SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 10: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Zweiter Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 1: Das Deutsche Reich
unter Kaiser Wilhelm II. (1890 - 1909)
  (Forts.)

3. Die Entscheidung des englischen Bündnisproblems (1898 - 1904).   (Forts.)

Indem wir von den Höhen weltgeschichtlicher Betrachtung unsere Blicke weit über den Augenblick, an dem wir verweilen, haben hinwegschweifen lassen, erinnern wir uns, daß sich auch die größten geschichtlichen Wendungen aus unmerkbaren Übergängen zusammensetzen können. Die deutsch-englische Bündnisbesprechung hatte einen eigentlichen geschäftlichen Abschluß nicht gefunden, sondern sie war Ende Mai, Anfang Juni auf dem Tische liegen geblieben, ebenso wie einst im März 1889 der Antrag, den Bismarck am Ausgang seiner Staatsleitung an Lord Salisbury gerichtet hatte.134 In den beiden gescheiterten Annäherungsversuchen - man wird keinen Zufall darin erblicken wollen - ist es derselbe englische Premierminister gewesen, der über das Nein entschied. Gegen seine Stimme konnte Lansdowne schwer eine Entscheidung treffen, und so hört man denn auch von allen Seiten, daß Salisbury in den folgenden Monaten der Vater aller Hindernisse bleibt.135

Um so leichter nahm Lord Lansdowne es, da auch einige äußere Hindernisse in der Richtung zusammenwirkten, die geschäftlichen Verhandlungen hinauszuschieben. Die immer schwerere Erkrankung des Grafen Hatzfeldt unterbrach zunächst den Fortgang; als die neue Persönlichkeit des Grafen Metternich in die Botschaft vertretungsweise einzog (16. August), verbot sich die Übereilung nach beiden Seiten; die parlamentarische Überlastung und die Ferien gaben dem Außenminister Grund genug, die Sache ruhen zu lassen. Dazu kam, daß Holstein, der den Entwurf Hatzfeldts ursprünglich gebilligt hatte, sich entschloß - vermutlich auf die Nachricht von starken Gegensätzen im Kabinett - die Formel des abgehenden Botschafters wieder fallen zu lassen; er ließ Lansdowne wissen, Hatzfeldt sei zu weit und zu rasch in der Sache vorgegangen,136 und es empfehle [524] sich daher, die Angelegenheit einige Zeit liegen zu lassen und in einem günstigeren Zeitpunkt wieder aufzunehmen.

Das war auch die Meinung Lansdownes. Er bezweifelte schon bald, ob es möglich sein werde, etwas aus dem zu machen, "was ich der Bequemlichkeit halber den Eckardsteinschen Vorschlag nennen möchte";137 und auch Eckardstein stand unter dem Eindruck, daß der Minister den Mut in der Bündnisfrage verloren habe.138 Die Angelegenheit wurde wohl noch hin und wieder von der einen oder anderen Seite unverbindlich gestreift,139 aber im amtlichen Verkehr war sie schon fast eingeschlafen. Wenn man die Gesamtheit aller Aktenäußerungen im Sommer und Herbst 1901 sorgfältig nachprüft, so sieht man auf deutscher Seite ein Bemühen, den Bündnisgedanken nicht aufzugeben, auch wenn man ihn etwas vertagen müßte; auf englischer Seite spürt man aber die Neigung, zwar die freundliche Unterhaltung über die Sache nicht abzulehnen, aber, wenn es sich machen lasse, doch auch mit Anstand von ihr loszukommen.

In dieser ungewissen Übergangszeit sollten in dem Verhältnis zwischen beiden Völkern neue Erregungen auftauchen, um die Aussicht auf eine erfolgreiche Wiederaufnahme der Verhandlungen zu zerstören. Der Kleinkrieg, in dem die noch im Felde stehenden Burenkommandos sich gegen den Untergang ihrer Freiheit zur Wehr setzten, hatte immer wieder zu unangenehmen Rückschlägen für das englische Heer geführt. Die von der englischen Heeresleitung dagegen getroffenen Maßnahmen, die Konzentrationslager, in denen die Burenfrauen und Kinder untergebracht wurden, riefen in vielen Ländern Europas bittere Kritik und ein aus der Tiefe kommendes Mitgefühl hervor. Dagegen erhob sich Chamberlain in einer Rede in Edinburgh am 25. Oktober; einst der Träger des deutschen Bündnisgedankens, war er in den letzten Monaten davon zurückgekommen und eher von dem Bedürfnis erfüllt, diese Erinnerung von seinem politischen Leumund abzustreifen. In seiner Rede suchte er das englische Heer gegen die Vorwürfe wegen der Behandlung der Nichtkombattanten zu verteidigen: diese Maßnahmen reichten bei weitem nicht an das heran, was in Polen und im Kaukasus, in Bosnien, in Tonkin und im deutsch-französischen Kriege geschehen sei. Das einzige Beispiel aus einem zivilisierten Kriege war das, welches Deutschland betraf - Grund genug, daß sich in unserem Vaterlande eine Welle lauter Empörung erhob. Wenn auch Chamberlain eine Ungeschicklichkeit untergelaufen sein mochte, so tat er alles, nach der Entgleisung die "künstliche Erregung" der Deutschen, wie er sie [525] nannte, noch zu vertiefen; die einige Wochen später nahegelegte Möglichkeit, die Sache aus der Welt zu schaffen, lehnte er mit der Begründung ab, die Absicht einer Kränkung habe nicht vorgelegen. Aber es war nicht zu verkennen, daß er es in diesem Augenblicke schon für politisch angemessen hielt, die Worte stehen zu lassen.

Für die deutsche Regierung war diese herausfordernde Haltung um so weniger erwünscht, als sie gerade in jenen Tagen noch einmal ihre prinzipielle Haltung gegenüber dem Burenkriege behauptete. Als die russische Regierung ihr am 22. Oktober 1901 ein Promemoria über eine Eingabe der Buren an den internationalen Schiedsgerichtshof im Haag vorlegte, den Krieg durch eine unparteiische Entscheidung zu beenden, hielt sie an der während des ganzen Krieges eingenommenen wohlwollenden Stellung zu England fest. Holsteins Antwort bezweifelte, daß das gewünschte Ergebnis in Südafrika durch einen Kollektivschritt zu erreichen sei, da ein solcher, möge die Haltung der beteiligten Mächte auch noch so freundlich und versöhnlich sein, doch immer einen bedrohlichen und daher aufregenden Charakter trage und zur entgegengesetzten Wirkung führe.140

Während die deutsche Politik an ihrer bisherigen Stellung in der europäischen Mächtegruppierung festhielt,141 sah man in London schon Kräfte an der Arbeit, die gerade diese Gruppierung grundstürzend umzugestalten trachteten. Das, was überhaupt von jeher die englische Politik zu freundlicher Annäherung an Deutschland genötigt hatte, war die Tatsache des Weltgegensatzes zwischen England und Rußland: wenn sich der Nachweis führen ließ, daß dieser Gegensatz, statt endgültig zu sein, von kluger Staatskunst aus der Welt geschafft werden könne, dann war die längst erschütterte und jetzt von so viel Haß umtobte Wertschätzung des deutschen Bündnisses vollends zu Falle gebracht. Diese Aufgabe setzte sich ein Kreis von englischen Politikern aus verschiedenen Lagern, die sich, unabhängige Männer von Erfahrung und Gewicht, in der National Review zusammenfanden, um die öffentliche Meinung zu erobern und das Kabinett durch ein System von Gegenstößen zur Aufgabe des bisherigen Kurses zu nötigen. Diese Zeitschrift brachte am 1. November einen Artikel,142 der sich schon äußerlich als gemeinsame Arbeit einer Reihe von Verfassern gab und seiner prinzipiellen Bedeutung nach wohl mit dem Artikel Katkows vom Juli 1886 verglichen werden kann. Er ging davon aus, die bestunterrichteten Staatsmänner beider Parteien seien sich darüber klar, daß Deutschland in Zukunft der gefährlichste Rivale Eng- [526] lands in der Politik, die Vereinigten Staaten der gefährlichste Rivale im Handel sein würden. Deutschland sei einst ein positiver Faktor der englischen Außenpolitik gewesen, und seine Unterstützung sei noch die Ansicht einer Reihe namhafter Staatsmänner; man könne den Kaiser bewundern, ohne ihm politische Konzessionen zu machen, denn er werbe ebenso um die Gunst Rußlands und Frankreichs und habe sich auch schon einmal um eine antibritische Koalition bemüht. Also sei die Aufgabe jetzt, Verständigung mit Rußland zu suchen. Dieses Programm müsse für England freie Hand in Ägypten und im Jangtsegebiet umfassen, für Rußland freie Hand im Balkan, den Handelszugang zum persischen Golf, in Persien und der Mandschurei; der Russe solle auch das Versprechen erhalten, daß man Deutschland nicht mehr in Kleinasien unterstützen werde. Das Ziel müsse sein, daß in einem deutsch-russischen Kriege England, in einem deutsch-englischen Kriege Rußland neutral bleibe. Auch schon weitere Umrisse der künftigen mitteleuropäischen Politik Englands wurden sichtbar: es werde sich wieder zum Beschützer jeder unterdrückten Freiheit auf dem Kontinent machen, sich zunächst der Tschechen annehmen und die Verdeutschung des italienischen Triest verhindern müssen.

Das alles klang im Augenblicke noch verfrüht, aber es war der Auftakt eines langen Kreuzzuges, der die von dem Bismarckschen Reiche begründete mitteleuropäische Machtstellung zu zerbrechen gewillt war. Noch waren es Stücke einer Fata Morgana, wenn man den Russen einen guten Teil des nahen und des mittleren Ostens bot oder schon verführerisch an den Lebensbestand Österreichs rührte; aber die öffentliche Meinung war eher geneigt, sich mit solchen Zukunftsbildern zu befreunden, als mit dem nunmehr versinkenden Bilde des deutschen Bündnisses.

Lord Lansdowne freilich war weit entfernt, die Verhandlungen mit Deutschland in einer schroffen Form preiszugeben. Schon die Staatsräson gebot, wenn das Ziel nicht erreichbar war, die Schuld der anderen Seite zuzuschieben und den Abbruch der formell noch nicht abgeschlossenen Bündnisbesprechungen in einer möglichst freundschaftlichen Form herbeizuführen. Ja, er suchte den Rückzug sogar durch das Dazwischenschieben eines bescheideneren Sympathievertrages zu erleichtern; wenn auch eine Annahme der deutschen Eröffnung in der von Graf Hatzfeldt vorgebrachten Form ausgeschlossen sei, so hielt er es doch für erwägenswert, wie er dem Ministerpräsidenten am 22. November vortrug, ob man nicht zu einer "begrenzten Verständigung" mit Deutschland gelangen könne; man habe das chinesische Abkommen und könne sich überlegen, ob man nicht einen ähnlichen Austausch von Erklärungen über die Ziele beider Länder und die darin zu gewährende Unterstützung anbieten solle. Eine solche Abmachung würde zweifellos hinter dem deutschen Vorschlag zurückbleiben, aber "als ein versuchsweise unternommener und vorläufiger Schritt nicht ohne Wert sein": auf alle Fälle würde man es der deutschen Regierung unmöglich machen, über rücksichts- [527] lose Behandlung zu klagen. Lansdowne bezeichnete auf Salisburys Frage als Grundlage einer solchen Interessengemeinschaft die Aufrechterhaltung des status quo an den Küsten des Mittelmeeres, des Adriatischen, Ägäischen und Schwarzen Meeres, dazu die Freiheit von Handel und Schiffahrt im Persischen Golf: es sei nicht viel mehr als eine "Erklärung gemeinsamer Politik und des Wunsches, enge diplomatische Beziehungen miteinander zu unterhalten". Er selbst setzte voraus, daß man in Berlin etwas viel Bestimmteres und Weitertragendes wünsche und aus diesem Grunde eine Anregung dieser Art ablehnen werde.

Doch auch dieser Vorschlag schien Salisbury zu weit zu gehen, "voller Gefahren zu sein und keinen ausgleichenden Vorteil zu bringen". Danach ging Lansdowne vor. Bevor Metternich kurz vor Weihnachten nach Berlin reiste, hielt der britische Außenminister es für angezeigt, bei dem neuen Botschafter, der in der Bündnisfrage bisher an sich gehalten hatte, den delikaten Gegenstand wenigstens zu berühren. Er rekapitulierte die Verhandlungen des Frühjahrs und Sommers und kam zu dem Schlusse: die Hürde sei zu hoch, sie zu nehmen. Wenn die Engländer den deutschen Vorschlag gewiß nicht mit unfreundlichen oder gleichgültigen Augen betrachteten, so glaube er doch nicht, daß sie es sich für den Augenblick erlauben dürften, ihn aufzugreifen. Nach seiner eigenen Darstellung will Lansdowne daran die Frage geknüpft haben, ob es nicht möglich sei, zwischen den beiden Ländern zu einer Verständigung über die Politik zu gelangen, die sie in bezug auf besondere Fragen oder besondere Teile der Welt von gleichem gemeinsamen Interesse zu befolgen hätten. Darauf habe Metternich ohne Zögern geantwortet, daß kein Vorschlag von dieser Art in Berlin eine günstige Aufnahme finden würde - es handle sich um "alles oder nichts". Nach Metternichs eigenem Bericht ist es weder zu einer so scharf gestellten Frage noch zu einer so scharfen Beantwortung gekommen, sondern nur die rückblickende Frage gefallen, ob es sich lediglich um einen Beitritt Englands zum Dreibund gehandelt habe oder ob auch andere weniger weitgehende Fragen zur Erörterung kommen könnten.143 Er muß schon einen starken Eindruck von dem englischen Rücktritt von der Verhandlung erhalten haben, daß er den Trostvorschlag (für den er keine Instruktion besaß) überhörte und sich zur sofortigen mündlichen Berichterstattung in Berlin entschloß. Wenn Lansdowne dem schon fast eingeschlafenen Gang der Verhandlungen ein formales Ende bereitete, so blieben auch die blasseren Möglichkeiten, die er bestehen ließ, auf der anderen Seite ohne Widerhall. Ob im Falle einer freundlichen oder beeiferten Aufnahme dieser Andeutungen noch wirklich etwas Halt- [528] bares und Wertvolles aus dem Austausch der Worte hervorgegangen wäre, darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Bei der sehr erregten Haltung der öffentlichen Meinung in England, bei der nun schon deutschfeindlicher werdenden Stimmung des Foreign Office, bei dem unwandelbaren Mißtrauen Salisburys ist es nicht wahrscheinlich, daß der mehr auf die Innehaltung der Form bedachte gute Wille Lansdownes wirklich etwas zustande gebracht haben würde.

Auch König Eduard glaubte persönlich dem Kaiser (der in die eigentlichen Verhandlungen nicht eingeweiht war) den Abbruch nicht vorenthalten zu sollen: das war doch wohl der Sinn des Handschreibens, das er den Botschafter Lascelles am 27. Dezember im Auswärtigen Amte verlesen ließ: der König wünsche nach wie vor, daß Deutschland und England in allen Punkten zusammengingen; dieses Zusammengehen aber in einem formellen Vertrag zu stipulieren, sei schwierig, da ein solcher Vertrag im House of Commons zweifellos auf große Bedenken und Weitläufigkeiten stoßen würde. Der König werde aber nicht nachlassen, in Gemeinschaft mit S. Majestät für die Wohlfahrt der Welt zu wirken.144

Jedenfalls stand man in Berlin um die Jahreswende unter dem bestimmten Eindrucke, daß London abgebrochen habe, und empfand das Bedürfnis, da die englischen Staatsmänner den historischen Zusammenhang des Bündnisgesprächs mit der Sondierung Eckardsteins einleiteten, möglichst nicht als der um das Bündnis Nachsuchende zu erscheinen. Die Vorwürfe Holsteins klingen vor allem nach Enttäuschung: "Warum hat man die Sache nicht ruhen lassen, da niemand sie dringlich gemacht hatte? Statt uns in aller Form einen Korb zu geben. Die Absage, die wir nicht umhin können, als eine willkürliche, vielleicht vorsätzliche Zurückweisung anzusehen, bessert natürlich die Aussichten für später nicht."145 Unter diesem Eindruck einer erlittenen Absage steht bereits die Rede, in der im Reichstage der Reichskanzler Graf Bülow am 8. Januar doch noch dem Minister Chamberlain auf dessen Ausfall vom November antwortete. Ihre scharfe Tonart kam der innerdeutschen Entrüstungsagitation stärker entgegen als dem außenpolitischen Gebot der Stunde. Doch leitet sie nicht einen Bruch ein, sie ist eher [529] eine Begleiterscheinung146 in dem von der anderen Seite begonnenen Ablösungsvorgang und war in England deshalb nicht unwillkommen, weil man für den eigenen Kurswechsel eine öffentlich verwendbare Rechtfertigung in die Hand bekam.

Als einst Salisbury das Bündnisangebot Bismarcks von 1889 auf dem Tische hatte liegen lassen, geschah es mit dem Vorsatz, einstweilen möglichst freundschaftliche Fühlung beizubehalten. Wenn jetzt die Engländer die deutsche Bündnismöglichkeit nicht ergriffen, waren die Dinge schon dahin gelangt, daß eine negative Entschließung nach der deutschen Seite eine positive Entschließung nach der französischen Seite unter dem Herzen trug. Fast unmittelbar nach den Absagevorgängen wurde eine Verhandlung mit Frankreich auf breiter Grundlage eingeleitet, von der eine Verschiebung aller europäischen Beziehungen ausgehen sollte. Je mehr man in London besorgen mußte, daß Deutschland sich nunmehr auf Rußland und die Kontinentalbundpläne zurückzuziehen versuchen werde, um so eifriger setzte man alles daran, den Weg nach Paris einzuschlagen und sich rechtzeitig dieser Deckung zu bemächtigen.

So vollzogen sich schon im Laufe dieses Januar 1902 zwei Ereignisse, die mit der englischen Absage an Deutschland im engsten kausalen Zusammenhange stehen: das englisch-japanische Bündnis, das am 30. Januar in London unterzeichnet wurde, und die gleichzeitig einsetzende Verhandlung mit Frankreich über den Ausgleich aller englisch-französischen Reibungsflächen in der Welt.

Der Abschluß des Bündnisses mit Japan bedeutete zugleich, von dem englischen Interesse aus gesehen, den Verzicht auf jede andere - in Ostasien wenigstens entbehrlich gewordene - Bündnishilfe. Das neue Bündnis wurde zwar, in Verfolg der früheren Besprechungen, der deutschen Seite zuerst mitgeteilt, aber das änderte nichts daran, daß es gerade die deutsche Bündnismöglichkeit entbehrlich machte. Seine eigentliche Spitze war zwar nicht eindeutig erkennbar, aber wurde von Rußland doch mit Recht auf sich bezogen. So ließ denn die russische Regierung am 25. Februar 1902 in Berlin den Vorschlag einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber der englisch-japanischen Koalition unterbreiten. Damit wurde nichts Geringeres geboten als eine Sicherung gegen den russischen Verbündeten, gegen Frankreich. Der Revanchegedanke in Frankreich sei im Verschwinden; Rußland werde den Franzosen nie erlauben, Deutschland anzugreifen. Der russische Einfluß in Frankreich sei allmächtig und werde auch nicht gestatten, daß die französische Regierung revolutionäre Politik treibe; selbst für den unwahrscheinlichen Fall des französischen Angriffs auf Deutschland werde seitens Rußlands keine antideutsche Stellungnahme erfolgen.147 Die Verpflichtungen, [530] die Deutschland dagegen hätte übernehmen müssen, sind allerdings nicht erkennbar; und die besonderen Motive, aus denen der Kaiser und Bülow diesen Antrag, der allerdings ein völliges Abspringen von der seit dem Frühjahr 1898 innegehaltenen Linie bedeutet haben würde, von vornherein ablehnten, sind auch nur zu vermuten. Man kann den Gedanken nicht unterdrücken, daß diese Absage mindestens so schwerwiegend war wie die angeblich ausweichenden Künste, mit denen die deutsche Politik den höchst problematischen Bündniswillen Englands bisher beantwortet hatte. Jedenfalls hat man das Gefühl, hoch oben im Gebirge sich auf einer Hochebene aufzuhalten, auf der sich die Wasserscheiden zweier Systeme in nächster Nähe begegnen.

Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die während des japanischen Abschlusses einsetzende Parallelaktion hinzunimmt, die allerdings, wenn auch auf langwierigem Wege, in ein anderes Flußsystem der englischen Politik hinabführte. Schon am 30. Januar 1902 hatte Metternich gemeldet, daß seit etwa zehn Tagen Verhandlungen zwischen Chamberlain und dem französischen Botschafter schwebten, die einerseits die Gesamtheit der sog. kolonialen Fragen (Neufundland, Niger, Neue Hebriden, Handelsverträge in Madagaskar, Exterritorialität in Sansibar) behandelten, anderseits aber auch auf französischen Antrag über das Schicksal von Marokko entscheiden sollten.148 Es kennzeichnet die veränderte Konstellation, daß Chamberlain, durch Bülows Reichstagsrede gereizt, dem deutschen Diplomaten gegenüber alle Rücksicht fallen ließ: jetzt habe er genug von solcher Behandlung und von einem Zusammengehen Deutschlands und Englands könne keine Rede sein (8. Februar). Auch der König soll an diesem Tage gesagt haben, daß mindestens auf lange Zeit hinaus von einem Zusammengehen, gleichviel in welchen Fragen, keine Rede sein könne.149 In Wahrheit nannte man von jetzt an offen bei Namen, was man schon seit Monaten nicht viel anders empfunden hatte, aber ein wenig höflicher ausgedrückt haben würde.

Schon der Beginn des Gesprächs nach der anderen Seite löste dieses Signal aus. Aber es war mehr ein erster Stimmungsausbruch als eine veränderte Tonart in der amtlichen Politik. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, daß die englisch-französischen Verhandlungen durch einen Zeitraum von über zwei Jahren liefen und inzwischen auch längere Unterbrechungen und Schwierigkeiten zu überwinden hatten, und anderseits, daß die Welt in diesem Zeitraum von Ostasien bis Südafrika von starken Erschütterungen heimgesucht wurde, um [531] zu verstehen, daß der so grob angekündigte Umschwung praktisch doch wieder etwas sehr Allmähliches annahm. Bei dem französischen Partner war schon durch die Pariser Weltausstellung von 1902 ein Bedürfnis nach einer friedlichen Atmosphäre erzeugt; und der englischen Politik lag vollends daran, solange der Burenkrieg nicht ganz abgewickelt war, den Umschwung möglichst durch korrekte Beziehungen nach der deutschen Seite zu verdecken. Bald nach Beginn der Verhandlung, im Juli 1902, legte Salisbury das Amt des Ministerpräsidenten nieder - der Geist seiner Staatsräson hatte schließlich doch, von der Konstellation und manchen Zufällen begünstigt, über seine Gegner triumphiert. Ohne daß die Welt sich dessen bewußt war, bahnte sich in der Stille eine Umgruppierung der Mächte an, deren Wirkungsbereich viel unmittelbarer in den Ursprung des Weltkrieges hineinführt, als der russisch-französische Zusammenschluß zu Anfang der neunziger Jahre. Um so mehr kam es für die englische Politik darauf an, die gesamtpolitischen Schicksalswendungen, die noch auf den Knien der Götter verdeckt lagen, möglichst lange unsichtbar bleiben zu lassen.

Am schnellsten reagierte das empfängliche Barometer der italienischen Politik auf den europäischen Wettersturz. Seitdem man sich in Rom von England nicht mehr so freundlich behandelt fühlte, hatte man zunächst dem Bedürfnis nachgegeben, die fast zerstörten Beziehungen zu Frankreich trotz des Dreibundes zu verbessern. Der erste Schritt war der Handelsvertrag vom November 1898, der die normalen Handelsbeziehungen wiederherstellte; damit war auch der Weg zu den üblichen Artigkeiten zwischen den beiden Staaten freigegeben. Nach der Ermordung des Königs Humbert in Monza (19. Juli 1900) folgte auf den bedingungslosen Anhänger des Dreibundes ein Erbe, der überwiegend aus den guten Gründen einer Vernunftehe am Dreibund festhielt - das konnte das Tempo des Umschwungs nur beschleunigen. So erfolgte denn auf dem Gebiete der Außenpolitik, auf dem der Dreibund den ausgreifenden Italienern niemals genug geleistet hatte, der zweite Schritt, der Notenaustausch vom Dezember 1900,150 in dem Italien und Frankreich sich wechselseitig ihr Desinteressement an Marokko bzw. an Tripolis aussprachen. Wie gefährlich es werden konnte, wenn Italien die Zukunft seines Tripolis-Interesses durch einen konnexen Vertrag mit der französischen Marokkopolitik verknüpfte,151 war damals noch nicht vorauszusehen; aber daß der Minister Visconti-Venosta es für erlaubt hielt, den Vorgang seinen Bündnispartnern zu verschweigen, gab doch schon zu denken. Zwar erklärte der junge König sich bereits im Mai 1901 fest entschlossen, den (im Juni 1902 ablaufenden) Dreibund zu erneuern, und Prinetti gelobte feierlich, wohl die Freundschaft Frankreichs dem Dreibunde, aber niemals den [532] Dreibund der Freundschaft Frankreichs opfern zu wollen, aber als die Frage der Erneuerung des Dreibundes herannahte, war auch der Schleier von dem Tripolis-Marokko-Abkommen hinweggezogen - die Verknüpfung schon stellte die deutsche Politik vor eine nicht leichte Entschließung.

In demselben Augenblicke, wo zwischen Berlin und Rom zuerst von Erneuerung und Tripolis gesprochen wurde, im Januar 1902, war in London der große Umschwung eingeleitet worden, und es lag nahe, daß die im Keimen begriffene englisch-französische Entente gerade nach der italienischen Seite über ihren Kreis hinauswirkte. Es geschah dadurch, daß England das italienisch-französische Tripolis-Marokko-Abkommen anerkannte152 und dieses italienische Interesse seinen Plänen einfügte. Für die Dreibundsverhandlungen, die von Januar bis Mai 1902 dauerten, war es bedeutsam, daß sie auf diesem (damals noch kaum erkennbaren) Hintergrunde sich vollzogen. Die Erneuerung des Dreibundes brachte allerdings keine Änderung;153 die italienischen Versuche, sie mit dem neuen Handelsverträge zu verknüpfen oder Tripolis und Balkanfragen in den Vertrag aufzunehmen, hatten keinen Erfolg. Aber gewisse Begleiterscheinungen waren das Neue. Prinetti hatte dem französischen Botschafter Barrère versprochen, daß der Vertrag nichts Aggressives gegen Frankreich enthalten würde, und ging darauf aus, eine derartige Wendung formell oder sinngemäß in den Vertrag hineinzubringen oder irgendwie die neue Dreibundsära unter diesem Zeichen ins Leben treten zu lassen. Er erreichte zwar seine Absicht nicht, aber verständigte Barrère noch vor Abschluß des Dreibundvertrages, über die Sache weiter verhandeln zu wollen. Schon die nächsten Reden, die Prinetti und Delcassé austauschten, ließen erkennen, daß die Zugehörigkeit Italiens zum Dreibunde fortan nur nach Maßgabe eines moralischen Rückversicherungsverhältnisses zu Frankreich zu bewerten sein würde; in einem Notenaustausch vom 1. November 1902, der vor Berlin und Wien sorgfältig geheimgehalten wurde, übernahm Italien sogar eine vertragliche Verpflichtung.154 Schon das erste Jahr der westmächtlichen Ententeverhandlung löste Italien praktisch halb aus seinem alten Bundesverhältnis heraus - so wurde das Unmögliche möglich, daß diese Dreibundmacht gleichzeitig sich den Dank der Westmächte um das Zustandekommen der Entente cordiale erwarb.155

Für den mehrfach unterbrochenen Fortgang der englisch-französischen Verhandlungen gab es keine wirksamere Ermutigung, als das Auftauchen einer [533] antideutschen Pressewelle, wie sie nun periodisch mit steigender Wucht einsetzt. Ein geringfügiger Anlaß konnte von einem Tage zum anderen eine Explosion hervorrufen. Als im August 1902 die Burengenerale Botha, Dewet und Delarey in London empfangen worden waren, begaben sie sich zu dem Zwecke von Sammlungen auch auf den Kontinent; wie sie in Paris vom Präsidenten der französischen Republik empfangen wurden, gedachten sie auch einen Empfang durch den deutschen Kaiser zu erwirken.156 Darin aber waren die Engländer gewillt, selbst wenn der Besuch auf dem amtlichen Wege durch den englischen Botschafter erbeten werden sollte, eine tödliche Beleidigung zu erblicken. Um die Deutschen einzuschüchtern, ließ Chamberlain das gröbste Geschütz auffahren. Einige Tage vor dem 14. September 1902 ließ er dem Baron von Eckardstein gegenüber seinem Groll gegen Deutschland freien Lauf.157 Es habe lange gedauert, bis er und seine Kollegen sich darüber klar geworden seien, was diese ungebändigten Ausbrüche des Hasses gegen England bedeuteten. Im deutschen Volke habe sich augenscheinlich der Gedanke festgesetzt, daß es Deutschland im Laufe der Jahre mit Leichtigkeit gelingen könne, England und sein Kolonialreich zu Fall zu bringen und dessen gesamte Erbschaft anzutreten. Er selbst sei zwar davon überzeugt, daß derartig phantastische Ideen undurchführbar seien und jeder Versuch, dieselben in Taten umzusetzen, verhängnisvolle Konsequenzen zunächst für Deutschland haben werde. Trotzdem müsse die englische Politik mit dem Faktum eines anscheinend unüberwindlichen Hasses gegen England seitens der deutschen Nation in Zukunft rechnen. Gerade er, der einst für ein englisch-deutsches Zusammengehen eingetreten sei, wolle kein Hehl daraus machen, wie sich jetzt die Gesinnung Englands geändert habe. "Das englische Volk in allen seinen Schichten, sowohl im Mutterlande als auch in den Kolonien, sei jedoch jetzt von einem derartigen Hasse gegen Deutschland erfüllt, daß jedes Ministerium, selbst das stärkste, auf lange Zeit mit diesem Faktor würde zu rechnen haben." Einen Krieg mit Deutschland ohne weiteres vom Zaune zu brechen, daran könne selbstverständlich kein zurechnungsfähiger englischer Staatsmann denken. Irgendeine Provokation Deutschlands aber würde John Bull in ein derartiges "temper" versetzen, daß kein englisches Kabinett in der Lage wäre, sich demselben zu widersetzen. Zur Zeit des Krügertelegramms habe es sich in der öffentlichen Meinung um ein hysterisches Aufflackern gehandelt. Heute stehe die Sache viel ernster. Die Verstimmung und das Mißtrauen gegen Deutschland seien jetzt derartig allgemein [534] und tiefgehend, daß viel geringere Provokationen als diejenigen des Jahres 1896 genügen würden, um alles in Flammen zu setzen. Aber ebenso wie England damals auf Frankreich mit Bestimmtheit habe rechnen können, so werde es auch künftighin stets in der Lage sein, einen, wenn nicht mehrere Bundesgenossen, selbst im letzten Moment zu finden. Als der Deutsche nach diesen unverhüllten Drohungen daran erinnerte, daß mehrere Anstrengungen, eine Koalition gegen England zustande zu bringen, lediglich durch die freundschaftliche Haltung des Kaisers und seiner Regierung vereitelt worden seien, trumpfte der Engländer vollends auf: untergegangen würde das englische Weltreich auch dann noch nicht sein, selbst wenn Deutschland statt einer freundschaftlichen eine feindliche Haltung beobachtet hätte. Man würde im Notfalle sich mit der einen oder anderen Macht oder Mächtegruppe auf dem Kompensationswege haben verständigen können.158 Selbst Rußland hätte man jeden Augenblick gewinnen können, wenn auch für einen hohen Preis: "aber wenn es durchaus notwendig gewesen wäre, hätten wir denselben bezahlt."

Es war als wenn Chamberlain mit brutaler Deutlichkeit die deutschen Staatsmänner darauf aufmerksam machen wollte, daß das Konto des Burenkrieges der Vergangenheit angehöre und jede Illusion einer etwaigen englischen Dankbarkeit aus diesem Zeitabschnitt für immer begraben werden müsse; ja, er kündigte jetzt, um seine eigene Vergangenheit vollends abzutun, die Möglichkeit einer englischen Option für die französisch-russische Seite ohne viel Umschweife an. Dementsprechend bereitete er darauf vor, der bevorstehende Besuch des Kaisers werde an dem Tatbestand nichts ändern, man möge aus der Haltung der Presse keine falschen Schlüsse ziehen, denn die Verstimmung gegen die deutsche Nation in allen Kreisen der Bevölkerung habe bereits zu tiefe Wurzeln gefaßt.

So war denn Wilhelm II. bei seinem Besuch in Sandringham (4. bis 10. November 1902) tief betroffen über den Unterschied, der jetzt zwischen "the Kaiser" und "the German Government" gemacht wurde. Von allen Illusionen befreit, suchte er die empfangenen Eindrücke getreu wiederzugeben: "Sie sind politisch unerfreulich und müssen durch viel Geduld, Takt - auch im Auswärtigen Amt - und »Maul halten« unserer Presse überwunden werden. Geschieht das nicht, können sehr ernste Folgen unversehens heraufbeschworen werden. Also Vorsicht! Hier haben sie fünfundreißig Panzerschiffe in Dienst, und wir acht!!, und werden um das Jahre 1905 in England an neuen Panzerschiffen, Kreuzern und Panzerdeckskreuzern 196 zum Dienst bereit sein gegen 46 bei uns!"159

Unmittelbar darauf sollte in einer denkwürdigen Episode der Nachweis geliefert werden, daß diese Richtung der öffentlichen Meinung bereits stärker war als die Regierung und im Ernstfalle die Führung an sich reißen konnte. Der [535] Verlauf der Venezuela-Angelegenheit war ein sinnfälliges Zeichen, daß jener Strom, der die sich allmählich durchsetzende Kursänderung trug, schon mächtig genug geworden war, um einen Versuch des Kabinetts, auf einem entlegenen Nebenfluß mit den Deutschen zusammenzugehen, dergestalt zu durchkreuzen, daß der wohlgemeinte Anlauf nur die entgegengesetzte Wirkung hatte, die Wucht der deutschfeindlichen Bewegung zu verdoppeln.

In einem Bürgerkriege in Venezuela hatten deutsche, englische und andere Ansiedler schwere Schädigungen erlitten. Da die venezolanische Regierung sich in den Entschädigungsverhandlungen auf das schroffste ablehnend verhielt, hatte die deutsche Reichsregierung nach vorheriger Fühlungnahme mit den Vereinigten Staaten gegen Ende 1901 ein Geschwader hinübergeschickt und die Anwendung einer sog. Friedensblockade erwogen. Da gab die englische Regierung, die auf dem heißen Boden Venezuelas schon einmal in einen tiefen Gegensatz zu den Vereinigten Staaten geraten war, von sich aus in Berlin ihre Bereitschaft zu verstehen, unter Umständen ein gemeinsames Vorgehen gegen Venezuela zur Befriedigung der Kriegsreklamationen zu vereinbaren - es war im Januar 1902, als die Wege sich bereits zu trennen begannen. Immerhin war das Auswärtige Amt nicht abgeneigt, auf den Gedanken einzugehen, nur entschied der Kaiser, mit sicherem Blick für die amerikanischen Empfindlichkeiten, daß man an die Durchführung erst nach der Amerikareise des Prinzen Heinrich (Februar/März 1902) herantrete, die einer Belebung der Sympathien zwischen den beiden Völkern zu dienen bestimmt war. So kam der Reichskanzler Bülow erst im Herbst 1902 auf die Angelegenheit zurück. Die venezolanische Regierung hatte inzwischen ihr völkerrechtwidriges Verhalten in herausfordernder Weise fortgesetzt, in der Erwartung, sich im schlimmsten Falle in den Mantelfalten der Monroedoktrin verstecken zu können.

Die Reichsregierung wollte den Eindruck nicht aufkommen lassen, daß die Auslanddeutschen fremder Willkür preisgegeben seien, und fürchtete, wenn sie ihr gutes Recht nicht wahre, ihr Ansehen in Mittel- und Südamerika empfindlich zu schädigen. So knüpfte sie denn an die zu Beginn des Jahres von London gezeigte Bereitwilligkeit an und fragte an, ob man jetzt zu einer gemeinsamen Aktion bereit sei. Die englische Regierung, längst entschlossen ihre Ansprüche in Venezuela unter allen Umständen durchzusetzen, ging ohne Zögern auf die Sondierung ein. Trotz des in der allgemeinen Politik schon eingeschlagenen "französischen" Kurses mochte ihr daran liegen, ihren guten Willen in einem gemeinsamen Vorgehen auf einem Nebenschauplatz zu bezeugen und, da der Schritt nun einmal unvermeidlich war, wenigstens auf diesem gefährlichen Boden den Deutschen an der Seite zu haben. Nachdem der Kaiser das Unternehmen gebilligt hatte, schlug die englische Regierung Anfang November 1902 eine gemeinsame Aktion in der Weise vor, daß jede Regierung bei den weiteren diplomatischen Schritten in Caracas auch auf die gleichartige Beschwerde der anderen Regierung hinweisen [536] würde; für den Fall der Ablehnung sollte in erster Linie die Beschlagnahme sämtlicher venezolanischer Kriegsfahrzeuge erfolgen; im weiteren Verlaufe wurde auch die Blockade der venezolanischen Küste nach gemeinsamen Grundsätzen in Aussicht genommen. Die näheren Verabredungen erfolgten während des Besuches, den der Kaiser dem König Eduard VII. in Sandringham abstattete. Schon am 17. November sprach eine amtliche Mitteilung der englischen Regierung die Bereitschaft aus, gemeinschaftlich mit Deutschland für die beiderseitigen Forderungen einzutreten, dergestalt, daß ein Zurücktreten nur in wechselseitigem Einverständnis erfolgen dürfe. Die Dinge nahmen einen raschen Verlauf. Nachdem von Venezuela eine unbefriedigende Erklärung eingegangen war, wurde das Vorgehen auch in Washington zur Kenntnis gebracht; der Staatssekretär Hay bedauerte zwar die Einmischung einer europäischen Macht in die Angelegenheiten einer südamerikanischen Republik, aber erkannte doch an, daß europäische Mächte das Recht beanspruchen müßten, ihre Interessen in Südamerika wahrzunehmen. Nachdem England und Deutschland am 7. Dezember gemeinsam ein 24stündiges Ultimatum gestellt hatten, wurden am nächsten Tage die venezolanischen Kriegsschiffe in La Guaira weggenommen und großenteils versenkt; einige Tage später wurde von einem deutschen und einem englischen Schiffe ein Fort zerstört.

Die beiden Mächte waren durchaus einmütig in das Unternehmen hineingegangen. Der ernste Wille Lansdownes zur gemeinsamen Aktion wurde in Berlin im vollen Umfange erwidert, ein Versuch Venezuelas, die Deutschen durch Befriedigung ihrer Ansprüche abzuspalten, in loyaler Weise abgelehnt; auch Bülow hielt es für dringend erwünscht, "den Engländern die Überzeugung beizubringen, daß wir mit ihnen rückhaltlos Hand in Hand gehen." Diese durch die ganze Dauer der Unternehmung aufrechterhaltene Einmütigkeit der Regierungen sollte durch die öffentliche Meinung auf eine schwere Probe gestellt werden.

Schon gleich nach dem Beginn der Demonstration hatten die Times sich aus Washington melden lassen, daß die Schuld an dem unnötig scharfen Vorgehen den Deutschen, nicht den Engländern zuzuschreiben wäre. Und obgleich man in Berlin keineswegs darauf bedacht war, als Haupturheber der ganzen Aktion zu erscheinen,160 wurde der Deutsche allerseits in den Vordergrund gerückt. Überall tauchte in der englischen Presse die Sorge auf, es möchte das deutsch-englische Vorgehen zu einer Abkühlung mit den Vereinigten Staaten führen. Mit einem Schlage trat eine völlige Verschiebung des Bildes ein, von London bis Washington, und wenn es auf die öffentliche Meinung angekommen wäre, so hätte es nicht geheißen, in des Weges Mitte, sondern von dem ersten Schritte an verließen die Begleiter ihn. Was von der öffentlichen Meinung in England galt, war ebensogut von der Königlichen Familie, von der Stimmung in beiden Parteien des Parlamentes, ja bald vom Kabinett selbst zu sagen. In Newyorker Finanzkreisen war [537] man schon am 16. Dezember der Ansicht, daß England, besonders mit Rücksicht auf die Haltung des Parlaments, sich leicht von Deutschland ablösen und den Amerikanern hinter dem Rücken der Deutschen die Hand reichen könne. Als die venezolanische Regierung in Washington den Vorschlag der Einsetzung eines Schiedsgerichtes machte, war drüben nur eine Stimme, das Schiedsgericht im Prinzip anzunehmen. Lansdowne selbst gestand, daß eine starke Strömung im Kabinett dazu neige, die ganze Sache durch Schiedsgericht zum Austrag zu bringen, um dem heftigen Widerspruch im Parlament und im Lande aus dem Wege zu gehen.

Und nun ergab sich eine Situation, in der die versteckte Neigung der Amerikaner, den europäischen Mächten doch noch in den Weg zu treten, und die raffiniert angelegte deutschfeindliche Hetze in der englischen Presse sich von Tag zu Tage stärker in die Hände arbeiteten. Demgegenüber erschien das Kabinett Lansdowne einfach ohnmächtig. Metternich urteilte schon am 16. Dezember: "Wenn die englische Regierung durch Parlament und Presse gedeckt wäre, brauchte man sich um amerikanische Anmaßung nicht zu kümmern; gegen das eigene Land und gegen die Stimmung in den Vereinigten Staaten sei die englische Regierung auf die Dauer zu schwach, um bei der Stange zu bleiben." In klarer Erfassung dieser Lage bekannte sich Bülow sofort zu dem Grundsatz, "bei der weiteren Behandlung der Frage nicht denjenigen Elementen in England Munition zu ihrem Kriege gegen die Regierung zu liefern, welche das Zusammengehen Englands mit Deutschland von Haus aus verurteilen". Er nahm die englischen finanziellen Vorschläge an und riet, den Vereinigten Staaten selber den Schiedsspruch zuzuleiten.

So nahm denn die amerikanische Regierung, die unter der Hand schon auf baldige Lösung hindrängte, am 24. Dezember den Schiedsgerichtsvorschlag an, doch lehnte Präsident Roosevelt die persönliche Übernahme des Schiedsrichteramtes ab. Venezuela ging auf die Vorbehalte ein, unter denen die drei Blockademächte England, Deutschland und Italien den Schiedsgerichtsweg beschritten.

Die seit dem 20. Dezember 1902 bestehende Blockade sollte, bevor sie durch diese Verhandlungen außer Kraft gesetzt wurde, nicht ohne einen schärferen Zwischenfall verlaufen. Das an der Blockade beteiligte deutsche Kanonenboot "Panther" wurde am 17. Januar 1903 von einem venezolanischen Fort unter Feuer genommen und antwortete, wie es jedes andere Schiff in gleicher Lage ebenfalls getan haben würde, damit, daß es das Fort zerstörte. Dieser Vorfall gab, da er sich kurze Zeit vor dem Verhandlungsabschluß ereignete, sowohl der amerikanischen Nationalerregung als der deutschfeindlichen Bewegung der englischen Presse einen willkommenen Anlaß, das stärkste Geschütz gegen den Störenfried aufzufahren. Der deutsche Botschafter urteilte über diese neue Hetze am 19. Januar 1903: "Solange ich England kenne, habe ich noch niemals hier eine solche Erbitterung gegen eine andere Nation wahrgenommen wie jetzt gegen [538] uns. Es beruht das nicht in erster Linie auf Handelsrivalität, sondern es ist der Ausdruck der Stimmung, welche infolge des Verhaltens des deutschen Volkes während des Burenkrieges jetzt hier ihren Widerhall findet. Es würde nichts nützen, die Hand zur Versöhnung zu reichen, sie würde einfach zurückgestoßen werden."161

Damit war, ohne irgendein Verschulden von deutscher Seite, aus einer Angelegenheit zweiter oder dritter Ordnung eine solche von höchstpolitischem Gewicht geworden: die ganze Tiefe des deutsch-englischen Gegensatzes wurde erst während und vermöge einer (an sich untergeordneten) Aktion sichtbar, in der Deutschland und England loyal zusammengingen. Es blieb der deutschen Regierung nichts anderes übrig, als auch die amerikanischen Winke, sie von der englischen Haltung zu trennen, zu überhören und bei dem Ausgleich die englischen Wünsche in allen Einzelfragen durch Nachgiebigkeit zu unterstützen. Schon befürchteten Balfour und Lansdowne im anderen Falle ernste parlamentarische Schwierigkeiten, wenn nicht gar den Sturz des Ministeriums; sie besorgten gleichzeitig, daß dann auch die Mißstimmung gegen Deutschland ganz elementar durchbrechen würde, und baten geradezu in Berlin, zu vermeiden, daß ein Stachel zurückbleibe. Der König ging schon so weit, die Erledigung für wichtiger als die Geldforderungen zu bezeichnen, um derentwillen das Ganze unternommen war. Mit vollem Recht hielt ihm der deutsche Botschafter vor, "daß die gemeinsame gerechte und maßvolle Aktion gegen Venezuela nur deshalb einer so unerwünschten und erregten Beurteilung in der Öffentlichkeit begegne, weil die englische Presse in blinder Gehässigkeit von Anfang an die Sache verdreht und der deutschen Regierung alle möglichen unwahren und phantastischen Motive untergeschoben habe, so daß schließlich auch die öffentliche Meinung in Amerika dem englischen Beispiel gefolgt sei".162 Noch hatte die Verhandlung einige Schwierigkeiten zu überwinden, da Amerika, um den Präzedenzfall zu vermeiden, nicht die blockierenden Mächte (die Gewalt gebraucht hatten) vor den anderen in der Zahlung begünstigt sehen wollte. Lansdowne war auch hier zum Nachgeben bereit, und Bülow hielt, als erneute Versuche in Washington Deutschland von England zu trennen sich bemühten, an seinem Partner fest: "Wir sind fest entschlossen, mit England durchaus zusammenzugehen und uns auf nichts einzulassen, was nicht der mit England getroffenen Verständigung entspricht."163 Am 13. Februar war die ganze Angelegenheit erledigt, im letzten Stadium nicht einmal unbefriedigend für die deutschen Forderungen, aber wer fragte von Washington bis Berlin nach dem Schadenersatz einer südamerikanischen Räuberrepublik, wo in dieser Episode ganz andere Unwägbarkeiten in der Seele eines großen Kulturvolkes wie durch einen Scheinwerfer taghell beleuchtet worden waren!

[539] Die beiden Regierungen konnten, als sie aus dem ganzen Unternehmen ausschieden, gegenseitig nur ihr loyales Verhalten anerkennen.164 Aber schon hatte es sich herausgestellt, daß es zwischen London und Berlin auf andere Dinge ankomme als die diplomatische Geschäftsführung, auf unterirdische Kräfte, die unwiderstehlich über den Willen eines Kabinetts hinwegschritten. Wenn das Ganze unter dem Gesichtspunkt einer wünschenswerten Gemeinsamkeit des Vorgehens unternommen worden war, so stand man jetzt vor der Erkenntnis eines Irrtums. Man konnte sich auf deutscher Seite nicht verhehlen, daß gegen "den amerikanischen Fetisch im Bunde mit der Abneigung gegen Deutschland eine englische Regierung nicht aufkommen könne". In den Bündnissondierungen der letzten Jahre war diese Abneigung von beiden Seiten immer in Rechnung gestellt worden: die Probe auf das Exempel war noch schlechter ausgefallen, als man hatte erwarten können. Lag es daran, daß es schon zu spät war? Man mochte in Berlin nachträglich erwägen, ob die Aktion anders ausgelaufen sein würde, wenn sie, wie ursprünglich geplant, schon drei Vierteljahre früher (Januar 1902) begonnen worden wäre. Ich kann mich dem Glauben nicht entziehen: auch wenn man damals - anknüpfend an die Erbietungen, die Lansdowne Ende Dezember 1901 an Metternich gemacht hatte - in dieses Unternehmen hineingegangen wäre, würde man die gleiche schwere Enttäuschung davongetragen haben. Das "Zusammengehen" wäre in diesem Falle vermutlich schon im Frühjahr 1902 begraben worden.165 Damit rückt dann das kleine Programm dieses Trostvorschlages, in dem mancher noch heute das letzte Heil sehen möchte, nachträglich in die richtige Beleuchtung.

So hatten diejenigen politischen Kräfte, die unter allen Umständen eine deutsche Orientierung Englands vermieden sehen wollten und schon von verschiedenen Seiten her der entgegengesetzten Orientierung den stärksten Vorschub leisteten, ihren ersten sichtbaren Sieg davongetragen. Das war im Lande der public opinion entscheidend. Für jede künftige englische Staatsleitung enthielt die Venezuela-Episode die Lehre (wenn es ihrer noch bedurft hätte): vestigia terrent. Das galt nicht nur für die Regierungspartei. Der deutsche Botschafter war durchaus im Recht, wenn er dem Führer der Opposition, Lord Rosebery, vorhielt, daß dieser in der Tiefe wurzelnde und auf die Gesamtrichtung der Politik [540] übergreifende Deutschenhaß eine viel bedenklichere Sache für das Verhältnis beider Völker sei als die sentimentale deutsche Anglophobie im Burenkriege.166 Aber er verfehlte seinen Eindruck, weil man im anderen Lager überwiegend mit der Tatsache dieser Wendung einverstanden war.

Schon die bloße Kombination hatte ausgereicht, um einen den Deutschen ungünstigen Weltwind in der öffentlichen Meinung hervorzurufen, in den auch die Franzosen tapfer hineinbliesen.167 Zum ersten Male hatte alle Art von übler Nachrede über die bedrohlichen deutschen Begehrlichkeiten auf ihrer Reise um den Erdball die systematische Unterstützung des anglo-amerikanischen Pressedienstes gefunden,168 und im nächsten Jahrzehnt sollte das liebevolle Bemühen niemals aufhören, den Amerikaner die Deutschen und ihre frevelhaften Absichten so sehen zu lassen, wie es dem englischen Interesse entsprach.

Unmittelbar nach dem Ablauf der Venezuela-Episode sollte sich zum zweiten Male zeigen, daß die deutsch-feindliche Strömung, die soeben mit Erfolg den Taktstock geführt hatte, stark genug angeschwollen war, um der Regierung wider ihren Willen den Weg vorzuschreiben: das geschah in der Frage des Bagdadbahn-Unternehmens. Lord Lansdowne hatte sich im Frühjahr 1902 zugunsten der deutschen Pläne ausgesprochen, vorausgesetzt, daß das englische Kapital in gleichem Maße beteiligt werde.169 Im November 1902 hatte eine Konferenz der britischen Admiralität, des Auswärtigen Amtes, des Ministeriums für Indien und des Kriegsministeriums sich einmütig gutachtlich dahin geäußert, "daß es ein großer Fehler sei, das Projekt zu bekämpfen, das wir im Gegenteil nach besten Kräften fördern sollten; vorausgesetzt, daß wir einen angemessenen Anteil an der Kontrolle der Bahn und ihres Ausgangs zum Persischen Golf erlangen können".170 Dementsprechend verhielt sich das britische Auswärtige Amt wohlwollend, als sich ein englisches Finanzkonsortium bildete, das mit gleichem Anteil in das Unternehmen eintreten wollte und von der Regierung gewisse grundsätzliche Garantien erbat (Beisteuer für indische Postbeförderung, Erhöhung der türkischen Zolleinnahmen; Endstation in Kueit am Persischen Golf), die für die [541] Sicherstellung des Erfolges für erforderlich gehalten wurden. Lansdowne sah keinen Grund, diese Vorschläge nicht in Betracht zu ziehen.171

Als am 13. April 1903 die Konstituierung der Societé Impériale Ottomane des chemins de fer de Bagdad in Konstantinopel erfolgte, schien nach langem Bemühen die Grundlegung des von Kaiser Wilhelm II. auf seiner Orientreise aus der Taufe gehobenen Unternehmens sichergestellt zu sein. Freilich mußte es sich, um nur so weit zu kommen, einer weitergehenden Internationalisierung in der Verwaltung und Kapitalbeschaffung unterziehen, als die deutschen Urheber und Führer ursprünglich sie vorgesehen hatten; der Nutzen der englischen Mitbeteiligung lag darin, daß das Werk rascher gefördert wurde und daß die deutsche Politik durch die stärkere Betonung der Internationalität sich den Russen gegenüber, denen das Unternehmen ein Dorn im Auge blieb, freier fühlte.

In diesem Augenblicke aber hatte in London schon ein leidenschaftliches Kesseltreiben gegen das "deutsche Unternehmen" eingesetzt. Die National Review hatte in ihrer Aprilnummer den Ton angegeben, der Spectator folgte mit einer höchst gehässigen Artikelserie; überall hallte es wieder, daß die Bagdadbahn eng mit der deutschen Regierung verknüpft sei und die britischen Interessen schädige; eine Anfrage im Unterhause erfuhr am 7. April nur eine vorläufige Beantwortung. Lansdowne blieb trotzdem fest; er sprach sich am selben Tage zu den Finanzmännern nachdrücklich gegen jede Änderung der Haltung aus. Er war überzeugt, daß die Bahn schließlich doch gebaut werden würde und daß es ein nationales Unglück sei, wenn dieses ohne britische Beteiligung geschähe. Er verhehlte sich nicht im geringsten: "Ohne das deutschfeindliche Fieber, an dem das Land leidet, würden wir meiner Überzeugung nach, wenn wir diese Ansichten vertreten und nach ihnen handeln, allgemeine Unterstützung finden."172 Dementsprechend wäre er nach seiner eigenen Aussage geneigt gewesen, an seiner Überzeugung festzuhalten, wenn nicht der immer stärker angewachsene Sturm der öffentlichen Meinung zuerst die Zuversicht des Londoner Finanzsyndikats gebrochen hätte.173 Dann aber trat die Regierung den Rückzug an. Man fand [542] die Formel, daß auch eine durchgehende Internationalisierung der Anatolischen Eisenbahngesellschaft zur Bedingung gemacht werden müsse. Am 23. April 1903 beantwortete Balfour die neue Anfrage im Unterhause dahin, daß die Regierung die gewünschten Erklärungen nicht geben könne, da eine zwischen der Türkei und der Anatolischen Eisenbahngesellschaft geschlossene Konvention das ganze Projekt eines Eisenbahnnetzes über Kleinasien bis zum Persischen Golf völlig in den Händen einer unter deutscher Kontrolle stehenden Gesellschaft belasse.174 Indem die englische Regierung selbst die Hand von dem kleinasiatischen Unternehmen der Deutschen zurückzog, zeigte sie bereits den Russen in der Ferne eine Möglichkeit, sich über ihre gemeinsamen Interessen im nahen Orient gegen den mitteleuropäischen Rivalen zu verständigen.

Der unrühmliche Rückzug der englischen Regierung vor der öffentlichen Meinung des Königreichs war der zweite symptomatische Vorgang von schwerwiegender Bedeutung. Man kann sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Frontverschiebung, die durch den Abbruch der deutsch-englischen Verhandlungen und die Aufnahme der englisch-französischen Verhandlungen eingeleitet war, eine ausgesprochene Feindseligkeit in sich barg. Die Regierung hatte im Dezember-Januar wie im April 1903 die Schroffheit der Wendung verdecken mögen, sie war ohnmächtig gegenüber den Gewalten, die auf der ganzen Linie die Konsequenzen gezogen wissen wollten.175

Jetzt schon, lange bevor das englisch-französische Abkommen sich seinem Abschlusse näherte, war eine vor aller Welt sichtbare Veränderung eingetreten. Es konnte nicht anders sein, als daß dieser Umschwung, der durch die Episoden von Venezuela und Bagdad ausgelöst worden war, einen tiefen Eindruck in Paris machte. Die deutsche Diplomatie stellte fest, daß nach dem Entgegenkommen des Ausstellungsjahres seit etwa dem Dezember 1902 ein vollkommener Rückschlag eingetreten sei. Seitdem lasse sich Herr Delcassé auf politische Unterhaltungen mit dem Kaiserlichen Botschafter überhaupt nicht mehr ein; während [543] Vertreter anderer
Zusammenkunft Kaiser Wilhelms II. und König Eduards VII.
in Homburg 1903.
[528a]      Zusammenkunft Kaiser Wilhelms II. und König Eduards VII.
in Homburg 1903.
fremder Mächte stundenlang beim Minister weilten, verabschiede er den Fürsten Radolin schon nach kaum fünf Minuten,176 so daß die Verkehrsform bei aller äußeren Korrektheit fast ungezogen sei.177 Um die öffentliche Meinung Frankreichs, in der noch viel alter Groll gegen England lebte, stärker auf den neuen Weg herüberzuretten, setzte König Eduard selbst seine Persönlichkeit ein. Er hatte im April 1903 die Reihe seiner europäischen Antrittsbesuche begonnen in Lissabon und hatte hier in herzlichen Worten davon gesprochen, daß die unversehrte Erhaltung der portugiesischen Länder und Kolonien eines der ihm am meisten am Herzen liegenden Ziele sei. Der Besuch des Königs in Paris (1. bis 4. Mai 1903) war sein eigenstes Werk, aus seiner eigenen Initiative hervorgegangen - der anfangs kühle Empfang wurde durch das mit Vorbedacht in den Reden des Königs wiederkehrende Wort der "Freundschaft" in eine ungewöhnlich herzliche Temperatur versetzt, und die Stimmen aus nationalistischen Kreisen, die, zum Teil aus dem russischen Lager angefeuert, sich dem englischen Kurse widersetzten, kamen bald zum Schweigen. Der politische Instinkt der Franzosen lehrte sie, daß nicht ein Monarchenbesuch stattgefunden habe wie andere auch, sondern daß eine politisch bedeutungsvolle Annäherung der Völker vorbereitet worden sei.

Mußte die Summe dieser Ereignisse, zusammengehalten mit dem rapiden Gange der deutsch-englischen Entfremdung, nicht die höchste Beunruhigung bei den deutschen Staatsmännern auslösen? Man sucht sich vorzustellen, wie der von dem Albdruck der Koalitionen gepeinigte Bismarck sich mit Sorgen und Gegenmaßregeln erfüllt haben würde. Noch überwog aber bei Holstein die Vorstellung, daß jede Koketterie Delcassés mit England auf Kosten des französisch-russischen Bündnisses gehe und somit automatisch der deutschen Politik den Weg nach Petersburg wieder eröffne: daß vor allem das englisch-japanische Bündnis eine unübersteigliche Kluft zwischen England und Rußland aufgerissen habe. Das war eine nicht ganz unbegründete Rechnung, aber wie lange und in welchem Umfange sie zutreffen würde, darin lag das Problem. Auch Bülow war der Überzeugung, daß die Politik Delcassés erst dann für Deutschland bedenklich werden würde, wenn es ihr gelinge, auch zwischen England und Rußland die Annäherung und damit die in den 70er Jahren von Gambetta angestrebte französisch-englisch-russische Entente herbeizuführen. Sonst würde Frankreichs Werben um England die deutsche in allen für Rußland wichtigen Fragen russenfreundliche Politik in Petersburg in noch hellerem Lichte erstrahlen lassen und den Grafen Lamsdorff in dem Gedanken bestärken, daß das alte Dreikaiserbündnis für die russische [544] Autokratie alles in allem die beste Kombination sei. So schloß denn Bülow mit dem fatalen Satze: "Von heute auf morgen werden sich die bestehenden Gruppierungen aber nicht ändern, und wir können meo voto die Dinge gar nicht pomadig genug nehmen."178

Diese oberflächliche Stimmung übersah zweierlei. Einmal die Intensität der politischen Triebkräfte, die von Paris und London zueinander hindrängten. Diese Annäherung besaß etwas, was die englisch-deutsche Annäherung, wenn sie zustande gekommen wäre, niemals besessen haben würde: sie war das Produkt einer gemeinsamen Abneigung. "Ohne die deutsch-englische Entfremdung würde eine englandfreundliche Stimmung in Frankreich nicht möglich geworden sein, und Herr Delcassé hätte bis zur Erfüllung seiner Wünsche noch lange warten müssen. Ohne die Abneigung gegen Deutschland hätte die englische Presse nicht seit Monaten an einer Aussöhnung mit Frankreich arbeiten, noch Herr Cambon versöhnliche Reden halten können".179 Wenn dem aber so war, so mußte der gleichgerichtete Wille, sobald er die äußere Fühlung erreicht hatte, seine Aktivität in Richtung auf das gemeinsame Ziel immer weiter steigern und schließlich zu einem Instrument werden, das über die vorsichtige Berechnung der Staatsmänner, die es geschaffen hatten, weit hinausging und eher den elementaren Triebkräften entsprach, aus denen es entsprungen war.

Und zweitens: auf beiden Seiten mußte alles daran gesetzt werden, zu vermeiden, die neue Verbindung den Deutschen dadurch erträglicher zu machen, daß man sie auf Kosten des russisch-französischen Bündnisses vertiefte. In London und Paris mußte man sich sagen, daß die Entente nur lebensfähig sein würde, wenn es gelänge, das Dreieck zu schließen. In London erblickte die von der National Review und dem Spectator vertretene politische Tendenz ihre Aufgabe darin, gerade an dieser Stelle die Brücke zu schlagen, und sie konnte die Bagdadbahn-Episode bereits als einen ersten Triumph verzeichnen. Der Gedanke lag so nahe, daß selbst ein Diplomat von so wenig Sachlichkeit und Zuverlässigkeit wie der Freiherr von Eckardstein sich damals verpflichtet fühlte, obwohl er den Dienst schon verlassen hatte, eine ernste Warnung auszusprechen und vor allem die Auffassung als falsch zu bezeichnen, daß jede englisch-französische Annäherung einen Keil in das russisch-französische Bündnis treiben würde.180 Freilich, die Anzeichen, die er zu sehen glaubte, trafen noch nicht zu. Der neue Dreibund, den er schon sich zusammenziehen sah, lag noch in weitem Felde. Die Warnung war in ihren Tatsächlichkeiten verfrüht, aber in ihren dynamischen Möglichkeiten richtig vorhergesehen, und man ist überrascht, daß sie innerhalb der deutschen Diplomatie nur [545] auf ihren ersteren Gehalt hin, nicht aber auf die von ihr angekündigten latenten Gefahren hin gewürdigt wurde.

Gewisse Symptome, daß die Gefahren eines Tages näher rücken könnten, waren nicht zu verkennen. Die Arbeit der englisch-französischen Ausgleichsverhandlungen war gegen Anfang September 1903 soweit vorgerückt, daß sie einer generellen Nachprüfung im englischen Kabinett unterworfen wurde: am 1. Oktober wurde das Ganze dort angenommen. Gleich darauf wurde am 14. Oktober ein englisch-französischer Schiedsgerichtsvertrag beschlossen, der den diplomatischen Verabredungen der Kabinette einen populären Unterbau verschaffte, und es war ein symbolischer Vorgang, daß sogar der Zar diese Entwicklung, statt sie mit kritischen Augen zu betrachten, eines besonderen Glückwunschtelegramms würdigte.

Es gehört zu der landläufigen Argumentation der englischen und der französischen Betrachtungen über die Entente von 1904, daß sie von Haus aus nur für Friedenszwecke, die Reibungsflächen beider Machtbereiche in der Welt zu beseitigen, bestimmt gewesen sei und daher in ihrem Verhandlungsablaufe von Januar 1902 bis zum April 1904, wie ein Blick in die Akten erweise, auch keinerlei Spitze gegen Deutschland jemals habe sehen lassen. Daß sich dergleichen Dinge nicht in den Akten finden, liegt in der Natur der Gegenstände begründet, die in den Akten behandelt werden, und wird durch die alte englische Tradition erleichtert, die Akten so zu gestalten, daß sie rein geschäftlich auch für das Parlament und die Öffentlichkeit sich als ostensibel darstellen: das allein schon hält vor Betrachtungen zurück, die über den Augenblick hinweg in künftige Ziele und Möglichkeiten hineinreichen. Die Auffassung von dem an sich harmlosen Sachcharakter der englisch-französischen Entente, der erst später durch den Gegenstoß Deutschlands gegen Frankreich zu etwas ganz anderem gemacht worden sei, ist sogar in die deutsche Geschichtsbetrachtung übergegangen.181 Aber schon die Nebenumstände, unter denen sich in der öffentlichen Meinung Englands in den Jahren 1902/03 die Ablösung von der einen und die Hinwendung zu der anderen Seite vollzogen hat, sollte davor warnen, die politische Idee dieser Umgruppierung in lauter regionalen Einzelheiten zu suchen, statt in der fundamentalsten Machtverschiebung, die auf dem Erdball seit 1871 sich vollzogen hatte und nur sehr langsam und vorsichtig dem politischen Bewußtsein der Völker erschlossen wurde.

[546] Die Häupter des englischen Weltreiches wußten natürlich, was sie taten, wenn sie in dieser Konstellation die Hände nach Paris hinüberstreckten, und sie wußten nicht minder, in welchem Geiste sie an dieser Stelle aufgenommen wurden. Nur an einzelnen Stellen sieht man in ihre Gedankengänge hinein. Lord Cromer, der weitblickende Prokonsul Ägyptens, der während der Verhandlung mit dem Auswärtigen Amte in besonders enger Fühlung stand, schrieb am 27. November 1903 an Lord Lansdowne:182 "Nach den Mitteilungen des französischen Agenten stelle ich nur vor, daß Delcassé die Hoffnung hegt, wir würden möglicherweise zu einer Einigung mit Rußland kommen und auf diese Weise Deutschland isolieren. In der Tat, ich komme nicht um den Gedanken herum, daß für die französische Regierung dieses einer der Hauptreize des ganzen Projektes ist." Die Verhandlung mit Rußland sei schwierig, aber einen Versuch sei es schon wert. Nachdem er seit 20 Jahren in diesen Geschäften stehe, könne er sich nicht einer so günstigen Gelegenheit wie der gegenwärtigen erinnern. Wenn er skeptisch sei, so sei der Grund, daß voraussichtlich die allzu hohen Forderungen von Militär und Marine und die Vorliebe für fiskalische Kämpfe die ganze hohe Bedeutung der gegenwärtigen diplomatischen Verhandlungen herabdrücken würden. "Inzwischen schien mein französischer Kollege den Gedanken ganz freundlich aufzunehmen, daß, wenn die Deutschen das englisch-französische Abkommen nicht annehmen sollten, wir ohne sie vorangehen sollten. Das ist natürlich genug. Es liegt offensichtlich im französischen Interesse, daß wir uns mit Deutschland überwerfen sollen."

Es ist nur ein Bruchstück des Quellenmaterials, das sich nicht ergänzen läßt, aber es reicht aus, um Zeugnis dafür abzulegen, daß schon während der schwebenden englisch-französischen Verhandlung das Endziel der politischen Isolierung Deutschlands auf der einen Seite heimlich herbeigesehnt und auf der anderen Seite jedenfalls nicht verworfen wurde.

Als am 12. April 1904 endlich der Inhalt des englisch-französischen Abkommens veröffentlicht wurde, geschah es in einem Augenblicke, da durch den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges eine Machtfrage von ganz anderen Dimensionen und unabsehbaren Folgen sich erhoben hatte. Gleichsam in dem Schatten dieses immerhin vergänglichen Elementarereignisses wagte sich der zweite, im weltgeschichtlichen Sinne unendlich viel folgenreichere Vorgang in die Öffentlichkeit, und einen Augenblick mochte es so scheinen, als ob seine eigentliche Bedeutung nur darin zu sehen sei, daß nach dem Zusammenprall der russischen und der japanischen Macht sich ihre beiderseitigen Verbündeten, der Engländer hier und der Franzose dort, durch ein geschicktes Ausräumen aller gemeinsamen Reibungsflächen in der Welt dagegen versicherten, in den Brand hineingezogen [547] zu werden. Es war zu verstehen, daß die deutsche Reichsregierung in dem Zeitpunkte der Veröffentlichung des englisch-französischen Abkommens sich zurückhielt. Bülow wollte sich am 12. April im Reichstage noch nicht äußern, da die beteiligten Staaten noch keine offizielle Erklärung abgegeben hätten; er habe aber keinen Grund zu der Annahme, daß der Vertrag eine Spitze gegen eine dritte Macht habe.

Um so begreiflicher war, daß der Kaiser, der damals auf einer Mittelmeerreise begriffen war, in der Tiefe beunruhigt in die Zukunft sah: "Das jüngste englisch-französische Abkommen gibt mir doch nach mancher Richtung hin zu denken. Ich finde, daß die Franzosen den Vorteil ihrer augenblicklichen Lage mit bemerkenswertem Geschick ausgenutzt haben. Sie haben es fertiggebracht, ohne das Band mit Rußland zu lockern, sich von England ihre Freundschaft teuer bezahlen zu lassen. Die präponderierende Stellung, die sie nunmehr in Marokko erlangt haben, ist unstreitig ein großer Gewinn für sie, den sie mit der Aufgabe des Restes ihrer mehr theoretischen als faktischen Rechte in Ägypten billig eingeheimst haben. Da unsere Handelsinteressen in Marokko bedeutend sind, hoffe ich, daß unsererseits für die notwendigen Garantien gesorgt ist, damit unser Handel dort nicht leidet. England andererseits hat in Ägypten genug freie Hand erlangt. Die möglichen Reibungspunkte mit Frankreich sind durch das Abkommen mit England wesentlich eingeschränkt worden, und letzteres hat an Bewegungsfreiheit auch sonst in der Welt viel gewonnen. Es ist nur natürlich, daß die zunehmende Freundschaft mit Frankreich und die sich daraus ergebende Sicherheit, daß von dieser Seite nichts zu befürchten ist, für England jede Rücksichtnahme auf uns mehr und mehr in den Hintergrund treten lassen wird."183


134 [1/523]S. o. S. 384 ff. ...zurück...

135 [2/523]König Eduard zu Hatzfeldt 14. Juni 1901 über den "ganz außerordentlich mißtrauischen Salisbury" (Randbemerkung Bülows: "Also müssen wir vor allem nicht drängen, noch die Verhandlungen überstürzen.") Eckardstein 29. Juli 1901: "Lansdowne wage nicht, Salisbury gegenüber ohne triftigen Grund wieder darauf zurückzukommen." Lascelles (ebenda): "Salisbury sehe bis auf weiteres keine Notwendigkeit für die Wiederaufnahme." Dementsprechend die Wendung Holsteins zu Chirol 31. Oktober 1901: "so könne die Bündnisfrage, so lange Lord Salisbury am Ruder sei, nicht zu praktischer Erörterung kommen". Große Politik 17, S. 105, 106. ...zurück...

136 [3/523]So Lansdowne an Lascelles 19. Februar 1901. Ähnlich in seinem Memorandum vom 22. November 1901 (Brit. Dokumente 2, 1, S. 127, 131). In seiner Mitteilung an Chirol vom 3. Januar 1902 (a. a. O. S. 134) sprach Holstein von Hatzfeldts Entwurf sogar übertreibend als von der "fieberhaften Rastlosigkeit eines Kranken - obwohl er unverzüglich in der bündigsten Weise desavouiert worden sei". Ganz durchsichtig erscheint das Verfahren Holsteins nicht. Aber er glaubte, das Interesse der Verhandlung wahrzunehmen, wenn er eine Formel beseitigte, die doch nicht auf Annahme rechnen könne. ...zurück...

137 [1/524]Lansdowne an Lascelles 9. Juni 1901. Brit. Dokumente 2, 1, S. 113. ...zurück...

138 [2/524]29. Juli 1901. Eckardstein a. a. O. 2, S. 372. ...zurück...

139 [3/524]Dazu gehört das Gespräch zwischen dem (über die amtliche Verhandlung nicht unterrichteten) Kaiser Wilhelm II. und dem Botschafter Lascelles. ...zurück...

140 [1/525]Es ist aber bezeichnend, daß man in Berlin die den Russen erteilte Absage nicht einmal in London zur Kenntnis zu bringen wagte (wie Bülow erst wollte), da man eine Indiskretion nach Petersburg befürchtete. ...zurück...

141 [2/525]Auch die Äußerungen Holsteins aus der nächsten Zeit sind noch immer ohne übermäßiges Mißtrauen, halten an dem Bündnisgedanken fest und die Zukunft offen. Ebenso Bülow 20. November: "trotzdem bleibt unsere Politik dieselbe". ...zurück...

142 [3/525]Metternich an Bülow 1. 14. November 1901 Große Pol. 17, 532 f., 534 f. ...zurück...

143 [1/527]Die Aufzeichnung Metternichs vom 28. Dezember (Große Politik 17, 1, S. 111 bis 115 und Lansdownes Erlaß an Lascelles vom 19. Dezember (Brit. Dokumente 2, S. 127, 132) sind auf einen sehr verschiedenen Ton gestimmt. Bei Lansdowne steht das Bemühen fest, auf eine anständige Weise aus der Sache herauszukommen. Da Metternich es selber gar nicht erwähnt, so erscheint es mir nicht zulässig, das "alles oder nichts" in seinem Munde so aufzubauschen wie es von O. Becker D. L. Z. 1929, Sp. 903 ff. geschieht. Metternich hat vor allem das Nein des anderen gehört. ...zurück...

144 [1/528]Das Schreiben Wilhelms II. an Eduard VII. vom 31. Dezember steht augenscheinlich unter dem Zeichen der Enttäuschung. Sie klingt nach einer Wendung über die nahe Bluts-, Glaubens-, Rasseverwandtschaft der beiden Völker im Schlußsatz vernehmlich nach: "may your Government never forget this and never place me in the jeopardy to have to choose a course which could be a misfortune to both them and us." Der Botschafter Lascelles hatte sich am 27. Dezember nur darauf berufen, daß er in englischen Kreisen eine tiefe Verstimmung gefunden habe. ...zurück...

145 [2/528]Holstein an Chirol 3. Januar 1902. Seine weiteren Ausfälle gegen Salisbury leiden an Übertreibung. In einer persönlichen Besprechung mit dem Publizisten Chirol erläuterte Holstein auch die Rede Bülows: "Wir haben unsern Korb bekommen und wir danken dafür." Sir Valentine Chirol, Fifty years in a changing world, S. 297. ...zurück...

146 [1/529]Dazu gehört auch die Preßfehde über die angebliche deutsche Initiative zugunsten Spaniens im Frühjahr 1898 (s. o. S. 482) und die Erklärung Lord Cranbournes vom 21. Januar 1902. ...zurück...

147 [2/529]25. Februar 1902. Große Politik 17, S. 160 ff. Die deutschen Akten reichen hier nicht aus. Am 26. Februar hatte Eckardstein die Indiskretion begangen, zu Wilhelm II. über die abgelaufene englische Bündnisverhandlung zu sprechen. Am 27. Februar hatte der Kaiser mit Bülow in aller Frühe im Garten des Reichskanzlerpalais eine einstündige "sehr erregte" Unterredung. Mühlberg an Eckardstein: "Na, da haben Sie was Schönes angerichtet." ...zurück...

148 [1/530]Ägypten wurde dabei von Chamberlain nicht genannt. Am 8. Februar 1902 sah Eckardstein bei einem offiziellen Diner in Marlborough House Chamberlain und Cambon lange Zeit in vertraulicher Unterhaltung, von der er die Worte Marokko und Ägypten vernahm. ...zurück...

149 [2/530]Eckardstein, Denkwürdigkeiten 2, S. 377. ...zurück...

150 [1/531]Französisches Gelbbuch: Les Accords Franco-Italiens de 1900 - 1902 p. 3. ...zurück...

151 [2/531]Schon am 31. März 1901 urteilte der deutsche Botschafter in Rom, Graf Karl Wedel: "in diesem französischen Entgegenkommen liegt für Italiens Haltung in fernerer Zukunft eine ernste Gefahr". Große Politik 18, 2, S. 714. ...zurück...

152 [1/532]Vollzogen am 18. März 1902. ...zurück...

153 [2/532]Unterzeichnung des Vertragsinstrumentes über die Verlängerung am 28. Juni 1902. ...zurück...

154 [3/532]Italien verpflichtete sich zu strikter Neutralität für den Fall, daß Frankreich Gegenstand eines Angriffes von einer oder mehreren Mächten sein, oder auch im Falle direkter Provokation selbst die Initiative der Kriegserklärung zur Verteidigung seiner Ehre und Sicherheit ergreifen würde. ...zurück...

155 [4/532]Der englische Diplomat Spring Rice sprach zu Metternich am 25. Dezember 1904 "von den großen Diensten der italienischen Regierung um das Zustandekommen der Entente cordiale." Große Politik 19, 2, S. 369. ...zurück...

156 [1/533]Es ist eine falsche Behauptung von Eckardstein 2, S. 406, daß der Kaiser alles daran gesetzt habe, den Empfang herbeizuführen. Bülow war allerdings aus Gründen der Popularitätshascherei dafür (an den Kaiser 17. September 1902: "Ich glaube, es wäre ein guter Coup"). Der Kaiser, von vornherein zurückhaltend, unterließ den Schritt, sobald er die englische Erregung bemerkte. "Unter diesen Umständen unterbleibt die Audienz, denn ich bin der Einzige, der die Engländer noch hält, sonst brechen sie vorzeitig los, und meine Flotte ist nicht fertig." ...zurück...

157 [2/533]Eckardstein an Bülow 14. September 1902. (Große Politik 17, S. 221.) ...zurück...

158 [1/534]Zu diesem Satze die Randbemerkung Kaiser Wilhelms II.: "Nein! Wir sind nicht mehr eifersüchtig, die beiden großen Kontinental-Koalitionen haben sich eben verständigt." ...zurück...

159 [2/534]Kaiser Wilhelm II. an Bülow, 12. November 1902. Große Politik 17,115 ff. ...zurück...

160 [1/536]So auch Wilhelm II. in der Randbemerkung: "Unsere Flagge ist vertreten, lassen wir den Briten den Vortritt." ...zurück...

161 [1/538]Metternich an Richthofen 19. Januar 1903 (Große Politik 17, S. 234 f.). ...zurück...

162 [2/538]Metternich an Ausw. Amt 29. Januar 1903 (ebenda 17, S. 181 f.). ...zurück...

163 [3/538]Bülow an Metternich 4. Februar 1903 (ebenda 17, S. 286 f.). ...zurück...

164 [1/539]Metternich bezeichnete noch im letzten Stadium Lord Lansdowne als einen Ehrenmann, der an den übernommenen Verpflichtungen festhalte. Seinerseits hat Lansdowne noch später zugegeben, daß die Deutschen "upon the whole, ran straight, as far as we are concerned". Lord Newton, Life of Lansdowne, S. 260. ...zurück...

165 [2/539]Graf J. H. Bernstorff, Deutschland und Amerika, S. 13, urteilt: "Der von uns in Bewegung gesetzte Apparat war im Verhältnis zu den deutschen Forderungen viel zu groß. Die erste Anregung zu der gemeinsamen Aktion ging zwar von englischer Seite aus, es wäre aber unsererseits klüger gewesen, die Anregung zu überhören." Gewiß - aber wenn wir überhört hätten, würden wir später vermutlich dem Tadel derer verfallen sein, die der deutschen Politik vorwerfen, so viele Chancen des Bündnisses oder Zusammengehens vernachlässigt zu haben. ...zurück...

166 [1/540]Metternich an Bülow 12. März 1903. (Gr. Pol. 17, S. 235 ff.) ...zurück...

167 [2/540]Metternich 31. Januar 1903. Waldersee 3, S. 206. ...zurück...

168 [3/540]Dazu gesellte sich jetzt auch das Thema: Deutsche Absichten in Südamerika. Über das tatsächliche Verhalten der Reichsregierung nur ein Beispiel. Als Präsident Roosevelt zu dem deutschen Geschäftsträger bemerkte, die beste Garantie für Besserung der Zustände in Südamerika erblicke er in der Ausdehnung deutschen Einflusses, der in Südbrasilien bereits so festen Fuß gefaßt habe, und in der Schaffung eines unabhängigen Staates von Deutschen in Brasilien erblicke er die beste Lösung der südamerikanischen Frage, antwortete der Freiherr Speck von Sternburg: "Ich nahm Gelegenheit, ihm emphatisch zu versichern, daß Deutschland an Landerwerb in Süd- und Zentralamerika nicht denke." (Randbemerkung des Kaisers: "gut".) Große Politik 17, S. 291 f. ...zurück...

169 [4/540]Lansdowne an Lascelles 18. März 1902. Ferner Randbemerkung Lansdownes zu dem Bericht O'Conors 10. April 1902 "es wäre nach meiner Ansicht ein großes Unglück, wenn diese Eisenbahn ohne britische Beteiligung gebaut werden sollte". Brit. Dokumente 2, 1, S. 287 f., 289. ...zurück...

170 [5/540]Ebenda 2, 1, S. 304. ...zurück...

171 [1/541]Wenn Lansdowne am 31. Januar 1903 bei einem Empfang des deutschen Finanzvertreters von Gwinner davon sprach, daß die Bahn für die britischen Interessen schädlich sei, da man bisher den kürzesten Weg nach Indien allein in der Hand gehabt habe und ihn verlieren werde, und daß er glaube, der vereinte Einfluß Englands und Rußland werde ausreichen, den Bahnbau zu hintertreiben (Große Politik 17, 432) - so ist das nur Taktik, um den Deutschen für die englischen Forderungen gefügig zu machen. ...zurück...

172 [2/541]Lansdownes Memorandum vom 14. April 1903. Brit. Dokumente 2, 1, S. 302 ff. Vgl. auch den Bericht O'Conors vom 28. April 1903 über "die deutschfeindliche Stimmung, die in hohem Maße die Haltung der Presse und öffentlichen Meinung, zum Schaden der englischen Interessen beeinflußt habe". a. a. O. S. 309. ...zurück...

173 [3/541]Vermerk Lansdownes zum Bericht O'Conors vom 15. Dezember 1903: "Wären die Finanzmänner nicht »ausgerissen«, so wäre ich dafür gewesen, an unserer Stellungnahme festzuhalten." a. a. O. S. 317. ...zurück...

174 [1/542]Diese Erklärung fand, im Hinblick auf die Zukunft, am 5. Juni eine Ergänzung in einer Auskunft Lansdownes im Oberhaus, in der die Errichtung einer Flottenstation im Persischen Golf durch eine fremde Macht als eine schwere Bedrohung der englischen Interessen bezeichnet wurde. Für den Fall des Baues der Bagdadbahn ohne britische Beteiligung wurde damit angekündigt, daß künftige Widerstände der englischen Regierung von Kueit und dem Persischen Golf her aufgerollt werden würden. ...zurück...

175 [2/542]Bernstorff an Bülow 24. April 1903: "Mit ungeteilter Befriedigung und in dem nicht ungerechtfertigten Gefühl des Stolzes durch planmäßige und energische Bearbeitung der öffentlichen Meinung die endgültige Entscheidung der Regierung in dem beabsichtigten Sinne herbeigeführt zu haben, begrüßt die Presse das gestern von Mr. Balfour selbst abgegebene ablehnende Votum". ...zurück...

176 [1/543]Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes 19. April 1903. (Große Politik 18, 2, S. 801 f.) ...zurück...

177 [2/543]Man berief sich in Paris darauf, die deutsche Regierung habe noch niemals seit Bestehen des Ministeriums Delcassé einen Schritt zu gemeinsamem Einvernehmen getan. Eine Aufzeichnung von Holstein aus dem April 1903 (Große Politik 18, 2, S. 802 f.) führt den Nachweis, daß dieses seit dem Juni 1898 zu vier Malen geschehen sei. ...zurück...

178 [1/544]Bülow an Holstein, 3. April 1903. (Große Politik 18, S. 839 f.) ...zurück...

179 [2/544]Metternich an Bülow 2. Juni 1903. (Große Politik 17, S. 590.) ...zurück...

180 [3/544]Eckardstein an Bülow 10. Mai 1903. (Große Politik 17, S. 567 ff.) Die Klage in seinen Erinnerungen 2, 415 f., man habe die Warnung im Auswärtigen Amte auf die leichte Achsel genommen, trifft, was die geschäftliche Behandlung angeht, nicht zu. ...zurück...

181 [1/545]Nicht nur in einseitigen Tendenzdarstellungen wie Eugen Fischers Holsteins großes Nein, sondern auch in Betrachtungen von höherem staatsmännischen Niveau. So Rosen: Aus einem diplomatischen Wanderleben 1, S. 234. "Ursprünglich hatten Balfour und Lord Lansdowne gar nicht das Bewußtsein gehabt, eine Abmachung von so weitreichender politischer Bedeutung abzuschließen. Es ist mir noch im Sommer 1924 von maßgebender Seite bestätigt worden, daß sich die beiden Staatsmänner überrascht gezeigt hätten, als sie sich allmählich über die Tragweite ihrer ursprünglichen Abmachung klar geworden seien". ...zurück...

182 [1/546]Ein großer Teil des speziellen dienstlichen Geschäftsverkehrs aus dieser Zeit ist abgedruckt: Brit. Dokumente 2, 2. Der obige vertrauliche hochpolitische Privatbrief ist wiedergegeben von Lord Newton, Lord Lansdowne S. 285. ...zurück...

183 [1/547]Große Politik 20, S. 22 f. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte