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Fünftes Kapitel
Die gefährliche Deutsche! • Peinliches Verhör • Beschlagnahme von Negativen • Drohende Verhaftung in Kamerun.

Bei meiner Ankunft in Togo war ich mit äußerster Liebenswürdigkeit von einigen französischen Beamten begrüßt wurden, ich hatte aber schon seinerzeit das merkwürdige Gefühl, daß es nicht sehr ehrlich gemeint war.

Wie richtig dieses Gefühl in mir auch war, das sollte ich unangenehm am Tage meiner Abreise von Lome erfahren. Ich kam nach Togo als Journalistin in der ehrlichen Absicht, das, was ich hörte und sah, der Wahrheit gemäß niederzuschreiben, reine Tatsachenberichte zu bringen. [70] Und daran habe ich mich gehalten. Was kann ich dafür, wenn in Togo manches nicht so ist, wie es sein sollte und daß es die Franzosen nervös macht, wenn eine Journalistin kommt, so daß man ihr Spitzel auf den Hals hetzt, sie auf Schritt und Tritt verfolgt und unter allen Umständen eine ganz gefährliche Person aus der harmlosen Reisenden herauskonstruieren will. Vier Spitzel, wie ich heute mit Bestimmtheit weiß, hat man auf mich losgelassen. Zu viel der Ehre, der Mühe und des Aufwandes für mich bescheidenes Geschöpf.

Von meinem Gastgeber, Herrn Poetsch, wurde mir am zweiten Tag nach meiner Ankunft ein schwarzer Führer, "Peter", mitgegeben. Und das war der Hauptspitzel. Wie wunderbar in Frankreich das Spitzelwesen arbeitet, zeigt die Tatsache, daß Herr Poetsch ebenso ahnungslos war wie ich.

Peter brachte mich als erstes auf den Friedhof und stellte mir den alten Wärter vor. Er erzählte mir, der Mann sei deutscher Polizeisoldat gewesen. Er führte mich zu den Gräbern der im Februar von französischen Kolonialsoldaten ermordeten Lomeleute und forderte mich auf, sie zu photographieren. Obwohl für mich kein Grund vorlag, es nicht zu tun, lehnte ich es ab. Der schwarze Peter, mein Führer, zeigte mir jeden Deutschgesinnten auf der Straße und führte mich auch in einige Wohnungen. Ich war zurückhaltend. Ich hörte wohl gerne die Versicherung ihrer treudeutschen Einstellung und antwortete auf die Frage: "Wann kommen die Deutschen wieder?" fast regelmäßig mit den vorsichtigen Worten: "Das weiß Gott allein!"

Peter erzählte mir von der Revolution. Daß ich als Deutsche einiges Interesse daran hatte, konnte das selbst für die Franzosen verwunderlich sein?

Eduard Bohlen Mensah, ein treudeutscher Togoneger, den der Spitzel Peter verriet
und der nur durch seine Flucht bei Nacht und Nebel sich vor den Franzosen retten
konnte.
[80b]      Eduard Bohlen Mensah, ein treudeutscher Togoneger, den der Spitzel Peter verriet und der nur durch seine Flucht bei Nacht und Nebel sich vor den Franzosen retten konnte.
Nach meiner Rückkehr von der Autotour ins Innere tauchte Peter wieder auf. Er kam mit drei Schwarzen, die angeblich von den Franzosen für ihre Deutschfreundlichkeit bis aufs Blut gequält wurden und die ihre Ergebenheit der deutschen Regierung in einem Brief zu Kenntnis bringen wollten. Aus Gutmütigkeit, um die Leute nicht zu verletzen, nahm ich die Briefe und war damit ahnungslos in die mir gestellte französische Falle getappt. Peter, der schwarze Peter hatte mich und seine Landsleute verraten für schnödes Geld. Außerdem hat er aus seiner Wirkungszeit als Führer den Franzosen das hinterbracht, was sie gerne hören wollten, und dabei die Tatsachen auf den Kopf gestellt.

[71] Am Tage vor meiner Abreise wollte ich meinen Paß zu dem fließend deutsch sprechenden Sicherheitskommissar bringen. Der Herr war nicht da. Ich ließ meinen Paß auf dem Amt, und der schwarze Sekretär versprach, ihn mir bis fünf Uhr nachmittags zuzuschicken. Aber um 7 Uhr hatte ich ihn noch nicht in Händen. Das machte mich nervös, da ich ja am anderen Morgen um 8 Uhr am Dampfer sein sollte. Ich machte mich auf den Weg, den Beamten zu suchen. Nach langem vergeblichen Umherirren lief oder vielmehr fuhr er mir auf seinem Rad in die Quere.

"Ich suche Sie schon lange, Herr Kommissar!"

"Sie bekommen heute abend Ihren Paß bestimmt. Ich schicke Ihnen denselben zu. Ich habe bloß noch eine dringende Sache zu erledigen."

Da war ich beruhigt. Wie konnte ich ahnen, daß diese dringende Sache mich selbst betraf, daß er sich auf der Suche nach Material gegen mich befand. Es wurde 10 Uhr abends. Die Hunde des Hauses bellten auf. Mein Paß! Aber nein! Es war nur ein Brief des Beamten, in dem er mir in höflichster Form die Aushändigung des Passes für morgen früh in Aussicht stellte. Am anderen Morgen trommelte es schon um 6 Uhr gegen meine Tür. Ich schlüpfte in aller Eile in einige Kleider. Der Polizeibeamte war im Wagen vorgefahren. Herr und Frau Poetsch waren noch nicht auf der Bildfläche.

"Sie bringen mir meinen Paß?"

"Nein, ich habe ihn nicht mit! Ich wollte Ihnen bloß sagen, daß der Dampfer schon vor Anker liegt. Ich nehme Sie gleich mit zum Kai."

Das fand ich sonderbar.

"Sehr liebenswürdig, aber ich habe bis 8 Uhr Zeit, und Herr Poetsch wird mich hinbringen."

Dem Manne war das ersichtlich unangenehm, er hatte mich wahrscheinlich allein in seine Hände bekommen wollen und sich dann die Sache mit mir sehr einfach vorgestellt. Zögernd und verärgert sprach er: "Gut, dann kommen Sie an meinem Büro vorbei."

Zum ersten Male kamen mir leise Gedanken, es könnte etwas nicht in Ordnung sein. Wir fuhren um 7 Uhr bei der Sicherheitspolizei vor.

"Kommen Sie herein, ich habe noch eine kleine Sache mit Ihnen zu besprechen", so empfing mich der Sicherheitskommissar.

Scherzhaft und ahnungslos flüsterte mir Frau Poetsch zu: "Jetzt kostet es den Kopf."

Bei der nun folgenden Szene waren meine Antworten nur ungefähr [72] so, wie ich sie heute wiedergebe. Ich war im Augenblick so perplex und überrascht, daß ich sie nicht mehr ganz genau weiß, und ich glaube, daß sie nicht gerade sehr geschickt waren.

Der Beamte fuhr brüllend auf mich los: "Wir empfingen Sie höflich und zuvorkommend, und Sie betätigen sich als politischer Spitzel."

"Ich? Wieso?"

"Sie putschten die Eingeborenen auf, erklärten überall, die Deutschen kämen nun bald wieder, und machten Propaganda für Hitler."

"Das alles ist nicht wahr! Ich habe niemanden aufgeputscht. Die Leute kamen von sich aus immer und immer wieder zu mir mit der Frage: 'Wann kommen die Deutschen wieder?' Und meine Antwort war: 'Das weiß Gott.' Propaganda für Hitler? (Sie meinten es nicht ehrlich, die Französinnen am Aguberg, es war nur Höflichkeit und Schein; nun habe ich es erfahren.) Ich bin einmal über Hitler und seine Idee befragt worden, Herr Kommissar, und habe aus meiner Überzeugung kein Hehl gemacht. Doch ist es Propaganda, wenn ich im Laufe einer Unterhaltung über ein Thema, das ich noch nicht einmal selbst angeschnitten habe, meine Meinung kundgebe?"

"Sie haben die Leute in den Häusern aufgesucht, den Friedhofswärter gefragt, ob er deutscher Soldat gewesen sei, und die Gräber der im Februar Erschossenen photographiert."

"Selbst wenn ich das getan hätte, so sind das Dinge, die Journalisten - und ganz andere noch dazu - in aller Herren Länder tun. Aber ich habe die Häuser nicht aufgesucht, sondern Ihr Peter hat mich dorthin geführt. Nicht ich habe die Frage an den Friedhofswärter gestellt, ob er deutscher Soldat gewesen sei - wie könnte ich das ohne irgendwelche Anhaltspunkte -, sondern Peter sagte mir das. Nicht ich wollte die Gräber der im Februar von einem französischen Soldaten erschossenen Eingeborenen photographieren, sondern Peter forderte mich dazu auf, und ich habe es abgelehnt. Ihr Peter stellt die Dinge auf den Kopf. Wenn er ehrlich wäre - aber Ehrlichkeit von einem gekauften Spitzel, einem Verräter voraussetzen —"

"Aber Sie haben einen Brief an den Kaiser angenommen?" fuhr seine Stimme triumphierend dazwischen.

"Nein, ich habe keinen Brief an den Kaiser angenommen!"

"Aber ich habe Beweise dafür, Photographien, eine ganze Schachtel voll."

Auf einen Wink brachte einer seiner Schwarzen einen mit Platten ge- [73] füllten Pappkarton. Er nahm eine davon heraus. An den hochwürdigen Herrn Kaiser oder wie es hieß, war fein säuberlich photographiert auf eine 18 x 24 Platte. Das war die Anschrift und ihr folgten vielleicht 7 - 8 Platten mit Text. Man hatte sich die Spionin etwas kosten lassen.

"Ich habe diesen Brief nicht angenommen!"

"Aber diesen hier?"

Ich fühlte es brennend in mein Gesicht steigen; ich bin eine Stümperin in meinem neuen Beruf.

"Ja, den habe ich angenommen, um dem winselnden Menschen einen Gefallen zu tun - und ich sehe, ich habe ihm wirklich einen Gefallen getan, allerdings in anderem Sinne, als ich es dachte."

"Wo haben Sie die Briefe?"

"Ich habe sie vernichtet!"

Nun war in mir der Oppositionsteufel erwacht, ein Auflehnen. Ich hatte die Briefe nicht vernichtet, sondern in meinem Gepäck. Nun wollte ich sie erst recht als Kuriosum behalten.

"Ich glaube es nicht, geben Sie sie heraus!"

"Ich habe sie nicht mehr!"

"Öffnen Sie Ihre Koffer!"

Und nun durchsuchte er mein Gepäck, durchschnüffelte auch meine Artikel, und ich wunderte mich, daß er meine Togoaufsätze von dem Aufstand, nun er mich doch so schön in der Gewalt hatte, durchgehen ließ. Aber der gute Mann war aufgeregt. Er hatte nur einen Gedanken: die Briefe. Und er wühlte weiter mit seinen Händen und kam ihnen nahe, und ich glaubte, mein Herz müsse aussetzen - er faßte sie zusammen mit leeren unbeschriebenen Kuverts, und er behielt sie in der rechten Hand, die verhängnisvollen Briefe, die mir nun, nach meinem Leugnen, erst recht Schaden bringen konnten. Und ich verhielt mich still, mäuschenstill und unterdrückte den Atem, um nicht ein verräterisches Seufzen von mir zu geben. Und immer noch behielt er sie in seiner Rechten, während die Linke weiterschnüffelte. Und ich fühlte das Blut mir zu Kopf drängen und mich dann selbst wieder erblassen.

Wenn er sie entdeckt, was dann?

Dann bin ich durch mein Leugnen erst recht verdächtig!

Und die Folgen? Verhaftung - und dann —

Ja, zu was sind solche Menschen in ihrem fanatischen Haß nicht fähig?

Und noch hielt er sie in Händen und warf einen Blick darauf - und [74] nun zitterte ich wirklich vor Aufregung - jetzt - jetzt, aber er wandte den Blick wieder fort, und plötzlich haftete er starr an einem Gegenstand im Koffer. Die unbeschriebenen Kuverts aus seiner Rechten warf er fort und stürzte sich siegesgewiß auf ein großes, geschlossenes, das die Aufschrift: An den Hauptschriftleiter des "SA-Mann", München, trug. Es enthielt die letzten, versandbereiten Artikel von Togo mit Negativen.

"Hier sind sie, hier!"

Mit wahrer Freude riß ich diesen Briefumschlag auf, aber die bestimmt von ihm erwarteten Briefe kamen nicht zum Vorschein. Das hat den schon triumphierenden Sicherheitskommissar ein bißchen irritiert, und etwas sanfter kam nun die Frage heraus:

"Wo haben Sie Ihre Togonegative?"

"Hier!" Ich zeigte ihm die aussortierten und weniger wichtigen, die besseren waren ja eingeschlossen in die Sendung an den "SA-Mann". Aber der Beamte war nun unsicher geworden. Er vergaß ganz die wichtigeren, die er doch gesehen hatte, und begnügte sich mit den überreichten. Ich sträubte mich nun durchaus nicht mehr gegen die Beschlagnahme dieser Negative, war ich doch heilfroh, so glücklich der wirklich unangenehmen Lage entronnen zu sein.

Ganz zahm sagte nun der Kommissar: "Hätten Sie sich geweigert, Ihre Koffer durchsuchen zu lassen, so wären Sie nicht so ohne weiteres von hier weggekommen."

Das glaube ich auch. Er hätte mich zu gerne dort behalten, wenn sich nur irgend etwas Greifbares gegen mich ergeben hätte.

"Und nun belasse ich Ihnen auch das Visum nach Kamerun, das Sie sonst nicht hätten behalten dürfen."

Welche Phrase, welche Scheinheiligkeit und hinterlistige Falle diese Worte bedeuteten, das wußte ich seinerzeit nicht, ahnte es jedoch.

Von Herrn und Frau Poetsch, die einige Male versucht hatten, den Mann zu besänftigen und ihn von meiner Harmlosigkeit zu überzeugen, verabschiedete er sich sehr höflich. Daß er aber auch mir zum Abschied die Hand reichte, das fand ich, gelinde gesagt, etwas taktlos.

Nun war ich also glücklich zur Spionin geworden. Der Sicherheitkommissar in Lome hat mich mit Gewalt dazu gemacht.

Wie ich an Bord des Dampfers gekommen war, ich wußte es nicht. Ich fand mich erst an der Reling wieder, als schon die Anker hoch rasselten und das Schiff langsam voranging. Mein Gesicht brannte vor Aufregung, [75] und mit vor Empörung brennenden Augen starrte ich hinüber zu dem mit Kokospalmen eingefaßten Ufer Lomes und suchte das Haus zu fassen, das mir zum Abschied eine derart schlechte Behandlung bescherte.

Ich fühlte mich schuldlos! In der ehrlichen Absicht, mich in meinen Berichten, ohne jegliche Übertreibung, nur an die Tatsachen zu halten, kam ich hierher. Was trieb die Franzosen dazu, aus meiner Anwesenheit eine derartige Staatsaktion zu machen?

Weiter zog das Schiff. Lagos, die Hauptstadt von Britisch-Nigeria bot mir Gelegenheit, meine letzten Artikel von Togo mit den geretteten Negativen zur Post zu geben. In Franzosenhände wollte ich sie nicht legen, sie wären sicherlich daran hängengeblieben.

Wir bekamen auch einige neue Passagiere in Lagos. Darunter war ein italienischer Faschist. Es waren nun auf dem holländischen Schiff drei Anhänger der weltumwälzenden neuen Bewegung, verschiedener Nationalität, denn einer der Stewards war ebenfalls Mitglied der Nationalsozialistischen Partei in Holland. Und er brachte mir eine erfreuliche Kunde. In den letzten Wochen ist in Holland die Mitgliederzahl hoch emporgeschnellt, trotzdem oder gerade deswegen, weil dort die Judengreuelhetze gegen Deutschland in unerhörtem Ausmaße getrieben wurde, weil Holland verseucht ist von Juden und noch weiter mit Besuchern solcher aus Deutschland beehrt wird. Völkerdämmerung, Zeitenwende!

Am Schiff war unter den Passagieren auch ein geschniegelter, lächerlich von sich eingenommener Herr, Agent der Hollandlinie in Lagos. Sein Name war Trompeter, schwarz sein Haar und gelb sein Teint. Bei Tisch stellte er das Licht seiner Weisheit nicht unter den Scheffel, sondern ließ es in blendender Helle leuchten. An Deck, da war er ganz Würde und unnahbar, und eine Atmosphäre ging von ihm aus, die deutlich ausdrückte: was bin ich doch für ein Kerl und was seid ihr schon.

Ich aber kann aufgeblasene Menschen nicht ausstehen, liebe vielmehr natürliche und einfache, und so kam es ohne weiteres, daß ich mich mehr mit dem Italiener und dem holländischen Steward als mit ihm unterhielt. Und das hat den guten Mann nicht nur arg verschnupft, sondern mir wahrscheinlich sogar, nach Art der Menschen seines Schlages, auch seine Verachtung eingetragen. Ich kannte seine Gedanken. Wie kann sich nur ein Passagier so herablassen und sich so eingehend mit einem Steward unterhalten. Wie soll so ein hohler, eingebildeter Wicht allerdings verstehen können, daß man Menschen nicht nach dem Äußern, das so oft [76] leider nur Schein und Trug ist, behandelt, sondern nach deren moralischem Wert, der unter dem blauen Leinenanzug eines Arbeiters besser ausgeprägt sein kann als unter den Bügelfalten des sogenannten Gent.

Um es kurz zu machen, wir konnten uns gar nicht verstehen, unsere Ansichten waren wie Feuer und Wasser zueinander - kein Wunder, denn meine waren nationalsozialistisch und seine - jüdisch. Letzteres aber wußte ich damals noch nicht. Der Mensch war mir nur von Anfang an widerlich, und eine versteckte, aber fühlbare Feindschaft war bald zwischen mir und ihm.

Aber wie das auf Reisen einmal so geht, eines Tages fuhr ich mit ihm und einem Engländer in der Barkasse in Kamerun an Land, um Kribi, den alten deutschen Ort, zu besuchen. Ein Stündchen nur ließ uns der Dampfer Zeit. Doch sie genügte, mir die herrliche Landschaft dieses Fleckchens Erde vor Augen zu führen und die Sehnsucht nach Verlorenem wachzurufen.

Inmitten von Palmen liegen die öffentlichen Gebäude und die Häuser der Weißen. Eine Villenstadt im Paradies, das ist Kribi, und hinter ihr da wellen sich Hügel und steigen an zu Bergen und verschwinden gespensterhaft in Dunst und Wolken. In dem satten Urwaldgrün zeichnen sich dunkle Schluchten, Einschnitte und Täler ein, die geheimnisvoll locken. Ein breiter Wildbach tost im Vordergrund über Felsen und Gestein. Aber der wilde Bursche muß sich einengen lassen von Urwald und überspannen von einer kühnen Brücke. Wilde Natur, Busch und Urwald sind es, die mich immer wieder wie mit Zaubermacht anziehen, und mir wurde weh ums Herz ob des verlorenen, schönen Landes, als ich am Kai mit den beiden Männern auf die Barkasse wartete. In halb Englisch, halb Französisch schreckte mich der Holländer auf:

"Na, Madam, was denken Sie über Ihre einstige Kolonie?"

"Sie ist sehr schön, und es ist ein Jammer, daß wir sie verloren haben."

Zynisch antwortete er: "Ich denke nicht so."

Ich mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzufahren. Doch ich erinnerte mich noch rechtzeitig meines Abschieds in Lome und des Menschen, der vor mir stand und dem ich alles, nur nichts Gutes zutraute. Ich schwieg.

Wir waren vor Duala. Meine geheimsten Befürchtungen, daß der Beamte von Lome mir sozusagen einen Steckbrief vorausgehen ließ, schienen sich nicht zu bewahrheiten. Ich hatte den Arzt und den Ein- [77] wanderungsbeamten passiert; nichts mehr stand meinem Vonbordgehen im Wege. Ich schickte mich eben an, mit der deutschen Dame, die mich abzuholen kam, das Schiff zu verlassen, da erging der Befehl: "Kein Mensch darf von Bord gehen!"

"Das gilt mir", sagte ich zu dem Steward, der meine Geschichte von Lome kannte.

"Aber nein, auch der Italiener, überhaupt niemand darf herunter."

Er mochte wohl der Ansicht sein, daß ich mich ein bißchen zu wichtig dünkte, wenn ich diese drastische, alle Menschen an Bord erfassende Maßnahme nur meinetwegen getroffen wähnte. Ich fand ja nun selber, daß es zu viel des Getue um meine Person war, und ich hätte viel darum gegeben, unbemerkt und unbeachtet von Bord gehen zu können. Doch ich sollte mit meiner Vermutung recht behalten.

Der Einwanderungsbeamte, der schon vom Schiff gegangen war, kam in Begleitung eines Deutschen zurück und bat mich in eine Kabine. Der Deutsche verdolmetschte mir: Der Herr Administrator selbst sei mit einer Abteilung Soldaten zum Kai geeilt, um, wenn ich das Schiff etwa schon verlassen hätte, mich dort liebevoll zu empfangen. Da ich aber noch an Bord sei, so möchte er mir sagen lassen, ich möchte lieber nicht an Land gehen, um mir Unannehmlichkeiten zu ersparen.

Der Kommissar von Lome hatte also berichtet. Warum hatte er mir nicht aufrichtig gesagt: "Gehen Sie nicht nach Duala, ich berichte dorthin, Sie werden Schwierigkeiten haben." In scheinheiliger Weise reichte er mir - recht überflüssig, wie ich fand - die Hand zum Abschied, obwohl er wußte, welcher durch ihn veranlaßten heiklen Lage ich entgegenging. Sein Brief schien zugleich mit meinem Schiffe gegangen zu sein, und der Administrator hatte daher Angst, die gefährliche Deutsche könnte ihm am Ende schon entwischt sein und Kamerun in Brand gesetzt haben.

Mir war nicht ganz wohl zumute, und ich hätte gerne auf die wichtige Rolle, die ich hier so unfreiwillig spielte, verzichtet. Ich überlegte.

"Sie können an Land gehen, aber Sie haben sich alle Folgen selbst zuzuschreiben", sagte der Franzose.

"Was kann ich in diesem Falle tun? Der Dampfer geht von hier zurück, heimwärts, und ich will doch noch nach Süd-West!"

"Vielleicht bekommen Sie in Fernando Po weiteren Anschluß, wenn Sie bis dahin zurückgehen."

"Vielleicht! Das kann mir nichts nützen."

[78] "Was wollen Sie tun?" so drängte man mich.

"Wenn Sie mir von Fernando Po einen günstigen Anschluß nach portugiesisch Angola oder Süd-West nachweisen können, dann verzichte ich gerne auf das Betreten des französischen Mandatsgebietes."

Man schickte einen Herrn zur Erkundigung an Land. Es dauerte lange, bis er wiederkam. Ich saß gedrückt in meiner Kabine. Nun wußte doch jeder am Schiff, um wen es sich handelte bei der unerhörten Maßnahme. Was mußten die Menschen nur von mir denken? Mußten nicht Uneingeweihte mich für eine Verbrecherin halten? Die Röte der Scham, der Empörung stieg mir in die Wangen.

Nach einer Stunde ungefähr kam der Bote zurück mit der Auskunft, daß es von Fernando Po keinen Anschluß gäbe, daß aber in 6 Tagen von hier ein Dampfer weiter ginge nach Point Noir. Von dort hätte ich Anschluß mit einem Dampfer nach Süd-West.

Also ging ich an Land!

Der Einwanderungsbeamte wich nicht von meiner Seite. Am Zollamt nahmen sich mehrere Beamte liebevoll meines Gepäckes an, und ein Schwarzer machte sich über meine Sachen her und zerrte Stück für Stück aus meinem Koffer, während drei bis vier Franzosen genau zuguckten. Es ist nicht angenehm für eine Dame, jedes Stück ihrer Kleidung und Sachen so ausgebreitet vor aller Augen zu sehen. Aber wie sollte ich nach all dem Vorhergegangenem hier das notwendige Feingefühl erwarten können!

Meine Geschirrkiste kam an die Reihe. Die Teekanne war ein verdächtiges Ding. Ihr Boden wurde beklopft und dann gar versucht, ihn abzustreifen. Aber das gelang trotz aller Anstrengungen nicht, er war wirklich festgefügt und kein zweiter aufgestülpter.

"Hier ist eine Bombe!" rief humorvoll und ahnungslos der junge Deutsche, der mir an Land als Assistent von der Woermann-Linie beigegeben wurde und der von den Begebenheiten am Schiff keine Ahnung hatte.

Ein rohrartiges Ding zog er aus der Kiste. Prompt und etwas eilig nahm es ihm einer der Franzosen aus der Hand.

"Erbswurst", las er gedehnt.

Nun war alles durchwühlt, natürlich ergebnislos. Jetzt legte man mir nahe, meine zwei Fotoapparate und die Schreibmaschine am Zoll zu lassen. Ohne den geringsten Widerspruch war ich damit einverstanden. Wozu sollte ich Bilder aufnehmen? Nur, um mir wieder eine peinliche Durch- [79] suchung und zum Schlusse eine neue Beschlagnahme gefallen lassen zu müssen. Und im übrigen war ich jetzt zu allen Zugeständnissen bereit. Beinahe drei Stunden hatten mich nun die Franzosen in ihren Händen und quälten und zermürbten mich - sie mochten es freilich nicht fühlen -, so daß ich nur noch einen Wunsch hatte: heraus, endlich Ruhe, Ruhe um jeden Preis.

Aber noch mußte ich vor den Administrator selbst geschleppt werden. Dieser würdige Herr im grauen Bart, der mir persönlich nicht unsympathisch war, sprach sein Bedauern darüber aus, daß er auf die Benachrichtigung von Lome hin gezwungen gewesen sei, so mit mir zu verfahren. Im gleichen Atemzug aber erklärte er nur, daß ich ein ungern gesehener, sozusagen nur geduldeter Gast sei bis zur Abfahrt der "Assi", die ich unbedingt besteigen müsse. Ausflüge ins Innere wären mir nicht gestattet, oder ich müßte erst besondere Erlaubnis dazu einholen.

"Ich habe in Lome nichts verbrochen!"

"Am Schiff hatte aber auch jemand den Eindruck, als ob bei Ihnen nicht alles in Ordnung wäre."

Was sollte denn das nun wieder bedeuten? Hatte sich denn Tod und Teufel gegen mich verschworen?

Alle Personen des Dampfers zogen an meinem Geist vorüber und da stand plötzlich ein geschniegelter Mensch, mit gelber Hautfarbe und schwarzem Haar, spöttisch und grinsend vor meinem geistigen Auge: Judas Ischariot! Der ewige Jude!

Ich wandte mich an den Woermann-Angestellten: "Herr Trompeter, der Agent der Hollandlinie, ist er Jude?"

"Natürlich ist er das!"

Ach so, na ja dann: Judas, der ewige Schurke und Verräter!








Wann kommen die Deutschen endlich wieder?
Eine Reise durch unsere Kolonien in Afrika

Senta Dinglreiter