkeit von der Arrasfront abzulenken. Nach heftigem
Artilleriefeuer auf dem ganzen Umfang des
Ypern- und Wytschaetebogens, wobei zahlreiche Gasgranaten verwendet wurden,
erfolgten beiderseits der Bahn
Comines - Ypern und bei St. Eloi Sprengungen und
Anstürme starker Abteilungen, die die Deutschen in einer Sehnenstellung
auffingen. Am 9. April erwiderten diese den Stoß durch ein großes
Streifunternehmen südöstlich von Ypern, das neben anderer Beute 47
Gefangene einbrachte.
Der Zweck der Irreführung wurde von den Engländern nicht erreicht;
immerhin ergab sich die Notwendigkeit, die Möglichkeit
größerer Kämpfe auch in Flandern ernstlich ins Auge zu
fassen. Sie trat aber zurück hinter der Spannung, die die kommende
Entladung bei Arras jeden Augenblick erwarten ließ. Bis zum 7. April
waren in der Linie
Angres - Neuville Vitasse 12 bis 14 englische Divisionen in tiefer
Gliederung festgestellt. Außerdem mußte mit 20 Divisionen zur
Ablösung und Nährung des Kampfes gerechnet werden.
Das Gefilde der Arrasschlacht wurde durch die unbedeutende Scarpe von Arras
bis Douai in einen größeren nördlichen und einen kleineren
südlichen Abschnitt geschieden. Nördlich lief die deutsche Stellung
vom Souchez-Bach bis zur Scarpe östlich von Arras durch die
Hochfläche, die von dem vielgenannten Orte Vimy an ihrem Ostrande den
Namen trägt. Dieser Ostrand mit den Orten Givenchy, Vimy, Gavrelle
fällt bald sanft, bald schroff zu der Ebene ab, in deren Mitte Douai gelegen
ist. Südlich der Scarpe, wo die Stellung bis auf ein kurzes Stück
unmittelbar südlich des Flusses durch die Siegfriedlinie gebildet wurde, ist
das Höhengelände reicher gegliedert und zeigt wechselnde
Bedeckung durch kleine Wälder, Buschwerk und Sümpfe. Die
große Stadt Arras vor der deutschen Front lag längst in Ruinen, war
aber für die Engländer als Straßenknotenpunkt, Unterkunftsort
und Stapelplatz äußerst wichtig.
In der Nacht vom 8. zum 9. April vergaste der Feind zur Einleitung des ersten
großen Sturmes bei unvermindertem Feuer große Teile der
Stellungen, namentlich die Batterien. Die Wirkung war ungleich, aber in
einzelnen Abschnitten erheblich, so daß Mannschaften und besonders
Gespanne der Munitionsfahrzeuge ausfielen. Am 9. April setzte um 5 Uhr 30
Minuten morgens rasendes Trommelfeuer ein, dessen Stärke alles bisher
Erfahrene, auch der Sommeschlacht, übertraf. Es faßte
hauptsächlich die zweite und dritte Stellung, wirkte also in die Tiefe,
während die erste Stellung mit Minen und Rauchbomben belegt,
stellenweise auch gesprengt wurde. Um 7 Uhr stürmte die feindliche
Infanterie in dichten Massen vor, während sich das Feuer vorwärts
schob, und überrannte vom
Souchez-Bach bis Neuville Vitasse, in einer Breite von 20 km, [112] die erste Stellung fast
vollständig. Unter heftigen Kämpfen erreichte sie bis zum 10. April
morgens die Linie Givenchy - Vimy -
Bahndamm östlich Farbus - Bailleul -
Gavrelle - Roeux - Höhe westlich
Monchy - Wancourt. Nördlich der Scarpe wurden
demgegenüber im allgemeinen die zweite, südlich von ihr die dritte
Stellung gehalten. Gegenstöße waren von deutscher Seite wohl
erfolgt, ein Gegenangriff kam aber vorläufig nicht zustande.
Am 10. April setzten die Engländer, die sich mit merklichem Ungeschick
bewegten, die Angriffe mit Tanks hauptsächlich bei Farbus und
südlich der Scarpe fort. Auf der Straße
Arras - Cambrai ließen sie starke Kavallerie vorgehen. Alle
Angriffe wurden verlustreich für die stürmenden Truppen
abgewiesen, die Reiterei zersprengt. Nördlich der Angriffsfront war der
Gegner gegen den rechten Flügel der 6. Armee mit starkem Artilleriefeuer
und Streifunternehmungen tätig, südlich von ihr wurde die
Siegfriedstellung heftig beschossen.
Am 11. April wurde um die Höhe westlich Monchy gekämpft, die
am Vormittag in englische Hand fiel. Andere Stöße, besonders bei
Vimy, und Kavallerieattacken bei Fampoux und auf Pelves scheiterten an der
deutschen Abwehr. Gegen den rechten Flügel der 1. Armee zwischen
Bullecourt und Quéant steigerte sich am Morgen das feindliche Feuer zu
größter Stärke; vor- und nachmittags griffen dort die
Engländer unter Einsatz von Tanks in immer wiederholten Stürmen
an, wurden aber, obwohl ihnen auf Riencourt ein schmaler Einbruch gelang, mit
schweren Einbußen abgewiesen. Neun Tanks von zwölf wurden
vernichtet, fast 1200 Gefangene blieben in deutschem Besitz. In
mustergültiger Weise hatten deutsche Infanterie und Artillerie
zusammengewirkt, wobei ihnen der Schutz durch die Siegfriedstellung zu Hilfe
kam.
Der Verlust der Höhe westlich Monchy veranlaßte die deutsche
Führung, in der Nacht 11./12. April südlich des
eingebüßten Geländes die Hauptverteidigung in die Linie
Guémappe - Höhen südlich Wancourt
zurückzunehmen.
Die Engländer griffen am 12. April nur auf einzelnen Frontstrecken an: bei
Angres, Givenchy, südlich Vimy und bei Wancourt, wo abermals
Kavallerie auftrat. Teilerfolge konnten größtenteils durch deutsche
Gegenstöße ausgeglichen werden. Der Eindruck bestand damals,
daß sich zwischen der Scarpe und Croisilles ein neuer großer Sturm
vorbereite; der erste englische Ansturm schien jetzt aber erschöpft zu
sein.
Zweifellos hatte der Gegner am 9. April einen bedeutenden Erfolg errungen,
indem er stellenweise in mehr als 6 km Tiefe in die deutschen Stellungen
einbrach. Es lag nahe, hierfür die biegsame Verteidigungsart verantwortlich
zu machen, die zum ersten Male erprobt wurde. Nähere Prüfung der
Geschehnisse ergab aber das Gegenteil. Der Mißerfolg der Abwehr beruhte
darauf, daß in zwei wichtigen Punkten von den neuen Grundsätzen
abgewichen worden war: die Batterien hatten sich in der Bekämpfung der
feindlichen Angriffsmaßnahmen [113=Karte] [114] nicht
genügend betätigt und die Reserven im Augenblick des Sturmes
nicht nahe genug herangestanden.
[113]
Skizze 3: Gelände der Arrasschlacht.
|
Die Artillerie war zum Teil erst kurz vor dem Sturm in die für sie
vorbereiteten Stellungen eingerückt und noch nicht völlig auf die
erhöhte Tätigkeit eingerichtet gewesen. Trübes Wetter hatten
zudem Erkundung und Schußbeobachtung erschwert. Die feindliche
Beschießung vom 8. April abends war so überwältigend,
daß sofort starke Material- und Munitionsverluste eintraten. So
erklärte sich die schwache Gegenwirkung vor dem Angriff und
während des Sturmes; aber es hätte unzweifelhaft mehr geleistet
werden können. Augenscheinlich wurden trotz der Spannung die den nahe
bevorstehenden Losbruch andeutenden Momente nicht scharf genug erfaßt.
Die Heranziehung der Reserven hatte die Heeresgruppe schon am 6. April der 6.
Armee anbefohlen;6 die Vorführung war auch
angeordnet, aber zum Teil nicht schnell genug durchgeführt, zum Teil
durch Mißverständnisse verlangsamt worden. Auch hier hatte die
Erkenntnis gefehlt, daß höchste Eile geboten war. Jedenfalls waren
die Reserven am 9. April nicht zum Gegenstoß zur Stelle.
Nach Beginn des Sturmes am 9. April wies die Heeresgruppe Kronprinz
Rupprecht, tatkräftig eingreifend, die 6. Armee von neuem an, die
verfügbaren Divisionen - nunmehr
sieben - heranzuziehen und zur unmittelbaren Unterstützung oder zur
Ablösung der angegriffenen Verbände zu benutzen. Vom 10. April
an konnte mit dem Einsatz der schleunigst vorgeführten Teile gerechnet
werden. Außerdem stellte sich die Heeresgruppe drei Divisionen zur
eigenen Verfügung bereit und bildete aus neun Divisionen, die zumeist von
anderen Fronten noch heranzuführen waren, ein zweites
Ablösungstreffen. Auch neue schwere Batterien wurden aufgeboten, um die
bisherigen Geschützverluste auszugleichen.
Alle diese Maßnahmen konnten aber den englischen Anfangserfolg nicht
aus der Welt schaffen. Nördlich der Scarpe war es von besonderer
Bedeutung, daß der Gegner im Besitz des Ostrandes der
Vimy-Hochfläche die unter ihm gelegenen deutschen Linien beherrschte.
Der Versuch, ihm dieses Übergewicht durch Gegenangriff zu nehmen und
die Stellungen wieder auf die Höhe hinaufzuschieben, setzte sehr lange und
umfassende Vorbereitungen voraus; die Lage drängte aber zur Tat. Der
schwere Entschluß mußte gefaßt werden, die Verteidigung nach
rückwärts vom Gegner abzusetzen, um erträgliche
Verhältnisse zu schaffen. In der Nacht 12./13. April wurde die erste
deutsche Linie nach Lens, Avion, Méricourt, Acheville, Arleux, Oppy,
Gavrelle unangefochten zurückgenommen. Nachhuten blieben am Feinde
und wichen erst dem feindlichen Druck. Für den Gegner ergab sich die
Notwendigkeit, seine Artillerie nachzuziehen, bevor er zu neuen großen
Stürmen schreiten konnte.
Wirklich trat zunächst eine gewisse Ruhe ein. Nur südlich der Scarpe
erfolgten vom Fluß bis Croisilles am 13., 14. und 15. April Angriffe, die
mit [115] erheblichen Verlusten
für die Engländer abgewiesen wurden, und bei Wancourt erzielten
sie einigen Geländegewinn, der am 16. April in deutsche Hand
zurückfiel. Weiter südlich machten die Deutschen am 15. April einen
erfolgreichen Vorstoß gegen die Linie
Lagnicourt - Hermies.
Am 16. April belegten die Engländer den Abschnitt
Arleux - Scarpe sowie den Raum südlich des Flusses mit
heftigem Feuer und führten in den folgenden Tagen den Artilleriekampf auf
der ganzen Front von Lens bis Quéant mit wachsender Steigerung, die bis
zum 21. April hauptsächlich den rechten, von da an auch den linken
Armeeflügel betraf, hielten sich aber mit der Infanterie zurück.
Schon am 18. April war bei der deutschen Führung kein Zweifel mehr,
daß ein neuer gewaltiger Anlauf, der zweite große Sturm, auf beiden
Ufern der Scarpe bevorstand. Die Artillerie war auf dem Posten, bekämpfte
kräftig die feindlichen Batterien und erstickte vereinzelte Kampfregungen
der englischen Infanterie. Hinter der nunmehrigen, rein feldmäßigen
ersten Stellung wurde eifrig an Zwischenlinien und Riegeln gearbeitet, die zur
Wotanstellung7 überleiteten. Eine zweite
Wotanlinie wurde dahinter in Angriff genommen, die den Ostrand von Lille, den
Westrand von Douai und Marquion verbinden sollte.
Vom 21. April an wurde der Sturm auf der ganzen Front von Lens bis Moeuvres
täglich erwartet, nachdem sich der Feind dicht an die deutsche Linie
herangearbeitet und seine Artillerie stark vermehrt hatte. Am Nachmittag dieses
Tages wurde ein Stoß bei Oppy zurückgewiesen. Am 22. April
mittags verstärkte sich das Artilleriefeuer auf der Front von Lens bis
Bullecourt, nahm nachmittags an Heftigkeit zu und schwoll am 23. April 6 Uhr
morgens zum Trommelfeuer an. Bald darauf stürmte der Feind auf
30 km Breite an, wobei die Gegend von Méricourt, Acheville und
Arleux weniger heftig betroffen wurde; Lens, Avion, Oppy, Gavrelle, Roeux und
Guémappe waren die Brennpunkte. Nur zwischen Gavrelle und Roeux
vermochte er gegen den erbitterten und erfolgreichen Widerstand einzubrechen,
wurde aber nachmittags durch Gegenstöße wieder
zurückgeworfen; sonst wurde die vordere Linie trotz einiger Schwankungen
gehalten. Nachmittags 5 Uhr 30 Minuten erfolgte ein zweiter heftiger englischer
Stoß von Oppy bis Fontaine les Croiselles. Das Ergebnis bestand nur in dem
Gewinn von einigen 100 m Raum an der Straße
Arras - Cambrai und in der Eroberung von Guémappe. Die
Verluste des Feindes an diesem Tage waren ungewöhnlich schwer. Mit
Recht konnte Kronprinz Rupprecht der 6. Armee, die in General Otto
v. Below inzwischen einen neuen Oberbefehlshaber, in Oberst
v. Loßberg einen neuen Chef des Generalstabes erhalten hatte,
für ihre todesmutige und wirkungsvolle Abwehr höchstes Lob
aussprechen und das tadellose Zusammenarbeiten der Waffen hervorheben.
Noch aber hatte sich die Hochflut der englischen Stürme nicht
verlaufen. [116] Während
nördlich der Scarpe am 24. April nur um Gavrelle gekämpft wurde,
griff der Feind südlich von ihr am Nachmittag auf der Strecke bis
Bullecourt von neuem an, besonders an der Straße
Arras - Cambrai, wo die deutsche Linie nachts noch weiter
zurückverlegt worden war, scheiterte aber völlig; ebenso am 25.
April, als er dort seinen Angriff um 4 Uhr 30 Minuten morgens wiederholte.
Der Gegner schien gerade südlich der Scarpe durchbrechen zu wollen, um
Siegfried- und Wotanstellung, die bei Quéant ineinander
übergingen, gleichzeitig im Rücken zu fassen. Er wiederholte seine
Anläufe beiderseits der Straße
Arras - Cambrai am 26. und 27. April, beide Male mit demselben
Mißerfolge.
Nördlich der Scarpe nahm am 26. April das Feuer zwischen Lens und
Scarpe wieder bedeutend zu, faßte namentlich Arleux, Fresnoy, Oppy und
steigerte sich am 27. April zu heftigsten Graden; die Gegenden von Lens und
Roeux wurden vergast. Am 28. April setzte auf der ganzen Front morgens
Trommelfeuer ein. Dann liefen die Engländer zum dritten großen
Sturm in breiter Front von Lens bis Riencourt in dichten Wellen an, um abermals
zu scheitern. Teilweise, so besonders auf den Flügeln, genügte schon
das deutsche Vernichtungsfeuer zur Abwehr; wo der Feind eindrang, wie bei
Oppy, wurde er wieder geworfen. Nur die Trümmer von Arleux wurden
ihm überlassen.
Obwohl dem Gegner seit seinem Anfangserfolg am 9. April nur noch
unwesentliche Fortschritte gelungen waren, mußte mit weiteren
Stürmen gerechnet werden. Er hatte seine Angriffsdivisionen bisher nicht
abgelöst, sondern nach kurzer Ruhe immer wieder vorgesandt, besaß
also noch starke Kräfte im Rückhalt. Demgegenüber war die
Heeresgruppe mit Ablösungsdivisionen so gestellt, daß sie den
feindlichen Stößen mit zweimaligem Einsatz der
Verteidigungsverbände bis Mitte Juni begegnen konnte.
Schon bald schien sich der Gegner zu neuem Durchbruchsversuch, dem vierten
großen Sturm seit dem 9. April, zu rüsten. Vom 29. April an schwoll
sein Artilleriefeuer allmählich wieder an, wurde aber durch die deutschen
Batterien erfolgreich gedämpft. Mit kleinen Unternehmungen suchte der
Feind vom 29. April bei Oppy, am 30. April östlich Monchy, am 1. Mai bei
Lens Erfolge, wurde aber überall abgewiesen. In der Nacht zum 3. Mai
nahm sein Feuer gewaltig zu; am frühen Morgen trommelt er mit
äußerster Kraft auf den Linien von Lens bis Quéant, und um 5
Uhr 30 Minuten lief seine Infanterie von Acheville bis Quéant an. In
Fresnoy, Oppy, Roeux, südlich der Straße
Cambrai - Arras, bei Chérisy und Bullecourt brach sie ein;
deutsche Gegenstöße machten ihr die Gewinne sofort streitig, der
Kampf wogte hin und her, Oppy wechselte fünfmal den Besitzer. Der
schmale englische Ertrag des Angriffs war der Besitz von Fresnoy und eines
Nestes östlich von Bullecourt. In der Nacht zum 5. Mai und an diesem Tage
ging der Kampf an einzelnen Brennpunkten weiter; am Abend war das englische
Nest bei Bullecourt zum Teil wieder geräumt.
[117] Nach dieser
erfolgreichen Abwehr trat verhältnismäßige Ruhe ein. Das
feindliche Artilleriefeuer blieb lebhaft, bald hier, bald dort sich verstärkend;
die Infanterie aber griff nur stellenweise an, so in der Nacht zum 6. Mai bei Avion
und im Laufe des Tages bei Quéant, am 7. Mai bei Roeux, am 8. Mai
zwischen Croisilles und Bullecourt. Ihre Anstrengungen blieben ergebnislos,
dagegen gewann die deutsche Infanterie am 8. Mai das am 3. verlorengegangene
Fresnoy zurück. Wiedereroberungsversuche des Gegners dauerten bis in
den 9. Mai hinein; sie waren ohne Erfolg. Am 8. und 9. Mai wurde auch um
Bullecourt heftig gekämpft, das zum kleinen Teil an die Engländer
verloren ging.
Am 10. Mai herrschte infanteristisch ziemliche Ruhe; die englische Artillerie aber
war gegen die deutschen Batterien sehr regsam und dehnte ihr Fernfeuer bis Douai
aus. Westlich von Monchy wurden Tanks erkannt. Der fünfte große
Sturm deutete sich an.
Schon am 11. Mai nachmittags erfolgten nach machtvoller Feuersteigerung
Teilangriffe westlich und südlich Lens und beiderseits der Scarpe, die meist
schon durch die Artillerie abgewehrt wurden; nur bei Roeux setzte der Feind sich
fest. In den Frühstunden des 12. Mai überschüttete der Gegner
die Stellung von Acheville bis Quéant mit gewaltigen
Geschoßmassen; dann folgten neue Kämpfe um Roeux und drei
schwere Angriffe südlich der Scarpe bis zur Straße
Cambrai - Arras, die sämtlich scheiterten. Gleichzeitig tobte
um Bullecourt ein wechselvolles Ringen, das mit dem Verbleiben des Dorfes in
deutscher Hand endete. Die Engländer faßten hier immer wieder von
neuem, aber stets ergebnislos zu. Der fünfte große Sturm war
erledigt; der einzige englische Gewinn blieben Dorf und Bahnhof Roeux.
Am 13. Mai liefen die Engländer vergeblich bei und südlich Oppy
und, dreiseitig umfassend, auf Bullecourt an, wurden aber abgewiesen. Am 14.
und 15. Mai setzte sich der Kampf bei Bullecourt fort; aus dem Nest östlich
des Dorfes ließen sich die Engländer nicht verjagen. Dagegen
mußten sie am 15. Mai Dorf und Bahnhof Roeux räumen, um sie am
16. Mai wiederzugewinnen. Regnerisches Wetter beeinträchtigte fortan die
Kämpfe. Freiwillig räumten die Deutschen in der Nacht zum 17. Mai
das heißumstrittene Bullecourt, ohne daß der Feind nachstieß;
dagegen stürmte er in der Gegend von Gavrelle dreimal vergeblich vor. Die
Front Acheville - Gavrelle war auch in den nächsten Tagen
sein Ziel; am 19. Mai griff er erfolglos bei Monchy an.
Am 20. Mai geschah der sechste und letzte große Sturm, der den
vorausgegangenen großen Schlägen an Kraftentfaltung nahe kam.
Von 6 Uhr morgens lag Trommelfeuer auf der Linie von Acheville bis
Quéant; Angriffe erfolgten aber nur von Monchy bis Bullecourt.
Mindestens fünfmal wiederholten sich die englischen Anstrengungen und
setzten sich bis Mitternacht fort. Überall wurden sie abgewiesen, doch
nahm die deutsche Führung auf einer kurzen Strecke die Truppen in die
zweite Linie zurück, um klare Verhältnisse zu schaffen.
[118] Das Artilleriefeuer
blieb auch in der Folge dauernd lebhaft und gab den Truppen keine Ruhe. Die
feindliche Infanterie suchte nach wie vor südlich der Scarpe
vorzudrücken, um dort den wichtigsten Knotenpunkt der deutschen
Stellungen zu treffen. Am 21., 22., 24. und 27. Mai griff sie bei und aus
Bullecourt, am 30. Mai und am 2. Juni bei Monchy erfolglos an. Dann sprang ihre
Tätigkeit wieder auf das Nordufer der Scarpe über. Am 3. Juni
suchte sie beiderseits des Souchezbaches, am 5. Juni über die Linie
Gavrelle - Roeux vorwärts zu kommen und hatte
südlich Gavrelle einen geringen Gewinn.
Am 7. Juni zeigte der Gegner durch seinen gewaltigen Sturm auf den
Wytschaetebogen, daß er den Schwerpunkt seiner Angriffe weiter nach
Norden zu verlegen gedachte. Die Ereignisse an der Arrasfront traten hinter der
neuen schweren Belastung der Heeresgruppe in Flandern zurück.
Diese Wendung kam nicht überraschend. Die Angriffsvorbereitungen
gegenüber der 4. Armee waren längst erkannt. Außerdem
wurde Ende Mai festgestellt, daß der Feind seine Luftsperre südlich
der Scarpe verstärkte und unter diesem Schleier einen Teil seiner Artillerie
fortzog, und zwar aus Täuschungsgründen so, daß er aus den
Batterien nur zwei bis drei Geschütze herausnahm. Augenscheinlich wollte
er den Eindruck erwecken, als solle der Entscheidungskampf bei Arras
weitergehen. Die Zahl der hier eingesetzten Divisionen verringerte er nicht
wesentlich. Es mußte also auch nach dem Aufflammen des Vorspiels zur
großen Flandernschlacht noch mit weiteren Angriffen bei Arras gerechnet
werden, die zum mindesten bestimmt waren, deutsche Kräfte zu fesseln,
wenn sie vielleicht auch den Durchbruch nicht mehr zum Ziele hatten.
|
Der 7. Juni bezeichnete also nicht das Ende der Arraskämpfe, aber doch
den Abschluß der großen Durchbruchsschlacht und die
Endgültigkeit des deutschen Abwehrerfolges. Er hatte schwere Opfer an
Gelände, Material und vor allem an Menschen erfordert. Auf einer Breite
von 28 km war der Feind 5 bis 6, stellenweise 8 km
vorwärtsgekommen, sah sich im Besitz der überragenden
Vimy-Höhe und des rechten Flügels der Siegfriedstellung. Jetzt lief
die deutsche Linie von Loos über Lens, Avion, Fresnoy, Roeux,
Chérisy nach Fontaine les Croisilles und war östlich von Bullecourt
zurückgewichen. Besonders durch seinen Anfangserfolg hatte der Feind
viele Gefangene machen und zahlreiche Geschütze nehmen können.
Die deutschen Gesamtverluste beliefen sich bis Ende Mai auf mehr als
85 000 Köpfe.
Für den Gegner aber waren die Ergebnisse gering und seine Einbußen
groß. Die taktischen Ziele seines Durchbruchs lagen bei Douai und
Cambrai, das strategische bei Mons. Nach zweimonatigem Ringen war er den
ersteren um 5 bis 8 km näher gekommen und sah keine
Möglichkeit, dies Ergebnis wesentlich zu erweitern. Das von ihm eroberte
Gelände konnte in keiner Weise als strategisch wichtig bezeichnet werden.
Er hatte wieder die Erfahrung machen müssen, daß selbst die
stärkste Massierung von Kampfmitteln mit geradezu
ver- [119] nichtend erscheinender
Wirkung gegenüber den Deutschen höchstens einen Anfangserfolg
ergab. Abermals mußte er feststellen, daß die Kunst der
Führung nicht ausgereicht hatte, um durch die zerrissenen Linien des
Gegners bis in das freie Gelände dahinter durchzustürmen. Dabei
hatten ihm die Kämpfe bis Ende Mai mehr als 180 000 Mann
Verluste gebracht, also das Doppelte, wie beim Verteidiger.
Für die deutsche Führung war der Abwehrsieg höchst
bedeutungsvoll. Abgesehen von den Fehlern, die dem Feinde den ersten Einbruch
wesentlich erleichterten, hatte sich die neue Art der Verteidigung bewährt.
Insbesondere war sich die Infanterie des Vorteiles bewußt geworden, nicht
in leicht zerschießbaren Gräben Schutz zu suchen, sondern sich durch
Verteilung im Trichterfelde der feindlichen Sicht und dem feindlichen Feuer zu
entziehen. Hierdurch ergab sich von selbst eine Tiefengliederung, die die
Gegenstöße mit Hilfe der nahe herangehaltenen Reserven
begünstigte. Es hatte sich auch gezeigt, daß freiwillige
Zurückverlegung der Front - wie in der Nacht vom 12. zum 13.
April - den feindlichen Angriffsschwung für einige Zeit zugunsten
der Verteidigung zu lähmen vermochte. Die Artillerie hatte ihre Aufgabe
erkannt, die feindlichen Batterien niederzuhalten und alle Angriffsregungen
frühzeitig zu zerschlagen. Infanterie- und Artillerieflieger hatten durch ihre
Nachrichten sichere Führung ermöglicht. Im Luftkampf erwies sich
die rücksichtslose Initiative, wie sie besonders durch die Staffel des Rittmeisters
Frhrn. v. Richthofen verkörpert wurde, dem Feinde nach
wie vor als überlegen.
Von allen Truppen - kaum gab es eine Ausnahme - war heldenhaft
gekämpft worden. Die deutsche Westfront hatte sich wieder gewaltiger
Erschütterung gewachsen gezeigt. Der Einsichtige durfte sich sagen,
daß der Siegfriedrückzug zu ihrer Abschwächung wesentlich
beigetragen hatte. Das war der Truppe zugute gekommen, die bei den geringen
Ersatzmöglichkeiten aus der Heimat große Verluste kaum noch
ertragen konnte.
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