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II. Die Einstellung des Staatsvolkes und der Behörden zur Volksgruppe

1. Die Einstellung der Polen zum deutschen Volk

a) Nationalstaatliche Tendenzen

Trotz der im ersten Teil dargelegten, nicht ungünstigen Rechtslage der deutschen Volksgruppe in Polen waren deren Existenz und gedeihliche Entwicklung durchaus nicht sichergestellt. Eine zweite, weit wichtigere Komponente, der wir zum besseren Verständnis der zu schildernden Ereignisse gebührend Aufmerksamkeit schenken müssen, war die Einstellung des polnischen Volkes zum Deutschtum, die erst die Atmosphäre schuf, innerhalb deren die rechtlichen Bestimmungen mehr oder weniger beachtet bzw. umgangen wurden.

Schon den an sich nicht zu widerlegenden, vorher von uns ausführlich begründeten Umstand, daß Polen ein Nationalitätenstaat war, wollten die meisten Polen nicht wahrhaben. Sie übersahen diese Tatsache allzu gern, bestritten sie immer wieder oder negierten sie ganz einfach. Zum Verständnis dessen sei daran erinnert, daß die Polen 123 Jahre lang keinen eigenen souveränen Staat gehabt, ihn aber die ganze Zeit hindurch mit heißem Herzen herbeigesehnt hatten. Z. T. hatten sie auch von sich aus das Ihre mit dazu beigetragen, um einen eigenen Staat zu erringen, was ihnen dann zuerst, wenigstens in gewissem Masse, mit deutscher Hilfe im Kampf gegen das zaristische Russland (die Proklamierung [80] des Königreichs Polen durch die Mittelmächte am 5. 11. 1916) und nachher mit alliierter Unterstützung (Versailles) geglückt war. "Das, worum ein Volk viele Generationen gerungen, verzagt, gekämpft, gelitten, revoltiert hatte, schien letzte höchste Erfüllung der Gesamtexistenz des Volkes zu sein".1 Da das polnische Volk Generationen hindurch zu allem Staatlichen, weil nichtpolnisch, im Gegensatz gestanden hatte, betonten viele Polen jetzt die Ausschließlichkeit ihres polnischen Staates desto mehr und tendierten somit zum totalen Nationalstaat. Die Träume waren Wirklichkeit geworden, ein Polen war entstanden, es konnte daher nur ein "wirkliches, echtes" Polen sein; überall innerhalb der Grenzen sollte sich ausschließlich polnische Erde befinden, durfte sich nur polnisches Leben regen. So wurde der Wunschzustand in die Wirklichkeit übertragen: "Wer in Polen bleiben und polnisches Brot essen will, muss Pole sein", "Hier ist jetzt Polen, in Polen wird nur polnisch gesprochen", diese Schlagworte dominierten und wurden den Minderheitsangehörigen oft genug vorgehalten.

Weil man einen Nationalstaat haben wollte, deshalb wurden auch bei den Volkszählungen alle Mittel angewandt, um einen möglichst hohen polnischen Prozentsatz und einen möglichst geringen Hundertsatz jeder fremden Volksgruppe zu erzielen. Da sich trotz aller Beeinflussung bei der Zählung nach nationalpolnischer Auffassung zu viele Bewohner Polens zu einer nichtpolnischen Nationalität (1921) oder nichtpolnischen Muttersprache (1931) bekannten, wurden z. B. die Ukrainer z. T. als "Ruthenen", die Weißruthenen z. T. als "Hiesige" geführt. (Zu der Muttersprache der "Hiesigen" bekannten sich der Volkszählung 1931 zufolge 707.100 Einwohner der östlichen Wojewodschaften). Den Deutschen aber, der die polnische Sprache beherrschte, wollte man - besonders in Mittelpolen - nach Möglichkeit zum Polen stempeln. In den zwanziger Jahren [81] ließ man es bestenfalls gelten, daß es sich um "Evangelische" handelte. Noch im Jahre 1936 erklärte dem Verfasser der Starost (Landrat) des großen Landkreises Konin mit über 10% deutscher Bevölkerung, in seinem Kreise gäbe es keine Deutschen, sondern nur "Evangelische".

Da diese Vogelstraußpolitik nicht half, war man leicht geneigt, der begonnenen Entwicklung zum Nationalstaat nachzuhelfen und durch entsprechende Maßnahmen den Anteil der andersnationalen Bevölkerungsgruppen herabzudrücken. Dieser Tendenz werden wir im Laufe der Darstellung oft genug begegnen. Denn die feierliche Erklärung, die Jozef Pilsudski als damaliger Führer der polnischen Sozialisten am 5. 11. 1911 auf dem großen sozialistischen Kongress in Wien abgegeben hatte, war keineswegs Richtschnur der polnischen Regierung geworden. Pilsudski hatte damals der ehrlichen und gerechten Nationalitätenpolitik Österreichs seinen Tribut gezollt und versprochen: "Das künftige Polen wird sich daran ein Beispiel nehmen".2 In Wirklichkeit war das Bestreben dominierend, den Staat so polnisch wie nur irgend möglich zu machen und die den Minderheiten zustehenden Entwicklungsmöglichkeiten einzuschränken oder gar zu unterbinden.

Diese nationalstaatlichen Tendenzen gingen z. T. auf ein gewisses Unsicherheitsgefühl zurück, das den Polen in ihrem neuen Staat innewohnte. Die Schichten des polnischen Volkes, die für die Unabhängigkeit ihres Staates tatsächlich gestritten hatten, machten doch nur einen geringen Prozentsatz der ganzen Nation aus. Einem großen Teil derselben kam die Unabhängigkeit - noch dazu in diesen kaum fassbaren Grenzen - manchmal wie ein Traum vor, von dem man befürchten musste, daß er jäh zerrinnen könnte. Das in der Weimarer Republik gebrauchte Schlagwort vom "polnischen Saisonstaat" war auch in manchen polnischen Bevölkerungskreisen nicht ohne Wirkung geblieben. Besonders im Besitz der dem bestimmt wieder mächtiger [82] werdenden Deutschen Reich entrissenen Gebiete fühlte man sich gar nicht sicher. Daher wollte man alles daransetzen, um den polnischen Besitzstand in diesen Gebieten, vor allem in Westpreußen und in Ostoberschlesien, aber auch in Posen, zu festigen und zu stärken und den deutschen Bevölkerungsanteil immer mehr zu verdrängen. Sollte das Reich tatsächlich einmal in die Lage kommen, die 1919 verlorenen Provinzen zurückzufordern, dann würde man wenigstens nachträglich auf ein von "unbestreitbar polnischer Bevölkerung" bewohntes Gebiet verweisen können. Es war aber nicht nur die Befürchtung von evtl. Rückerstattungsforderungen eines mächtigen Nachbarn, dieses Verhalten ging vielmehr noch auf die in diesem Volke tief verwurzelte, jahrhundertealte Vorstellung von einer angeblichen deutsch-polnischen Erbfeindschaft zurück, auf die "1000 Jahre alte Deutschfeindlichkeit des polnischen Volkes" (um mit Pilsudski zu sprechen).3



b) Ursache der Deutschfeindlichkeit

Manchmal ist im Reich dieser "Deutschenhass" zu den charakteristischen Merkmalen der Posener Polen gezählt worden, durch welche diese sich von den übrigen Polen unterschieden hätten und oft ist die Meinung vertreten worden, daß der deutsch-polnische Gegensatz im ehemaligen preußischen Teilgebiet am stärksten wirksam geworden sei.4 Demgegenüber hat der Posener Forscher Dr. Kurt Lück in seinem grundlegenden Werk Der Mythos vom Deutschen in der polnischen Volksüberlieferung und Literatur anhand überaus reichen Materials überzeugend nachgewiesen, daß das Vorurteil von der angeblichen deutsch-polnischen Erbfeindschaft seit langem im ganzen polnischen Volk verbreitet war, daß es sich hierbei keinesfalls nur um Auswirkungen der preußischen Teilgebietsherrschaft handelt. Diese polnische Einstellung ist nämlich viel älter und vor allem auf die jahrhundertealte [83] enge Verzahnung und laufende Durchdringung des polnischen Volkskörpers mit deutschen Einwanderern zurückzuführen.

Schon der Umstand, daß das deutsche Volk der westlichen Nachbar Polens war, brachte es mit sich, daß viele Errungenschaften der westlichen Kultur den Weg über das deutsche Volk nahmen, wenn sie nicht gar von dort ausgegangen waren, bevor sie zu den Polen kamen. Schon dank der früheren Annahme des Christentums besaßen die Deutschen nun einmal einen kulturellen Vorsprung. Bei dem unter Anrainern selbstverständlichen Kulturaustausch war Deutschland somit, besonders in den ersten Jahrhunderten polnischer Geschichte, so weitgehend der gebende Teil, daß nach allgemein menschlichen Erfahrungen im polnischen Volke kein Dankbarkeits-, sondern ein Hassgefühl aufkam. Die Polen fühlten sich somit vielfach den Deutschen gegenüber unterlegen, was oft genug von polnischer Seite zugegeben wurde. Sogar Roman Dmowski, der Schöpfer des modernen polnischen Nationalismus und der Führer der polnischen Nationaldemokraten (1864-1939), der im Deutschtum den gefährlichsten Feind des Polentums sah, schrieb einmal: "Wir sind im Vergleich zu den Deutschen arme, kleine Leute (biedacy).... Diese unsere Unterlegenheit war seit jeher der Gegenstand unserer Sorge".5 Auch andere bedeutende Polen haben oft den polnischen Minderwertigkeitskomplex beklagt, dem auf deutscher Seite ein "Mehrwertigkeitskomplex" gegenüberstünde. Denn zu dem kulturellen Vorsprung kam noch die Verschiedenheit der Volkscharaktere. Der deutsche Schaffens- und Tatendrang, die deutsche Arbeitsbesessenheit hoben sich sehr wesentlich von der slawischen Unbekümmertheit, dem Beharrungsdrang und dem polnischen Kultus der Lebensfreude ab. Die von polnischen weltlichen und kirchlichen Fürsten schon seit dem 13. Jahrhundert in beachtlicher Zahl nach Polen hereingerufenen deutschen Bürger und Bauern, Mönche [84] und Gelehrten standen aus den angeführten Gründen auf einer höheren kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Stufe als ihre polnischen Standesgenossen. Darüber hinaus wurden ihnen von den polnischen Herrschern Sonderrechte gewährt (da sie sonst nicht nach Polen gekommen wären), die sie verständlicherweise nach Kräften zu wahren suchten. Daß die Masse der Polen dann für diese leistungsfähigeren, strebsameren, bevorrechteten "Eindringlinge" keine Sympathien hegte, überrascht nicht. So konnte schon im Jahre 1309 ein namentlich nicht feststehender Schriftsteller, vermutlich ein Franzose, in einem Werk über Osteuropa berichten: "Naturale odium est inter Polonos et Theutonicos".6 Dabei war es zwischen dem Reich und Polen im Laufe der Jahrhunderte nur zu sehr wenigen kriegerischen Zusammenstößen gekommen. Lediglich die Waffengänge zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Ritterorden hatten sich länger hingezogen und ihrerseits zu einer Verschärfung der Spannung beigetragen.

In der Auseinandersetzung mit den deutschen Einwanderern und mit dem benachbarten deutschen Staatswesen kristallisierte sich allmählich das polnische Volksbewusstsein heraus, das aus dem deutsch-polnischen Verhältnis viele Kraftströme bezog. "Zeiten des Gegensatzes blieben im Gedächtnis des Volkes haften, während Zeiten der Zusammenarbeit ins Unterbewusstsein hinabsanken".7 Diese Gegebenheiten brachten es mit sich, daß in der polnischen Volksüberlieferung ein vollkommen verzerrtes Bild des Deutschen vorherrschte. Aus nationalem Selbstbehauptungswillen heraus war die Überlieferung bestrebt, die Trennungslinien zu verstärken, um die Angehörigen des eigenen Volkes gegen eine Umvolkung gefeit zu machen. Man war bestrebt, beim Gegner vor allem die schlechten Eigenschaften zu sehen und ihn als hassenswert, als Erbfeind des polnischen Volkes hinzustellen. Polnische Sprichwörter [85] und Redensarten besagen das zur Genüge, z. B. "Solange die Welt steht, wird der Deutsche dem Polen nie ein Bruder sein" (schon im 17. Jahrhundert allgemein bekannt) oder "Hau ihn, denn er ist ein Deutscher" (aus polnischen Sprichwörtersammlungen) und "100 Jahre soll leben, wer den Deutschen in die Fresse schlägt" (Trinkspruch aus Mittelpolen), um nur einige der bekanntesten zu nennen. Dieselbe Tendenz herrschte in der polnischen Dichtung und im Schrifttum vor. Der Gedanke von der angeblichen deutsch-polnischen Erbfeindschaft wurde im Schrifttum immer wieder variiert, der Deutsche in der Dichtung nach Möglichkeit als Teufel, zumindest als böswilliger Mensch dargestellt. Sogar im seinerzeitigen russischen Teilgebiet verherrlichten polnische Dichter mit Rücksicht auf die strenge russische Zensur öfters Kämpfe gegen die Deutschen, um auf diese Weise zum Abwehrkampf gegen die russischen Unterdrücker aufzurufen (Adam Mickiewicz, Henryk Sienkiewicz). Wenn auch die Zeitgenossen diese Dichter z. T. richtig verstanden haben mögen, so wurden doch den nachkommenden Generationen schon in der Schule immer mehr antideutsche Dichtungen vorgesetzt. Die Beteiligung Preußens an den Teilungen Polen, die deutsch-polnischen Reibereien im preußischen Teilgebiet, die die polnische Literatur weidlich ausschlachtete, hatten dem antideutschen Feuer polnischer Leidenschaften naturgemäß weitere Nahrung zugeführt.

Zusätzlich zu obigen, sich vorwiegend auf Lück stützenden Ausführungen sei noch auf einige besonders Kongresspolen betreffende Momente hingewiesen. Dort hatten sich nämlich in den Jahren 1914 bis 1916 vorwiegend die deutsch-russischen Kriegshandlungen abgespielt. Die deutsche Besetzung dieses Gebietes (Generalgouvernement Warschau) missfiel den Polen. [86] An der Proklamation des Königreichs Polen vom 5. 11. 1916 hatten sie mancherlei auszusetzen, mehr noch an der Behandlung der Pilsudski-Legionäre und an dem Friedensvertrag von Brest am Bug (russisch - Brest-Litowsk) zwischen den Mittelmächten und der Ukraine vom 5. 2. 1918. Im Zusammenhang damit war es zu einer größeren Terror- und Partisanenaktion gekommen, die von dem späteren Marschall von Polen, Rydz-Smigly, ausgelöst worden war.8

Diese Ereignisse waren 10 oder 15 Jahre später noch nicht vergessen. Dazu trat dann die allerneueste, ganz Polen betreffende Entwicklung. Als in Versailles die Westgrenze des polnischen Staates abgesteckt wurde, glaubten manche polnischen Kreise, wie die Nationaldemokraten um Dmowski und Paderewski, mit dem Erreichten unzufrieden sein zu müssen, da nicht alle polnischen Brüder "erlöst" worden seien. Man sah dort das Erreichte nur als ein Angeld auf ein wirklich "großes Polen" an und reklamierte zumindest Ostpreußen, ganz Oberschlesien und "natürlich" Danzig, als von angeblich polnischer Bevölkerung besiedelt, für sich. Die in den erwähnten Gebieten bei den Volksabstimmungen erzielten deutschen Mehrheiten von 97,7% (am 11. 7. 1920 im ostpreußischen Abstimmungsbezirk) und von 71,23% (am 20. 3. 1921 im deutschgebliebenen Teil Oberschlesiens), der verschwindend kleine polnische Bevölkerungsanteil im Freistaat Danzig von höchstens 3% (der auch von keiner offiziellen polnischen Stelle bestritten wurde), diese Tatsachen wurden von den polnischen Nationaldemokraten ganz einfach nicht zur Kenntnis genommen. Sie und weitere Kreise, die vielleicht auch aus anderen Motiven heraus in dieselbe Kerbe schlugen, versuchten die polnische Öffentlichkeit für die "unerlösten" Provinzen zu interessieren und mobilisierten sie immer wieder wegen ebenso umstrittener Schmälerung der polnischen Interessen in Danzig. [87] Dazu kamen noch die allgemeine Spannung mit dem Reich wegen der polnisch gewordenen Gebiete, der deutsch-polnische Wirtschaftskrieg u.ä. Das alles ergab zusammen mit der durch Volksüberlieferung, Dichtung, Schrifttum und den politischen Kampf gebildeten Tradition eine starke antideutsche Haltung im polnischen Volke, nicht nur im ehemals preußischen, sondern ebenso im ehemals russischen und auch im ehemals österreichischen Teilgebiet.



c) Die Ausmaße der deutschfeindlichen Haltung

Wenn man geneigt wäre, das letztere davon auszunehmen, weil die deutsch-polnische Spannung in Galizien nicht so groß gewesen sei, so ist zu bedenken, daß dieses nur auf Ostgalizien zutraf. Dort stand nämlich das Polentum auf ukrainischem Volksboden in hartem Kampf mit dem immer nationalbewussteren Ukrainertum, so daß die Polen am Deutschtum weniger Anstoß nahmen. Aber schon von Krakau aus, also in Westgalizien, hetzte die in ganz Polen verbreitete Tageszeitung Illustrowany Kurjer Codzienny mit am heftigsten gegen alles, was deutsch war, und Professoren der Krakauer Universität lieferten den deutschfeindlichen Instituten, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, das geistige, wenn auch z. T. nur das pseudowissenschaftliche Rüstzeug. Infolge dieser überwiegenden deutschfeindlichen Grundhaltung war das polnische Volk auch gar nicht geneigt, deutsche Aufbauleistungen in der eigenen Geschichte anzuerkennen oder überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Polnische Wissenschaftler, die wahrheitsgetreu über den Anteil der Deutschen auf ihrem Spezialgebiet berichteten, fühlten sich geradezu verpflichtet, sich deswegen zu entschuldigen und zu unterstreichen, daß es sich um ein deutsches Verdienst nur auf diesem kleinen Gebiet handele. Wenn dann von deutscher Seite die entsprechenden Ergebnisse vieler polnischer Forscher zusammengestellt wurden und dabei die "deutschen Aufbaukräfte [88] in der Entwicklung Polens" (Lück) hervortraten, dann wurde dieses Unterfangen beinahe als Beleidigung des polnischen Volkes empfunden oder bezeichnet. Und wenn Grundsätze für die Behandlung der Deutschen in Polen aufgestellt wurden, dann enthielt einer davon bestimmt die Forderung nach "Bekämpfung des Nimbus einer deutschen Geschichtsmission im Osten".9

Diese deutschfeindliche Haltung bestimmte allerdings nicht immer und auch nicht überall jede Lebensäußerung des gesamten polnischen Volkes, sie war aber zumindest latent vorhanden. Es bedurfte nur eines Anstoßes, nur eines Hauches, um die unter der Oberfläche glimmende Glut wieder anzufachen. Wäre diese Glut in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht laufend von den Parteien, Verbänden und der Presse genährt worden, dann wäre es auch nicht zu der so bedauerlichen Entwicklung gekommen. Es war ja auch nicht so, als ob etwa jeder Pole in jedem Deutschen seinen persönlichen Feind gesehen hätte, denn "Gruppenantagonismus" schließt bekanntlich nicht aus, daß einzelne Angehörige beider Gruppen sich trotzdem freundschaftlich verstehen. So hatten viele sich offen zu ihrem Volkstum bekennende Volksdeutsche aufrichtige polnische Freunde. Auch werden nur vorübergehend, besuchsweise in Polen weilende Reichsdeutsche unter Umständen dank der polnischen Höflichkeit und Gastfreundschaft nicht viel von dieser antideutschen Haltung gespürt haben, weil sie als Gäste aus dem Ausland zuvorkommend behandelt wurden. Vielfach ließen sie sich von der Höflichkeit, dem Eifer und der Frömmelei der Polen einfangen10 und waren dann womöglich gar nicht geneigt, den Berichten altansässiger Deutschen gegenüber Glauben zu schenken und es für möglich zu halten, daß sie recht bald dieselben Erfahrungen würden machen können, [89] sobald sie sich für ständig in Polen niederließen. Denn die in Polen ansässigen Deutschen wurden im allgemeinen nicht mehr als Gäste, aber auch nicht als gleichberechtigte Mitbewohner, sondern als lästige, angeblich wider Willen aufgenommene "Untermieter" empfunden und dementsprechend behandelt, besonders wenn sie die ihnen zugesagten Rechte gewahrt haben und sich nicht einer lediglich das polnische Volk betreffenden Regelung fügen wollten.

Der deutsch-polnische Gegensatz an sich war nichts Außergewöhnliches, denn überall dort, wo zwei gesunde Völker durcheinander wohnen, kommt es zu Reibungen, tobt ein mehr oder minder heftiger Volkstumskampf. Es kommt aber auf den Grad dieser Heftigkeit an und darauf, ob der eine Partner von dieser Gegnerschaft so erfüllt ist, daß er zu keiner sachlichen Einstellung mehr fähig ist. Darüber sollte sich dann der andere Partner in dem Falle im klaren sein und wissen, was für eine Stellung ihm gegenüber der Kontrahent bezogen hat.

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1Rauschning, Hermann: Deutsche und Polen. S. 8, Danzig 1934. ...zurück...

2Martin, Gottfried (Hrsg.): Brennende Wunden. Tatsachenberichte über die Notlage der evangelischen Deutschen in Polen. S. 74; Berlin 1931 (1. Aufl.). ...zurück...

3Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 34, S. 49. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück...

4, R.: Die Posener Polen. S. 103. (Anm. d. Scriptorium: Angaben im Original unvollständig - leider keine näheren bibliographischen Details feststellbar);
Prause, Fritz: Die polnische Presse im Kampf gegen die deutsche Volksgruppe in Posen und Westpreußen, S. 4 u. 7; Würzburg 1940;
DWB II ... Dok. 368, S. 348. ...zurück...

5Lück, Kurt: Der Lebenskampf im deutsch-polnischen Grenzraum. S. 9; Berlin 1940. ...zurück...

6Lück, Kurt: Der Lebenskampf im deutsch-polnischen Grenzraum. S. 33; Berlin 1940. ...zurück...

7Der Lebenskampf... S. 21. ...zurück...

8Perdelwitz, Richard: "20 Jahre polnische Minderheitenpolitik gegen die Deutschen." S. 53, in: Grenzmärkische Heimatblätter. XVI. Jg. S. 24-56; Schneidemühl 1940. ...zurück...

9Winiewicz, Jozef: Mobilizacja sil niemieckich w Polsce. (Die Mobilisierung der deutschen Kräfte in Polen.) S. 51ff und 145ff; Warschau/Posen 1939. ...zurück...

10Lück, Kurt: Der Lebenskampf im deutsch-polnischen Grenzraum. S. 50; Berlin 1940. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939