Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
[1]
Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
Generalleutnant Max Schwarte
1. Die Lage beim Eintritt
Hindenburg-Ludendorffs in die Oberste
Heeresleitung.
Als am 29. April 1916 Generalfeldmarschall
v. Hindenburg und, als
mitverantwortlicher Generalquartiermeister, General Ludendorff an die Spitze der
Obersten Heeresleitung traten, war die Gesamtlage der Mittelmächte
mindestens ebenso gespannt, wenn nicht gefährdeter, als im Herbst 1914,
als General v. Falkenhayn
die Leitung der Operationen übernahm.
Seine Art der Kriegführung hatte zu keiner Entscheidung auf dem
Schlachtfelde, aber auch zu keiner Geneigtheit, Frieden zu schließen, bei
den Feinden geführt. Die unaufhaltsame Minderung der personellen und
materiellen Streitmittel des Vierbundes hatte sich der dauernd wachsenden
Kampfkraft der Entente gegenüber nicht durch die höhere Kunst der
Führung und die höhere Moral der Truppen ausgleichen lassen.
Falkenhayn hatte es bewußt vermieden, die Kräfte der
Mittelmächte zu einem entscheidenden Schlage einzusetzen. Der
voraussichtlich langen Dauer des Krieges hatte er vielmehr durch sparsamsten
Verbrauch der deutschen Kräfte Rechnung zu tragen versucht.
Diese Anschauung hinderte ihn aber auch, von der Reichsleitung und den
Volksvertretern die höchste Anspannung der Kräfte im Volke zu
fordern. Bei beiden war die klare Erkenntnis vom Wesen des Krieges nie lebendig
gewesen; sie zu erzwingen und daraus die letzte Folgerung zu fordern, war mit der
Falkenhaynschen Art der Kriegführung nicht vereinbar; vielleicht hatte
auch der Zwiespalt zwischen der politischen und militärischen Leitung
dabei mitgesprochen. Das Ergebnis waren der mißglückte Angriff auf
Verdun, der verlustreiche Kampf an der
Somme und die Kriegserklärung
Rumäniens. Die Verschlechterung der militärischen Lage hatte das
Vertrauen des Kaisers, aber auch die Stimmung im Heere auf das tiefste
erschüttert, weil es in einer ungenügenden Voraussicht der Obersten
Heeresleitung die Ursache der Mißerfolge erblickte. Der Entschluß
des Kaisers zum Wechsel des Chefs des Generalstabes des Feldheeres war also
eine militärische, aber auch eine politische Notwendigkeit. Das hatte auch
der Reichskanzler erkannt und der Absicht zugestimmt. Daß des Kaisers
Wahl nur auf Hindenburg und Ludendorff fallen konnte, war nach [2] der ganzen Entwicklung
der Dinge selbstverständlich. Die Entscheidung fand deshalb im Volk und
Heer freudigste Zustimmung. Daß sie zu spät erfolgte, als zu
große Teile der deutschen Kraft schon vertan waren, ließ sich jetzt
noch nicht erkennen.
Ob Hindenburg und Ludendorff sich der vollen Schwere der ihnen jetzt gestellten
Aufgabe bewußt waren, ist zweifelhaft; Falkenhayn hatte nach eigenem
Ausspruch die im Osten führenden Männer in voller Absicht nicht
über alles Geschehene unterrichtet.
Je weniger die neuen Führer von der allgemeinen Lage wußten, desto
höher ist es zu achten, daß sie sich bedingungslos des Kaisers Befehl
fügten. Denn daß sie schlecht war, wußten sie; wie schlecht,
wie furchtbar schlecht sie war, das erfuhren sie erst jetzt. Und auch das nicht
einmal in vollem Umfange. Sofort eigene neue Entschlüsse zu fassen,
verbot die Lage. Für sie gab es vorerst nur eins: das schlimme Erbe so zum
Abschluß zu bringen, daß die drohenden Nachteile möglichst
gering blieben. War das erreicht, dann erst konnten neue Gedanken auf der
errungenen Lage aufgebaut werden. Vorbedingung aber auch für die
Abwicklung des Alten war, ein klares, vollständiges Bild über die
Gesamtlage zu gewinnen.
Die Offensive gegen Verdun hatte schon Falkenhayn einstellen müssen,
weil die Sommeschlacht und die Kämpfe bei Luck (diese sogar aus dem
Westen) erhebliche Hilfe erfordert hatten. Die deutschen Truppen vor Verdun
verzehrten sich im erfolglosen Kampf gegen den vielfach überlegenen
Gegner, bei dem der deutsche Verzicht auf ein weiteres Vordringen zur
Wiederbelebung der Angriffslust geführt
hatte. - An der Somme hatte die Heftigkeit der feindlichen Angriffe
vorübergehend nachgelassen; doch litten die Truppen furchtbar unter der
Wucht der ungeheuren materiellen Kampfmittel der
Alliierten. - An beiden Kampfstellen, wie auch bei Luck, mußte man
nach Rumäniens Kriegserklärung mit neuen starken Angriffen
rechnen. Daß an der rumänischen Grenze weder für
kampffähige Truppen, noch für die Verteidigungsstellungen gesorgt
war, das war ein schweres Verschulden der k. u. k. Heeresleitung;
aber auch eine Schuld Falkenhayns, der trotz wiederholter gegenteiliger
Meldungen mit einer rumänischen Offensive, wenn überhaupt, dann
erst zu einem späteren Zeitpunkt gerechnet hatte.
Zu alledem kam, daß die Italiener zum erstenmal einen
größeren Erfolg erreicht hatten, der naturgemäß ihre
Angriffslust anstacheln mußte. So konnten von der italienischen Front keine
nennenswerten Kräfte gegen Rumänien herausgezogen werden. Die
Lage, die Hindenburg und Ludendorff jetzt langsam in ihrem vollen Umfange
erkennen konnten, war also außerordentlich schwierig; sie wurde weiter
verschärft durch die niederdrückende Unterlegenheit an personellen
und materiellen Kampfmitteln. Die besonders empfindliche Unterlegenheit im
Luftkampf hatte auch durch die persönliche Tapferkeit der deutschen
Flieger nicht ausgeglichen werden können.
[3] Die Oberste
Heeresleitung verfügte an geschlossenen Verbänden nur über
Divisionen, die mehrfach eingesetzt waren und starke Verluste erlitten hatten.
Dazu zwang die drohende Erschöpfung der Kampfmittel zum sparsamsten
Haushalten zum Schaden der Truppen.
So schien die Oberste Heeresleitung außerstande, sofort ausreichende
Kräfte dem rumänischen Einmarsch entgegenzuwerfen.1 Wohl hatten gemeinsame theoretische
Erörterungen mit General v. Conrad
zu dem Entschluß
geführt, daß man einem Angriff der Rumänen durch
Gegenoffensive entgegentreten und sie schnellstens niederwerfen wolle;
vorbereitet war nichts. Selbst die als ganz ungenügend erkannten
Eisenbahnen Siebenbürgens waren nur in unerheblichem Maße
ausgebessert, aber nicht für einen schnellen Aufmarsch ausgebaut
worden.
Erst nach den großen Erfolgen der Brussilow-Offensive hatten die
Abwehrmaßnahmen Österreich-Ungarns (karge Neuaufstellungen
und Eisenbahnneubauten) begonnen. Jetzt erst war Feldmarschall
v. Mackensen von der Aufgabe unterrichtet worden, die ihm gegen
Rumänien zufallen sollte, und mit Bulgarien und der Türkei der
Vertrag abgeschlossen, der sie zur Teilnahme am Kampf gegen Rumänien
verpflichtete.
An ein Vorgehen Rumäniens gegen Bulgarien glaubten die Heeresleitungen
zwar nicht. Immerhin konnte es von der Dobrudscha aus durch einen Angriff das
geplante Vorgehen Mackensens über die Donau verhindern. Nur dieses
Vorgehen war durch Bereitlegen des schweren österreichischen
Donau-Brückentrains in Gegend Sistowa vorbereitet worden. Zur
Sicherung der rechten Flanke seines Vormarsches sollte Mackensen deshalb
vorher in die Dobrudscha eindringen und sie an der schmalsten Stelle abriegeln:
eine deutsche, vier bulgarische und zwei türkische Divisionen konnte er
dazu vereinigen.
An der siebenbürgischen Grenze standen zunächst nur etwas
Landsturm, Etappentruppen, Bergwerks- und Forstbataillone,
Gendarmen- und Finanzwachen - Truppen ohne irgendwelche Kampfkraft.
Feldmarschall v. Hindenburgs harte Kritik ist also durchaus berechtigt:
"Die rumänische Kriegserklärung am 27. August traf uns dem neuen
Feinde gegenüber in nahezu völlig wehrloser Lage." Und die Entente
konnte hoffen, daß die fünfzehn frischen rumänischen
Divisionen mit ihren
300 000 - 400 000 Mann endlich den entscheidenden
Sieg herbeiführen müßten. Sie durfte das um so sicherer, weil
gerade jetzt der Mißerfolg gegen die
Saloniki-Armee die Kampflust der Bulgaren außerordentlich
gedämpft und sie um ihre Rückensicherung besorgt gemacht
hatte.
Diese ungeheure Beanspruchung der Kräfte lähmte die Oberste
Heeresleitung in ihren Entschlüssen. Sie mußte es hinnehmen,
daß die Entente gleichzeitig mit den Rumänen auf allen Fronten
angreifen würde.
Rumänien2 hatte nicht gezögert, die
Verhältnisse jenseits der Grenze
aus- [4] zunutzen: am gleichen
Tage, an dem Hindenburg und Ludendorff die Oberste Heeresleitung
übernahmen, besetzten sie Kronstadt, Petroseny und Orsova; Hermannstadt
schien auf das schwerste bedroht; alle Gebirgspässe waren ohne Kampf in
ihre Hände gefallen. Führten sie den Vormarsch rücksichtslos
durch, so öffneten sie den Russen die Karpathenpässe. Damit brach
der rechte Flügel der ganzen Ostfront zusammen. Der Krieg wäre zu
Ende gegangen, ohne daß die neuen Führer es hätten
verhindern können.
Die Rumänen aber waren der Lage nicht gewachsen. Der Vormarsch ihrer
Kolonnen ging langsam vor sich; die Russen verbluteten erfolglos in ihren
frontalen Stürmen gegen die Karpathenpässe. So gewann die Oberste
Heeresleitung Zeit zu Gegenmaßregeln.
Trotz dieser ersten Entlastung blieb der Komplex der Gesamtkriegführung
außerordentlich schwer. Nur ein peinlichstes Abwägen der Lage schuf
den neuen Führern die Möglichkeit, die gegen Rumänien
notwendigen Kräfte zu gewinnen; und selbst bei äußerster
Sparsamkeit war der Entschluß, die geringen Reserven von den
kämpfenden Fronten fortzuziehen, eine schwerste Belastung für die
Armeeführer und die furchtbar leidende Truppe.
Da an keiner Frontstelle eine Erleichterung der Lage erkennbar war, mußten
die Verbände von Ost und West genommen werden. Das bedeutete
Verzicht auf jede Offensivtätigkeit. - Vor Verdun und an der Somme
beschränkten sich deshalb alle Entschlüsse auf die Erwägung,
mit welchem Mindestbedarf die Oberste Heeresleitung glaubte, die feindlichen
Angriffe abweisen zu können. Nur absolutes Vertrauen auf deutsche
Soldatenmoral konnte das Fortziehen einiger weniger Divisionen rechtfertigen;
selbst diese Schwächung sollte schwere Krisen
zeitigen. - Noch schlimmer stand es um die Ostfront, deren Südteil
die unter Erzherzog Karl stehenden
österreichisch-ungarischen Divisionen nur durch die dauernd sich
wiederholende Hilfe deutscher Divisionen halten konnten. Aber jetzt
mußten auch an anderen Stellen energische Offensiven erwartet werden;
dennoch mußte auch die dünn besetzte deutsche Ostfront Divisionen
für Rumänien herausziehen.
Die Versammlung der Angriffstruppen erforderte Zeit. Der auch von Hindenburg
und Ludendorff festgehaltene Plan, die rumänische Gefahr im
rücksichtslosen Gegenangriff zu beseitigen, war nur möglich durch
das Zusammenwirken der in Siebenbürgen und in Nordbulgarien
bereitzustellenden Kräfte. Die k. u. k. Heeresleitung
wünschte aus begreiflichen Gründen den sofortigen Vormarsch
über die Donau auf Bukarest; doch war er aus operativen Gründen,
aber auch wegen Fehlens der technischen Hilfsmittel, nicht sofort
durchführbar.
Feldmarschall v. Mackensen erhielt den bisher allgemeiner gefaßten Befehl
nun in der präzisen Fassung, daß er vorläufig vom
Donau-Übergang Abstand zu nehmen, aber, unter Sicherung der
Donaulinie, durch Einbruch in die Dobrudscha feindliche Kräfte auf sich zu
ziehen und zu schlagen
habe. - Damit [5] war die Entscheidung
auch seitens der Verbündeten eingeleitet. Die nächsten Anordnungen
galten dem Antransport und Aufmarsch der Kräfte nördlich der
Transilvanischen Alpen. Auf Vorschlag des Feldmarschalls v. Hindenburg
erhielt General v. Falkenhayn
den Oberbefehl über die dort zu versammelnde 9. Armee.
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