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Viertes Kapitel
Togo • Aufruhr gegen die französische Mandatsregierung • Ausflug ins Innere Togos • Wann endlich kommen die Deutschen wieder?

Schön brav brachte mich der wackere Handelsdampfer trotz aller gegenteiligen Befürchtungen doch noch von Assinie fort und setzte mich in Togo ab. Wenn ich gealtert oder mit grauen Haaren von Afrika zurückkommen sollte, so ist zu einem guten Teil Assinie daran schuld. Aber ich bin immerhin noch froh, über all dem Warten nicht zur Greisin geworden zu sein. Auch im Dampfer kochte die Ungeduld über die Löschung von nur einer halben Tonne Ware täglich und deren schließliche Entleerung ins Meer, und eines schönen Tages hob das Schiff seine Anker hoch und brauste mit Volldampf, empört und mit ungelöschter Ladung, der Goldküste entlang nach Lome.

Da war ich nun in Togo, in jener kleinen deutschen Musterkolonie, die sich als erste bereits vor dem Kriege rentierte und keines Zuschusses des Mutterlandes mehr bedurfte. Am 5. Juli 1884 wurde Togo durch den Afrikaforscher Dr. Nachtigal unter deutschen Schutz gestellt und die deutsche Flagge dort gehißt. In dreißigjähriger, angestrengtester Arbeit haben nun deutsche Pioniere das Land derart aufgebaut, daß es den Stand der viel älteren angrenzenden französischen und englischen Kolonien nicht nur erreichte, sondern sogar überholte. Mit Hochdruck wurde an der Erschließung des Landes gearbeitet, in vielen schwierigen Expeditionen das Innere erforscht, Straßen- und zwei Eisenbahnlinien in das Hinterland gebaut und Kokos-, Öl- und andere Plantagen angelegt. Missions- und Regierungsschulen sorgten für Heranbildung der nötigen schwarzen Hilfskräfte für die Verwaltung, und Ackerbauschulen machten aus den schwarzen Söhnen des Landes im Lendenschurz tüchtige Landwirte.

1914 war Togo mit seiner schönen Hauptstadt Lome eine blühende und noch weiter aufstrebende Kolonie, die zu den besten Hoffnungen berechtigte. Da brach auch über sie wie über ganz Deutschland der Krieg vollkommen unerwartet und verhängnisvoll herein. Durch die große Funkstation in Kamina, die direkte Verbindung mit Nauen hatte, kamen die ersten Nachrichten vom Ausbruch des Krieges. Man wußte nicht, wie sich die feindlichen Mächte zu den Kolonien stellen würden. Würden sie diese, gemäß der Verträge im Kongoabkommen, nicht mit in den Krieg hineinziehen? Auf jeden Fall vertraute das Kolonialamt auf die Verträge [53] und gab nach Togo keinerlei Anweisungen außer einem kurzen Telegramm: Beruhigt Ansiedler und schützt Kamina!

Aber die Feindmächte kehrten sich nicht an das Kongoabkommen. Am 6. August wurde dem stellvertretenden Gouverneur, Major v. Doering, von England das Ultimatum gestellt, Togo innerhalb 24 Stunden zu übergeben. Er beschloß, Lome zu räumen und sich mit den wehrpflichtigen Deutschen, etwa 100 Mann, und der schwarzen Polizeitruppe, 350 Mann (Militär gab es in Togo nicht), nach Kamina zurückzuziehen. Der Krieg in Togo dauerte nicht lange. Die vereinigten Engländer (von der Goldküste) und Franzosen (von Dahomey), in vielfacher Überzahl, lieferten den Deutschen ein Gefecht bei Agbeluohoe, in dem Hauptmann Pfähler fiel. Am 22. August fand ein Gefecht bei Chra statt, das sehr verlustreich für die Gegner endete. Auf

Drei große Betonsockel und einige Eisenschienen sind die letzten
Überreste der Funkstation.
[64b]      Drei große Betonsockel und einige Eisenschienen sind die letzten Überreste der Funkstation, dieses einstigen direkten Sprachrohrs Togos mit dem deutschen Mutterlande.
deutscher Seite fiel am Maschinengewehr Herr Klempp. Aber alle Tapferkeit konnte den Deutschen der ungeheuren Übermacht gegenüber nichts nützen. Sie wurden bei Kamina eingeschlossen und mußten sich am 27. August 1914 ergeben. Die Funkstation hatten sie vorher zerstört. Drei große Betonsockel und einige Eisenschienen sind die letzten Überreste dieses einstigen direkten Sprachrohres Togos mit dem Mutterlande. Dicht daneben ist das Grab des bei Chra gefallenen Deutschen Klempp. Es ist von einer Betonplatte überdeckt und wirkt, wenn auch rund herum von Gras überwuchert und keineswegs gepflegt, immerhin noch sauber und pietätvoll im Gegensatz zu Hauptmann Pfählers Grab am Bahnhof in Agbeluohoe. So viel ich erfuhr, ist es Pflicht der Franzosen für die Gräber zu sorgen. Aber es geschieht wenig oder gar nichts für die deutschen Kriegergräber, während in Chra ein schönes, gepflegtes Grab für die schwarzen Gefallenen der Alliierten sich befindet.

Bis 1920 blieb das überrumpelte Togo unter englischer Verwaltung, um im Oktober desselben Jahres zum größten Teil Frankreich unterstellt zu werden. Aber die treuen und anhänglichen Eingeborenen, mit denen die Deutschen nie in kriegerische Verwicklungen kamen, vor allem der intelligente Ewestamm, waren nicht zufrieden mit dem Wechsel der Herrschaft.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich unter französischer Verwaltung sehr verschlechtert. In Lome gab es bei ca. 8000 schwarzen Eingeborenen bald 3000 Arbeitslose. Trotzdem zogen die Franzosen, denen die treudeutsche Einstellung der Togoleute bekannt war, Hilfskräfte aus [54] ihrer Kolonie, aus Dahomey, heran. In Lome herrschte also infolge großer Arbeitslosigkeit und im Hinterland ob der dadurch bedingten geringen Absatzmöglichkeit der Landesprodukte große Not und großes Elend. Das hinderte aber die französische Verwaltung nicht, mit großer Strenge die Steuern einzutreiben und zahlungsunfähige Schwarze ins Gefängnis zu stecken. Dadurch und durch die Unmöglichkeit für viele Eingeborene, ihr Leben selbst bei den bescheidensten Ansprüchen zu fristen, hat bereits eine große Auswanderung von Togo nach Accra und der ganzen Goldküste eingesetzt. Und von Dahomey ziehen die Franzosen weitere Leute heran. Das ganze Bestreben läuft darauf hinaus, die deutsche Gesinnung mit allen möglichen Mitteln zu unterdrücken. Unnötig zu sagen, daß die Jugend, die neue Generation, in den Regierungs- und Missionsschulen in französischem Geiste erzogen wird.

Unter diesen Umständen ist es kaum verwunderlich, daß die friedfertigen Togoleute im Februar dieses Jahres, als die Kopfsteuer neuerdings von 40 auf 52 Franken hinaufgesetzt wurde, dagegen in Massen demonstrierten. Daraufhin wurden einige der Führer verhaftet. Nun erst setzte ein richtiger Aufruhr in Lome ein. Alle europäischen Läden wurden geplündert oder zumindest die Fensterläden dort eingeschlagen, und verschont blieb nur das einzige deutsche Geschäft. Diese für Deutschland so erfreuliche Tatsache bot den Franzosen Anlaß, den Aufruhr als bezahlte Propaganda von Deutschlands Seite hinzustellen und als Mittelspersonen insgeheim die einzigen zwei Deutschen, die noch in Lome sind, zu verdächtigen. Daß sie es nicht offen taten, beweist nicht nur ihre Unsicherheit, sondern ihr eigenes Schuldbewußtsein. Der Fall Togo ist für die "tüchtigen kolonisatorischen" Franzosen etwas beschämend, so daß man nach einem Sündenbock Ausschau halten mußte.

Nach der Plünderung der Läden zog die Menge, mit Stöcken bewehrt, zu dem Gouverneurgebäude mit der Forderung, die Gefangenen herauszugeben. Verwünschungen gegen die französische Verwaltung und die Rufe nach deutscher Herrschaft mögen dem Gouverneur nicht gerade angenehm in die Ohren geklungen haben. - Sie sind auch wirklich die schlagendsten Beweise für Deutschlands kolonisatorische "Unfähigkeit"!

Die Lage war brenzlig für den Gouverneur und da er auch nicht genügend Militär in Lome hatte, mußte er sich der Forderung der Demonstranten fügen und die Gefangenen herausgeben. Durch diesen Erfolg ermutigt, zog die Menge am nächsten Tag erneut vor das Gouvemements- [55] gebäude, um auch die Herabsetzung der Steuern zu erreichen. Dem Zwang folgend, wurde dem Volke auch dieses versprochen. Die Lage für die Weißen war bedenklich geworden. Die Schwarzen, aufgepeitscht in ihren Leidenschaften, ergingen sich in Drohungen gegen die Europäer. Deshalb wurden alle weißen Frauen ins Gouvernementsgebäude in Sicherheit gebracht, nur nicht die einzige Deutsche und eine Engländerin.

Schließlich traf militärische Verstärkung von Dahomey ein, als die Gemüter sich schon wieder beruhigt hatten. Einer der mitherbeigeeilten Soldaten, ein Senegalese, der scheinbar schon mit Begeisterung auf das Menschenmorden gewartet hatte und sich nun in seinen Hoffnungen betrogen sah, zog eines Tages mit seinem Gewehr aus und schoß in einem Vorort von Lome einfach wahllos auf Männer, Frauen und Kinder und tötete dreizehn oder vierzehn Menschen. Darüber entstand eine ungeheure Aufregung und Empörung, ein Telegramm wurde an den Völkerbund und ein Hilfeschrei nach Deutschland gerichtet.

Nun hatte die Regierung die Macht wieder fest in Händen, und sie ließ nun alle Führer der Demonstranten, alle bekannten deutschfreundlichen Einwohner, und vor allem auch die schwarzen Angestellten der deutschen Firma verhaften und insbesondere bei letzteren peinliche Haussuchung durchführen. Aber was sie so sehr ersehnt hatte, ein die Deutschen belastendes Material, fand sich nicht.

Die Verhafteten wurden zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt. Der Gouverneur nahm nun, unter reichlichem Schutz seiner Person, auch sein gegebenes Wort bezüglich der Steuerherabsetzung zurück, und die erhöhte Steuer wird mit drakonischen Maßnahmen eingetrieben.

Im Volke aber brennt und glimmt die Empörung und aus ihr heraus ertönt leise, oft aber auch laut, der Schrei nach der Rückkehr der Deutschen!

Wenig ist von diesen Vorfällen in der Welt bekanntgeworden. In begreiflicher Weise haben die Alliierten sich darüber ausgeschwiegen. Desto mehr Grund aber haben wir Deutsche, die Welt darauf aufmerksam zu machen, denn in allererster Linie sollen laut Versailler Vertrag die Interessen der Eingeborenen für die Wegnahme unserer Kolonien maßgebend gewesen sein. Wo die Interessen der Eingeborenen liegen: sie selbst haben es klipp und klar ausgesprochen in Togo: "Wir wollen die deutsche Herrschaft wieder haben." Sie haben es hundertfach ausgesprochen auch mir gegenüber, mit der immer wiederholten, sehnsüchtigen Frage: "Wann endlich kommen die guten Deutschen wieder?"

[56] Ich kam wider Erwarten ohne Schwierigkeiten in Togo an Land. Im Gegenteil! Die Franzosen waren äußerst liebenswürdig und erklärten sich zu jeder Hilfe bereit. Ich konnte nur nicht so recht an die Ehrlichkeit dieser überaus höflichen Worte glauben.

Kurz vor meiner Ankunft war Fräulein Elli Beinhorn hier gewesen und wieder weggeflogen. Die Franzosen versuchten deren Nationalität nicht bekanntwerden zu lassen, weil sie Angst hatten vor dem Eindruck, den der Besuch einer deutschen Fliegerin bei den Eingeborenen hervorrufen könnte. Und so haben die zwei Deutschen in Lome nicht offiziell, sondern nur gesprächsweise von der Ankunft der "englischen" Fliegerin Elli Beinhorn erfahren. Die Nationalität der im Flugzeug ankommenden Dame konnte allerdings nicht geheimbleiben, zumal ihre Maschine die Aufschrift: Elli Beinhorn, Berlin, trug. Und daß sie Deutsche war, das löste bei den treuen Togoleuten große Freude aus, wie der folgende Brief eines Eingeborenen beweist:

"Die Familie A. wünscht der ersten Fliegerin, die jemals Togo gesehen hat, viel Glück und gutes Fortkommen bis zur Heimat. Togo hat zuerst Deutschland gekannt, und ich bin stolz zu sagen, daß, wie wir Deutschland zuerst gekannt haben, es nun wieder eine deutsche Fliegerin ist, die wir gesehen haben. Mein kleiner Erich hat nicht vergessen, der deutschen Fliegerin ein paar Apfelsinen zur Erfrischung zu senden.

Vielen Gruß an unsere deutsche Fliegerin!"

 
Allein schlenderte ich eines Morgens von dem wunderschönen, am Meeresstrand unter Kokospalmen gelegenen deutschen Kolonialhaus auf der von Palmen eingefaßten Straße Lome zu. Herrlich war der Tag, und die Sonne brannte schon jetzt herab auf die Kokosplantagen links von mir und malte zittrige Schatten von Palmwedeln auf den Boden. Rechts von mir brandete und donnerte das Meer im gleichen Rhythmus an das Ufer, und es war mir, als wollte es zu meiner Seele sprechen. Und plötzlich verstand ich das taktgemäße Toben der Wellen, und es hämmerte sich mir schmerzhaft ins Bewußtsein: Deutsches, verlorenes Land! Aber nicht nur die tönenden Wellen, leuchtende Farben, Blau-Weiß-Rot, die Trikolore am Turme des einst deutschen Gouvernementsgebäudes, brannten mir den Verlust noch schmerzlicher ein. Und so kam ich mißgestimmt nach Lome. Von dem einstigen deutschen Hotel Kaiserhof kündet ein Schild "Hotel France". Hier hatte ich eine Nacht gewohnt und am Mor- [57] gen an einem schmutzigen, ungedeckten Holztisch aus zersprungenem und halbzerbrochenem Geschirr mein Frühstück genommen und dafür einen hohen Preis bezahlt. Ich malte mir im Geiste aus, wie ein Frühstück im Hotel Kaiserhof ausgesehen haben mochte.

Im deutschen Geschäftshaus erwartete mich der schwarze Peter, der mich in Lome herumführen sollte. Zuerst brachte er mich zum Friedhof. Dort ist das Grab des früheren deutschen Gouverneurs Köhler, umgeben von vielen Gräbern Deutscher, die in der dreißigjährigen Aufbauarbeit ihr Leben gelassen haben. Ein greiser alter Mann kam mit müden Schritten auf mich zu. Als er hörte, ich sei Deutsche, faßte er meine Hand mit strahlendem Gesicht und wollte sie gar nicht wieder loslassen. Und dann erzählte er mir, daß er vierzehn Jahre deutscher Polizist gewesen sei.

"Um bei meinen einstigen Herren bleiben zu können, habe ich den Posten als Friedhofswärter angenommen."

Wie ein Seufzer kam es dann aus seinem Munde:

"Wann kommen die Deutschen endlich wieder?" Ganz traurig fügte er den Nachsatz hinzu: "Ich glaube, die Deutschen haben uns vergessen."

Weiter durchwanderte ich die Stadt, vorüber an der großen katholischen Mission, der schönen Kirche, am Bahnhof auf den sauberen Straßen und Alleen.

"Viel Neues haben die Franzosen nicht hinzugefügt, sie haben sich bloß ins warme Nest gesetzt", so meinte Peter, mein Führer.

Ein Schwarzer in Eingeborenenkleidung kam uns auf der Straße entgegen. "Das ist einer der ersten, der für das Deutschtum kämpft und dafür im Gefängnis gesessen ist", raunte mir Peter zu. Wir begrüßten ihn, und auch dieses Mannes Augen leuchteten auf, als er hörte, daß ich Deutsche sei.

"Wann kommen denn die Deutschen wieder?"

"Das weiß Gott!"

Es tat mir leid, ihm keine bessere Auskunft geben zu können.

Und wir trafen noch viele, denen Peter mich vorstellte, und in deren Haus er mich führte, und sie alle begrüßten mich freudig und stellten die sie tief bewegende Frage: Wann kommen sie wieder, unsere Deutschen?

Da schlug mein Herz höher über die Treue und Anhänglichkeit dieser Menschen, und ich wurde stolz über das freiwillige und mannhafte Urteil, das dadurch über den Versailler Vertrag gesprochen, und die Anerkennung, die deutschem Wesen und deutscher Arbeit gezollt wurde.

Der Markt in Woga ist der größte in Togo.
[64b]      Der Markt in Woga ist der größte in Togo. Wir mischten uns ins Marktgetriebe. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein mannigfaltigeres Leben gesehen zu haben als dieses Gewimmel.
[58] Eines Nachmittags nahm mich Herr Poetsch mit seiner Frau in seinem Wagen mit auf eine Geschäftsfahrt zum großen Markt in Woga. Entlang an der blauen Küste des Meeres flitzte das Auto auf einer geraden Straße, neben einem Bahngeleise, hindurch durch Kokosplantagen. Alles ist deutsche Arbeit: Die Bahnlinie, die Straßen, die Plantagen, aber die Früchte all dieser Arbeit ernten die Franzosen. Auf Brücken holperte unser Wagen über Wasserstraßen, in denen Krokodile hausten, durchschnitt Steppe und Busch und überholte Hunderte von Schwarzen, die auf ihren Köpfen, in ihren altüberkommenen Kalebassen oder auch in riesigen europäischen Emailschüsseln schwere Lasten trugen. Und sie trabten alle einer Richtung, einem Ziele zu: zum Markt in Woga, der der größte in Togo ist. Wir kamen dort an, stoppten vor der Türe der deutschen Filiale, und im Nu war unser Wagen umringt und, als wir das Haus betraten, dieses von Neugierigen umlagert, vornedran die schwarze Jugend. Machten wir einen Schritt aus dem Haus, so stoben sie furchtsam auseinander. Viele von ihnen, die weit her aus dem Busch kamen - mitunter laufen sie 70 Kilometer zu einem Markt - mochten noch keine Weißen gesehen haben. Schließlich mischten wir uns in das Marktgetriebe. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auf meinen Reisen ein mannigfaltigeres Bild gesehen zu haben als dieses Gewimmel. Tausende von Schwarzen in malerische Stoffe gewickelt, halb- oder ganz nackt, Kinder, kräftige Jugend und hinfälliges Alter, so hockten sie dicht nebeneinander hinter ihren Waren, so daß man sich kaum zwischen ihnen hindurchzuschlängeln vermochte. Und da waren Hunderte von allen möglichen, aber beinahe auch unmöglichen Waren.

Neben europäischen grellen Stoffen, Emailgeschirr, Parfümerien und anderem Tand die Erzeugnisse des Landes; Öl und Ölkerne, Mais, Kassawa, Bohnen, die verschiedensten Früchte, alle erdenklichen Tiere, Feldwerkzeuge in primitiver Eingeborenenausführung und Stände mit unverkäuflich erscheinenden Dingen, wie Federn, gewöhnlichen Steinchen - alles wird gehandelt. Und das Getriebe wurde beängstigend, Mensch an Mensch, Kopf an Kopf; darüber lagerte eine dicke Atmosphäre, und es wurde ungemütlich. Und immer noch strömten sie herbei, auf allen Straßen ohne Unterlaß.

 
"Ich möchte gerne auch ins Innere von Togo", so erklärte ich Herrn Poetsch eines Tages.

[59] "Wie wollen Sie das machen?"

"Per Rad oder zu Fuß!"

Herr Poetsch lachte hell auf: "Per Rad? Wollen Sie denn Ihr Bett, Ihr Moskitonetz, Ihre Lebensmittel auf dem Rad mitnehmen?"

Ich kam mir wie ein richtiges dummes Grünhorn vor und meinte schüchtern: "Ich denke, die Straßen sind gut und Unterkunft werde ich schon irgendwo finden."

"Gewiß finden Sie das in einer Eingeborenenhütte, auf dem Boden ohne Moskitonetz. Aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie bald krank am Weg liegen bleiben."

"Na und zu Fuß?"

"Können Sie gehen. Aber Sie brauchen so viele Träger, daß die Tour Sie sehr hoch kommt, und dann sehen Sie nicht viel, denn Sie kommen ja nicht vorwärts. Die einzig mögliche Art für einen Europäer ist heute mit dem Auto zu fahren. Wozu haben wir denn die schönen Straßen? Meinen alten Wagen stelle ich Ihnen zur Verfügung."

Ich war erst einige Tage im Land und kannte es nicht. Herr Poetsch würde schon recht haben. Ich hatte wohl einst in den Tropen ein Land per Rad durchquert. Aber damals hatte ich einen Kameraden. So ganz allein per Rad durch Togo zu fahren, davor schreckte ich wirklich selber etwas zurück. Wenn ich nicht mehr weiter konnte? Irgendwo am Wege blieb? Und zu Fuß kam ich auch nicht weit. Das war anders in Liberia, wo es einfach unmöglich war, auf den Eingeborenenpfaden mit dem Auto zu fahren.

"Schön. Wenn Sie mir wirklich Ihren Wagen zur Verfügung stellen wollen, ich nehme mit Dank an."

"Einen Chauffeur und einen Koch besorge ich Ihnen."

"Chauffeur? Ich kann ja selber fahren, und einen Koch? Kochen kann ich doch auch!"

Herr Poetsch war etwas ungeduldig: "So geht aber kein Weißer in Afrika. Was würden nur die Leute von den Deutschen denken? Sie müßten sogar noch einen Boy zu Ihrer persönlichen Bedienung mithaben!"

Da schwieg ich wieder. Unter keinen Umständen wollte ich das Deutschtum im Ausland schädigen.

"Haben Sie ein Feldbett?"

"Nein!"

"Ein Moskitonetz?"

[60] "Nein!"

"Moskitostiefel?"

"Nein!"

"Und so fährt man nach Afrika?"

Da war ich beschämt und verschüchtert und wagte keinen Einspruch mehr. Ich überließ nun die Vorbereitungen zu meiner Tour meinen, es mit mir wohlmeinenden Gastgebern. Feldbett und Moskitonetz stellten sie mir noch liebenswürdig zur Verfügung. Aber da fehlten noch Teller, Tassen, Bestecke, Töpfe, Schüsseln, Pfannen und eine Menge von Konserven und Lebensmitteln. Dazu kam dann noch das Auffüllen der Batterie, ein neuer Reifen, die Gehälter der beiden Männer und das Benzin, und da wurde mir etwas sonderbar zumute. Das mag alles schön und gut sein für andre Menschen, aber mein Geldbeutel verträgt diese Ausgaben schlecht.

Außerdem war ich noch immer nicht so recht überzeugt, daß dieser ganze Aufwand unumgänglich notwendig war. Eine Zigeunerin, wie ich es bin, kommt auf Reisen mit viel geringeren Mitteln aus. Andernteils verstehe ich die Einstellung der Kolonialmenschen, die schon jahrzehntelang hier sind, wohl, ohne sie mir deswegen zu eigen machen zu können. Es vollzieht sich auch hier alles streng nach der Etikette. Vor allem aber ist jedes Ding auf Wahrung des Ansehens den Schwarzen gegenüber eingestellt. Ohne Zweifel richtig, doch für mich in diesem Falle höchst unwillkommen.

Stolz wie eine Spanierin fuhr ich also eines Morgens mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf echt europäische Art mit Chauffeur und Koch und einem hochbepackten Auto zu den Toren Lomes hinaus. Der erste Weg ging durch Ebene, Busch und Steppe. Dörfer und fünf bis sechs Meter hohe Termitenhügel zogen an uns vorüber. Ich stieg verschiedentlich aus und besuchte die Dörfer. Die Kinder sprangen entweder neugierig auf mich zu oder erschrocken von mir weg, je nach Temperament und Mut der kleinen Dickwänste. Ich schlenderte umher zwischen den Lehmhütten mit ihren Grasdächern und fand immer wieder neue Bilder, die ich bis dahin nicht gesehen hatte. Fetische in den wunderlichsten Formen begegneten mir auf Schritt und Tritt.

Der Fetisch, Zauber gegen bösen Geist und Glücksbringer, prangt mitunter in Gestalt von Eierschalen auf Grasdächern, er steht am Straßenrand in naiv gekneteten Tonfiguren, er baumelt in Gestalt eines Leopardenzahnes am Halse des Mannes oder umspannt in Kaurimuscheln den [61] Arm oder Hals des Kindes. Hunderterlei von Fetischen zieren die Körper von Kindern, Frauen, Männern und Greisen. Manchmal kann so ein Zauber wirklich Nutzen bringen. Ein schwarzer Kokosplantagenbesitzer, dem seine reifen Nüsse zum Teil gestohlen wurden, ließ auf seinem Besitz auf Pfählen einen Stein legen und die Kunde in die Bevölkerung gelangen: Jedem Menschen, der auch nur eine Nuß von ihm stehlen würde, den würde sein Zauber durch den Blitz töten. Von diesem Zeitpunkt an hatten seine Nüsse Ruhe.

Um 5 Uhr abends erreichte ich am ersten Tage meiner Fahrt die Mission Assahun. Der schwarze Lehrer räumte eifrig seine beste Stube für mich aus, und Manuel, mein Koch, schlug nun mein Bett dort auf und fragte mich, was ich zu essen wünschte. Ei! wie ich mich da fühlte.

"Ein Huhn, natürlich!" Es kostete ja bloß 30 Pfennige.

Den schwarzen, kleinen, ulkigen Missionar fragte ich nun, ob er mir vielleicht für morgen, zu einer Tagesfußtour in den Busch, einen Missionsjungen als Führer mitgeben könnte. Da runzelte er verlegen seine Stirne und meinte dann sehr gnädig und herablassend:

"Nun ja, weil Sie in der Mission wohnen, dürfen Sie herumgehen."

"Wieso dürfen?"

"Sie sind doch Deutsche!"

Nun schlägt es aber dreizehn. Was sich dieses drollige Männchen nur erlaubt. Ich hielt ihm ein Empfehlungsschreiben seines weißen Chefs in Lome unter die Nase, da sank er in einer Verbeugung zusammen.

Etwas später brachte ich meinen Manuel und die guten Missionsleute in eine unangenehme Lage, durch meine Frage nach einem gewissen Ort, Manuel wollte ihn mir zeigen. Plötzlich aber stutzte er: "Ich will erst allein gucken."

Da ich trotzdem folgte, so kam er in sichtbare Verlegenheit, machte noch einige Schritte weiter und blieb dann plötzlich stehen.

"Madam ist drin."

"Gut, wenn sie herauskommt, dann sagst du es mir."

Und nun sah ich sie laufen, den Missionar mit der Schaufel, Manuel mit einem Besen, und Madam, die "drin" sein sollte, mit einem Eimer. Und nach einer Stunde kam Manuel mit zufriedenem Gesicht wieder:

"Madam ist fertig!"

Der Ort war nun wirklich ganz annehmbar, gemessen an afrikanischen Buschverhältnissen.

[62] Am anderen Tag ging ich mit Manuel und Ferdinand, dem Missionsboy, los in den Busch. Ein zweiter Junge gesellte sich hinzu und drückte Ferdinand zur Anfreundung einige Erdnüsse in die Hand. Wo aber hatte er sie hervorgeholt? Unter seinem Lendenschurz! Papiergeld ist hier mit größter Vorsicht anzufassen. In Ermanglung von Taschen in ihrem einzigen, kleinen Kleidungsstück sieht man mitunter auf Eingeborenenmärkten die Schwarzen ihre Banknoten aus dem Lendenschurz hervorziehen.

Wir wanderten auf schmalen Eingeborenenpfaden durch den Busch. Aber, was ich insgeheim gehofft hatte, einige afrikanische Tierarten im Freien zu sehen, das verwirklichte sich leider nicht. Süd-Togo ist nicht sehr reich an Wild. Ich hörte wohl, beinahe pünktlich auf die Minute, den Stundenschlag des interessanten Stundenvogels, und ich lernte eine neue merkwürdige Ameisenart kennen, die sich auf Bäumen große Wohnungen baut. Das waren also diejenigen Tiere, von denen ein Schiffsoffizier mir einmal erzählte, er hätte in seiner Kriegsgefangenschaft in Freetown beobachtet, wie sie eine Schlange in kleine Stücke zerlegten und auf einen Baum zerrten.

Wir kamen durch abgelegene Dörfer, und ich konnte die Menschen beobachten bei ihren einfachen Heimarbeiten, die Greisin mit ihrer Spindel beim Spinnen, die Seifensiederin, den Mann, der sich sein Feldgerät schnitzte.

Und wir wanderten weiter auf eingeengtem Pfad. Zwei junge Frauen mit schweren Kalebassen auf dem Kopfe rissen entsetzt vor uns aus, als wenn der Leibhaftige hinter ihnen her wäre. Es gelang trotz aller beruhigenden Zurufe meiner Negerboys nicht, sie zur Vernunft zu bringen. Mein Anblick mußte zu fürchterlich gewesen sein. Wir sahen sie auch nicht mehr. Wahrscheinlich waren sie in den Busch gerannt und hatten uns an sich vorüberziehen lassen.

Inzwischen war es Mittag geworden. Wir kamen in ein neues Dorf und wollten Rast machen. Eilfertig brachten die Bewohner für mich und Manuel, der ihnen auch als großer Herr erschien, zwei europäische Stühle heran, und nun versammelte sich das ganze Dorf und umringte uns. Und sie wußten sich vor Freude über den Besuch kaum zu fassen und brachten mir ihre "Daschis" (Geschenke) in Form von Eiern und Orangen, die ich mit einem Daschi in klingender Münze quittierte. Da ergriffen sie dankbar meine Hand und sanken ehrfurchtsvoll vor mir in die Knie.

[63] Zum Abschied gab uns noch die Bewohnerschaft ein gutes Stück das Geleit. Es war drückend heiß, und dunkle Wolken drohten vom Himmel. Ich strebte daher mit beschleunigten Schritten nach Assahun zurück. Doch in einem großen Dorf wurde ich aufgehalten. Eine Beerdigung fände statt, wenn ich photographieren wollte. — Vergessen waren die drohenden Wolken. Natürlich wollte ich photographieren, nicht immer wird es mir angeboten, sehr häufig reißen die Menschen vor der Kamera aus.

Aber es war keine Beerdigung, sondern eine Nachfeier, der Totentrunk. Vor einem großen Tongefäß saß einer der Schwarzen und schöpfte mit einer Kürbisschale den Wein in kleine Gefäße, die in der Runde der Leidtragenden kreisten. Einer von ihnen erhob sich plötzlich, ging hinter das Dorf, hob seine gefüllte Kürbisschale vor einem Baum hoch und murmelte Beschwörungen. Zum Schluß goß er den Wein in den Sand, zur Besänftigung der bösen Geister.

Dunkel und schwarz war inzwischen der Himmel geworden, und deswegen überließ ich die Leidtragenden ihrem "Schmerz" und dem Palmwein und machte mich wieder auf die Beine. Aber am besten hätte ich zu dieser Tour ein Kanu mitgehabt. Bald prasselte der Tropenregen auf mich herab, und die ganze Gegend war im Nu unter Wasser. Wie in kleinen Bächlein, so patschte ich den Pfad entlang. Völlig durchnäßt und müde kam ich nach Assahun zurück und war nun doch sehr froh, Manuel, den Koch, zu haben, der mich mit leiblichen "Genüssen" versorgte.

Am anderen Tag - ich blinzelte vom Wagen aus noch ganz verschlafen in den frühen Tropenmorgen hinein - plötzlich ein scharfes Bremsen, ein Knirschen und das empörte Aufbäumen meiner Lori schreckte mich unangenehm auf. Eine Stange war auf Holzpfählen quer über den Weg gespannt, und ein schwarzer Bursche sprang aus dem wilden Busch auf uns zu: "Hände hoch!"

Nun, meine lieben Leser, kann ich Ihnen Ihre Schreckenschauer nachfühlen, das leise Gruseln und doch wieder etwas lüsterne, prickelnde Gefühl, mit dem Sie mich bereits in der Bratpfanne eines wilden Häuptlings schmoren sehen. Leider auch sehe ich Ihre gespannten Augen ganz eifrig und aufgeregt weiterlesen und dann wirklich enttäuscht aufblicken: "Sie schmort ja gar nicht!"

Nein! Sie schmort nicht in der Bratpfanne - bloß manchmal in der Äquatorialhitze -, denn die Eingeborenen sind gutmütige, sehr intelligente Menschen, deren Vorfahren auch keine Menschen schmorten.

[64] Es war nur ein kleiner Scherz. Der junge Mann trat ganz gesittet auf den Wagen zu und machte mir die Mitteilung:

"Sie können nicht weiterfahren, die Brücke vor Ihnen ist kaputt!"

Ich hätte nicht mehr über den Ruf: "Hände hoch!" erschrecken können als über diese Mitteilung.

Ich kann nicht weiter nach Agu und Palime, nicht in die Berge? Ich muß zurück? Einen anderen Weg gibt es nicht nach Palime! So schnell schon muß ich meine Reise abbrechen? Wozu dann aller Aufwand? Die erste Aufregung wich und machte einer ruhigeren Überlegung Platz.

"Vorwärts, Driver! Wir sehen uns die Sache erst einmal an."

Nach 4 Kilometern sahen wir eine Menge von Menschen am Weg, Arbeiter mit Spaten, die sich aber untätig verhielten, und zwei Soldaten zu ihrer Beaufsichtigung. Es war keine Brücke gebrochen, aber die Gewässer des gestrigen Wolkenbruches hatten sich durch den Straßendamm zu einem See gestaut und dann die Straße an drei bis vier Stellen in einer Breite von 5 - 10 Meter einfach hinweggerissen. Kleine Flüsse quollen und strömten hindurch. Der erste Eindruck war: Laß alle Hoffnung fahren. Aber bei näherer Betrachtung sah der Schaden gar nicht so gefährlich aus. Das Wasser war schon ziemlich gefallen, und die Überbleibsel der Straße erschienen absolut sicher und fest. Wenn man die Abbruchstellen einfach abschrägte, so mußte man, wenn auch holperig, die Stelle überwinden. Der Chauffeur und Manuel waren meiner Ansicht, und letzterer verstieg sich sogar zu dem Ausspruch: "Wenn die Deutschen noch hier wären, könnten wir längst hinüber." Hier aber rührte sich keine Hand. Untätig standen die Arbeiter und Soldaten.

"Warum machen Sie den Weg nicht fertig?"

"Wir können es nicht!"

"Wir wollen aber weiter."

"Ich habe den Kommandanten in Palime angerufen. Er will selber kommen. Gleich muß er da sein, vorher darf ich nichts machen", erklärte mir der ältere der beiden Soldaten mit Wichtigkeit.

"Gut, kurze Zeit kann ich wohl warten."

Und wir warteten, während die Arbeiter sich faul um uns herumlümmelten und auf Feuer ihr Essen kochten, eine Stunde, zwei Stunden. Eile schien weder der alte Soldat hier noch der Kommandant in Palime zu haben. Es war ihnen ganz egal, ob ich auf freier Strecke auch über Nacht zu liegen hatte. Das wurde mir nun doch zu toll. Das Wasser hatte [65] nun überhaupt zu fließen aufgehört, und ein Kinderspiel war es, den Weg passierbar zu machen.

"Wenn Sie nicht arbeiten wollen, dann werde ich mir die Straße selber herrichten!"

Da fuhr er anmaßend auf, der schwarze Geselle: "Das gestatte ich nicht. Ich bin der Kommandant hier, es geschieht nur, was ich will."

Ich hatte natürlich keine Lust, mich mit dem Schwarzen herumzuraufen und fuhr daher zurück zur nächsten Bahnstation, um den weißen Kommandanten in Palime anzurufen. Aber der hohe Herr machte gerade sein Mittagsschläfchen und war nicht zu erreichen. Ich zitterte und bebte nicht vor Ungeduld, wie ich das wohl in Deutschland getan hätte. Es mochte nur ein leises ironisches, vielleicht sogar etwas fatalistisches Lächeln auf meinem Gesicht gelegen haben.

In liebenswürdiger Weise bewirtete mich die Frau des Stationsvorstehers, bis endlich der telefonische Befehl von dem hohen Herrn in Palime eintraf: "Die Straße ist sofort für die Dame passierbar zu machen!"

Sofort! Sehr liebenswürdig! Etwa nach 9 Uhr kam ich hier an und nun war es 2,30 Uhr.

Jetzt ging es freilich fix! Der hohe Herr in Palime hatte befohlen. Nun griffen hurtig dreißig schwarze Menschen zu und in 15 Minuten war ich auch schon über die Stelle hinweg. Einmal drüben mußte ich noch herzlich auflachen. Die Arbeiter und Soldaten waren doch sicherlich zu dem Zwecke hier versammelt, um für die Aufrechterhaltung des Verkehrs zu sorgen, sie aber unterbanden denselben und schienen sogar willens zu sein, das Passieren der Straße mit Gewalt zu verhindern.

Durch ausgedehnte, einst der deutschen Togogesellschaft gehörige Kokos- und Ölplantagen jagten wir einem Berge zu, der sich hoch und bewaldet vor uns aufbaute, der Agu, der höchste Berg Togos. Von ungefähr einem Drittel seiner Höhe leuchteten weiße Mauern auf uns herab, die einstige Bremer, nun französische Mission, die mich beherbergen sollte. Die Kuppe des Berges verschwand in einem grauen Schleier, der sich allmählich in leichtem Regen aufs Tal senkte. Als wir aber in dem Eingeborenendorf hielten und ich den letzten Rest des steilen Weges zur Mission zu Fuß zurücklegte, da stürzte es wieder wie gestern herab aus der ergiebigen Brause des tropischen Firmaments.

Herzlich wurde ich von den beiden französischen Damen willkommen geheißen. Ich freute mich darüber, aber sie meinten es nicht ehrlich. Es war [66] Höflichkeit, Schein nur. Ich sollte es später erfahren. Sie führten mich auf ein Zimmer. Verlegen sagte die eine der beiden zu mir:

"Dieses Haus ist gebaut von Deutschen und stark gebaut. Das überdauert Jahrhunderte. Die Möbel und alles, was hier ist, ist von deutschen Missionaren. Selbst ihre Korrespondenz fanden wir noch hier vor. (Sie mußten also, wie sie gingen und standen, das Haus und alles verlassen.) Es ist uns unangenehm, daß wir uns hier hereinsetzen mußten in das Heim, das Deutsche mühsam aufgebaut haben und das man ihnen wegnahm. Aber wir können nichts dafür."

Die Worte schienen aus ehrlicher Brust zu kommen, und ich hätte am liebsten geantwortet: "Ja, sehen Sie, das hier ist ein schönes Haus, aufgebaut unter Mühen und Plagen von Deutschen, aber es ist nur ein Haus. Denken Sie an die vielen Missionen, an alle Geschäfts- und Privathäuser, an die Bahnen, Straßen, Brücken und Plantagen in allen Kolonien, die Deutsche mit Fleiß angelegt haben und die man ihnen einfach weggenommen hat. Man kann sich kaum vorstellen, was Deutsche in aller Welt verloren haben."

Das wollte ich am liebsten sagen, aber ich war eben angekommen und Gast hier und konnte daher nicht sofort mit solchen Dingen kommen. Doch abends nützte ich eine sich mir bietende Gelegenheit aus.

Adolf Hitler, der deutsche Nationalsozialismus, sie bewegen die Welt. Was sollte ich mich wundern über die Fragen: Wollen die Deutschen wieder Krieg? Weshalb die Bekämpfung der Juden?

Es war eine ziemlich lange Rede, die ich nun hielt und in der ich erklärte, daß der Nationalsozialismus nicht nur nicht den Krieg will, sondern daß er im Gegenteil den Anbruch der Zeitenwende von einer materialistischen, vernichtungswilligen Welt, die die Menschen in das heutige Elend gestürzt hat, in eine idealistische, friedliche, versöhnlichere und aufbauende bedeute. Daran anknüpfend fiel es mir nicht schwer, an vielen Beispielen zu beweisen, daß gerade der Jude Haupt-, wenn nicht alleiniger Träger der heutigen materialistischen Idee und daher verantwortlich für das derzeitige Chaos ist. Wenn nur endlich die Völker das begriffen hätten. Interessiert hörten mir die beiden Damen zu, aber inwieweit meine Worte nachhaltigen Eindruck auf sie gemacht haben, entzieht sich meiner Beurteilung.

Am anderen Tag bestieg ich den Gipfel des Berges, und das war nicht ganz einfach, denn die Neger schüttelten nur verständnislos den Kopf [67] über eine derart unnötige Kletterei, und daher gibt es auch keinen Weg auf die Höhe. Durch Busch und Urwald mußte mir ein Schwarzer mit dem Buschmesser den Weg zum Gipfel aushauen. Herrlich lag die Landschaft, von oben gesehen, vor mir ausgebreitet, eine weite Ebene, mit Dörfern, Kokospalmenwäldern, abgeschlossen durch blaue Schatten des Togogebirges.

Schönes, verlorenes deutsches Land!

Leise setzte wieder Regen ein, da verteilte ich die Orangen, die ich mit hatte, unter meine Begleiter, trank selbst den Rest meines Kaffees und reichte die letzten Überbleibsel des Zuckers zwei Jungens, die sich in einem Dorfe angeschlossen hatten.

Mit ihren Zungen prüften sie ihn erst vorsichtig auf Eßbarkeit und fielen dann mit wahrer Begeisterung darüber her. Das Papier wurde erst fein säuberlich abgeleckt und zum Schluß noch mitverschlungen.

Im Laufschritt ging es zurück, während der Regen sich verstärkte. Als die Schleusen des Himmels sich groß und weit öffneten, erreichte ich gerade die Filiale der Mission, deren schwarzer Leiter mich zum Fufu einlud. Lange schon hätte ich gerne dieses Eingeborenengericht versucht. Aber ich hatte nicht recht den Mut, mich bei unbekannten Schwarzen daran zu wagen, denn man hatte mir erzählt, daß die schwarzen Frauen beim Stampfen gerne mit hineinspucken. Ob das nun stimmt oder nicht, ich dachte auf gut bayrisch: "Nix gwiß woaß ma nöt!" und ließ die Finger davon. Hier zu dieser netten schwarzen Missionsfrau hatte ich schon eher Vertrauen. Nun sah ich der Zubereitung meines Fufu zu. Die gekochte Kassawa- oder Maniokwurzel tat die Frau in den großen Holzmörser im Freien und dann stampfte sie zusammen mit einem jungen Mädchen fest darauf los. Was hernach zum Vorschein kam, war eine teigartige, weiße Masse, der fertige Fufu. Die Frau hatte zu meinen Ehren ein Hühnchen geschlachtet und mit Curry serviert. Der Fufu, in die Soße getaucht, schmeckte gar nicht übel, aber der Curry war so scharf, daß er mir die Zunge verbrannte, und ohne Soße schmeckte auch der Fufu nicht. Die junge Frau hatte mir zum Essen Besteck mitgebracht; nebenan aber aß die Familie mit ihren natürlichen Werkzeugen, d. h. mit den Fingern.

 
Meine Lori stand bereit und ratterte unternehmungslustig und auffordernd zum Einsteigen. Neugierig umdrängten mich die Dorfbewohner. Einer von ihnen trat auf mich zu und sprach in meiner Muttersprache:

[68] "Sie sind Deutsche?"

"Ja."

"Wir können sie nicht vergessen, die Deutschen!"

Es klang so wirklich ehrlich und sehnsüchtig. Aber so war es jeden Tag. Immer und überall sammelten sich die Schwarzen um mich, und es sprach sich herum, daß ich Deutsche bin und hunderte Male tönte mir schon die Frage entgegen:

"Wann kommen die Deutschen endlich wieder?"

Es ist nicht weit vom Aguberg nach Palime. Wir mochten eine halbe Stunde gefahren sein, ein Krach, ich flog nach vorne, es klirrte von Eisenteilen, der Wagen stand. Im ersten Moment dachte ich nur an Achsen- oder Getriebebruch. Aber das war es nicht, wir steckten bis zur Achse im Sumpf. Fußgänger kamen nach, und die Buschmesser sausten in das Dickicht neben der Straße und schnitten Äste und Gesträuch zum Unterlegen. Die üblichen Versuche mit dem Vor- und Rückwärtsgang endeten auch mit dem üblichen Mißerfolg. Immer mehr Schwarze hatten sich um uns und die verunglückte Lori versammelt, und viele Hände griffen wirklich fest zu und hoben nun den Wagen einfach aus dem Sumpf. Allerdings streckten sich nach vollbrachter Tat auch viele Hände, Daschis heischend, mir entgegen.

In 15 Minuten waren wir in Palime, aber im Orte begann plötzlich die bis jetzt so willfährige und ausdauernde alte Lori zu streiken, und nur durch äußerst liebenswürdige Behandlung konnte der Chauffeur sie zu meinem Ziel zwingen. Eine genaue Untersuchung ergab den Bruch des Batteriegehäuses. Dadurch war das Wasser vollständig ausgelaufen. Ich konnte der braven Alten bei dieser Verletzung eines wichtigen Körperteiles ihr Verhalten absolut nicht übelnehmen, im Gegenteil, ich mußte ihr noch dankbar sein, daß sie mich so treu und brav zu meinem heutigen Ziel gebracht hatte. Nun allerdings ging sie auch nicht einen Schritt mehr weiter.

Eine neue Batterie ist nötig. Kleine Mißgeschicke kann ich lächelnd ertragen, doch wenn sie mit ungewöhnlich hohen Daschis und mit der Anschaffung von neuen Batterien verbunden sind, so macht mich das nervös.

Von Palime ging es hinein in britisches Mandatsgebiet, zu Fuß. In Aschanti machte ich eine kleine Rast. Ein großer Menschenauflauf entstand, deutsche Laute vernahm ich auch hier.

[69] "Na, wie geht es euch denn? Unter britischer Herrschaft ist es doch ganz gut. Ihr seid doch sicher zufrieden."

"Nein! Seit die Deutschen fort sind, ist es sehr schlecht geworden, wir sind gar nicht zufrieden."

Also auch hier wie überall, man sehnt, man wünscht die Deutschen zurück.

Bis Atakpame führte mich meine Fahrt, und ich hatte noch dieses und jenes Mißgeschick zu ertragen. Dann aber ging es wieder südwärts schnurstracks nach Lome. Ich stoppte einmal, als Manuel beim Passieren einiger Kalebassen tragenden Frauen ausrief: "Meine Schwestern!" Manche schon hat er mir auf dieser Reise vorgestellt. Wo immer wir hinkommen, er findet Schwestern. "Manuel, Manuel! Kann man so viele Schwestern überhaupt haben?" Aber ich verzeihe es ihm. Er ist ein anständiger Bursche und hat nach der Revolution auch im französischen Gefängnis gesessen.

Ich unterbrach meine Fahrt auch in Kamina, in Chra und in Agbeluohoe, den historischen Kriegsstätten, und stand an den Gräbern der beiden, den Heldentod fürs Vaterland gestorbenen Deutschen. Und ich hatte den Drang, ihnen die Kunde zu bringen:

Ihr habt nicht umsonst euer Leben geopfert. Aus eurem Blut und dem von 2 Millionen Deutschen ist nach allen Irrungen, nach verzweiflungsvoller Hoffnungslosigkeit ein neues Reich erstanden; ein Reich, an das wir glauben, auf das wir hoffen und das wir lieben - lieben über alles.








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter