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Mitteldeutschland - Hermann Goern

Der Harz

Sieht man von den in geringerer Höhe streichenden Zügen des Weserberglandes ab, dann stößt die mitteldeutsche Gebirgsschwelle mit dem Harz am weitesten gegen die Tiefebene vor, die sich fast unmittelbar unter ihm auszubreiten beginnt. Diese vorgeschobene Bastion des "Burghofes" Thüringen erreicht am Nordrande im Brocken mit 1142 Metern die höchste Erhebung zugleich für das gesamte mitteldeutsche Gebiet. Sein Gipfel, der einzige beherrschende des Gebirges, bildet mit dem mächtigen breitgelagerten Massiv seiner Umgebung den großartigen Hintergrund für das nördliche Vorland. Wo es auch sei bis zur Aller und Ohre hinauf, ist sein bläulicher Schatten an klaren Tagen noch am südlichen Horizont zu entdecken. Während von dort aus das Gebirge über der welligen Landschaft als drohende Mauer fast unüberschreitbar erscheint, wandelt sich dieser heroische Zug unterm Blick von der südlich vorgelagerten Hochebene aus zur Anmut thüringischer Lieblichkeit und wird zur Gleichförmigkeit, wo es nach Südosten mit kaum merklichen Abstufungen über die Mansfelder Platte zur Saale hinuntersteigt. Im Tertiär wurde dieser hauptsächlich aus Granit, Porphyr und Quarzit bestehende Block als Horst herausgehoben und ist, - was immer wieder erstaunt -, in seinen inneren Bezirken einförmiger, als man es nach den wilden Zerklüftungen erwartet, mit der die Kraft der schäumenden Wasser von Bode, Holtemme, Ilse, Oker und Innerste seinen Nordrand zersägt haben. Einförmig sind die in der durchschnittlich 600 Meter hohen Hochfläche des Oberharzes zusammengefaßten welligen Ebenheiten mit der Unwegsamkeit ihrer Hochmoore, über denen der kahle granitene Gipfel des Brockens und der Quarzitrücken des Acker-Bruchberges (über 900 Meter) erst als wirkliches Gebirge erscheinen. Besonders der Brocken hält die von Westen heranziehenden Wolkengeschwader auf, und was er dem Gebiet bis nach Halle hin vorenthält, stürzt hier in fast täglichen Regengüssen herab. Die einsame Endlosigkeit schweigender Rottannenwälder, zwischen denen sich plötzlich ein enges steilwandiges Tal mit dem Getöse über Felsentrümmer sich werfender Wasser auftut, gibt diesem nördlichen Teil des Gebirges einen ernsten, schwermütigen Charakter, der sich an vielen Stellen bis zu bedrückender Düsterkeit steigert. Verglichen damit ist der anmutigere Unterharz, das im Mittel [552] etwa 400 Meter hohe Gebiet jenseits des Zorge- und Bodetales, heiter zu nennen und in jedem Sinne aufgeschlossener und zugänglicher. Milderes Klima hat hier lichte Laubwälder besonders mit ausgedehnten Buchenbeständen über die Hügelflächen gebreitet, auf zahlreich eingestreuten Fluren auskömmlichen Ackerbau ermöglicht und die dichter gelegenen Siedlungen fast alle zu bekannten heilklimatischen Kurorten werden lassen.

Harzquerbahn.
[486]      Harzquerbahn.

Wenn die großen Bahnstrecken das Gebirge umgehen und nur zwei Nebenlinien hineinschicken, so ist das auch heute noch ein deutliches Zeichen für seine einstige Unwegsamkeit, die erst spät eine Besiedelung erlaubt hat. Sein Name, aus dem mittelhochdeutschen hart (Bergwald) entstanden, weist darauf hin, daß er nur als Waldgebirge angesehen wurde, und bis ins 13. Jahrhundert war der riesige Urwald der Bannforst des Kaisers, worin nur er das Jagdrecht besaß. Mit der Gründung der Pfalz Heinrichs I. in Goslar 920 und weiter dann unter den Ottonen und Staufern, in der glänzendsten Zeit für das Harzland, wird jener Ring von Pfalzen und Burgen um das Gebirge gelegt, wie er in solcher Dichte sonst nirgends in Deutschland wieder anzutreffen ist. Nur die wichtigsten, die heute noch z. T. als Städte bestehen, seien genannt: Seesen, Ilsenburg, Quedlinburg, Frose, Walbeck, Allstedt, Tilleda, Wallhausen, Nordhausen und Pöhlde. Von ihnen aus wurde auch den Wäldern, besonders im Unterharz, allmählich Siedelboden abgewonnen. Die vielen Namen auf rode künden hier von zähe geleisteter Arbeit. Nicht minder wichtig für die Aufschließung des Gebirges war 935 die Entdeckung der Silbererzlager im Rammelsberg bei Goslar, die hauptsächlich von fränkischen Bergleuten aus dem Fichtelgebirge ausgebeutet wurden. Mit ihnen kommt in das ursprünglich rein niederdeutsch-sächsische Sprachgebiet des Oberharzes jener fränkische Einschlag, der dort noch allenthalben spürbar ist. Der Bergbau hat die Verschiedenartigkeit der Bevölkerung bewirkt. Besonders als im 16. Jahrhundert auch bei Klausthal-Zellerfeld, Wildemann und St. Andreasberg silberhaltige Gänge erschürft wurden und, durch die vielversprechenden "Bergfreiheiten" angelockt, viele "meißnische Berggesellen" aus den erzgebirgischen Silberstädten herbeikamen, deren Blütezeit damals im Vergehen war.

Die wichtigste der sieben Bergstädte und damit des Oberharzes ist der Doppelort Klausthal-Zellerfeld, wo schon um 1204 Goslarer Benediktinermönche den Bergbau begründeten, bis ihn 1347 die Pest zum Erliegen brachte und das ganze Gebiet völlig entvölkerte. Die Grubenbauten des "Alten Mannes" aus dieser Zeit sind noch zu sehen und die Sagen vom Bergmönch erinnern noch an ihre Gründer. Nach der Neubesiedlung des inzwischen wieder zur Wildnis gewordenen Bezirkes gab es bei der Doppelstadt um 1600 bereits wieder 55 Gruben, deren Erträge in den bis 1849 bestehenden Münzen der beiden Städte zu den schönen Ausbeutetalern mit dem Wilden Mann darauf geschlagen wurden. Neben geringeren Mengen Silbers wird in dem bis Wildemann, Lautenthal, Grund und Altenau sich ausdehnenden Revier heute vor allem Blei und Kupfer gewonnen. Die kleine Stadt von 13 000 Einwohnern ist Sitz der einzigen preußischen Bergakademie und eines Oberbergamtes. Als schönes [553] Wahrzeichen harzischen Holzreichtumes steht hier Deutschlands größte Holzkirche aus dem 17. Jahrhundert mit ihrer mächtigen Halle in Weiß und Gold. Durch drei ihrer Söhne hat die Stadt das deutsche Geistesleben bereichert. Robert Koch, der Begründer der Bakteriologie, hat hier an den Kuhherden seine frühesten bahnbrechenden Beobachtungen gesammelt. Paul Ernst, der erst heute zu spätem Dichterruhm Gekommene, hat von hier aus seinen tapferen Lebensweg angetreten genau so wie der liebenswürdige Spötter O. E. Hartleben, der drüben in Stolberg zwischen gemütlichen Käuzen eine fröhliche Referendarzeit verbrachte.

Der Hauptreiz der von Wald umsäumten Wiesenfläche, deren Kargheit nur den glockenläutenden Rinderherden der kräftigen rot- und hellbraunen Harzrasse Weide gibt, sind die zahllosen oft beträchtlich großen Teiche, die gleich Scherben eines riesigen Spiegels überall im Grün aufblitzen. Als Sammelbecken der Tagewasser für den Grubenbetrieb verdanken auch sie dem Bergbau ihre Entstehung, genau so wie der Oderteich mitten in den düsteren Tannenwäldern am Brockenfuß. Weitab schon kündigt sich das Bergbaugebiet mitten in den dichten Wäldern durch schnurgerade Gräben an, die das Wasser zur Versorgung der Teiche sogar von den Hochmooren des Brockenfeldes heranführen.

Nach Andreasberg hinüber durch das wilde, urwaldähnliche Gebiet des Bruchberges zeigt das Gebirge noch viel unberührte Reize, wo über Felsentrümmern die riesigen zerzausten Tannen mit ihren langen grauen Flechtenbärten stehen, wo das Wollgras über den schwankenden Moorboden seinen Flockenschnee schüttet, die Farne ihre Wedel entfalten und die Hänge überglüht sind von der lohenden Pracht des Fingerhutes. Hat man Glück, trägt einem der Wind dann wohl den würzigen Brandgeruch eines Meilers zu, wo der Köhler seinem nun fast zur Sage gewordenen Beruf nachgeht. Ehe die Steinkohle eingeführt wurde, war die Holzkohle der unentbehrliche Brennstoff für die Verhüttung der Erze und in den blühenden Zeiten des Bergbaues sind ganze Wälder in die Meiler gewandert. Die kahlen Halden um die Bergstädte herum sagen deutlich genug, wie groß der Verbrauch gewesen ist.

St. Andreasberg, Harz.
[487]      St. Andreasberg (Harz).

Andreasberg, mit abenteuerlich steilen Straßen an schroffen Berghängen war im 18. Jahrhundert eine reiche Stadt. Als dann der Segen aufhörte, besann man sich aufs Vogelstellen, jener uralten Leidenschaft des Wäldlers, der auch Herr Heinrich frohgemut nachging als er am Vogelherd - um dessen geschichtliche Stätte sich die Harzorte streiten wie die griechischen Städte um den Geburtsort Homers -, zum ersten deutschen König ausgerufen wurde. Die Liebe zum Lied der Vögel, wie überhaupt zu Gesang und Musik, hat in Andreasberg die berühmten Kanarienzüchtereien entstehen lassen, deren Harzer Roller den Namen des Gebirges in die ganze Welt tragen. Ihren liebenswürdigsten Ausdruck aber hat die Freude am Vogelsang in Benneckenstein gefunden, wo beim Volksfest des alljährlichen "Finkenmanövers" ein großer Wettkampf der gefiederten heimischen Sänger veranstaltet wird.

Osterode, Harz. Das Rathaus.
[488]      Osterode (Harz). Das Rathaus.
Die Stätten alter Kultur sind nur am Rande des Gebirges zu finden. Am Südwestabhang bei der Sösetalsperre, die durch eine 200 Kilometer lange Lei- [554] tung Hannover und sogar Bremen mit Trinkwasser versorgt, liegt die einstige Hansestadt Osterode. Aus den schweren Schicksalsstürmen des Dreißigjährigen Krieges hat sie mit Mauern, Kirchen und reichen Fachwerkhäusern viel Mittelalter bewahrt und der deutschen Kunst in Tilman Riemenschneider einen der größten Meister geschenkt. In Gandersheim, unweit der Leine, lebte im 10. Jahrhundert die Nonne Hroswitha, die als die gebildetste Persönlichkeit der ottonischen Zeit gerühmt wird und als Verfasserin lateinisch geschriebener Dramen Deutschlands erste Dichterin war. Am Eingang des anmutigsten und lieblichsten aller Harztäler blickt Ilsenburg auf eine 1100jährige Vergangenheit zurück. Wo sich die Kaiserpfalz Elisinaburg zur bedeutenden mittelalterlichen Bildungsstätte eines reichbegüterten Benediktinerklosters verwandelte, gründeten die unternehmenden Stolberger Grafen 1540 ihre Hüttenwerke, deren Tradition in der lebhaften Eisenindustrie des Städtchens fortwirkt. Von dem schon im 9. Jahrhundert gegründeten Nonnenkloster Drübeck steht noch eine schöne romanische Kirche, deren kostbarster Besitz, eine Leinendecke mit Bildstickereien, vom Kunstsinn und der Nadelfertigkeit sächsischer Adelstöchter aus dem 13. Jahrhundert zeugt. Von allen Orten der gefeiertste aber ist Wernigerode, "die bunte Stadt am Harz". In unvergleichlich schöner Lage zu Füßen des Brockens unter einem türmereichen stattlichen Schloß, umgeben von Gärten und Parks, hat der berühmte mittelalterliche Fachwerkbau des Gebietes mit dem quellenden Reichtum seiner Schnitzereien hier die schönsten Stücke zur Schau gestellt, die im Rathaus ihre Krönung finden.

Schloß Wernigerode.
[505]      Schloß Wernigerode.

Harz. Blick auf den Brocken.
[485]      Harz. Blick auf den Brocken.
Alles aber, was Menschenhand gestaltet hat, vergißt sich bald vor der gewaltigen Natur des Brockengebietes, zu der die "Steinerne Renne" im Holtemmetal mit ihrer düsteren, von schäumenden Wassern durchtosten Waldschlucht der rechte Vorklang ist. Hinter Schierke - der letzten Stätte der Menschen hier oben, möchte man sagen - beginnt die bis in die neuere Zeit gern gemiedene Einöde der Wildnis. Der zunächst dichte Hochwald lichtet sich, je mehr die Moore um sich greifen, die im Brockenfeld, der Wasservorratskammer für den ganzen Harz, ihre breiteste Ausdehnung gewinnen. Über moosbewachsene Granittrümmer stürzen zahllose Wasser zu Tal und in den Wipfeln der Fichten saust unaufhörlich der Wind. In 1000 Meter Höhe beginnt die Baumgrenze, über der nur noch hier und da wunderlich zerzauste niedrige Tannen und Birken an Felsenblöcken sich festkrallen und gespenstisch aus flatterndem Nebel auftauchen. "Kahler Berg, feuchtes Tal, das ist die ganze Szene". Gewiß sind die paar seltenen Sonnentage hier oben besonders köstlich, aber die rechte Stimmung für den uralten Zauberberg sind sie nicht. Von allen, die seit dem 16. Jahrhundert "des gefürchteten Gipfels schneebehangenen Scheitel" erklommen, hat nur einer über das aufwühlende Sturmerlebnis gültig berichtet: Goethe, der in der Doppelgestalt Faust-Mephistopheles den Hexensabbath der Walpurgisnacht hier oben beschwört. 1774 - im Dezember! - ist er zum ersten Male heraufgestiegen. Wenn auch die Zahl der Einsamkeit-bewahrenden Gipfel in unserer Heimat immer kleiner wird, so ist doch wenigstens der Kampf der Elemente mit ihnen seit Urzeiten der gleiche geblieben. Stürme umtosen hier die Klippen, [555] die oft nur ein Kriechen noch erlauben, und von der Niederschlagsmenge von 164 Zentimeter bekommt man nur ein rechtes Bild, wenn man sich die herabgeschütteten Schneemassen in neun Meter Höhe vorstellt, die hier schon gemessen worden sind. An schönen Tagen aber, wie sie der Herbst zuweilen in goldner Klarheit schenkt, breitet sich mit einem Durchmesser von 250 Kilometer ein an Schönheit und Reichweite unübertroffener Rundblick aus.

Der Brocken.
[484]      Der Brocken.

Der Großheit der Brockennatur ist nur das Bodetal zur Seite zu stellen. Hier hat der Fluß in vielfachen Mäandern sich durch die Felsen genagt, um den Ausgang in die Ebene bei Thale zu erzwingen. Nur im Hochgebirge noch findet sich ein Schauspiel ähnlich düsterer Großartigkeit. Von Treseburg abwärts rücken die braunen Felsen immer enger zusammen, bis sie schließlich keinem Pfad am Ufer mehr Raum geben und nur die über glattgeschliffene Blöcke schäumende Flut mit ihrem Brandungstosen die Schlucht erfüllt. Über 200 Meter geht von den granitnen Pfeilern und Säulen der Blick fast senkrecht in die tobende Tiefe und umfaßt von der Roßtrappe und dem Hexentanzplatz aus eine zahlreiche Versammlung sich drängender Klippen, Türme und Zinnen, die über lichtgrüne Laubwälder hinweg den Brocken grüßen. Siebenfach ist das Echo hier oben, so vielfach gewinkelt stoßen die Wände aufeinander.

Das Tal hinauf rühmt sich Rübeland der unterirdischen Wunder seiner Tropfsteinhöhlen, die hier in den Kalkbergen durch Auswaschung - an der auch die Bode beteiligt ist -, entstanden sind. In drei Stockwerken stehen die schimmernden Säle der Hermannshöhle übereinander mit ihren zahlreichen durch Ablagerung des Kalkgehaltes im Tropfwasser gebildeten vielfigurigen Zapfen- und Säulenformen, deren größte auf ein Wachstumsalter von über 10 000 Jahren geschätzt werden. Bewohnt sind diese Höhlen auch in vorgeschichtlicher Zeit nicht gewesen, doch fanden sich in ihnen viele Knochenreste von Höhlenbären. Als einziges Leben rudern die bleichen Grottenolme durch das kristallklare kalte Wasser der Teiche. Von den übrigen zahlreichen Höhlenbildungen des Harzes ist außer der Einhornhöhle bei Scharzfeld mit vielen eiszeitlichen Tierknochenfunden die schon im 14. Jahrhundert bekannte Gipshöhle der Heimkehle bei Uftrungen durch ihre Größe (2000 Meter lang) besonders beachtlich. In ihren über zwölf Teichen bis zu 30 Meter Höhe sich wölbenden Räumen wurden auch Stein- und Bronzegeräte vorgeschichtlicher Bewohner gefunden.

Von Thale am Bodetor, wo sich aus einem Hüttenwerk des 17. Jahrhunderts eine bedeutende Eisen-Industrie mit Blechwarenfabriken und Emaillierwerken entwickelt hat, begleitet die Bahnlinie nach Blankenburg hinüber ein schroffes vielzackiges Felsenriff aus Quadersandstein: die in der offenen Landschaft vor dem Gebirge weithin sichtbare Teufelsmauer.

Der Harz. Die Teufelsmauer bei Thale.
[506]      Der Harz. Die Teufelsmauer bei Thale.

Aus gleichem Gestein - einer geologischen Erinnerung an die jüngere Kreidezeit und in der Form den "Steinen" des Elbsandsteingebirges sehr ähnlich -, wuchtet sich der riesige Block des Regensteins unmittelbar aus der Ebene 110 Meter hoch auf. Das "Harzer Gibraltar", ursprünglich mit einer meist in den Felsen gehauenen Burg eines mächtigen Grafengeschlechtes besetzt, wurde vom Großen Kurfürsten zur Festung ausgebaut, die aber Friedrich der Große wieder schleifen [556] ließ, nachdem die Franzosen sie während des Siebenjährigen Krieges zweimal erobert hatten. Vor ihr liegt das Gebirge in seiner ganzen Schönheit ausgebreitet.

Burgruine Regenstein bei Blankenburg, Harz.
[507]      Burgruine Regenstein bei Blankenburg (Harz).

Unmittelbar gegenüber Blankenburg, dessen Häuserreihen terrassenförmig den Schloßberg hinansteigen, von dem der stattliche Blankenstein der Herzöge von Braunschweig herüberleuchtet. Die Stadt selbst, mit manchem schönen alten Bauwerk, betreibt eine lebhafte Industrie (besonders Eisengießerei) und Sandsteinbrüche. Im verträumten Selketal, der Grenze des Unterharzes gegen das östliche Hügelvorland, hat ihre versteckte und uneinnehmbare Lage die Burg Falkenstein unverändert in ihrer mittelalterlichen Gestalt erhalten. Im Schutze des riesigen romanischen Bergfriedes schrieb Eike von Repgow im Anfang des 13. Jahrhunderts als wichtigstes niederdeutsches Sprachdenkmal das erste deutsche Rechtsbuch, den Sachsenspiegel.

Nordhausen. Untere Kirche.
[508]      Nordhausen. Untere Kirche.
Der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt des Südharzes an der Hauptstrecke Halle - Kassel ist die einstige freie Reichsstadt Nordhausen mit 38 000 Einwohnern. Ihr türmereiches mittelalterliches Stadtbild mit der fast völlig erhaltenen Einfriedung des über der Neustadt auf dem Steilufer der Zorge sich erhebenden Altstadtkernes stellt sie würdig neben die berühmteren Schwestern des Nordharzes. Und wo gibt es noch so viele Treppen und Stiegen, die unter den Mauern, unter den Häusern hindurch in hallenden Tunneln die Unter- mit der Oberstadt verbinden? Tausend Jahre waren es 1927 her, seit Heinrich I. seiner Gemahlin Mathilde die Burg Nordhausen als Morgengabe verschrieb. Zu diesem Gedächtnis hat die Stadt einen schönen Taler schlagen lassen. Die fromme Königin hat hier ein Kloster gegründet, aus dem später das Stift mit dem weiträumigen spätgotischen Hallenbau des heutigen Domes hervorging. Brüderlich einander sich zuneigend, überragen die schiefen Türme der Blasienkirche das hügelauf und ab kletternde Gewirr der krummen Altstadtgassen mit ihren vielen schönen Fachwerkhäusern. Ein buntes Bilderbuch. Wenn auch Heinrich der Löwe die Stadt einst völlig zerstörte, so erstand sie bald darauf nur um so mächtiger und trutziger im Schutz von 48 Wehrtürmen. Ein großer Teil von ihnen ist im Mauerzuge noch erhalten, und von ihren Kronen ist es ein herrlicher Blick über die Unterstadt hinweg in die Kornkammer der goldenen Aue und zu den lockenden Hügelketten des Harzes. Mitten im Kaligebiet gelegen, hat die Stadt tüchtigen Anteil am Wirtschaftsleben der Gegenwart. Ihr bedeutender Getreidehandel geht seit alter Zeit mit der Branntweinbrennerei Hand in Hand. Schon um 1500 wird vom "Bornewyns-Zins" berichtet. Wenn auch durch das Monopol die frühere Höchstproduktion von 500 000 Hektolitern heute auf eine Jahresmenge von 100 000 gesunken ist, der gute Ruf des "Nordhäuser Korns" ist deshalb nicht zurückgegangen und verbindet sich für den Liebhaber mit der Vorstellung vom "Nordhäuser Priem", der anderen Spezialität der guten alten Stadt.

Walkenried. Harz. Klosterruinen.
[508]      Walkenried (Harz). Klosterruinen.
Die Schnellzüge nach Kassel jagen an Walkenried vorüber. Aber wer sich vielleicht in Hohegeiß nachdenklich die turmhohen Säulen der "Dicken Tannen" betrachtet hat und das Waldtal hinabsteigt, empfindet die ihn dann empfangende prächtige Allee alter Eichen als Vorklang zu etwas Großem, das mehr sein muß als [557] die lustigen sauberen Fachwerkhäuser des Ortes alle zusammen. Und da ragt dann plötzlich hoch über Wipfel und Giebel als ergreifendes Denkmal einstiger Pracht die Ruine eines der mächtigsten Klöster Mitteldeutschlands, der Zisterzienser-Abtei Walkenried. In stummer Anklage, daß eine törichte Zeit sie als Steinbruch ausräubern konnte, steht vom makellos gefügten Mauerwerk, von edlen Pfeilern und Bögen noch immer genug, um die einstige Großartigkeit des frühmittelalterlichen Bauwerkes ahnen zu lassen. Aber nicht nur zu bauen verstanden die Mönche. In allen Tälern der Umgegend hatten sie ihre Hüttenwerke, vor allen Dingen aber wußten sie im zwölften Jahrhundert mit Hilfe der Flamen und der ansässigen thüringischen und altsächsischen Bauern das Sumpfland des Helmetales zu entwässern und so fruchtbar zu machen, daß es nun die Goldene Aue heißt. In Schulpforta, ihrer Tochtergründung, haben sie es genau so gemacht. Im 15. Jahrhundert war die Glanzzeit des Klosters mit einem so riesigen Besitz, daß man sagte, sein Abt könne auf der Reise nach Rom jede Nacht im eigenen Hause schlafen. Der Bauernkrieg machte dann freilich die ganze Herrlichkeit zunichte und Thomas Münzer ließ die tobende Horde die geweihte Stätte zerstören, in der er selbst des geistlichen Amtes gewaltet hatte. Aber lange sollten es die Aufständischen nicht mehr weiter treiben. Als Münzer drüben bei Frankenhausen sich stark genug fühlte, um zum entscheidenden Schlag auf mansfeldisches Gebiet auszuholen, wurde er am 15. 5. 1525 vom Heere des Grafen und seiner Verbündeten völlig geschlagen. Von den aufgewiegelten Bauern entkam nicht einer und Münzers Haupt fiel in Mühlhausen unter dem Beil des Henkers.

Glühend im Sonnenbrand liegen die glitzernden Gipshänge des Schlachtfeldes am Fuße des Kyffhäusers, jenem Zwerggebirge mit dem der Harz über die Goldene Aue hinweg am weitesten nach Süden vorstößt. Als steiler Horst mit herrlichen Buchenwäldern bis zu 500 Meter unmittelbar aus den Felderbreiten aufragend, zieht er in weitem Umkreise die Blicke auf sich. Seine einst durch Sümpfe noch stärker gesicherte Lage hat die Franken - der Name der Salzstadt Frankenhausen erinnert noch daran - frühzeitig dort oben eine gegen die Sachsen gerichtete Burg anlegen lassen. Vorläufer der Reichsfeste Kyffhusen, in deren Schutz dann unten die Kaiserpfalz Tilleda entstand.

Das Kyffhäuser Denkmal mit der ausgegrabenen Reichsburg Kyffhausen.
[509]      Das Kyffhäuser Denkmal mit der ausgegrabenen Reichsburg Kyffhausen.

Jüngst hat der Arbeitsdienst am östlichsten Vorsprung des Berges in großem Umfange Turmreste, Mauerzüge und Gewölbe freigelegt, die auf die riesige Anlage dreier stufenförmig angeordneter Burgen schließen lassen. An ihrer Stelle erhebt sich seit 1896 das Nationaldenkmal der deutschen Kriegervereine, wo unter dem Reiterbild Kaiser Wilhelms I. aus dem Felsen herausgehauen die Gestalt Barbarossas von den Raben umschwärmt wird. So wie er "im unterirdischen Schlosse sich verzaubert hält", in den

Stolberg, Harz.
[510]      Stolberg (Harz).
schimmernden Alabastersälen der Barbarossahöhle unten bei Rottleben. Sehnsucht nach des Reiches Herrlichkeit und sagenferne Erinnerungen an Wotansdienst, dem hier eine uralte Kultstätte geweiht war, spinnen, seltsam durcheinanderwebend, den Faden bis zur Gegenwart und machen eines der schönsten Reiseziele im Herzen Deutschlands zugleich zur ehrwürdigen Stätte nationaler Besinnung.

[558] Lebendig erhalten bis in unsere Tage hat sich altgermanisches Frühjahrsbrauchtum jenseits der Helme drüben in Questenberg, wo über dem malerisch gelegenen Ort auf dem Gipsfelsen - einer Vorzeitsiedelstätte aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend -, alljährlich zu Pfingsten am weithin sichtbaren Eichenstamm das Radkreuz feierlich erneuert wird.

Die Lieblichkeit des Südharzes ist nicht minder rühmenswert als der vom Fremdenverkehr stärker bevorzugte Hochharz. Am buntesten sind seine Reize in dem kleinen Fürstenstädtchen Stolberg zusammengedrängt, das in drei Waldtäler unter einem wachsamen Schloß die Zeilen seiner prächtigen Fachwerkhäuser zwängt, in deren einem der unglückliche Münzer seinen wirren Lebensweg begann. Wer hier einmal am engen Markt dem Rathaus gegenüber gesessen hat und das viele Mittelalter um sich herum mit lebendiger Gegenwart erfüllt sah, der nimmt den schönsten Abschied vom grünen Harz und seinen bunten Städten.

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Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, das Kapitel "Braunschweig".

Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke