Sechstes Kapitel Kameruns heroische Kriegsgeschichte Großplantagen am Kamerunberg heute wieder in deutschem Besitz. Sonntag war's. Ich hatte noch nicht ganz die Aufregung des vorhergegangenen Tages, den herzlichen Willkommengruß der liebenswürdigen Franzosen, verwunden, da startete Herr Tritschler, bei dem ich wohnte, seinen Wagen. "Wir machen einen kleinen Ausflug nach Japoma. [80] Wenn Sie nicht ins Innere des Landes kommen, so sollen Sie doch zumindest den Duala zunächst liegenden, historisch interessanten Platz kennenlernen." Duala ist eine Gartenstadt. Beinahe jedes einzelne Haus ist ins Grüne gebettet. Wellig ist sein Gelände, ansteigend schon am Ufer. Duala ist schöner als Lome, mit seinen Häuserzeilen, ohne Zweifel. Ich liebe sie nicht sehr, diese einengenden Häuserreihen, nicht einmal zu Hause, wo sie gepflegt und mitunter noch von architektonischer Schönheit sind. Ich schätze sie noch weniger in den Tropen, wo sie, durch das alles zerstörende Klima zermürbt, einen verwahrlosten Anblick bieten. Dagegen wirkt ein einzelnes, wenn auch vom Zahne der Zeit zernagtes und möglicherweise windschiefes Haus unter Palmen immer noch romantisch. Einige Hütten tauchten auf - Japoma - und ein breites Gewässer: die Fluten des Dibamba verwehrten uns die Weiterfahrt. Wir stiegen aus. Zwei hohe Bogen der Eisenbahnbrücke wölbten sich vor uns. Zwei sind es nur noch. Ursprünglich, von den Deutschen erbaut, waren es vier. 1914 auf dem Rückzug vor dem übermächtigen Feind nach Edea, haben die Deutschen hinter dem letzten Zuge die Brücke gesprengt. Der halbe Teil davon, mit zwei Bogen am jenseitigen Ufer, ist in die Fluten versunken. Die diesseitige Hälfte blieb ganz. Bei dem Wiederaufbau der Brücke haben die Franzosen den zerstörten Teil verengt, aus viel leichterem Material und ohne Bogen hergestellt. So ist eine sonderbare, aus zwei ungleichen Teilen zusammengesetzte Brücke geworden. Ich empfand das Fehlen meiner Kamera an dieser Stelle sehr schmerzhaft. Wir überschritten die Brücke. Einzelne Stücke von Eisenschienen und Trägern waren durch das grauschmutzige Wasser des Dibamba deutlich zu erkennen. Wie ich in die Wellen starrte, verschwamm allmählich das Wasser und das Gewirr von Eisenschienen, und vor meinen Augen tauchten Masten auf, und Schiff auf Schiff, durch den Kriegsruf aufgeschreckt, flüchtete in vermutlich friedliches Gewässer. Sie drängte sich hilflos zusammen, Deutschlands stolze, afrikanische Handelsflotte. Wie ein Habicht auf eine verschüchterte Kückenschar, so stürzte ein gespickter feindlicher Koloß siegesgewiß auf die Beute. Ein altersgraues deutsches Schiffchen, so gut wie unbewehrt, deutschen Besitz und deutsches Land verteidigend, nahm den letzten Rest seiner Kräfte zusammen und fuhr auf den mächtigen Feind los. Umdonnert, zersplittert von feind- [81] lichen Geschossen und brennend bohrte es sich in seinen letzten Zuckungen in die Flanke des Feindes und versank. Pulverdampf und Rauch verschwanden vor meinen Augen - das Bild wechselte. Strahlender blauer Himmel - vor Hitze flimmerndes Tropenland. Ausgedörrt ist der Boden und traurig hängen Blätter und Gräser - und trostlos und müde, schleppend, gesenkt den Kopf und mühsam die Beine schleifend, so zieht ein Zug von Menschen, torkelnd, taumelnd. Erschrecklich dünn und zerbrechlich erscheinen die Körper der weißen Menschen am Kopfe des Zuges, an denen nur mehr Reste von europäischen Kleidern hängen. Schmal und eingefallen und durch Bartstoppeln verwildert sind ihre Gesichter. Und aus vielen Augen, die tief in den Höhlen liegen, leuchtet das Tropenfieber und die andern blicken verzweifelt, hoffnungslos. Alles verloren, trotz des noch ungebrochenen Mutes. Wie sehnsüchtig blickten die Augen aus nach Munition, wie wünschte man ihn herbei, den deutschen Blockadebrecher, als man sich immer und immer wieder dem übermächtigen Feind stellte. Nun, nach 18 Monaten, war die letzte Kugel verschossen. Deutsches Land, alles verloren! Verzweiflung im Herzen taumelte die unbesiegte, aber nun wehr- und waffenlose Kriegerschar der Grenze des neutralen spanischen Neuguinea zu. Treu bis in den Tod und treu auch in der Not folgte hinter ihr der Troß von schwarzen Kriegern mit Kind und Kegel. Schemenhaft, wie Visionen, waren diese historisch tragischen Ausschnitte aus dem Geschehen des Krieges in Kamerun vor meinen Augen erstanden. Aber die ganze Kriegsgeschichte Kameruns ist tragisch, heroisch. Wie alle deutschen Kolonien so traf auch Kamerun der Ausbruch des Krieges und besonders seine Übertragung auf alle Kolonien völlig überraschend und unvorbereitet, was nichts deutlicher erhärtet als folgende Kundgebung:
Buea (Gouverneurssitz), 31. Juli 1914. Nicht lange waren in Europa die Feindseligkeiten eröffnet, da kam an den Gouverneur Ebermeier von Kamerun von Englands Seite die Aufforderung, die Kolonie zu übergeben. [82] Dessen Antwort aber lautete: "Holt sie euch!" Man war auf jeden Fall entschlossen, wenn auch vom Anfange an beinahe ohne Waffen, das Land nicht kampflos preiszugeben, sondern im Gegenteil es bis zum Letzten zu verteidigen. Am Kamerunfluß war inzwischen ein Handelsschiff nach dem andern hinauf bis nach Duala eingelaufen, flüchtend vor den Gefahren des Krieges im offenen Meer. Wie sehr die Deutschen im allgemeinen auf Verträge und in diesem Falle im besonderen auf das Kongoabkommen vertrauten, beweist jene Flucht in den deutschen Kolonialhafen - in die Mausefalle -, wo so dicht daneben der neutrale spanische Hafen bei Fernando Po die Schiffe unantastbar gemacht hätte. Es mag wohl ein erhebender Anblick für einen Deutschen gewesen sein, dieses Gewimmel von 30 Schiffen, vom kleinen Frachtdampfer bis zum mächtigen Passagierschiff, dieses Gewirr von Masten und Schornsteinen und deutschen Flaggen. Bald war die Klappe der riesigen Falle geschlossen. Einige englische Kanonenboote kreuzten vor der Mündung des Kamerunflusses, und Duala und der Hafen lagen da, frei, schutzlos, eine leichte Beute. Vier alte Salutkanonen auf Holzlafetten und einige Dutzend Granaten, das war der ganze Küstenschutz. Da versuchte man in aller Eile auf einem Leichter, Minen zum Schutze des Hafens herzustellen. Doch der Leichter mit vier blühenden Menschenleben ging in die Luft. Nun opferte man zwei der Handelsschiffe, lenkte sie 12 Kilometer im Fluß hinunter und versenkte sie in der Fahrrinne, um dem Feind den Weg zu sperren. Unschlüssig, tastend nur wagte der Feind sich im Fluß und in den Krieks vorwärts. Sie trauten dem Frieden, der Stille nicht und vermuteten ihrerseits eine Falle. Sie glaubten den Hafen und Duala mit Forts gesichert. Und sie waren doch wehrlos, gänzlich machtlos, die Deutschen. Und doch nicht! Sie schufen sich S. M. S. Panzerbarkasse "Prinz Udo". Ein stolzer Name! Prinz Udo war einst nur eine ganz unscheinbare Pflanzerbarkasse, bestimmt, Kautschuk oder Öl zu den Schiffen, zur Verladung zu schleppen. Jetzt war sie "armiert" mit 5 Gewehren, davon mit drei Modellen von 71, bespickt mit einer Salutkanone und gepanzert mit Säcken voll Palmkernen. Und so lauerte sie auf den Feind, griff hinter Mangroven gedeckt ein Kanonenboot an, erzielte mit ihrem Geschütz einen Treffer und trieb das Kriegsschiff, das einen ganz anderen Feind vermutete, in die Flucht.
Aber alle Opfer, alle Heldentaten, sie waren wie Mückenstiche nur für den übermächtigen Feind. Sie konnten ihn nur verwirren, das Ende hinauszögern, doch nicht aufhalten. Auch die Elemente waren gegen die Deutschen. Die Fluten des Kamerunflusses, durch die Sperre der versenkten Schiffe gehemmt, schufen sich eine neue Rinne, die dem vorsichtig herantastendem Feind die Einfahrt ermöglichte. Offen war der Hafen für die Engländer. Doch noch schleuderten die Salutgeschütze dem sichernd voraustastenden ersten Kanonenboot die paar Granaten entgegen und jagten ihm eine in die Flanke, so daß es verstört und mit Volldampf wieder rückwärts flüchtete. Und nun sandte der Feind Hilferufe nach Europa: Große Kreuzer sollten kommen. Und sie kamen, dreißig Fahrzeuge, Engländer und Franzosen, große und kleine Kreuzer und Truppentransporter mit über 10 000 Mann weißer und schwarzer Soldaten. Und ihnen standen ein paar hundert bewaffnete Weiße und Schwarze gegenüber. Drohend lag die feindliche Flotte vor Duala, und das Ultimatum auf bedingungslose Übergabe der Kolonie innerhalb zwei Stunden wurde gestellt. Duala war nicht zu halten, aber die Kolonie wollte man keineswegs übergeben, noch überhaupt sich ergeben. Ein Zug mit den letzten Soldaten ging ab nach Eden, und die Dibambabrücke wurde hinter ihm gesprengt und dadurch dem Feinde die sofortige Nachfolge verwehrt. Viele Frauen und waffen- [84] lose Männer blieben in der Stadt zurück. In Duala war kurz vorher noch ein Trauerspiel abgerollt. Der Häuptling der Dualas, Rudolf Bell, der in einer süddeutschen Stadt das Gymnasium besucht hatte, wurde als Verräter entlarvt und zum Tode durch den Strang verurteilt. Zwar neigt man heute der Ansicht zu, daß King Bell nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Gegenteil gegen seinen Willen von seiner Sippe zu den verräterischen Handlungen getrieben wurde. Manga Bell hat auch vor seinem Tode noch einen Aufruf an die Dualas erlassen und sie darin zu loyaler Haltung den Deutschen gegenüber aufgefordert. Doch seine Sippe, sein Stamm, fiel den Deutschen in den Rücken, verkaufte und verriet sie, um schon nach ein paar Monaten französischer und englischer Herrschaft sie inbrünstig zurückzuwünschen. Zu spät! Verlassen war Duala von wehrfähigen Männern, doch immer noch waren die Engländer mißtrauisch und wagten die Landung von Truppen erst nach einem ausgiebigen Bombardement. Am 26. September fiel Duala. Und nun begann die Schande, nicht die schwarze, sondern die weiße Schmach. Die wehrlosen deutschen Männer, Frauen und Kinder wurden, wie sie gingen und standen, zusammengetrieben und unter Führung weißer Soldaten, jedoch unter der Bedeckung von Schwarzen, mit Kolbenstößen und Beschimpfungen die Straßen entlanggetrieben und auf Schiffe gepfercht. Zum Teil kamen sie nach England und Frankreich in Gefangenschaft. 200 Mann aber wurden in das ungesunde Tropenklima von Abomey in Dahomey, in franz. Westafrika, verschleppt, dort zu sklavischer Arbeit angehalten und unter Führung von sadistischen Soldaten zum Teil zu Tode gequält. In Kamerun begann nun der Kampf in Busch und Urwald mit ungleichen Kräften. Der Feind war nicht nur zahlenmäßig um ein vielfaches überlegen, sondern auch mit allen modernen Waffen ausgerüstet, während solche den Deutschen fast völlig fehlten. Und dennoch wurde Zoll um Zoll des deutschen Landes zäh verteidigt, und auch die treue schwarze Polizeitruppe vollbrachte manche Heldentat. Sie verstand es vor allem meisterhaft, sich an den Feind heranzuschleichen und mit den so sehr benötigten Gewehren und mit Munition wiederzukehren. Im übrigen waren sie stolz darauf, deutsche Soldaten zu sein und sahen auf die weniger disziplinierten französischen und englischen Kolonialsoldaten mit Verachtung herab. [85] Ohne verhängnisvolle Folgen, nicht bloß für die Deutschen, sondern für die weiße Rasse überhaupt, blieb der Kolonialkrieg nicht. Der Weiße war bis dahin für die Schwarzen unantastbar gewesen und nur mit einer gewissen Scheu und hündischen Unterwürfigkeit sah er zu ihm wie zu einem höheren Wesen auf. Und nun fielen alle Schranken. Den Schwarzen wurde befohlen, auf Weiße zu schießen, Weiße zu töten. Der Nimbus, der letztere bis dahin umgab, fiel, und die Ehrfurcht und Unterwürfigkeit der Schwarzen den Weißen gegenüber ist wohl für immer dahin. Der Blutrausch überkam die Naturmenschen mit Gewalt, und sie zogen auch keine Grenzen zwischen Schwarzen und Weißen mehr, und so kam es, daß ein deutscher Offizier mit vorgehaltenem Revolver sich vor besiegte englische Offiziere stellen mußte, um sie vor seinen schwarzen Soldaten zu schützen. Aber auch die fürchterlichsten triebhaften Urinstinkte der Eingeborenen, die vorher mit eiserner Hand zurückgehalten wurden, flammten erneut auf, und nicht nur viele schwarze Soldaten, sondern leider auch ein Deutscher, wurden das Opfer des wiedererwachten Kannibalismus des Stammes der Adjange. 18 Monate vermochten die Deutschen Trotz zu bieten, dann aber mußte infolge völligen Munitionsmangels der Rückzug nach Spanisch-Guinea durch Busch und Urwald unter unendlichen Schwierigkeiten angetreten werden, immer den Feind im Rücken. Die winkende neutrale Grenze wurde erreicht. Doch die Soldaten waren halb verhungert, zu Tode ermattet und zermürbt. Von den Spaniern wurden die deutschen Krieger mit Bewunderung über den langen Widerstand, fast ohne Waffen, freundlich aufgenommen. Doch der Franzose, voller Wut, daß sie ihm entkamen, folgte bei Nacht in das neutrale Land, überfiel eine friedlich lagernde Abteilung und stahl ihre Gewehre und die armselige Kriegskasse. Die Spanier protestierten entrüstet dagegen. Kameruns Kampf bildet ein Ruhmesblatt in der deutschen Weltkriegsgeschichte. Eines aufrechten Mannes muß im Zusammenhange mit deutscher Kriegshistorie in Kamerun noch gedacht weiden. Es ist König Njoja, Herrscher über das Baumunvolk im Grasland im Norden des Landes, der mächtigste Gebieter in Kamerun, der große Deutschenfreund. Er war ein äußerst intelligenter Mensch, der für sein Volk eine eigene Schrift ersann, mit den Deutschen im besten Einvernehmen lebte und sich der Gunst und der Freundschaft des deutschen Kaisers erfreute. Bei Ausbruch des [86] Krieges bot der König seine Reiterei (3000 Mann) den Deutschen zu Kriegsdiensten an. Das Anerbieten mußte mangels Waffen, konnte man doch die eigenen Leute nicht bewaffnen, abgelehnt werden. Nach dem Kriege teilten die Franzosen ohne viel Federlesens seine Ländereien auf und ihm verblieb nur mehr seine Hauptstadt Fumban, mit seinen 800 Frauen, die er zum Teil von seinen Vorfahren ererbt hatte. König Njoja war auch ein großer Freund und Beschützer der deutschen Missionen, doch später mit den französischen konnte er sich nicht vertragen und diese ihrerseits schwärzten ihn bei dem französischen Gouverneur an. Daraufhin wurde er aufgefordert, von seiner Pflanzung, auf der er sich befand, nach Fumban zurückzukehren. Er aber leistete der Aufforderung keine Folge, worauf er kurzer Hand abgesetzt und nach Jaunde verbannt wurde. Drei Jahre lebte er dort, umgeben von den Geschenken des Kaisers. Sein höchster Stolz war seine Kürassieruniform. Wenn ihn Deutsche in der Verbannung besuchten, so war immer seine erste, sehnsuchtsvolle Frage: "Wann kommen die Deutschen endlich wieder?" König Njoja ist an seiner Anhänglichkeit und Treue zu den Deutschen zugrunde gegangen. Mitte Juni 1933 ist er in der Verbannung in Jaunde gestorben. Ehre seinem Andenken!
Eine kleine Pause und schon ging es weiter in einem wahnsinnigen Tempo, gedämpft und doch so eindringlich: Gluck, gluck - hämmerte sich ein in mein Gehirn und rüttelte mich vollkommen wach. Ich guckte um mich. Wo war ich denn heute? Oft erging es mir so, wenn ich morgens aufwachte, daß ich erst überlegen mußte, wo im weiten Afrika ich mich nun eigentlich befand. Bald hatte ich mich zurecht gefunden. Ich war noch in Duala und heute um 7 Uhr sollte ich am Kai sein zur Fahrt mit einer Barkasse nach Viktoria im britischen Kameruner Mandatsgebiet. Nun freute ich mich wieder, diesen Ausweg gefunden zu haben und nicht noch die paar Tage bis zur Abfahrt der "Assi" als widerwillig geduldeter Gast der Franzosen bleiben zu müssen. Bei den Engländern würde ich be- [87] stimmt keine Schwierigkeiten haben. Ich habe sie bis jetzt auf Reisen immer noch als Gentlemen kennengelernt. Aber noch etwas freute mich diebisch, die Erklärung des Vertreters des Administrators: Herr Trompeter, der mich in so hinterlistiger Weise verdächtigt hatte, sei auch den Franzosen eine absolut unsympathische Person. Er wäre Agent der Hollandlinie in Duala gewesen und sei auf die Initiative der französischen Regierung versetzt worden. Das genügte mir zur Rehabilitierung in dieser echt jüdischen Angelegenheit. Noch immer trommelte es in unregelmäßigem Takt an mein Ohr - gluck - trommelte, ja, das war es, nun wußte ich es: Negertelegraphie! Da saß am Kai ein schwarzer Mann im weißen Tropenanzug, mit Bügelfalten, bearbeitete seinen ausgehöhlten Baumstamm und lockte die am Kamerunfluß herabkommenden Neger etwa folgendermaßen: Die Firma C. D. A. zahlt die höchsten Beträge für Palmkerne und Öl und nimmt die niedrigsten Preise für ihre Waren. Kommt zu C. D. A., kauft bei C. D. A. schöne Ware, gute Ware! Gluck, - gluck, gluck - schöne Ware, gute Ware! Entzaubert ist auch das romantische Nachrichteninstrument der Buschleute, das über unüberbrückbaren Urwald hinweg, von Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm, die Nachricht wichtiger Ereignisse weit in das Land hineintrug, entzaubert und in den Dienst nüchterner Reklame gestellt. Armes 20. Jahrhundert, Jahrhundert der Sachlichkeit und Nüchternheit, entkleidet jeglicher Romantik. Es trommelte immer noch in meine Ohren, gedämpft und unaufdringlich und doch so eindringlich, es trommelte und ich konnte den Schlüssel zu dieser Telegraphie nicht finden. Die Schläge unterschieden sich nicht voneinander, sie waren gleich kurz, aber es war auch unmöglich, sie in den einzelnen Intervallen zu zählen, dazu waren es ihrer zu viele und folgten sich zu schnell. Ich fand, daß dieses Negersystem reichlich kompliziert ist und gar nicht leicht zu erlernen sein dürfte. Es goß, als ich die Barkasse bestieg, doch war ich froh, denn ich befand mich wieder im Besitze meiner Kamera. Aber ich getraute mich noch nicht, sie zu benützen, als wir am Kamerunfluß abwärts ganz nahe an den aus dem Wasser ragenden Masten der zur Kriegszeit zum Schutze des Hafens von Duala versenkten deutschen Schiffe vorüberfuhren. Tuschelten nicht die drei Franzosen, die außer mir und einem Deutschen noch an Bord waren, miteinander, warfen sie nicht sonderbare Blicke nach mir? Sollten [88] das schon wieder Spitzel sein, mir auf den Hals gehetzt? Du bist nervös und siehst Gespenster, so sagte ich zu mir selbst. Aber gerade bei nüchterner Überlegung kam ich zu der Ansicht, daß meine Bedenken wohl berechtigt waren. Wie war ich doch ahnungslos und vertrauend in Lome und wurde auf Schritt und Tritt beobachtet. Ich hatte wirklich allen Anlaß, jedem Franzosen mit Mißtrauen entgegenzukommen. Wo auf weiter Welt konnte man etwas dagegen einzuwenden haben, wenn ich die Masten deutscher, im Kriege versenkter Schiffe photographierte? Daß aber es die Franzosen sehr krumm nehmen und mir daraus wieder einen Strick zu drehen versuchen würden, unterlag für mich keinem Zweifel. Der Regen hatte aufgehört. Unser kleines Schiffchen bog in das Gewirr der Krieks ein, der kleinen und großen Wasserstraßen des Kamerundeltas. Hier war das Gebiet, wo S. M. S. "Prinz Udo" auf den Feind gelauert hatte, um ihm zumindest kleine Stiche zu versetzen. Und dort an jener Stelle in der Nähe des Mövensees fuhr die "Nachtigal" mit ihrer Besatzung in den Tod. Heute aber war es friedlich und still und leise plätscherte nur hin und wieder ein Kanu, mit schwarzen Gesellen besetzt, an uns vorüber. Ein Fischadler strich über unsere Köpfe hinweg, stieß in das Wasser, schwang sich wieder hoch mit seiner Beute und zurück in seinen Horst in den Mangroven. Wir erreichten Tiko. Ein großer deutscher Handelsdampfer lag an der Brücke. Auf Rollwagen kamen die Bananen angefahren und die großen Bündel wurden von schwarzen Arbeitern in den Schiffsraum verstaut. Und Wagen auf Wagen wurde entleert und immer neue und vollgefüllte rollten heran, Stunde um Stunde - und das gefräßige Ungeheuer schluckte sie und war nicht zu sättigen. "Wo kommen sie denn her, die Früchte?" "Von den deutschen Plantagen in Tiko und Viktoria. Sie werden sie noch sehen." Endlich war der Nimmersatt doch zufriedengestellt und dampfte mit mir nach Viktoria. Ich stand an der Reling festgebannt während der zweistündigen Fahrt, trunken im Genießen der Landschaft. Aus den Fluten des Meeres hoben sich Berge mit dem satten Grün der Urwälder in reicher Gliederung und Einbuchtung steil empor und stießen himmelstürmend in eine dunkle Wolkenmauer. Und die Wolken wogten und zogen wie Schleier auf und nieder und ließen hier und dort wie neckisch einen Zipfel fallen [89] und rissen Löcher hinein und zeigten mir, für Sekunden nur, Ausschnitte von den Hängen der Berge, von dem Gipfel - neidisch - wie ein großes wertvolles Geheimnis, das man so allmählich enthüllt, um die Spannung, die Freude, die Schönheit zu steigern. Ahnen sollte ich nur und dann überrascht werden. Doch nur die Ahnung schon begann mich in der Bucht von Viktoria zu berauschen. In einem Halbkreis, von Bergen gebildet, überragt von der über 4000 Meter hohen Spitze des Kamerunberges, liegt die Bucht wie eine blitzende Muschel. Den offenen Halbkreis schließt im Süden in der Ferne, in leichten, blauen Dunst gehüllt, die bizarre Form des Pik von Fernando Po. Und wie Edelsteine verstreut, so schmücken größere Inseln und die kleinen von Tropenpflanzen überwucherten, smaragdgrünen Piraten die blinkende silberne Muschel. Ich stand überrascht und geblendet vor der kaum noch irgendwo in weiter Welt gesehenen landschaftlichen Schönheit, und brennend, sehnsuchtsvoll und schmerzhaft griff es an mein Herz:
Einst deutsches Land! Verlorenes
Land! Bei meiner Ankunft wurde ich zu einer Mitgliederversammlung der NSDAP. Ortsgruppe Viktoria und Tiko eingeladen. Im Auto, im Dunkel der Nacht huschten stille Urwaldriesen gespenstisch an uns vorüber. Der Wagen schlängelte sich in S-Kurven ein Stück am Kamerunberg hinauf, polterte auf Brücken über tiefe Schluchten und stürzende Bergflüsse und senkte sich dann abwärts in die Tikoebene, die selbst im Dunkel übersehbar sich weit vor uns ausbreitete und sich im silberglänzenden Meer verlor. Einige blinkende Lichter grüßten schläfrig zu uns herauf, und dann tauchten wir hinab nach Tiko. Im Versammlungssaal flammte die Hakenkreuzflagge. Das Bild des Führers Adolf Hitler blickte ernst auf uns herab, und der Völkische Beobachter hing an einem Haken an der Wand. Ein lange entbehrtes Bild. Und dann kamen sie herbei aus den Pflanzungen, aus vieler, vieler Kilometer Entfernung, auf ihren Wagen über halsbrecherische Gebirgswege und auch zu Fuß, treu der Bewegung und dem Führer wie im Reich. Ist es auch nur eine kleine Schar, so bildet sie doch einen Pfeiler, einen Eckstein der Bewegung draußen in der weiten Welt. Ebensogut wie sie die Pioniere des deutschen Handels im Auslande sind, so sind sie als Parteigenossen die Vorposten und Pioniere der Nationalsozialistischen Bewegung. Als solchen fällt ihnen die Aufgabe zu, das Ansehen dieser und des neuen Staates im Ausland nach Kräften zu fördern und zu heben. [90] Diesen Gedanken verlieh ich auf die Aufforderung zu einer kleinen Ansprache Ausdruck, nachdem ich die Grüße der Heimat und der Bewegung überbracht hatte. Nach einigen Schlußworten des Ortsgruppenführers brauste Horst Wessels heiliges Lied auf: Bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen — Wie ein Schauer überkam es mich, als diese Worte erklangen, hinaus in die dunkle äquatoriale Tropennacht. Schon flattern Hitlerfahnen über allen Landen! Und überall, wo deutsche Zunge spricht in Nord und Süd, in West und Ost, auf weitem Erdenrund, da klingt das Lied aus deutschen Kehlen: "Die Fahnen hoch! —"
Ich saß in einem dieser Häuser als freundlich aufgenommener Gast in der großen Diele und hatte vor meinen Augen die kleinen Piratenklippen und die Dreimarksinsel, die einmal ein Deutscher für drei Mark erstanden hatte und auf der ein Häuschen und ein kleines Gärtchen wohl Platz finden mochte. Nach Deutschland zurückgekehrt, suchte er als Besitzer einer "ganzen Insel" im Atlantischen Ozean Geld "zur Anlage von ausgedehnten Plantagen" und fand es. Hinter mir mußte sich steil und groß der Kamerunberg emporbauen, doch wie immer seit meiner Ankunft, verbarg er sich hinter ziehenden Wolken. Große Herren lassen auf sich warten - doch eines Tages wirst auch du dich herbeilassen. Herr K. saß mir gegenüber und erzählte mir, der ahnungslos Aufhorchenden, von den ausgedehnten Pflanzungen am Kamerunberg, die sich heute wieder in deutschem Besitz befinden. Mancher Mensch mag sich wohl über die Bescheidenheit gewundert haben, mit der sich England mit dem kleineren Teil von Kamerun als Mandatsgebiet begnügte. Aber Englands Schüchternheit in solchen Dingen ist meist das Ergebnis eines einfachen Rechenexempels. England bekam mit dem Landgebiet, das es nahm, die deutschen Großplantagen, rund [91] um den Kamerunberg 250 000 Hektar Land, mit 20 000 Hektar bestangelegter Kulturen, mit den modernsten Fabriken und Aufbereitungsanlagen, eigenen Eisenbahnen und reichem Schiffsmaterial in die Hand. Nach Beendigung des Krieges versuchten die Lever brothers von der englischen Sunlightseifengesellschaft, die größte deutsche Plantage der westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft in Viktoria zu kaufen. Doch Lloyd George meinte in einer menschlich gerechten Anwandlung, es wäre nicht ganz fair, nur Engländern den Erwerb dieser wertvollen deutschen Pflanzungen zu ermöglichen. Dadurch unterblieb seinerzeit der Verkauf. Im Jahre 1922 wurde die erste Versteigerung der Pflanzungen anberaumt, zu der keine Deutschen zugelassen werden sollten. Das ärgerte den alten und mächtigen Herrn, den Kamerunberg, den Beherrscher und Beschützer der mit deutschem Fleiß angelegten Pflanzungen zu seinen Füßen und er spie den Engländern in einem Wutanfall seinen Haß und seine Empörung mit Feuer, Schwefel und glühender Lava ins Gesicht. Nach langem Aussetzen hatte der Vulkan, gerade zur rechten Zeit, seine Tätigkeit wieder aufgenommen und tatsächlich dadurch Interessenten an den Pflanzungen zurückgeschreckt. Nur eine einzige kleine, aber leider die beste kam bei dieser Versteigerung in englischen Besitz. Eine neue Versteigerung wurde im Jahre 1924 angesetzt, dieses Mal unter Zulassung von Deutschen. Ein unerhörter Pressefeldzug wurde daraufhin dagegen eröffnet. Eine neue Greuel- und Lügenhetze ergoß sich über die Kolonialdeutschen, um den Rückkauf der Pflanzungen durch dieselben zu verhindern. Doch von maßgebenden Stellen war die deutsche Beteiligung aus Gründen, die aus dem Folgenden hervorgehen, erwünscht. Die Versteigerung mußte mit Polizeiaufgebot vor Angriffen geschützt werden. Ein englischer Strohmann hat für die Deutschen geboten und die Pflanzungen auch erworben. Am anderen Tag wurde er von der Presse als "the King of Cameroon" gefeiert, als Held der "verhindert" hatte, daß ein Königreich in Afrika an Deutschland fiel. Da die politische Lage zu dieser Zeit etwas brenzlig war, wurde auch die deutsche Presse nicht unterrichtet und so kam ein Gebiet, so groß wie Baden, wieder in deutsche Hände, ohne daß die Welt und Deutschland etwas davon hörte. 1925 begann der Wiederaufbau. Die neuen Herren hatten sich nur auf das Ernten beschränkt. Vollkommen vernachlässigt waren die Kulturen [92] unter der zehnjährigen, englischen Verwaltung. Sie erfuhren keine Pflege und verbuschten, und die Schädlinge nahmen überhand. Qualität und Quantität gingen daher von Jahr zu Jahr in erschreckendem Maße zurück und die Maschinenanlagen wurden nur noch notdürftig in Stand gehalten und verfielen allmählich. Als die Pflanzungen beinahe ganz entwertet waren und der Betrieb kaum mehr aufrechterhalten werden konnte, da durften die Deutschen, und in diesem Falle nicht einmal ohne Anrempelungen, sie zurückkaufen. Und sie haben sie wieder aufgebaut. Lustig hämmert und stampft es in den Hallen und rauchen die Schlote und schrillen Lokomotiven und rollen die Züge zu meinen Füßen in der Fabrikanlage Botas der deutschen westafrikanischen Pflanzungsgesellschaft in Viktoria. Und so wie hier regt es sich auch in den anderen Pflanzungen, die sich vom unrentablen Öl und Gummi hauptsächlich auf Kakao und Bananen umgestellt haben. Mit Mühe und Fleiß, mit großen Kosten haben die Deutschen wieder aufgebaut, was man ihnen erst abgenommen hatte, dann verlottern und von ihnen wieder zurückkaufen ließ. Soll das ewig so bleiben? Soll das deutsche Volk, das tüchtig ist und arbeitsam wie keines sonst auf Erden, immer wieder um die Früchte seiner Arbeit betrogen werden, schaffen und schuften für andere? Im französischen Kamerunmandatsgebiet wird Raubbau getrieben. Die Urwälder sind zum großen Teil abgeholzt und vernichtet. Die Pflanzungen, die Wirtschaft, alles liegt darnieder, aber am Aufbau, an der Erschließung des Landes geschieht nichts. Nur an den Küstenplätzen sind an auffallenden Stellen einige Bauten entstanden mit den Initialen R. F. (Republique Française) versehen, um der Welt von dem "Aufbau" der Kolonie Kunde zu geben. Dabei scheut man sich aber nicht, auch nur reparierten Objekten den französischen Ursprungsstempel aufzudrücken. Kamerun steht heute nicht nur auf dem Stande, auf den die Deutschen es bis 1914 gebracht haben, sondern es ist wieder weit zurückgeschlagen. Wenn bei der Revision des Versailler Vertrages auch die Kolonialfrage reif ist und unsere Kolonien zum Mutterland zurückgehen, dann hat Deutschland nicht etwa Anlaß, Entschädigungen zu bezahlen für Aufwendungen, sondern, im Gegenteil, seine Rechnungen den Mandatsregierungen gegenüber aufzustellen für den Raubbau, die Herunterwirtschaftung und Verlotterung unserer einst blühenden Kolonien. In diesem Zusammenhange ist folgender Abschnitt eines französi- [93] schen Kolonialaufsatzes über die deutsche Überseebetätigung der Nachkriegszeit von besonderem Interesse, denn er bestätigt in unzweideutiger Weise die vorhergehenden Ausführungen:
"Überall findet man wieder das gleiche große Geschick (der Deutschen! d. Verf.) zur Organisation, welches wir schon kennengelernt und welches uns fast immer fehlt. Dieser ernsten Arbeit, diesen folgerichtigen und ausdauernden Anstrengungen eines Volkes, welches keine überseeischen Besitzungen mehr hat und sich trotzdem dazu aufrafft, diejenigen Gebiete in ihrem Wert zu heben, auf welche sich einstmals sein Einfluß erstreckte, kann von uns wahrhaftig nur mit Neid die Tatsache gegenübergestellt werden, daß unsere ersten Schritte in dieser Richtung viel zu häufig den Charakter einer reinen Improvisation zur Grundlage haben. Immer hat es bei uns an einem weitschauenden Gesamtplan gefehlt und an methodischer Verwirklichung, In allen unseren Gebieten, über welchen unsere Flagge weht, hat man kurzsichtige Augenblicksarbeit geleistet, ohne Wert zu legen auf den Blick für die unbedingten Notwendigkeiten des einzelnen und ohne es trotzdem fertigzubringen, um diese Einzelinteressen ein gemeinsames, einigendes Band zu schlingen. Diese sträfliche Nachlässigkeit bildet übrigens die Erklärung dafür, daß wir nichts Großes aus unseren Kolonien gemacht haben, daß sie vielmehr Quellen unproduktiver Ausgaben statt wirkliche Hilfsquellen für unser Land darstellen." Es erübrigt sich, diesen Bekenntnissen auch nur ein Wort hinzuzufügen.
Die großen Hallen von Bota begrüßten mich stampfend und schnaubend von Energie und Arbeit. Die Ölpresse knirschte, die großen Kakaogärungsanlagen verbreiteten einen säuerlichen Geruch und die ausgedehnten Flächen der Trocknungsöfen dampften. Große Sortiertrommeln drehten sich nimmermüde, und in den Lagerhäusern standen Stapel von gefüllten Säcken mit Kakao. Schwarze Menschen standen an den Dampfkesseln, an den Hebeln der Maschinen und mit Rechen auf den Trocknungsplätzen. "Das ist Gefreiter Johny", stellte mein Führer vor. Einer der schwarzen Arbeiter stand stramm vor nur. Er war Soldat und [94] hatte im Krieg für Deutschland in Kamerun gekämpft und auch geblutet. Er erzählte mit leuchtenden Augen von der kleinen deutschen Schutztruppe, von dem Widerstand auch einer mehrfachen Übermacht gegenüber. "Hole deinen Entlassungsschein!" Er eilte weg und kam bald mit einem Bündelchen wieder. Es nahm Zeit in Anspruch, das Blatt Papier aus seinen vielen Umhüllungen zu schälen, und es war rührend zugleich, es so sauber und wie neu in Händen zu haben - sein Heiligtum. Mit bewegter Stimme sprach der Deutsche zu mir: "Ergreifend ist die Anhänglichkeit und die Treue der Schwarzen. Als wir 1925 hier ankamen, da liefen sie vor Begeisterung zusammen, von weit her, und sie heulten und jubelten vor Freude über unsere Rückkehr."
Wie hatte ich sie vermißt in den letzten Wochen in Afrika. Es hatte Tag für Tag gegossen, und in den kleinen Pausen war es düster und trübe. Jetzt aber flammte es von Licht und durch das Fenster, getroffen vom roten Strahl der Morgensonne, nickte wie errötend der alte graue Riese mit seinem stolzen Haupt gnädig auf mich herab, einen Augenblick, einige Sekunden nur und schon verhüllte er sich wieder mit grauen Wolken, entzog sich dem Menschenauge. Ich erschauerte zutiefst in meinem Innern. Möchte mich auch die Vernunft für verrückt erklären, ich hatte das Gefühl, als hätte dieser einzige Blick, dieses Aufleuchten des Beherrschers des Landes, wie ein gnädiges Nicken mir ganz allein gegolten, die ich ihn verehrte, ihn, den Gewaltigen und Gerechten, der mit einer einzigen Geste fremde Menschen, die ihre Hände nach deutschem Besitz ausstreckten, zurückscheuchte. Ziehende Nebel umhüllten meine Gastgeberin und mich, als wir aus dem Hause traten. Der schnaubende "Gouverneur Ebermeier" (Lokomotive) tat bereits sehr wichtig und schob die Rollwagen hierhin und dorthin im Industriebahnhof von Bota. Schließlich hängte er sich die Wagen an und zog sie hinter sich her, in Schlangenlinie, pustend und schnaubend in Palmen und Urwald. Und an dem Schwanz der Schlange holperte eine Draisine und darauf saßen wir mit einem Pflanzer zusammen. Der Zug [95] schnaufte aufwärts durch Eingeborenenreservationen, durch Gummiplantagen, die stille liegen, durch Ölpalmen, deren zum Teil reife, rote Früchte in den Morgen hineinleuchteten, durch noch junge Bananenkulturen und durch Urwald mit seinen ragenden Baumriesen eingesponnen und eingemummt von Lianen, grünen Pyramiden. Aufwärts ging es, stöhnend, und plötzlich stand das Züglein still. "Gouverneur Ebermeier" hatte Durst, wieder und wieder Durst. Und wir standen hier und dort und wurden abgehängt und leere Rollwagen wurden in Nebengeleise geschoben und dann begann es zu rieseln, während unsere Draisine durch niedere Kakaobäume hindurchlief, an denen die eigenartigen gelben Früchte, nicht etwa an den Zweigen, sondern an den dicken Ästen und Stämmen hingen. Halbnackte schwarze Gestalten mit furchterregenden langen Spießen, einem Korb auf dem Rücken und einem Bananenblatt als Regenschirm auf dem Kopfe, schlichen zwischen den Bäumen herum und schnitten die Früchte ab. Andere Neger saßen auf dem Boden, klopften die harten Schalen auf, nahmen die milchigweißen Kakaokerne heraus und sammelten sie in Körbe, die sie in Rollwagen entleerten. "Hier sehen Sie die schwarzen Schoten, das sind an Braunfäule erkrankte Früchte", sagte der Pflanzer. "Die schwarzen? Das sind ja aber viel mehr als die Hälfte. Ich sah bis jetzt neben einem kleinen Häufchen gelber immer unendlich viel größere schwarze Haufen." "Sie haben leider recht. Bis zu neunzig Prozent sind an manchen Stellen die Früchte erkrankt. Und das ist ein ungeheurer Schaden. Abgesehen davon, daß der Ertrag aus diesen Schoten nur ein Fünftel des Normalertrages ist, ergibt er auch nur zweite Qualität. Das aber macht die Kakaopflanzungen unrentabel." "Woher kommt denn nur diese Krankheit?" "Zum Teil wohl davon, daß die Kulturen unter den Engländern vernachlässigt wurden, zum anderen Teil von dem immerzu strömenden Regen, der in diesem Jahr noch schlimmer ist als gewöhnlich. Dieses Gebiet ist ja auch eines der regenreichsten der Erde. Debundschah steht an zweiter Stelle und wird nur von einem Ort im Himalaja noch übertroffen. Ein Niederschlag von fünfhundert Millimeter im Tag, so viel wie in Berlin das ganze Jahr, kommt hier hin und wieder vor. Der Jahresdurchschnitt beträgt zehntausend Millimeter, und diese Menge ist auf die paar Monate zusammengedrängt." [96] Nun wunderte ich mich nicht mehr über die Bächlein, die von meinem Tropenhelm herabliefen, entlang am Mantel, dort die Leinenweiße von meiner Kopfbedeckung in Striemen hinterließen und schließlich in meinen Schuhen ein höchst unpassendes Gefäß fanden. Des Pflanzers Augen folgten meinem Blick. "Gegen diesen Regen gibt es fast keinen Schutz, sehen Sie, sogar die Hornknöpfe werden morsch wie Holz und zerbrechlich. Alles verrottet hier. Gegen diese Zerstörungswut des westafrikanischen Klimas schützen sich die Weißen dadurch, daß sie elektrische Birnen, und wenn Elektrizität fehlt, sogar Öllampen in die Schränke stellen, die Tag und Nacht brennen, um Kleider und Wäsche trocken zu erhalten. Daß das alles zermürbende Klima auch dem Menschen nicht zuträglich ist, können Sie sich vorstellen." Wieder stand "Gouverneur Ebermeier", dessen Durst mich einigermaßen in Erstaunen setzte, da doch das Naß in Strömen vom Himmel fiel. Ein Weißer stand stramm an unserer Draisine. "Ist es erlaubt, hier mitzufahren?" "Gerne!" "Na, meine Damen, heute zeigt es sich wieder, wenn Engel reisen —" "Nanu! Kleine Bächlein laufen an uns herab." "Es ist schon so, das ist noch gutes Wetter heute, wenn die zu Hause wüßten, wenn sie ihre Schokolade trinken, wie wir Tag für Tag, vier Monate hindurch, draußen im schlimmsten Regen stehen, jeden Abend durchnäßt nach Hause kommen, müde und ermattet in das Haus, das doch kein Heim ist für uns Junggesellen. Nur Schwarze umgeben uns, schwarz sind die Hausangestellten und schwarz die Arbeiter. Wir im Busch sind abgeschnitten von der Welt, oft ohne Möglichkeit auch nur an Sonntagen unter Weißen zu sein. Und dann wird die Einsamkeit unerträglich. Ich würde lieber auch meine Schokolade zu Hause trinken als sie hier gewinnen helfen."
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