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Warschau unter deutscher Herrschaft.
Deutsche Aufbauarbeit im Distrikt Warschau.

[271]
Deutsches Kulturleben in Warschau

1. Die Arbeit der deutschen Propaganda

Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Warschau rückten auch Männer des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda in die neu eroberten Gebiete ein, deren Aufgabe es war, den deutschen Soldaten zu betreuen und darüber hinaus der Bevölkerung die politischen und militärischen Ereignisse durch Presse, Lautsprecherwagen und Plakate bekanntzugeben.

Nach Errichtung des Generalgouvernements bildeten diese Männer, die bisher als Außenposten des Reichspropagandaamtes für die besetzten polnischen Gebiete in Litzmannstadt gewirkt hatten, die Abteilung für Volksaufklärung und Propaganda beim Distriktschef in Warschau. Ihr oblagen alle Aufgaben, die im Raum des Großdeutschen Reiches das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zu bewältigen hat. Während sich aber die Propagandaarbeit im Reich an Menschen gleichen Blutes wendet, liegen die Verhältnisse im Generalgouvernement infolge der volkstumsmässigen Struktur des Gebietes völlig anders. Hier wendet sich die Propaganda nicht nur an deutsche Menschen, sondern sie hat auch auf Polen, Russen, Ukrainer und sogar Juden ihre Wirkung auszuüben, wobei auf die verschiedenartige Mentalität der einzelnen Volksgruppen Rücksicht genommen werden muss.

Der 9. November in Warschau
[294] Der 9. November in Warschau.
Besonders schwierig gestaltete sich die Arbeit der Propaganda im Distrikt Warschau mit seiner Millionenstadt Warschau. Warschau war als frühere polnische Hauptstadt die Hochburg des Polentums gewesen, in der alle politischen und kulturellen Führungsmittel konzentriert waren. Außerdem hatten die Juden, die ein Drittel der gesamten Einwohnerzahl Warschaus ausmachten, einen sehr starken Einfluss auf das geistige, kulturelle und politische Leben ausgeübt, so dass die öffentliche Meinung durch diese jahrelange jüdische Beeinflussung außerordentlich vergiftet worden war. Es war daher selbstverständlich, dass im Interesse der Verhinderung einer weiteren Verhetzung der polnischen Bevölkerung gegenüber dem Deutschtum [272] alle deutschfeindlichen Druck-Erzeugnisse ausgesondert werden mussten, genau wie alle Neuerscheinungen vorher überprüft werden mussten.

Darüber hinaus galt es, das kulturelle Leben der Polen weitgehend zu überwachen.

Vor dem Kriege hat es in Warschau 10 grosse Theater, 1 Oper, 4 Operetten und andere Schaubühnen gegeben. Alle diese Theater waren durch Kriegseinwirkungen zerstört. Die Menschen, die dort tätig gewesen waren, strebten naturgemäss danach, ihre alte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Dies konnte selbstverständlich nicht ohne Nachprüfung geschehen, da gerade von der Bühne herab oft genug die gehässigste deutschfeindliche Propaganda getrieben worden war.

Die Abteilung Propaganda hat diese schwierige Aufgabe mit der grössten Sorgfalt durchgeführt. Die brotlosen Künstler, bei deren Überprüfung sich nichts Nachteiliges ergab, wurden sehr schnell einer ihrem Können entsprechenden Tätigkeit zu geführt. Sie erhielten Erlaubniskarten zur Ausübung des Berufes als Sänger, Schauspieler, Buchhändler usw.

Mit Rücksicht auf die Verhetzung der Bevölkerung war es weiter notwendig, die Programme in den wieder zugelassenen Unterhaltungsstätten zu beaufsichtigen und sie von Erzeugnissen jüdisch-marxistischer Mentalität zu säubern.

Besondere Sorgfalt wurde der aktiven Propaganda gewidmet. Bereits im Herbst 1939 waren die politischen und militärischen Ereignisse der polnischen Bevölkerung durch Lautsprecherwagen bekanntgegeben worden. Im Lauf der Zeit wurden stationäre Lautsprecheranlagen in Warschau und in den Städten des Distrikts geschaffen. Ausserdem wurde nach und nach eine Anzahl Kinos für die polnische Bevölkerung wieder in Betrieb genommen.

Für die Aufklärung der Gesamtbevölkerung kam es zu verschiedenen Großaktionen, unter denen die "Anti-Fleckfieber-Aktion", die "Antijudenaktion" und die "V-Aktion" erwähnt seien, die sämtlich das Ziel hatten, die Bevölkerung über die wichtigsten Dinge zu unterrichten. Aus verständlichen Gründen kann zur Zeit im einzelnen hierüber nichts Näheres gesagt werden, ebenso wie die sehr interessanten Beobachtungen, die bei der Durchführung derartiger Aktionen hinsichtlich der geistigen Einstellung weiter Teile der polnischen Bevölkerung gemacht worden sind, erst in einer späteren Zeit der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden können.

Eine weitere Hauptaufgabe der deutschen Propaganda war es, sich der politischen Betreuung der deutschen Bevölkerung zu widmen.

[273] Die Versuchungen, die das Warschauer Milieu für viele Deutsche darstellt, dürfen nicht unterschätzt werden. Der eigenartige Reiz des polnischen Kaffeehauslebens hat auf zahlreiche Deutsche Eindruck gemacht. Um die Gefahren zu beseitigen, die insoweit den in Warschau lebenden Deutschen drohten, mussten Möglichkeiten für eine anderweitige Zerstreuung und Unterhaltung und für kulturelle Darbietungen von höherem Wert geschaffen werden. In gleicher Weise war es aber auch wichtig, die hier lebenden Volksdeutschen, die bisher in weltanschaulicher Hinsicht durch die rein polnische Umgebung oftmals dem deutschen Volkstum entfremdet worden waren, politisch zu schulen und zu nationalsozialistischem Denken zu erziehen.

Es ist selbstverständlich, daß die Arbeit der Partei hierbei im Vordergrund stand, wie überhaupt alle Massnahmen von Anfang an in Warschau parteimässig ausgerichtet waren.

Den ersten sichtbaren Ausdruck einer wirklichen nationalsozialistischen Gemeinschaft bildete die deutsche Volksweihnachtsfeier 1939, die in dem nunmehr bereits traditionellen Versammlungsraum, dem "Haus Roma", veranstaltet wurde. Ende Januar 1940 fand dann die erste Großkundgebung des Generalgouvernements statt, auf der der frühere Gauleiter von Wien,
Feierstunde im Hof des Palais Brühl
[294] Feierstunde im Hof des Palais Brühl.
Abteilungspräsident Frauenfeld, sprach. Der gewaltige Andrang zu dieser Großkundgebung, bei der nur ein Teil der herbeigeströmten Deutschen und Volksdeutschen in den Versammlungsraum hineingelangen konnten, zeigte, wie wichtig es war, namhafte Männer des Reiches im Generalgouvernement sprechen zu lassen. In einer großen Versammlungswelle wurden darauf die hier lebenden Deutschen immer wieder neu erfasst und ausgerichtet. Einer der Höhepunkte war die Feierstunde des Reichsarbeitsdienstes am 31. 8. 1940, zu der über 20 000 deutsche Menschen aus dem gesamten Distrikt in Warschau zusammengeströmt
Einweihung des Adolf-Hitler-Platzes durch Gouverneur Dr. Fischer
[293] Einweihung des Adolf-Hitler-Platzes durch Gouverneur Dr. Fischer.
waren. Die vom Reichsarbeitsdienst wirkungsvoll durchgeführte Feier war für die meisten der hier lebenden Volksdeutschen das erste Erlebnis einer Großkundgebung im nationalsozialistischen Stil. Auch die Umbenennung des größten Platzes der Stadt Warschau in "Adolf-Hitler-Platz" am 1. 9. 1940 und die Wiederholung der Führerparade am 5. 10. 1940, wobei die Paradestraße in "Siegesstrasse" umbenannt wurde, sind Staatsakte gewesen, die auf die Öffentlichkeit einen tiefen Eindruck gemacht haben.

Neben dieser politischen Betreuung galt es, die hier lebenden Deutschen geistig anzuregen und zu unterhalten.

NS-Reichssinfonie-Orchester
NS-Reichssinfonie-Orchester.
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Die Dresdner Philharmoniker in Warschau.
Die Dresdner Philharmoniker in Warschau.
[274-277=Fotos] [278] Die Schaffung eines deutschen Theaters stand dabei im Mittelpunkt aller Bestrebungen. Daß diese ausserordentlich schwierige Aufgabe gelöst worden ist, ist ein stolzer Erfolg des kulturellen Schaffens in Warschau, über den ein besonderes Kapitel dieses Buches Aufschluss gibt.

Die geistige Betreuung der in Warschau lebenden Deutschen erfolgte weiter durch die Verpflichtung namhafter deutscher Künstler. Namen wie Heinrich George, Wilhelm Kempff, Elli Ney, Harald Kreuzberg, Ilse Meudtner, Margarete Teschemacher, Hilde Hildebrandt, Hans Wocke, Hans Friedrich Blunck zeugen davon, daß in ganz kurzer Zeit in Warschau auf geistig-künstlerischem Gebiet Hochleistungen geboten worden sind, wie sie auch im Reich nicht alltäglich sind. Bedeutende Klangkörper, wie das Kölner Kammerorchester,
Prof.-Wilhelm-Kempff-Abend
[277] Prof.-Wilhelm-Kempff-Abend.
das NS-Sinfonieorchester, das Gewandhaus-Quartett, die Dresdener Philharmonie und das Philharmonische Orchester des Generalgouvernements, haben den vielen Kunstfreunden, die in Warschau leben, wertvolle Stunden der Bereicherung geschenkt.

Einen besonderen Höhepunkt im kulturellen Leben der Stadt Warschau stellen die "Warschauer Kulturtage" dar, die alljährlich im September stattfinden und weit über die Grenzen des Distrikts Warschau hinaus Anklang gefunden haben. Bereits bei den ersten Kulturtagen im Jahre 1940 gastierte das Berliner Schiller-Theater mit Heinrich George, wobei "Der Richter von Zalamea" aufgeführt wurde. Eine bedeutende Ausstellung "Deutsche Leistung im Weichselraum", zwei Konzerte der Philharmonie des Generalgouvernements, ein Dichterabend mit Karl Heinrich Waggerl und mehrere Veranstaltungen des Reichssenders Breslau zeigen, welchen Umfang und welchen reichen Inhalt diese Kulturtage gehabt haben.

Im Jahre 1941 standen diese Kulturtage wiederum auf einer sehr beachtlichen Höhe. Die Festaufführung des "Reiter" von Zerkaulen, ein Kammermusikabend mit dem Leipziger Gewandhaus-Quartett, ein Rezitationsabend mit Heinrich George und eine Dichterlesung mit E. Wittek waren Höhepunkte dieser Kulturtage. Als besonderes Geschenk des Reichsministers für Volksaufklärung und
Schlosskonzert in Wilanow
[275] Schlosskonzert in Wilanow.
Propaganda weilte an diesen Tagen Ministerialdirigent Hans Hinkel mit seiner "Berliner Künstlerfahrt" in Warschau, der die bekanntesten Bühnen-, Film- und Rundfunkkünstler angehören.

Im Jahre 1942 sind dann erstmalig die "Schlosskonzerte in Wilanow" durchgeführt worden, die zu einer dauernden Tradition werden sollen. An 6 Sommerabenden fanden in dem schönen Vorhof des [279] herrlichen Barockschlosses Ballett- und Konzertabende statt, die jedesmal Tausende
Ballettabend in Wilanow
[276] Ballettabend in Wilanow.
von Reichs- und Volksdeutschen anlockten. Diese stilvoll durchgeführten Veranstaltungen sind bereits im ersten Jahr ihres Bestehens eine überaus wertvolle Bereicherung des deutschen kulturellen Lebens in Warschau geworden.

Diese kulturellen Veranstaltungen haben eine weitgehende Unterstützung durch den "Deutschen Kulturring Warschau" erfahren, der im Jahre 1942 gegründet worden ist. Der Deutsche Kulturring ist eine Gemeinschaft zur Förderung des deutschen kulturellen Lebens und zur Erhaltung deutscher Kulturdenkmäler im Distrikt Warschau. In Förderung staatlicher Massnahmen will er vorhandene kulturelle Einrichtungen, wie z. B. den deutschen Volkschor und das Sinfonie-Orchester der Stadt Warschau, finanziell unterstützen. Ebenso will er Sonderveranstaltungen durch finanzielle Beihilfen ermöglichen, die der Aufrechterhaltung der engen Verbindung mit dem kulturellen Schaffen des Reiches dienen, wobei an Dichtervorlesungen, an Gastspiele von Reichsbühnen, an Ausstellungen und ähnliches gedacht ist. Endlich will er auch die Schöpfungen deutscher Baumeister und Handwerker, deutscher Maler, Dichter und Schriftsteller durch Sammlung, Beschreibung in Wort und Bild und, soweit erforderlich, durch bauliche Erhaltung als deutsches Volksgut sichern und pflegen.

Der Aufforderung des Gouverneurs, dem Deutschen Kulturring beizutreten, haben zahlreiche Deutsche sofort Folge geleistet. Dank der grossen finanziellen Spenden war es bereits möglich, für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen die finanzielle Rückendeckung zu schaffen.

Die Arbeit der Propaganda hat auch dem deutschen Schrifttum ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So wurde bereits 1941 in Warschau eine Buchausstellung unter dem Motto "Buch und Schwert" durchgeführt, die mit einer Dokumentenschau über das Deutschtum Warschaus verbunden war. Diese Ausstellung war um so bedeutungsvoller, als außer einer kleinen Bücherei im "Deutschen Klub" und im "Verein deutscher Hochschüler" in Warschau keine großen deutschen Büchereien
Deutsche Buchhandlung in Warschau
[277] Deutsche Buchhandlung in Warschau.
und auch keine deutschen Buchhandlungen vorhanden gewesen waren. Die Alfred-Rosenberg-Buchspende wurde der Grundstock für eine Reihe von städtischen Büchereien in der Stadt und im Distrikt Warschau. Sie gab ferner die Möglichkeit, die Wehrmacht mit erheblichen Bücherspenden zu bedenken. Private Initiative kam diesem Bestreben zu Hilfe, als es galt, eine [280] deutsche Buchhandlung entstehen zu lassen, die durch ihre hervorragende Lage in der Krakauer Strasse gegenüber dem "Deutschen Haus" schon rein äußerlich eine Repräsentation deutschen Kulturwillens darstellt.

Die Abteilung Propaganda ist auch ihrerseits mit der Herausgabe eigener Schriften hervorgetreten, unter denen die "Warschauer Kulturblätter" und der "Führer durch Warschau" von Dr. Grundmann hervorzuheben sind.

Dem Film wurde bei der kulturellen Betreuung der Deutschen eine seiner Bedeutung entsprechende Rolle zugewiesen. Das schönste Lichtspieltheater der Stadt, das auf den Namen "Helgoland" umgetauft wurde, konnte als erstes Lichtspielhaus bereits im Dezember 1939 für Deutsche eröffnet werden. Nach kurzer Zeit wurden zwei weitere Lichtspielhäuser ausschliesslich für Deutsche in Betrieb genommen, in denen die besten deutschen Spitzenfilme bereits kurze Zeit nach der Uraufführung gezeigt werden. Daneben hat die filmische Betreuung der Wehrmacht in den Wintermonaten eine beachtliche Rolle gespielt. Trotz ungünstiger Witterung und denkbar schlechter Wegeverhältnisse sind die Filmwagen der Propaganda zu den entfernt liegenden Truppenunterkünften vorgestossen und haben dort viel Freude und Anregung gebracht.

Überhaupt ist die Truppenbetreuung eine der vordringlichsten Aufgaben gewesen. Tausende von wertvollsten Büchern sind der Wehrmacht zur Verfügung gestellt worden, wie auch große Sonderveranstaltungen im Rahmen der Wehrmachtbetreuung aufgezogen worden sind. Ein Fußballspiel von Schalke 04, das von über 20 000 Soldaten besucht worden war, und eine große Boxveranstaltung erster deutscher Berufsboxer in Anwesenheit von Max Schmeling seien hier ebenso erwähnt wie das erste großdeutsche Schachturnier im Generalgouvernement, an dem sich Weltmeister Aljechin und der ehemalige deutsche Meister Bogoljubow neben anderen führenden Schachmeistern beteiligten.

Der Betreuung der Verwundeten galt erst recht die besondere Aufmerksamkeit. Bei allen kulturellen Veranstaltungen sind stets eine grössere Anzahl Verwundeter als Gäste begrüßt worden.

Diese weitgehende Betreuung der hier lebenden Deutschen liegt völlig auf der Linie unserer Gesamtpolitik, die dem deutschen Osten eine andere Bedeutung beimisst, als es früher der Fall gewesen ist. In früherer Zeit ist eine Versetzung in den Osten oftmals als eine Strafe empfunden worden, da bei dem Begriff "Osten" unwillkürlich [281] der Begriff der Kulturlosigkeit auftauchte, weil eine falsche Propaganda dem Osten des Reiches angedichtet hatte, dass er weniger Kultur als der Westen aufweise.

Diese Auffassung muss endgültig ausgeräumt werden. Sie wird auch in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören; denn die vielen Möglichkeiten zur kulturellen Betätigung und zum Genuss kultureller Güter, die hier im Osten geschaffen worden sind, werden diese früher weit verbreitete Auffassung bald Lügen strafen.


 
2. Deutsches Theaterleben in Warschau

Wer die Warschauer Theatergeschichte kennt, weiss, dass seit jeher in Polen viel deutsches Theater gespielt worden ist. Im Palais Radziwill, dem jetzigen "Deutschen Haus", erlebten schon ausgangs des 18. Jahrhunderts Lessings Schauspiele, wie "Emilia Galotti" und "Minna von Barnhelm", ihre Aufführung und auch Namen wie Goethe und Schiller leuchten mehr als einmal in der Warschauer Theatergeschichte auf.

In der polnischen Republik, die durch Versailles entstanden war, hat allerdings das deutsche Theater nicht mehr die Bedeutung wie früher gehabt; denn Polen schaute in der Hauptsache nach Paris, das nun einmal den modernen Polen als höchste Offenbarung vor Augen stand. So kam es, daß in den etwa 20 Jahren des Bestehens der polnischen Republik ein deutsches Theaterleben in Warschau, von Liebhaberkreisen abgesehen, überhaupt nicht mehr bestanden hat.

Es war daher sehr schwer, auf diesem Gebiet etwas Neues zu schaffen, da an eine bestehende Tradition nicht unmittelbar angeknüpft werden konnte. Und doch entwickelte sich in Warschau wie im ganzen Generalgouvernement sehr schnell ein deutsches Theaterleben, das unmittelbar nach Beendigung der kriegerischen Ereignisse der Thespiskarren der Frontbühnen den Tanks und Kanonen auf dem Fusse gefolgt war.

Die Frontbühnen Dreher, Oberland, Pleß u. a. sind noch jedem deutschen Soldaten, der damals hier in Polen stand, ein Begriff, und jeder denkt dankbar an diese Frontbühnen zurück, weil sie die ersten Kulturbringer waren, die dem deutschen Soldaten in einer fremden Umgebung die Worte der Heimat brachten und ihm dadurch Freude und Entspannung bereiteten.

[282-285=Fotos] [286] Aber bei diesen Theatervorführungen handelte es sich nur um seltene Gelegenheiten. Das Ziel war, endgültig ein deutsches Theater zu schaffen, um eine dauernde Kulturstätte zu haben, auf der Abend für Abend das deutsche Geistesleben zu Wort kommen sollte.

Die Männer, die in dieser Hinsicht für das Generalgouvernement bahnbrechend gewirkt haben, waren der demalige Leiter der Abteilung Propaganda im Amt des Distrikts Warschau, der spätere Präsident der Hauptabteilung Propaganda in der Regierung des Generalgouvernements, Oberregierungsrat Ohlenbusch, und Erich Claudius, der leider so früh
Sommerspiele 1940 auf der Freilichtbühne 
im Lazienki-Park
Sommerspiele 1940
auf der Freilichtbühne im Lazienki-Park.
(Bühnenaufbau für "Das laute Geheimnis".)

[285]
Szenenbild aus Goethes "Iphigenie auf Tauris".
Szenenbild aus Goethes 'Iphigenie auf Tauris'
verstorbene Theater- und Musikreferent in der Abteilung Propaganda des Distrikts Warschau. Sie sind diejenigen gewesen, die im Generalgouvernement das erste deutsche Theater geschaffen haben: die Sommerspiele im Belvederepark zu Warschau.

Nicht weit vom Schloss Lazienki, einem der schönsten Gebäude Warschaus, hatten sich einstmals polnische Könige von deutschen Baumeistern nach dem Muster des antiken Theaters von Herkulaneum eine Freilichtbühne erbaut. Diese alte Theaterbühne im Belvederepark wurde neu belebt. Deutsche Schauspieler sprachen hier mitten in der einstigen Hauptstadt der früheren Republik Polen Abend für Abend zu Deutschen die ewigen Verse von Goethes "Iphigenie", sie spielten Calderons "Lautes Geheimnis" und Tirso de Molinas "Don Gil von den grünen Hosen" und erfreuten damit Tausende von Zuschauern, die an den schönen Sommerabenden den märchenhaften Zauber einer Theateraufführung im Belvederepark erleben konnten.

Theater der Stadt Warschau
[282] Theater der Stadt Warschau.

Innenraum des Theaters der Stadt Warschau
[283] Innenraum des Theaters der Stadt Warschau.

Szene aus 'Richter von Zalamea' mit Heinrich George
[284] Szene aus "Richter von Zalamea"
mit Heinrich George.
Diese "Sommerspiele" liessen erst recht den Wunsch aufkommen, ein ständiges Theater in Warschau zu errichten, und auch dieser Plan ging bald in Erfüllung: Bereits am 6. Oktober 1940 konnte, nachdem kurz vorher schon in Krakau das "Staatstheater des Generalgouvernements" ins Leben gerufen worden war, das "Theater der Stadt Warschau" eröffnet werden.

Das neue Theater, das durch einen Umbau des früheren durch den Krieg nicht allzu sehr beschädigten "Teatr Polski" entstanden war, wurde in Gegenwart des Generalgouverneurs mit der Aufführung von Friedrich Hebbels "Agnes Bernauer" eingeweiht. Noch im gleichen Monat gastierte Heinrich George mit dem Ensemble des Schiller-Theaters der Reichshauptstadt, der den "Richter von Zalamea" in einer künstlerisch hochstehenden Inszenierung den Deutschen bescherte.

Weiter fand kurz danach die Eröffnungsfeier des erste Philharmonischen Konzertes unter der Leitung von Dr. Hans Rohr statt, bei [287] der Werke von Bach, Beethoven und Brahms und andere unsterbliche Werke unserer grossen Meister einer dankbaren Zuhörerschaft vermittelt wurden.

Das Gastspiel der Königlichen Oper Viktorio Emanuele in Florenz, das die Oper Comorosas "Die heimliche Ehe" in einer glanzvollen Aufführung darbot, darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.

Nach diesen Gastspielen begann dann die eigentliche Arbeit des Theaters der Stadt Warschau mit einem eigenen Spielkörper.

In der Spielzeit 1940/41 sind im ganzen 187 deutsche Vorstellungen vor einem deutschen Publikum gespielt worden. Unter den aufgeführten Stücken seien erwähnt:

    "Ein ganzer Kerl", Komödie von Fritz Peter Buch,
    "Der Vetter aus Dingsda", Operette von Ed. Künnecke,
    "Die Fledermaus", Operette von Johann Strauß,
    "Das Hahnenei", Lustspiel von Hans Fritz,
    "Donna Diana", Lustspiel von Don Augustin Moreta,
    "Drei alte Schachteln", Operette von Walter Kollo,
    "Kleine Parfümerie", Lustspiel von Leo Lenz,
    "Die Primanerin", Lustspiel von Siegmunt Graff,
    "Die lustige Witwe", Operette von Franz Lehar,
    "Die Frau ohne Kuss", Lustspiel mit Musik von Walter Kollo,
    "Marguerite: 3", Lustspiel von Fritz Schwifert.

Bühnenbild zur 'Fledermaus'
[283] Bühnenbild zur "Fledermaus".

Szenenbild aus 'Egmont'
[284] Szenenbild aus "Egmont".
Aus dieser Aufstellung geht hervor, daß im allgemeinen Operetten und leichte Unterhaltungsstücke den Hauptteil des Repertoires darstellen, wie es in der Natur der Sache liegt. Aber die vorerwähnte richtunggebende Agnes-Bernauer-Aufführung des Staatstheaters bei der feierlichen Eröffnung hatte bereits die Verpflichtung enthalten, auch klassischen Stücken Raum zu geben. So ist auch in der Spielzeit 1941/42 mit Goethes "Egmont" der Anfang gemacht worden. Ferner kam es in dieser Spielzeit zur Aufführung des Zerkaulen Stücks "Der Reiter", des Schauspiels "Die Fahne" von O. E. Groh und zur Inszenierung von Dauthendeys "Spielereien einer Kaiserin". Diese ernsten Stücke zeigen, dass das Theater der Stadt Warschau bemüht ist, sein Niveau zu erhöhen. Deshalb sind auch für die Zukunft weitere klassische Stücke vorgesehen.

Das "Theater der Stadt Warschau" spielt übrigens nicht nur für Deutsche, an einigen Tagen der Woche gibt es ausgesprochen polnische Vorstellungen, in denen polnische Künstler vor polnischem Publikum Theater spielen.

[288] Die Arbeit des "Theaters der Stadt Warschau" bereits jetzt abschliessend zu würdigen, wäre verfrüht; denn es ist - unter der Leitung des Intendanten Franz Nelkel - erst im Aufbau begriffen. Es können daher an seine Aufführungen selbstverständlich noch nicht die Anforderungen gestellt werden, die ein verwöhntes Theaterpublikum an die Vorstellungen der großen Theater in Berlin und München oder anderer deutscher Theaterstädte zu stellen pflegt. Es wäre auch ungerecht, hier den gleichen Maßstab anzulegen.

Aber eins muß jeder bewundernd anerkennen: Die Tatsache, dass hier mitten in dem größten Krieg unseres Jahrhunderts überhaupt ein deutsches Theater entstanden ist, auf dem fast allabendlich einem dankbaren deutschen Publikum auch während des Krieges die kulturellen Güter der Heimat vermittelt werden.

Das alte Wort, dass während des Krieges die Musen schweigen, gilt im heutigen Deutschland nicht mehr. Warschau und das ganze Generalgouvernement mit seinem neu erstehenden deutschen Theaterleben sind hierfür der beste Beweis.


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